Kreuzfahrt in ein neues Glück

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Vivek ist ihr Ticket in die Freiheit. Um ihrem traditionellen Elternhaus zu entkommen, lässt Hema sich auf eine arrangierte Ehe mit dem smarten Businessman ein. Doch bevor sie ihre Karriere als Ärztin in New York vorantreiben kann, muss sie die zehntätige Luxuskreuzfahrt mit Vivek und den zahlreichen Hochzeitsgästen überstehen. Und das möglichst, ohne sich in ihn zu verlieben. Dumm nur, dass schon bei ihrem ersten Tanz die Funken sprühen …


  • Erscheinungstag 01.08.2023
  • Bandnummer 2301
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515726
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war ganz anders als in den Filmen. Hema warf einen Blick über die Reling, als das Schiff vom Dock ablegte. Da stand keine Menschenmenge, die ihnen hinterherwinkte, keine Ballons oder Banner mit Glückwünschen für eine gute Reise. Nur ein paar gelangweilt aussehende Hafenarbeiter, die zuschauten, wie die Taue in den Rumpf eingezogen wurden.

Auf dem Wellnessdeck befand sich niemand außer ihr. Blau-weiße Liegen standen in Reih und Glied und warteten auf Körper, die sich auf ihnen in der Sonne aalten. Den Großteil der Fahrt über würden sie leer bleiben. Inder scheuten kaum etwas mehr als Sonnenbräune. Der Whirlpool blubberte leise vor sich hin und spritzte etwas Wasser über den Rand des Beckens. Die Geräuschkulisse der Stadt wurde zunehmend leiser, je mehr sich das Kreuzfahrtschiff von Manhattan entfernte und sich würdevoll in den Hudson River vorarbeitete.

Wo waren die ganzen Tanten und Onkel? Sie hatten ihr bei der Ankunft an Bord kaum einen Moment zum Luftholen gelassen. Du wirst so eine schöne Braut. Wahrscheinlich zogen sie sich gerade für die abendlichen Festlichkeiten um. Hema hatte ihre Freunde an der All-inclusive-Bar in der Lounge auf einem der unteren Decks zurückgelassen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen und eine Weile allein zu sein.

Es war Mitte Juni und die Sonne wärmte einen bereits, doch der Wind war noch unangenehm kühl. Jetzt wünschte sie sich einen Schal, weil ihr cremefarben-gelb gemustertes Sommerkleid ihr nicht viel Schutz dagegen bot. Sieben Nächte, acht Tage. Wenn das Schiff wieder in New York einlief, würde sie ein neues Leben beginnen, in einer neuen Welt, weit weg von ihrem Zuhause in Indien und verheiratet mit einem Mann, den sie kaum kannte. Tue ich das Richtige? Ist es das wirklich wert? Sie starrte auf die Wolkenkratzer und stellte sich ihr neues Leben als Ärztin und Ehefrau eines prominenten New Yorker Geschäftsmanns vor. Ersteres war einfach, davon träumte sie schon lange. Aber eine Ehefrau? Konnte sie diese Rolle erfüllen?

Das Kreuzfahrtterminal verschwand in der Ferne, als das Schiff Fahrt aufnahm. Was, wenn es mit ihnen nicht klappte? Was, wenn sie die falsche Entscheidung getroffen hatte? Plötzlich fühlte es sich eng in ihrer Brust an, und sie beugte sich nach vorn, während sie den fischigen Geruch des Hudson Rivers tief einatmete. Dann schob sie die Zweifel von sich. Wenn sie die begehrteste Facharztausbildung der Welt genießen durfte, würde sie auch alles andere hinbekommen.

„Spring nicht. Der Fluss ist echt schmutzig. Warte, bis wir das offene Meer erreichen.“

Sie zuckte erschrocken zusammen, als der Mann, den sie heiraten würde, plötzlich hinter ihr auftauchte. Vivek trug lockere Shorts und ein weißes Polohemd, das seinen dunklen Teint fantastisch zur Geltung brachte. Außerdem war er barfuß wie sie selbst. Er trat neben sie und stützte sich mit den Unterarmen auf der glänzenden Holzreling ab, um die vorbeiziehende Skyline von Manhattan zu betrachten. Hema nutzte die Gelegenheit, um einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Dichte, schwarze Wimpern umgaben seine dunklen Augen und sein Profil wirkte absolut perfekt mit den hohen Wangenknochen, der geraden Nase und dem leicht gerundeten Kinn. Er hatte sich rasiert. Da war ein kleiner, roter Fleck, wo er sich am Kiefer geschnitten hatte. Er war ein gut aussehender Mann. Sogar ziemlich heiß. Wenn sie ihn irgendwo auf einer Party kennengelernt hätte, hätte sie ihn mit Sicherheit anziehend gefunden.

„Springen würde nichts bringen“, erwiderte sie. „Ich kann hervorragend schwimmen.“

„Noch etwas, das ich nicht über dich wusste.“

„Wir wissen so einiges nicht übereinander.“

„Bekommst du kalte Füße?“ Er gab sich alle Mühe, unbeschwert zu klingen.

Ja! Die Küste war noch immer in Sicht. Maximal eine halbe Stunde zu schwimmen.

„Nein“, sagte sie und legte so viel Nachdruck in ihren Tonfall, wie sie aufbrachte.

Er wandte sich ihr zu, und sie schaute ihm in die Augen. Sie hatten den tiefen Braunton eines alten Sandelholzbaums. In ihrem Bauch regte sich ein aufgeregtes Flattern und breitete sich in den Rest ihres Körpers aus. Das sind nur die Nerven.

„Wenn du deine Meinung geändert hast, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um es zu sagen.“

Sie hätte beinahe gelacht. Dafür ist es längst zu spät. Eintausenddreihundertneunundsechzig ihrer Verwandten und Freunde waren aus allen Ecken der Welt eingeflogen und befanden sich nun an Bord dieses Schiffs. In keiner der achtzehnhundert Kabinen würde sie sich verkriechen können, wenn sie die Hochzeit jetzt platzen ließ. Außerdem würde sie das Vivek nie antun. Nicht nach dem, was ihm das letzte Mal passiert war, als er unter dem reichlich geschmückten Hochzeits-mandap gestanden hatte.

Sie schüttelte bereits den Kopf, doch da legte er eine Hand auf ihre. Die Wärme seiner Berührung wanderte ihren Arm hinauf und breitete sich in ihrer Brust aus. Er ist ein guter Mann. Ein anständiger Mann. Ein Mann zum Heiraten. „Du wirst alles bekommen, was ich dir versprochen habe. Finanzielle Unterstützung, um deine Facharztausbildung abzuschließen, die Freiheit, zu tun, was immer du willst … Und ich möchte im Gegenzug nur eins von dir: Lüg mich nie an und blamier mich nie in aller Öffentlichkeit.“

Sie nickte. Im Vergleich zu dem, was sie bekam, war seine Bitte eher bescheiden.

„Ich muss wissen, dass du es ernst meinst.“

Sie legte ihre freie Hand auf seine. „Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Du verlangst von mir nichts, was ich nicht vorher sorgfältig durchdacht habe. Wir haben eine Vereinbarung getroffen, von der wir beide profitieren. Du bekommst eine Ehefrau und ich kann meinen Traum verwirklichen, meinen Abschluss in roboter-assistierter Chirurgie zu machen. Wir stützen unsere Ehe auf Ehrlichkeit und Freundschaft. Das ist mehr, als die meisten Beziehungen haben.“

Was ist mit Liebe? Sie brachte die nervige Stimme in ihrem Herzen zum Schweigen, die immer noch dachte, dass sie sich nach der Sache mit Arun noch einmal verlieben konnte.

Wellen schlugen gegen den Schiffsrumpf, als sie die Sandy Hook Bay erreichten. Die Brise frischte auf und ließ Hema frösteln. Vivek ging zum Whirlpool hinüber und schnappte sich eins der blau-weißen Handtücher, die in einem Regal bereitstanden, um es ihr um die Schultern zu legen. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Als sie sich vor einem Monat in Neu-Delhi kennengelernt hatten, war ihr sofort aufgefallen, wie zuvorkommend er sich ihr gegenüber verhielt. Er öffnete Türen für sie, rückte ihr den Stuhl zurecht und erhob sich, wenn sie den Tisch verließ. Ein Mann zum Heiraten.

In diesem Moment schaute er sie so unverwandt an, als könnte er ihr direkt in die Seele blicken.

„Ich habe darüber nachgedacht, wie das Leben in New York wohl wird. Ich habe schon die halbe Welt bereist, aber Indien war immer mein Zuhause.“

Er legte ihr die Hände auf die Schultern, und es überraschte sie, wie viel Trost ihr diese Geste spendete. „Du wirst kaum merken, dass du in New York bist. Meine Nachbarn sind genauso neugierig wie die in Indien, meine Eltern leben eine Etage unter mir und mischen sich ständig in alles ein und unser Koch macht das beste Rajma Chawal.“

Sie lächelte. Das Gericht aus Kidneybohnen und Reis war ihr Lieblingsessen.

„Und du kannst jederzeit meinen Privatjet nach Indien nehmen, wenn du deine Familie vermisst.“

„Das weiß ich sehr zu schätzen, aber ich werde dafür wahrscheinlich nicht viel Zeit haben. Im ersten Jahr darf ich mich als Assistenzärztin ordentlich abrackern.“ So sehr, dass jedes Jahr mindestens ein Arzt aufgab. Würde sie zu denen gehören? Was, wenn sie nicht das Zeug dazu besaß? Dann war sie immer noch verheiratet und hatte ihr Leben für nichts und wieder nichts aufgegeben.

„Na, dann hast du ja gar keine Zeit für Heimweh.“

Er richtete sich auf, und sie musste den Kopf ein wenig in den Nacken legen, um ihm weiter in die Augen sehen zu können. „Ich wollte noch etwas mit dir besprechen.“ Er räusperte sich leise. „Während der Feier wird man von uns erwarten, dass wir uns küssen. Das erste Mal sollte nicht vor so vielen Leuten sein.“

Das war sehr rücksichtsvoll von ihm. Sie planten zwar keine Ehe im traditionellen Sinn, wollten sich aber ein gemeinsames Leben aufbauen und da war es nur natürlich, wenn sich körperliche Nähe zwischen ihnen entwickelte. Es war schön, dass er den ersten Kuss zu etwas Besonderem machen wollte.

„Wenn es komisch aussieht, stellen die Leute Fragen.“

Doch nicht so rücksichtsvoll.

„Dann sollten wir es wohl hinter uns bringen.“ Sie widerstand dem Impuls, die Augen zu schließen und die Lippen zu spitzen wie eine Cartoon-Figur.

Er strich ihr mit einem Finger über die Stirn und über die Wange nach unten, bevor er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr schob. Sie war froh, dass das Handtuch die Gänsehaut verbarg, die sich über ihre Arme ausbreitete. Dann lehnte er sich zu ihr. „Nur, weil dies keine Liebesheirat ist, muss der Spaß deswegen nicht auf der Strecke bleiben.“ Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr und süße Wärme machte sich in ihr breit. Spaß? Daran hatte sie keinen Gedanken verschwendet. Davon war nie die Rede gewesen.

Als er sich zu ihr runterbeugte, schloss sie instinktiv die Augen und heiße Sehnsucht flutete ihren Körper. Seine Lippen berührten ihre so hauchzart, dass sie den Kuss kaum vom Wind unterscheiden konnte. Gerade, als sie sich weiter zu ihm lehnte, zog er sich schon wieder zurück.

Aare, dafür ist später noch genug Zeit.“

Hema riss die Augen auf und sah ihre Mutter mit ihrer Tante im Schlepptau auf sie zukommen. Beide waren in perfekt gebundene Saris gekleidet und trugen High Heels, die für das zwölfte Deck eines Kreuzfahrtschiffs vollkommen ungeeignet waren. Sie entfernte sich einen Schritt von Vivek, als wäre sie eine Teenagerin, die mit ihrem Freund erwischt wurde.

„Die Verlobungsparty fängt in einer halben Stunde an. Sieh sich einer die beiden an. Nur noch sechs Tage bis zur Hochzeit und ihr könnt es kaum noch erwarten, was?“, neckte Tante Reshma sie und nahm sie an der Hand.

Hema schüttelte den Kopf. „Maasi, ich bin kein Kind mehr.“

Aber Reshma ließ sich nicht beirren. Sie drohte Vivek mit dem Zeigefinger. „Du solltest dich auch umziehen. Dein Bruder sucht schon nach dir.“ Damit führte sie Hema in Richtung der Aufzüge.

Hema warf noch einen Blick über die Schulter. Viveks Grinsen verursachte ihr erneut ein aufregendes Kribbeln im Bauch. Vor einem Monat war ihr das alles noch so einfach vorgekommen, aber jetzt? Was habe ich mir da nur eingebrockt?

„Erklär mir bitte noch mal, warum das eine gute Idee war.“

Vivek suchte unter den zahlreichen Sherwanis, die beschriftet und sauber aufgereiht im Schrank hingen, nach dem richtigen. Man sollte meinen, dass ihm als Bräutigam eine der Suiten zustand, doch seine Eltern hatten beschlossen, dass nicht genug Suiten für die VIPs zur Verfügung standen, also hatte er eine normale Kabine bekommen, in die kaum ein französisches Bett und ein Nachttisch passten. Immerhin gab es einen Balkon, auf dem gerade sein Bruder Vikram stand, sich gegen den Türrahmen lehnte und auf eine Antwort wartete. Der Wind pfiff an ihm vorbei in den Raum.

Sie wurden trotz des Altersunterschieds von zwei Jahren oft für Zwillinge gehalten, doch charakterlich hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Vivek bevorzugte es, aus dem Hintergrund zu agieren, während Vikram das Rampenlicht genoss. Dennoch hatten sie sich immer nahegestanden.

„Es ist ganz einfach“, sagte Vivek. „Hemas Eltern unterstützen ihre Facharztausbildung in den USA nicht, wenn sie nicht heiratet. Sie hat keine Lust mehr, sich mit Männern herumzuschlagen, die ihren beruflichen Ehrgeiz nicht nachvollziehen können. Sie lässt sich gerne auf ein Arrangement ein, bei dem sie ihre Träume verfolgen kann.“ Er warf einen Blick auf die Etiketten, auf denen sein Assistent das Datum und den Anlass vermerkt hatte, um das richtige Kleidungsstück auszuwählen.

„Das ist mir klar. Was hast du davon?“

„Unsere Eltern lassen mich in Ruhe. Sie ist eine respektable Ehefrau für die Gesellschaft. Sie ist klug und schön, und sie versteht, was sie von mir zu erwarten hat, und akzeptiert dies.“

„Sie ist nicht dein Typ.“

„Ich wusste gar nicht, dass ich einen habe.“

„Sie ist lebenslustig und humorvoll. Du bist ein Langweiler.“

Vivek warf ein Kissen nach seinem Bruder, der es sofort zurückschleuderte.

„Im Ernst, wie oft habt ihr euch getroffen? Zweimal?“

„Dreimal, wenn ich heute mitzähle.“

Vikram schnaubte spöttisch.

„In Person waren es nur zweimal, aber wir hatten Videocalls, haben uns E-Mails geschrieben und gechattet. Keiner von uns hat diese Entscheidung leichtfertig getroffen. Wir haben es besprochen, darüber geschlafen und dann wieder darüber gesprochen.“

„So kommst du nicht über Divya weg.“

Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. „Ich bin über sie hinweg.“ Rasch schlüpfte er in den Sherwani und musterte sich im Spiegel. Er war es leid, immer wieder daran erinnert zu werden, dass die Liebe seines Lebens ihn unterm Hochzeits-mandap hatte sitzen lassen, um mit einem anderen Kerl durchzubrennen. Dass sie mit dem Typen inzwischen verheiratet war, rieb noch zusätzlich Salz in die Wunde. „Hier geht es nicht um Divya. Ich will mein Leben weiterleben.“

„Du kennst diese Frau doch kaum. Woher willst du wissen, dass sie nicht ins nächste Rettungsboot steigt und abhaut?“

Vivek verdrehte die Augen und zog seine traditionellen jutti an. Die spitz zulaufenden, goldenen Schuhe waren wunderschön, aber das Leder bretthart.

„Hema wird nicht abhauen. Sie weiß, wie es sich anfühlt, wenn man betrogen wird. Das würde sie mir nicht antun.“

„War nur ein Witz, Vivek“, sage Vikram ernst.

Vivek verstaute seine abgelegte Kleidung im Schrank und knallte die Tür zu. Er wollte nicht mehr an seine letzte Hochzeit denken. Die Geschichte war wochenlang als Meme durch Social Media gegangen. Und als sich alles gerade wieder etwas beruhigt hatte, war Divya als Sängerin groß rausgekommen. Kein geschäftliches Meeting, kein gesellschaftlicher Anlass verging, ohne dass Divyas Name aufkam. Hat sie wirklich die Hochzeit mittendrin platzen lassen? Sie haben nichts geahnt? Stimmt es, dass Sie den Mann nicht kannten, mit dem sie durchgebrannt ist? Und jetzt ist sie mit ihm verheiratet? Die gleichen Fragen bei Geschäftsessen, auf Cocktailpartys und beim Small Talk auf dem Gang in den Pausen von Vorstandssitzungen. Wie geht es Ihnen? war die schlimmste davon. Jedes Mal auf Neue, wenn Divya ein neues Album herausbrachte. Als wenn sich sein Leben nur darum drehen würde. Er hatte die Nase voll davon.

Die Heirat mit Hema würde dem einen Riegel vorschieben. Sie war nicht nur offen für den Vorschlag einer Zweckehe, sondern auch die Tochter eines einflussreichen Unternehmers. In indischen Sozialkreisen hatte er das große Los des Heiratsmarkts gezogen. Hema hob sein gesellschaftliches und geschäftliches Ansehen. Seit die Einladungen für die Hochzeit verschickt worden waren, hatte niemand mehr nach Divya gefragt.

„Ich meine ja nur – es ist noch nicht zu spät, diesen durchgeknallten Plan abzublasen. Du kannst doch nicht jemanden heiraten, den du kaum kennst. Hast du dir mal überlegt, was alles schiefgehen könnte? Wir reden hier von einer lebenslangen Verpflichtung.“

Darüber hatte er sehr wohl nachgedacht und nachdem Divya ihn verlassen hatte, gab es ein paar einfache Regeln in seinem Leben:

Regel 1: Keine Gefühle für eine andere Frau entwickeln.

Regel 2: Sich in keine romantische Situation begeben, die er nicht kontrollieren konnte.

Regel 3: Die Rahmenbedingungen einer Beziehung vorher festlegen und sich daran halten.

„Ich weiß, was ich tue. Nichts wird schiefgehen“, erwiderte Vivek und lächelte.

2. KAPITEL

„Wenn du nicht weißt, wie man einen Hochzeitssari bindet, warum hast du dich dann für einen entschieden?“ Ihre maasi verdrehte die Augen, während sie den Paluv über Hemas Brust drapierte und den zarten Stoff an ihrer Schulter festpinnte.

„Weil ich wusste, dass du ihn für mich binden wirst“, entgegnete sie frech und warf ihrer Tante ein Luftküsschen zu. Als Kind hatte sie sich oft ihre maasi als Mutter gewünscht. Die beiden Frauen ähnelten sich in nichts. Ihre Mutter Aparna war kalt und distanziert, ihre maasi warmherzig, lustig und liebevoll.

Reshma zupfte die Rockfalten des Saris zurecht, damit jede auch die gleiche Breite hatte und sauber bis zum Saum fiel. „Das ging alles so schnell. Ich hatte nicht einmal Zeit, dir ein Geschenk zu besorgen.“

„Du bist hier, mehr Geschenke brauche ich nicht“, sagte Hema.

Reshma richtete sich auf und legte Hema eine Hand unters Kinn. „Möchtest du diese Heirat wirklich? Liebst du Vivek?“

Hema blinzelte. Liebe. Wie sollte sie mit ihrer Tante über Liebe sprechen? Ihre maasi hatte sich dafür gegen ihre Familie gestellt. Sie war mit der Liebe ihres Lebens durchgebrannt, und es war ihr egal gewesen, dass ihre überaus vermögenden Eltern sie deswegen enterbt hatten. Ihr Mann war nur wenige Jahre nach der Hochzeit an Krebs gestorben. Das war schon über zehn Jahre her und doch hatte sie sich auf nichts Neues eingelassen, obwohl sie erst fünfundvierzig war.

Eine Antwort hatte Hema parat. Sie wusste, dass ihre maasi danach fragen würde, also hatte sie die passenden Worte eingeübt. Er ist ein anständiger Mann, ein Mann zum Heiraten. Er versteht mich und will mich unterstützen. Was kann ich mir mehr wünschen? Das hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Wie viele Leute würde sie noch anlügen müssen?

„Vivek und ich haben eine Übereinkunft. Er wird mir meine Fachausbildung in New York ermöglichen.“

Reshma starrte sie mit offenem Mund an. „Du heiratest ihn, damit du diese Ausbildung machen kannst? Ach, Hema. Dafür muss es einen besseren Weg geben. Wenn du Geld brauchst, kann ich dir helfen.“

Sie umarmte ihre Tante. Die Frau arbeitete als Kindergärtnerin und zahlte immer noch die horrend hohen Krankenhausrechnungen ihres verstorbenen Mannes ab. Trotzdem würde sie eine Niere verkaufen, um Hema zu helfen, wenn diese sie darum bat.

„Es geht nicht nur darum. Ich muss sowieso irgendwann heiraten und Vivek ist ein guter Mann. Der Typ Mann, den man heiratet.“

„Du klingst wie Aparna. Es gibt keinen Typ Mann, den man heiratet. Man heiratet die Person, die man liebt.“

Ihre Tante verstand das nicht. Sie stammte aus der gleichen Generation wie Hemas Mutter, in der die Ehe das Leben einer Frau bestimmte. Bei Hema würde ihre Karriere an erster Stelle stehen und ihrem Leben einen Sinn geben.

„Mein Beruf ist die Liebe meines Lebens.“ Nun kamen ihr doch die Tränen, die sie bislang zurückgehalten hatte. Früher war sie so naiv gewesen und hatte geglaubt, dass ihr Leben wie ein Bollywood-Film verlaufen könnte: mit Liebe, Ehe und Karriere. Inzwischen konzentrierte sie sich auf die Träume, die sie aus eigener Kraft verwirklichen konnte.

„Nein, mein liebes Kind. Damit darfst du dich nicht zufriedengeben. Du bist noch so jung und weißt nicht, was es bedeutet, sein Leben allein zu führen. Du wirst deinen Seelengefährten noch finden.“

Maasi, ich brauche keinen Mann, um glücklich zu sein, und will das auch nicht. Ich habe das hier sehr sorgfältig durchdacht.“ Hema reckte das Kinn. „Ich verstehe mich sehr gut mit Vivek, und er wird meine beruflichen Pläne unterstützen. Es ist eine gute Entscheidung.“

„Sei mir nicht böse, Liebes, aber du kannst sehr impulsiv sein. Du denkst nicht immer an die langfristigen Konsequenzen.“

Hema verdrehte die Augen. „Ich plane meine Ärztinnenlaufbahn seit der fünften Klasse. Inwiefern ist das impulsiv?“

„Als du noch ein kleines Mädchen warst, wolltest du einen Hund, aber deine Mutter hat es verboten. Die meisten Kinder hätten gebettelt und mit ihren Eltern verhandelt. Aber du nicht. Du hast dir einen Welpen aus dem Wurf eines Nachbarn besorgt und eine Hausangestellte von deinem Taschengeld bezahlt, damit sie sich in den Dienstunterkünften um ihn kümmert.“

Die Erinnerung brachte Hema zum Lächeln. Einen ganzen Monat hatte es gedauert, bis ihre Mutter es herausfand. Und dann hatte ihr Vater sich eingemischt und dafür gesorgt, dass Hema den Hund behalten durfte, solange er nicht ins Haus kam. Er hatte ihr sogar eine Hundehütte auf dem Grundstück spendiert.

„Mein Liebling, wenn du etwas wirklich willst, dann tust du, was immer dafür nötig ist. Triff nur nicht die falsche Entscheidung, weil du dir diese Ausbildung so sehr wünschst.“

Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Und was, wenn ich das tue? Niemand verstand, dass sie nicht nur aus purem Ehrgeiz Chirurgin werden wollte. Ihr Berufswunsch war ihr Antrieb. Sie hatte nicht nur hart gearbeitet, um diese Chance zu bekommen. Die Ausbildung war ein Erfolg, der nur ihr gehörte. Ihr Vater hatte kein Geld für das Programm gespendet. Kein Gefallen war dafür eingefordert worden. Sie hatte es ganz allein geschafft. Die Zulassung der Universität ermöglichte ihr endlich, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Wenn sie die Facharztausbildung hinter sich hatte und als Ärztin praktizierte, bestimmte sie die Regeln. Kein Mann, sei es nun ihr Vater oder Ehemann, würde über ihre nächsten Schritte entscheiden.

„Es ist nicht nur die Ausbildung, maasi. Diese Ehe verschafft mir Freiheit.“

„Wie das?“

„Hast du vergessen, wie es als Frau in Indien ist? Selbst für privilegierte?“

Reshma wich ihrem Blick aus und zupfte weiter die Falten von Hemas Rock in Form. Zumindest das sollte ihre Tante nachvollziehen können.

„Trotz meiner Ausbildung könnte ich mich finanziell nicht über Wasser halten und deswegen auch keine wichtigen Lebensentscheidungen treffen, wenn ich nicht verheiratet bin. Ich liebe Dad wirklich von Herzen, aber er ist unglaublich konservativ. Er besteht darauf, dass ich heirate.“ Sie atmete tief durch.

Hema und ihr Vater standen sich nahe, und er hatte sie immer unterstützt. Außer bei dem Vorhaben einer unabhängigen Karriere ohne den Schutz einer respektablen Ehe. Von dem lächerlichen Einkommen als Assistenzärztin konnte Hema sich ein Leben in New York nicht leisten – von den nötigen Visa für die Ausbildung einmal ganz abgesehen. Dafür musste sie finanzielle Sicherheit vorweisen und ohne die Unterschrift und den Kontostand ihres Vaters hätte sie nie die nötigen Papiere bekommen. Sie hatte mit ihm diskutiert, ihn angeschrien, geweint, doch er blieb hart, und sie hatte sich mit der Tatsache abgefunden, dass eine Ehe unumgänglich war.

„Vivek hat die gleichen indischen Werte wie ich, ist aber ein moderner Mann. Er wünscht sich eine Lebenspartnerin, jemanden, der ihn versteht. Nach der Ausbildung in den USA eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Ich kann fast überall praktizieren, meine eigenen Entscheidungen treffen, mein Leben leben, wie ich es will. Warum ich diese Unabhängigkeit will, solltest du doch am besten verstehen.“

Reshma schwieg einen Moment und Hema betrachtete ihr Spiegelbild, als sie den Sari mit einigen letzten Handgriffen fertig band. Der blassrosa Chiffon war mit feinem Silberfaden bestickt und winzige Perlen schimmerten wie Diamanten auf ihrem ganzen Körper. Die Bluse schloss knapp unter ihrer Brust ab und der kleine Verschluss unter dem großen Rückenausschnitt bestand aus einer perlenbesetzten Schnürung. Der Rockfalten fielen aus Bauchnabelhöhe bis zum Boden und das durchsichtige Material betonte ihre Taille hervorragend. „Sieht gut aus, maasi.

„Ich will nur, dass du eins weißt, Hema.“

Sie wappnete sich innerlich gegen eine weitere Warnung.

„Wenn du einen Fluchtwagen oder ein – boot brauchst, fahre ich.“

Hema versuchte, maasi zuzuhören, doch Vivek kam auf sie zu und beanspruchte damit ihre Aufmerksamkeit. Die Verlobungsparty war in vollem Gange. Der Innen- und Außenbereich des Lido Decks war mit Lichtergirlanden und kunstvoll drapierten Stoffbahnen geschmückt und am Buffet warteten kleine Tellerchen mit Samosas, Chaat und Mini-Gläser mit Mangolassi.

Hema konnte kaum den Blick von ihrem Verlobten abwenden. Wieso war ihr bis jetzt nicht aufgefallen, wie attraktiv er war? In dem schlichten Sherwani sah er absolut umwerfend aus. Während der letzten Stunde war er vollauf mit den Gästen beschäftigt gewesen, während sie sich mit zahlreichen Tanten und Onkeln herumschlagen musste, die sie nicht einmal kannte. Wieder einmal war sie dankbar für die indische Kultur, in der alle älteren Menschen mit Tante oder Onkel angesprochen wurden, unabhängig davon, ob und wie man tatsächlich mit ihnen verwandt war.

„Tante Reshma, du siehst fantastisch aus“, begrüßte Vivek sie.

„Natürlich tue ich das. Was glaubst du, woher Hema das hat? Aber nenn mich doch bitte maasi. Tante ist für alte Frauen, an deren Namen man sich nicht erinnert.“

Hema und Vivek lachten und Reshma ließ die beiden allein.

„Wie viele von den Leuten hier kennst du?“, fragte Vivek grinsend.

„Abgesehen von dir, meinen Eltern und meiner maasi? Einen vielleicht. Vorhin habe ich ein paar meiner Studienkolleginnen gesehen, aber ich vermute stark, dass die sich inzwischen ins Casino abgesetzt und dort Spaß haben.“

„Du siehst übrigens großartig aus.“ Seine Stimme klang auf einmal noch tiefer, was ihr einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte.

Autor

Sophia Singh Sasson
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Nights at the Mahal