Romana Exklusiv Band 319

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LIEBESSOMMER FÜR EINE PRINZESSIN von JACKIE BRAUN
Ein letztes Mal frei sein, bevor sie gekrönt wird: Mit diesem Wunsch reist Prinzessin Hollyn nach Heart Island. Zauberhafte Sommer hat sie hier verlebt, was besonders an Nate Matthews lag … Noch immer ist da diese zärtliche Sehnsucht - und noch immer scheint eine gemeinsame Zukunft unmöglich!

SEHNSUCHT UNTER SÜDLICHER SONNE von MARGARET WAY
Genevieve ist überwältigt von der Schönheit der australischen Landschaft - und von der Anziehungskraft des muskulösen Rinderbarons Bret Trevelyan. Eigentlich wollte sie auf seiner Ranch das Geheimnis ihrer Familie aufklären, doch wie soll sie sich bei diesen heißen Küssen konzentrieren?

DAS GEHEIMNIS DES WÜSTENPRINZEN von MELISSA JAMES
Alles wird gut, flüstert Hana dem Bewusstlosen zu. In der Nähe des Wüstendorfes, in dem sie als Krankenschwester arbeitet, hat sie ihn gefunden. Als er endlich die dunklen Augen aufschlägt … ist sie rettungslos verliebt! Sie ahnt nicht, wer er ist: der mächtige Scheich Alim El-Kanar.


  • Erscheinungstag 07.02.2020
  • Bandnummer 319
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748852
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jackie Braun, Margaret Way, Melissa James

ROMANA EXKLUSIV BAND 319

1. KAPITEL

Hollyn Elise Phillipa Saldani machte immer genau das, was man von ihr erwartete. Als die Nächste in der Thronfolge des kleinen Fürstentums Morenci am Mittelmeer wusste sie schon seit frühester Jugend, worin ihre Pflichten bestanden und hatte sie immer genauestens erfüllt. Aber als sie ihren Chauffeur bat, sie zum Flughafen zu bringen, sah er sie so an, als hätte sie eine fremde Sprache gesprochen.

„Zum Flughafen, Eure Hoheit?“, fragte Henry verblüfft.

Hollyn lehnte sich in den Ledersitz der Limousine zurück und spielte mit ihrem Rock. Obwohl ihr das Herz bis zum Halse schlug, sagte sie so ruhig wie immer: „Ja, zum Flughafen.“

Das genügte Henry aber noch nicht. Zögernd fragte er: „Wollen Sie jemanden zur Gartenparty abholen? Davon hat mir die Fürstin aber nichts gesagt.“

Das war natürlich auch kein Wunder. Olivia Saldani, ihre Mutter, hatte es deshalb nicht erwähnt, weil Hollyn sie nicht darüber informiert hatte, dass sie noch in allerletzter Minute ihre Pläne geändert hatte.

„Nein, wir holen niemanden ab.“ Nervös fuhr Hollyn sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Die Würfel waren gefallen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie musste Henry reinen Wein einschenken. „Sie bringen nur jemanden zum Flughafen. Und zwar mich.“

Henry räusperte sich. „Bitte entschuldigen Sie – habe ich Sie richtig verstanden?“

„Allerdings.“ Trotz ihrer Nervosität musste sie lächeln. „Ihr Gehör ist immer noch so gut wie damals, als ich sechzehn war und mit meiner Cousine Amelia den Bentley entführt habe.“

„Ja, aber nur, weil Sie dabei so laut gekichert haben, Eure Hoheit.“

Sie seufzte. „Bitte sagen Sie doch einfach nur Hollyn zu mir.“

Aber sie wurde schon seit Jahren nicht mehr nur „Hollyn“ genannt. Weder von Henry noch von den anderen Bediensteten im Palast. Oder von den Bewohnern des Fürstentums, in dem sie eines Tages herrschen würde. Für sie war sie Prinzessin Hollyn, Tochter von Fürst Franco und Fürstin Olivia, die Nächste in der Thronfolge von Morenci. Außerdem ging das Gerücht um, dass sie sich demnächst mit einem der erfolgreichsten jungen Geschäftsmänner des Landes verloben würde.

All dies gehörte zu ihren Pflichten, das verstand sie sehr wohl. Aber ob es ihr gefiel, stand auf einem anderen Blatt. Manchmal wünschte sie sich einfach nur, eine ganz normale junge Frau zu sein, die ein einfaches, durchschnittliches Leben führte.

Holly.

Das war der Kosename aus ihrer Vergangenheit, der über den Atlantik zu ihr hinüberwehte. Plötzlich musste sie an den jungen Mann denken, der sie immer so genannt hatte. Sie sah im Geist seine braunen Augen vor sich, sah sein Lächeln …

Obwohl er damals erst fünfzehn gewesen war, mangelte es Nathaniel Matthews nicht an Selbstbewusstsein. Er war fest entschlossen gewesen, seine Heimat zu verlassen, obwohl seine Familie dort bereits seit zwei Generationen wohnte. Für Hollyn war die Insel, die zwischen Kanada und Amerika im Lake Huron lag, ein wahres Paradies.

Fünf Jahre hintereinander hatte sie immer den Sommer auf Heart Island verbracht. Man hatte die Insel so genannt, weil sie herzförmig war. Hollyn hatte jede Minute genossen, denn niemand hatte ihr vorgeschrieben, was sie tun sollte, und sie konnte völlig anonym sein. Niemand folgte ihr auf Schritt und Tritt, niemand erwartete ihre Anwesenheit bei einem der unzähligen offiziellen Abendessen. Und sie musste sich auch nicht auf den langweiligen Gartenpartys zeigen, wo sie unaufhörlich angestarrt wurde.

„Zum Flughafen“, sagte sie daher erneut. „Ein Flieger wartet auf mich.“

Es war nicht der Jet des Fürsten, sondern ein Privatflugzeug, das sie extra für diese Reise gechartert hatte. Hollyn blieb nicht verborgen, dass Henry alles anderes als begeistert war. Aber das war er noch nie gewesen – in seinen Augen war sie viel zu eigenwillig. Trotzdem hatten sie viel Spaß miteinander gehabt hatten, als er ihr das Autofahren beigebracht hatte. Heute allerdings schien er nicht zum Scherzen aufgelegt zu sein.

„Ich werde verreisen, Henry.“

„Ihre Mutter hat mir nichts davon erzählt.“

Nervös strich Hollyn sich über den Rock, der ihr plötzlich viel zu elegant vorkam. „Sie weiß ja auch nichts davon.“

Er runzelte erneut die Stirn. „Aber Eure Hoheit …“

Hollyn schloss eine Sekunde lang die Augen. Sie wusste genau, wie sehr die jungen Mädchen ihres Landes sie um ihr luxuriöses Leben beneideten. Aber für sie wuchs sich ihre Position immer mehr zum Albtraum aus.

„Ich bin Hollyn. Bitte, Henry, nennen Sie mich einfach nur Hollyn.“

In diesem Moment mussten sie vor einer Ampel halten. Henry wandte sich zu ihr um und lächelte sie schüchtern an. „Hollyn.“

Obwohl sie sich redliche Mühe gab, standfest zu bleiben, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

„Ich brauche mal Urlaub, Henry. Nur für ein paar Tage, höchstens eine Woche. Ich brauche ein bisschen Zeit ganz für mich allein. Seit ich auf der Welt bin, ist mein Leben total vorherbestimmt. Und jetzt, mit all diesem Druck wegen der Verlobung, der auf mir lastet … ich bitte Sie.“ Ihre Stimme brach.

Wahrscheinlich waren es diese emotionalen Worte, die Henry nicken ließen. Denn schließlich war sie bekannt für ihren Gleichmut.

„Gut, zum Flughafen.“

„Vielen Dank.“

„Gern.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Und was soll ich der Fürstin sagen?“

Hollyn holte tief Atem. Es kostete sie viel Mut, sich gegen ihre Mutter zu stellen. Sie war dafür bekannt, dass sie so etwas nicht auf die leichte Schulter nahm.

„Sagen Sie ihr, dass ich Ihnen befohlen habe, mich zum Flughafen zu bringen. Ich habe auch einen Brief vorbereitet, in dem ich ihr die Gründe für meine Abreise erläutere. Selbstverständlich habe ich sie gebeten, Sie von jeder Verantwortung freizusprechen.“

Er schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich hätte Sie auf jeden Fall zum Flughafen gefahren, das wissen Sie doch.“

Ja, das wusste Hollyn.

Ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel. „Danke, Henry. Mir ist klar, dass ich Ihnen damit einiges zumute.“

Er zuckte die Schultern. „Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein, Hollyn.“

Erneut hatte sie Tränen in den Augen, als sie ihren Vornamen aus seinem Mund vernahm. Aber jetzt war nicht der Moment für irgendwelche Sentimentalitäten. Sie waren nämlich bereits am Flughafen. Henry fuhr die Limousine zu dem kleinen Terminal, der für VIPs und Mitglieder des Fürstenhauses reserviert war und wo sie vor neugierigen Blicken geschützt waren. Es war zwar schon vorgekommen, dass sich irgendwelche Paparazzi hier versteckt hatten. Aber diesmal schien die Luft rein zu sein. Henry holte Hollyns Gepäck aus dem Kofferraum, das aus einem Rollkoffer und drei Designertaschen bestand. Für eine Prinzessin war das eigentlich viel zu wenig. Aber sie wusste ja, dass sie am Ziel ihrer Reise nicht viel brauchen würde. Keine Abendkleider, keinen Schmuck und keine hochhackigen Schuhe. Eigentlich brauchte man dort überhaupt keine Schuhe.

„Ich hoffe, Sie finden, wonach Sie suchen“, sagte Henry, als sie sich im Inneren des Gebäudes befanden, und umarmte sie väterlich. Unwillkürlich musste Hollyn an ihren richtigen Vater denken, der in der Öffentlichkeit niemals irgendwelche Gefühle zur Schau gestellt hätte.

„Im Moment brauche ich nur meine Ruhe“, erwiderte sie seufzend.

„Das wünsche ich Ihnen“, entgegnete er und ließ sie los. „Werden Sie uns schreiben?“

Sie lächelte. „So lange werde ich nun doch nicht weg sein, Henry. Wie ich bereits sagte, höchstens eine Woche.“

Aber er ging nicht auf ihren scherzhaften Ton ein. „Melden Sie sich zwischendurch, ja?“

„Natürlich.“

Als Hollyn sich eine Stunde später in den weichen Ledersessel der Privatmaschine sinken ließ, dachte sie noch einmal über ihren Wunsch nach.

Sie wollte endlich zur Ruhe finden.

Eigentlich ein einfacher Wunsch, nur nicht für eine Prinzessin. Aber es sah fast so aus, als wäre ihr die Flucht gelungen. Die meisten Paparazzi trieben sich heute auf der großen Gartenparty herum, und niemand außer Henry wusste von ihren Reiseplänen. Wenn sie erst auf der Insel gelandet war, würde sich der Rest schon ergeben.

Nate saß auf der Terrasse seines Hauses und verzehrte gerade einen Hamburger, den er auf der Heimfahrt aus dem Pub mitgebracht hatte. Er trank einen Schluck Bier, als er plötzlich das kleine Flugzeug über den Lake Huron kurven sah.

Gar nicht so einfach für ein Wasserflugzeug, hier zu landen, besonders bei dem Wind, dachte er.

Obwohl die Pettibone Bay relativ geschützt lag, ließ der bevorstehende Sturm schon jetzt die Wellen gegen die Felsen krachen. Wenn man dem Wetterbericht vertrauen konnte, sollte es bis Mitternacht noch schlimmer werden. Aber im Sommer war so ein Wetter eigentlich nichts Besonderes, und die Bewohner von Heart Island waren bestens darauf vorbereitet. Die meisten von ihnen waren bereits in ihren Häusern, sie hatten die Boote sicher vertäut.

Was zum Teufel fällt Hank Whitey nur ein, sich ausgerechnet ein solches Wetter für seinen Flug auszusuchen? dachte Nate.

Nun gut, er galt allgemein als ein Mann, der gern etwas riskierte. Besonders beim Poker, wie seine Freunde letzte Woche zu ihrem Leidwesen hatten erfahren müssen. Aber was sein Flugzeug anging, so war das natürlich etwas ganz anderes, denn schließlich verdiente er damit seinen Lebensunterhalt.

Nate ließ die Sache nicht los. Nachdem er sein Bier ausgetrunken hatte, machte er sich auf den Weg zum See. Zum einen war er neugierig, weil er Hanks Erklärung für das waghalsige Manöver hören wollte. Andererseits würde der Pilot möglicherweise auch Hilfe brauchen.

Als Nate am Ziel eintraf, war Hank bereits am Hafenbecken des Haven Marina vorbeigeflogen, das zu der Ferienanlage gehörte, die Nate gehörte. An einem ruhigen Tag wäre Hank mit ziemlicher Sicherheit dort gelandet. Aber heute, bei diesem stürmischen Wind, war daran nicht zu denken. Der Sturm wirbelte das kleine Flugzeug wie einen Spielball durch die Luft.

Zum Glück war Hank ein ausgezeichneter Pilot. Nate erkannte sofort, welche Strategie er verfolgte. Direkt hinter dem Hafenbecken gab es ein kleines Stück Land, von Felsen umsäumt, an dessen Ende ein Leuchtturm stand. Bei einem so heftigen Wind, der die Wellen gegen die Felsen schleuderte, war die Landung natürlich äußerst riskant. Doch Hank meisterte alle Schwierigkeiten.

Nate wartete, bis er den Motor abgeschaltet hatte. Dann zog er seine Schuhe aus und watete hinaus in das knietiefe Wasser. Nur mit Mühe konnte er das Gleichgewicht bewahren, bald waren seine Shorts total durchnässt. Doch dann wurde die Tür aufgerissen, und der Pilot stieß einen Jubelschrei aus, was angesichts der Umstände wirklich nicht übertrieben war.

„Du hast verdammtes Glück gehabt“, rief Nate ihm durch den Sturm zu.

„Hey, Nate, alter Junge! Wie schön, dich zu sehen!“

„Ich freue mich auch – besonders darüber, dass du noch am Leben bist. Was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht?“

In diesem Moment wurde die Seitentür geöffnet. Eine Frau, die hübsch und erstaunlich gelassen war, lächelte Nate an. „Ich fürchte, das Ganze ist meine Schuld. Ich war so versessen darauf, endlich herzukommen, dass ich Mr. Whitey das Dreifache seines normalen Honorars angeboten habe.“

Bei ihrem englischen Akzent horchte Nate auf. Diese Stimme kannte er doch. Er kannte auch … dieses Gesicht. Obwohl schon so viele Jahre vergangen waren, wusste er sofort, wer sie war. Hollyn hatte ein herzförmiges Gesicht, eine kleine, leicht gebogene Nase, wunderschön geschwungene Lippen und Augen, die so blau waren wie der Lake Huron an einem Sommertag.

Sofort fühlte er sich in die Vergangenheit zurückversetzt und merkte, wie sich sein Magen zusammenzog. Er war wieder ein Teenager, sorglos, glücklich, zum ersten Mal verliebt … bis zu dem Moment, wo ihm das Herz brutal aus der Brust gerissen wurde.

„Holly?“

„Ja, ich weiß – es ist schon lange her.“

Sie traute sich, ihn anzulächeln, was Nate grimmig zur Kenntnis nahm. Nach all diesen Jahren fühlte er sich von ihr noch immer betrogen, obwohl er inzwischen natürlich verstand, warum sie ihn an der Nase herumgeführt hatte. Sie hatte einfach zu viel Angst davor gehabt, ihm die Wahrheit zu sagen.

Aber das hielt ihn nicht davon ab, jetzt eine Erklärung von ihr zu verlangen. „Warum bist du gekommen?“

Ihr Lächeln verschwand, sie ließ die Schultern hängen. „Ich musste einmal raus aus allem. Ich brauchte eine … eine Auszeit.“

Nate konnte sofort zwischen den Zeilen lesen. Sie wünschte sich Normalität. Anonymität.

Diese Erfahrung hatte ihr auch ihre amerikanische Großmutter vermitteln wollen, die darauf bestanden hatte, dass Holly als Mädchen die Ferien auf der Insel verbrachte. Fünf Jahre lang, von zehn bis fünfzehn, war Holly mit ihr pünktlich in der zweiten Woche im Juni erschienen und bis Mitte August geblieben. Sie hatten stets dasselbe Haus gemietet, eines der größten und abgelegensten Ferienhäuser der Anlage.

Als Holly zehn und er selbst zwölf Jahre gewesen waren, hatten sie sich angefreundet. Und als sie fünfzehn und er siebzehn gewesen war, war es um mehr gegangen als darum, wer am schnellsten zum Schwimmdock kraulen konnte, das vor dem Haus seiner Eltern lag.

„Du bist also dafür verantwortlich, dass Hank seinen Kopf riskiert hat? Nun ja, ich nehme an, er hat deinem Befehl mit Freuden entgegengenommen.“

„Ich konnte unmöglich Nein sagen, Nate“, protestierte Hank. Er verstand offensichtlich nicht, warum sein Freund so gereizt war.

Nate war seine Irritation ebenfalls schleierhaft. Dieser Zorn, all diese Emotionen gehörten der Vergangenheit an. Trotzdem konnte er sich nicht verkneifen, zu erwidern: „Niemand schlägt einer Prinzessin etwas ab, Hank.“

Der Pilot sah ihn verwirrt an, Holly wirkte verstört. „Ich bin eine ganz normale Frau, Nate.“

Der Wind blies immer stärker, und die Wellen klatschten gegen seine Hüften. Nate entschied sich, ihre Bemerkung fürs Erste zu ignorieren, obwohl er wusste, dass es nichts an ihr gab, was normal war. Verdammt, das hatte er schon gewusst, bevor er etwas über ihre wahre Identität und ihren adligen Status erfahren hatte.

Er watete durchs Wasser auf die Schwimmplanken des Flugzeugs zu. „Leg deine Arme um meinen Nacken.“

„Wie bitte?“

Irgendwie gefiel es ihm, dass sie ihn aus weit aufgerissenen Augen anschaute. Na, sind Sie nervös, Prinzessin? hätte er am liebsten gefragt. Er würde sich besser fühlen, wenn er wüsste, dass sie dieses unerwartete Treffen genauso aus der Fassung brachte wie ihn. Stattdessen zeigte er in Richtung Ufer. „Ich werde dich tragen – es sei denn, du willst unbedingt nasse Füße bekommen. Das würde deinen hübschen Schuhen bestimmt nicht guttun.“

Die hübschen Schuhe waren rote Ballerinas mit einer Schleife. Bestimmt hatten sie ein Vermögen gekostet. In Hollys Welt waren sie wahrscheinlich nichts Besonderes. Genau wie das Leinenkostüm, das sie trug. In Nates Augen war das Sonntagskleidung. Mit dieser Art von Freizeitkleidung würde sie zwischen den Einheimischen und den Touristen wie ein Fremdkörper wirken.

„Okay, wie du willst.“ Sie reckte das Kinn. Nate fühlte sich dadurch sofort an ihre Kindheit erinnert. So hatte sie immer ausgesehen, wenn sie sich herausgefordert fühlte.

„Komm schon, wir haben nicht alle Zeit der Welt“, sagte er ungeduldig, als sie immer noch zögerte. „Außerdem muss ich Hank dabei helfen, das Flugzeug zu vertauen.“

„Nein, ich fliege gleich wieder los“, erwiderte Hank, der im Cockpit am Steuer saß. „Ein paar Kumpel von mir haben mich auf dem Festland zum Karten spielen eingeladen. Geralds Cousin ist hier, er ist ein verdammt guter Pokerspieler.“

„Kommt gar nicht infrage.“ Nate schüttelte energisch den Kopf. „Das wäre der reine Selbstmord. Du kannst bei mir übernachten.“

Hank schien es sich zu überlegen. „Hast du Bier im Kühlschrank?“

„Na klar.“

Der Pilot zuckte die Schultern. „Gut, wenn du meinst.“

Nate wandte sich wieder Holly zu und streckte die Arme aus. Sie lächelte ihn schüchtern an und rutschte dann vom Sitz in seine Umarmung. Es fühlte sich gut an, zu gut vielleicht. Als Mädchen war sie sehr schlank gewesen, mit endlos langen Beinen. Aber jetzt war sie kein Mädchen mehr. Durch die Kleidung hindurch konnte er all ihre Rundungen spüren.

So schnell er konnte, watete Nate durch die Wellen auf das Ufer zu, damit er sie wieder loswerden konnte. Loswerden? Wohl kaum. Bis heute hatte er eigentlich gedacht, dass er die Erinnerung an sie verdrängt hätte. Aber so war es nicht. Holly war immer da gewesen, in seinen Gedanken und in seinem Herzen.

In diesem Moment stieß er mit dem Zeh gegen einen großen Stein. Er stolperte und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren.

„Nate!“

Holly klammerte sich an ihm fest. Fast hätte er keine Luft mehr bekommen. Er schwankte hin und her, versuchte, sich aufzurichten, aber es war zu spät. Die Wellen waren zu mächtig, auf dem schlüpfrigen Untergrund fanden seine Füße keinen Halt mehr. Im nächsten Moment landeten sie im eiskalten Wasser. Es reichte ihnen zwar nur bis zur Hüfte, aber beide waren trotzdem völlig durchnässt. Nate tat es leid um Hollys schöne Kleider und die feinen Schuhe.

Eigentlich hatte er erwartet, dass sie ihn beschimpfen würde. Denn schließlich war sie eine Prinzessin und er nur der Besitzer einer kleinen Ferienanlage.

Stattdessen lachte sie laut und vergnügt.

„Sehr geschickt, Nate. Wirklich, sehr geschickt von dir.“ Grinsend streckte sie die Hand aus, um ihm hochzuhelfen. In diesem Moment sah sie genau wie das junge Mädchen aus, das ihm so gern Streiche gespielt hatte.

Nate kam sich wie ein Idiot vor. Er wusste, dass er vollkommen lächerlich aussah. Aber das hielt ihn nicht davon ab, ihre Hand zu ergreifen. Gegen seinen Willen musste er in ihr Lachen einstimmen, während er sich die nassen Haare aus der Stirn strich. Die Situation war wirklich lustig, auch wenn der Scherz in diesem Moment auf seine Kosten ging.

Direkt hinter ihnen gluckste Hank ebenfalls. Nate war klar, dass sein guter Ruf dahin war. Wenn er Pech hatte und der Sturm nicht die Strommasten hinwegfegte, würde sich die Kunde seines Reinfalls in Windeseile über die gesamte Insel verbreiten.

„Bitte entschuldige. Ich habe den Halt verloren.“ Endlich waren sie am Ufer angekommen. Er konnte sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: „Ich hätte mich ja vielleicht noch fangen können. Aber du hast seit damals ein paar Pfunde zugelegt.“

Holly sah ihn entrüstet an. „So etwas sagt ein Gentleman nicht zu einer Lady.“

Obwohl es ein Scherz sein sollte, ernüchterten ihn ihre Worte schlagartig. Sie war mehr als eine Lady, sie war eine Prinzessin. Erneut öffnete sich der Graben zwischen ihren Welten.

Er zeigte mit dem Daumen auf Hank. „Ich helfe unserem Freund besser mal.“

Es dauerte genau fünfzehn Minuten, bis Nate und der Pilot das kleine Flugzeug an Land gezogen und festgetaut hatten. Um ganz sicherzugehen, dass der Sturm ihm nichts anhaben konnte, machten sie es am Baumstumpf einer großen Zeder fest. Nate konnte nur hoffen, dass die Besitzer der anderen Boote und Jachten sich ebenso gut auf das bevorstehende Unwetter vorbereitet hatten.

Währenddessen wartete Holly geduldig auf die beiden Männer am Strand. Sie fror erbärmlich, ihre Lippen zitterten, aber sie beschwerte sich nicht. Als ihr Gepäck ausgeladen wurde, fiel Nate zum ersten Mal auf, wie niedergeschlagen sie wirkte.

„Wie lange willst du eigentlich bleiben?“ Interessiert betrachtete er ihre Designertaschen.

Holly zuckte die Schultern. „Vielleicht eine Woche.“

„Ach ja?“ Und dafür brauchte sie so viel Gepäck?

„Ich wusste nicht genau, was ich mitnehmen sollte“, erwiderte sie.

Die Antwort darauf war ganz einfach. „Ein paar T-Shirts, ein paar Shorts, ein Paar gute Schuhe zum Wandern, vielleicht noch ein Sweatshirt und einen Bikini. Mehr brauchst du hier nicht.“

„Das alles habe ich dabei. Und noch ein bisschen mehr.“

„Verstehe.“

Seine gesamte Garderobe hätte in die drei Taschen gepasst, aber er beharrte nicht auf dem Thema. Schließlich wusste er, dass Kleider für Frauen viel wichtiger waren als für Männer.

Holly griff nach ihrem Rollkoffer und sah Nate stirnrunzelnd an. „Bitte entschuldige, dass ich dich so überfalle.“

Das war eine interessante Wortwahl.

„Wo willst du denn bleiben?“, erkundigte er sich.

„Ich hatte gehofft, ich könnte das Ferienhaus mieten, in dem Gran und ich immer gewohnt haben. Du weißt schon, das Cottage, das zur Ferienanlage deiner Eltern gehört.“

„Meine Eltern sind nicht mehr da.“

„Nicht mehr da?“ Sie sah ihn alarmiert an.

„Sie sind im Ruhestand“, erwiderte Nate. „Vor vier Jahren sind sie nach Florida gezogen.“

„Und die Ferienanlage?“

Unter normalen Umständen war Nate immer sehr stolz darauf, dass ihm die Anlage inzwischen gehörte und dass er schon viel dafür getan hatte, um sie zu modernisieren. Aber das hier war schließlich Prinzessin Hollyn Saldani. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie besonders beeindruckt sein würde.

„Gehört jetzt mir.“

„Oh.“ Danach kam eine kleine Pause. „Ich hatte gehofft, dass bei euch noch etwas frei ist.“

„Tut mir leid.“ Nate schüttelte den Kopf. „Wir sind zurzeit völlig ausgebucht. Bis zum vierten Juli, wenn ich richtig informiert bin.“

Normalerweise wurde es auf der Insel erst nach dem Unabhängigkeitstag wieder ruhiger. Aber in diesem Jahr war der Sommer sehr früh gekommen, was mehr Touristen gebracht hatte, die mit der Fähre aus Michigan eingetroffen waren.

„Dass ich reservieren müsste, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen“, bemerkte Holly stirnrunzelnd. „Glaubst du, ich finde noch etwas anderes zum Mieten? Ein Haus am Wasser wäre natürlich schön, aber ich würde nicht darauf bestehen.“

„Keine Ahnung. Das dürfte nicht ganz einfach sein. Jetzt ist es sowieso zu spät, um noch herumzufragen. Du kennst doch die Insel – ab acht Uhr werden hier die Bürgersteige hochgeklappt.“

Holly lächelte wehmütig. Sie erinnerte sich an die schönen Zeiten mit ihrer Großmutter. „Ja, ich weiß.“

Nate fragte sich insgeheim, warum sie wirklich gekommen war. Also gut, sie hatte ihm erzählt, dass sie eine Auszeit brauchte, aber hätte sie dafür nicht auch in einen exklusiven Ferienort irgendwo in Europa fahren können? Was wollte sie auf einer kleinen Insel, die außer Sand und Meer nicht viel zu bieten hatte?

Hank hatte sie inzwischen erreicht, er schnappte sich eine der Taschen.

„Machen Sie sich keine Sorgen, Miss. Nates Haus ist groß genug. Bestimmt können Sie diese Nacht dort unterkommen.“ Er sah seinen Freund herausfordernd an.

Nate blieb nichts anderes übrig, als bestätigend zu nicken. Der ruhige Abend, auf den er sich vorher so gefreut hatte, würde jetzt zwei Übernachtungsgäste mit einbeziehen. Er wusste, dass Hank so laut schnarchte wie ein betrunkener Matrose. Aber Hank war nicht das Problem – wegen Holly würde er bestimmt die ganze Nacht kein Auge zumachen können.

2. KAPITEL

Holly war nicht sicher, was sie tun sollte, denn Nates Einladung war nicht aus freien Stücken gekommen.

Das tat ihr weh, auch wenn sie nicht erwartet hatte, dass er sie mit offenen Armen empfangen würde. Tatsächlich hatte sie überhaupt nicht erwartet, ihn auf Heart Island zu treffen. Denn Nate war schon immer fest entschlossen gewesen, die Insel bei der ersten Gelegenheit zu verlassen und sein Glück in der Großstadt zu finden.

Aber ob es ihr nun gefiel oder nicht – sie musste sein Angebot wohl oder übel annehmen. Die Unterkunftsmöglichkeiten auf der Insel waren nämlich begrenzt. Hoffentlich würde sie morgen etwas Passendes finden. Mit gemischten Gefühlen marschierte sie mit den Männern über den Strand.

Plötzlich merkte sie auch, wie flau ihr war. Der Flug war ziemlich riskant gewesen, und sie hatte nicht nur ihr Leben aufs Spiel gesetzt, sondern auch das des Piloten. Normalerweise war das gar nicht ihr Stil. Aber in den letzten Tagen hatte sie sich dauernd zu irgendwelchen spontanen Aktionen hinreißen lassen.

Sie warf Nate einen vorsichtigen Seitenblick zu. Er wirkte streng und verschlossen. Offensichtlich freute er sich nicht besonders, sie zu sehen. Aber auch sie war sich ihrer Gefühle für ihn nicht sicher.

Es gab eine Zeit, da hatte sie gedacht … nein, es war Unsinn, jetzt ihren Träumen nachzuhängen. Sie waren damals schon unrealistisch gewesen, und inzwischen war gar nicht mehr daran zu denken. Erneut legte sich die Bürde ihrer Position wie eine schwere Last auf ihre Schultern. Sie wusste, dass es daraus kein Entkommen gab, auch wenn sie sich gewünscht hatte, das Ganze wenigstens einmal für eine Woche vergessen zu können. Sie stöhnte leise.

Nate wandte sich zu ihr und fragte: „Stimmt etwas nicht?“

„Nein.“

„Nein?“ Er schien ihr nicht zu glauben.

Holly war es nicht gewöhnt, dass man ihre Worte anzweifelte. Das würde in Morenci auch niemand wagen. Niemand außer ihrer Mutter natürlich, die sie bei jeder Gelegenheit daran erinnerte, wie perfekt sie zu sein hatte. Komischerweise störte es Holly nicht, dass Nate ihr auf Augenhöhe begegnete.

Inzwischen hatten sie sein Haus erreicht, das von hohen Zedern umgeben war. Damals hatte Nate hier mit seinen Eltern gewohnt. Holly erinnerte sich noch gern daran, wie herzlich seine Eltern sie immer willkommen geheißen hatten.

Nach außen hin sah es aus wie damals, nur die Terrasse war verbreitert worden. Hank stieg die Stufen hoch und zog seine Schuhe aus, bevor er durch die quietschende Eingangstür ins Haus ging. Aber weder Nate noch Holly rührten sich.

Sein Verhalten war alles andere als einladend.

„Ich fürchte, ich mute dir zu viel zu“, begann Holly das Gespräch.

„Nein, das ist schon in Ordnung“, erwiderte er abweisend. „Keine große Sache.“ Er zog seine durchweichten Schuhe aus und stellte sie an der Wand neben Hanks alten Sneakers ab.

„Ich zahle …“

„Unsinn, das ist doch nur für eine Nacht, Holly … Hollyn … Prinzessin.“ Verärgert strich er sich das nasse Haar aus der Stirn. „Wie soll ich dich denn jetzt eigentlich nennen?“

„Holly ist okay für mich“, entgegnete sie kurz.

Sie wollte wieder Holly sein. Nur deshalb hatte sie diese überstürzte Reise überhaupt angetreten.

Er wirkte skeptisch, nickte aber. „Ich bestehe darauf, dass du heute hier übernachtest. Als mein Gast.“

Eigentlich hätten seine Worte sie beruhigen sollen, auch wenn sein Verhalten das genaue Gegenteil ausdrückte. Aber während sie noch nach einer Antwort suchte, zog Nate sich sein nasses T-Shirt über den Kopf.

Holly schluckte, konnte den Blick aber nicht abwenden. Bereits als Teenager hatte sie seinen Körper geliebt. Damals war er noch dünner und drahtiger gewesen. Inzwischen war er nicht nur um einiges gewachsen, er schien auch täglich zu trainieren. Einen so muskulösen Oberkörper bekam man jedenfalls nicht von der Natur geschenkt.

„Jetzt du.“

Seine Worte ließen Holly zusammenzucken. Ihre Wangen röteten sich, aber nicht allein aus Verlegenheit.

„Wie bitte?“

„Deine Schuhe. Bitte, sei doch so nett und zieh sie aus.“

Ein leichtes Grinsen spielte um Nates Mundwinkel. Es machte ihm offensichtlich Spaß, dass sie so verunsichert war – genau wie er, als er mit ihr durchs Wasser gewatet war.

Holly betrachtete ihre Schuhe. Sie waren nicht nur nass, sondern voller Sand und Dreck nach ihrem Marsch über den Strand.

„Deiner Mutter hätte das nichts ausgemacht.“

„Oh doch, aber sie hätte aus Höflichkeit nie etwas gesagt. Aber da ich jetzt hier putze, mache ich auch die Regeln.“

„Verstehe.“ Holly stellte ihn sich mit einem Mob und einem Staubwedel vor und musste plötzlich lächeln.

Sie tat, wie ihr geheißen, und trat hinter ihm ins Haus.

Hank hatte es sich bereits auf der Couch vor dem Fernseher bequem gemacht. Er hatte die Füße auf dem Couchtisch ausgestreckt. In der einen Hand hielt er eine Bierflasche, in der anderen die Fernbedienung. Fasziniert sah er sich ein Baseballspiel an. Holly wusste nicht viel über diesen Sport, aber sie war ein ausgesprochener Fan der Reporter, die über Baseball berichteten. Der Klang ihrer Stimmen versetzte sie immer sofort nach Amerika. Nach Amerika und in die Vergangenheit. Aber natürlich erinnerte sie auch das gesamte Haus an früher, obwohl es jetzt viel moderner eingerichtet war.

Nichts war geblieben von dem Kitsch, den Nates Mutter so geliebt hatte: die seidenen Vorhänge, das große Sofa mit dem Blumendruck und der Nippes in den Regalen. Stattdessen wirkte der Raum viel größer, es gab eine Sitzgruppe aus dunklem Leder und an den Wänden hingen mehrere Bilder von Meereslandschaften – ausgesprochen hochkarätige Bilder, wie Holly überrascht feststellte.

Nate war ihre Reaktion nicht verborgen geblieben. „Diese Bilder sind von Rupert Lengard“, erklärte er ihr. „Leider keine Originale, aber wenigstens sehr gute Drucke.“

„Sie sehen fantastisch aus.“ Holly zeigte auf eines. „Ist das die Insel, zu der wir früher immer mit dem Kanu herausgepaddelt sind?“

Damals hatten sie Robinson und Crusoe gespielt und versucht, auf der Insel ein Baumhaus zu bauen. Aber das war zu kompliziert gewesen, und sie hatten sich mit einer einfachen Laubhütte begnügen müssen.

Nate nickte. „Ja, das ist Horn Island“, erwiderte er. „Lengard hat dort mehrere Sommer verbracht. Alle Bilder, die ich gekauft haben, zeigen Motive aus der Gegend.“

Holly war voller Bewunderung. „Glaubst du, er hat noch ein paar zum Verkauf?“

„Warum nicht? Natürlich können sie sich mit den alten Meistern nicht messen.“

„Ob du es glaubst oder nicht, ich mag eher moderne Kunst. Außerdem interessiert mich an einem Bild nicht der Wert, sondern die Frage, ob es mich anspricht oder nicht.“

Er verzichtete auf einen Kommentar und ging hinüber zum Sofa.

„Brauchst du irgendetwas, Hank?“, fragte er seinen Freund trocken.

Hank ging auf seinen sarkastischen Ton nicht ein. „Hast du vielleicht etwas zum Knabbern? Nachos zum Beispiel?“

Holly unterdrückte ein Lächeln.

„Du willst Nachos?“

Widerstrebend wandte Hank den Blick vom Fernseher ab und sah seinen Freund erwartungsvoll an. „Ja, das wäre super.“

„Unten im Pub gibt es welche zu kaufen. Wenn du schon gehst, kannst du mir auch gleich etwas mitbringen.“ Dann nahm er Hanks Füße unsanft vom Tisch und wandte sich Holly zu. „Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer.“

Er holte ihre Taschen und stieg die Treppe hoch. Durch den langen Flur ging es bis zum letzten Raum.

Holly war ihm gefolgt, zögerte aber jetzt, einzutreten. „Das ist doch dein Zimmer“, sagte sie erstaunt.

Es war genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie hatte sich zwar nicht oft darin aufgehalten, denn das hätten Nates Eltern nicht erlaubt. Trotzdem war ihr jede Einzelheit im Gedächtnis geblieben.

Plötzlich fühlte sie sich befangen. Es hatte wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass ihr immer noch so klamm war … außerdem war sie müde, sehr müde.

„Das war mein Zimmer“, korrigierte er sie. „Ich habe hier überall ein bisschen renoviert. Jetzt wohne ich im ehemaligen Schlafzimmer meiner Eltern. Dieser Stock gehört dir – naja, dir und Hank“, fügte er grinsend hinzu.

Er setzte die Taschen ab, ging durchs Zimmer und öffnete ein Fenster nach dem anderen. Eine starke Brise ließ die Vorhänge hochwirbeln, und plötzlich roch es im ganzen Raum nach Zedern und Holzkohle. Das war der typische Sommergeruch, wie Holly ihn noch von damals kannte. Bestimmt würden heute in vielen Häusern Kaminfeuer brennen, wenn die Temperatur weiterhin so sank. Holly war es hingegen jetzt alles andere als kalt, im Gegenteil. Ein Blick auf Nates muskulösen Rücken genügte, und ihr war plötzlich so warm, dass sie sich am liebsten Luft zugefächelt hätte.

Um ihre Verlegenheit zu verbergen, räusperte sie sich. „Es … es ist ziemlich windig“, stieß sie hervor.

„Ja, man merkt, dass ein Sturm aufzieht.“

Ihre Blicke trafen sich. „Du kannst die Fenster gleich wieder zumachen“, sagte Nate. „Aber an deiner Stelle würde ich erst ein bisschen lüften. Das Zimmer ist sonst zu muffig. Es wird nicht so oft benutzt.“

Ein bisschen muffig? Holly hatte Mühe, zu atmen. Aber das hatte nichts mit der Luft im Zimmer zu tun, sondern mit der Art, wie er sie anschaute – ein wenig nachdenklich, gleichzeitig interessiert und auf der Hut. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie schrecklich aussehen musste. Die nassen Kleider klebten am Körper, ihr Make-up hatte sich aufgelöst und ihr Haar … Sie strich kurz darüber und merkte, dass ihre Locken völlig verfilzt waren.

„Das … das macht mir nichts aus“, erwiderte sie beklommen.

Nate schien nicht besonders überzeugt. Er schüttelte den Kopf. „Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich, dass du eigentlich das große Schlafzimmer nehmen solltest. Dort ist es auf jeden Fall gemütlicher.“

Er griff nach ihren Taschen, aber sie packte seinen Arm. „Nein, mach dir meinetwegen bitte keine Umstände, Nate.“

„Aber das hier … du bist bestimmt einen ganz anderen Standard gewöhnt.“

„Ich bin nicht so verzogen, wie du vielleicht denkst.“

„Du bist immerhin eine Prinzessin.“

Holly verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn wütend an. „Aus deinem Mund klingt es wie eine Krankheit.“

„Oh, entschuldige, so habe ich es nicht gemeint. Aber trotzdem, du … du bist etwas Besseres gewöhnt.“ Abschätzig sah er sich im Zimmer um, als würde er es zum ersten Mal sehen, und fügte mit bitterem Tonfall hinzu: „Mit deinem Niveau kann ich so oder so nicht mithalten.“

„Nate!“

Bevor sie noch weiter protestieren konnte, stand er bereits an der Tür, die Hand auf der Klinke. Diesmal vermied er es, sie anzuschauen. „Gut, dann mach dich doch erst einmal frisch, Holly. Wir sehen dann später, wo wir dich unterbringen können.“

Damit schloss sich die Tür hinter ihm. Verblüfft sah Holly ihm nach. Was war denn da passiert? In nur einer halben Stunde hatte sich Nates Haltung von offener Ablehnung zu peinlicher Berührtheit gewandelt. Ja, er schien sich wirklich für irgendetwas zu schämen. Aber das war nicht der Nathaniel Matthews, den sie gekannt hatte. Er war furchtlos gewesen, Respekt einflößend und manchmal auch ein bisschen arrogant.

Und er war entschlossen gewesen, die Welt zu erobern. An Selbstbewusstsein hatte es ihm dabei nicht gefehlt – Nate hatte immer gedacht, dass es im Leben keine Grenzen für ihn geben würde. Dafür hatte sie ihn damals sehr bewundert. Insgeheim hatte sie sich sogar gewünscht, so zu sein wie er. Aber als sie nach dem letzten Sommer auf Heart Island wieder nach Morenci zurückgekehrt war, hatte ihre Mutter ihr diese Illusionen gründlich ausgetrieben.

„Du wirst bald sechzehn und bist daher kein Kind mehr, Hollyn. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis du deine royalen Pflichten wahrnehmen musst. Vielleicht solltest du jetzt schon einmal anfangen, dich auch wie eine Prinzessin zu benehmen.“

Das war das Ende ihrer Kindheitsträume gewesen.

Wieso war Nate auf die Insel zurückgekehrt? Oder war er einfach nur erwachsen geworden? Eines war jedenfalls klar: Der Mann, der gerade durch die Tür gegangen war, war ein Fremder – auch wenn vieles sie noch an den Jungen von früher erinnerte.

Nate zog sich trockene Sachen an und ging dann nach unten. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und genehmigte sich erst einmal einen kräftigen Schluck. Dann dachte er über sein Gespräch mit Holly nach.

Verdammt – was musste sie von ihm halten? Bestimmt kam er ihr provinziell und ungehobelt vor. Jedenfalls konnte man nicht behaupten, dass er ihr den roten Teppich ausgerollt hatte.

Der rote Teppich – er trank gleich noch einmal einen Schluck. Natürlich, daran war sie gewöhnt, an Staatsempfänge und Militärparaden zu ihren Ehren. Und trotzdem hatte sie gelacht, als er mit ihr ins Wasser gefallen war. In diesem Moment hatte sie ihn wieder an das Mädchen von früher erinnert. Das Mädchen, das erst sein Kumpel gewesen war und ihm später schlaflose Nächte beschert hatte.

Jetzt war sie eine Frau. Eine wunderschöne Frau, die unter seinem Dach übernachtete. Damals wie heute konnte sie seine Hormone in Wallung bringen, daran konnte kein Zweifel bestehen.

In diesem Moment betrat Hank die Küche. Immerhin gab es eine „Anstandsdame“ im Haus. Nate hätte nicht zu sagen vermocht, ob er dafür dankbar sein sollte oder nicht.

„Wo ist Holly?“ Hank holte sich ein zweites Bier und schnipste den Korken in Richtung Mülleimer.

„Oben, sie zieht sich gerade um.“ Das hätte er nicht sagen sollen, denn bei der Vorstellung wurde ihm ganz heiß.

„Ich wusste gar nicht, dass ihr beide euch kennt. Davon hat sie während des Flugs kein Wort erwähnt.“

„Wir kennen uns auch nicht. Das heißt, nicht wirklich.“ Achselzuckend fügte Nate hinzu: „Als Kinder haben wir mehrere Sommer miteinander verbracht. Aber ich habe sie schon jahrelang nicht mehr gesehen.“

Das stimmte nicht ganz, denn eigentlich musste er nur ein Hochglanzmagazin kaufen, um Bilder von Holly zu sehen. Aber die Prinzessin von Morenci und das Mädchen, mit dem er Fische gefangen hatte, waren für ihn eigentlich immer zwei verschiedene Personen gewesen. Jedenfalls bis heute.

„Sie erinnert mich an irgendjemanden“, bemerkte Hank nachdenklich.

Nate hatte nicht vor, ihm ihr Geheimnis zu enthüllen. Denn der Pilot war ein richtiges Plappermaul, und sie war schließlich hierhergekommen, um endlich ein bisschen Ruhe zu haben. Außerdem war Nate nichts so sehr verhasst wie Journalisten und Paparazzi. Das wäre auch schlecht fürs Geschäft gewesen.

„Das kommt dir nur so vor“, erwiderte er daher abweisend.

Hank schien sich damit zufriedenzugeben, aber er war immer noch neugierig. „Woher kommt sie eigentlich? Bestimmt nicht aus den USA. Ich kann ihren Akzent einfach nicht einordnen.“

„Sie kommt aus Europa“, erwiderte Nate vage und hoffte, dass das Gespräch damit beendet war. Aber sein Freund ließ sich nicht so leicht abwimmeln.

„Jedenfalls ist sie ziemlich hübsch“, bemerkte er augenzwinkernd.

Nate verschluckte sich fast an seinem Bier und murmelte etwas Unverständliches.

„Und sehr großzügig“, fügte Hank hinzu. „Du glaubst nicht, was sie mir für den Flug gezahlt hat.“

„Nun, immerhin hast du dabei dein Leben riskiert“, erinnerte Nate seinen Freund.

Der lachte laut. „Kann schon sein. Aber wenn ich daran denke, was meine Exfrauen gesagt haben, ist mein Leben nicht besonders viel wert.“

Hanks Haltung missfiel Nate. „In meinen Augen ist es keine große Leistung, großzügig zu sein, wenn du dein Geld nicht selbst verdienen muss.“

„Ach, dann ist sie also sehr reich?“

Nate zuckte die Schultern. „Ihre Familie ist ausgesprochen wohlhabend.“

„Ist sie Single?“

Nate spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. „Soweit ich weiß.“ Allerdings hatte selbst er das Gerücht in der Presse gelesen, dass Holly sich verloben würde. Es hatte ihm gar nicht gefallen, obwohl er sich den Grund nicht erklären konnte. Genauso wenig wie seine heutige Reaktion auf sie.

„Gar nicht schlecht – hübsch, reich und ein Single. Glaubst du, ich hätte bei ihr Chancen?“

„Ich fürchte, nein. Sie bewegt sich in einer ganz anderen Liga.“

Sein Freund sah ihn nachdenklich an. „Auch als du?“

„Auch als ich.“

Nate dachte über die Frage nach. Bisher war er eigentlich immer sehr stolz auf das gewesen, was er im Leben erreicht hatte. Nach der Highschool war er auf die Universität von Michigan gegangen, die in akademischen Kreisen einen guten Ruf hatte. Dort machte er seinen Bachelor, zog nach Chicago und arbeitete als Hotelmanager auf der Miracle Mile.

Seine Eltern waren stolz auf ihn gewesen, obwohl sie natürlich enttäuscht waren, dass er die Ferienanlage nicht übernehmen wollte. Aber sie hatten ihn trotzdem in all seinen Unternehmungen unterstützt. Nach vier Jahren in der Großstadt hatte Nate erkannt, wie sehr ihm das ruhige Leben auf der Insel fehlte. Er vermisste die stillen Morgen und die fantastischen Sonnenuntergänge am Lake Huron. Als er seine Heimat damals verlassen hatte, war das völlig anders gewesen. Er verzehrte sich nach dem aufregenden Nachtleben Chicagos, nach den schicken Apartments am Navy Pier, nach den teuren Restaurants und dem modernen Lebensstil, den die Stadt verkörperte.

Eine Weile hatte dieses Leben ihn auch gefesselt, obwohl er sich eigentlich immer wie ein Tourist vorgekommen war. Aber es war ihm gelungen, sich einen Namen zu machen. Seine Vorgesetzten schätzten ihn. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihm anbieten würden, ein eigenes Hotel zu leiten.

Aber dann hatten seine Eltern überraschend verkündet, dass sie sich in den Ruhestand zurückziehen und das Haven Resort & Marina verkaufen wollten. Es zog sie nach Florida in wärmere Gefilde. Nate hatte zwar gewusst, dass dieser Punkt eines Tages kommen würde. Trotzdem hatte es ihn in einen Gewissenskonflikt gestürzt.

Nach längerem Nachdenken war er zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht in Chicago bleiben wollte. Die Stadt war fantastisch, aber er gehörte nicht hierher. Inzwischen war ihm klar, dass nur er die Anlage leiten konnte, die seine Großeltern in den fünfziger Jahren aus dem Nichts aufgebaut hatten.

Deshalb war er auch nach Hause gekommen, nicht als Verlierer, sondern im Bewusstsein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Er hatte es nie bereut. Im Gegenteil, es hatte ihm großen Spaß gemacht, die Ferienanlage auf den neuesten Stand zu bringen und sie damit auch für jüngere Leute attraktiv zu machen. Der Jachthafen und die dazu gehörigen Gebäude waren in gutem Zustand. Nur die Ferienhäuser mussten noch modernisiert werden, was ihm bisher auch bis zur Hälfte gelungen war. Er hatte das Mobiliar, das zum Teil noch aus den sechziger Jahren stammte, einfach rausgeschmissen und den Cottages einen klaren Landhauslook verpasst. Dazu gehörten auch Landschaftsbilder von der Insel, die von einer jungen Malerin stammten. Sie waren zwar nicht so gut wie die Bilder von Lengard, aber sie gaben den Räumen eine individuelle Note.

Im letzten Jahr hatte er dann noch W-Lan und Kabelfernsehen angeschafft und sich mit einer anderen Firma zusammengetan, die Ausflüge in den Norden der Insel anbot. Hier gab es alle Arten von Wildtieren und auch einige Vogelarten, die vom Aussterben bedroht waren. Im Frühling konnten die Touristen Morcheln sammeln und lernen, wie man sie am besten zubereitete. Die Anlage hatte mehr und mehr Menschen angezogen, die sich für einen ökologisch korrekten Lebensstil interessierten.

Im Winter hingegen war es noch immer ziemlich ruhig. Kein Wunder, denn man musste schon ziemlich abgehärtet sein, um mit dem rauen Wetter umgehen zu können. Aber auch für diese Saison hatte Nate inzwischen Pläne gemacht, wie er Skifahrer oder Besitzer von Schneemobilen anlocken konnte. Zu diesem Zweck hatte er noch ein großes Stück Land dazugekauft und war gerade dabei, dort mehrere Skihütten zu bauen.

Seine Eltern waren von seinen Aktivitäten sehr beeindruckt. Nate hatte einfach die Ärmel hochgekrempelt und aus dem, was er vorgefunden hatte, einen modernen Hotelbetrieb gemacht mit allem, was die Touristen heutzutage erwarteten.

Ja, er konnte wirklich stolz auf das Erreichte sein. Nicht nur auf die Anlage, sondern auf sein Leben insgesamt. Deshalb missfiel ihm auch, wie abschätzig er in diesem Moment die Küche betrachtete, bei der die Modernisierung noch anstand. Aber er hatte sich insgeheim gefragt, was Holly wohl von seinem einfachen Lebensstil halten mochte.

„Nate?“ Der Pilot sah ihn fragend an.

Nate gab sich einen Ruck und trank noch einen Schluck Bier.

„Ganz klar – sie ist in einer ganz anderen Liga als ich.“

Holly stand auf der untersten Treppenstufe und hielt unschlüssig inne. Sie hatte eigentlich nicht lauschen wollen, aber das Haus war sehr hellhörig, und so hatte sie jedes Wort der beiden Männer mitbekommen.

In einer anderen Liga als ich!

Holly konnte sich durchaus vorstellen, warum Nate so dachte. Er war nicht der erste Mensch, den sie traf und der annahm, sie wäre aus einem anderen, kostbareren Material gemacht. Das hatte sie schon in der Schule erleben müssen. Einige, wenn auch nicht alle ihrer Mitschüler hatten sich ihr gegenüber einfach nicht normal verhalten können, als sie erfuhren, dass Holly ihre zukünftige Regentin war. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie einsam sie sich damals gefühlt hatte.

„Aber so ist es nun einmal“, hatte ihre Mutter gesagt, als sie ihr davon erzählte. „Sie behandeln dich anders, weil du anders bist. Du bist etwas Besonderes, Hollyn.“

Aber Holly hatte gar nichts Besonderes sein wollen. Sie wollte Freunde haben – echte Freunde, die sie beim Spielen nicht absichtlich gewinnen ließen oder ihr die Wahl des Films überließen, wenn sie ins Kino gehen wollten. Freunde, die ihr ihre Geheimnisse anvertrauten und denen sie erzählen konnte, was ihr auf dem Herzen lag. Und zwar, ohne dass diese Geheimnisse am nächsten Tag in den Boulevardzeitungen stehen würden. Das war ihr mit vierzehn passiert. Sie hatte sich einer Freundin gegenüber über ihre Mutter beschwert, die fand, dass Holly zu jung war, um sich zu schminken. Zwei Tage später hatte die Überschrift im Morenci Magazin: gelautet „Die Fürstin und ihre Tochter streiten sich über Maskara!“

Olivia hatte daraufhin einen Tobsuchtsanfall bekommen. Sie selbst war am Boden zerstört gewesen und überlegte es sich danach zweimal, bevor sie mit irgendjemandem über ihr Privatleben sprach.

Die Einzigen, die ihr ein wenig näherstanden, waren ihre Cousinen Amelia und Emily. Nach ihr waren sie die nächsten Anwärterinnen auf den Thron. Sie konnten daher auch gut nachvollziehen, was es bedeutete, dauernd im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, dauernd zitiert und nach ihrer Erscheinung beurteilt zu werden.

Dennoch hatte Holly auch zu Amelia und Emily im Laufe der Jahre eine wachsende Distanz verspürt. Das hatte nicht zuletzt mit Eifersucht zu tun. Denn während feststand, dass Holly ihren Platz in der Geschichte des Fürstentums einnehmen würde, war es eher wahrscheinlich, dass die beiden eines Tages vergessen sein würden.

Ihre Verbitterung über diesen Umstand konnte Holly in gewisser Weise nachvollziehen, obwohl sie deswegen auch verletzt gewesen war. Allerdings nicht so verletzt wie jetzt über Nates Worte. Er schien sie für eine verzogene junge Frau zu halten – oberflächlich und verwöhnt.

Sie gab also Geld aus, das sie nicht selbst verdient hatte?

Was sie betraf, so hatte sie immer das Gefühl, sich ihren Lebensunterhalt durch harte Arbeit zu verdienen. Es war schon lange her, dass sie das Gefühl hatte, über ihr Leben selbst bestimmen zu können. Sie war öffentliches Eigentum. Ihr Foto wurde an die Zeitung verkauft, die das meiste Geld dafür bot. Ihr Porträt prangte auf zahllosen Tassen, T-Shirts und Shoppingartikeln für Touristen.

Aber vielleicht gab es ja noch einen anderen Grund dafür, warum Nates Einschätzung sie so getroffen hatte. Ihr Wunsch, die Insel zu besuchen, hatte damit zu tun, dass sie sich hier immer so normal vorgekommen war. Ohne lange darüber nachgedacht zu haben, hatte sie sich gewünscht, dass man sie hier wieder so behandeln würde wie früher – wie jeden anderen auch. Und dass man sie so akzeptieren würde, wie sie war, anstatt sie nach ihrem Auftreten oder ihrer Frisur zu beurteilen.

Unwillkürlich seufzte Holly. Vielleicht erwartete sie ja zu viel von Nate.

Wenigstens hatte er Hank nicht ihre Identität verraten. Wenn die Bewohner von Heart Island sie für einen Großstadtsnob hielten, der sich nach dem einfachen Leben sehnte, war das ja noch keine Katastrophe. Hauptsache, sie blieb dabei anonym. Seit über zehn Jahren hatte sie keine Anonymität mehr genießen können.

In diesem Moment kamen die Männer aus der Küche und blieben bei ihrem Anblick unwillkürlich stehen. Nate wirkte schuldbewusst – er fragte sich bestimmt, wie viel sie von ihrem Gespräch mitbekommen hatte.

Hank hingegen lächelte sie an. „Hallo, Miss. Wie ich sehe, hat Ihnen das Bad im Meer nicht geschadet.“

Holly errötete und wickelte eine Haarsträhne um den Finger. Sie trug zwar inzwischen trockene Sachen, aber sie waren völlig zerknittert. Und ihre Haare waren immer noch nass, weil sie vergessen hatte, einen Föhn mitzunehmen.

„Ich hätte gern gewusst, was ich mit meinen nassen Sachen machen soll“, fragte sie Nate. Da ihr nichts Besseres eingefallen war, hatte sie sie erst einmal über den Handtuchhalter gehängt.

„Kein Problem. Ich kann sie in den Trockner stecken“, erwiderte er.

Holly biss sich auf die Lippen. Das war keine gute Idee, denn das Kostüm war aus reinem Leinen, und die Seidenbluse konnte man ebenfalls nicht in der Waschmaschine waschen. „Gibt es hier vielleicht eine Reinigung?“

Nate schüttelte den Kopf.

„Auf dem Festland in der Stadt gibt es so etwas. Morgen fliege ich wieder zurück, dann kann ich Ihre Sachen mitnehmen, wenn Sie wollen“, erbot sich Hank.

„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Aber ich möchte Ihnen keine Mühe bereiten.“

„Ich mach es gern für Sie, wirklich.“

Das war genau die Art von Sonderbehandlung, die Holly gewöhnt war und nicht wollte. „Danke. Ich überlege es mir noch“, erwiderte sie diplomatisch.

„Soll ich dir zeigen, wie die Dusche funktioniert?“, fragte Nate.

Holly nickte und folgte ihm die Treppe hoch ins Badezimmer. Dort griff sie schnell nach ihren Spitzendessous, die sie ebenfalls zum Trocknen aufgehängt hatte, und verbarg sie hinter ihrem Rücken.

Nate räusperte sich, beide lächelten verlegen.

„Also, die Dusche. Du musst diesen Regler hier drehen.“ Er demonstrierte es ihr. „Je mehr du ihn nach rechts drehst, desto heißer wird das Wasser.“ Holly hätte im Moment eigentlich nichts gegen ein bisschen Kühlung einzuwenden gehabt. „Wahrscheinlich willst du ihn irgendwo im mittleren Bereich haben. Und dann kippst du diesen kleinen Hebel zur Seite.“

Erneut führte er es ihr vor. Das Wasser schoss in einem dicken Strahl aus dem Duschkopf. Kleine Tropfen landeten auf den Kacheln und auf seinem Unterarm. Holly fiel auf, wie hell die Härchen darauf waren. Bestimmt verbrachte Nate viel Zeit in der Sonne. Das bewies ja auch sein dunkler Teint. Im Vergleich zu ihm war sie regelrecht blass. Aber das war schon früher so gewesen, obwohl sie am Ende der Ferien von den Einheimischen kaum noch zu unterscheiden gewesen war. Ihrer Mutter hatte das nicht gefallen, sie hielt es für gewöhnlich.

Ihre Mutter! Holly ging davon aus, dass sie in diesem Moment wahrscheinlich die Wände hochging. Und das trotz des Briefs, den sie Henry mitgegeben hatte und in dem sie die Gründe für ihren Entschluss dargelegt hatte. So ganz wohl war ihr nicht bei der Sache, aber sie fühlte sich durchaus im Recht. Nach der Woche auf Heart Island würde sie weitersehen. Holly wusste, dass ihre Verlobung mit Phillip für ihre Mutter beschlossene Sache war. Aber sie war sich alles andere als sicher.

Nate stellte die Dusche aus und trat einen Schritt zurück.

„Alles in Ordnung?“

Sie verdrängte den Gedanken an ihre Mutter, an Philipp und an die Pflichten, die zu Hause auf sie warteten. Jetzt, in diesem Moment, war sie frei.

„Ja, alles okay. Sag mal – auf dem Weg vom Strand hierher hatte ich den Eindruck, als gäbe es inzwischen mehr Ferienhäuser als früher. Stimmt das?“

„Allerdings. Ich habe Mom und Dad ja schon lange in den Ohren gelegen, dass sie expandieren sollten. Aber mein Vater meinte immer, sie hätten schon genug zu tun.“

„Ich mochte deine Eltern sehr“, erwiderte Holly und lächelte. Sie waren ein Teil jenes einfachen Lebens gewesen, das sie auf der Insel immer so sehr genossen hatte. Das war auch einer der Gründe, warum sie gekommen war – Einfachheit. Ihr Leben in Morenci war kompliziert genug. „Sie haben mir immer das Gefühl gegeben, hier zu Hause zu sein, egal, wie viel Arbeit oder wie viele Gäste sie hatten.“

Nate nickte. „Ja, sie mochten dich auch. Sie wollten immer, dass ich lerne, so höflich zu sein wie du.“

Beide lachten. Dann verstummten sie, und es herrschte unbehagliches Schweigen. Fast hatte Holly das Gefühl, als würde Nate ihr im nächsten Moment über die Wange streichen. Jedenfalls hatte er die Hand gehoben. Doch jetzt zog er sie schnell wieder zurück und meinte nur verlegen: „Frische Handtücher.“

Sie sah ihn verständnislos an.

„Äh, zum Abtrocknen. Sie sind hier in dem Schränkchen neben dem Waschbecken.“

„Verstehe.“

„Ach ja, noch etwas, Holly.“

„Ja?“

„Bitte betätige vor dem Duschen nicht die Toilettenspülung, sonst wirst du dich verbrühen.“ Er zuckte verlegen die Schultern. „Das gehört auch zu den Sachen, die ich bisher noch nicht renoviert habe.“

3. KAPITEL

Als Holly eine Stunde später herunterkam, war der Sturm bereits in vollem Gange. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, und Blitze durchzuckten den dunklen Himmel, gefolgt vom lauten Krachen des Donners, das das Haus bis in die Grundfesten erschütterte.

Es war sehr spektakulär, erschreckend und faszinierend zugleich. Hank hingegen bekam nichts davon mit. Er lag schnarchend auf der Couch. Bewundernd sah Holly ihm dabei zu. Selbst in ruhigen Nächten konnte sie nur selten gut schlafen. Meistens ging ihr zu viel durch den Kopf, als dass sie sich einfach hätte entspannen können. Was hatte sie nicht schon alles versucht – vom Schafe-Zählen über Musik, Meditation und Lesen. Aber nichts hatte wirklich geholfen.

Der Hofarzt hatte die Schlaflosigkeit ihrer nervösen Unruhe zugeschrieben und ihr Tabletten verordnet, die sie so gut wie nie nahm. Sie gaben ihr das Gefühl, wie in Watte gehüllt zu sein. Nein, sie zog es vor, bei klarem Verstand zu bleiben, auch wenn es schon einmal vorkommen konnte, dass sie mitten während eines Banketts einschlief. Vor Kurzem war ein Bild in der Tageszeitung erschienen, das sie an einer großen Tafel mit geschlossenen Augen, das Kinn auf der Brust, in leichtem Schlummer gezeigt hatte.

„Das ist genau die Art von PR, die du nicht brauchst“, hatte ihre Mutter sie gewarnt. „Prinzessin oder nicht, die Presse hat die Macht, dich in einem Moment zum nächsten lächerlich zu machen.“

Trotz allem hatte Holly sich nicht dazu überwinden können, die Pillen zu nehmen. Hoffentlich würde sie sie hier auf der Insel nicht brauchen!

Nate stand vor der Glastür, die hinaus auf die Terrasse führte. Seine rechte Hand steckte in der Tasche seiner Cargoshorts, in der anderen hielt er eine Flasche Bier. Er schien ebenfalls geduscht zu haben, denn sein Haar war noch ganz nass. Es war immer noch recht lang, wenn auch nicht so lang wie früher. Dafür war es wesentlich heller, was wahrscheinlich den vielen Stunden zuzuschreiben war, die er in der Sonne verbrachte.

„Hey, starr mich bitte nicht so an. Das ist unhöflich, weißt du.“

Zu spät erkannte sie, dass er ihr Spiegelbild im Glas gesehen hatte. Sie errötete.

„Du hast völlig recht. Bitte entschuldige.“

Sie ging zu ihm hinüber. In diesem Moment zuckte ein riesiger Blitz durch den Himmel, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Holly machte einen kleinen Sprung, und Nate legte ihr beschützend den Arm um die Taille. Hank schnarchte laut, sofort lösten sie sich wieder voneinander. Sie sahen zu dem Piloten auf der Couch hinüber. Er rührte sich zwar, wachte aber nicht auf.

„Hank schläft wie ein Toter“, bemerkte Nate und trank noch einen Schluck Bier. „Ach, entschuldige, wie unhöflich von mir. Kann ich dir etwas zu trinken holen?“

Holly hätte nichts gegen eine Tasse Tee gehabt. Aber das wollte sie ihm nicht zumuten. „Bring mir bitte auch ein Bier.“

Er sah sie überrascht an. „Ein Bier?“

„Ja, genau wie du.“

„Aha.“ Aber er rührte sich nicht.

„Bitte.“

„Na gut, wie du willst.“ Er klang nicht besonders überzeugt, ging jedoch in die Küche und kehrte wenige Minuten später mit einer Flasche Bier zurück. Bevor er sie ihr gab, machte er eine kleine Pause. „Warte, ich hole dir noch ein Glas.“

„Nein, das ist nicht nötig.“ Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und trank einen Schluck.

Amerikanisches Bier war wesentlich schwächer als das starke Bier ihrer Heimat. Aber es schmeckte ihr gut, und noch mehr genoss sie die Normalität, Bier zu trinken und dem Sturm zuzuschauen.

„Ich habe ganz vergessen, wie heftig die Stürme hier werden können“, sagte sie beeindruckt.

„Ja, das glaubt man kaum“, bestätigte Nate. „Es hat etwas mit dem Wasser zu tun. Die Stürme werden immer stärker, während sie über die großen Seen hinwegbrausen. Glücklicherweise verschwinden sie meist so schnell, wie sie gekommen sind.“

„Stimmt, ich erinnere mich daran. Morgen werden wir glauben, geträumt zu haben.“

„Oh nein, da irrst du dich“, widersprach er ihr. „Dieser Sturm wird großen Schaden hinterlassen. Bestimmt müssen wir morgen eine Menge Müll wegräumen. Alles hat nun einmal Konsequenzen, Holly.“

Sie sah ihn aufmerksam an. „Reden wir immer noch über den Sturm?“

Er zuckte die Schultern.

„Du bist sauer auf mich.“ Es war eher eine Aussage als eine Frage.

Nate sah sie überrascht an. „Sauer? Warum sollte ich sauer auf dich sein? Dazu habe ich doch überhaupt kein Recht.“

„Doch, ich …“ Sie brach ab. „Ich wollte dir damals die ganze Zeit sagen, wer ich bin.“

„Aber du hast es nicht getan.“

„Nein, das stimmt.“

„Warum?“

Holly stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Erinnerung an jenen sorglosen Sommer drohte sie zu überwältigen. „Weil … weil ich nicht wollte, dass sich irgendetwas zwischen uns änderte. Ich wollte immer nur Holly sein.“

„Aber du warst nie nur Holly.“ Sein Ton war jetzt genauso unheilvoll wie der Sturm.

„Oh doch! Hier jedenfalls, auf dieser Insel, in all diesen Sommern. Hier war ich immer nur Holly. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich jedes Jahr darauf gefreut habe, hier Ferien zu machen. Nach Neujahr habe ich stets die Tage gezählt. Heart Island war der einzige Ort, an dem ich keinerlei Pflichten hatte. Es war das Paradies für mich.“

Aber Nate schüttelte den Kopf. „Das war doch eine reine Fantasievorstellung.“

„Ja gut, kann schon sein“, gab Holly unwillig zu. „Aber ich habe es trotzdem gebraucht, Nate. Sehr sogar.“

Sie brauchte es immer noch. Er hatte ja keine Ahnung von ihrem Leben. Dass sie immer das Gefühl hatte, wie in einem Schaufenster ausgestellt zu sein. Sie hatte keinerlei Privatleben mehr, seit ihre Mutter der Presse unbegrenzten Zugang gewährt hatte.

Wie waren ihre ersten Geburtstage verlaufen? Überall waren Kameras aufgestellt gewesen, die auch noch die kleinste Bewegung der Prinzessin aufgezeichnet hatten. Ob sie ihren Kuchen gegessen, ihre Geschenke geöffnet oder durch den Palastgarten gekrabbelt war – überall waren die Medien mit dabei. Und so war es bis jetzt geblieben.

Nate machte sich keine Vorstellung davon, wie anstrengend es war, immer für die Öffentlichkeit zu lächeln. Da blieb praktisch kein Raum mehr für sie selbst. Manchmal kam Holly sich wie eine Betrügerin vor. Ihr war oft nicht danach, zu lächeln oder der Welt ein fröhliches Gesicht zu zeigen. Schließlich hatte auch sie ihre Sorgen und Nöte, aber sie musste sie immer für sich behalten.

Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie gern einmal zornig oder egoistisch gewesen. Auch sie hatte Phasen, da sie am liebsten die Tür zugeknallt oder jemandem die Meinung gesagt hätte. Aber daran war natürlich nicht zu denken.

Vor ein paar Wochen war ihr dann die Idee gekommen, einfach ihre Koffer zu packen und sich für ein paar Tage davonzustehlen. Der Gedanke hatte sie einfach nicht mehr losgelassen, und jetzt war sie äußerst froh, dass es ihr gelungen war, ihn in die Tat umzusetzen.

Sie warf Nate einen Blick von der Seite zu. Er wirkte streng und verschlossen. Aber dann nickte er überraschend.

„Ich glaube, ich kann dich verstehen.“

„Wirklich?“ Damit hatte sie nicht gerechnet.

Er wandte sich zu ihr. „Nach der Uni habe ich in einem sehr teuren Hotel in Chicago gearbeitet, in dem praktisch nur Prominente unterkamen. Also gut, ich weiß schon – Schauspieler und Rockstars sind nicht dieselben wie Mitglieder eines Fürstenhauses.“

„Aber sie kommen ihnen sehr nahe“, erwiderte Holly.

„Allerdings. Jedenfalls habe ich dort gelernt, dass dieser Lebensstil gar nicht so glamourös ist, wie man normalerweise denkt.“

„Stimmt, aber das wissen die wenigsten“, entgegnete Holly und trank noch einen Schluck aus der Flasche. „Weißt du, was dabei am schlimmsten ist? Alle tun so, als würden sie dich kennen und ein Recht auf dich haben.“

„Aber ich … ich hatte nicht das Gefühl, dich wirklich zu kennen.“

„Nate, ich …“

„Jedenfalls habe ich sie nicht beneidet“, fuhr er fort.

„Du hast praktisch überhaupt kein Privatleben.“

„Aber immerhin ist es dir hier fünf Jahre lang gelungen, deine Identität geheim zu halten.“

Holly lächelte versonnen.

„Naja, du weißt bestimmt noch, wie ich damals ausgesehen habe. In Shorts und mit Pferdeschwanz sah ich nicht anders aus als die anderen.“ Sie lachte. „Wenn ich allerdings mein Diadem getragen hätte …“

Nate schien es nicht komisch zu finden. Sein Ton war jedenfalls ziemlich kühl.

„Ich kam mir wie ein Idiot vor, weil ich es nicht selbst herausgefunden habe, Holly … Hollyn.“ Er prostete ihr zu und fügte grimmig hinzu: „Bestimmt hast du mich für ziemlich dumm gehalten.“

Sie sah ihn erschrocken an. „Aber nein, Nate. Niemals, wirklich nicht. Ich dachte immer, du wärst …“ Perfekt. Außerordentlich attraktiv. Meine einzige wahre Liebe. Sie spürte, wie sie errötete.

Aber er schien die Antwort bereits zu wissen. „Oh doch.“

„Nein, ich schwöre es. Du warst … mein bester Freund.“

Noch bevor sie die Worte gesprochen hatte, wusste Holly bereits, dass es eine Lüge war. Nate war so viel mehr für sie gewesen. Aber natürlich war sie damals auch erst fünfzehn gewesen – ein Teenager, voller Fantasien über eine Zukunft, in der sie und er zusammen sein würden. Eine Zukunft, die niemals wahr werden konnte.

„Ich habe dich vermisst, Nate.“

Ihre leisen Worte überraschten sie beide.

Nach einer kurzen Pause erwidert er: „In jenem ersten Sommer, als du nicht aufgetaucht bist, bin ich jeden Tag zu eurem Ferienhaus gegangen. Ich war mir ganz sicher, dass ihr euch nur verspätet hattet. Aber alle möglichen Gäste kamen, nur nicht du und deine Großmutter.“

Es war der Schmerz in seiner Stimme, der Holly zu Herzen ging. Für sie war es ebenfalls nicht einfach gewesen. Immer wieder hatte sie ihre Mutter angefleht, ihr noch einen Urlaub auf der Insel zu gönnen. Als das nichts genützt hatte, hatte sie sich an ihre Großmutter gewandt.

„Ich kann nicht, Liebling“, hatte die alte Dame ihr bedauernd geantwortet. „Es wird Zeit für dich, dein Schicksal und deine Rolle zu akzeptieren. Ich hoffe nur, du vergisst nie, wer du wirklich bist.“

Wie komisch – nach all diesen Jahren war sie sich immer noch nicht sicher.

„Was ich dich immer schon fragen wollte – war sie wirklich deine Großmutter? Oder gehörte sie nur zu deiner Entourage?“

Holly schüttelte lächelnd den Kopf. „Oh nein, sie war tatsächlich meine Grandma.“

„Die Mutter deiner Mutter? Dann stammte sie ursprünglich auch aus Texas?“

„Ja, man kann es bei beiden am Akzent hören. Weniger bei meiner Mutter – sie hat ihre Vergangenheit hinter sich gelassen. Weißt du, trotz ihrer Position hatte sie es am Anfang nicht leicht, im Fürstentum akzeptiert zu werden.“ Die Elite des Landes hatte Olivia zu Beginn strikt abgelehnt. Sie waren entsetzt darüber, dass eine Schönheitskönigin aus Texas sich ihren Fürsten geschnappt hatte.

„Das war bestimmt nicht einfach für sie.“

„Allerdings.“ Holly wusste als Einzige, wie sehr sich ihre Mutter bemüht hatte, dazuzugehören und was sie alles dafür geopfert hatte. Nach vielen Jahren bekam sie jetzt endlich den Respekt, der ihr zustand. Aber es waren schwierige Jahre gewesen, in denen sie jeden Tag auf dem Prüfstand gewesen war.

„Hat deine Mutter dich hierhergeschickt?“

Holly lachte laut. „Himmel, nein, natürlich nicht. Das war die Idee meiner Großmutter. Sie wollte, dass ich einen Bezug zu meinen amerikanischen Wurzeln bekommen sollte. Eine Freundin von ihr war hier gewesen und hatte ihr von der Insel vorgeschwärmt. Meine Grandma hat das Ferienhaus unter falschem Namen gemietet und meine Mutter vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie wollte, dass ich eine möglichst normale Kindheit hatte.“

„Dagegen lässt sich doch nichts sagen.“

„Meine Mutter war alles andere als begeistert. Ich weiß noch jetzt, wie sehr sich die beiden darüber gestritten haben.“

„Eine Art königliches Gefecht, sozusagen?“

Holly sah ihn finster an.

„Entschuldige.“ Er trank noch einen kräftigen Schluck Bier. „Aber was war mit deinem Vater? Wie stand er zu euren Urlaubsplänen?“

Ihr Vater? Fürst Franco war ein viel beschäftigter Mann. Holly fragte sich manchmal, ob er überhaupt wusste, dass er eine Tochter hatte. Sie hatte schon lange das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben.

„Mein Vater hielt sie für überflüssig. Man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass er schon als Fürst zur Welt gekommen ist. Aber um ehrlich zu sein, ich glaube, es war ihm ziemlich egal.“ Sie schluckte, denn sie wollte Nate nicht zeigen, wie sehr die Haltung ihres Vaters sie gekränkt hatte. „Er war von Anfang an enttäuscht, dass ich kein Junge war, zumal meine Eltern keine weiteren Kinder mehr bekamen.“

„Aber du wirst trotzdem den Thron besteigen, oder?“

„Ja.“

„Wieso war er dann enttäuscht?“

Holly zuckte die Schultern. „Weil er einen Sohn wollte.“ Auch für Olivia war das nicht einfach gewesen. Sie hatte nicht vergessen, wie kritisch die Bevölkerung zu Anfang ihr gegenüber gewesen war. Und als sie dann nicht einmal einen männlichen Erben produzierte …

„Das war sehr dumm von ihm.“

Hollys Wangen brannten, sie sah Nate an. Er streckte die Hand aus und streichelte sie leicht. Die Berührung war zwar sanft, aber sie durchfuhr ihren Körper wie ein Blitz. Im nächsten Moment beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie.

Sie hatten sich vorher schon einmal geküsst. In ihrem letzten Sommer auf der Insel. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Dennoch hatte Holly diesen Moment nie vergessen. Es war ihr erster richtiger Kuss gewesen. Danach hatte ihr das Herz bis zum Halse geschlagen, sie hatte kaum atmen können.

„Ich liebe dich.“

Die Worte waren ihr ganz von selbst entschlüpft. Anstelle einer Antwort zog Nate sie fest an sich und küsste sie, diesmal noch leidenschaftlicher. Genau wie damals, aber viel intensiver.

Sie hatte noch nie zuvor eine solche Sehnsucht nach einem Mann verspürt. Eine Sehnsucht, die ebenso mächtig und drängend wie der Sturm war, der draußen tobte. Und genau wie dieses Unwetter ließ sie sich nicht leugnen. Sie schlang Nate die Arme um den Nacken und küsste ihn hingebungsvoll.

„Holly“, stieß er hervor.

Der Gebrauch ihres Kosenamens brachte sie mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. Obwohl sie sich mit aller Macht wünschte, dass die Dinge anders lagen, war sie nicht mehr das unbekümmerte Mädchen von früher. Es war besser, diese Affäre jetzt zu beenden, bevor es keinen Weg zurück mehr gab. Daher machte sie sich sanft, aber entschieden von ihm los.

Nate löste sich nur widerwillig von ihr. „Manche Sachen werden mit dem Alter anscheinend doch besser“, sagte er mit schiefem Lächeln.

Holly fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Ja, das war wohl so.

„Ich habe dir damals einen Brief geschrieben. Ich wollte dir erklären, warum ich nicht kommen konnte.“

Er sah sie erstaunt an. „Wirklich? Diesen Brief habe ich nie bekommen.“

„Weil ich ihn nicht abgeschickt habe“, entgegnete sie leise. Er lag noch immer in ihrer Schublade, zusammen mit den vielen Erinnerungsstücken an die Insel – ein paar Muscheln, das Foto des ersten Fisches, den sie gefangen hatte und eine alte Colaflasche, die sie damals am Strand gefunden hatte.

„Warum nicht?“

Weil ich ein Feigling war. Weil du mir das Herz gebrochen hast. Holly ließ sich Zeit mit der Antwort.

„Weil ich das Gefühl hatte, dass du mich nicht verstehen würdest.“

„Das Einzige, was ich nicht verstanden habe, war, warum du nicht zurückgekommen bist. Oder warum du mir nicht geschrieben hast. Du hast mir nie auf meine Briefe geantwortet.“

Schuldbewusst dachte sie an die vielen Briefe, die ihre Großmutter ihr pflichtbewusst weitergeleitet hatte. Nachdem sie den ersten gelesen hatte, hatte Holly das Gefühl gehabt, sterben zu müssen. Doch irgendwann war sie zu dem Schluss gekommen, dass es besser war, die Erinnerung an Nate zu verdrängen. Er musste sein Leben weiterleben, genau wie sie.

In diesem Moment wurde sie durch Hanks lautes Schnarchen aus ihren Gedanken gerissen. Was der Sturm nicht vermocht hatte, passierte jetzt – er wachte mit einem Ruck auf und lächelte sie verlegen an.

„Sieht so aus, als wäre ich eingeschlafen. Habe ich irgendetwas verpasst?“

„Nur einen Riesensturm“, erwiderte Nate betont gleichmütig und verschwand in die Küche.

Holly rief ihre Eltern erst dann an, als der Sturm sich gelegt hatte. Sie war vor knapp einem Tag aufgebrochen. Ihr Vater war bestimmt irritiert über ihr Verschwinden, und Olivia war sicher sauer auf sie. Vielleicht machten sie sich ja auch Sorgen, aber das war unnötig. Schließlich war sie eine erwachsene Frau.

Holly setzte sich auf ihr Bett und holte ihr Handy heraus. Als sie unter der Dusche war, musste Nate im Zimmer gewesen sein. Denn inzwischen war das Fenster geschlossen und das Bett frisch bezogen. Wirklich sehr aufmerksam von ihm, dachte sie. Hoffentlich war es freiwillig geschehen und nicht aus Pflichtbewusstsein.

Sie spielt in einer ganz anderen Liga.

Vor langer Zeit hatte Holly sich damit abgefunden, dass ihr Titel für manche Leute – für die meisten Leute – wichtiger als sie selbst war. Deshalb hatte sie Nate früher auch nichts von sich erzählt.

Als sie mit zehn Jahren zum ersten Mal auf die Insel gekommen war, hatte die Tatsache, dass sie eine Prinzessin war, auch für sie noch keine so große Rolle gespielt. Nate war der Sohn von Hotelbesitzern aus Michigan. Sie war die Tochter eines europäischen Fürsten. Es gefiel ihr ausnehmend gut, dass er in ihr nur ein ganz normales Mädchen sah, und so sollte es auch bleiben. Mit Unbehagen war ihr aufgefallen, dass manche Mütter im Fürstentum schon damals versuchten, sie mit ihrem Sohn zu verkuppeln.

„Du bist nun einmal die beste Partie im Land, Holly“, hatte Olivia ihr erklärt, als sie sie nach dem Grund des Wirbels fragte, den andere um sie machten.

Stirnrunzelnd blickte sie auf ihr Handy. Verdammt – was war nur los? War sie in einem Funkloch? Sie bekam kein Signal.

Als sie nach unten gehen wollte, kam Nate gerade die Treppe herauf. Sie hatten ihr Gespräch vorhin abgebrochen. Nachdem Hank aufgewacht war, hatte Holly dies als Vorwand genommen, um sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen.

„Brauchst du irgendetwas?“, fragte Nate.

„Ja, ich wollte eigentlich meine Eltern anrufen, aber ich bekomme kein Signal.“

„Die meisten Server erreichen die Insel nicht“, erklärte er. „Du kannst das Telefon in der Küche benutzen, wenn du magst.“

Es lag Holly auf der Zunge, ihn an die Kosten zu erinnern, die ein Gespräch nach Übersee verursachen würde. Aber sie hatte ihn ja vorhin bereits verärgert, als sie ihm angeboten hatte, für ihr Zimmer zu bezahlen. Daher sagte sie nichts. Sie würde schon eine Möglichkeit finden, ihn zu entschädigen.

„Danke.“

Er nickte, ging an ihr vorbei und blieb dann stehen. „Wissen deine Eltern eigentlich, wo du bist?“

„Nein, nicht genau.“ In der Nachricht, die sie Henry für Olivia mitgegeben hatte, stand nur, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, weil sie an einem sicheren Ort war und sich von dort aus melden würde.

„Weiß es sonst irgendjemand?“

Sie lächelte ihn an. „Nur du.“

Aber er runzelte die Stirn. „Weißt du, die Insel ist bestimmt ein gutes Refugium. Doch selbst hier lesen die Leute Zeitung und haben Fernsehen. Wir sind nicht ganz aus der Welt.“

„Das habe ich auch nie behauptet.“

„Aber du hast es gedacht.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt doch gar nicht, was ich denke.“

„Du hast recht, entschuldige. Ich kenne dich wirklich nicht gut genug.“

Warum tat das so weh? Holly schluckte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte sie gedacht, er wäre der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der überhaupt wusste, wie sie wirklich war.

Nate fuhr fort: „Selbst Hank hat vorhin gemeint, du würdest ihn an jemand erinnern. Und er gehört nun nicht gerade zu den Leuten, die die Regenbogenpresse lesen.“

Holly sah ihn stirnrunzelnd an. „Früher ist es mir doch auch gelungen, hier unerkannt zu bleiben.“

„Kann schon sein. Aber damals warst du auch noch ein kleines Mädchen, das in Shorts und Turnschuhen herumgelaufen ist.“

„Wie ich dir bereits gesagt habe, habe ich mein Diadem zu Hause gelassen“, erwiderte sie kühl. „Genau wie meine Ballkleider. Keine Sorge, ich werde hier schon nicht auffallen. Davon abgesehen hat mich gestern auch eine Frau auf dem Festland darauf angesprochen, dass ich wie Prinzessin Hollyn aussehen würde. Darüber haben wir beide sehr gelacht. Denn was hätte Prinzessin Hollyn Saldani aus Morenci hier wohl schon zu suchen?“

„Du hast recht, es ist nicht gerade die französische Riviera“, gab Nate zu.

„Nicht direkt. Mir gefällt es hier trotzdem besser.“

Eigentlich hätte Nate über diese Antwort erfreut sein müssen. Aber er ging nicht darauf ein.

„Ich war nie dort, daher kann ich dazu auch nichts sagen“, erwiderte er und ging den Flur hinunter.

4. KAPITEL

„Wo in Gottes Namen bist du?“, fuhr Olivia ihre Tochter zornig an. Ihre Stimme klang noch drohender als der Donner.

Es war genau, wie Holly vermutet hatte – sie hatte sich keine Sorgen gemacht, sondern war einfach nur sauer.

„Ich bin an einem sicheren Ort“, gab Holly ruhig zurück.

„Das ist keine richtige Antwort!“

„Ich bin kein Kind mehr, Mutter.“

„Dann hör auf, dich so zu benehmen, und komm auf der Stelle wieder nach Hause. Vergiss nicht, du hast Pflichten. Und du hast Aufgaben zu erledigen, die wir deinetwegen schon absagen oder verschieben mussten.“

„Das tut mir leid.“

Autor

Margaret Way
Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Melissa James
Melissa, in Sydney geboren und aufgewachsen, lebt heute zusammen mit ihrem Ehemann, drei sportverrückten Kindern, einem Dingo und einem Kaninchen an der Küste in einem ländlichen Vorort, nur eine Stunde nördlich der Sydney Harbor Bridge.
Die ehemalige Krankenschwester, Kellnerin, Parfüm/Schokolade-Verkäuferin (hmmm!) und Geschichtsstudentin ist an allem interessiert, was mit Historischem...
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Margaret Way
Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
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