Julia Gold Band 104

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FRAG NICHT, KÜSS MICH! von ANNA CLEARY
Völlig unerwartet trifft Lara in Sydney den attraktiven Alessandro wieder: ihren Ex – und neuen Boss! Erneut beginnt es heftig zwischen Lara und dem sexy Traummann zu knistern. Doch Lara hat sich geschworen: Niemals wieder soll Alessandro ihr das Herz brechen!

EIN BOSS FÜR GEWISSE STUNDEN von CATHY WILLIAMS
Eiskalt und berechnend soll ihr neuer Chef sein und seine bisherigen Sekretärinnen mehr nach dem Aussehen als nach ihrem Können ausgesucht haben. Doch Alice ist gewarnt! Auch wenn Gabriel Cabreras aufreizende Blicke ihr Schauer der Lust über den Rücken jagen …

SO PRICKELND WIE CHAMPAGNER von NICOLE MARSH
Starr ist entsetzt! Ihr neuer Boss ist niemand anderes als Callum Cartwright – der Mann, mit dem sie die heißeste Liebesnacht ihres Lebens hatte! Kann Starr mit dem sinnlichen Verführer zusammenarbeiten? Auch wenn Callum noch immer diese alles verzehrende Leidenschaft in ihr weckt?


  • Erscheinungstag 13.05.2022
  • Bandnummer 104
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508407
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anna Cleary, Cathy Williams, Nicola Marsh

JULIA GOLD BAND 104

1. KAPITEL

Die paar Minuten Verspätung waren wirklich kein Grund zur Panik. Niemand würde ihr deshalb den Kopf abreißen. Oder?

Eilig stieg Lara Meadows in der George Street aus dem überheizten Bus. Sie fröstelte in ihrem schwarzen Kostüm und den kniehohen Wildlederstiefeln, als sie an diesem Wintermorgen in Sydney an der Ampel warten musste.

Ich bin stark, redete sie sich ein. Sie war eine mutige, schöne Frau, die mit jeder Fernsehgöttin mithalten konnte. Die Narbe im Nacken konnte niemand sehen, weil sie von ihrem langen Haar verdeckt wurde.

Im Verlagswesen kam es ohnehin nicht so sehr auf das Aussehen an, sondern auf Intelligenz und Professionalität. Lara war gut in ihrem Job und nichts und niemand konnte daran etwas ändern.

Und wieso war sie dann so nervös?

Alessandro war auch nur ein Mann – wenn auch ein sehr mächtiger. Vor sechs Jahren war das noch nicht so gewesen. Damals hatte er allerdings noch keine Macht ausgeübt. Sie hatte ihn als unglaublich amüsant, weltmännisch und charmant erlebt. Sah man einmal von seinem dichten schwarzen Haar, den dunklen Augen, die stets zu lächeln schienen, dem sinnlichen Mund, der verführerisch tiefen Stimme und der breiten Brust ab, was blieb dann noch übrig? Aber wieso zitterten Lara dann die Knie? Sie hatte sich schließlich nichts vorzuwerfen – im Gegensatz zu ihm.

Energisch betrat Lara das Stiletto-Gebäude und lief zum Aufzug. Ihre Etage schien verlassen zu sein. Offensichtlich waren alle Mitarbeiter bereits im Konferenzraum versammelt, um den neuen Chef vom anderen Ende der Welt mit Pünktlichkeit zu beeindrucken.

Mit anderen Worten: Alessandro zu beeindrucken.

Lara atmete tief durch. Eigentlich hatte sie viel früher hier sein wollen, aber es dauerte eben seine Zeit, Zöpfe zu flechten. Vivi hatte diesen Morgen darauf bestanden. Der Schulweg dauerte auch länger als sonst. Aber es war schier unmöglich, eine Fünfjährige zur Eile anzutreiben, die sich für alle Kreaturen interessierte, die zu dieser Uhrzeit unterwegs waren.

Aber Alessandro war gerecht und stets gelassen. Warum sollte Lara sich also vor ihm als Chef fürchten?

Vielleicht, weil sie versäumt hatte, ihm etwas sehr Wichtiges mitzuteilen?

Alessandro Vincenti ließ sich von seiner verängstigten Sekretärin Beryl einen Aktenordner reichen. Die Mitarbeiterin, die er von dem gescheiterten Geschäftsführer von Stiletto Publishing übernommen hatte, befürchtete wahrscheinlich, ihren Job zu verlieren. Sie bewegte sich rückwärts zur Tür, vermutlich um sich in Sicherheit zu bringen. Alessandro lächelte ihr beruhigend zu. Es widerstrebte ihm, Menschen einzuschüchtern.

Lässig lehnte er sich in seinem Lederchefsessel zurück und schlug den Ordner auf. Australier sind eigentlich ein interessantes Volk, dachte er. Wenn auch etwas sonderbar.

Alessandro wollte sich zunächst einen Überblick über die Mitarbeiter verschaffen und blätterte interessiert in der Akte, die nach Abteilungen geordnet war. Dio, wer ist denn hier für die Dokumentation verantwortlich? fragte er sich kopfschüttelnd. War der ehemalige Geschäftsführer denn tatsächlich völlig nutzlos gewesen?

Sorgfältig ging Alessandro weiter die Personalliste durch, bis er plötzlich auf einen vertrauten Namen stieß. Dieser Name erinnerte ihn an entspannte Tage am sonnigen Strand, an seidiges blondes Haar und den Duft nach frisch gemähtem Gras und Geißblatt. Und an Liebe in der Abenddämmerung …

„Beryl?“ Er drehte sich nach der Sekretärin um, die wenige Schritte von der Tür entfernt erschrocken zusammenzuckte. „Dieser L. Meadows hier – wer ist er?“

„Er ist eine Sie, Mr. Vincenti. Ich meine, er ist eine Frau.“ Bei ihrem Bemühen, möglichst genaue Auskunft zu geben, geriet Beryl ins Stottern. „Lara Meadows. Sie ist seit etwa einem halben Jahr bei Stiletto beschäftigt. Bill, ich meine Mr. Carmichael, unser Geschäftsführer, ich meine Ex-Geschäftsführer, hielt sehr viel von ihr.“

Etwas in Alessandro erwachte zu neuem Leben.

So, so, es gab sie also tatsächlich noch. Das war ein Schock, doch das brauchte die Sekretärin ja nicht zu wissen. Also ließ Alessandro sich nichts anmerken und fragte nach anderen Namen.

„Und wer ist das?“ Mit unbewegter Miene ging er die Liste durch, als würde ihm dieser Name Lara Meadows nichts sagen. Als hätte ihn diese Frau nicht zum Narren gehalten. Er war so verliebt in sie gewesen, doch sie … Alessandro rief sich zur Vernunft. „Erzählen Sie mir etwas über diesen Mitarbeiter“, forderte er Beryl auf.

Es erschien ihm unfassbar, Lara nach so langer Zeit wieder über den Weg zu laufen! Aber wie hätte er ahnen sollen, dass sie ausgerechnet für den Verlag arbeitete, den er übernommen hatte, um ein Standbein auf der südlichen Welthalbkugel zu haben? War diese Lara Meadows wirklich die, für die er sie hielt? Seine Larissa?

Eigentlich müsste sie inzwischen verheiratet sein. Aber vielleicht hatte sie ja dennoch ihren Mädchennamen behalten.

Der arme Narr, der sich mit ihr eingelassen hatte, dachte Alessandro verbittert. Dem machte es wohl nichts aus, enttäuscht zu werden. Lara hatte einfach etwas an sich, was jedem Mann den Verstand raubte.

Kein Wunder, dass der ehemalige Geschäftsführer Bill Carmichael sehr viel von Lara gehalten hatte. Vielleicht war sie sogar sein Untergang gewesen.

Gerne hätte Alessandro die Sekretärin nach Lara ausgefragt, doch das würde unweigerlich Gerüchte in Umlauf bringen. Und das galt es zu vermeiden. Außerdem ging ihn Lara Meadows nichts mehr an. Heute konnten ihn ihre eigensinnigen Launen nicht mehr beeindrucken. Eine Frau, die mit den Gefühlen eines ehrlichen Mannes spielte, interessierte Alessandro nicht.

Trotzdem verblüffte ihn die Ironie des Schicksals. Wahrscheinlich ahnte Lara Meadows nicht einmal, dass sie ihm einmal die Welt bedeutet hatte. Und nun lag ihr berufliches Schicksal in seinen Händen. Im Mittelalter hätte ein Vincenti es auf Rache abgesehen …

Ein Rachefeldzug muss eiskalt geplant sein, sagte Alessandros Mutter immer. Doch was bedeutete das für ihn? Hatte er tatsächlich mit der unseligen Geschichte von damals abgeschlossen?

Alessandro schüttelte diese Gedanken ab. Die Zeiten jugendlicher Leidenschaft waren vorbei. Trotzdem wäre es interessant, Lara wiederzusehen. Wie mochte sie aussehen? Und wie würde sie wohl auf ihn reagieren?

Wahrscheinlich hat Alessandro inzwischen eine Glatze oder ist aufgegangen wie ein Hefeteig, dachte Lara, als sie sich im Spiegel des Fahrstuhls betrachtete. Ihr Bild von ihm hatte sich mit den Jahren sicher verklärt.

Doch auf dem Weg zum Konferenzraum bekam sie trotzdem weiche Knie. Die Aussicht auf ein Wiedersehen war prickelnder, als sie vermutet hatte.

Allerdings zweifelte sie daran, dass Alessandro dieses überwältigende Gefühl teilte. Für einen internationalen Playboy waren sechs Jahre eine lange Zeit, um sich noch an jemanden erinnern zu können.

Vor der Tür blieb Lara stehen und atmete tief durch. Noch immer lief vor ihrem geistigen Auge der Film ihrer ersten Begegnung in Sydney ab. Ihre erste Buchmesse, überhaupt ihre erste Messe, ihr erstes Mal …

Der erste Blickkontakt mit Alessandro bei einer Cocktailparty. Über den Kopf einer aufgedonnerten Diva hinweg hatte er Lara amüsiert zugezwinkert und einen Erdbeer-Daiquiri für sie organisiert. Er verzog das Gesicht, als der Cocktail serviert wurde, doch Lara tat so, als schmecke er köstlich. Wunderschöne Tage verbrachten sie anschließend miteinander. Lange Spaziergänge, lebhafte Diskussionen über Literatur, Musik, Shakespeare – ihre große Leidenschaft.

Alessandro bezeichnete sich lachend als Weltbürger. Ursprünglich stammte er aus Venedig. Laras Vorstellungen begegnete er mit Respekt und Einfühlungsvermögen. Noch nie hatte sie sich so angeregt mit jemandem unterhalten. Hingerissen hing sie an seinen Lippen.

Und dann hatte sie den Ursprung seines Nachnamens erfahren …

Neugierig forschte sie im Internet nach. Kein Wunder, dass Alessandro sie völlig in seinen Bann schlug. Er entstammte dem alten venezianischen Adelsgeschlecht der Vincentis. Seine Vorfahren gehörten dem Rat an, der den Dogen wählte und ihn beim Regieren von Venedig unterstützte.

Seit Jahrhunderten führte das jeweilige Familienoberhaupt den Titel „Marchese d’Isole Veneziane Minori“ – Marquis der kleinen Inseln in der Lagune von Venedig. Das war wunderschön und so romantisch.

Nur zögernd hatte Alessandro zugegeben, diesem alten Adelsgeschlecht anzugehören. Als Lara nicht lockerließ, verriet er ihr schließlich, dass er der derzeitige Marchese war.

Nach einiger Übung ging ihr der Titel ganz flüssig über die Lippen. Alessandros Herkunft beeindruckte sie sehr, immer wieder hatte sie ihn damit aufgezogen, doch er lachte nur. Und dieses Lachen war schlicht und ergreifend unwiderstehlich. Damals, bei ihrem ersten gemeinsamen Nachmittag am Strand, hatte sie sich bis über beide Ohren in diesen wunderbaren Mann verliebt.

Sie sah ihn vor sich, wie er nach dem Schwimmen neben ihr im Sand lag, auf dem schlanken, sonnengebräunten Körper glitzerten die Wassertropfen des Ozeans. Das schwarze Haar glänzte in der Sonne. Mit seinen dunklen Augen schaute Alessandro sie hingerissen an. Dort am Strand hatte er sie zum ersten Mal geküsst. Später waren sie noch zu einem gemeinsamen Abendessen gegangen, und danach …

Noch heute verspürte Lara ein Prickeln an ihrem Körper, wenn jemand den Namen des Hotels nur erwähnte.

Alessandro hatte damals seinen Aufenthalt in Sydney immer wieder verlängert. Den ganzen Sommer verbrachten sie zusammen. Schließlich musste er jedoch zurück zur Harvard Universität, rechtzeitig zum Abschlusssemester seines Wirtschaftsstudiums. Laras Blick war tränenverschleiert, als Alessandro sich am Flughafen von ihr verabschiedete. Nur ihr gemeinsames Versprechen bewahrte sie vor einem emotionalen Zusammenbruch.

Der Pakt.

Noch heute stellte sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen ein, wenn sie daran dachte. Natürlich hatte sie sich an den Pakt halten wollen, doch das Schicksal machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Ohne zu zögern hätte sie am Treffpunkt auf ihn warten wollen, nichts hatte sie sich mehr gewünscht, als Alessandro endlich wiederzusehen. Doch das verheerende Buschfeuer war Lara dazwischengekommen. Ihr Vater, die schreckliche Zeit im Krankenhaus und danach …

Danach war alles ganz anders gewesen. Doch das wusste Alessandro nicht. An diese Gewissheit konnte Lara sich klammern.

Entschlossen stieß sie die Tür zum Konferenzraum auf.

Viel zu viele Menschen saßen in das viel zu kleine Zimmer gequetscht. Stiletto war ein kleiner Verlag mit sechs Lektoren und zwei Teilzeitkräften. Doch jetzt waren auch die Mitarbeiter aus den anderen Abteilungen anwesend. Insgesamt mussten sich etwa zwanzig Leute versammelt haben. Möglichst geräuschlos bahnte Lara sich einen Weg zu einem freien Stuhl in der Nähe der Tür.

Die Belegschaft hörte aufmerksam zu, was Cinta aus der Vertriebs- und Marketingabteilung zu sagen hatte. Dankenswerterweise war sie für den gefeuerten, schludrigen und immer etwas weltfremden Bill eingesprungen, um die Mitarbeiter zu vertreten. Die sehr sportliche Cinta trug ein hautenges Kleid und begrüßte die neuen Chefs mit blumigen Worten und verführerischer Stimme. Lara wusste, dass dieser Tonfall sonst nur außerordentlich attraktiven Männern vorbehalten war. So auch in diesem Fall. Erst jetzt bemerkte Lara den Grund für Cintas Tonfall.

Alessandro.

Das Herz pochte aufgeregt in Laras Brust, als ihr Blick auf ihn fiel. Er war es wirklich, keine Frage. Neben ihm saß eine unglaublich attraktive Dame mit Bobfrisur, die Cinta als Donatuila Capelli vorstellte. Donatuila Capelli gehörte zur Führungsriege von Scala in New York und verkörperte geradezu die Welt der Reichen und Schönen.

In diesem Moment dankte diese Cinta für ihre freundlichen Worte und erhob sich, um mit rauchiger Stimme die neusten Verkaufszahlen von Scala zu präsentieren. Lara war überzeugt, dass Alessandro ihre Verspätung nicht bemerkt hatte und spürte eine gewisse Erleichterung darüber, besonders elegant gekleidet zu sein. Ihre schon jetzt in den Stiefeln schmerzenden Füße ignorierte sie einfach.

Am anderen Ende des Raums holte Alessandro tief Luft und ballte die Hände zu Fäusten. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Sie war es tatsächlich! Bei der Nachzüglerin handelte es sich wirklich um Lara Meadows!

Wie gut erinnerte er sich an das blonde seidige Haar, an ihre typische, leicht geneigte Kopfhaltung, ihre anmutige Figur. Keine andere Frau löste in ihm so heftige Reaktionen aus. Ausgerechnet!

Doch gerade bei ihr wollte er das in Zukunft vermeiden. Es war wohl nur der Schock, sie so unvermittelt zu sehen, der ihn so reagieren ließ. Dabei hatte er sich schon damit abgefunden, dass Lara vermutlich lieber kündigte, als ihm unter die Augen zu treten.

Aber sie war schlicht und ergreifend nur zu spät gekommen. Sehr entspannt, das musste er ihr neidlos zugestehen.

Alessandro lehnte sich etwas nach rechts und sah, wie Lara ihre hübschen langen Beine übereinanderschlug. Sexy und … fast unverschämt. Ein heißes Ziehen durchzuckte seinen Körper.

Verdammt, diese Frau hatte wirklich Mut! Kam einfach zu spät, obwohl sie die Letzte war, die sich einen derartigen Regelverstoß leisten konnte.

Als Alessandro zu Boden sah, nutzte Lara die Gelegenheit, um ihn unauffällig zu beobachten. Sein markantes Gesicht war unverändert. Allerdings blickte er ziemlich mürrisch drein. So kannte sie ihn gar nicht. Erst als Donatuila Capelli ihm etwas zuraunte, blickte er auf und sah sie fragend an.

Die Brauen leicht spöttisch hochgezogen – diesen Ausdruck erkannte Lara wieder. So sah Alessandro aus, wenn er sich über etwas amüsierte. Gebannt schaute sie ihn an. Diese verführerischen dunklen Augen, in denen man sich verlieren konnte …

Entschlossen zwang sie sich zur Ruhe. Ich bin über ihn hinweg, schon seit langem, sagte sie sich aufmunternd. Er hatte sie im Stich gelassen und eine andere geheiratet. Doch als Alessandro nun aufstand und die Anwesenden eindringlich anschaute, erinnerte Lara sich wieder daran, warum sie sich damals Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Allein dieser herrliche italienische Akzent. Und dann diese tiefe melodische Stimme …

Laras Herz klopfte bis zum Zerspringen. Nervös rutschte sie auf ihrem Stuhl etwas nach vorne, um sich kleiner zu machen. Ob Alessandro sie schon bemerkt hatte?

Erneut ließ Alessandro den Blick über die Belegschaft gleiten, wobei er die Blondine in der letzten Reihe sorgfältig mied. Ihr Anblick hatte sich ohnehin schon längst in seine Seele eingebrannt.

Normalerweise war er ein toleranter Chef. Wenn er eine Firma sanieren sollte, versicherte er der Belegschaft zumeist, dass alle Arbeitsplätze erhalten blieben. Oftmals machte er sogar Gehaltserhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen möglich.

Doch hier musste er wohl anders vorgehen. Die Respektlosigkeit und Lässigkeit mancher Australier ging einfach zu weit. Er würde den Angestellten dieses kleinen Verlagshauses die Überheblichkeit schon austreiben. Sollten sie ruhig um ihre Arbeitsplätze fürchten!

Alessandro beschloss, erst einmal allen zu zeigen, wer hier nun der Boss war; nett sein konnte er später auch noch. „Es werden einige Veränderungen auf Sie zukommen.“

Zunächst bemerkte Lara gar nicht, wie angespannt ihre Kollegen plötzlich waren. Alle blickten nur wie gebannt zu Alessandro. Tränen der Wehmut schimmerten in Laras Augen. Ihr Herz gehörte noch immer ihm.

Dieser kühle Mann war zwar nicht der Alessandro, der ihr einst den Eindruck vermittelt hatte, die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein. Aber seine Ausstrahlung und die Autorität machten ihn auch heute noch unglaublich anziehend.

Bewundernd glitt Lara mit ihrem Blick über seinen sportgestählten, einen Meter neunzig großen Körper. Auch mit seinen fast fünfunddreißig Jahren achtete Alessandro offensichtlich gut auf seine Figur.

Lara war einundzwanzig gewesen, als sie Alessandro vor sechs Jahren kennenlernte. Inzwischen hatte das Leben sein Gesicht markanter und energischer gemacht. Aus ihm war ein erfolgreicher, unnachgiebiger Geschäftsmann geworden.

Und er war immer noch ein Marchese.

Jemand, der mit melodischer Stimme streng harte Fakten verkündete. Und jetzt hörte auch Lara genauer hin. Selbst Cintas Lächeln schien wie gefroren zu sein.

Die Belegschaft wurde immer unruhiger. Die Anspannung stieg. Sogar die beherrschte Donatuila bedachte Alessandro mit einem ungläubigen Seitenblick.

„Sie haben den Verlag zugrunde gewirtschaftet“, bemerkte er streng. „Aber ich werde ihn retten, so schwierig es auch sein mag. Ende nächster Woche besuchen Miss Capelli und ich die International Buchmesse in Bangkok. Bis zu unserer Abreise haben wir Stiletto Publishing geordnet und können die neue Geschäftsführung einsetzen. Statt einer kleinen abgesonderten Firma sind Sie dann Bestandteil eines weltumspannenden Unternehmens. Selbstverständlich bedarf das einer gewissen Anpassung. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass einige von Ihnen dafür Ihre Freizeit opfern müssen.“

Ein Raunen ging durch den Konferenzraum. Doch Alessandro fuhr kühl fort: „Jede vorgesehene Veröffentlichung, jeder Job wird unter dem Mikroskop betrachtet. Als Gegenleistung …“, er senkte die Stimme, und alle Anwesenden hingen gespannt an seinen Lippen, „… erwarte ich von denjenigen, die ihren Job behalten, absoluten Einsatz. Scala Enterprises verlangt von seinen Mitarbeitern einhundert Prozent. Das gilt für jeden Bereich. Sie müssen die Projektziele erreichen, Termine einhalten und selbstverständlich stets pünktlich sein. Zu Arbeitsbeginn, bei der Einhaltung der Pausen und wenn Konferenzen anberaumt sind.“

Schuldbewusst sackte Lara noch tiefer in sich zusammen, als sein unnachgiebiger Blick auch sie streifte. Ihr wurde heiß. Alessandros Miene war nicht anzusehen, ob er Lara erkannt oder ob er einfach durch sie hindurch geblickt hatte.

„Noch eins“, fügte Alessandro dann leise hinzu. „Es gibt nur sehr wenige Entschuldigungen, die ich akzeptiere.“

Oje. Lara dachte an ihre Tochter. Die Magie eines taubenetzten Spinnengewebes am Schulzaun zählte wohl kaum zu den wenig akzeptierten Entschuldigungen, dachte Lara bekümmert.

„Wenn Sie mich besser kennen“, fuhr er geschmeidig fort, „merken Sie, dass ich sehr ungeduldig werden kann, wenn man mich warten lässt. Das Unternehmen Scala stellt hohe Ansprüche. Wir sind gnadenlos, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden. In den kommenden beiden Tagen führen Miss Capelli und ich Einzelgespräche mit Ihnen. Stellen Sie sich schon mal darauf ein, für Ihren Job zu kämpfen.“

Die Belegschaft hielt den Atem an. Ungerührt dankte Alessandro ihnen für ihre Aufmerksamkeit, als hätte er nicht gerade die Sicherheit ihrer Jobs infrage gestellt.

Lara schloss sich dem Strom der Mitarbeiter an, die schockiert den Raum verließen. Erst an ihrem Schreibtisch blieb sie nachdenklich stehen. Wäre es nicht besser, sofort mit Alessandro zu reden? Sozusagen, um das Eis zu brechen?

Entschlossen kehrte Lara zum Konferenzraum zurück, doch Alessandro und seine Assistentin waren bereits gegangen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ihn direkt aufzusuchen, um die alte Bekanntschaft wieder aufleben zu lassen. Andererseits sollte er auch nicht den Eindruck haben, sie ginge ihm aus dem Weg.

Also eilte Lara zu dem Büro des ehemaligen Geschäftsführers Bill und blieb vor der Tür stehen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie atmete tief durch und konzentrierte sich. Sie war mutig und stark, wie nur eine Mutter es sein konnte. Sie würde es mit Alessandro Vincenti aufnehmen können. Ob er sie wohl noch immer anziehend fand?

Mutig klopfte sie an die Tür. Als sich nichts rührte, wollte sie es gerade noch einmal versuchen, als Donatuila Capelli auf ihren hohen Schuhen um die Ecke gestöckelt kam und Lara kühl musterte. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich … möchte Alessandro sprechen.“

„Mr. Vincenti für Sie, Herzchen. Wie heißen Sie?“

„Lara.“ Sie machte eine Kopfbewegung Richtung Tür. „Ist er da?“

Donatuila zog ihre bleistiftdünnen Brauen hoch. „Nein, ist er nicht. Ich rate Ihnen, an Ihren Arbeitsplatz zurückzukehren und abzuwarten, bis Sie aufgerufen werden.“ Donatuila griff nach der Türklinke und schob Lara mit ihrer knochigen Hüfte aus dem Weg. „Sie bekommen Ihre Chance, keine Sorge.“

Donatuila betrat das Büro und schlug Lara die Tür vor der Nase zu.

Ganz schön kaltschnäuzig, dachte Lara. Wieder fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, um ein privates Gespräch mit Alessandro zu bitten.

Gerade wollte Lara unverrichteter Dinge von dannen ziehen, als die Tür sich wieder öffnete und Alessandro plötzlich vor ihr stand.

Atemlos blickten sie einander in die Augen.

Lara bekam weiche Knie. Sie hatte völlig vergessen, wie er duftete – nach Seife, Lederschuhen, Aftershave, frisch gewaschener Kleidung und einem ganz eigenen männlichen Duft, der sie mit tiefer Sehnsucht erfüllte.

Doch dann ließ er den Augenkontakt abreißen.

„Alessandro“, sagte sie aufgeregt. „Ich wollte nur kurz Hallo sagen.“

Seine Augen schienen aufzuleuchten, doch seine ausdrucksvollen Lippen wurden schmaler. Nach kurzem Zögern machte Alessandro ihr Platz und bat sie in sein Büro.

Neben Bills großem Schreibtisch stand nun zusätzlich ein kleinerer Arbeitsplatz, an dem Donatuila Capalli saß und einen dicken Aktenordner studierte. Höflich nickte Alessandro ihr zu und hielt ihr die Tür auf. „Wenn du uns bitte entschuldigen würdest, Tuila. Es dauert nur eine Sekunde.“

Ungläubig blickte Donatuila auf. Dann klappte sie den Ordner zu und verließ das Büro, nachdem sie Lara einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte.

Die hatte jedoch nur Augen für ihren Geliebten – ehemaligen Geliebten.

Alessandro schloss die Tür, und Lara war mit ihm allein.

Wie hatte sie nur seine magische Anziehungskraft vergessen können? Instinktiv fühlte sie sich mit aller Macht zu ihm hingezogen. Sie sehnte sich danach, sich an ihn zu schmiegen, ihn zu spüren.

Jetzt reiß dich endlich zusammen! meldete sich ihre innere Stimme. Der Mann ist verheiratet!

Doch ihr Körper wollte davon nichts wissen. Laras Zuneigung galt dem Mann, der sich unter dem eleganten Anzug verbarg. Am liebsten hätte sie sich an ihn gelehnt und niemals wieder losgelassen.

Offenbar bemerkte Alessandro nichts von ihrem Gefühlschaos, denn er blieb kühl und höflich, aber eindeutig abweisend.

„Ja?“, fragte er und blickte sie mit seinen attraktiven dunklen Augen an. „Kann ich irgendwie helfen?“

Unwillkürlich kam Lara näher, um ihn zu berühren. Doch er wich zurück. „Du … du erinnerst dich doch an mich, oder? Ich bin Lara.“

Doch ihm war nicht anzusehen, was in ihm vorging. „Ja, ich erinnere mich dunkel. Haben wir uns nicht auf der Internationalen Buchmesse in Sydney getroffen?“ Mit undurchdringlicher Miene musterte er sie, bevor er einen Blick auf seine Armbanduhr warf. „Kann ich irgendetwas tun?“

Fassungslos sah sie ihn an. Dann riss sie sich wieder zusammen. „Nein, schon gut. Ich wollte nur Hallo sagen.“

Alessandro sah streng auf sie herab. „Ich habe wirklich keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. Das verstehen Sie doch, oder? Wir stehen unter großem Zeitdruck. Wenn Sie sonst also nichts auf dem Herzen haben …“

Ein eisiger Schauer lief Lara über den Rücken, doch sie ließ es sich nicht anmerken.

„Nein, es gibt nichts Besonderes“, sagte sie und senkte verlegen den Blick. „Tut mir leid, dass ich bei der Arbeit gestört habe.“

Es gelang ihr, kühl zu lächeln, als sie das Büro verließ. Doch ihre Augen schmerzten. In ihrem ganzen Leben war sie sich noch nie so blöd vorgekommen.

Im Waschraum kühlte sie sich das Gesicht, bis es nicht mehr wie Feuer brannte. Erst jetzt fiel ihr ein, was sie alles zu Alessandro hätte sagen können.

Wieso kommst du erst jetzt?

Hallo, Dad.

Oder: Es gibt da jemanden, der dich gerne kennenlernen möchte.

Zur gleichen Zeit in seinem Büro kehrte Alessandro an seinen Schreibtisch zurück und griff nach der Kandidatenliste für den Geschäftsführerposten, ohne auch nur einen Namen zu lesen. Sein Blutdruck war massiv angestiegen.

Was bildete Lara sich eigentlich ein, einfach in sein Büro zu platzen und seine Freundschaft einzufordern? Die Abfuhr hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Aber wieso hatte sie ihn so angesehen?

Sein Körper hatte sofort auf sie reagiert. Sie ist nur eine ganz gewöhnliche Blondine, redete Alessandro sich ein. Die Welt war voll von hübschen Blondinen.

Hätte er ihr doch nur nicht in die Augen gesehen!

Wütend ließ er die Liste auf den Schreibtisch fallen und griff nach dem Telefon, das in diesem Moment zu klingeln begann. Am liebsten hätte er es vom Schreibtisch gefegt. Doch er beherrschte sich, hob den Hörer ab und ließ ihn sachte wieder auf die Gabel fallen.

Lara hat es nicht anders verdient, redete er sich immer wieder zornig ein.

2. KAPITEL

In Laras Büro machten die Mitarbeiter ihrem Ärger Luft.

„‚Wir sind gnadenlos, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden.‘ Habt ihr das gehört? So ein scharfer Hund!“

„Wie kann ein so heißer Mann von derartiger Kälte sein?“

„Heißblütig, grausam und gnadenlos. Ihr müsst euch nur seinen Mund ansehen.“ Die Kollegin am Schreibtisch nebenan schloss verträumt die Augen. „Dieser Mund …“

Stumm ließ Lara die Kommentare über sich ergehen und versuchte, sich mit diesem neuen, kühlen und praktisch veranlagten Alessandro abzufinden, der nichts mehr für sie empfand. Noch immer stand sie unter Schock. Die freundliche, aber dennoch grausame Abfuhr konnte sie nicht so schnell wegstecken. Und die Kommentare ihrer Kollegen schmerzten auch.

Die Cheflektorin Kirsten sah die Situation gelassen. „Damit war zu rechnen. Scala ist nicht gerade ein Wohltätigkeitsverein. Bei denen geht es nur um den Gewinn. Aber eine Veränderung tut uns wahrscheinlich ganz gut. Und ich denke, wir sind alle imstande, unseren Arbeitsplatz zu verteidigen, oder?“ Aufmunternd zwinkerte sie den Kollegen zu. „Außerdem will der Typ vermutlich so schnell wie möglich wieder zurück in die Zivilisation und ernennt umgehend den neuen Geschäftsführer. Der macht sich bestimmt nicht die Mühe, unseren Charme zu entdecken. Den sind wir im Handumdrehen wieder los.“ Sie schnipste mit den Fingern.

Lara versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Was die Kollegen wohl denken würden, wenn sie wüssten, dass Alessandro ihrem Charme immerhin schon einmal erlegen war. Damals, im Seasons Hotel. Die Suite dort war ihr bis heute heilig.

Niemals würde sie den letzten gemeinsamen Nachmittag mit Alessandro vergessen.

Aus dem Wohnzimmer der Suite hatte man einen atemberaubenden Blick auf den Hafen und die Oper von Sydney.

Jede Sekunde dieses Tages war wunderschön und kostbar gewesen. Jeder Moment bittersüß, weil der Abschied immer näher kam.

Verzweifelt hatte Lara zu überspielen versucht, wie ihr Herz immer trauriger wurde. Anfangs zog Alessandro sie noch auf, weil sie ungewöhnlich still war, doch auch er wirkte ernst und in sich gekehrt. Nach dem Mittagessen fuhren sie gemeinsam zu seiner Suite, um über alles nachzudenken.

Er schenkte Champagner ein, doch bevor Lara nur am Glas nippen konnte, nahm er es ihr schon wieder ab und stellte es auf den Tisch. Dann sah er ihr tief in die Augen, und sie erbebte vor Erregung. Geschickt streifte Alessandro ihr die Kleidung ab und führte Lara schließlich zum Bett.

Es war aufregend und unglaublich gefühlvoll, gleichzeitig leidenschaftlich und berauschend.

Als Lara später neben Alessandro lag und verträumt mit ihren Fingern über seinen muskulösen Körper strich, nahm sie schließlich all ihren Mut zusammen.

„Ich werde dich vermissen, Alessandro“, begann sie vorsichtig und lachte leise, um ihre tiefen Gefühle zu verbergen. „Ich wünschte, du könntest hierbleiben.“

Ihre bebende Stimme verriet, was Lara wirklich empfand. Alessandro schwieg eine halbe Ewigkeit, ohne sie dabei anzusehen. Als Lara die Spannung kaum noch aushielt, antwortete er endlich.

„Das geht leider nicht.“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie beschwörend an. „Ich habe nachgedacht, tesoro. Warum kommst du nicht mit?“

Schockiert sah sie ihn an. „Wie? Du meinst … nach Amerika?“

„Ja, wieso nicht? Es wird dir dort gefallen. Das Semester dauert nur einige Monate. Anschließend kehre ich nach Italien zurück.“ Dann fügte er hinzu: „Du kannst mit mir nach Hause kommen.“

Nach Hause. Lara antwortete nicht sofort. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf – ihr Job, ihre Eltern, das Risiko, sich auf ein unbekanntes Abenteuer einzulassen, und das mit einem Mann, den sie kaum kannte. Noch dazu im Ausland. Dabei war sie bisher kaum aus New South Wales herausgekommen.

Venedig.

Mit dem Marchese d’Isole Veneziane Minori. Das war aufregend, aber es machte ihr auch Angst.

„Wir wären ein Paar“, fügte Alessandro hinzu.

Das Schicksal hat entschieden, dachte Lara überglücklich. War es nicht unglaublich, dass sie ihre andere Hälfte gefunden hatte? Einen blendend aussehenden, fantastischen Mann! Gebildet, gut erzogen, aus bestem Hause. Einen Mann, mit dem sie sich unterhalten, dem sie die Geheimnisse ihrer Seele anvertrauen konnte.

Doch dann schaltete sich eine innere Stimme ein. Was genau meinte Alessandro damit, dass sie ein Paar wären? Kannte sie ihn überhaupt gut genug?

„Oh“, sagte Lara leise. Ihr war schwindlig. Eigentlich ging ihr das alles viel zu schnell. „Das wäre fantastisch. Ich bin überwältigt, Alessandro. Es wäre mir eine Ehre.“ Sie erkannte, dass sie nicht sehr überzeugend geklungen hatte, denn Alessandro verzog das Gesicht.

„Eine Ehre?“, fragte er zerstreut. Ein Schatten verdunkelte vorübergehend seine Miene.

Hoffentlich habe ich ihn nicht verletzt, dachte Lara besorgt.

Ruhig und erhaben fragte er dann: „Heißt das nein, tesoro?“

„Nein, nein, ganz und gar nicht“, wiegelte sie schnell ab. „Es ist nur … das kommt alles etwas überraschend. Ich bin völlig überrumpelt.“ Sie lächelte entschuldigend, um etwas Zeit zu gewinnen. „Oh, da fällt mir ein, ich habe ja gar keinen Reisepass.“

Lara war erleichtert, diese Entschuldigung vorbringen zu können.

„Ich buche meinen Flug einfach noch einmal um. Ein Tag spielt da keine große Rolle. Vierundzwanzig Stunden sollten genügen, um einen Pass für dich zu bekommen.“

Nun saß sie in der Falle. Doch ein plötzlicher Geistesblitz kam ihr zur Hilfe.

„Das geht mir alles viel zu schnell, Alessandro. Vielleicht sollten wir erst mal testen, ob das wirklich das Richtige für uns ist.“ Sie würde einen Pakt mit Alessandro schließen. Ihre Liebe sozusagen auf den Prüfstand stellen.

Nachdenklich senkte er den Blick. „Du bist dir also nicht sicher, ob du mit mir zusammenleben willst.“

Lara atmete tief durch. „Doch, natürlich will ich das. Aber ich brauche mehr Zeit, um alles vernünftig zu organisieren. Ich muss mich von meinen Eltern verabschieden und meinen Job kündigen. Und du möchtest dir das alles vielleicht auch noch einmal in Ruhe überlegen. Wir könnten doch einen Pakt schließen, Alessandro. Wie in dem Film mit Cary Grant und Deborah Kerr. Hast du ‚Die große Liebe meines Lebens‘ gesehen?“

Wie sich zeigte, kannte er den Filmklassiker nicht. Und er hielt auch nichts von einer Zeit der Trennung. Alessandro wirkte plötzlich sehr distanziert. Offenbar fühlte er sich in seinem Stolz verletzt. Aber er konnte auch nicht verlangen, dass sie hier alles stehen und liegen ließ, um mit ihm nach Amerika zu gehen.

Da ihm Laras unnachgiebige Haltung bewusst war, ließ sich Alessandro schließlich doch widerstrebend auf den Liebestest ein.

Während der Zeit, die Lara mit ihm verbracht hatte, war es ihr kaum gelungen, einmal zu Atem zu kommen. Deshalb war ihr eine Bedenkzeit so wichtig. Also schlug sie vor, sich sechs Wochen später oben auf dem Centrepoint Tower in Sydney zu treffen. Der Treffpunkt war zwar nicht so romantisch wie das Empire State Building in New York. Aber das kümmerte Lara nicht, solange Alessandro dort auch wirklich zum verabredeten Zeitpunkt erscheinen würde.

Leider hatte das Treffen nie stattgefunden.

Selbst wenn Lara an diesem schicksalhaften Mittwochnachmittag um vier Uhr dort erschienen wäre, hätte sie vergeblich auf Alessandro gewartet. Denn inzwischen musste sie erfahren, dass seine Verlobte in Italien Hochzeitsvorbereitungen traf, während er sich mit ihr, Lara, in Sydney vergnügt hatte.

Diese Information hatte Lara sehr getroffen. Vermutlich war Alessandro nur auf den Pakt eingegangen, um den Schein zu wahren.

Doch von Zeit zu Zeit überkam Lara noch heute das ungute Gefühl, er könnte doch von New York nach Sydney geflogen sein. Wenn dem tatsächlich so gewesen war, dann hatte er diese lange Reise auf sich genommen, nur um dann von ihr versetzt zu werden. Aber wenn ihr dieser erschreckende Gedanke kam, schob sie ihn immer schnell wieder beiseite.

Und wenn Lara ehrlich zu sich selbst war: Auch ohne eine Verlobte, die in Italien auf ihn wartete, welcher Mann flog schon von einem Kontinent zum anderen, nur um einige Tage mit seinem Ferienflirt zu verbringen?

So jedenfalls hatte Lara versucht, sich zu trösten, nachdem sie viele Nächte hindurch geweint hatte. Irgendwann war es ihr endlich gelungen, über ihren Kummer hinwegzukommen. Der Artikel, den sie im Wartezimmer ihres Arztes über Alessandros bevorstehende Hochzeit gelesen hatte, war ihr dabei eine große Hilfe gewesen. Immerhin hatte dieser Mann sie hintergangen und ihr die große Liebe nur vorgespielt! Doch bevor sie das erfahren hatte, war sie blauäugig genug gewesen, um zu glauben, Alessandro würde tatsächlich erscheinen. Sie selbst wäre natürlich zu der Verabredung erschienen, wenn das Schicksal nicht so grausam zugeschlagen hätte.

„Hey, Lara, aufwachen!“

Josh, der Kollege, der ihr gegenübersaß, weckte sie aus ihrem Tagtraum. „Was, meinst du, hat er damit gemeint, als er sagte, wir müssen unsere Freizeit opfern?“, fragte er.

„Keine Ahnung. Das kommt für mich sowieso nicht infrage. Was soll ich denn so lange mit Vivi machen?“

„Du brauchst dir bestimmt keine Sorgen zu machen. Sag ihm einfach, dass du eine kleine Tochter hast, und schau ihn mit deinen großen blauen Augen an. Dann wird er schon weich. Italiener lieben Kinder.“

Etwas in Lara zog sich schmerzhaft zusammen, doch sie ließ es sich nicht anmerken. „Ach? Wer sagt das? Und überhaupt, bestimmt alle Nationen lieben Kinder.“

Josh sah sie ernst an. „Nein, ehrlich. So ein richtiger Italiener legt besonders Wert auf die Familie. Habe ich gerade in einer Zeitschrift gelesen.“

„Dann muss es ja stimmen.“ Lara lachte und wandte sich schnell ab. Auch sie hatte den Artikel gelesen. Italienern war es ein Gräuel, Kinder von einem Elternteil allein aufziehen zu lassen. Außerdem brachten auch die ärmsten Familien große Opfer, um ihre Kinder stets aufs Beste zu kleiden und auszubilden. Das war eine Frage der Familienehre. Und wie würde ein Marchese reagieren, wenn er wüsste, dass sein Kind am anderen Ende der Welt und ohne ihn aufwuchs?

Sollte Lara ihm wirklich von Vivi erzählen? Allein der Gedanke machte ihr Angst. Sechs Jahre waren eine lange Zeit. Und inzwischen hatte sie das Gefühl, den wahren Alessandro gar nicht mehr zu kennen.

Natürlich hatte er ein Recht darauf, zu erfahren, dass er Vater eines Kindes war. Aber was sollte sie tun, wenn er Vivi einfach mit nach Italien nahm? Wie sollte ihre Tochter dort zurechtkommen? Sie war doch erst fünf Jahre alt und kannte bisher nur Newton, ihre Großmutter, die Schule, den Park, die Läden in der King Street, die Bücherei und ihre Spielkameraden.

Lara beschloss, es Alessandro kühl und unbeteiligt mitzuteilen. Am besten beim Einzelgespräch. Die ersten Gespräche waren nach der Kaffeepause angesetzt.

Nervös sah sie jedes Mal auf, wenn ein Kollege aus dem Chefbüro zurückkehrte. Manche lobten den neuen Boss in den höchsten Tönen, andere machten eine betretene Miene. Inzwischen war es Mittagszeit, und Alessandro hatte Lara noch immer nicht zu sich rufen lassen.

Beryl klopfte an Alessandros Tür. „Entschuldigen Sie, Mr. Vincenti, der Architekt ist jetzt mit seinen Männern da.“

Alessandro dankte ihr und entließ Tuila in die Mittagspause. Dann stand er auf, streckte sich und begrüßte anschließend im Vorzimmer den Architekten. Gemeinsam begutachteten sie die Büros, die viel zu klein geschnitten waren. Vor der Redaktion blieben sie stehen, und Alessandro zeigte dem Architekten, wie eng die Tische hinter der Glaswand nebeneinanderstanden.

Das Büro war leer. Jedenfalls hatte es den Anschein. Als der Architekt jedoch die Wände betrachtete und Vorschläge zur Problemlösung unterbreitete, bemerkte Alessandro einen Blondschopf, der sich über die in einer Ecke stehende Kaffeemaschine beugte.

Erneut stockte ihm der Atem.

In diesem Moment drehte Lara sich um und antwortete lächelnd auf die Frage eines der Bauarbeiter. Wie erfrischend und anmutig sie ist, schoss es Alessandro durch den Kopf. Sie brachte den Mann zum Lachen, ohne mit ihm zu flirten. Ihre Ehrlichkeit und Offenheit zogen Alessandro noch immer an. Heißes Verlangen durchzuckte ihn. Irritiert wandte Alessandro sich ab und hörte den Ausführungen des Architekten zu, während in seinem Innern das Verlangen nach ihr erneut erwachte. Entschlossen widerstand er dem Impuls, sich wieder zu Lara umzudrehen.

Mit etwas Disziplin bekäme er seine verräterischen Gefühle schon unter Kontrolle. Solange er Lara auf Abstand hielt, sie nicht anschaute, nicht ihre Stimme hörte oder ihren Duft einatmete, war alles in Ordnung. Langsam würde er dann schon weniger empfänglich für ihre magnetische Anziehungskraft werden.

Andererseits fühlte er sich jetzt schon bereit für sie. Seine Anzughose war jedenfalls plötzlich entschieden zu eng.

Seine heftige Reaktion erstaunte ihn, denn eigentlich war er kein triebgesteuerter Mann. Normalerweise gelang es ihm, seine Gefühle im Zaum zu halten. Nur bei Lara Meadows nicht …

Gereizt lockerte er den Hemdkragen. Wie sollte er nur das Einzelgespräch mit ihr überstehen, wenn er schon jetzt von seinem Verlangen überwältigt wurde? Am besten wäre es, Lara einfach nicht zu sich zu rufen. Dann hätte er seine Ruhe.

Im Laufe des Nachmittags wurde Lara immer nervöser. Fast alle Mitarbeiter waren bereits von ihrem Gespräch mit Alessandro zurückgekehrt. Inzwischen widmete er sich den Kollegen einer ganz anderen Abteilung.

Ob er mich absichtlich auf die Folter spannt? überlegte Lara unruhig.

Wahrscheinlich erwartete er, dass sie die Zeit, die sie am Morgen zu spät gekommen war, nach fünf Uhr nacharbeitete. Aber ihre Mutter hütete Vivi und wartete auf ihre Tochter. Schließlich wollte sie rechtzeitig zum Oboe-Unterricht kommen.

Und Vivi wartete auf ihr gemeinsames Abendessen, bei dem sie aufgeregt von ihrem Schultag erzählen würde. Doch für so etwas hatte Signor Vincenti vermutlich kein Verständnis.

Überhaupt werde ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, dachte Lara. Zunächst muss ich herausfinden, was er von Kindern hält.

Schließlich konnte sie nicht zulassen, dass er in Vivis Leben auftauchte und einen negativen Einfluss auf die Kleine ausübte. Außerdem war da auch noch Alessandros Frau. Vivis Stiefmutter. Wie würde sie auf die plötzliche Vaterschaft ihres Mannes reagieren? Vielleicht hatten sie eigene Kinder und seine Frau betrachtete Vivi als Konkurrenz für ihre Kleinen …

Wahrscheinlich interessiert es Alessandro gar nicht, dass ich ein Kind von ihm habe, dachte Lara. Das wäre vielleicht sogar die beste Lösung.

Dreizehn Minuten vor fünf gab Lara die Hoffnung auf, noch zu Alessandro gerufen zu werden. Sie zog sich die Stiefel aus und legte die schmerzenden Füße hoch, um ihnen etwas Ruhe zu gönnen.

Elf Minuten vor Feierabend tauchte ein hochgewachsener Mann an der Tür auf. Die Gespräche im Büro verstummten jäh. Lara sah auf und blickte direkt in Alessandros dunkle Augen.

Sofort spürte sie ein erregendes Prickeln, als die Aufregung ihren Körper eroberte.

„Lara“, sagte Alessandro. „Kommst du bitte?“

Im ersten Moment blieb sie reglos sitzen. Doch dann stand sie auf, wie magisch von ihm angezogen. Sein Blick glitt ihren Körper herab.

Verlegen bemerkte sie, dass sie gar keine Stiefel trug. „Hoppla“, sagte sie leise und schlüpfte schnell hinein, wobei sie die ganze Zeit Alessandros Blick auf sich spürte.

Es war ein erregendes Gefühl. Er machte ihr bewusst, wie viel Macht sie über Alessandro hatte.

3. KAPITEL

Zum zweiten Mal an diesem Tag bat Alessandro Lara in sein Büro. Sie ging an ihm vorbei, sehr darauf bedacht, genug Abstand zu ihm zu halten. Trotzdem prickelte es an ihrem ganzen Körper.

Erleichtert stellte sie fest, dass Donatuila nicht anwesend war.

Nach dem morgendlichen Reinfall wartete Lara, bis Alessandro ihr einen Platz anbot. Zunächst musterte er sie jedoch mit verschleiertem Blick, die Lippen zusammengepresst. Seine Augen wanderten über ihren Mund zu ihren Brüsten, und Laras Körper reagierte sofort mit heißem Verlangen. Sie hatte keine Kontrolle über das, was geschah, auch wenn sie sich tausendmal sagte, dass dieser Mann für sie tabu war.

Mühsam widerstand sie dem Impuls, ihn zu berühren. Das einst so geliebte Gesicht war ihr immer noch vertraut. Ein einziger Blick genügte. Ihre tiefen Gefühle für diesen Mann, die nun wieder an die Oberfläche brachen, verwirrten sie wie schon damals.

Die Stille dehnte sich immer länger aus. Schließlich sah Lara keinen anderen Ausweg mehr, als endlich etwas zu sagen und somit das Schweigen zu brechen.

„Alessandro …“, begann sie.

„Dein Haar ist länger. Ansonsten hast du dich nicht verändert“, unterbrach Alessandro sie, als hätte er sie nicht gehört.

Unwillkürlich legte sie eine Hand in ihren Nacken und berührte ihre Narbe, die er nicht sehen konnte. „Doch, das habe ich.“

Als er ihr zum ersten Mal nach so langer Zeit wieder zulächelte, blitzte der unwiderstehliche Charme in seinen Augen auf. „Verzeih mir, ich leide wohl noch unter der Zeitverschiebung. Natürlich hast du dich verändert. Wir beide haben das.“ Höflich deutete er nun auf einen Stuhl vor dem Fenster. „Bitte, setz dich doch.“

Erleichtert, dass er sich doch an sie erinnerte und noch immer der gleiche charmante Kavalier war, ließ sie sich auf dem Stuhl nieder.

Alessandro setzte sich ihr gegenüber und schlug einen Hefter auf, der ihren Namen trug. Laras Herz klopfte aufgeregt, und da ihre Hände verräterisch bebten, legte sie sie in ihren Schoß. Seine starken Hände, die ihr einst so viel Freude bereitet hatten, waren bemerkenswert ruhig.

Entschlossen wandte sie den Blick ab. „Ich konnte es kaum fassen, als ich erfuhr, dass du in den Verlag kommen würdest.“

„Wirklich? Warst du enttäuscht?“

„Natürlich nicht! Nur etwas …“

„Nervös?“, half er aus. „Keine Sorge, du musst dich nicht rechtfertigen. Hier geht es nur ums Geschäft.“

Wie gerne hätte Lara etwas Nettes gesagt, um die Gesprächsatmosphäre aufzulockern. Alessandro wirkte äußerlich gelassen, doch sie ahnte, wie angespannt er innerlich sein musste.

Sie befeuchtete ihre Lippen und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich kann nicht lange bleiben. Man erwartet mich.“

„Aha.“ Durchdringend sah er sie an und lächelte überheblich. „Wir können natürlich niemanden warten lassen“, sagte er ironisch.

Als Lara ihn misstrauisch musterte, widmete Alessandro sich wieder seiner Mappe. Natürlich wartet jemand auf sie, dachte er. Vermutlich so ein unbedarfter Clown, den sie an der Nase herumführen konnte. Denn darin war sie gut. Am liebsten hätte er sie gefragt, wer denn dieses Mal ihr Opfer war.

Laras Personalakte gab wenig her, außer einer Adresse in Newton und einer Telefonnummer. Daraus ließen sich für Alessandro jedoch keine Schlüsse ziehen, was Lara in den vergangenen sechs Jahren gemacht hatte – und mit wem. Den Personalchef dieses bedauernswerten Verlagshauses sollte man auf der Stelle an die Luft setzen.

Gedankenverloren starrte Alessandro auf das Blatt Papier, doch es war Lara, die er vor sich sah. Ihr Gesicht wirkte noch immer zart und von trügerisch zerbrechlicher Schönheit. In ihren dunkelblauen Augen konnte ein Mann sich verlieren. Ihre weichen, geschmeidigen Lippen luden geradezu zum Küssen ein. Eine Frau wie sie lebte nicht alleine. Alessandro wusste aus Erfahrung, wie leicht es war, mit ihr in ihrer Fantasiewelt zu versinken. In Lara zu versinken.

Er riskierte einen Blick. Sofort stieg wieder sein Blutdruck. Trotz eiserner Kontrolle pulsierte heißes Verlangen in seinem Körper. Lara übte also noch immer ihren Zauber auf ihn aus. Und Alessandro war sicher, dass auch sie diese magische Anziehung zwischen ihnen spürte.

Äußerlich wirkte sie entspannt, doch das täuschte. Auch sie spürte das Knistern zwischen ihnen, das konnte er in ihren Blicken lesen.

Alessandro räusperte sich. „Wie ich sehe, arbeitest du seit Februar für den Verlag.“

Lara sah ihm überrascht in die Augen. Sehr weise von ihm, sich auf das Geschäftliche zu konzentrieren, dachte sie. Bedauerlicherweise hatte ihr Körper das nur noch nicht begriffen …

„Ja, das stimmt“, bestätigte sie.

Gewissenhaft beantwortete sie all seine Fragen nach ihren Projekten, während sie sich gleichzeitig der steigenden erotischen Spannung im Raum bewusst wurde. Wahrscheinlich war sie zu lange allein gewesen. Warum sonst verzehrte sie sich – ausgerechnet – immer noch nach Alessandro?

Als Lara möglichst unauffällig ihre Augen über Alessandros Hände wandern ließ, stellte sie überrascht fest, dass er keinen Ehering trug. Aber wieso nicht? Was war aus seiner Ehefrau geworden? Oder streifte er den Ring auf Reisen ab, damit er auf fremde Frauen ungebunden wirkte?

Das wäre aber kein guter Charakterzug! Doch dann schüttelte Lara diesen Gedanken wieder ab. Nein, so ein Mann war Alessandro nicht! Auch wenn es bereits sechs Jahre her war, so sehr konnte sie sich damals nicht in ihm getäuscht haben. Und auch jetzt sah sie einen ernsten Mann vor sich, der Anstand und Ehrlichkeit verkörperte.

Es musste eine andere Erklärung für den fehlenden Ring an seinem Finger geben. Vielleicht hatten seine Frau und er darauf verzichtet, die Ringe zu tauschen. Doch das war kaum vorstellbar. Giulia Morello entstammte einer wohlhabenden Familie. Das jedenfalls hatte die Zeitschrift geschrieben. Eine Italienerin aus den besten Kreisen würde mit Sicherheit darauf bestehen, dass ihr Mann das Symbol ihrer Verbundenheit trug.

Während Lara weiterhin Alessandros Fragen beantwortete, ließ sie erneut ihren Blick über sein markantes Gesicht gleiten. Über seine kräftigen schwarzen Brauen und dann über den Mund, den sie so gern wieder küssen würde und der ihr in der Vergangenheit so viel erregende Freude bereitet hatte.

Ob Alessandro sich wohl auch wünschte, sie gehörte noch immer ihm? Ihm ganz allein?

Lara schämte sich für diese Gedanken. Immerhin war er verheiratet.

„Offenbar hast du zuvor nicht als Lektorin gearbeitet. Welche Fähigkeiten bringst du für diesen Job mit?“, holte er sie wieder aus ihrer Träumerei.

Mit seinen dunklen Augen schaute er Lara unentwegt an, und tief in ihrem Inneren entfachte er erneut ein Feuer der Sehnsucht. Aber da war noch mehr in seinem Blick. Wut? Ärger? Aber worüber?

„Ich habe als Lektoratsassistentin gearbeitet. Bill fand meine Beurteilungen gut, die mir der Verlag gegeben hatte, bei dem ich vorher als Teilzeitkraft gearbeitet habe. Außerdem habe ich Literatur studiert. Vielleicht erinnerst du dich.“

Lara lächelte, und Alessandro wandte schnell den Blick ab. Offensichtlich wollte er eine geschäftliche Distanz bewahren und verbat sich jede weitere Anspielung auf ihre Beziehung.

Von mir aus, dachte Lara trotzig, das kann er haben.

„Bill meinte, ich wäre befähigt genug, mich um die Kinderbücher zu kümmern. Er …“

Alessandro warf ihr einen ironischen Blick zu. „Er mochte dich.“ Sein anziehender Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.

„Kann sein.“

„Natürlich mochte er dich.“

Wie ein Kompliment klang das nicht gerade. Unangenehmes Schweigen folgte. Lara versuchte, Alessandros Worte zu deuten. Wollte er ihr etwa unterstellen, sie hätte sich den Job erschlichen, indem sie Bill schöne Augen gemacht hatte?

Der Alessandro, den sie kannte, schien sich hinter einem Glaspanzer zu verschanzen. Um ihn dahinter zu erreichen, lehnte Lara sich vor und lächelte beschwichtigend. „Hör mal, Alessandro, ist es nicht seltsam, dass wir uns wie Fremde unterhalten? Wir standen einander mal so nahe. Wie ist es dir ergangen?“

Er bedachte sie mit einem eisigen Blick. „Wir vergessen unsere kurze Bekanntschaft von damals wohl besser. Was kümmert mich heute, was vor einer Ewigkeit geschehen ist? Ich bin hier, um diese Firma zu einem gewinnbringenden Unternehmen von Scala Enterprises zu machen. Auf diese Aufgabe würde ich mich gerne konzentrieren.“

Lara zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Beschämt senkte sie den Blick. „In Ordnung. Kein Problem, wenn dir das lieber ist.“

Kurze Bekanntschaft! Mehr war das nicht für ihn gewesen? Warum war er nur so kalt und abweisend? Hatte jemand über sie geredet? Oder hatte sie ihn damals verletzt? Konnte es denn sein, dass er doch zu der verabredeten Zeit an ihrem gemeinsamen Treffpunkt auf sie gewartet hatte?

Nein, das war unmöglich! Denn offensichtlich war es ihm mit ihr sowieso nie ernst gewesen. Hätte er sonst kurz darauf eine andere Frau geheiratet?

Lara versuchte, in seinem Gesicht seine Gedanken zu lesen, doch es gelang ihr nicht. „Gibt es etwas, was ich wissen müsste, Alessandro? Sicher wird es nicht ganz einfach, hier vorübergehend zusammenzuarbeiten, aber wir brauchen doch kein Problem daraus zu machen, oder? Können wir nicht einfach außer Acht lassen, was …“

Nach einem kurzen Blick in ihre Augen lächelte er rätselhaft. „Natürlich können wir unsere kleine Affäre vergessen. Wir tun einfach so, als hätte es sie nie gegeben. Es gab keine romantische Sommerliebe. Keine langen Nachmittage voller Leidenschaft.“ Er betrachtete ihren Mund. „Keine verlangenden Küsse, die uns halb um den Verstand gebracht haben. Keine verführerischen Liebkosungen, die uns alles um uns herum vergessen ließen. Vergiss einfach, dass deine Lippen meine je berührt haben.“ Er verzog das Gesicht. „Ich bin über deine vernünftige Einstellung erleichtert. Rückblickend betrachtet erscheinen einem solche Begegnungen zumeist magischer, als sie eigentlich waren. Das Vernünftigste ist, einander als Fremde zu betrachten.“

„Fremde?“ Eben noch hatte Lara heißes Verlangen empfunden, als Alessandro beschrieb, was sie damals verband. Und nun sollte sie so tun, als sähe sie ihn zum ersten Mal? Niemals konnte sie die leidenschaftliche, tiefe Liebe zu diesem Mann vergessen.

Er war die Liebe ihres Lebens.

„Das kann ich nicht, Alessandro“, sagte sie und fügte wissend hinzu: „Aber ich habe ja auch nicht geheiratet.“

Alessandros dichte schwarzen Wimpern verdeckten seinen Blick. Die Atmosphäre in seinem Büro war mittlerweile so angespannt, dass es förmlich zwischen ihnen knisterte.

Gespannt wartete Lara auf seine Reaktion.

Seine Augen schimmerten hart, als er aufblickte. „Ich glaube, du unterschätzt deine Fähigkeit, nach vorne zu sehen, Lara“, sagte er in eisigem Tonfall. „Ich würde ja gerne in der Erinnerung schwelgen, dich in irgendeinem Hotelzimmer entkleidet zu haben, aber vor mir türmt sich ein riesiger Berg Arbeit.“

Ihren fassungslosen Blick übersah er absichtlich. Lässig wedelte er mit dem Hefter. „Also, wie sieht es aus?“ Hochmütig zog er eine Augenbraue hoch. „Können wir unsere Privatangelegenheiten jetzt außen vor lassen und uns auf das Wesentliche konzentrieren?“

Das war nicht der Mann, in den Lara sich verliebt hatte! Diese gebieterische Haltung ärgerte sie.

Als sie verdrossen schwieg, musterte Alessandro sie kurz und fuhr fort: „Eins würde mich allerdings doch interessieren: Du bist erst seit kurzem bei diesem kleinen Verlag beschäftigt. Als wir uns damals begegnet sind, hattest du glänzende Karriereaussichten im Verlagswesen. Was hast du in der Zwischenzeit mit deinen beeindruckenden Talenten angefangen?“

Der Sarkasmus war unüberhörbar. Was fällt ihm eigentlich ein? dachte Lara wütend. Doch dann tauchte vor ihrem inneren Auge ein süßes kleines Gesicht mit großen dunklen Augen und schwarzen Locken auf.

Jetzt war der Augenblick der Wahrheit gekommen.

Leider erschien er Lara denkbar ungeeignet.

Sie lehnte sich zurück und sah den Marchese prüfend an. Er war nicht mehr der aufmerksame Charmeur von früher, sondern hatte sich in einen eiskalten, spöttischen Geschäftsmann verwandelt, der von seiner Arbeit besessen war. Verdiente er es überhaupt, von seiner Vaterschaft zu erfahren?

Kühl lächelnd verschränkte Lara die Arme. „Ich will dich damit nicht langweilen, Alessandro. Vermutlich wäre es sowieso zu persönlich. Nur so viel: Ich habe mich neben der Verlagsarbeit auch anderen Dingen gewidmet.“

„Du brauchst dich nicht zu verteidigen, Larissa.“

„Nein?“ Ernst beugte sie sich vor und sagte mit bebender Stimme: „Du bist ganz anders, als ich dich in Erinnerung habe.“

Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. „Wieso? Wie bin ich denn in deiner Erinnerung?“

„Freundlich und zuvorkommend.“

Hart und unnachgiebig musterte er sie. Nur eine kleine pochende Ader an seiner Schläfe verriet seine Anspannung. „Du hingegen hast dich zu meinem Bedauern überhaupt nicht verändert.“

Ihr stockte der Atem. „Gut.“ Sie griff nach ihrer Handtasche und erhob sich stolz. „Dann will ich deine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.“

Auch Alessandro stand auf. Da sie sich den großen Abgang nicht dadurch verderben lassen wollte, dass er ihr höflich die Tür öffnete, wandte sie sich schnell um, damit sie zuerst dort war. Dabei stolperte sie über seinen Fuß und prallte gegen Alessandros gestählten Körper. Die Berührung glich einer heftigen Explosion. Lodernde Flammen erfassten ihren Körper, das begehrliche Aufleuchten in Alessandros Augen brannte auf ihrer Haut.

Instinktiv schlang er die Arme um sie, um einen Sturz zu verhindern. Sein harter Schenkel drückte sich an ihren, sein erregend-männlicher Duft raubte ihr den Verstand.

„Vorsicht“, stieß er mit tiefer Stimme hervor.

Sie hatte das Gefühl, seinen nackten Körper zu berühren. Ihr Mund wurde trocken, als sie sehnsüchtig seine Lippen betrachtete, und sein verlangender Blick löste erneut tiefes Begehren in ihr aus.

Und dann lösten sie sich – wie auf ein geheimes Kommando – gleichzeitig voneinander. Lara fühlte sich schwindlig, sie war verwirrt und unglaublich erregt.

„Tut mir leid“, sagte Alessandro rau. „Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.“ Lara erkannte ein letztes Aufleuchten in seinen Augen, dann wandte er sich ab.

Sie riss sich zusammen und kam dieses Mal tatsächlich bis zur Tür. Dort zögerte sie. Sollte sie ihm wirklich das letzte Wort überlassen? Das ließ sich nicht mit ihrem Stolz vereinbaren. Also wandte sie sich um.

Er stand wieder am Schreibtisch und verstaute Papiere in seinem Aktenkoffer.

„Alessandro?“ Noch immer stand sie unter dem Eindruck des kurzen, aber eindringlichen Körperkontakts.

Fragend sah er auf. „Si?“

„Ich muss dich etwas fragen. Es ist mir sehr wichtig.“

„In Ordnung.“

„Erinnerst du dich an unseren Pakt?“

Alessandro schien zu erstarren. Sein Blick war eisig. „Pakt?“

„Wir hatten einen Pakt geschlossen.“

Seine Miene war so feindselig, dass Lara es am liebsten dabei belassen hätte und schleunigst verschwunden wäre. Trotzdem fuhr sie fort. „Erinnerst du dich nicht? Du musstest zurück nach Harvard. Wir hatten vereinbart, dass, wenn wir immer noch dieselben Gefühle füreinander hätten …“ Laras Worte gerieten ins Stocken. Das alles auszusprechen war schwerer, als sie geglaubt hatte. Sie nahm einen neuen Anlauf. „Wir wollten uns nach sechs Wochen auf dem Centrepoint Tower treffen.“

Alessandro blickte zu Boden. Ein spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund. Als er aufsah, fragte er: „Wie genau lautete die Vereinbarung?“

„Du wolltest in der vorlesungsfreien Zeit kurz herkommen.“

Schweigend sah er sie an – die Miene undurchdringlich. Schließlich wandte er den Blick ab. „Und dein Teil der Vereinbarung war …?“

„Na ja …“ Es hatte Lara immer beschämt, dass ihre Anreise so viel kürzer gewesen wäre als seine. Sie biss sich auf die Lippe. „Ich wollte von Bindinong hinkommen.“

Er ging um den Schreibtisch herum, lehnte sich an die Kante und verschränkte die Arme. „Tatsächlich?“ Sein sarkastisches Lächeln ging ihr durch und durch. „Den ganzen weiten Weg von Bindinong? Du meine Güte! Es ist ja wohl klar, wer bei der Vereinbarung besser weggekommen ist.“ In den Tiefen seiner dunklen Augen blitzte etwas auf, was Lara nicht deuten konnte.

Fast wünschte sie, das Thema nie zur Sprache gebracht zu haben. In Bindinong hatte sie in den Blue Mountains bei ihren Eltern gewohnt, und es war tatsächlich nur einen Katzensprung von Sydney entfernt. Die Zugfahrt dauerte eineinhalb Stunden. Und den armen Alessandro hatte sie um die halbe Welt geschickt! Aus heutiger Sicht ein unverschämter Liebesbeweis.

Entschuldigend hob Lara die Hände. „Ich weiß, im Nachhinein kommt es mir auch unwirklich vor. Aber damals haben wir fest geglaubt … wir haben wirklich gedacht … erinnerst du dich nicht?“ Ihr wurde heiß, als sie versuchte, seine Miene zu deuten. „Wir hatten gute Gründe zu prüfen, ob wir uns auch ganz sicher waren. Du wolltest, dass ich mit dir komme. Jedenfalls hast du das gesagt. Ich war damals noch so jung. Ich hatte Australien und meine Eltern noch nie verlassen. Versteh doch meine Angst, alles aufs Spiel zu setzen für …“

„Für mich, wie es scheint“, half er ihr höhnisch aus.

Im ersten Moment war Lara schockiert über seine Verachtung. Doch dann versetzte sie sich in Alessandros Lage. Neue Zweifel gewannen die Oberhand.

„Wessen Idee war das eigentlich?“, fragte er hartnäckig. „Wer hat auf dieser Vereinbarung bestanden?“ Aus seinem Mund klang das Wort „Vereinbarung“ wie ein Schimpfwort.

So verächtlich hatte sie ihn noch nie erlebt. Was hatte sie ihm bloß getan? Unwillkürlich sah sie sich in der Rolle einer launischen Prinzessin, die ihren Verehrer auf eine Probe stellt.

Zugegeben, anfangs hatte Alessandro gezögert, sich auf den Pakt einzulassen. Doch dann zeigte er Verständnis für ihre Bedenken und stimmte zu. Schließlich konnte er wohl kaum von ihr erwarten, dass sie nach dreiwöchiger Bekanntschaft alles stehen und liegen ließ, um ihm um die halbe Welt zu folgen!

Also hatte er der Vereinbarung zugestimmt. Zumindest hatte sie diesen Eindruck gehabt. Jetzt wusste sie es besser, obwohl sie dazu neigte, es kurzweilig wieder zu vergessen. Aber dann rief sie sich in Erinnerung, dass er es nicht ernst gemeint hatte. Doch warum musterte er sie dann mit so unversöhnlicher Miene?

Alessandro wartete noch immer auf eine Antwort. „Ich höre“, sagte er ungeduldig.

Nimmt er mich jetzt ins Kreuzverhör? fragte sich Lara verstimmt. So unnachgiebig, wie er wirkte, würde er wohl kaum zugeben, dass er sich an irgendetwas erinnerte.

„Schon gut, lassen wir das Thema sein. Offensichtlich ist es der falsche Zeitpunkt, darüber zu reden.“

Lara hatte die Tür fast erreicht, als seine nächste Frage sie mitten ins Herz traf. „Nun sag schon, Lara Meadows: Hast du dich an deinen Teil der Vereinbarung gehalten?“

Lara drehte sich um. Sein selbstgefälliges Lächeln tat ihr weh. „Nein, das habe ich nicht“, erklärte sie wütend, weil er sich darüber lustig machte. Dabei war das für sie die größte Tragödie ihres Lebens! „Und du offensichtlich auch nicht, sonst hättest du gewusst, dass ich nicht aufgetaucht bin. Du hattest nie die Absicht, zu mir zurückzukommen, hab ich recht?“

Auch nach sechs Jahren schmerzte es sie noch immer, so schmählich von ihm im Stich gelassen worden zu sein. Dabei hatte sie sich doch eigentlich längst an die Vorstellung gewöhnt, dass sie für ihn nur ein Urlaubsflirt gewesen war.

Plötzlich spürte Lara den heftigen Impuls, wegzulaufen. Fort von diesem blendend aussehenden, aber abweisenden Mann. Nach Hause zu Vivi, ihrer kleinen Tochter, die sie ganz fest an sich drücken wollte. Vivi war ihr ganzer Stolz, sie gehörte ganz allein ihr.

Doch Lara ließ sich ihre Gefühle nicht anmerken und zuckte mit den Schultern. „Gut, dass es uns beiden nicht ernst war. Wir hatten ja vereinbart, es dem anderen nicht übel zu nehmen, wenn seine Gefühle nicht stark genug wären. Keiner von uns ist zum verabredeten Termin erschienen, also haben wir uns auch nichts vorzuwerfen.“

Sein abfälliges Gelächter verfolgte Lara bis auf den Flur. Energisch knallte sie die Tür hinter sich zu und atmete einige Male tief durch. Wahrscheinlich würde es ihn amüsieren, wenn er wüsste, wie sorgfältig sie damals ihre Abreise vorbereitet hatte. Sie hatte ihn so sehr geliebt! Und sie hatte sich die Augen nach ihm ausgeweint.

Jetzt fiel ihr ein, dass sie noch eine andere Sache auf dem Herzen hatte. Eine Frage musste sie Alessandro noch stellen, selbst wenn die Antwort schmerzte.

Also öffnete sie erneut die Tür. Er stand am Schreibtisch und blickte mürrisch auf einen Aktenstapel.

„Ach, Alessandro?“, fragte sie leise. „Hast du deine Frau mitgebracht?“

Erstaunt sah er auf und musterte sie. „Meine Frau? Ich habe keine Frau, Carissa.“

Ungläubig sah sie ihn an. Dann wurde ihr bewusst, was er gesagt hatte. „Larissa“, berichtigte sie ihn. „Ich meine natürlich Lara. Mein Name ist Lara.“

4. KAPITEL

Lara! Geistesabwesend seifte Alessandro sich nach einem intensiven Training im Fitnessraum des Hotels unter der Dusche ein.

Das Gespräch war nicht zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Es widerstrebte ihm, seine Machtposition auszunutzen, um eine Frau zu bestrafen. Dieses Verhalten war für einen Ehrenmann nicht angebracht.

Er hob die Arme und ließ sich von dem harten Wasserstrahl massieren. Vielleicht verschwand damit das ungute Gefühl, das ihn schon seit Stunden quälte.

Sein Ärger war zwar durchaus berechtigt, doch es hatte ihm keinen Spaß gemacht, Lara zu verletzen. Und irgendwie hatte er den Eindruck, nicht unbedingt als Sieger aus ihrer Auseinandersetzung hervorgegangen zu sein. Es nagte an ihm, dass Lara zugegeben hatte, die Vereinbarung nicht eingehalten zu haben. War es eingebildet, oder hatte er tatsächlich Schmerz in ihren Augen gelesen, als sie das so offen zugab? Noch einmal ging Alessandro alle Möglichkeiten durch, die er schon so oft überlegt hatte, dass er es nicht mehr zählen konnte. Warum war sie nicht erschienen? Und warum hatte sie ihn nicht angerufen, um ihm mitzuteilen, dass sie die Verabredung nicht einhalten konnte? Wieso blieb sie für ihn jahrelang unerreichbar?

Ärgerlich stellte Alessandro die Dusche aus und trocknete sich ab. Es knisterte zwischen Lara und ihm, als er sie vorhin wiedergesehen hatte. Noch immer wirkte sie unglaublich anziehend auf ihn. Dagegen war er machtlos. Energisch rubbelte er sich ab und überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, ihr die Gelegenheit zu geben, ihm zu erklären, was damals geschehen war.

Doch sogleich verwarf er diese Idee wieder. Dann konnte er ja gleich vor ihr auf die Knie gehen und ihr zeigen, was für einen Narren sie aus ihm gemacht hatte.

Sauber, trocken und erfrischt streifte Alessandro sich einen Bademantel über und betrachtete sich prüfend im Spiegel. Musste er sich rasieren? Hätte er heute Abend eine Verabredung, würde er es tun.

Vielleicht wäre es sogar keine schlechte Idee, sich mit einer Frau zu treffen. Möglicherweise könnte ihn das von Lara Meadows ablenken. Allerdings hatte das bisher nie funktioniert.

Ungeduldig wandte Alessandro sich von seinem Spiegelbild ab und marschierte zur Minibar, um sich ein Glas Whisky zu genehmigen.

Nachdenklich stand er dann mit dem Glas in der Hand am Fenster und ließ seinen Blick über Sydney schweifen. Von seiner Suite aus hatte er eine herrliche Aussicht auf den Hafen und die Oper im Hintergrund. Das andere Fenster ging auf die hell erleuchtete George Street hinaus.

Warum sollte er sich nicht ins Nachtleben stürzen, anstatt den Abend alleine und gelangweilt in seiner Suite zu verbringen? Doch mit wem sollte er schon ausgehen? Tuila besuchte Verwandte, und die einzige andere Person, die er in Sydney kannte, würde wohl kaum den Abend mit ihm verbringen wollen.

Gelangweilt wandte Alessandro sich vom Fenster ab. Er hatte im Seasons eingecheckt, weil das Hotel nur zwei Straßenzüge vom Stiletto-Gebäude entfernt lag. In diesem alten, liebevoll restaurierten Stadtviertel befanden sich etliche Restaurants, ganz in der Nähe lag The Rocks and Circular Quay. Doch die Vorstellung, alleine zu essen – möglicherweise umgeben von Liebespaaren – missfiel ihm.

Also blieb ihm nur die Möglichkeit, sich das Abendessen in die Suite bringen zu lassen. Wenigstens konnte er sich dann gleichzeitig der Personalplanung widmen.

Wieder ein einsamer Abend in einem Hotel.

Er könnte natürlich auch Lara anrufen und sie unter dem Vorwand, er müsse mit ihr über die Zukunft des Verlages reden, zum Abendessen einladen.

Verflixt noch mal, wie kam er nur auf solche Ideen? Das kam überhaupt nicht infrage! Erstens würde Lara diese Taktik sofort durchschauen, und zweitens hatte ein Alessandro Vincenti es nicht nötig, sich unter einem fadenscheinigen Vorwand mit einer Frau zu verabreden.

Vermutlich würde sie ihm sowieso einen Korb geben.

Lara war die einzige Frau, die ihn je zurückgewiesen hatte. Und dann auch noch auf so hinterhältige und verlogene Weise. Und trotzdem begehrte er sie noch immer. Vielleicht mehr denn je.

Hätte er sie vorhin im Büro geküsst, wäre auch bei ihr die alte Leidenschaft wieder entflammt. Dessen war er sich ganz sicher, denn die Luft zwischen ihnen hatte regelrecht geknistert.

Ob sie alleine lebte? Vermutlich gab es aber einen Mann in ihrem Leben, sie hatte ja gesagt, sie würde erwartet. Oder war das nur eine Schutzbehauptung, damit Alessandro gar nicht erst auf den Gedanken kam, sie aufzuhalten oder gar einzuladen?

Vielleicht lebte sie doch alleine.

Alessandro kehrte zurück in das Badezimmer und stellte dort das Glas ab.

Dann sah er sich suchend nach seinem Rasierschaum um.

5. KAPITEL

Konnte eine Liebe neu erblühen, nachdem man sie so schändlich behandelt und wegen ihr viele Tränen geweint hatte? Lara bezweifelte das. An der körperlichen Anziehungskraft zu Alessandro hatte sich nichts geändert. Noch immer pochte ihr Herz aufgeregt in seiner Gegenwart, die Knie wurden weich und Wellen der Lust durchfluteten ihren Körper. Doch das waren nur Echos der Vergangenheit, die im harschen Licht der Gegenwart bald verstummen würden.

Und trotzdem hatte Lara das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Die Straßenlaternen im lebhaften Stadtteil Newton beleuchteten ihr den Weg zu dem Reihenhaus, das sie mit Vivi und ihrer Mutter bewohnte. Eigentlich war alles wie immer. Trotzdem erschien Lara das Leben seit Alessandros Rückkehr plötzlich strahlender und aufregender.

Das Gespräch mit ihm war anders verlaufen, als sie erhofft hatte. Als die Sprache auf den Pakt gekommen war, hatte Alessandro mit beißendem Sarkasmus reagiert. Wahrscheinlich hatte er nie vorgehabt, die Abmachung einzuhalten, und wurde nun von Schuldgefühlen geplagt. Warum sonst hatte er sie so kühl und abweisend behandelt?

Lara stellte die mit griechischen Köstlichkeiten vollgestopfte Einkaufstasche auf der Treppe ab und drückte auf die Türklingel.

Greta öffnete sofort. Zwei Katzen und ein kleines Mädchen namens Vivi schauten neugierig, wer denn da geklingelt hatte. Sofort warf sich die Kleine so stürmisch in Laras Arme, dass sie fast die Treppe hinunterfiel.

„Nanna und ich haben Pikelets-Teekuchen gebacken, aber ich habe mir nicht den Appetit aufs Abendessen verdorben“, plapperte Vivi aufgeregt drauflos.

„Das will ich stark hoffen.“ Lara lachte und bahnte sich ihren Weg ins Haus. Dann gab sie erst ihrer Tochter, anschließend ihrer Mutter einen Begrüßungskuss. „Entschuldige die Verspätung, Mum, aber ich hatte noch eine Besprechung. Du weißt ja, ein neues Team hat den Verlag übernommen.“

„Schon gut.“ Gretas blaue Augen leuchteten. „Haben die es drauf?“, fragte sie. Aber als sie Laras Miene sah, winkte sie sofort ab. „Ach, weißt du was? Das kannst du mir später alles berichten. Jetzt muss ich zur Probe.“

Greta verschwand in ihrer Wohnung, um sich noch etwas zurechtzumachen, während Lara und Vivi die Treppe zu ihrem eigenen Apartment hinaufstiegen.

Wie ähnlich Vivi ihrem Vater sieht, dachte Lara. Erst jetzt, nachdem sie Alessandro wiedergesehen hatte, wurde ihr die Ähnlichkeit bewusst.

Und jeder Blick auf ihre Tochter machte ihr nur noch deutlicher, in welchem Dilemma sich Lara befand.

Während der Schwangerschaft hatte sie vergeblich versucht, Alessandro zu erreichen. Sie war damals fest entschlossen gewesen, ihn über seine Vaterschaft in Kenntnis zu setzen, sobald sie ihm wieder begegnen würde. Schließlich hatte er ein Recht darauf und natürlich auch Verpflichtungen. Allerdings fiel es ihr jetzt schwer, diesen Entschluss nach all den Jahren auch in die Tat umzusetzen. Alessandro hatte sich sehr verändert. Der Vater ihres Kindes war ein Fremder, der am anderen Ende der Welt lebte.

Außerdem wusste sie nicht, wie Vivi auf die Nachricht reagieren würde, dass sie plötzlich einen Vater hatte.

Während die lebhafte Fünfjährige beim allabendlichen Bad erzählte, welche Abenteuer sie heute bestanden hatte, überlegte Lara, wie weit sie Greta ins Vertrauen ziehen sollte. Natürlich kannte ihre Mutter den Namen von Vivis Vater, doch sie wusste noch nicht, dass Alessandro wieder in Sydney weilte.

Beim Abendessen beobachtete Lara amüsiert, wie die Kleine unauffällig versuchte, die Erbsen auf ihrem Teller unter ein Salatblatt zu schieben, um sie dann nach und nach unter dem Teller zu verstecken. Was würde Greta mir raten? überlegte Lara. Schenk ihm reinen Wein ein, würde ihre Mutter vermutlich sagen. Alessandro hatte ein Recht auf die Wahrheit. Und Vivi ebenso.

Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bevor jemand im Verlag erwähnte, dass Lara eine fünfjährige Tochter hatte. Spätestens dann würde Alessandro beginnen, Fragen zu stellen.

Dem musste sie zuvorkommen. Alessandro sollte nicht von Dritten erfahren, dass er eine Tochter hatte. Wäre er vorhin nicht so schwierig gewesen, wüsste er bereits die Wahrheit.

Bei der Gutenachtgeschichte von der kleinen Meerjungfrau kuschelte sich Vivi an Lara – ihre Kylie-Minogue-Puppe immer fest im Arm, damit auch sie die Bilder in dem Buch betrachten konnte.

Vivi war Alessandro wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatte nicht nur die dunklen Samtaugen von ihm, sondern auch das dichte Haar und den Schalk im Nacken.

Ich muss es ihm sagen, dachte Lara erneut. Er möchte sicher an Vivis Leben teilhaben. Aber wie sollte das gehen, wenn er am anderen Ende der Welt lebte?

Was ist eigentlich aus seiner Frau geworden? fragte sie sich argwöhnisch, als sie das Buch zuklappte und Vivi sorgfältig zudeckte.

Lara schloss die Augen. Nach Alessandro hatte es keinen anderen Mann in ihrem Leben gegeben. Und sechs Jahre waren eine lange Zeit. Vielleicht hatte ihr sehnsüchtiger Körper deshalb sofort in Flammen gestanden, als sie sich zuvor im Büro zufällig berührt hatten.

Auf Zehenspitzen verließ sie das Kinderzimmer und widmete sich dem Abwasch in der Küche, als das Telefon klingelte. Das wird Greta sein, dachte Lara. Wahrscheinlich war die Oboe-Stunde beendet und ihre Mutter sehnte sich nach einem Schwatz mit ihrer Tochter.

Lara nahm den Hörer ab und klemmte ihn sich zwischen Schulter und Kinn, während sie die Gummihandschuhe abstreifte. „Hallo, da bist du ja. Komm doch gleich rauf.“

Nach dem ersten Schweigen kam eine erstaunte Reaktion. „Sagst du das zu allen Anrufern?“

Beim Klang der tiefen, samtigen Stimme pochte Laras Herz sofort schneller.

„Alessandro!“ Sie atmete einige Male tief durch.

„Wir müssen reden.“

Nur langsam erholte Lara sich von dem Schock, so unvermittelt von Alessandro zu hören. „Ich wüsste nicht, worüber wir reden sollten. Aber wenn du darauf bestehst, dann tu dir keinen Zwang an“, erklärte sie kühn.

„Nicht am Telefon.“

Beunruhigt umklammerte sie den Hörer. „Eine andere Möglichkeit gibt es aber heute Abend nicht.“

„Du bist zu Hause, hab ich recht?“

Nervös ließ Lara den Blick zu Vivis Zimmer schweifen. „Schon, aber ich kann hier nicht weg.“

„Dann mache ich mich jetzt auf den Weg zu dir.“

„Nein, das geht nicht!“ Vor Schreck wäre ihr fast der Hörer aus der Hand gefallen. „Nach allem, was du vorhin zu mir gesagt hast, wüsste ich auch nicht, was es zwischen uns noch zu bereden gäbe. Wir kennen uns gar nicht. Schon vergessen?“

„Aber das kannst du nicht hinnehmen.“

Dieser Mann war unfassbar! Er war es doch gewesen, der nichts mehr von ihrer damaligen Verbindung wissen wollte! „Es gibt aber auch noch andere Dinge, bei denen Gesprächsbedarf besteht“, fügte er hinzu, als sie schwieg.

Wollte er sie auf den Arm nehmen? Er rief sie doch nicht aus geschäftlichen Gründen um diese Uhrzeit noch an. „Ach, du willst über den Verlag reden?“, fragte sie ungläubig.

„Was dachtest du denn?“

Lara zweifelte aufgeregt an dem Wahrheitsgehalt seiner Worte. Über den Verlag konnten sie sich auch morgen im Büro unterhalten. Er wollte sie sehen! Lara konnte nicht umhin, innerlich vor Freude zu strahlen.

Natürlich wollte sie sich mit ihm treffen! Sie konnte sich nichts vorstellen, was sie mehr wollte. Aber wie sollte das funktionieren?

Alessandro ließ sich nicht weiter hinhalten. „Ich bin in zwei Minuten bei dir“, sagte er energisch.

Bevor Lara protestieren konnte, hatte er bereits aufgelegt.

Was nun? Zuerst rief Lara ihre Mutter an. Doch die war noch nicht zu Hause. Dann fiel ihr auf, dass sie eine alte Jogginganzug trug. Also rannte sie zum Schlafzimmer und schlüpfte schnell in eine Jeans und ein rotes Top. War das nicht zu eng? Ihre Brustspitzen zeichneten sich unter dem dünnen Stoff ab. Sofort tauschte sie es gegen eine Bluse, über die sie zur Sicherheit noch ein ärmelloses Top streifte. Dann bürstete sie sich das Haar und legte Lippenstift auf, bevor sie zum Fenster lief. Auf der anderen Straßenseite wurde gerade eine dunkle Limousine eingeparkt.

So schnell hatte Lara nicht mit ihm gerechnet. Eilig überlegte sie, was sie nun tun sollte. Dann beschloss sie, sich unten vor dem Haus mit Alessandro zu unterhalten. Notfalls in Gretas Wohnung.

Allerdings lagen dort wahrscheinlich noch Vivis Spielsachen herum. Und überall standen Fotos …

Aber hier oben in ihrer Wohnung schlief Vivi. Nein, Lara musste versuchen, Alessandro abzulenken und vorschlagen, sich woanders zu unterhalten.

Autor

Anna Cleary
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