Sarah Morgan Edition Band 1

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LIEBE MICH UNTER PALMEN!
Sanft wiegen die Palmen sich im Wind, weiß glitzert der Strand, tiefblau schillert das Meer. Vor der paradiesischen Kulisse von Kingfisher Kay empfindet Lindsay nur Kummer: Sie hat ihr Herz an den feurigen Milliardär Alessio Capelli verloren. Er aber will nicht mehr als eine Affäre …

SÜSSE NÄCHTE IN RIO
Sie hat ihn belogen, doch vergessen konnte Luciano sie nie! Jetzt braucht Kimberley seine Hilfe, da sie erpresst wird und ihr Sohn in Gefahr schwebt. Der Milliardär will die Gunst der Stunde nutzen: Er wird ihr die Summe geben – dafür soll sie ihm süße Nächte schenken!

HAPPY END AUF KORFU
Jetzt ist Schluss! Noch immer trägt Kelly den Ring des Mannes, der sie auf Korfu am Traualtar sitzen ließ. Um Alekos endlich aus ihrem Herzen zu verbannen, verkauft sie das Schmuckstück im Internet. Doch wer ist der geheimnisvolle Käufer, der ein Vermögen für den Ring gezahlt hat?


  • Erscheinungstag 11.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522748
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan

SARAH MORGAN EDITION BAND 1

1. KAPITEL

„Signor Capelli hat erst in fünf Monaten wieder einen Termin frei.“ Die fantastisch aussehende blonde Empfangssekretärin sprach perfektes Englisch und war eindeutig erfahren darin, einen undurchdringlichen Schutzschild zwischen ihrem attraktiven Boss und dem Rest der Welt aufrechtzuerhalten. „Sie würden kaum glauben, wie gefragt Scheidungsanwälte von seinem Kaliber sind. Außerdem vertritt er nur männliche Klienten.“

Lindsay grub die Nägel in die Handflächen. „Ich brauche keinen Scheidungsanwalt. Deswegen will ich ihn auch nicht sprechen.“ Sie wusste selbst, dass er nur männliche Klienten übernahm.

Und sie wusste, dass eine Frau bei der Scheidung, wenn der Ehemann von Alessio Capelli vertreten wurde, von vornherein aufgeben konnte. Der skrupellose sizilianische Anwalt hatte es sich anscheinend zur Mission seines Lebens gemacht, sicherzustellen, dass Frauen aus dem Ende ihrer Ehen so wenig Gewinn wie möglich schlugen.

Lindsay war ebenfalls bekannt, dass er es durch seine diversen Geschäftsinteressen bereits mit Anfang dreißig zum Milliardär gebracht hatte. Das bedeutete, dass er nur zum reinen Vergnügen als Scheidungsanwalt arbeitete.

Was muss das bloß für ein Mann sein, der Vergnügen an den zerbrochenen Beziehungen anderer Leute findet?

Die Blondine tippte mit einem perfekt manikürten Fingernagel auf die gläserne Schreibtischplatte. „Ich könnte natürlich einen seiner Partner …“

„Ich muss mit ihm reden.“ Von Sorge zerfressen, versuchte Lindsay dennoch, ruhig zu bleiben. Seit drei Tagen schon hatte sie nicht mehr richtig geschlafen, und ihr war übel, wenn sie daran dachte, was vor ihr lag. „Bitte, deshalb bin ich extra nach Rom gekommen. Es ist eine persönliche Angelegenheit.“ Das blasse Gesicht ihrer Schwester quälte sie wieder, doch vor dieser eiskalten Schönheit würde sie ihre Familiengeheimnisse nicht preisgeben.

Es war eine bizarre Situation – Lindsay bemühte sich, einen Mann zu treffen, der der letzte Mensch auf Erden war, den sie sehen wollte …

Die Sekretärin hob eine Augenbraue. Natürlich … sie konnte nicht glauben, dass jemand wie Lindsay irgendeine „persönliche Angelegenheit“ mit Alessio Capelli haben könnte. „Hat er Ihnen seine Handynummer gegeben?“

„Nein, aber …“

„Dann wünscht er offensichtlich auch keinen Kontakt mit Ihnen. Frauen, die eine besondere Beziehung zu ihm haben“, die Sekretärin lächelte gönnerhaft, „haben auch diese Nummer.“

Lindsay hätte gern betont, dass sie nichts für arrogante, herzlose Ehezerstörer übrig hatte, allerdings konnte sie sich denken, dass man ihr das nicht glauben würde.

Alessio Capelli wirkte wie ein Magnet auf Frauen. Sein Beruf hätte eigentlich ein Hindernis sein müssen, stattdessen schien er seine Anziehungskraft nur noch zu erhöhen. Offenbar wollte jede Frau auf diesem Planeten beweisen, dass sie den berüchtigten Zyniker bekehren könnte.

Lindsay trat einen Schritt beiseite, als eine weitere junge Frau in das ultramoderne Foyer kam.

„Der Boss ist gerade im Fitnessstudio, um seinen Frust an einem Sandsack abzulassen. Sollte diese Akte, auf die er schon ewig wartet, jemals hier ankommen, schick sie sofort in den sechzehnten Stock hoch.“

Während sie weiter der Unterhaltung lauschte, bewegte Lindsay sich langsam auf die Aufzüge zu. Sollte sie? Bei der kühnen Idee setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Nein, unmöglich. Sie brach nie die Regeln …

Doch ihre Füße machten die Schritte wie von allein. Sie erwartete, jeden Moment eine Hand auf ihrer Schulter zu spüren, doch niemand hielt sie auf. Eilig verschwand sie in der offenen Aufzugskabine und drückte mit zitternden Fingern auf den Knopf mit der Nummer 16.

Als die Türen zuglitten, fühlte sie unendliche Erleichterung. Jedoch nur für eine kurze Weile. Schließlich musste sie noch immer erst einmal an Alessio Capelli herankommen.

Ihr Puls raste, als sie die Unterlagen aus ihrer Handtasche nahm, die sie auf dem Flug eigentlich hatte bearbeiten wollen. Arbeit, auf die sie aus lauter Sorge nicht einmal ein Auge geworfen hatte. Auf was für eine Akte wartete Alessio Capelli? Dick? Dünn? Vielleicht in einem versiegelten Umschlag? Sie steckte sich einen Stapel Dokumente unter den Arm. Es wirkte nicht unbedingt sehr offiziell, aber es würde reichen müssen.

Nervös prüfte sie ihre Erscheinung in der Spiegelwand. Ihr blickte eine ernste junge Frau in einer weißen Hemdbluse und einem knielangen schwarzen Rock entgegen. Das hellblonde Haar trug sie im Nacken zu einem Knoten gebunden, ihr Make-up war diskret und gekonnt aufgetragen. Sie sah … geschäftsmäßig aus.

Kein Wunder, dass die Empfangssekretärin sie nicht in die Kategorie Frau einstufte, die „persönlich“ mit Alessio Capelli zu tun hatte, mit einem Mann, der sich nur mit den schönsten Frauen zeigte.

Etwas regte sich in ihr, ein winziger Funke weiblicher Eitelkeit. Denn zuvor hatte sie doch immerhin seine Aufmerksamkeit erregt, oder?

Ein einziges Mal war sie ihm aufgefallen. Um genau zu sein, mehr als nur aufgefallen. Wenn sie ihn nicht abgewiesen hätte, dann hätten sie …

Sie zog ihren Rock höher, bis er ebenso viel Bein zeigte wie bei der jungen Frau unten am Empfang. Dann zuckte sie nervös zusammen und strich hastig den Stoff wieder glatt, als die Liftkabine mit einem leichten Ruck zum Stehen kam.

Himmel, was trieb sie hier nur?!

Sie gab sich sehr selbstbewusst, als sie auf die großen Glastüren zuging, die von einem muskelbepackten Sicherheitsmann bewacht wurden.

Alessio Capelli achtet definitiv auf seine Privatsphäre, dachte sie trocken und fragte sich, ob es an seinem Reichtum lag oder weil er sich auf dem Weg zu seinem geradezu unanständigen Vermögen so viele Feinde gemacht hatte.

Er war hartherzig, zynisch und skrupellos ehrgeizig. Und zu allem Überfluss auch noch höllisch attraktiv.

Panik wollte sich in ihr breitmachen, je näher der Moment der Konfrontation rückte. Aber hier ging es um ihre Schwester Ruby, nicht um sie. Ruby stand an erster Stelle.

„Ich möchte zu Signor Capelli“, sagte sie zu dem Sicherheitsmann und wiederholte es lächelnd auf Italienisch.

Der Mann warf nur einen kurzen Blick auf die Akten unter ihrem Arm und tippte sofort einen Nummerncode in das Zahlenschloss an der Wand ein. Die Glastüren schwangen auf und gaben den Blick frei auf einen nach allen Regeln der Kunst ausgestatteten riesigen Trainingsraum, der zudem eine fantastische Aussicht auf die Dächer von Rom bot.

Lindsay betrat eine Welt aus reinem Testosteron, arbeitenden Muskeln und männlichem Ego. Mehrere Männer drehten den Kopf in ihre Richtung, und plötzlich kam Lindsay sich vor wie die naive Gazelle, die in ein Löwenrudel hineingestolpert war. Sie biss die Zähne zusammen und folgte dem Sicherheitsmann, der sie durch den Raum führte.

Alessio Capelli hatte sie noch nicht bemerkt. Er drosch weiter auf den Sandsack ein. Seine bronzefarbene Haut schimmerte feucht von Schweiß, mit jedem Schlag spannten sich die Muskeln seiner athletischen Gestalt an und lockerten sich wieder.

Das war der falsche Mann. Der Wachmann musste sich geirrt haben. Es war jetzt sechs Monate her, dass sie Alessio Capelli getroffen hatte, aber sein elegantes und faszinierendes Äußeres war unauslöschlich in ihre Erinnerung gebrannt.

Was ihn jedoch wirklich gefährlich machte, war seine außergewöhnliche Intelligenz. Er benutzte Worte als Waffe, um sein Ziel zu erreichen, ob es nun darum ging, einen Prozess zu gewinnen oder eine Frau in sein Bett zu locken. Als Anwalt gehörte er zu den Besten, das wusste Lindsay, als Mensch jedoch …

Lindsay zuckte zusammen, als der Mann dort einen letzten harten Schlag in den Sandsack hieb. An diesem Mann hier war nichts Elegantes, im Gegenteil. Er war rau und animalisch.

Dann drehte er den Kopf. Die Welt schien plötzlich zu schrumpfen. Schweigend starrten sie einander an, und Lindsay hielt den Atem an, gefangen von seinem Blick.

Alessio hatte die gleiche Wirkung auf sie wie bei ihrer ersten Begegnung. Damals wie heute war diese Wirkung furchterregend intensiv. Obwohl Lindsay heute wusste, wer er war und wie er sein Geld verdiente, milderte das nicht die körperliche Reaktion, die dieser Mann in ihr auslöste.

Seine sizilianische Abstammung war überdeutlich in jedem markanten Zug seines attraktiven Gesichts erkennbar. Nur bekleidet mit Shorts und Trainingsshirt, sah er geradezu atemberaubend aus. Seine dunklen Augen wurden von dichten schwarzen Wimpern umrahmt, Augen, die immer direkt und unverblümt sein Gegenüber ansahen. Und wenn er noch nie den Versuch gemacht hatte, Gefühle zu kaschieren, dann wohl deshalb, weil er keine Gefühle hatte.

Sein Leben bestand aus Fakten und Zahlen. Wollte man den Gerüchten Glauben schenken, dann waren es große Zahlen.

Lindsay kam sich eher wie achtzehn denn wie achtundzwanzig vor. Sie räusperte sich. „Hallo, Alessio.“

Er ließ die Fäuste sinken. Ohne den Blick abzuwenden, zog er die Boxhandschuhe aus. „Du hast dir ja eine romantische Umgebung für ein Wiedersehen ausgesucht, Lindsay.“ Er sprach perfektes Englisch, doch er war durch und durch Sizilianer, dunkel, arrogant, das aufbrausende Temperament nur unter einer dünnen Lage Weltgewandtheit versteckt.

Ein angenehmes Prickeln überlief sie, dass er sie nicht vergessen hatte. Und es wurde sofort durch Empörung bezwungen.

Doch auch wenn ihr Verstand die Kontrolle über ihren Körper verloren zu haben schien, waren all ihre Sinne jäh hellwach. Und genau das war der Grund, warum sie sich selbst nicht traute, sobald sie in seiner Nähe war. Ihr Leben schien sich dann automatisch in ein Schlachtfeld zu verwandeln – in den konstanten Kampf zwischen dem, was der Verstand ihr befahl, und dem, was ihr Körper wollte.

Sämtliche Schutzbarrieren, die sie um sich herum aufgebaut hatte, begannen in Windeseile zu bröckeln. Die eigene Verwundbarkeit erschreckte sie zutiefst. Hier geht es um Ruby, erinnerte sie sich still. Ruby ist der einzige Grund, aus dem du hier bist.

„Ich bin überrascht, dass du dich an mich erinnerst, angesichts der vielen blonden Frauen in deinem Leben. Wie kannst du sie da noch auseinanderhalten?“

Humor leuchtete in seinem Blick auf, als er nach einem Handtuch griff. „Das Unerwartete ist immer erinnerungswürdig. Du hast mich schließlich abblitzen lassen.“

Das passierte ihm sicher nicht oft. „Es bestand nie die geringste Chance, dass ich mich mit dir einlasse. Im Gegensatz zu dir denke ich nämlich mit dem Kopf.“

Er lachte leise, und Lindsay runzelte die Stirn. Sie hatte vergessen, dass er Humor besaß. Hatte es vergessen wollen, weil ihn das menschlicher machte. Es war unerlässlich, dass sie sich immer ins Gedächtnis rief, wie kalt und gefühllos er war. Für sie musste er so unattraktiv wie nur möglich sein.

Nur war sein Lächeln alles andere als unattraktiv. Und er wusste es auch. „Warum bist du dann hier?“

„Ich muss mit dir reden.“

„Bist du den ganzen weiten Weg von England hierher geflogen, nur um mit mir zu reden? Ich wusste nicht, dass du die Konversation mit mir derart anregend findest.“

Verzweifelt bemühte Lindsay sich, seine Größe und die Breite seiner Schultern zu ignorieren. Sie hatte ihn nicht im Fitnessstudio sehen müssen, um zu wissen, dass er stark und muskulös war. Niemand kam gegen ihn an. Emotional und körperlich war dieser Mann ein Titan.

Und er setzte seine Stärke rücksichtslos gegen andere Menschen ein. Vor allem gegen Frauen.

Plötzlich wünschte Lindsay, sie könnte die Zeit zurückdrehen. Denn dann wäre sie niemals nach Rom geflogen, um sich ein erholsames Wochenende zu gönnen. Und Alessio Capelli wäre ein professioneller Gegner geblieben, anstatt ein Mann aus Fleisch und Blut zu werden. Wenn sie einander auf professioneller Ebene begegnet wären, hätte sie ihren Kittel getragen und nicht …

„Ich hatte versucht, dich von England aus anzurufen“, sagte sie sachlich. „Da mich niemand zu dir durchstellen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als herzukommen. Ich hatte immer wieder betont, dass es sich um eine dringende persönliche Angelegenheit handelt. Wie erreichen dich eigentlich deine Mandanten?“

„Wärst du eine Mandantin, hättest du eine andere Telefonnummer gehabt. Wenig verwunderlich, dass sie dich nicht durchgestellt haben. Mein Personal weiß, dass ich nie persönliche Angelegenheiten am Telefon bespreche. Und dringend … für sie heißt das nur, dass da eine Reporterin am anderen Ende ist, die eine Frist einzuhalten hat. Sie wurden geschult, misstrauisch zu sein … eine leidige Notwendigkeit, wenn man im Interesse der Öffentlichkeit steht.“

Er bückte sich, um seine Wasserflasche aufzuheben. „Jetzt bin ich neugierig, was so wichtig sein kann, dass du dich freiwillig in meine Gesellschaft begibst. Ich hoffe doch, du hast deine strikten Prinzipien endlich aufgeben und bist jetzt bereit, die unendlichen Freuden am Sex ohne gefühlsmäßige Bindung zu genießen?“

„Alessio …“

„Du ahnst nicht, wie sehr ich mich darauf freue, dich auszuziehen, tesoro.“

Sein tiefes Schnurren fuhr ihr direkt in den Unterleib. Aber das tat er absichtlich. Er legte es darauf an, sie durcheinanderzubringen. „Du kannst einfach nicht anders, oder?“ Sie hielt ihre Stimme völlig ruhig. „Du musst mich in Verlegenheit bringen.“

Mi dispiace.“ Seine Augen funkelten spöttisch. „Tut mir leid. Das war unfair. Aber ich mag es so gern, wenn du rot wirst. Deine Wangen haben dann die gleiche Farbe, die sie auch haben werden, nachdem wir wilden, ungezügelten Sex hatten.“

„Das wird nie passieren. Akzeptier es endlich.“

„Das zeigt nur, wie wenig du mich kennst. Ich muss Situationen, die mir nicht gefallen, einfach ändern.“ Er lächelte dünn – es war ein bedrohliches Lächeln. „Das nennt man verhandeln.“

„Bei Verhandlungen bekommen beide Parteien einen Teil von dem, was sie sich erwartet haben. Das nennt man einen Gewinn für beide Seiten.“

„Das mit dem Gewinnen verstehe ich, aber mit halben Lösungen kann ich mich nicht zufriedengeben. Wenn ich etwas will, dann will ich alles, nicht nur die Hälfte.“

Ihr Puls raste. Sie hielt es ähnlich. „Du bist nicht mein Typ, Alessio.“

„Und genau das macht es ja so interessant, tesoro.“ Er genoss es, sie zu zermürben. „Wenn du auf gewiefte Scheidungsanwälte stehen würdest, wäre es ja langweilig. Diese Chemie zwischen uns muss sehr unangenehm für dich sein.“

Die Unterhaltung hatte eine gefährliche Richtung eingeschlagen. Es war, als würde man durch einen Sturm segeln – man lief immer Gefahr, vom Kurs abzukommen. Alessio führte sie auf ein Gebiet, das sie schon vor langer Zeit für sich als tabu markiert hatte.

„Ruby …“, brachte sie schwach hervor. „Ich mache mir Sorgen um Ruby.“

„Ah.“ Er kniff leicht die Augen zusammen. „Ich hätte mir denken sollen, dass dein Erscheinen etwas mit dem Verschwinden deiner kessen kleinen Schwester zu tun hat.“

„Verschwinden? Also weißt du auch nicht, wo sie ist? Ich hatte gehofft, sie hätte dir etwas gesagt.“

„Wieso sollte sie?“

„Weil du ihr Boss bist! Immerhin arbeitet sie seit sechs Monaten für dich.“

„Und du meinst, ich tausche Vertraulichkeiten mit meinem Personal?“ Alessio setzte die Flasche an den Mund und trank in tiefen Zügen.

Lindsay schaute fasziniert zu, verfolgte benommen, wie sein starker, bronzefarbener Hals bei jedem Schluck arbeitete.

Als er die Flasche wieder absetzte, verzog er den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Es ist höchst unklug, mich so anzustarren“, sagte er mit verführerischer Stimme, „wenn du nicht vorhast, die Sache weiterzuführen. Außerdem wissen wir doch beide, dass es weder der richtige Ort noch die richtige Zeit ist.“

Die Tatsache, dass er sie so leicht durchschaute, war ebenso unwillkommen wie die Hitze, die sich in ihrem Unterleib ausgebreitet hatte. „Denkst du eigentlich jemals an etwas anderes als Sex, Alessio?“

„Ja.“ Er musterte ihre hochroten Wangen mit zermürbender Intensität. „Manchmal denke ich auch an Geld.“

Lindsay war wütend auf sich, weil sie selbst ihm die Gelegenheit gegeben hatte, sie noch weiter aus der Fassung zu bringen. „Könnten wir bitte über Ruby reden?“

„Wenn es unbedingt nötig ist“, gab er gelangweilt zurück. „Du versuchst also noch immer, das Sagen über sie haben.“

„Damit hat das überhaupt nichts zu tun. Ich liebe sie und mache mir Sorgen um sie.“

„Solange sie ihr Leben nach deinen Vorstellungen führt. Ich verstehe nicht viel von Liebe, Lindsay, aber angeblich hat es etwas damit zu tun, dass man die Menschen akzeptiert, wie sie sind, und nicht versucht, sie zu ändern. Du krallst dich in deine Schwester wie ein Adler in seine Beute.“

Seine Kritik tat weh. Aber er hatte keine Ahnung, wie ihr Leben verlaufen war. Und von ihm würde sie sich nicht in die Vergangenheit zurückziehen lassen. „Wie du selbst sagst, verstehst du nur wenig von Liebe. Seit einer Woche habe ich nichts von ihr gehört. Sie meldet sich nicht, reagiert nicht auf meine Nachrichten. Und aus deinem Büro erfahre ich nicht mehr, als dass sie nicht da ist. Ich mache mir Sorgen.“

„Sie ist einundzwanzig, also alt genug, um ihre eigenen Fehler zu machen.“ Er legte sich das Handtuch um den Hals. „Es sieht aus, als hätte sie genau das getan.“

Für einen Moment meldeten sich Zweifel. Mischte sie sich ein? Nein, schließlich redeten sie hier über ihre Schwester. „Ruby ist sehr verwundbar. Als wir dich und deinen Bruder letzten Sommer trafen, hatte sie gerade eine zerstörerische Beziehung hinter sich, und sie …“ Lindsay brach ab. Sie brauchte keine Details preiszugeben. „Oberflächlich betrachtet wirkt Ruby unbeschwert und ausgeglichen, aber … du glaubst vielleicht, du kennst sie, doch das stimmt nicht.“

Alessios Blick lag unverwandt auf ihr. „Deine Schwester arbeitet seit einem halben Jahr für mich. Ich nehme sogar an, dass ich mehr über sie weiß als du. Und jetzt musst du mich entschuldigen. In einer Stunde treffe ich mich mit einem Mandanten, danach fliege ich in die Karibik. Dort sollte übrigens auch deine Schwester sein. Sie sollte mir bei einem wichtigen Fall assistieren.“

Karibik … Fall … Das war nicht viel, aber zumindest etwas. Mit gerunzelter Stirn folgte Lindsay ihm zur Glastür hinaus. „Wusste sie, dass du sie in der Karibik erwartest?“

„Natürlich. Sie war schließlich für alle Arrangements verantwortlich.“

„Ruby hätte niemals ihre Pflichten einfach vernachlässigt.“ Lindsay blieb wie vom Donner gerührt stehen, als sie merkte, dass sie Alessio in den Umkleideraum gefolgt war.

Glücklicherweise war der Raum leer, aber Alessio bedachte sie mit einem herausfordernden Blick und zog sich das Trainingsshirt über den Kopf. „Möchtest du diese Konversation fortsetzen, während ich dusche?“

Konfrontiert mit einem atemberaubenden nackten männlichen Oberkörper, hämmerte ihr Herz hart gegen ihre Rippen. „Könntest du nicht wenigstens einen Moment damit aufhören? Ich bitte dich doch bloß, ein paar Minuten mit mir zu reden.“

„Wenn du nichts weiter als reden willst … das kostet dich die Minute ungefähr tausend Dollar – was wiederum heißt, dass du es dir nicht leisten kannst. Wenn du allerdings nicht nur reden willst, mache ich dir einen Vorzugspreis.“ Er lachte trocken auf, als er das Blut in ihre Wangen schießen sah. „Schockiert? Du bist selbst schuld, tesoro. Eine Frau, die ihre eigene Sexualität verneint, sollte einem Mann besser nicht in die Dusche folgen.“

„Ich verneine gar nichts. Es stimmt, da besteht eine Chemie zwischen uns …“ Sie stolperte über die eigene Ehrlichkeit. „… aber das heißt nicht, dass ich darauf reagieren muss. Erwachsen zu sein heißt, eine freie Wahl zu haben. Und du bist nun mal nicht meine Wahl.“

„Nicht?“

Irgendwie war dieses Gespräch wieder ins Persönliche abgeglitten. Lindsay rieb sich über die Stirn. „Bitte, können wir einfach nur über Ruby reden?“

„Sicher. Du redest, ich dusche. Da du ja erwachsen bist, wird es dir auch sicher nichts ausmachen, mich nackt zu sehen, oder?“ Er hakte die Daumen in den Bund seiner Shorts.

Auch wenn sie sich ermahnte, gelassen stehen zu bleiben und nur eine lässige Bemerkung zu machen … weder ihr Verstand noch ihre Zunge wollten ihr gehorchen. „Ich warte wohl besser draußen …“

„Probleme mit deiner ‚freien Wahl‘?“, spottete er. „Es gefällt dir wohl nicht, wenn deine berühmte Willenskraft auf die Probe gestellt wird, wie? Kleidest du dich deshalb so langweilig und trägst diesen strengen Knoten? Hoffst du darauf, dass, wenn das Äußere sicher zugeknöpft ist, das Innere schon nachziehen wird?“

„Ich bin direkt von der Arbeit losgeflogen.“

„Ah ja, deine Arbeit. Lindsay Lockheart, Eheberaterin. Wie läuft es denn? Bei unserer letzten gemeinsamen Radioshow hast du die Leute aufgefordert, dein neues BAP zu nutzen, nicht wahr? Beziehungs-Analyse-Programm.“ Er klang amüsiert. „Mit meiner letzten Freundin habe ich es ausprobiert. Leider war unsere Beziehung zu Ende, bevor wir damit durch waren.“

Lindsay kaute an ihrer Lippe. „Für Zyniker ist das Programm auch nicht gemacht. Bei dir ist kein Programm nötig, um festzustellen, dass alle deine Beziehungen oberflächlich und bedeutungslos sind. Aber ich bin auch nicht hier, um unsere beruflichen Gegensätze auszuarbeiten.“

„Es verblüfft mich noch immer, wie du es geschafft hast, dir einen Ruf als Beziehungsexpertin zu erarbeiten, wenn deine eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet doch so begrenzt sind.“

Kein Wunder, dass er als Anwalt unschlagbar war – er suchte nach den Schwachstellen der anderen Partei und nutzte sie dann ohne jedes Zögern aus. Ginge es nicht um Ruby, würde Lindsay auf dem Absatz kehrtmachen und nach England zurückfliegen.

„Ich muss wissen, ob meine Schwester mit deinem Bruder zusammen ist.“ Bitte, sag Nein, flehte sie in Gedanken. „Sie ist auf jeden Fall mit jemandem zusammen. In letzter Zeit war sie so geheimnisvoll, das ist sie sonst nie. Sie erzählt mir immer alles.“

„Alles?“, hakte er anzüglich nach. Lindsay mahlte mit den Zähnen, und er fuhr fort: „Durchaus möglich. Die beiden scheinen einander … unterhaltsam zu finden.“

Ein ungutes Gefühl überlief Lindsay. „Und du hast nicht versucht, die beiden aufzuhalten?“ Er hatte jetzt auch das letzte Stück Kleidung abgelegt, Lindsay hielt den Blick starr auf die Wand gerichtet. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass die beiden überhaupt nicht zueinanderpassen?“

„Im Gegensatz zu dir mische ich mich nicht in die Beziehungen anderer Leute ein. Und ich bin nicht der Aufseher meines Bruders.“ Damit marschierte er nackt in die Duschkabine und schloss die Tür.

Lindsay atmete tief durch, als sie das Wasserrauschen einsetzen hörte. Für den Moment war sie also allein. Unter anderen Umständen wäre sie längst gegangen, wusste sie doch, dass ein Wortgefecht mit Alessio völlig sinnlos war. Doch seine Bemerkung hatte ihre Sorge um die Schwester noch verstärkt.

Ihrer Meinung nach war es das denkbar schlimmste Szenario. Es sah tatsächlich so aus, als wäre Ruby mit Dino zusammen und als scherte sie sich nicht mehr um ihren Job. Wenn es stimmte, was Alessio sagte, dann hatte Ruby ihre Pflichten sträflich vernachlässigt. Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein?

Und warum hatte Alessio dem nicht einen Riegel vorgeschoben, wenn doch jeder sehen konnte, dass eine Beziehung zwischen Ruby und Dino die vorprogrammierte Katastrophe war?

Grimmig starrte Lindsay auf die Duschkabine. Natürlich wusste er das. Aber er interessierte sich ja nicht für andere Menschen, sondern dachte nur an sich selbst.

Er ahnte auch nicht, was eine solche Beziehung Ruby antun würde. Kurz überlegte Lindsay, ob sie ihm die ganze tragische Geschichte erzählen und an seinen Anstand appellieren sollte. Allerdings bezweifelte sie ernsthaft, dass Alessio Capelli auch nur einen Funken Anstand in sich trug.

Welcher Teufel hatte sie bloß geritten herzukommen? Diese Reise war völlig nutzlos. Alessio und sie hatten völlig verschiedene Lebenseinstellungen und Ansichten.

Die Sorge um Ruby wuchs. Wo konnte sie sein? Was genau trieb sie jetzt? Und warum? „Hast du die beiden etwa auch noch ermutigt?“ Sie hob die Stimme, um sich über das Wasserrauschen verständlich zu machen, doch das verstummte jäh.

Alessio trat aus der Kabine, ein Handtuch um die Hüften und auf den Lippen ein zynisches Lächeln. „Selbst du kannst nicht so naiv sein, Lindsay. Erwachsene brauchen keine Ermutigung. Alles, was sie brauchen, ist eine Gelegenheit.“

„Und ich bin sicher, du hast ihnen diese Gelegenheit beschafft.“ Sie massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. „Du kanntest meine Ansichten zu einer solchen Verbindung. Als wir uns trafen, sagte ich dir auch, dass Ruby gerade erst eine zerbrochene Beziehung hinter sich hatte. Sie war grenzenlos verletzlich, und das ist sie immer noch. Dein Bruder ist der Letzte, den sie im Moment braucht.“

Sie schluckte. „Hast du das absichtlich getan? Um mich zu bestrafen, weil ich dir einen Korb gegeben habe? Geht es hier nur um dein Ego, Alessio? Es macht dir überhaupt nichts aus, was mit Ruby geschieht. Dir ist völlig gleich, dass sie mit deinem Playboy-Bruder herumzieht.“

„Im Gegenteil, es macht mir sogar sehr viel aus. Mir liegt ebenso viel daran wie dir, sie zu erreichen. Ich bin übrigens angezogen, du kannst dich also wieder umdrehen.“

„Wirklich? Es macht dir etwas aus?“ Vielleicht hatte Lindsay sich ja in ihm getäuscht, und er hatte doch eine menschliche Seite. „Du willst auch wissen, wo sie ist?“

„Ja. Deine Schwester hat nämlich einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Und dieser Arbeitsvertrag besagt eindeutig, dass sie eine Kündigungsfrist einzuhalten hat, wenn sie ihre Stelle aufgeben will. Sollte sie heute Nachmittag um vier Uhr nicht zu ihrer Arbeit antreten, werde ich sie fristlos feuern. Sie kann von Glück sagen, wenn ich sie nicht wegen Vertragsbruchs verklage.“

2. KAPITEL

Einen Moment lang stand Lindsay benommen da. Wie viel schlimmer konnte die Situation noch werden? Ruby war kurz davor, alles zu verlieren.

„Bitte, das kannst du nicht tun. Du darfst ihr nicht den Job wegnehmen. Wenn die Beziehung mit deinem Bruder dann zu Ende ist, wird Ruby am Boden zerstört sein.“

„Nur, wenn sie unrealistische Erwartungen an Beziehungen stellt. Was durchaus möglich sein kann, da sie deine Schwester ist. Aber es wird ihr eine Lektion fürs Leben sein, über Loyalitäten und Prioritäten“, fuhr Alessio mitleidlos fort. „Ruby ist meine Angestellte und hat ihren Job zu erledigen. Wenn sie das nicht kann oder nicht will, hat sie in meinem Team nichts verloren.“

„Ruby ist Juniorsekretärin. Ich bin sicher, es gibt hundert andere, die an ihrer Stelle mit dir auf diese Geschäftsreise gehen können.“

„Darum geht es aber nicht. Es war Rubys Aufgabe. Wenn sie die nicht erfüllt, ist sie draußen.“

„Du solltest deinen Bruder hinauswerfen.“ Lindsay funkelte ihn böse an. „Er trägt ebenso viel Schuld daran, und er ist acht Jahre älter als sie.“

„Mein Bruder leitet seine eigene Abteilung. Was er tut, geht mich nichts an.“ Ohne das geringste Anzeichen von Mitgefühl legte Alessio seine Rolex an. „Du solltest aufhören, das Leben deiner Schwester zu organisieren. Du kannst sie nicht ständig beschützen. Das ist vielleicht der Weckruf, den sie braucht. Es gibt nichts Besseres als ein paar Niederlagen, um ein Rückgrat zu bekommen.“

Was wusste jemand wie er schon von Niederlagen? Jemand mit seinem Vermögen und seiner Selbstsicherheit ahnte nicht einmal, wie es war, wenn man kämpfen musste, um zu überleben. „Ruby braucht diesen Job. Sie ist sehr verantwortungsbewusst. Es ist nicht ihre Art, einfach nicht zum Dienst zu erscheinen.“

„Mein Bruder und Ruby konnten die Finger nicht voneinander lassen. Man nennt es Leidenschaft. Das kann selbst den Besten von uns passieren“, meinte er trocken. Sein Blick fiel auf ihren Mund. „Bist du noch nie von Leidenschaft überwältigt worden, sodass du sämtliche Vernunft hast fahren lassen?“

Ihr Gesicht brannte. „Ich bin kein Teenager mehr, Alessio. Selbstbeherrschung gehört mit zum Erwachsensein.“

Aus irgendeinem Grund fand er das amüsant. „Da drängt sich doch die Frage auf, ob deine legendäre Selbstbeherrschung jemals wirklich auf den Prüfstand gestellt wurde.“ Seine dunklen Augen glühten herausfordernd. „Wann hast du dich zum letzten Mal beherrscht, um einem Mann nicht die Kleidung vom Körper zu reißen?“

Als sie Alessio zum ersten Mal begegnet war und noch nicht wusste, wer er war und womit er sein Geld verdiente. „Ich dachte, wir reden über Ruby.“

Er lächelte träge. „Tun wir auch. Nun, entweder mangelt es deiner Schwester an deiner eisernen Selbstbeherrschung, oder aber sie ist auf ein viel höher gelegtes Ziel aus. Vielleicht hofft sie ja darauf, dass mein Bruder sie heiratet.“

„Ruby will nicht heiraten.“

„Jede Frau will heiraten, sobald es sich lohnt.“ Er klang schrecklich zynisch, und Lindsay schüttelte den Kopf.

„Ruby weiß, dass dein Bruder kein Mann zum Heiraten ist.“ Wusste Ruby das wirklich? Oder machte sie sich etwas vor, wie so viele andere Frauen, wenn die Leidenschaft den Verstand ausschaltete? „Du und ich wissen, dass diese Affäre nicht lange dauern wird. Man braucht mehr für eine erfolgreiche Beziehung als nur Sex, nämlich echte Verbundenheit und Intimität. Aber ich erwarte auch nicht, dass du das verstehst.“

„Mit Intimität hatte ich noch nie Probleme, Lindsay.“ Er lächelte. „Es ist sogar meine bevorzugte Art der Entspannung.“

Unter seinem durchdringenden Blick wurde Lindsay am ganzen Körper heiß. Sie wehrte sich instinktiv dagegen und reckte die Schultern. „Ich spreche von emotioneller Intimität. Aber lassen wir das Thema“, murmelte sie tonlos. „Über das, was für eine gute Beziehung notwendig ist, werden du und ich uns nie einig sein.“

„Zur Charakteristik einer guten Beziehung gehört, dass sie beendet wird, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist, anstatt noch Jahre in quälender Langeweile zu verbringen.“

„Oh, bitte.“ Lindsay schnaubte. „Als Nächstes wirst du mir noch erzählen, Scheidungsanwälte seien ein Segen für die Menschheit.“

„Nicht für die gesamte Menschheit, nein. Aber für ein paar Auserwählte, die auf meine besonderen Fähigkeiten angewiesen sind.“

„Du verdienst dein Geld mit dem Elend anderer Leute.“

„Du doch auch.“ Das Glitzern in seinen Augen schimmerte plötzlich hart. „Der Unterschied zwischen uns liegt darin, dass ich meinen Erfolg in der Realität aufgebaut habe, während deiner auf Träumen basiert. Zu erwarten, dass eine Beziehung ewig hält, ist ein reines Märchen.“

„Das stimmt nicht …“

„Warum platzt mein Terminkalender dann aus allen Nähten? Wieso bin ich beschäftigter als je zuvor?“ Kühl musterte er sie und beantwortete die Frage selbst. „Weil die Menschen endlich eingesehen haben, wie unrealistisch die Vorstellung ist, ein Leben lang an einen Menschen gebunden zu sein.

Was deine Schwester und mein Bruder im Moment tun, ist viel ehrlicher – sie haben wilden, aufregenden Sex, bis er nicht mehr wild und aufregend ist. Und dann gehen sie wieder getrennte Wege.“

Ihm zuzuhören, wie er alles lächerlich machte, woran sie glaubte, ließ Lindsay schaudern. „Ich sehe das völlig anders.“

„Natürlich, denn sonst könntest du deinen Job gleich aufgeben. Ich habe dich letztens im Fernsehen gesehen, wie du einer bekannten Hollywoodschauspielerin Ratschläge gabst, um ihre Ehe zu retten. Lindsay Lockheart, Eheberaterin. Du sahst übrigens süß aus.“ Seine Stimme wurde verführerisch. „Süß und überzeugend. Letzteres ist umso erstaunlicher, da Lindsay Lockheart, Eheberaterin, selbst nie eine Beziehung gehabt hat.“

Sie ignorierte den Spott in seinen Augen. „Stimmt, ich war nie verheiratet, wenn du das meinst.“ Das war ein Thema, das sie generell mied. „Aber ich hatte Beziehungen.“

Schweigend studierte er sie eine Weile nachdenklich. „Ich rede nicht von einem gepflegten Dinner oder einem Besuch in der Oper. Wissen deine Klienten eigentlich, dass du eine Betrügerin bist, Lindsay?“ Geschmeidig kam er auf sie zu. Jetzt war er ganz der erfolgreiche Anwalt, nichts von dem Image des harten Kerls am Sandsack war übrig geblieben. Der perfekt sitzende anthrazitfarbene Maßanzug umgab ihn mit der Aura von Reichtum und Erfolg. Nichtsdestotrotz waren rohe Kraft und Energie noch immer zu spüren, sie gehörten zu ihm wie eine zweite Haut.

Je näher Alessio kam, desto heftiger schlug ihr Puls. Lindsay unterdrückte den Impuls zurückzuweichen. Sie würde ihn nicht die Oberhand gewinnen lassen, das durfte sie einfach nicht …

Und doch war er es, der die Kontrolle übernahm. Er drängte Lindsay Schritt für Schritt an die Wand zurück, entschlossen, maskulin, konsequent.

Lindsay hob abwehrend die Hände und ließ sie wieder sinken. Ihre Wangen brannten. „Was soll das, Alessio?“

„Ich rede auch nicht von einem angeregten Meinungsaustausch über einem Drink in einem englischen Country Club. Nein, ich meine eine Explosion der Leidenschaft. Ich spreche von echter Intimität, Lindsay. Von heißer, verschwitzter, erregender Intimität, die deinen Puls in die Höhe treibt, die dich alle Pflichten vergessen lässt.“

„Alessio …“

„Intimität, die dich die Kontrolle verlieren lässt und zu falschen Entscheidungen verleitet. Hast du jemals so empfunden, Lindsay?“ Sein Mund war ihr plötzlich gefährlich nahe, sie konnte seinen warmen Atem an ihren Lippen spüren. „Animalische Intimität.“

„Alessio!“

Er würde sie küssen. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und noch während ihr Verstand sich heldenhaft wehrte, konnte sie fühlen, wie sie in den Strudel gezogen wurde … in den dunklen, reißenden Strudel sexueller Erregung.

Alessio sah sie durchbohrend an, er hob die Hände und … ließ die Arme wieder sinken und trat von ihr ab. „Das ist es, wovon ich rede, meine liebe Lindsay.“

Für einen Moment glaubte sie, ohnmächtig werden zu müssen. Sie blinzelte angestrengt, um ihre Sicht zu klären, und zwang sich, ruhig zu atmen. Und dann setzte die Erniedrigung ein, denn sie wusste, sie hatte nur Sekundenbruchteile davorgestanden, die Arme um seinen Nacken zu schlingen und die Lippen auf seinen Mund zu pressen. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

Nein, es war nicht Enttäuschung, was sie jetzt fühlte. Definitiv nicht!

„Das ist doch genau mein Punkt. Wie kannst du so einen Beruf für dich wählen und Paaren Ratschläge erteilen, wenn du selbst keine Ahnung von Beziehungen hast?“

Es war gefährlich, in seiner Nähe zu sein. Weil sie sich selbst dann nicht trauen konnte. Krampfhaft verschränkte sie die Finger ineinander. „Du redest da von Sex ohne jegliche Bedeutung …“

„Und du glaubst, man könne eine Beziehung nicht auf Sex aufbauen? Lass dir gesagt sein, tesoro, solche Beziehungen sind überhaupt die besten.“

Bei seiner Bemerkung setzte ihr Verstand wieder ein. „Was uns wiederum zu meinem Punkt zurückbringt.“ Ihre Fassung kehrte zurück und mit ihr auch die Kraft, Alessio zu widerstehen. „Du weißt nicht, was echte Intimität ist. Intimität hat nichts damit zu tun, dass man nach dem Sex noch eine Weile die körperliche Nähe des anderen sucht, sondern bei der wahren Liebe geht es darum, Gedanken und Gefühle zu teilen, einander Hoffnungen und Ängste und Träume anzuvertrauen.“

Alessio lächelte schwach. „Dann bin ich wirklich froh, dass mir das, was du unter echter Intimität verstehst, bisher erspart geblieben ist. Wegen dieses unrealistischen Hirngespinsts klingelt schließlich mein Telefon ständig.“

Lindsay seufzte frustriert. „Die Liebe existiert. Wenn du sie bisher noch nie erfahren hast, kannst du mir nur leidtun. Wie kalt und einsam es in deinem Bett sein muss.“ Sie bereute ihre Worte sofort, als sie prompt ein Lächeln auf seinen Lippen sah.

„Mein Bett zu wärmen war noch nie ein Problem“, konterte er leise. „Also, falls du alternative Energiequellen in der Praxis erleben möchtest … klopf einfach an meine Schlafzimmertür, tesoro.“

Lindsay atmete tief durch. „Vermutlich ist es dein Job, der dich so zynisch gemacht hat.“

„Realistisch“, korrigierte er spöttisch. Dann schaute er auf seine Armbanduhr. „So faszinierend diese Unterhaltung auch ist … in meinem Büro sitzt ein Mandant, der ungeduldig darauf wartet, die letzte ‚echte Intimität‘ aus seinem Leben auszuradieren. Und gleich danach muss ich mich auf den Weg in die Karibik machen.“

Lindsay versuchte, ihren Kopf zu klären. „Ruby …“

„Tröste dich mit dem Gedanken, dass sie im Moment wahrscheinlich den besten Sex ihres Lebens hat. Wenn sie auch noch genügend Verstand hat, pünktlich am Flughafen zu erscheinen … ich bestelle ihr, dass sie dich anrufen soll.“ Sein Ton war merklich kühler geworden. „Falls nicht … dann richtest du ihr bitte aus, wenn du das nächste Mal von ihr hörst, dass sie sich nach einem neuen Job umsehen kann.“

Aufgewühlt von der Begegnung mit Alessio saß Lindsay in einem Straßencafé. Der bestellte Espresso vor ihr auf dem Tisch blieb unangerührt.

Es war alles noch viel schlimmer, als sie erwartet hatte.

Selbst jetzt, während sie versuchte, über Ruby nachzudenken, sah sie immer wieder Alessio Capellis selbstsicheres Lächeln vor ihrem geistigen Auge. Mit leerem Blick starrte Lindsay in den schwarzen Kaffee und wünschte sich wohl zum hundertsten Mal, ihre Schwester hätte diesen Job nie angenommen.

Doch für Ruby, die junge, leicht zu beeindruckende Ruby, maßlos verletzt nach der zerbrochenen Beziehung, war die Aussicht auf eine Anstellung im sonnigen Italien einfach zu verlockend gewesen. „Einen neuen Anfang“ hatte sie es genannt.

Wohl eher vom Regen in die Traufe, dachte Lindsay jetzt und erinnerte sich daran, wie sehr sie sich damals bemüht hatte, Ruby ins Gewissen zu reden.

„Alessio ist der typische Sizilianer. Nach außen hin mag er sich tolerant und charmant geben, aber im Innern ist und bleibt er ein unverbesserlicher Macho mit Ansichten über Frauen, die in die Steinzeit gehören.“

„An dem Abend am Kolosseum hast du ihn aber keineswegs unsympathisch gefunden, als er uns vor den Räubern gerettet hat. Wenn er und sein Bruder uns nicht zu Hilfe gekommen wären …“ Noch im Nachhinein hatte ein Schauder Ruby erfasst. „Die beiden waren einfach fantastisch. So etwas sieht man sonst nur im Film. Wie die beiden mit einer ganzen Straßengang fertig geworden sind …“

Lindsay hatte ihre Schwester nur hilflos anschauen können. Sicher, es war durchaus nachvollziehbar, dass Ruby von der Romantik der Situation hingerissen gewesen war – denn für eine kurze Weile war es ihr ebenso ergangen.

Nachdem die Straßenräuber verjagt waren, hatte Alessio Capelli ihr sanft auf die Füße geholfen, und dann hatte er ihr tief in die Augen geschaut und ihr Gesicht im dämmrigen Licht der Laternen gemustert. Und für einen atemberaubenden, erregenden Moment hatte sie komplett vergessen, wer und wo sie war.

Mit seinen breiten Schultern und seiner Größe war er ihr so stark und unerschütterlich erschienen, dass sie sich tatsächlich unwillkürlich weiter und weiter zu ihm geneigt hatte, getrieben von einer unbekannten köstlichen Wärme in ihrem Schoß.

Wenn sie jetzt an diese Situation zurückdachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie bei der Straßengang wohl sicherer gewesen wäre.

Glücklicherweise hatte Alessio sie losgelassen, bevor sie sich vollkommen vergaß. Die beiden Brüder hatten sie und ihre Schwester in die Bar eines der exklusivsten Hotels in Rom geführt, so exklusiv, dass Lindsay es niemals gewagt hätte, einen Fuß hineinzusetzen.

Überwältigt von dem Luxus um sie herum, dauerte es eine Weile, bevor sie überhaupt bemerkte, mit welcher Ehrerbietung der Mann, der ihr ein Glas Champagner reichte, hier behandelt wurde. Weil er der Eigentümer des Hotels war. Amüsiert darüber, dass sie nicht wusste, wer ihr Retter war, hatte er sich schließlich vorgestellt. Und in diesem Moment war die romantische Blase geplatzt.

Alessio Capelli.

Ausgerechnet er musste zu ihrer Rettung geeilt sein, von allen Männern dieser Welt! Alessio Capelli, der gnadenlose Scheidungsanwalt, der in dem Ruf stand, seine männlichen Mandanten vor „gierigen Goldgräberinnen“ zu beschützen. Sie kannte ihn. Nicht persönlich, aber beruflich waren sie schon mehrere Male aneinandergeraten. Beide waren sie von denselben Reportern interviewt worden, und Lindsay hatte jedes Mal über seine abfälligen Kommentare zu zwischenmenschlichen Beziehungen innerlich geschäumt.

Und als wäre das nicht genug, hatte sie tatsächlich auch noch mit einigen seiner Mandanten individuelle Sitzungen abgehalten. Sie hatte Erfahrung aus erster Hand, welchen Schaden er anrichtete.

„Alessio Capelli zerstört die Frauen“, hatte sie ihrer Schwester die Augen zu öffnen versucht, doch Ruby hatte nur ungerührt mit den Schultern gezuckt.

„Nicht alle Frauen, nur die gierigen.“ Ruby hatte sie verschwörerisch angeblickt. „Ich wette, er küsst wundervoll. Komm schon, Linny, ich weiß, du bist mehr für Logik und Vernunft, aber du musst doch auch zugeben, dass er einfach fantastisch aussieht. Wenn dir bei großen dunklen Männern mulmig wird, dann ist da ja immer noch sein kleiner Bruder. Der ist doch auch unheimlich süß …“

Lindsay hatte sich die Bemerkung verkniffen, dass es noch keine zwei Wochen her war, seit Ruby nach dem Ende ihrer Beziehung das Leben nicht mehr für lebenswert gehalten hatte. „Denk doch mal nach, Ruby. Versuch, hinter das attraktive Gesicht zu sehen. Teilst du die gleichen Ansichten über das Leben mit ihm? Habt ihr die gleichen Wertvorstellungen? Gibt es das, was nötig ist, um eine solide Beziehung aufzubauen?“

„Hör doch auf, Linny. Ich will doch nur ein bisschen Spaß haben, ich denke nicht gleich ans Heiraten. Du bist immer so schrecklich ernst.“ Ruby hatte einen Schmollmund gezogen. „Du solltest eine Affäre mit Alessio Capelli anfangen, das kann dir nur guttun. Eine Woche Sonne und heißer Sex mit einem Sizilianer.“

Und den Rest des Lebens mit einem gebrochenen Herzen dastehen. „Ich habe kein Interesse an flüchtigen Affären. Außerdem reden wir über dich, nicht über mich. Ich denke wirklich, es wäre besser, wenn du für eine Weile keine neue Beziehung eingehst.“

Rubys Augen waren dunkler geworden. „Keine Sorge, ich habe meine Lektion gelernt.“

Lindsay starrte noch immer in ihren Kaffee. Hatte Ruby das wirklich? Oder steckte sie mitten drin in einer neuen verrückten Affäre, die nur zum nächsten Zusammenbruch führen konnte?

Sie sah zur Uhr. Noch blieb Ruby eine knappe Stunde, um am Flughafen zu erscheinen. Man sollte immer positiv denken …

Plötzlich schoss ein stechender Schmerz in ihren Schädel. Oh nein, nicht jetzt! Das war der typische Beginn eines Migräneanfalls!

Lindsay griff zu ihrer Handtasche und kramte nach dem Pillendöschen. Zu Hause würde sie jetzt eine von den verschriebenen Tabletten einnehmen und sich in ihrem abgedunkelten Schlafzimmer hinlegen. Hier jedoch …

… musste sie entsetzt feststellen, dass sie vor der Reise vergessen hatte, das Döschen aufzufüllen. Sie presste die Fingerspitzen an die Schläfen und schloss die Augen. Prompt blitzte Rubys lebloses blasses Gesicht vor ihr auf.

Sie musste sich zusammennehmen, durfte ihrer Fantasie jetzt nicht die Zügel schießen lassen. Noch gab es keinen Hinweis darauf, dass Ruby etwas zugestoßen war. Vermutlich gab es eine völlig logische Erklärung für das Ganze. Und Ruby stand schon am Flughafen, um Alessio Capelli ihre Entschuldigung für die Verspätung vorzubringen.

An diesem Gedanken hielt Lindsay sich fest. Sie legte einen Geldschein für den Kaffee auf den Tisch und stand auf.

Ja, gewiss würde sich dieser ganze Albtraum in Wohlgefallen auflösen.

3. KAPITEL

Alessio Capelli fuhr in dem Aufzug hinunter ins Parterre seines Bürogebäudes und ignorierte das Klingeln seines Handys in der Jacketttasche.

Er sollte eigentlich beste Laune haben. In einem kurzen Meeting hatte er nicht nur einen neuen, äußerst einflussreichen Mandanten gewonnen, sondern ihn auch von einer Konkurrenzkanzlei abgezogen. Das euphorische Triumphgefühl hätte längst einsetzen müssen, doch … nichts.

Stattdessen sah er nur ein Paar besorgte blaue Augen und blondes Haar in einem strengen Knoten vor sich.

Lindsay Lockheart legte sehr viel Wert auf Kontrolle. Sie kontrollierte ihr Haar, ihre Gefühle … und vor allem ihre kleine Schwester. Für eine Frau, die ihren Lebensunterhalt damit verdiente, anderer Menschen Verhalten zu analysieren, war sie allerdings erschreckend naiv, wenn es um ihre kleine Schwester ging. Außerdem hatte er noch nie jemanden getroffen, der so ernst war wie sie.

Er durchquerte die marmorgeflieste Lobby und ging nach draußen zu der wartenden Limousine – und da stand Lindsay Lockheart, so als hätten seine Gedanken sie herbeigerufen. Sie wartete neben dem Wagen, eine kleine Reisetasche in der Hand. Sein Chauffeur sah ihn entschuldigend an.

Sie trat auf ihn zu. „Ist Ruby im Büro aufgetaucht?“

„Du bist ja geradezu besessen.“ Ihm fiel auf, wie blass sie wurde. Zwischen den Schwestern musste eine seltsame Beziehung bestehen. Wie weit würde Lindsay für ihre Schwester gehen? Und noch viel interessanter – wieso?

„Ich liebe meine Schwester“, erwiderte sie leise. „Dafür werde ich mich nicht entschuldigen.“

„Das lässt mich geradezu schwach vor Erleichterung werden. Fein, wenn du also nicht gekommen bist, um mich zu langweilen … weshalb bist du dann hier?“

„Ich wollte nur wissen, ob du etwas von ihr gehört hast. Ich dachte, sie kommt vielleicht zurück, um ihre Arbeit zu erledigen.“

„So leid es mir für Ruby tut, aber nein.“

Sie ließ die Schultern sinken. „Könntest du nicht noch ein paar Minuten warten?“

„Nein“, sagte er leise. „Kann ich nicht.“

Sie schloss verzweifelt die Augen. „Bitte.“ Die Stimme versagte ihr. „Ich … ich weiß, wir sind verschiedener Meinung, aber es ist mir wirklich wichtig. Kann ich irgendwie verhindern, dass du sie feuerst?“

Plötzlich hatte er eine teuflische Idee. „Komm du an ihrer Stelle mit.“ Er machte diesen Vorschlag in der felsenfesten Überzeugung, dass sie ablehnen würde. Und so zuckte er auch nur gelassen mit den Schultern, als sie prompt antwortete: „Das kann ich nicht.“

„Natürlich nicht.“ Er konnte nicht widerstehen, sie noch ein bisschen mehr zu ärgern. „Mit mir zusammen in einem romantischen kleinen Nest in der Karibik … das wäre ein wahrhaft unfairer Test für deine Selbstbeherrschung. Das verstehe ich völlig.“

„Du hast ja überhaupt keine Ahnung.“ Jäh war Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt. „Ich könnte nackt mit dir in einem Bett liegen, und es würde noch immer nichts passieren. Weil ich weiß, dass du nicht zu mir passt.“

Alessio lachte auf. „Also, das ist eine Herausforderung, der wohl kein heißblütiger Sizilianer widerstehen kann.“

„Das sollte keine Herausforderung sein“, entgegnete sie steif. „Ich wollte damit lediglich sagen, dass ich meine Entscheidungen mit dem Verstand treffe. Für einen ‚heißblütigen Sizilianer‘ wie dich mag das schwer zu verstehen sein, weil du offensichtlich mit einem anderen Körperteil als mit dem Kopf denkst.“

Ein Körperteil, der sich plötzlich auf höchst unwillkommene Art bemerkbar machte. „Wenn du deinen rationalen Fähigkeiten so sehr vertraust, warum hast du dann solche Angst mitzukommen? Ich sage dir, warum“, meinte Alessio leise. „Der einzige Grund, weshalb du und ich noch nicht miteinander geschlafen haben, ist der Mangel an einer passenden Gelegenheit.“

Sie war so wunderbar leicht zu schockieren. Er beobachtete, wie heiße Röte in ihr Gesicht schoss und sie die Augen aufriss.

„Ich habe keine Angst! Was du sagst, ist Unsinn. Da könnten sich uns Hunderte von passenden Gelegenheiten bieten, und ich würde noch immer nicht … wir würden nicht …“ Sie schluckte. „Logisches Denken ist das, was uns von den Tieren unterscheidet. Ich bestimme selbst, was ich tue.“

„Wenn du dir so sicher bist, warum kommst du dann nicht anstelle deiner Schwester mit?“

Er sah den Puls an ihrem schlanken Hals pochen. „Ich kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Ich habe ein eigenes Leben.“

„Du sagst nichts anderes, als dass du dir keineswegs so sicher bist. Weil du schon jetzt weißt, dass dein logischer Ansatz dir nichts nützen wird, sobald wir beide nackt sind.“

Ihre Augen sprühten ärgerliche Funken. „Hier geht es nicht um uns, sondern um meine Schwester.“

„Genau. Dann komm mit.“

„Ich kann nicht von jetzt auf gleich mein Leben unterbrechen.“

„Befürchtest du, einer deiner Klienten könnte sich während deiner Abwesenheit scheiden lassen und damit deinem Ruf schaden?“

„Die Publicity ist mir gleich, es geht mir um die Menschen. Ich mache mir Sorgen um Ruby. Und ich komme nicht mit dir.“

Warum sollte er enttäuscht sein? Alessio war einfach nur verblüfft. Denn es war ja nicht so, als würde sein Bett leer bleiben. An schönen und willigen Frauen gab es keinen Mangel. Warum also sollte ihn Lindsays Absage stören? Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, als er den Grund erkannte.

Alessio hasste Niederlagen.

Er hatte so lange nicht mehr verloren, dass er das Gefühl zuerst nicht einordnen konnte. Und wenn ihn etwas auf Hochtouren brachte, dann die Aussicht, einen Fall zu verlieren.

Lindsay Lockheart stellte eine Herausforderung dar. Wann war eine Frau je eine Herausforderung für ihn gewesen? Er würde das Problem nüchtern und analytisch angehen.

„Gut. Sollte ich zuerst von ihr hören, werde ich ihr sagen, dass du dich um sie sorgst, aber nicht genug, um für sie bei mir einzuspringen. Guten Flug zurück nach England.“ Damit ging er auf die wartende Limousine zu und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde.

Drei Schritte? Vier?

„Na schön.“

Schon nach dem zweiten Schritt ließ ihn ihre Stimme innehalten. Er lächelte. Das war ja geradezu enttäuschend einfach gewesen.

„Scusi?“ Er gab sich verwirrt, während sie auf ihn zukam.

„Tu nicht so überrascht. Du hast gewonnen, Alessio. Wie immer, oder?“ Ohne ihm noch Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben, schob sie sich an ihm vorbei und stieg in die Limousine.

Er stützte den Arm auf das Wagendach und musste sich zusammennehmen, um nicht auf das Stückchen freien Schenkel zu starren, das der hochgerutschte Rock freigab – bis sie den Rock umständlich herunterzog. Prachtvolle Beine. Wer hätte gedacht, dass Lindsay unter der Businesskleidung einen so verführerischen Körper versteckte?

Er ignorierte das Ziehen in seinen Lenden. „Verstehe ich richtig? Du bietest also an, mir in der Karibik das Bett zu wärmen?“

„Nein.“ Ihr blauer Blick traf auf seinen. „Mir geht es nur darum, Ruby zu helfen. Solange sie dann ihren Job behalten kann … werde ich eben für dich arbeiten.“

Alessio beschloss, sie noch ein bisschen mehr zu provozieren. „Mein Mandant erholt sich von einer katastrophalen Ehe. Er braucht legalen Rat und Entspannung.“ Trug sie Lippenstift? Nein, trotzdem schimmerten ihre Lippen verführerisch. „Eine Eheberaterin wäre auf dieser Reise so nützlich wie ein Gewitter bei einer Grillparty.“

„Ich begleite dich nicht in meiner Funktion als Therapeutin.“ Lindsay stellte ihre Reisetasche neben sich auf den Sitz. „In London habe ich ein Jahr für eine große Anwaltskanzlei gearbeitet. Mit den entsprechenden Informationen von dir kann ich diese Position ebenso gut ausfüllen wie Ruby. Und ich bin durchaus in der Lage, mich zu entspannen, falls es das ist, was dir Sorgen bereitet.“

Dabei wirkte sie hin und her gerissen. Diese Reise wird ein Albtraum für sie sein, dachte Alessio. „Tust du das für deine Schwester? Oder um zu beweisen, dass dein Verstand deinem Körper überlegen ist?“

„Ich brauche nichts zu beweisen.“

„Also für deine Schwester.“ Nur glaubte er das keine Sekunde lang. Hinter ihrer Zusage steckte sehr viel mehr. Er spürte auch, dass seine eher lässige Herausforderung etwas tief in ihr aufgewühlt hatte. „Glaubst du, du schaffst es, dich eine ganze Woche lang zusammenzunehmen und weder mir noch meinem Mandaten eine Vorlesung über Liebe und Ehe zu halten?“

Sie nagte an ihrer Unterlippe – an der Lippe, von der er den Blick nicht abwenden konnte. „Natürlich.“

„Und nicht in meinem Bett zu landen?“

„Das ist der einfache Teil.“

Nachdenklich studierte er ihr Profil. Was eigentlich eine routinemäßige Geschäftsreise hätte werden sollen, steckte plötzlich voll interessanter Möglichkeiten. „Und was ist, wenn dich deine Gefühle überwältigen?“

„Einen solchen Fehler mache ich nicht. Außerdem bin ich sicher, dass du deine Entscheidungen ebenso wenig von Gefühlen beeinflussen lässt. Du hältst sie eisern unter Kontrolle, selbst wenn du mit einer Frau im Bett bist. Du bist ein zu großer Zyniker, um dich von Emotionen leiten zu lassen.“

Alessio lachte erstaunt auf. Wie gut sie ihn doch kannte! „Na schön, Lindsay. Lassen wir uns überraschen, wie gut ein hoffnungsloser Zyniker und eine Eheberaterin miteinander zurechtkommen, wenn sie auf engstem Raum zusammen sind. Ich habe das Gefühl, dass die nächste Woche höchst interessant werden wird.“

„Lassen Sie sie schwitzen, Jack. Wenn wir mit ihr fertig sind, kann sie sich glücklich schätzen, dass sie in die Personalwohnung einziehen darf.“

Sie saßen in Alessios Privatmaschine. Lindsay hatte darauf gehofft, im Flugzeug mit Hunderten von Passagieren sicher vor Alessio zu sein, doch hier in der großen Luxuskabine waren nur sie beide. Selbst die Flugbegleiter hielten sich diskret zurück und tauchten nur auf, wenn etwas benötigt wurde.

So konnte Lindsay das Telefonat zwischen Alessio und seinem Mandaten gar nicht überhören. Sie versuchte, die wachsenden Kopfschmerzen mit Willenskraft im Zaum zu halten.

Als er die Verbindung unterbrach, funkelte sie ihn böse an. „Hast du eigentlich kein schlechtes Gewissen? Die arme Frau hat diesem Mann die besten Jahre ihres Lebens geopfert, ihm ein Zuhause geschaffen und seine Kinder großgezogen. Und er dankt es ihr jetzt damit, dass er sie gegen ein neueres Modell eintauscht.“

Alessio streckte die langen Beine vor sich aus. „Die ‚arme Frau‘ hat ihre beiden kleinen Kinder zurückgelassen, weil ihr die Affäre mit ihrem Skilehrer wichtiger war.“

Lindsay runzelte entsetzt die Stirn. „Aber das ist ja schrecklich. Der arme Mann. Wie verkraftet er es?“

„Wenn ich fertig bin, wird es ihm wieder bestens gehen.“ Alessio lächelte schmallippig und zog eine Mappe aus seinem Aktenkoffer. „Rache ist süß. Wir werden sie da packen, wo es am meisten wehtut.“

Sie ging nicht auf die Bemerkung ein. „Was ist mit den Kindern?“

„Die sind ohne sie besser dran.“ Er schlug die Mappe auf und schrieb eine Anmerkung an den Rand einer Seite.

Erschüttert sah Lindsay ihn endlich an. „Wie tief auch immer sein Schmerz sitzt, ich bin sicher, er will der Mutter seiner Kinder nicht schaden.“

„Meinst du? Deshalb bist du auch nicht Scheidungsanwältin geworden.“

„Man kann nicht nur einfach die nüchternen Fakten betrachten, sondern muss nachhaken und tiefer gehen. Und da frage ich mich sofort, wie es kommt, dass eine Mutter ihre Kinder verlässt. War sie vielleicht depressiv?“

Alessio sah sie spöttisch an. „Oh, ich denke, sie wird auf jeden Fall depressiv werden, wenn ihr erst klar wird, dass sie keine Abfindung zu erwarten hat.“

Lindsay sagte sich, dass sein morbider Humor nur gut für sie war. Sollte er weiter so reden, würde es ihr wesentlich leichter fallen, die nicht zu bestreitende Chemie zwischen ihnen zu ignorieren.

Großer Gott, wie sollte sie nur eine ganze Woche mit ihm durchstehen?

Panik flackerte in ihr auf, und so konzentrierte sie sich auf ihr Fachgebiet. „Es gibt immer ein Motiv für bestimmte Verhaltensweisen. Wenn sie ihre Kinder zurückgelassen hat … vielleicht hat sie ja nie wirklich Kinder gewollt. Hat er sie möglicherweise dazu gedrängt? Ist er sehr viel älter als sie? Haben sie vor der Ehe überhaupt über Kinder gesprochen?“

Ungläubig starrte er sie an. „Woher soll ich das wissen? Ich bin Anwalt, kein Psychiater.“

„Da auch Kinder betroffen sind, sollten sie es auf jeden Fall noch einmal versuchen, bevor sie einfach aufgeben. Er sollte sie zurückkommen lassen und …“

„Wer sagt denn, dass sie zurückkommen will?“

„Etwa nicht?“ Lindsay war fassungslos.

In diesem Moment kam eine Stewardess mit einem Tablett den Gang entlang. „Ah, das Abendessen“, sagte Alessio. „Hast du Hunger, Lindsay?“

Die Kopfschmerzen wurden schlimmer, und zudem war ihr übel. „Nicht wirklich, danke.“ Die ganze Situation würde schon schlimm genug werden, und dann hatte sie auch noch ihre Tabletten vergessen. „Vielleicht solltest du mich genauer über den Fall aufklären, wenn ich dir assistieren soll.“

„Mein potenzieller Mandant hat sich noch nicht entschieden, wer ihn vertreten soll“, hob Alessio an. „Er möchte seine Lage besprechen, und ich habe zugestimmt, mir die Sache anzuhören.“

„Also hat er sich noch gar nicht zu einer Scheidung entschlossen?“

„Doch, er will die Scheidung, er weiß nur noch nicht, wie er es angehen soll. Oder wer ihn vertreten soll. Wenn er sich meine Dienste leisten kann, übergibt er vielleicht mir das Mandat.“

„Warum tust du das eigentlich?“, fragte sie ihn. „Du brauchst das Geld doch nicht.“

„Aber ich liebe die Stimulation. Ich gewinne eben gern.“

„Wie kannst du es ‚gewinnen‘ nennen, wenn du anderer Leute Ehen zerstörst?“

„Mit diesen Leuten komme ich erst in Kontakt, wenn ihre Ehe längst zerstört ist.“ Seine dunklen Augen blitzten warnend auf. „Es gehört übrigens nicht zu deiner Arbeitsplatzbeschreibung, mir Vorträge zu halten.“

„Hat der Mann denn überhaupt schon versucht, die Sache wieder zu richten? Wenn er vielleicht mit einem Außenstehenden redet …“ Sie brach ab und krümmte sich leicht, als ein messerscharfer Stich durch ihren Kopf fuhr.

Alessio runzelte die Stirn. „Was ist los?“

„Nichts.“ Lindsay konnte sich bestens vorstellen, wie er auf eine Frau mit Migräneanfällen reagieren würde. Deshalb würde sie die Flucht ergreifen, solange sie noch konnte. Mit weichen Knien stand sie auf. „Entschuldige mich für einen Moment. Wo ist das Bad?“

Nachdenklich musterte er sie. „Letzte Tür links.“

Lindsay folgte seiner Anweisung. Unter anderen Umständen wäre sie von dem prächtigen Badezimmer begeistert gewesen, jetzt aber war sie nur froh, allein sein zu können. Leise schloss sie die Tür hinter sich und presste sich eine Hand auf den Magen. Wie lange dauerte ein Flug in die Karibik eigentlich? Sie hatte nicht gefragt, sie wusste nur jetzt schon, dass ihr für die gesamte Dauer übel sein würde. Und wie schrecklich peinlich es war.

Ihr Kopf wollte zerspringen. Sie wünschte, sie könnte sich hinlegen. Doch sich so vor Alessio zu zeigen? Nein. Sie setzte sich auf den Schemel, lehnte den Kopf gegen die kühle Marmorwand und schloss die Augen. Wenn doch nur die Schmerzen endlich aufhörten …

Sie wusste nicht, wie lange sie in diesem kläglichen Zustand dagesessen hatte. Der Schmerz war so überwältigend, dass sie sich kaum rührte, als die Tür geöffnet wurde.

Maledizione“, fluchte eine männliche Stimme leise. „Bist du krank?“

„Migräne. Aber das geht vorbei. Ich brauche nur etwas Ruhe.“ Die Augen gegen das Licht geschlossen, fühlte sie eine Hand an ihrer Stirn.

„Mir ist gleich aufgefallen, wie blass du warst. Warum hast du nichts gesagt?“

„Alessio, bitte geh einfach“, murmelte sie. „Du bist schon schwer genug zu ertragen, wenn ich bei Kräften bin. Glaub mir, du willst nicht dabei sein, wenn ich mich übergebe.“

Unbeeindruckt von ihrer Warnung, hob er sie hoch und trug sie in die Schlafkabine, wo er sie sanft auf das Bett niederlegte.

Es fühlte sich so wunderbar an, sich ausstrecken zu können, dass Lindsay dankbar aufseufzte. „Vielleicht bist du ja doch nicht so schlimm“, flüsterte sie. „Im Moment mag ich dich sogar fast.“

Seine Augen funkelten. „Hör auf zu reden, Lindsay, bevor du etwas sagst, was dir später leidtut.“

„Entschuldige, ich vergaß. Du willst ja nicht, dass Frauen dich mögen.“

„Hast du Tabletten? In deiner Handtasche?“ Er klang nüchtern und überlegt.

„Ich habe sie vergessen, weil ich so in Eile war.“ Sie krümmte sich, als ein Sonnenstrahl durch die Jalousie am Bullauge fiel und der Schmerz sie erneut attackierte. „Gib mir bitte mein Handy. Ich werde noch einmal versuchen, Ruby zu erreichen.“

„Vergiss deine Schwester mal für eine kleine Weile, und denk jetzt an dich selbst.“ Er beugte sich vor und schloss die Jalousie gänzlich. „Besser?“

Nie hätte Lindsay so viel Feingefühl bei ihm vermutet. Sie hatte panische Angst, dass sie sich auf seine handgefertigten Schuhe übergeben würde. „Ich glaube, du solltest jetzt besser gehen. Um deinetwillen.“

Anscheinend nahm er ihren Rat an, denn er stand auf und ging zur Tür. „Ich hole einen Arzt.“

Hätte sie mehr...

Autor

Sarah Morgan

Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 18 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen. Manchmal sitzt Sie...

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