Nicht so stürmisch, Hannah

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Der anziehenden Hannah zu widerstehen, fällt Adam Roth unsagbar schwer. Aber der junge Bürgermeister des beschaulichen Little Haven hat mit Großstädterinnen schlechte Erfahrungen gemacht. Also versucht er, nicht auf die Avancen der attraktiven New Yorkerin einzugehen…


  • Erscheinungstag 23.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753269
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Was heißt das, ich soll allein nach Little Haven fahren?“

Hannah Cavanaugh starrte ihre Mutter, die an ihrem massiven Teakholzschreibtisch saß, an. Sie schien mit einem Dutzend verschiedener Arbeiten zu beschäftigt, sodass sie dem aktuellen Thema keine rechte Aufmerksamkeit widmen konnte. Aber das kannte Hannah schon.

„Nun, ich kann jedenfalls nicht fahren“, antwortete Hillary Cavanaugh, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Tochter anzublicken. „Du weißt, wie beschäftigt ich bin. Wenn ich eine Vernissage, ein Fernsehinterview oder auch nur einen albernen Fototermin versäume, nehmen meine Kunden das ganz schnell zum Anlass, sich von ihrer Werbemanagerin zu trennen. Ich muss immer präsent sein und ihnen alle Unannehmlichkeiten aus dem Weg räumen.“

Für jeden anderen hätte der klagende Unterton, der Hillarys Worte begleitete, perfekt ein Leiden zum Ausdruck gebracht, durch das man die Sympathie des Zuhörers gewinnt. Hannah hörte diesen leeren, von ihrer Mutter häufig gebrauchten Ton sehr wohl, reagierte jedoch nicht.

„In dieser Branche gibt es eben keine Nebensaison.“

Wie viele Male hatte Hannah diese Bemerkung schon gehört? Wie viele Male hatte ihre Mutter diese Entschuldigung in den vergangenen Jahren als Alibi benutzt, um allen wichtigen Ereignissen in Hannahs Leben fernzubleiben?

Stop, ermahnte sich Hannah, Mutter arbeitet hart. Die Menschen, für die sie arbeitet, liegen ihr am Herzen. Ihr liegt etwas an dir, und sie hat dir ihr Bestes gegeben.

Und dann fiel ihr außerdem ein, dass Hillary immerhin der Elternteil war, der sie hatte haben wollen.

Ein längeres Schweigen folgte, und Hannah hatte Mühe, einen tiefen Seufzer zu unterdrücken. „Aber Mutter, dein Ehemann ist gestorben“, versuchte sie es schließlich noch einmal. „Meinst du nicht, du solltest hinfahren und ihm die letzte Ehre erweisen?“

„Mein Exehemann“, verbesserte Hillary Hannah mit Bestimmtheit. „Und keiner von uns beiden hat den Mann seit zwanzig Jahren gesehen. Außerdem ist er schon beinahe einen Monat tot. Ich bin sicher, die Beisetzung hat bereits stattgefunden. Es sei denn, die Hinterwäldler dieser kleinen Stadt pflegen ein Trauerritual, das sich über Wochen erstreckt.“ Sie blickte kurz auf. „Was mich allerdings kaum wundern würde“, fügte sie arrogant hinzu.

Der selbstgefällige Ton ihrer Mutter ärgerte Hannah. „Aber Mutter“, begann Hannah, „wäre es nicht das Beste, wenn du …“

Der rügende Blick ihrer Mutter aus zusammengekniffenen Augen ließ Hannah verstummen.

„Ich verlasse die Stadt auf keinen Fall. Ich habe Kunden, die mich brauchen.“ Hillary lächelte kühl. „Du wirst nicht viel Zeit brauchen, um die Angelegenheiten deines Vaters zu ordnen. Ehe du dich versiehst, bist du wieder im Krankenhaus und kämpfst um deine Beförderung in deiner Krankenschwesternkarriere. Das ist es doch, was du willst, oder?“

Hannah war erstaunt. Ihre Mutter zeigte sich heute erstaunlich verständnisvoll. Meistens klang Hillarys Stimme viel spöttischer, sobald das Thema auf Hannahs Karriere kam. Aber heute war es anders. Vermutlich liegt das daran, überlegte Hannah, dass Mutter etwas von mir will. Nicht, dass Hillary ihre Tochter tatsächlich um einen Gefallen gebeten hätte – keine Spur. Aber das war von ihrer Mutter ohnehin niemals zu erwarten.

Hannah kam zu dem Schluss, dass diese Reise offensichtlich nicht zu umgehen war. „In Ordnung“, räumte sie ein. „Dann muss ich rasch alles Notwendige in die Wege leiten. Diese Beförderung bedeutet mir sehr viel. Ich kann mir auf keinen Fall erlauben, länger als eine Woche – höchstens zwei – fort zu sein.“

„Es wird sicher nicht so lange dauern, das Mobiliar zu verkaufen, das sich noch in dem Haus befindet“, meinte Hillary gelassen. „Nimm Verbindung zu einem Auktionator auf. Selbst in einem solchen Kaff wie da unten muss es Nachlassversteigerungen geben. Und anschließend überlässt du das Haus einfach einem Immobilienmakler. Du brauchst nicht in Little Haven zu bleiben, bis sich ein Käufer findet.“

Plötzlich wurde Hannah nachdenklich. Eine Frage, die ihr auf der Zunge brannte, musste noch gestellt werden. Auch wenn sie nicht gerade erpicht darauf war, das unerwünschte Thema anzusprechen.

Genau zwei Male in ihrem Leben hatte Hannah dieses Tabu Thema angesprochen. Das erste Mal, als sie noch sehr jung war, ungefähr zehn Jahre alt, wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte. Damals hatte ihre Mutter die Frage absichtlich überhört. Beim zweiten Mal kam es zwischen Hannah und ihrer Mutter zu einem furchtbaren Streitgespräch, das in dem längsten Schweigen in der Geschichte ihrer Mutter-Tochter-Beziehung geendet hatte. Hannah war nicht gerade erpicht darauf, diese Erfahrung zu wiederholen.

Sie nahm all ihren Mut zusammen. In ihrem Herzen wusste sie, dass diese Frage keinesfalls umgangen werden durfte. „Was ist mit Tammy?“

Hillarys Miene veränderte sich kaum merklich, aber Hannah war sicher, dass ihre Mutter größte Mühe hatte, nicht die Fassung zu verlieren. Ein langes Schweigen folgte.

Ohne aufzublicken, antwortete Hillary schließlich doch. „Du wirst selbst herausfinden müssen, wo sie lebt. Frag in der nächstgelegenen staatlichen Einrichtung nach. Finde heraus, ob der Staat für ihren Unterhalt aufkommt. Ich bin überzeugt, das ist der Fall, denn dein Vater konnte einen Job nie länger als einen Monat am Stück halten.“

Dein Vater. Hannah überlief eine Gänsehaut.

Hillary benutzte ihrer Tochter gegenüber nur selten die Bezeichnung „dein Vater“ für ihren Exmann. Bei den höchst seltenen Gelegenheiten, bei denen sie über ihn sprachen, gebrauchten sie normalerweise seinen vollen Namen.

Und genau das hatte Hillary getan, als sie Hannah die Neuigkeit vom Tode ihres Vaters mitteilte. „Bobby Ray Cavanaugh ist gestorben“, hatte sie berichtet.

Was für Gefühle hatte diese Mitteilung in Hannah ausgelöst? Hannah konnte es nicht sagen. Sie hatte sich nicht erlaubt, darauf zu reagieren. Stattdessen verdrängte sie die Realität dieser Nachricht und schaltete sozusagen auf Automatik. Es wäre unklug gewesen, vor ihrer Mutter Gefühle zu zeigen, das liebte Hillary nicht. Außerdem wusste Hannah, dass ihre Mutter die Gedanken und Gefühle anderer Menschen zu einem späteren Zeitpunkt durchaus gegen diese zu verwenden verstand.

Deshalb unterdrückte Hannah die aufflammenden Empfindungen, die diese unerwartete Nachricht hervorgerufen hatte. Sie konzentrierte sich auf das, was getan werden musste. Mit ihren Gefühlen wollte sie sich später auseinandersetzen.

„Wenn der Hausverkauf erledigt ist“, fuhr Hillary fort, „kannst du eine Art Girokonto für das Mädchen einrichten.“

Das Mädchen. Das Mädchen! Hannah schluckte den Zorn hinunter, der sie langsam packte, aber sie ließ sich noch immer nichts anmerken.

Vielleicht kann sie nichts für ihre Gleichgültigkeit, versuchte Hannah ihre Mutter im Stillen zu verteidigen. Mutters Art, mit gewissen Situationen fertig zu werden, hatte schon immer darin bestanden, sich vollkommen von ihnen zu distanzieren. Dennoch, der Tod von Bobby Ray bedeutete, dass Gleichgültigkeit und Abstand halten nicht länger funktionierten.

Die Gedanken an Tammy ließen Hannah nicht mehr los. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Hannah eine Spur von … etwas in sich lebendig werden. War es Aufregung? Freude? Sie konnte es nicht sagen. Im Moment wusste sie nur, sie musste das Büro ihrer Mutter verlassen, bevor diese begann, ihr noch weitere, detaillierte Aufgaben zu übertragen, die Tammy betrafen.

„Ich fahre nach Little Haven“, erklärte Hannah plötzlich überstürzt, während sie bereits zur Tür ging. „Ich kümmere mich um alles. Keine Sorge.“

„Nun, …“

Hannah wartete nicht, bis Hillary ihren Satz beendete, und drehte sich um.

„… solltest du Schwierigkeiten bekommen, ruf mich an.“

Hillarys Worte ärgerten Hannah. Ihre Mutter pflegte ihre Sorge immer mit der Floskel „solltest du Schwierigkeiten bekommen“ einzuleiten. Was Hannah jedoch diesen Worten entnahm, war: „Belästige mich nicht, außer, wenn es absolut erforderlich ist.“

Wie auch immer, eigentlich war Hannah ihrer Mutter dankbar für das distanzierte Verhalten. Genau dieser Erziehungsmethode verdankte sie es nämlich, dass sie sich zu der unabhängigen Frau entwickelt hatte, die sie heute war.

„Und Hannah, ich will nicht, dass du …“

„Ich sagte, ich kümmere mich um alles“, rief Hannah über ihre Schulter zurück. Und da sie sehr gut wusste, was ihre Mutter noch hinzufügen wollte, ließ sie die Tür nicht zu leise hinter sich ins Schloss fallen.

Auf dem Weg über den Flur zum Lift fühlte Hannah, wie die zuvor nur leichte Erregung in ihr wuchs. Tammy! Sie würde nach Little Haven fahren und nach Tammy suchen. Und wenn überhaupt eine Möglichkeit bestand, wollte sie sich Zeit nehmen für einen netten, ausgedehnten Besuch.

Hillary würde entsetzt sein, wenn sie das herausfand. Hannah war überzeugt, dass ihre Mutter ihr noch hatte verbieten wollen, Tammy zu besuchen. Dennoch, sie wusste, sich noch länger blind zu stellen, war keine Lösung. Tammy brauchte jemanden, denn Bobby Ray war nicht mehr für sie da.

Komme, was da wolle, Hannah war entschlossen, Tammy neu kennenzulernen. Und wenn möglich, wollte sie selbst der Mensch sein, auf den sich ihre Schwester in der Zukunft verlassen würde.

1. KAPITEL

Laut ratternd und ächzend holperte Hannahs Wagen durch die Schlaglöcher der staubigen Straße, die zu ihrem Elternhaus führte. Die dichte Vegetation schützte das Haus vor dem Sonnenlicht und spendete Kühle. Hannah verspürte ein flaues Gefühl im Magen.

Es war ihr unmöglich, die Vielzahl der Empfindungen zu beschreiben, die sie in diesem Augenblick aufwühlten. Ihre Erinnerungen an das große Haus inmitten mächtiger Bäume am Ende der Straße waren so verschwommen wie unscharfe Fotos.

Wenn Hannah an Bobby Ray – ihren Vater – dachte, sah sie nur schattenhafte Bilder vor dem inneren Auge. Eine große, vornehme Gestalt, ein breites, herzliches Lächeln. Ein Lachen, das warm und strahlend wie ein sonniger Sonntagnachmittag wirkte. Jedenfalls glaubte sie, sich an ein warmes Lachen zu erinnern. Trotz größter Anstrengung konnte sie sich im Moment aber weder an den Klang noch an den begleitenden Gesichtsausdruck erinnern.

Die Liebe, die sie ihrem Vater als Kind entgegenbrachte, war tief und in ihrer Intensität absolut beglückend gewesen. Aber Hannah wusste, dass die Erinnerung an ihre Liebe zu Bobby Ray geschwächt war durch den Schmerz, den der Fortgang von Little Haven und damit die Trennung von ihrem geliebten Daddy ausgelöst hatte.

Hör auf, Hannah, verlangte eine Stimme in ihrem Inneren, schließ die Tür hinter deiner traurigen Vergangenheit. Dein Selbstmitleid frisst dich noch auf, wenn du dich zu sehr darin verlierst. Es gibt so viel zu tun.

„Denk an das Haus.“ Hannah flüsterte die Worte, während sie mit ihrem Wagen erneut durch ein Schlagloch rumpelte.

Sie verdrängte die verwirrenden Gefühle, die durch die Erinnerungen an ihren Vater wieder lebendig geworden waren. Lächelnd versuchte sie, sich ihr Elternhaus vorzustellen, das mit seiner umlaufenden Veranda und dem überladenen Schmuckwerk in ihrer Erinnerung einem riesigen Puppenhaus ähnelte. In den letzten Jahren hatte sie es nur selten zugelassen, Gedanken an dieses Haus zu verlieren. Wenn sie es aber doch tat, war ihr jedes Mal ganz warm ums Herz geworden.

Während ihrer einsamen Kindheit, die Hannah ohne ihren Vater erleben musste, hatte sie Zuflucht gesucht in der Erinnerung an die Zeiten, die sie zusammen mit ihrem Daddy daheim in diesem geräumigen Haus verbracht hatte. Das Haus, das sie vor ihrem inneren Auge sah, war beeindruckend in seiner Schönheit und wartete nur darauf, sie zu empfangen …

In diesem Moment erreichte Hannah eine Lichtung, und das Haus kam in Sicht.

Vor Schreck blieb Hannah beinahe die Luft weg. Ihre Augen weiteten sich, als sie den Wagen zum Stehen brachte.

Sie blinzelte mehrmals, dann starrte sie nur noch hin. Das wunderschöne Haus ihrer Erinnerung war jetzt nur noch ein schäbiges Gebäude, dessen Farbe von den Wänden abblätterte. Das Buschwerk wucherte so hoch, dass es die Fenster des ersten Stockes verdeckte. Eine Seite der Veranda hatte sich deutlich gesenkt. Das Haus, im viktorianischen Stil erbaut, wirkte armselig und war vollkommen verfallen.

Hannah lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Offensichtlich hatte ihr Vater über die Jahre keinen Finger gerührt, um das Haus instand zu halten. Wie hatte er es nur zulassen können, dass sein Heim in einen solchen Zustand geriet? Hannah seufzte. Sie wusste, eine Antwort auf diese Frage würde sie niemals bekommen.

Büschel von Gras blieben an den Absätzen ihrer Schuhe hängen, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war. Sie schloss die Tür und wurde als Erstes von dem fettesten Kater begrüßt, den sie jemals gesehen hatte.

„Hallo“, murmelte Hannah. Mit seinem orangefarbenen Fell strich er um ihre Beine, aber bevor sie ihn streicheln konnte, verschwand er in den Büschen. Hannah richtete sich wieder auf und schaute zu dem Haus hinüber.

Auf einmal wurde ihr bewusst, wie merkwürdig dieses große viktorianische Haus mitten im Wald wirkte. Man könnte meinen, dass hier ein Blockhaus oder ein Haus mit weit herabgezogenem Dach besser gepasst hätte. Aber wie auch immer …

Als Hannah in der Nähe Hammerschläge hörte, blieb sie stehen und neigte den Kopf. Sie runzelte die Stirn. Woher mochte das Geräusch kommen? Immerhin war sie mindestens eine Meile auf der Hauptstraße gefahren, ohne ein anderes Haus zu sehen. Aber vielleicht verbargen sich noch weitere Häuser hinter den alten Bäumen, genau wie das ihres Vaters.

Für einen Moment verstummte das Hämmern, aber dann war es doch wieder zu hören. Nun kam das Geräusch aus geringerer Entfernung. Ja, es schien ganz nahe.

Mit den hohen Absätzen durch das hohe Gras zu gehen war nicht einfach. Aber schließlich gelangte Hannah zur Rückseite des Hauses. Erneut war das Hämmern verstummt. Hannah blickte sich um, schaute zu den Bäumen am Rand des Waldes.

Als ihr Blick zum Haus zurückschweifte, weckte eine Bewegung ihre Aufmerksamkeit. Sie schaute zum Dach hinauf.

Ein breiter muskulöser Rücken – nackt und männlich – glänzte dort im Sonnenschein. Das Gewicht des Mannes ruhte auf einem Bein. Mit dem anderen hielt er sein Gleichgewicht, indem er es auf höher gelegene Ziegel stützte. Er griff in seine Arbeitsschürze, wohl um Nägel herauszunehmen. Dann beugte der Mann sich vor, setzte einen Nagel auf einen Dachziegel und trieb ihn mit eleganten, schwungvollen Hammerschlägen ein. Bei jedem Schlag spannten und streckten sich Arm-, Schulter- und Rückenmuskeln. Die Bewegungen wirkten präzise und stark, und die Haltung des Mannes brachte sein in knappen Jeans sitzendes Hinterteil perfekt zur Geltung.

Die Krankenschwester in Hannah weigerte sich, in der knackigen Rundung mehr zu sehen als dessen anatomische Funktion – eben ein Gesäß. Aber gleichzeitig gestand sie sich ein, dass dies das perfekteste männliche Hinterteil war, das sie je gesehen hatte.

Bei dem Gedanken atmete sie einmal tief durch, wandte aber den Blick keinen Moment von dem Mann dort oben auf dem Dach. Was war los mit ihr?

Erneut legte der Mann eine Pause ein. Dieses Mal legte er den Hammer nieder und langte in seine rückwärtige Tasche. Mit einem weißen Taschentuch wischte er sich über die Stirn, und Hannah stöhnte innerlich, während sie das Muskelspiel seines kräftigen Oberkörpers im warmen Sonnenlicht beobachtete.

Erst jetzt fielen ihr seine Hände auf. Von all der Arbeit müssen sie voller Schwielen sein, überlegte sie und stellte sich insgeheim vor, wie sich die rauen Fingerspitzen wohl auf der samtenen Haut einer Frau anfühlten …

Der Gedanke erregte Hannah, und ihr Puls begann schneller zu schlagen.

Sie schluckte und versuchte vergebens, den Blick von dem Mann auf dem Dach abzuwenden.

Unbewusst machte sie einen Schritt vorwärts, wobei sich ein Absatz ihrer Schuhe in dem hohen Gras verfing. Hannah stolperte. Erschrocken schrie sie auf, konnte sich aber noch rechtzeitig fangen.

Als sie danach sofort wieder zum Dach hinauf schaute, blickte der Mann auch zu ihr.

Plötzlich war Hannah unheimlich dankbar, dass sie gestolpert war. Es wäre doch zu peinlich, wenn der Handwerker bemerkt hätte, dass sie ihn anstarrte.

„Hallo“, begrüßte er sie. Dabei lächelte er, auf seinen Wangen bildeten sich kleine Grübchen, und seine Augen blickten Hannah voller Wärme an.

Der Anblick seines attraktiven Gesichts und seines charmanten Lächelns verwirrte Hannah zunehmend. Der Grund für ihre Reise war ihr plötzlich vollkommen entfallen.

Glücklicherweise war es gerade jetzt nicht erforderlich zu sprechen, denn der Mann nahm seinen Hammer wieder in die Hand, steckte ihn in eine Schlaufe an seinem Arbeitsgürtel und kletterte die Leiter hinunter, die an der Seite des Hauses lehnte. Es dauerte eine Weile, bis er unten ankam – wertvolle Minuten, die Hannah dazu benutzte, ihr Herzflattern und das Zittern ihrer Hände zu beruhigen, sowie ihre höchst unpassenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen.

Einfach albern, sagte sie sich. Ihre Arbeit als Krankenschwester brachte sie beinahe täglich in Kontakt mit nackten Körpern. Schließlich konnte man Patienten nicht bekleidet versorgen. Warum also richtete der Anblick dieses bloßen Oberkörpers solch ein Durcheinander in ihr an und weckte so erregende Gedanken?

Doch noch bevor sie Zeit hatte, eine Antwort zu finden, stand der Mann vor ihr.

Von Nahem war er noch attraktiver. Das verwirrende Blaugrau seiner Augen strahlte unter dichten dunklen Wimpern. Schwarze Augenbrauen betonten die hohe Stirn mit den feinen Linien, die Hannah verrieten, dass der Fremde etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt sein musste. Das tiefschwarze Haar schimmerte feucht am Ansatz von der Arbeit auf dem Dach und glänzte im Nacken sowie auf seiner sonnengebräunten mit staubbedeckten Brust.

Unbewusst fuhr sich Hannah mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. Sie blinzelte mehrmals und zwang sich dann, den Blick wieder auf sein Gesicht zu richten. Das belustigte Aufleuchten in seinen Augen ließ keinen Zweifel, dass er Hannahs Bewunderung sehr wohl bemerkt hatte. Sie fühlte, wie ihr Gesicht zu glühen begann.

„Entschuldigen Sie mich noch einen Moment“, bat der Mann und ging an Hannah vorbei. Er nahm das Ende des grünen Gartenschlauchs vom Boden auf, drehte am Wasserhahn, beugte sich ein wenig vor und duschte seinen Oberkörper ab. Dabei fuhr er sich mit der freien Hand über Brust, Schultern, Nacken und Gesicht und kämmte sich mit den Fingern durchs Haar.

Hannah verspürte den unwiderstehlichen Drang in sich, selbst den Schlauch in die Hand zu nehmen und das Wasser über die Brust dieses Unbekannten zu spritzen, dabei aber sacht mit den Fingern seine breiten Schultern zu massieren …

Der Wunsch war so groß, dass sie nicht mehr klar zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte. Und gleichzeitig fand sie ihre Haltung so schockierend, dass sie die Augen schloss. „Ich werde noch wahnsinnig“, murmelte sie.

„Bitte?“

Der Mann hatte das Wasser abgestellt und den Schlauch beiseitegelegt. Mit seinem Taschentuch trocknete er sich das Gesicht und hob dann ein T-Shirt auf, das zusammengeknüllt auf dem Rasen lag.

Sag was, ermahnte sich Hannah insgeheim. Sprich übers Wetter, über irgendetwas, nur sag irgendetwas, das dem Mann beweist, dass du kein Vollidiot bist.

„Ich sagte, was für herrliches Wetter wir heute haben.“

Hannah konnte seinem Gesicht ansehen, dass ihn ihre Verlegenheit belustigte. Sehr sogar.

Was um Himmels willen war los mit ihr? Normalerweise war sie eine überlegte, vernünftig denkende Person. Eine Frau, die einen Mann niemals und unter gar keinen Umständen anzustarren pflegte.

Aber es ist nicht allein meine Schuld, überlegte sie. Wenn er sich nicht so zur Schau gestellt, stattdessen aber seine nackte Haut bedeckt hätte, dann wäre ich auch in der Lage gewesen, meine Gedanken wichtigeren Dingen zuzuwenden.

Wie zum Beispiel der Frage, wer er war. Wie kam er überhaupt dazu, hier auf dem Haus ihres Vaters zu arbeiten, und wer hatte ihm die Erlaubnis gegeben?

Bei so vielen Fragen, die Hannah durch den Kopf wirbelten, konnte sie nicht länger schweigen. „Wer sind Sie?“, fragte sie schließlich. „Was tun Sie hier?“

Adam konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Die Frau versuchte offensichtlich, mit ihrer abweisenden Haltung von den bewundernden Blicken abzulenken, die sie ihm zuvor geschenkt hatte. Während er sich bemühte, seine Belustigung zu verbergen, steckte er die Arme in die Ärmel seines T-Shirts und streifte es sich über den Kopf.

Es war ihm zweifellos richtig durch und durch gegangen, wie die schöne Rotblonde seinen Körper mit ihren strahlend grünen Augen angestarrt hatte. Die erregenden Impulse, die von ihr zu ihm übersprangen, erinnerten ihn an ein Sommergewitter, und es war lange her, dass er Ähnliches verspürt hatte.

„Ich bin Adam“, erklärte er Hannah. „Adam Roth. Und ich war da oben auf dem Dach, um es zu reparieren.“

Hannah stemmte eine Hand in ihre schmale Taille. „Nun, das habe ich gesehen. Aber warum?“

Jetzt konnte Adam sein Grinsen nicht mehr unterdrücken, während er höflich Auskunft gab. „Weil es undicht war.“

Als daraufhin ihre schönen, wie zum Küssen gemachten Lippen irritiert zitterten, hätte Adam am liebsten laut aufgelacht. Aber er hielt das nicht für klug.

Immerhin gelingt es ihr jetzt, wenn auch mit Mühe, ihren Blick auf mein Gesicht zu konzentrieren, stellte Adam fest. Dennoch war ihm vollkommen klar, dass sie viel lieber seinen ganzen Körper von oben bis unten gemustert hätte.

Aufrichtig gesagt, Adam empfand Hannahs deutliche Begeisterung für ihn – vorsichtig ausgedrückt – als sehr angenehm für sein Selbstwertgefühl.

Seine banale Antwort auf ihre etwas dumme Frage hatte ihre grünen Augen zornig funkeln lassen, und Adam fand, dass sie in ihrer erregten Stimmung noch viel reizvoller aussah.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie, während sie sich zwang, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Ich habe mich offensichtlich nicht verständlich ausgedrückt. Ich wollte wissen, wer Sie beauftragt hat, das Dach zu reparieren.“

Was soll das denn sein, überlegte Adam, ein Verhör? Beim Klang ihrer misstrauischen Stimme verging ihm das Lachen. Ja, ihr Ton ging ihm ziemlich auf die Nerven.

„Bevor ich Ihre Frage beantworte“, begann Adam, verlagerte sein Gewicht und kreuzte die Arme vor der Brust, „möchte ich gerne wissen, wer diese Frage stellt.“

2. KAPITEL

Der Mann brachte Hannah noch zur Raserei. Für wen hielt sich dieser Zimmermann, dieser Handwerker eigentlich? Wie kam er dazu, ihr Recht infrage zu stellen, sich nach seiner Identität und seiner Arbeit an dem Haus ihres Vaters zu erkundigen? Wirklich, der Kerl war einfach unmöglich.

„Sehen Sie“, sagte Hannah, „ich weiß nicht, wer Sie sind, aber …“

„Ich sagte schon, wer ich bin“, entgegnete Adam ruhig. „Und nun versuche ich herauszufinden, wer Sie sind.“

Aus irgendeinem ihr selbst unerfindlichen Grund wollte Hannah dem Unbekannten nur ungern etwas über sich selbst erzählen. Dennoch zweifelte sie, dass er sich zufriedengeben würde, bevor sie ihm nicht irgendetwas über den Anlass ihrer Anwesenheit hier in Little Haven mitteilte.

„Ich komme aus New York.“ Ihre Stimme klang gepresst. „Ich will den Verkauf des Hauses und seines Mobiliars in die Wege leiten. Wenn Sie also nichts dagegen haben, möchte ich gern erfahren, wer Ihnen den Auftrag gegeben hat, das Haus zu renovieren, und wie hoch die von Ihnen erwartete Bezahlung ist.“

Adam kniff die Augen zusammen, während Hannah sprach. „Was haben Sie gesagt?“

Hannah beobachtete den Mann und überlegte, was wohl die plötzliche Änderung seiner Haltung bewirkt hatte. Sie war sicher, ihn störte die Tatsache, dass sie das Thema „Lohn“ angesprochen hatte.

„Bevor ich der Bezahlung zustimmen kann, ist es, glaube ich, nur fair, wenn ich erfahre, wie viel mich das kosten wird. Meinen Sie nicht auch?“

Adam schien verwundert. „Ich erwarte keine Bezahlung“, erklärte er.

Unbewusst zog Hannah einen Schmollmund. Doch bevor sie einen Zweifel äußern konnte, fuhr Adam fort: „Sie dürfen das Haus nicht verkaufen.“

Aha, dachte Hannah, das hat ihn also so aufgebracht.

„Was wird aus Tammy? Was geschieht …“

Autor

Donna Clayton
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