Es geschah in einer Sommernacht ...

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DAS GLÜCK EINER SOMMERNACHT

"Ich brauche keinen verdammten Babysitter!" Noch deutlicher kann ihr Alex Markoff nicht sagen, was er von ihr hält! Dabei hatte sich Kelsey so darauf gefreut, für den berühmten Autoren ein Manuskript abzuschreiben: Was könnte schöner sein, als den Sommer in seiner Villa in Berkshire zu verbringen? Wenn nur Alex nicht wäre! Er duldet sie nur, weil sein Verlag es von ihm verlangt. Doch dann folgt sie ihm zu den magischen Wasserfällen - und versteht, warum Alex keine Nähe mehr zulassen kann. Ist der Millionär wirklich für die Liebe verloren oder können Kelseys Küsse ihn heilen?

IN EINER STÜRMISCHEN SOMMERNACHT

In einer stürmischen Sommernacht wird Abby von ihrer Vergangenheit eingeholt. Colin McCarthy - ihre große Jugendliebe - taucht aus heiterem Himmel in ihrem Hotel in Hopetown auf. Und mit ihm sind sofort all die widerstreitenden Gefühle von damals wieder da: Wut, Zärtlichkeit, überwältigende Sehnsucht. Warum nur hat er sie nach ihrer ersten Liebesnacht ohne ein Wort des Abschieds verlassen? Auch wenn er sie jetzt um Verzeihung bittet, wehrt Abby sich gegen seine Anziehungskraft. Sie will sich nicht wieder in ihn verlieben. Zu groß ist ihre Angst, erneut verletzt zu werden …

SOMMERLIEBE, LEBENSGLÜCK

Es ist eine samtweiche Sommernacht in Virgina, als Grace ihr Herz an Danny Carson verliert. In seinem Strandhaus schlägt sie alle Vorbehalte in den Wind und genießt die Stunden der Leidenschaft in den Armen ihres Chefs. Sie weiß: Ich habe den Mann gefunden, mit dem ich mein ganzes Leben verbringen will. Doch als Danny von einer Geschäftsreise zurückkehrt und ihr erklärt, dass es für ihn nur ein einmaliges Intermezzo war, stürzt der Himmel für sie ein. Grace kündigt und will Danny nie wiedersehen - bis sie eine wunderbare, bestürzende Entdeckung macht …


  • Erscheinungstag 24.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788247
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Barbara Wallace, Kate Welsh, Susan Meier

Es geschah in einer Sommernacht ...

Barbara Wallace

Das Glück einer Sommernacht

IMPRESSUM

BIANCA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2011 by Barbara Wallace
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1835 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ines Schubert

Fotos: Masterfile

Veröffentlicht im ePub Format im 06/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86494-149-8

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

 

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1. KAPITEL

Alex Markoff sah keineswegs hässlich aus.

Er hatte kein Narbengesicht und war auch nicht entstellt oder abstoßend, er entsprach ganz und gar nicht dem Bild, das Kelsey sich von einem Einsiedler gemacht hatte. Im Gegenteil!

Der Mann, der ihr gerade seine Haustür geöffnet hatte, war atemberaubend. Er überragte Kelsey um mindestens einen Kopf, und im Türrahmen sah sie nur noch seine athletische Gestalt. Die verwaschenen Jeans saßen ihm tief auf den Hüften, und ein schwarzes Poloshirt spannte sich um beeindruckend breite Schultern.

Unwillkürlich wanderte Kelseys Blick seinen rechten Arm hinauf. Der steckte vom Oberarm bis zu den Fingern in einem leuchtend blauen Gipsverband. Wie war der Mann bloß mit einem gesunden Arm in seine perfekt sitzende Kleidung gekommen?

Alex Markoffs Augen leuchteten in einem faszinierenden Grau über markanten Wangenknochen. Es war die Farbe von Sturmwolken. Denn ihr Arbeitgeber für die nächsten drei Monate sah zwar aus wie ein Traummann, aber er schien alles andere als begeistert zu sein, dass sie vor seiner Tür stand.

Dunkel stieg ein Dejà-vu-Gefühl in Kelsey auf, die Erinnerung an andere Haustüren, an andere abweisende Mienen. Schnell verdrängte sie die Bilder. Das hier war etwas ganz anderes. Trotzdem spürte sie, wie die allzu vertraute Unsicherheit in ihr hochstieg.

Sie lächelte höflich. „Hallo, ich bin Kelsey Albertelli“, brachte sie mit viel zu piepsiger Stimme heraus.

Als Alex Markoff nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Ihre neue Assistentin.“

Stille.

„Ich komme aus New York. Mr Lefkowitz hat mich engagiert, damit ich …“

„Ich weiß.“ Seine tiefe, wohlklingende Stimme war genauso beeindruckend wie seine ganze Erscheinung. Beinahe wäre Kelsey vor Ehrfurcht einen Schritt zurückgewichen. Aber vielleicht lag das auch an der schon fast offenkundigen Feindseligkeit, die sie aus seinem Ton heraushörte.

Sie war das letzte Stück des Weges hier herauf in die Berge mit offenen Fenstern gefahren, und ihr akkurat gebundener Haarknoten hatte sich im Fahrtwind gelöst. Mehrere braune Locken fielen ihr ins Gesicht und vor die Augen. Entschlossen schob sie sie hinters Ohr zurück und räusperte sich. „Dann ist es ja gut. Ich dachte schon, das Büro von Mr Lefkowitz hätte vielleicht vergessen, Ihnen Bescheid zu geben.“

„Nein, hat es nicht.“

Kelsey nickte, und peinliche Stille trat ein. Wieder fielen ihr die lästigen Locken ins Gesicht. Wieder schob sie sie zurück und wartete nervös darauf, was Alex Markoff als Nächstes sagen würde.

Statt einer Antwort wandte er sich einfach ab, ging zurück ins Haus und ließ sie vor der Tür stehen.

Sie schluckte. Man hatte sie ja vorgewarnt!

„Es kann sein, dass Sie nicht besonders herzlich empfangen werden“, hatte Markoffs Verleger ihr erklärt. „Sie müssen nur immer daran denken, dass er keine Wahl hat. Sie arbeiten für mich, nicht für ihn.“

„Keine Sorge“, hatte sie ihm versichert. „Mich wirft so leicht nichts um.“

Solange der Preis stimmt … Dank der kriminellen Machenschaften ihrer Grandma Rosie und ihres leer geräumten Kontos interessierte sie im Augenblick nur ihr Gehaltsscheck. Und Mr Lefkowitz hatte ihr das Dreifache dessen geboten, was sie in derselben Zeit bei jedem anderen Job verdient hätte. Außerdem klopfte sie nicht zum ersten Mal in ihrem Leben an Türen, wo sie nicht erwünscht war. Auch das verdankte sie leider Grandma Rosie.

Alex Markoff hatte die Haustür hinter sich offen gelassen. Das hieß wohl, dass Kelsey ihm folgen sollte. Als ihr das bewusst wurde und sie zögernd über die Schwelle trat, war er schon ein paar Schritte voraus. Sie musste sich beeilen, um ihn einzuholen.

„Sie leben wirklich einsam hier oben“, sagte sie, als sie ihn erreicht hatte. „In New York gibt es nicht oft Wegbeschreibungen, in denen es heißt: an der großen Kiefer rechts. Ich glaube, ich bin an drei verschiedenen großen Bäumen jedes Mal rechts abgebogen.“

„Es ist der an der Gabelung“, entgegnete Alex Markoff.

„Ja, irgendwann habe ich das auch gemerkt.“ Sie lachte. „Aber meistens bekommt man als Anhaltspunkt ja ein Gebäude oder ein Schild oder etwas Ähnliches genannt. Keine große Kiefer. Beim ersten Mal habe ich auch Ihre Auffahrt verpasst. Ihr Briefkasten ist kaum zu sehen hinter dem Gebüsch. Aber ich kann mir vorstellen, dass das vielleicht Absicht ist …“

Sie verstummte, weil sie merkte, dass sie viel zu viel und zu hektisch redete. Schrecklich! Es war nervöses Geplapper, um die Stille auszufüllen.

Als Kind hatte sie das oft genug am eigenen Leib erlebt. Da war sie selbst es gewesen, die die anderen an sich hatte abprallen lassen. Manchmal hätte sie die verschiedenen Sozialarbeiter am liebsten angeschrien, dass sie endlich den Mund halten sollten. Und hier tat sie jetzt genau dasselbe: Sie versuchte das Eis zu brechen, während ihr Gegenüber keine Anstalten machte, ihr dabei zu helfen.

Aber sie gab nicht so schnell auf. „Mr Lefkowitz sagt, dass Sie Ihre Entwürfe alle per Hand schreiben. Ich nehme an, diese handschriftlichen Entwürfe soll ich dann in den Computer eingeben, oder?“ Sie warf wieder einen raschen Blick auf seinen eingegipsten Arm. „Ich hoffe, Ihre Arbeit hat unter dem gebrochenen Arm nicht gelitten.“

Kaum waren ihr die Worte entschlüpft, blieb Mr Markoff abrupt stehen und starrte sie aus seinen grauen Augen an. Kelsey stockte der Atem unter seinem intensiven Blick.

„Hat Stuart Sie beauftragt, dass Sie mich das fragen sollen?“ Er klang seltsam tonlos.

„Ich … ich …“ Oh Gott, jetzt stotterte sie auch noch! Was sollte sie ihm antworten?

Aber er sprach schon weiter: „Sagen Sie Stuart Lefkowitz, dass er sein Manuskript bekommt, wenn es so weit ist. Es reicht schon, dass er mir eine Schreibkraft aufgedrängt hat. Ich brauche nicht auch noch einen Babysitter.“

„Ich habe nicht … also, ich bin nicht …“ Hätte sie sich bei dem Bewerbungsgespräch doch bloß nach mehr Einzelheiten erkundigt! Das kommt davon, wenn man nur ans Geld denkt.

Als sie erfahren hatte, dass sie für den berühmten Autor Alex Markoff sein neuestes Manuskript in den Computer eingeben sollte, war ihr der Job aufregend und ungewöhnlich erschienen. Sie war noch auf der Highschool gewesen, als vor Jahren Markoffs Bestseller Folge dem Mond herausgekommen war, aber sie wusste, dass das Buch damals auf allen Lehrertischen lag. Und Auszüge daraus hatten sie im Englischunterricht gelesen. Alex Markoff war einer der Starautoren der letzten zehn Jahre, der Schriftsteller, den man gelesen haben musste.

Kelsey warf ihrem neuen Chef einen weiteren heimlichen Blick zu. Sie hätte doch wenigstens einmal auf einen Buchumschlag schauen sollen, bevor sie herfuhr. Dann hätte seine Erscheinung sie jetzt nicht so überrumpelt. Er sah nicht wie ein Model aus, man konnte seine Nase im Profil eine Spur zu lang oder sein Kinn zu kantig finden, aber die markanten Züge passten zu ihm.

Wenn sie daran dachte, dass sie fast erwartet hatte, eine Art Glöckner von Notre Dame hier in den Bergen anzutreffen! Aber was sollte man auch von einem Mann halten, der freiwillig vom Bestsellerautor zum Einsiedler geworden war?

Sie ließ den Blick über ihre Umgebung wandern. Nuttingwood war so dunkel und männlich wie sein Besitzer. Es erinnerte an ein englisches Landhaus aus einem alten Schwarz-Weiß-Film, Stein und Efeu überall, antike Möbel und dunkle Grüntöne.

Aber als sie um eine Ecke kamen, öffnete sich plötzlich vor ihnen ein weiter, heller Raum mit großen Fenstern und einer breiten Terrassentür. Dahinter lag ein wunderschöner Garten, in dem zahllose Blumen in allen Farben blühten. Der Garten war so überwältigend bunt, dass die dunkle Holzeinrichtung im Innern und die grünen Berkshire Berge dagegen verblassten. Durch die Scheiben sah Kelsey alle Arten von Vögeln über dem Blumenmeer fliegen.

„Wow“, sagte sie leise. Es war wie im Botanischen Garten in New York.

Ein Geräusch von Schritten holte sie aus ihrer Träumerei. Alex Markoff war weitergegangen zu einer Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Kelsey folgte ihm, und sie betraten ein Zimmer, das dem vorigen ähnelte.

Es war kleiner und hatte weniger Fenster, war aber ebenso wunderschön. Eine große Glastür führte hinaus in einen terrassenförmig angelegten Rosengarten. Gemütliche Gartenmöbel aus Holz lockten Besucher nach draußen, während drinnen zwei Schaukelstühle mit karierten Decken und Kissen zum Bleiben einluden.

Auf kleinen Tischchen und Bücherregalen stapelten sich Zeitschriften, Bücher und Papier. Ein paar zerknüllte Papierkugeln lagen dekorativ auf dem Boden. Sie wirkten gar nicht unordentlich, sondern wie eine perfekte Ergänzung zu der wohnlichen, gemütlichen Atmosphäre des Zimmers.

„Ein tolles Büro.“ In Gedanken sah sie schon vor sich, wie Markoff hier am Fenster saß und Seite um Seite vollschrieb.

Er wies nur auf einen großen Holztisch in der Ecke. „Sie können dort arbeiten.“

„Gibt es hier keinen Computer?“ Auf dem Tisch waren keine Anzeichen von elektronischem Zubehör zu sehen.

„Sie können Ihren eigenen benutzen und auf USB-Stick speichern.“

„In Ordnung.“ Wie gut, dass sie ihren Laptop mitgebracht hatte! „Können Sie hier auf dem Berg Internet empfangen?“

„Warum?“ Wieder war da die bohrende Intensität in seinem Blick. Er musterte sie so misstrauisch, als hätte sie ihn nach den Geheimcodes des Pentagon gefragt. „Warum sollten Sie Internet brauchen?“

„Damit ich mit New York in Kontakt bleiben kann. Mr Lefkowitz möchte gern auf dem Laufenden gehalten werden.“

Alex Markoff gab einen leisen, unwilligen Laut von sich, und Kelsey musste wieder an seinen Kommentar über den Babysitter denken. Offenbar war sie mit ihrem typischen Glück mitten in eine Auseinandersetzung zwischen dem Verleger und seinem Autor hineingeraten.

„Ich kann sicher auch in der Stadt irgendwo …“, bemerkte sie schnell.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe Internet“, sagte er knapp.

„Wunderbar.“ Nach weiteren Einzelheiten fragte sie ihn lieber ein anderes Mal, wenn er besserer Laune war. Falls das je vorkam!

Ein Stapel A4-Schreibblöcke mit gelbem Linienpapier lag auf dem Tisch, und sie wies mit dem Finger darauf. „Ich nehme an, das ist das, was ich in den Computer eingeben soll?“

„Tippen Sie es wortwörtlich ab, wie es dort steht“, antwortete er. „Ändern Sie nicht das Geringste. Nicht ein Wort. Wenn Sie etwas nicht lesen können, lassen Sie die Stelle einfach frei. Ich ergänze es dann später.“

Kelsey griff nach dem obersten Schreibblock und betrachtete die eckige Schreibschrift. Unglaublich! Sie seufzte innerlich. Der Mann arbeitete mit Bleistift! Und änderte und korrigierte beim Schreiben ständig. Mit seinen unzähligen Pfeilen und Strichen sah das Blatt eher nach dem Matchplan irgendeiner Sportart aus. Sie hatte schon das Gefühl, dass im Computer wohl viele leere Stellen bleiben würden.

„Noch irgendetwas?“, fragte sie. Eines hatte sie als Zeitarbeitskraft gelernt: sich immer möglichst sofort mit den persönlichen Eigenarten und Regeln eines Arbeitgebers vertraut zu machen. Wenn man gleich Bescheid wusste, war es viel leichter, sich anzupassen. Und in Markoffs Fall waren die Schreibregeln sicher nur die Spitze des Eisbergs.

Sie hatte recht.

„Ich mag keinen Lärm“, fuhr er fort. „Keine Musik, keine lauten Stimmen. Wenn Sie Ihren Freund oder irgendjemand anderen anrufen müssen …“

„Ich rufe niemanden an.“ Ihre prompte Antwort schien ihn zu überraschen. Er sah sie fragend an. „Es gibt weder einen Freund noch Familie“, fügte sie schnell hinzu. Warum nur hatte es sie plötzlich gedrängt, ihm das mitzuteilen?

Seine Miene war weicher geworden, und sekundenlang legte sich der Sturm in seinen Augen. Die Veränderung brachte sie ganz aus der Fassung. Ohne das genervte Funkeln wurde der Ausdruck in seinen Augen geradezu hypnotisch. Kelsey spürte plötzlich, wie ihr die Knie weich wurden. Sie wandte den Blick ab und schob sich zum x-ten Mal das Haar hinters Ohr.

„Wenn Sie doch mal telefonieren müssen, dann gehen Sie bitte nach draußen“, hörte sie. „Oder noch besser warten Sie damit bis nach der Arbeitszeit.“

„An welche Arbeitszeiten haben Sie denn gedacht?“, fragte sie sachlich. „Haben Sie irgendeine Vorliebe? Damit ich Sie nicht störe?“

„Spielt keine Rolle.“

Weil es ihm egal war, oder weil sie ihn ohnehin stören würde? Sie gab sich einen Ruck. „Dann hätte ich einen Vorschlag, sofern Sie einverstanden sind: Ich bin eher Frühaufsteherin und lege am liebsten morgens gleich los.“

„Gut.“

Wieder trat eine lastende, unbehagliche Stille ein. Kelsey zupfte am Saum ihres T-Shirts, rückte ihre Schultertasche zurecht und versuchte, Markoffs Unmut an sich abprallen zu lassen.

Bemüht munter sagte sie: „Jetzt weiß ich also, wo und wann ich arbeite und was ich tun soll. Bleibt nur noch die Frage nach meiner Unterkunft.“

Als Alex Markoff nicht gleich antwortete, schob sie hilflos nach: „Mr Lefkowitz hat gesagt, Sie hätten angeboten, dass ich hier schlafen kann.“ Kaum vorstellbar eigentlich, wenn sie es jetzt bedachte!

„Oben“, sagte er. „Die Schlafzimmer sind oben.“

„Gibt es ein bestimmtes Zimmer …?“

„Das ist mir egal.“

„Solange ich mir nicht Ihres unter den Nagel reiße, wahrscheinlich?“

Ihr Versuch zu scherzen missriet kläglich. Alex Markoffs Miene hatte sich wieder verfinstert, und er reagierte überhaupt nicht.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich hier aufnehmen“, fuhr sie fort. „Die Gegend scheint ja sehr beliebt zu sein, denn Gästezimmer sind jetzt im Sommer kaum noch zu kriegen.“ Aus lauter Verzweiflung plapperte sie wieder zu viel. „Mr Lefkowitz’ Sekretärin hat es zuerst bei allen Hotels probiert.“

„Ganz bestimmt.“

Klang das skeptisch? Was, um Himmels willen, ging in dem Mann vor? Glaubte er, sie wohnte freiwillig hier bei ihm in der Wildnis? Sie holte tief Luft und strich wieder ihr Haar zurück. „Mr Markoff, ich weiß, dass dieses Arrangement nicht Ihre Idee war.“ Sie versuchte so ruhig und selbstbewusst zu klingen, wie es nur ging. „Und ich verstehe, dass die Situation für Sie nicht unbedingt ideal ist …“

„Sie ist unnötig.“

„Aber nun bin ich wohl den Sommer über hier. Ich werde mich bemühen, Sie so wenig wie möglich zu stören. Versprochen.“

„Gut.“

Seine brüske Antwort traf Kelsey mehr, als sie gedacht hätte. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, nur ihr Lächeln wurde noch etwas angespannter. „Vielleicht wäre es gut, wenn wir gleich ein paar grundlegende Dinge klären. Zum Beispiel, was die Mahlzeiten betrifft …“

„Die Küche befindet sich dort hinten. Um Ihr Essen kümmern Sie sich am besten selbst.“

Natürlich, sie hatte jetzt auch nichts anderes mehr erwartet. „Und … das Bad?“

„Ein großes Bad ist oben gegenüber den Gästezimmern. Sie finden dort Handtücher und eine Badewanne. Warmes Wasser gibt es nur in begrenzter Menge.“

„Dann sehe ich wohl zu, dass ich morgens als Erste unter die Dusche komme.“

Kein Lächeln. Alex Markoff fand ihre Bemerkung überhaupt nicht lustig, und wieder fühlte sie sich von seiner Reaktion getroffen. Da kamen zu viele unliebsame Erinnerungen in ihr hoch. Es ist nur für einen Sommer, ermahnte sie sich. Man kann jede Situation überstehen, wenn man weiß, dass es auf absehbare Zeit ist, und man genügend inneren Abstand wahrt.

„Keine Sorge“, sagte sie besänftigend. „Ich gehöre eher zu den Schnellduschern und bleibe nicht stundenlang im Bad.“ Oder irgendwo sonst, wo sie nicht erwünscht war.

Immerhin nahm er ihre Bemerkung mit einem Nicken zur Kenntnis. Aber es war offensichtlich, dass er es eilig hatte, die Situation zu beenden. Wahrscheinlich, damit er hinausstapfen und sich weiter über ihre Anwesenheit ärgern konnte.

„Mein Laptop liegt im Auto. Ich hole ihn und arbeite vielleicht einfach schon ein bisschen. Die fertigen Seiten drucke ich Ihnen aus, zum Durchlesen.“ Mit diesen Worten machte sie eine Bewegung in Richtung Tür.

Leider trat Alex Markoff genau im selben Augenblick einen Schritt auf den Tisch zu, und plötzlich standen sie nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ein Hauch von Holz und Gewürznelken hüllte Kelsey ein. Ein warmer, erdiger Duft, und am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und ihn tief eingesogen. Aber unwillkürlich sah sie auf und begegnete Markoffs Blick. Das Grau in seinen Augen hatte sich noch vertieft.

Plötzlich verspürte sie eine Hitze am ganzen Körper.

„Entschuldigung, ich habe nicht gesehen, dass Sie …“ In ihrem Kopf herrschte Chaos, und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es fiel ihr schwer, noch einen ganzen Satz herauszubringen.

Sie murmelte noch einmal eine Entschuldigung und schob sich an ihm vorbei zur Tür, ohne ihn anzublicken. „Ich hole schnell meinen Laptop.“

Erst als sie an ihrem Auto war und mehrmals tief durchgeatmet hatte, verschwand der seltsame Nebel aus ihrem Hirn.

„Reiß dich zusammen“, murmelte sie sich zu, während sie die Wagentür öffnete. „Du musst hier noch den ganzen Sommer aushalten.“ Sie würde die nächsten drei Monate nicht damit verbringen, sich von ihrem Chef aus der Fassung bringen zu lassen!

Als sie wieder ins Haus kam, hörte sie seine Stimme aus dem Büro.

„Großer Gott, es geht doch nur noch um ein paar Monate. Drei Monate! Können Sie keine neunzig Tage mehr warten?“

Wer konnte nicht warten? Alex Markoff sprach laut und ärgerlich. „Glauben Sie etwa, ich habe mir den Arm absichtlich gebrochen?“, hörte sie ihn sagen. „Haben Sie mir deswegen den Babysitter geschickt? Um sicherzugehen, dass ich mich nicht noch mal einen Hügel hinunterstürze?“

Babysitter. Die Rede war von ihr. Das hieß, er hatte Stuart Lefkowitz am anderen Ende der Leitung. Versuchte er gerade, sie schon heute gleich wieder loszuwerden?

Vorsichtig trat Kelsey näher, blieb vor der angelehnten Tür zum Büro stehen und spähte durch den Spalt. Alex Markoff hatte ihr den Rücken zugewandt. Sie sah, wie seine Schultermuskeln sich unter dem Hemd anspannten. Als er leicht den Kopf drehte, erkannte sie dieselbe Anspannung in seiner Miene.

„Haben Sie schon mal überlegt, dass ich vielleicht nicht arbeiten kann, wenn mir jemand Tag und Nacht über die Schulter schaut?“, sagte er. Ein Kiefernmuskel zuckte, während er den Worten seines Gesprächspartners lauschte. Plötzlich spiegelte sich Ungläubigkeit in seinen Augen wider. „Was haben Sie da gesagt? Ja, ich weiß, was Vertragsbruch bedeutet. Aber Sie würden doch nicht …“

Stille folgte, dann hörte Kelsey, wie Alex Markoff tief Luft holte. Sein Unglaube hatte sich in mühsam beherrschten Zorn verwandelt. „Ist gut. Sie kriegen Ihr verdammtes Buch.“

Kelsey fuhr zusammen, als er sein Handy auf den Tisch warf. Vertragsbruch? Man drohte ihm mit einem Gerichtsverfahren? Kein Wunder, dass Mr Lefkowitz so darauf bestanden hatte, dass sie unter allen Umständen hier ausharren sollte. Und kein Wunder, dass Alex Markoff sie nicht mit offenen Armen empfangen hatte. Er hatte recht. Sie war wirklich sein Babysitter.

Drinnen im Zimmer stöhnte er frustriert auf, und Kelsey hörte Schritte. Hastig wich sie zurück und suchte fieberhaft nach einer Erklärung, falls er sie hier beim Lauschen ertappte. Im nächsten Augenblick schlug eine Tür zu. Sie war in Sicherheit. Mr Markoff war direkt hinaus in den Garten gegangen. Sie warf einen vorsichtigen Blick nach draußen und sah, wie er mit raschen Schritten in Richtung Wald davonging.

Jetzt entfuhr ihr selbst der tiefe Seufzer, den sie unterdrückt hatte, seit sie angekommen war.

Es wurde wohl wirklich ein langer Sommer.

Am Abend packte Kelsey ihre Koffer aus und richtete sich in dem Zimmer häuslich ein, das sie die nächsten drei Monate bewohnen würde. Da Alex Markoff nicht erwähnt hatte, welches Zimmer sie beziehen sollte, hatte sie eines genommen, das am ehesten nach Gästezimmer aussah. Wie das ganze Haus war auch dieser Raum dunkel, voller Holz, in Jägergrün- und Brauntönen gehalten. Es fehlte nur noch ein Hirschgeweih an der Wand.

Zedernduft wehte aus dem Schrank und verstärkte die rustikale Atmosphäre. Nacheinander holte sie ihre Sachen aus den beiden Koffern und zählte dabei in Gedanken, wie oft sie diese Prozedur schon hinter sich gebracht hatte. Jeder Handgriff war Routine. Zuerst nahm sie sich die Kommode vor, in deren Schubladen sie so wenig Platz wie möglich belegte – eine Gewohnheit aus vergangenen Zeiten, als sie ihr Zimmer immer mit vielen anderen Mädchen teilen musste. Dann kam der Kleiderschrank an die Reihe.

Für dieses Auspacken und Einräumen brauchte sie selten länger als eine Viertelstunde. Sie hatte früh gelernt, mit leichtem Gepäck durchs Leben zu gehen und nirgends zu fest Wurzeln zu schlagen, daher passte ihr ganzer Besitz in zwei große Koffer.

In diesem Sommer hatte sie mehr Gepäck als sonst. Das lag daran, dass sie während der letzten zwei Jahre als Untermieterin in ein und derselben Wohnung gelebt hatte. Die längste Zeit, die sie je an einem Ort geblieben war! Da hatten sich ein paar Dinge mehr angesammelt.

Zum Abschluss des Rituals griff sie nach ihrer Aktentasche. Ohne hinzusehen, ertastete sie darin ihren kostbarsten Besitz. Der alte Porzellanbecher fühlte sich kühl an, obwohl er den ganzen Tag in der Tasche verbracht hatte. Kaum noch vorstellbar, dass den Becher einst ein handgemaltes Muster aus bunten Blumen geschmückt hatte. Nur noch ein paar blasse Farbflecke waren davon übrig geblieben. Vom vielen Spülen hatte der Henkel einen Knacks.

Lächelnd schloss Kelsey die Hände um den Becher. Sie stellte sich vor, wie er, noch in seiner ganzen Farbenpracht, auf einer Arbeitsfläche stand und eine Frauenhand ihn mit Kaffee füllte. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie auch noch ihre Mutter vor sich sehen, wie sie den Becher an die Lippen hob. Obwohl es mit den Jahren immer schwerer wurde, die Erinnerung heraufzubeschwören.

Plötzlich fühlte Kelsey sich unendlich klein und allein, als hätten die Bilder vor ihrem inneren Auge sie wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. Einen Augenblick lang war sie keine erwachsene Frau mehr, die ihr Schicksal im Griff hatte. Sie war wieder ein kleines Mädchen, das seinen einzigen Talisman umklammerte. Dieser Becher war das Letzte, was ihr aus ihrem früheren Leben geblieben war. Mit ihrer Mutter hatte sie sicher nicht im Paradies gelebt, aber wenigstens war sie dort erwünscht gewesen. So redete sie es sich jedenfalls gern ein.

Sie lehnte sich an das Kopfende des Bettes und presste den Becher gegen die Brust. Auch dieser Augenblick der Einsamkeit gehörte zu ihrer Routine. Er würde bald vergehen, wie immer, wenn sie sich erst an eine neue Umgebung gewöhnt hatte. Allerdings war das Gefühl diesmal stärker als sonst. Kein Wunder, bei diesem abweisenden Empfang!

Kelsey verharrte noch ein paar Minuten in Selbstmitleid, dann steckte sie das Gefühl irgendwo tief in ihrem Innern in eine Schublade und trat ans Fenster. Ihr Schlafzimmer ging hinaus auf einen wilderen Teil des Gartens mit Blick zum Wald. Der Ausblick verstärkte das Gefühl der Einsamkeit nur noch. Draußen hinter den Bäumen sah sie das letzte Tageslicht. Innerlich kam es ihr schon viel später vor.

„Echtes Landleben“, murmelte sie und schob das Fenster hoch. Die Stille war unheimlich. Nur Blätter rauschten leise, und vereinzelte Vögel riefen. Ob sie ohne das ewige Hintergrundgeräusch des Verkehrs überhaupt schlafen konnte? Ohne den vertrauten Schein der Straßenlaternen? Von Außenbeleuchtung schien Mr Markoff nicht viel zu halten.

Natürlich nicht! Sie verdrehte die Augen. Lampen würden all das Dunkel zerstören, mit dem er sich offenbar gern umgab.

Zu ihrer Rechten knackte ein Zweig. Sie beugte sich leicht vor und rechnete fast damit, dass gleich irgendein wildes Tier unter den Bäumen herauslief. Stattdessen sah sie etwas viel Überraschenderes: die Umrisse eines Mannes.

Alex Markoff.

Er ging am äußersten Rand des Grundstücks am Wald entlang, konzentriert, mit gesenktem Kopf, als zählte er seine Schritte. Kelsey sah zu, wie er näher kam, und plötzlich saß ihr ein Kloß im Hals. Alex Markoff wirkte so allein. Überhaupt nicht wie der feindselige, arrogante Mann, der ihr am Nachmittag die Tür geöffnet hatte. Dieser Mann dort unten erinnerte an einen Geist. Ja, dachte sie, das ist der passende Ausdruck. Er war da und doch nicht da.

Als er noch näher kam, zog Kelsey sich schnell zurück. Das fehlte noch, dass er merkte, wie sie ihn beobachtete! Jetzt blieb er stehen und wandte sein Gesicht ihrem Fenster zu.

Kelsey unterdrückte ein Seufzen. Das letzte Licht spiegelte sich in seinen Augen wider und verwandelte sie in glitzerndes Silber. Sogar von hier oben konnte sie die Gefühle erkennen, die in ihm arbeiteten, schutzlos und widerstrebend. Sie hätte nicht sagen können, was sie dort sah, aber es berührte etwas in ihr, das ihr sehr vertraut war. Und es kam ihr vor, als würde Alex Markoff sie direkt ansehen. Mehr noch, als ob er tief in sie hineinblickte. Das war natürlich vollkommen albern, denn von dort, wo er stand, konnte er sie auf keinen Fall sehen.

Irgendwann ging er weiter, aber seine Gegenwart schien noch lange in der Nachtluft zu hängen. Leise ließ Kelsey das Fenster herunter. Kurz darauf hörte sie Schritte auf der Treppe, und ganz in der Nähe fiel eine Zimmertür zu.

Sein Zimmer lag direkt neben ihrem, das war ihr gar nicht bewusst gewesen! Durch die Wand hörte sie einen Stuhl rücken, und sie hätte schwören können, dass ein langer, frustrierter Seufzer folgte. Plötzlich klirrte Glas, und ein Papierstapel schien zu Boden zu fallen, begleitet von einem leisen Fluch. Die Tür ging auf, und schwere, ärgerliche Schritte hallten durch die Diele, dann schlug die Haustür zu.

Ganz so still war es nachts hier also doch nicht! Aber in einem hatte sie recht gehabt: Es würde ein sehr langer Sommer werden. Vielleicht hätte sie doch lieber in New York bleiben und drei Jobs gleichzeitig annehmen sollen. Und noch länger an Grandma Rosies Schulden gefesselt bleiben?

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich rücklings auf das Bett fallen. „Das habe ich alles dir zu verdanken, Grandma“, murmelte sie.

Markoff war nicht der Einzige, der in ihrer jetzigen Situation keine Wahl hatte.

2. KAPITEL

„Gott sei Dank gibt es Kaffee auf der Welt.“ Kelsey trank genüsslich einen großen Schluck. „Hmm, italienische Röstung, frisch gekocht. Damit rette ich mich heute über den Tag.“

Ihre Tischgesellschaft, ein großer orangefarbener Wuschelkater, der wie Garfield aussah, sagte nichts. Kelsey hatte das Tier auf der Terrasse dösend gefunden, als sie bei Sonnenaufgang herausgekommen war, und seitdem leistete der Kater ihr Gesellschaft. Vermutlich war es ein Streuner. Alex Markoff schien nicht unbedingt der große Tierfreund zu sein, es sei denn, er hatte eine sehr gut verborgene weiche Seite!

Und doch … die Augen, die sie gestern Abend gesehen hatte, verbargen eindeutig etwas …

Sie schüttelte die Erinnerung ab. Ihr neuer Chef war es nicht wert, dass sie sich so viele Gedanken über ihn machte. Nicht nach seinem bisherigen abweisenden Verhalten! Ganz sicher verdiente er kein Mitgefühl, nachdem er sie den ganzen Abend mit seinem endlosen Auf- und Abgehen und Seufzen am Einschlafen gehindert hatte.

„Ich dachte, Schreiben wäre ein sitzender Beruf. Muss man dafür denn nächtelang hin und her laufen?“ Kelsey trank noch einen Schluck und wartete auf die anregende Wirkung des Koffeins. Sie musste in Topform sein, wenn sie jetzt täglich von morgens bis abends Markoffs Handschrift entziffern wollte.

„Weißt du was, Kater: Der Mann mag ein genialer Schriftsteller sein, aber er sollte an seinen Umgangsformen arbeiten. Du hättest erleben sollen, wie er mich gestern behandelt hat. Geradezu feindselig. Wetten, es stört ihn sicher schon, dass ich mir heute Morgen einfach einen Becher Kaffee genommen habe?“

Der Kater legte zur Antwort eine Pfote über die Augen.

„Du verstehst mich“, antwortete Kelsey. „Wenn man eine Kanne frisch aufgebrühten Kaffee im Morgengrauen in der Küche stehen lässt, darf man sich nicht wundern, wenn jemand zugreift.“ Nach der mehr oder weniger schlaflosen Nacht hatte der himmlische Duft sie magisch in die Küche gezogen. „Es war nur gerecht, oder?“

„Mit wem reden Sie da?“

Kelsey hätte fast der Schlag getroffen. Am Rand der Terrasse stand Alex Markoff, dunkel, einschüchternd und ungeheuer gut aussehend. Über seinen perfekt sitzenden Jeans trug er an diesem Morgen ein kurzes marineblaues T-Shirt, Ton in Ton mit seiner Armschlinge.

Er war offenbar schon draußen in den Wäldern unterwegs gewesen. Seine Haut glitzerte von Schweiß, der Kragen seines Shirts schimmerte feucht und dunkel. Das dunkle Haar ringelte sich im Nacken. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie der Mann wohl aussah, wenn er frisch aus der Dusche trat.

„Guten Morgen“, sagte sie, als sie wieder Luft bekam.

Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Mit wem haben Sie geredet?“

„Nur mit …“ Sie wies auf den Sonnenflecken auf der Terrasse, der jetzt verlassen dalag. „… mir selbst.“

„Machen Sie das immer?“

„Wenn sonst keiner zum Reden da ist. Wie heißt es doch? ‚Man ist sich selbst die beste Gesellschaft.‘“

„Da haben Sie recht.“

Kelsey schob ihr Haar zurück. Dabei hätte sie schwören können, dass er auf ihr Ohr blickte. Sah er nach, ob sie nicht doch einen Stöpsel im Ohr hatte? Ein verstecktes Mikrofon? Beinahe musste sie lachen. Hielt er sie für eine Art Spionin?

„Ich habe mir etwas von dem Kaffee genommen, ich hoffe, das ist für Sie in Ordnung“, sagte sie und lächelte entschuldigend.

Er nickte nur. „Ich habe es gehört.“

Was hatte er wohl sonst noch alles gehört? Schnell hob sie ihren Becher an den Mund und hoffte nur, dass Alex Markoff nicht sah, wie sie vor Verlegenheit rot geworden war. „Sind Sie schon lange auf?“, fragte sie über den Becherrand hinweg. „Ich hätte angenommen, dass Sie nach so einer langen Nacht ein bisschen ausschlafen.“

„Warum glauben Sie, dass es eine lange Nacht war?“

Weshalb legte er bloß alles, was sie sagte, auf die Goldwaage, als gäbe es einen verborgenen Sinn darin? Dazu dieser durchdringende Blick aus den Sturmwolken-Augen!

„Ich habe Sie gehört“, erklärte sie und widerstand dem Drang, wie ein nervöser Teenager den Kopf einzuziehen. „Man konnte es kaum ignorieren. Sie haben ein altes Haus mit dünnen Wänden. Sie seufzen laut.“

„Oh.“

Oh, ja. „Gestern Abend ging es wohl nicht so gut voran?“, fragte sie höflich.

„Warum wollen Sie das wissen?“

Sie zuckte die Achseln und versuchte gelassen zu bleiben. „Muss man denn für alles einen Grund haben?“

„Es gibt immer einen Grund.“

„Wir sollen den ganzen Sommer hier zusammenarbeiten, da könnten wir doch vielleicht ein bisschen höflicher miteinander umgehen?“, platzte sie heraus. Jetzt war sie mit ihrer Geduld am Ende. „Ich wollte nur nett sein.“

Alex Markoff sah sie lange an. Überlegte er, ob er ihr glauben sollte? Kelsey versuchte, seine Launen an sich abprallen zu lassen. Dafür bemerkte sie auf einmal Einzelheiten, die sie am Vortag vor lauter Nervosität nicht gesehen hatte. Seine gebräunte Haut, die schwache Narbe auf dem Nasenrücken, die schön geschwungenen Lippen.

Und natürlich die Tiefen, die sich hinter dem ständig wechselnden, faszinierenden Grau seiner Augen verbargen. Wieder hatte sie das Gefühl, dass etwas Schmerzliches, Trauriges dahinterlag.

Oder es war einfach die Einsamkeit.

Sie wusste fast nichts über diesen Mann und sein bisheriges Leben. Zum hundertsten Mal machte sie sich Vorwürfe, dass sie nicht wenigstens ein bisschen recherchiert hatte, bevor sie den Job annahm.

Plötzlich knirschte der Kies hinter dem Haus. Bei dem Geräusch veränderte sich Markoffs Gesichtsausdruck ein weiteres Mal. Er runzelte die Stirn, brummte leise etwas vor sich hin und straffte sich.

„Was ist?“ Sie versuchte immer noch, seinen abrupten Stimmungswechseln zu folgen.

Natürlich gab er auch diesmal keine Antwort. Wie gestern wandte er sich einfach ab, ging davon und überließ es ihr, ob sie mitkam oder nicht. Ihre Neugier siegte, und mit einem Seufzer lief sie ihm hinterher.

Als sie um die Hausecke bog, erblickte sie einen weißbärtigen, stämmigen Riesen, der gerade aus einem grünen Pick-up stieg. Der Pick-up trug seitlich eine handgepinselte Aufschrift: Leafy Bean, Farley Grangerfield Prop.

Alex Markoff ließ sich also von einem Laden aus der Stadt die Lebensmittel ins Haus bringen. Was gar nichts mit seinem gebrochenen Arm zu tun haben musste. Es ersparte ihm, seine Einsiedlerklause überhaupt jemals zu verlassen!

Interessiert blickte der weißhaarige Händler durch seine dicke Brille zwischen ihr und Alex hin und her, sagte aber nichts.

Gleich darauf hoben die beiden Männer wortlos jeder zwei Leinentaschen mit Lebensmitteln von der Ladenfläche. Alex trug zwei Taschen mit seinem gesunden Arm.

Als der Fremde an Kelsey vorbeikam, warf er ihr noch einen Blick zu und brummte: „Die anderen Taschen laden sich nicht von selber ab.“

Kelsey begriff den Wink, eilte zu dem Pick-up und nahm die letzten beiden Taschen heraus. Immerhin hatten die Männer ihr offenbar die beiden leichtesten übrig gelassen, dafür konnte man schon dankbar sein!

In der Küche packten Alex Markoff und der Händler, immer noch schweigend, Lebensmittel und Haushaltswaren aus und häuften sie auf den Küchentisch. Als die Tür hinter Kelsey zufiel, sahen die beiden zu ihr her.

„Wo soll ich das hintun?“, fragte sie.

„Auf die Arbeitsfläche dort“, antwortete Markoff. „Nicht nötig“, fügte er hinzu, als sie begann, die Taschen auszupacken.

„Es macht mir nichts aus“, entgegnete sie freundlich. Was sollte sie sonst tun? Einfach dastehen und den beiden zusehen? „Sie müssten mir nur sagen, wo alles hinsoll. Zumindest jetzt am Anfang. Ich merke mir immer ziemlich schnell, wo die Dinge hinkommen. So kann ich auch gleich sehen, wo ich dann Platz für meine eigenen Einkäufe finde.“

Oje, sie plapperte wieder drauflos. Das wurde langsam zu einer furchtbaren Angewohnheit. Als sie merkte, wie Alex Markoff sie jetzt ansah, bereute sie noch mehr, dass sie sich nicht besser beherrscht hatte. Aber diese Stille, die im Raum hing! Und immer wieder warf der Händler ihr neugierige und recht anzügliche Blicke zu. Da war es nicht leicht, cool zu bleiben.

„Eine größere Bestellung kostet Sie extra“, bemerkte der Händler knapp zu Markoff.

„Miss Albertelli kauft für sich ein“, gab Markoff zurück.

Sie nickte. Es war ja vereinbart, dass sie sich selbst versorgte. Warum hätten sie ihre Einkäufe auch aufeinander abstimmen sollen? Außer, dass es unter normalen Menschen vielleicht naheliegend gewesen wäre …

„Ich bin Kelsey Albertelli“, sagte sie freundlich und wandte sich direkt an den Händler. „Mr Markoffs neue Assistentin. Ich helfe ihm, solange er den Gips hat. Sind Sie Mr Grangerfield?“

Keine Antwort. Da er nicht verneinte, schloss sie einfach daraus, dass sie richtig getippt hatte.

„Bestellung für eine Lieferung drei Tage im Voraus“, erklärte der Mann jetzt. „Wenn Sie die Sachen früher haben wollen, müssen Sie sie selbst holen. Sonderbestellungen dauern länger. Und wenn ich die Marke nicht habe, gibt’s eine andere. Keine Reklamationen.“

Waren hier in Berkshire County alle Leute so brüsk? Immerhin unterschied sich Farley Grangerfield in seinem Schweigen von Alex Markoff. Der alte Mann war mürrisch, aber ohne diese argwöhnische Abwehr, die ihr neuer Arbeitgeber ausstrahlte.

„Ich habe Bestellscheine im Wagen“, sagte der Händler, als alles weggepackt war. Es waren die ersten Worte seit einer ganzen Weile. „Wenn Sie welche wollen, kommen Sie mit.“

Kelsey folgte ihm und spürte auf dem ganzen Weg nach draußen Alex Markoffs Blick im Rücken.

„Normale Lieferung ist alle zehn Tage“, sagte der Mann. „Die ersten vier Taschen sind umsonst, danach müssen Sie zahlen.“

„Ich werd’s mir merken.“ Kelsey nahm den Stapel dreifarbiger Bestellformulare entgegen, den er ihr überreichte.

„Liefern Sie schon lange hierher nach Nuttingwood?“, fragte sie neugierig.

„Ziemlich.“

„Und was heißt das?“

„Drei, vier, fünf Jahre. Ich führe nicht Buch.“

Sie nickte resigniert. Es war einen Versuch wert gewesen, aber fast hatte sie schon mit so einer vagen Antwort gerechnet.

„Vielen Dank noch mal für die Bestellscheine“, sagte sie und wedelte mit den Papieren zum Abschied. „Bis bald.“

Farley Grangerfield brummelte etwas von „nichts Besseres zu tun …“ vor sich hin und schlug die Wagentür zu. Kelsey unterdrückte ein Lächeln. Die Antwort war so schlecht gelaunt und so absurd, dass Kelsey sie jetzt schon beinahe lustig fand.

Sie wartete, bis der Pick-up um die Ecke gebogen war, dann kehrte sie ins Haus zurück. In der Küche traf sie auf Markoff, der sich offenbar nicht vom Fleck gerührt hatte. Er lehnte am Spülbecken und sah aus dem Fenster.

„Interessanter Mann“, sagte sie und schloss die Tür. „Ist er wirklich so ein Griesgram, oder tut er nur so? Waren Sie schon in seinem Laden? Im …“, sie sah auf die Formulare in ihrer Hand, „… Leafy Bean?“

„Ein, zwei Mal.“

„Ist der Laden auch so originell wie er selbst?“

„Seine Kuchen und Apfeltaschen sind nicht schlecht.“

Aus Alex Markoffs Mund klang das schon wie ein ganzes Loblied. Kelsey trat an den Küchentisch, auf dem noch verschiedenes Gemüse ausgebreitet lag.

Vielleicht bildete sie sich das nur ein, aber es schien Markoff ernsthaft zu stören, dass sie und Farley Grangerfield sich begegnet waren. Nur weil er selbst ein menschenscheuer Einsiedler war, erwartete er doch wohl nicht, dass auch sie sich von jeder menschlichen Gesellschaft fernhielt?

Dachte er, sie verbrachte den ganzen Sommer allein mit ihm und seinem streunenden Kater? Bei dem Gedanken lief ihr auf einmal ein seltsamer, warmer Schauer über den Rücken.

Markoff hatte sich ihr zugewandt. Unter seinem intensiven Blick überlief sie gleich noch ein Schauer.

Sie gab sich einen Ruck und fragte ihn direkt: „Es ist Ihnen nicht recht, dass Mr Grangerfield weiß, dass ich hier bin, stimmt’s?“

„Ich mag es nicht, wenn die Leute ihre Nase in meine Angelegenheiten stecken.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Assistentin auf Zeit zum Gesprächsthema in der Stadt wird. Wenn die Leute es dort überhaupt je erfahren. Mr Grangerfield wirkt nicht so, als würde er gern reden, und schon gar keinen Klatsch verbreiten.“

„Jeder redet eines Tages, Miss Albertelli. Ich muss den Leuten nicht dabei helfen.“ Er löste sich vom Fenster. „Und Sie auch nicht.“

Jeder redet eines Tages.

Diese Bemerkung sollte für die nächsten zwei Tage das Letzte sein, was Kelsey von Alex Markoff hörte. Kurz darauf verschwand er einfach und überließ ihr Nuttingwood für sich allein.

„Dich sehe ich öfter als ihn“, bemerkte sie zu Puddin’, als der Kater wie jeden Tag auf der Terrasse erschien. „Er ist wie ein Geist, der nur nachts auftaucht.“

Sie wusste, dass er abends zurückkam, denn sie hörte ihn auf und ab gehen. Jede Nacht wanderte er scheinbar endlos lang durch sein Zimmer.

„Wenn er einmal etwas Heiteres schreiben würde, dann könnte er vielleicht auch besser schlafen.“ Die Seiten, die sie bis jetzt entziffert hatte, waren noch finsterer als er selbst. Und bitter. Fantastisch, aber bitter. Welten entfernt von Folge dem Mond.

„Als wären sie von zwei verschiedenen Menschen geschrieben“, sagte sie zu Puddin’. Vielleicht waren sie das ja auch in gewisser Weise.

Warum hatte sie bloß nicht mehr über ihn in Erfahrung gebracht, bevor sie herkam? Statt Mr Lefkowitz Fragen zu stellen, hatte sie sich von der Aussicht auf die üppige Bezahlung blenden lassen. Natürlich spielte Geld zurzeit eine entscheidende Rolle in ihrem Leben, aber warum hatte sie nicht ein bisschen weiter gedacht? Alex Markoffs Bitterkeit ließ ihr keine Ruhe. Was hatte man dem Mann angetan, dass er nichts mehr mit der Welt zu tun haben wollte?

„Ich weiß, ich weiß“, sagte sie zu Puddin’. „Tu deine Arbeit und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.“ So lautete die Regel. Aber wenn Kelsey ein bisschen mehr wüsste, könnte sie sich auch besser auf ihn einstellen.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Es war immer noch nicht zu spät, das eine oder andere herauszufinden. Wozu gab es das Internet? Spontan sprang sie auf, so heftig, dass Puddin’ ebenfalls hochsprang.

Markoffs großer Bestseller Folge dem Mond war vor etwa sechs Jahren erschienen. Mr Grangerfield hatte gesagt, dass er seit drei bis fünf Jahren mit seinen Lieferungen hierherkam. In all diesen Jahren waren doch sicher irgendwelche Artikel über Alex Markoff erschienen!

Ein Dutzend Mausklicks und Tasteneingaben später hatte sie eine Antwort. Die Schauspielerin und der Autor: wahre Liebe! tönte eine Überschrift.

Alex Markoff mit einem Filmstar? Das kam ihr völlig abwegig vor. Aber dann fanden sich überall Beweise. Als Erstes sah sie ein Foto von ihm und einer bekannten Blondine, die sich über einer Tasse Kaffee tief in die Augen sahen.

Ein merkwürdiges Gefühl überfiel Kelsey, als sie all die Berichte über diese Beziehung las. Offenbar hatte das aufstrebende Starlet Alyssa Davenport Alex Markoff bei einer Autogrammstunde kennengelernt. Daraus wurde eine stürmische Romanze, und zur allgemeinen Überraschung heirateten die beiden und ließen sich in Los Angeles nieder, wo gerade Markoffs jüngste Kurzgeschichte verfilmt wurde. Sein Ruhm und Alyssas strahlende Erscheinung machten das Paar zu einem idealen Motiv für die Fotografen.

Per Mausklick erschienen Dutzende von Bildern von den beiden. Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen. Bei Filmpremieren. Auf der Jacht eines Produzenten. Und überall Alyssas platinblondes Haar und makellos geformtes Gesicht. Auf jedem Foto schien Mrs Markoff liebevoll am Arm ihres Gatten zu hängen, ihr Lächeln bildete dabei eine wirkungsvolle Ergänzung zu der kühlen, zurückhaltenden Miene des Schriftstellers. Obwohl der Mann alles hatte, was man sich im Leben nur wünschen konnte, schien er nie zu lächeln.

Mit ein paar weiteren Klicks stieß sie auf eine ganz andere Geschichte. Was ging schief? fragte eine fette Überschrift über einem Porträtfoto von Alyssa. Andere Artikel versprachen, Markoffs dunkle Geheimnisse zu enthüllen.

Jeder redet eines Tages. Ja, auf diesen Seiten redeten die Leute. Freunde, Bekannte, selbst Angestellte lieferten schmutzige Insiderdetails über die Ehe, die Trennung und das intimste Privatleben des Paares.

„Hat denn wirklich jeder, der ihn kannte, ein Interview gegeben?“, fragte sie sich fassungslos.

„Die Antwort lautet Ja.“

Kelsey zuckte zusammen. Langsam blickte sie von ihrem Bildschirm auf und sah in Alex Markoffs zornig blitzende Augen. Erst jetzt merkte sie, dass sie die Frage laut ausgesprochen hatte.

„Was zum Teufel tun Sie da?“

Sie versuchte zu antworten, brachte aber kein Wort heraus. Sie öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch, der nach Luft schnappt.

Alex Markoff war neben sie getreten und starrte auf den Bildschirm. Direkt körperlich spürte sie jetzt den Zorn, der in ihm aufstieg. Das machte seine beherrschte, kalte Stimme nur umso beängstigender.

„Was tun Sie da?“, fragte er noch einmal.

„Ich … ich …“ Sie schob sich das Haar hinters Ohr, holte tief Luft und versuchte sich wieder in den Griff zu bekommen. Das war nicht leicht, angesichts der wilden Blicke, mit denen Markoff sie durchbohrte. „Entschuldigen Sie. Es tut mir leid! Ich dachte, wenn ich etwas mehr über Sie wüsste, könnte ich …“

„… könnten Sie was, Miss Albertelli?“

Sie hielt seinen Blick nicht mehr aus und schlug die Augen nieder. Plötzlich klang ihre Antwort überhaupt nicht mehr so einleuchtend. „… Sie besser verstehen“, gab sie leise zurück.

Auch Markoff schien ihre Antwort nicht einleuchtend zu finden. Seine Kiefernmuskeln zuckten, als er zwischen ihr und dem Laptop hin und her sah.

„Sie möchten mich besser verstehen?“, fragte er schließlich. Seine Stimme klang noch ausdrucksloser als zuvor. „Dann verstehen Sie bitte eines: Mein Privatleben ist … privat. Sie haben kein Recht, in meiner Vergangenheit zu schnüffeln, egal, aus welchen Gründen.“

Ich bräuchte ja auch nicht herumschnüffeln, wenn Sie nicht so ein Geheimniskrämer wären, verteidigte Kelsey sich innerlich schwach. Aber sie wusste, dass Alex Markoff recht hatte. Sie sah auf ihre Finger und kam sich wie ein ertapptes kleines Kind vor. Ein schreckliches Gefühl. Das Schlimmste daran war, dass sie sich die peinliche Situation ganz allein eingebrockt hatte.

„Es wird nicht wieder vorkommen“, brachte sie heraus. Sie sah ihn immer noch nicht an.

„Sie haben recht. Denn Sie werden abreisen. Und zwar heute noch.“

Abreisen? Sollte das heißen, dass sie gefeuert war?

Sie hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte sie ihre eigenen Regeln missachtet und sich nicht einfach um ihre Arbeit gekümmert? Nein, sie musste ihre Nase unbedingt in Alex Markoffs Angelegenheiten stecken und von ihm gefeuert werden! Das bedeutete, dass sie noch heute ohne Zeugnis wieder auf der Straße sitzen würde. Unter den Umständen würde es eine Ewigkeit dauern, bis sie eine andere Stelle fand. Im Geist sah sie, nicht zum ersten Mal, wieder den Gerichtsvollzieher vor sich. „Mr Markoff, warten Sie!“

Er hatte sich schon abgewandt und war auf dem Weg nach draußen.

Kelsey lief ihm hinterher. „Überlegen Sie es sich bitte noch einmal.“

Er drehte sich um und funkelte sie an. „Ganz sicher nicht.“

„Bitte. Ich brauche diesen Job.“ Sie verabscheute den flehenden Ton in ihrer Stimme.

„Das hätten Sie sich vor Ihrer Google-Tour überlegen sollen.“

„Aber …“

„Heute noch, Miss Albertelli. Packen Sie Ihre Sachen.“

Was sollte sie jetzt tun? Vielleicht konnte sie Mr Lefkowitz bitten, sich einzuschalten …

Es fiel ihr nicht leicht, auf dieses Druckmittel zurückzugreifen, aber extreme Situationen erforderten nun einmal extreme Maßnahmen. Der Zweck heiligte die Mittel. Wenn sie Grandma Rosies Schulden in absehbarer Zeit irgendwie loswerden wollte, dann hatte sie keine Wahl. Markoff war schon fast an der Terrassentür. Wer wusste, wie lange er wieder fortblieb, wenn er erst einmal verschwand.

Sie schluckte. „Was ist mit Mr Lefkowitz?“, rief sie entschlossen. „Weitere Komplikationen werden ihm gar nicht gefallen.“

Abrupt blieb Alex Markoff stehen. „Was Stuart gefällt oder nicht, ist nicht meine Sorge.“ Er klang immer noch unendlich arrogant, aber jetzt schwang ein Hauch von Vorsicht in seiner Stimme.

„Das glaube ich Ihnen“, gab sie zurück. „Aber …“

Seine Lippen wurden zu einer dünnen Linie. „Aber – was?“

Jetzt oder nie. Langsam und konzentriert durchquerte sie den Raum, ohne den Blick von Alex Markoff zu wenden. Es war nicht einfach, weil ihr Magen bei jedem Schritt hüpfte. „Wir wissen beide, dass er nicht noch weitere Verzögerungen tolerieren wird.“

Alex Markoff sog scharf die Luft ein. Die Karten lagen auf dem Tisch. Er wusste, dass Kelsey von seinem Vertragsbruch wusste. Sekundenlang hörte man nur das Ticken der Wanduhr draußen in der Diele.

Kelsey wartete mit angehaltenem Atem und versuchte, an nichts zu denken.

Endlich fuhr er sich durchs Haar und murmelte resigniert: „Warum könnt ihr mich nicht alle einfach in Ruhe lassen?“ Müde ließ er die Arme sinken. „Ist das so viel verlangt?“

Mit diesen Worten lief er endgültig hinaus. Der Schmerz, der in seiner Stimme geklungen hatte, legte sich schwer auf Kelseys Gewissen. Auch wenn Alex Markoff es nicht direkt ausgesprochen hatte, war klar, dass sie diese Kraftprobe gewonnen hatte. Er warf sie nicht hinaus. Fürs Erste zumindest nicht.

Sie wartete, bis er in Richtung der Bäume außer Sicht war, dann sank sie erleichtert auf das Sofa. Gleichzeitig verspürte sie ein immer stärkeres Schuldgefühl. Hilflos versetzte sie dem nächstliegenden Kissen einen Fausthieb.

Sie hatte es sich mit Alex Markoff so gründlich verdorben, wie man nur konnte. Und das, noch bevor sie mit ihrer Arbeit überhaupt richtig angefangen hatte.

3. KAPITEL

An diesem Abend ging Kelsey auswärts essen. Nach dem heutigen Katastrophentag wollte sie für eine Weile möglichst großen Abstand zwischen sich und Alex Markoff bringen. Schließlich landete sie im örtlichen Gasthof. Das zweihundert Jahre alte Gebäude beherbergte einen Pub im Keller, und dort versuchte sie, bei einem Cheeseburger und irischer Musik, ihre Schuldgefühle in Ginger Ale zu ertränken.

Aber es gelang ihr nicht. Sie fühlte sich schrecklich und hätte sich ohrfeigen können. Warum war sie nur so neugierig gewesen? Markoff hatte recht, seine Vergangenheit ging sie nichts an. Wie würde sie selbst sich wohl fühlen, wenn jemand auf diese Weise in ihrem Leben herumstöberte?

Dank der schockierenden Informationen, die sie im Internet gefunden hatte, kreisten ihre Gedanken jetzt allerdings mehr denn je um diesen Mann. Es war etwas an ihm, das sie einfach nicht losließ. Etwas in der Art, wie er seinen Ärger ausdrückte. Wie er die Welt anflehte, ihn in Ruhe zu lassen. In seinen unglaublichen grauen Augen lag eine Verzweiflung, die viel mehr verriet als nur die schlechte Laune eines mürrischen Einsiedlers.

Wie war er wohl vor seiner Scheidung gewesen? Lebensfroh? Lustig? Sie versuchte sich vorzustellen, wie er lachte. Aber es gelang ihr nicht.

Wie traurig! Sogar sie fand hin und wieder eine Gelegenheit zu lachen.

Es war weit nach Mitternacht, als sie wieder nach Nuttingwood zurückkehrte. Sie wäre schon früher wieder da gewesen, aber kaum hatte sie den Gasthof verlassen, war ein gewaltiges Gewitter losgebrochen. In dem sintflutartigen, peitschenden Regen und ohne Straßenbeleuchtung hatte sie auf der Rückfahrt teilweise keine zwanzig Meter weit gesehen. Prompt verpasste sie die Gabelung mit der großen Kiefer und musste irgendwann kehrtmachen.

Zum Glück brannte nirgends mehr Licht im Haus, als sie die Auffahrt hinauffuhr. Vermutlich ging Alex Markoff ihr jetzt ebenso aus dem Weg wie sie ihm. Sie rannte unter Blitz, Donner und prasselndem Regen zur Haustür. Kaum hatte sie die Schwelle übertreten, stieß sie sich die Hüfte an dem Marmortisch im Eingang. Leise auf sich selbst schimpfend tastete sie sich an der Wand entlang zum Lichtschalter. Warum hatte sie kein Licht angelassen, als sie weggefahren war?

Endlich fand sie einen Schalter und drückte darauf. Aber nichts passierte. Sie drückte ein zweites Mal. Und noch mal.

„Sie verschwenden bloß Ihre Zeit.“

Ein Blitz zuckte. Er tauchte den Raum für einen Moment in grelles Licht, und Kelsey erhaschte einen Blick auf eine dunkle Gestalt am Wohnzimmerfenster.

„Es nützt nichts“, erklärte Alex Markoff. „Seit einer halben Stunde haben wir kein Licht mehr.“

Kelsey trat ein wenig näher. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an das Dunkel, und sie sah, dass er sich die Nackenmuskeln massierte. Sein Haar war verwuschelt, er trug nur eine lose Jogginghose am Körper. Und sonst nichts. Er musste schon im Bett gelegen haben, als das Gewitter losbrach.

Sie konnte den Blick von ihm nicht abwenden. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft wurde Kelsey bewusst, dass sie dieses Haus in den Wäldern mit einem Mann teilte. Einem sehr gut aussehenden, sehr begehrenswerten Mann. Bei der plötzlichen Erkenntnis begannen ihre Knie zu zittern, und eine warme Welle durchlief sie vom Kopf bis zu den Füßen.

„Passiert das oft?“, fragte sie. „Ich meine, Stromausfälle?“ Nur um zu wissen, wie oft sie sich hier wohl noch so im Finstern begegnen würden. Ohne eine Menschenseele außer ihnen weit und breit.

„Wenn es stark genug stürmt“, entgegnete er nüchtern. Er sah konzentriert hinaus in den Garten und wandte sich ihr gar nicht erst zu. Beim nächsten Blitz konnte sie seine Miene erkennen. Er schien in Gedanken meilenweit weg zu sein.

„Und wie oft gibt es solche Stürme?“, fragte sie und trat neben ihn.

„Ziemlich oft. Im Keller habe ich einen Notstromgenerator.“

„Aber Sie haben ihn nicht angeworfen …“

„Ich mag die Dunkelheit.“

Warum überrascht mich das nicht?

„Haben Sie etwas gesagt?“

„Nichts Wichtiges.“ Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte. Schnell wechselte sie das Thema. „Ein beeindruckendes Schauspiel, da draußen.“

„Ja.“

„Als ich klein war, hat mir einmal eines der anderen Pflege… äh … Kinder erzählt, Donner und Blitz seien Angriffe von Außerirdischen. Das hat mir solche Angst eingejagt, dass ich mich für Stunden unter der Decke verkrochen habe.“ Sie erinnerte sich lebhaft daran, wie sie sich unter der Decke zusammengekauert hatte, den Becher ihrer Mutter wie einen Talisman an sich gedrückt. „Kinder fallen auf alberne Dinge herein, nicht?“

„Nicht nur Kinder.“ Er sprach so leise, dass sie ihn kaum hörte.

„Was haben Sie gesagt?“

„Nicht wichtig.“

Ihr Gefühl sagte ihr etwas anderes, aber sie schwieg. Die Wahrheit würde er ihr ohnehin nicht erzählen. Zum x-ten Mal warf sie einen verstohlenen Blick auf sein Profil, aber im Dunkel war sein Gesichtsausdruck unmöglich zu deuten.

Auf einmal schien alles viel intimer und näher zu sein. Kelsey spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging, und atmete seinen Duft ein. Sie ahnte sogar, wie seine Brust sich bei jedem angespannten Atemzug hob und senkte. Seine Trostlosigkeit war so fühlbar, dass sie plötzlich gern den Arm ausgestreckt und ihn tröstend berührt hätte.

„Es tut mir sehr leid wegen heute Nachmittag“, sagte sie leise. „Ich hätte nicht hinter Ihrem Rücken herumschnüffeln dürfen.“

„Stimmt.“

Sie dachte an die Klatschartikel auf den Internetseiten und verstand ihn. Niemand verdiente es, dass man sein Leben vor den neugierigen Augen der ganzen Welt auseinandernahm. „Es tut mir auch leid wegen Ihrer Ehe.“

„Das ist lange her.“

„Trotzdem, Sie …“

„Ich möchte nicht darüber reden, Miss Albertelli. Die Ehe ist gescheitert. Das ist alles.“

Kelsey hörte eine Flut von unterdrückten Emotionen in seiner Stimme. Ärger, Frustration, Verletzung. Aber da sie sich schon auf sehr dünnes Eis hinausgewagt hatte, wechselte sie lieber das Thema. „Sie haben gesagt, der Generator steht im Keller?“

„Unten am Fuß der Stufen.“ Er schien ihr für den Themawechsel dankbar zu sein.

„Dürfte ich ihn vielleicht einschalten? Sie können ja in diesem Zimmer das Licht auslassen, aber ich würde den Weg hinauf in mein Zimmer gern ohne größere Zwischenfälle finden.“

Abgesehen davon, dass mit etwas mehr Licht dann auch das Intime ihrer Situation verschwinden würde! Wenn Alex Markoff sie nur erst wieder so unwillig wie üblich ansah, brach das den seltsamen Bann, unter dem sie sich an diesem Abend so zu ihm hingezogen fühlte, sicher sofort.

„Schlagen Sie sich durch.“

Im Finstern den Weg in die Küche zu finden war leichter gesagt als getan. In dem alten Haus gab es eine Unmenge Ecken, Vorsprünge und unerwartet auftauchende Stufen. Tagsüber machte dieses Verwinkelte den gemütlichen Charme von Nuttingwood aus, aber nachts in absoluter Dunkelheit wurde es zu einem Albtraum voller Stolperfallen. Das fehlte noch, dass sie irgendwo hinfiel und sich ebenfalls den Arm brach! Schlimmer noch, sie würde mit ihrem üblichen Glück dabei sicher gleich irgendein unersetzliches Familienerbstück zertrümmern.

Irgendwann erreichte sie die doppelte Schwingtür, die zur Küche führte. Gleichzeitig hörte sie Schritte hinter sich.

„Sie werden eine Taschenlampe brauchen“, sagte Alex Markoff und ging an ihr vorbei. Schweigend folgte Kelsey ihm und versuchte nicht mehr daran zu denken, wie sein Körper sie im Vorbeigehen gestreift hatte.

Er bewegte sich mit einer bewundernswerten Leichtigkeit in der finsteren Küche. Nirgends hörte Kelsey ihn anstoßen oder stolpern, ganz im Gegensatz zu ihr. Die Kellertür musste sich irgendwo rechts von ihr befinden. Vorsichtig trat sie in die Richtung, als sie hörte, wie ein Stuhl über den Boden gezogen wurde.

„Was tun Sie da?“

„Die Taschenlampe liegt oben hinten im Schrank. Mit dem Gips komme ich anders nicht dran.“

„Warten Sie, ich hole sie.“ Sie tastete sich in seine Richtung und nahm ihm den Stuhl aus der Hand. „Es ist stockfinster. Wenn Sie sich noch den anderen Arm brechen, bin ich noch bis Weihnachten hier.“

„Um Himmels willen, das wollen wir doch beide nicht! Dann klettern Sie bitte.“

Jetzt musste Kelsey unwillkürlich lachen. Wer hätte das gedacht? Alex Markoff hatte Humor! Auch wenn er sie nicht sehen konnte, lächelte sie ihm zu, während sie auf den Stuhl kletterte.

Im nächsten Augenblick legte sich eine warme, feste Hand an ihren Rücken.

„Ich stütze Sie“, sagte Markoff hinter ihr.

Sie schluckte. Er stützte sie! Warum fühlten sich ihre Knie jetzt trotzdem viel wackliger an als zuvor? Es war, als würde ihr plötzlich ein elektrischer Strom durch den Rücken laufen.

„Alles okay?“, hörte sie.

„Alles bestens“, gab sie etwas zittrig zurück. Die Dunkelheit war schuld! Sie machte alles intensiver und legte in eine simple Berührung oder in Markoffs tiefe Stimme etwas hinein, das da gar nicht war. Wenn es nur erst wieder Licht gibt, ist die Illusion vorbei.

Auf einmal ertönte ganz in der Nähe ein jämmerliches Maunzen.

„Was in Dreiteufelsnamen war das?“, fragte Markoff.

Das Maunzen ertönte wieder, und da dämmerte es Kelsey.

„Puddin’!“ Sie hatte sich noch gefragt, wo der Kater wohl Schutz vor dem Unwetter gefunden hatte. Das Tier musste gehört haben, wie sie mit dem Wagen zurückkam, und bettelte jetzt an der Küchentür um Einlass. Der arme kleine Kerl musste bis auf die Knochen durchgeweicht sein.

„Wer ist Puddin’?“

Sie sprang von dem Stuhl, eilte zur Tür, die in den Garten führte, öffnete, und im selben Moment schoss etwas Klitschnasses und Miauendes an ihr vorbei in die Küche. Da flammte eine Taschenlampe auf. Markoff musste sie sich in der Zwischenzeit aus dem Schrank geangelt haben. Er richtete den Lichtstrahl auf das tropfende orangefarbene Bündel, das unter dem Küchentisch zitterte.

„Das ist Puddin’“, erklärte Kelsey.

„Ein Kater“, stellte Markoff fest.

Beinahe hätte sie darauf eine sehr sarkastische Bemerkung gemacht, aber sie beherrschte sich. „Ein sehr nasser Kater. Könnten Sie mir ein Küchenhandtuch geben?“

„Wofür?“

„Um ihn abzutrocknen, natürlich. Oder wäre es Ihnen lieber, er hinterlässt seine nassen Spuren überall?“

Markoff seufzte, aber sie hörte, wie er zum Spülbecken ging. Dabei hielt er ununterbrochen den Schein seiner Lampe auf das tropfnasse Tier gerichtet.

„Armer Kleiner, er zittert.“ Sie streckte die Hand aus und ließ den ängstlichen Kater daran schnuppern. „Alles wird gut“, beruhigte sie ihn. Zu Markoff gewandt erklärte sie: „Ich glaube, er lebt schon seit einer Weile in Ihrem Garten. Neulich morgens ist er auf der Terrasse erschienen und leistet mir seitdem immer Gesellschaft.“

„Sie meinen, Sie haben ihn dazu ermutigt?“

Oje, sie hatte gegen eine weitere Regel verstoßen! Sie nahm das Tuch, das Alex ihr über die Schulter gelegt hatte, und wickelte den streunenden Kater sanft hinein. Der protestierte kaum, ein Zeichen, wie nass und elend er sich fühlen musste. Im nächsten Augenblick ertönte auf einmal ein leises, tiefes Schnurren.

„Sehen Sie, er fühlt sich schon viel wohler“, sagte sie erleichtert.

„Wie schön für ihn“, brummte Markoff. „Was wollen Sie jetzt mit ihm machen?“

Gute Frage. Sie hatte sich nur darum gesorgt, den Kater ins Trockene zu bringen. Viel weiter hatte sie noch nicht gedacht.

„Wir können ihn nicht gut wieder vor die Tür setzen“, sagte sie.

„Nein?“

„Schauen Sie hinaus. Es schüttet wie aus Kübeln.“

„Das wird er wohl gewohnt sein.“

„Könnte er nicht diese eine Nacht hierbleiben? Er ist ein liebes Tier.“ Sie hob Puddin’ hoch. Sofort kuschelte der Kater sich an sie, auf der Suche nach Wärme und Zuwendung. „Sehen Sie?“

Markoff richtete die Lampe auf sie. „Er gehört nicht hierher.“

Diese Worte trafen einen empfindlichen Punkt in Kelsey. Wie oft hatte sie in ihrem Leben schon diesen abweisenden, gleichgültigen Tonfall gehört! „Wer sagt das?“, fragte sie herausfordernd.

„Ich, der Hausherr.“

Sie betrachtete Puddin’, der seine Vorderpfoten ausstreckte und die Auseinandersetzung um ihn völlig ignorierte. Frust und Ärger stiegen in ihr auf. Plötzlich ging es gar nicht mehr darum, eine Katze im Trockenen zu behalten. Es ging darum, erwünscht zu sein. Darum, dass man irgendwo auf der Welt von jemandem gewollt wurde. Dem Kater ging es wie ihr.

„Ich werde ihn nicht bei diesem Wetter nach draußen jagen. Er wird noch krank“, erklärte sie fest.

„Er ist ein Kater und kein Kind.“

„Ja, und? Er hat trotzdem Gefühle. Haben Sie denn keine?“ Sie sah hoch und direkt in den hellen Strahl der Taschenlampe, den Alex Markoff auf sie gerichtet hatte. Geblendet blinzelte sie. „Sie werden die Welt doch wohl nicht so sehr hassen, dass Sie ein hilfloses Tier in diese Sintflut hinausjagen und dort ertrinken lassen?“

Sie hörte, wie Markoff tief Luft holte. Zwar konnte sie seine Miene nicht sehen, aber sie stellte sich vor, wie er entnervt das Gesicht verzog. Mit ihrer letzten Bemerkung war sie vielleicht wirklich etwas zu weit gegangen.

„Seien Sie froh, dass ich Sie nicht beide zum Schlafen hinaus in den Regen jage.“

Womöglich meinte er das sogar ernst? Kelsey zog Puddin’ enger an sich.

Markoff wandte sich ab und nahm das Licht mit. Während sie noch blinzelte, um sich wieder an das Dunkel zu gewöhnen, hörte sie, wie eine Tür aufging. Eine Sekunde lang fragte sie sich erschrocken, ob er seine Drohung etwa wahr machen wollte. Bis sie hörte, dass er die Treppe hinunter in den Keller stieg.

„Aber morgen früh setzen Sie ihn hinaus“, brummte er noch über die Schulter. „Und sollte er zum Dank irgendeine Kleinigkeit vor meiner Tür hinterlassen, dann werden Sie es beseitigen.“

Kelsey musste lächeln. Sie hatte gewonnen! Ein kleiner Sieg, aber dennoch. Vielleicht war Alex Markoff doch nicht ganz so hartherzig, wie er die Welt gern glauben machen wollte.

Den Kampf um Puddin’s Rechte hatte Kelsey zwar gewonnen, aber sie durfte den Bogen nicht überspannen. Sonst schlug Alex die Drohungen seines Verlegers doch noch in den Wind und warf sie endgültig hinaus. Also nahm sie den Kater zur Sicherheit über Nacht mit in ihr Zimmer, damit er Alex nicht mehr über den Weg lief.

„Je weniger er dich sieht, desto besser, mein Freund“, erklärte sie dem Tier.

Puddin’ schien das alles nicht zu kümmern. Er rollte sich auf ihrer Steppdecke zusammen und schnurrte behaglich.

Am nächsten Morgen erwachte sie vor Sonnenaufgang und setzte den gekränkten Puddin’ auf die Stufen vor die Haustür. Dann fuhr sie in die Stadt. Die vorletzte Zahlung für Grandma Rosie war fällig, und sie wollte den Scheck zur Sicherheit als Einschreiben schicken.

Wenige Stunden zuvor war das Unwetter weitergezogen und hatte nur ein paar abgebrochene Zweige und jede Menge Pfützen hinterlassen. Als sie auf die Hauptstraße einbog, sah sie einen Technikerwagen und Männer, die die Stromleitungen wieder instand setzten. Es versetzte ihr einen seltsamen Stich der Enttäuschung. Sie wollte doch nicht etwa noch eine Nacht im Finstern mit Markoff verbringen, in dieser merkwürdig aufgeladenen, gleichzeitig intimen und geheimnisvollen Atmosphäre! Oder?

Sie war so früh dran, dass es überall noch reichlich Parkplätze gab. Später am Tag würde sich das ändern. Stockbridge war eines der typischen verschlafenen Städtchen in den Berkshires, die jeden Sommer völlig überlaufen waren. Dann reihte ein Festival sich an das nächste, Gastspiele von Symphonieorchestern folgten auf Ausstellungen moderner Kunst. Heerscharen von Touristen, vor allem aus New York, fielen in die Gegend ein, um die ländliche Idylle zu genießen, und brachten sie gleichzeitig damit gründlich durcheinander.

Für die Einwohner waren die Touristenströme im Sommer sicher ein zweischneidiges Schwert, einerseits eine willkommene Einnahmequelle, andererseits eine lästige und nachhaltige Störung.

Außer für Alex, dachte Kelsey. Er verabscheut sie einfach nur.

Am Postbüro sah sie, dass ihr noch eine Viertelstunde blieb, bis der Schalter öffnete. Also fuhr sie die Straße entlang weiter zu Leafy Bean. Farley Grangerfields Lebensmittelladen verkörperte perfekt die typische Atmosphäre des Städtchens und dieser Gegend. Er war halb Kaufladen, halb Café, halb Gourmet-Tempel und bot einfach alles, von importiertem Mandelöl bis zu hausgemachten Kuchen mit buntem Zuckerguss in allen Farben. Dazu gab es eine Selbstbedienungstheke mit einer beeindruckenden Auswahl an frischem Kaffee.

Eine große Kupferglocke bimmelte über der Tür, als Kelsey eintrat. Farley Grangerfield stand hinter dem Ladentisch. Eine große grüne Schürze verhüllte seine massige Gestalt. Seine Hände und Unterarme waren mehlbestäubt.

„Guten Morgen, Farley“, grüßte sie und erhielt ein Grunzen zur Antwort. „Das war ein ganz schönes Unwetter gestern Abend, nicht? In Nuttingwood ist der Strom ausgefallen.“

„Was erwarten Sie schon, da draußen in der Wildnis.“

Allein, wo einen niemand findet. „Das ist es wohl gerade, was Mr Markoff daran mag“, bemerkte sie. „Es ist einsam.“

„Er ist ein echter Eremit“, murmelte Farley zurück.

Der Eremit von Nuttingwood. Nicht schlecht. Es klang traurig und geheimnisvoll. Jetzt, wo sie Alex Markoffs Geschichte zumindest teilweise kannte, konnte sie verstehen, dass er Privatsphäre wollte. Obwohl es ihr sehr extrem erschien, sich gleich fünf Jahre lang in die Bergwälder zurückzuziehen. Das Leben war nicht immer fair, das wusste sie selbst gut genug. Menschen benutzten andere Menschen ständig. Man lernte eben, sich anzupassen.

So wie man lernte, innerlich Abstand zu halten. Sich um sich selbst zu kümmern. Von niemandem abhängig zu werden und nie zu weit voraus zu denken. Wenn man sich nicht den Luxus eines Rückzugs in die Berge leisten konnte, waren diese Regeln überlebenswichtig.

Kelsey wusste das so gut, weil sie diese Regeln seit ihrem vierten Lebensjahr, seit dem Tod ihrer Mutter, befolgt hatte. Bis zu dieser Woche. Was hatte Alex Markoff an sich, dass sie ihre wichtigsten Überlebensstrategien in letzter Zeit dauernd vergaß?

„Nehmen Sie sich einen Kaffee, solange es noch geht“, bemerkte Farley und kam um den Tisch herum. Er schenkte sich ebenfalls einen Becher ein. „Wenn die Touristen erst aufgewacht sind, räumen sie den Laden leer.“

Kelsey nahm es als großes Kompliment, dass er sie nicht zu dieser Gruppe dazurechnete. „Ist es denn nicht sehr gut fürs Geschäft?“

Autor

Kate Welsh

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