Walzer mit der widerspenstigen Gouvernante

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Eine Gouvernante muss her! Um seine ungestümen Nichten und Neffen zu bändigen, stellt Sir Nicholas Denny die sittsame Pfarrerstochter Mary Smith ein. Doch er hat nicht mit ihrem Temperament und Widerspruchsgeist gerechnet, mit denen sie seinen Haushalt durcheinanderwirbelt. Als er auf einem Ball mit ihr Walzer tanzt, begreift Nicholas, dass Mary nicht nur in seinem Zuhause, sondern längst auch in seinem Herzen den Takt angibt. Aber eine Bürgerliche wie sie kann er nie zum Traualtar führen! Bleibt ihnen nur die Erinnerung an eine unvergessliche Ballnacht?


  • Erscheinungstag 18.07.2023
  • Bandnummer 631
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520201
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

London – Januar 1810

Miss Smith! Setzen Sie sich auf der Stelle wieder hin!“

Missmutig musterte Mary ihre erzürnte Lehrerin. Einen Augenblick war sie versucht, einfach stehen zu bleiben und zu sagen, was sie wirklich dachte. Doch dann spürte sie die erschrockenen Blicke der anderen jungen Damen und sank widerstrebend auf ihren Platz zurück.

„Das Plumpton-Pensionat für Höhere Töchter ist eine Bildungsanstalt, ein Ort, an dem jungen Damen all die Fertigkeiten vermittelt werden, die sie für die Ehe brauchen.“ Miss Plumpton fixierte Mary mit stählernem Blick. „Wie gesagt, Frauen sollten Ihren Ehegatten dienen. Sie sollten nützlich sein, sanft und liebenswürdig. Die eigene Meinung auf eine so forsche, männliche Weise zu äußern schickt sich einfach nicht für eine junge Dame wie Sie.“

Das Feuer in Mary loderte erneut empor. „Ich habe doch nur gesagt …“

„Schweigen Sie nun still!“ Miss Plumptons Ton duldete keine Widerrede. Steif stand sie vor ihnen in ihrem Kleid aus schwarzem Bombasin, und ihr üppiger Busen wogte vor Zorn, als sie Mary mit kaum verhohlener Geringschätzung beschied: „Ich habe gehört, was Sie gesagt haben. Sie wollten uns mitteilen, dass eine Frau auch in gemischter Gesellschaft frei heraus ihre Meinung kundtun sollte? Das ist wahrhaft schockierend. Mich wundert es nicht, dass Ihr armer Vater an Ihnen verzweifelte und Sie zu uns schickte, damit wir den Versuch unternehmen, eine Dame aus Ihnen zu machen.“

„Reden Sie nicht so von meinem Vater! Er würde nie an mir verzweifeln!“ Mary ballte die Hände zu Fäusten.

Wie kann sie es wagen, so von Papa zu sprechen oder sich einzubilden, sie wüsste, warum er mich hergeschickt hat?

Miss Plumpton verzog verächtlich die Lippen. „Es ist ungewöhnlich, dass eine junge Dame Ihres vorgerückten Alters noch zu uns kommt. Die anderen …“, mit zarter Hand wies sie auf die elf anderen jungen Mädchen, die alle mit großen Augen und entsetzter Miene zuhörten, „… sind gerade erst sechzehn oder siebzehn. Mit zwanzig sollten Sie, Miss Smith, längst gelernt haben, wie man sich in vornehmer Gesellschaft benimmt. Stattdessen sind Sie ein ungebärdiger, starrsinniger Wildfang. Jemanden wie Sie …“, schloss sie triumphierend, „… wird kein Mann je heiraten wollen!“

Die Mädchen schnappten nach Luft, doch Mary ignorierte es und lächelte nur.

Das schien ihre Lehrerin nur noch mehr in Rage zu bringen. „Lachen Sie etwa über das, was ich zu sagen habe?“ Auf ihren Wangen bildeten sich zwei rote Flecken.

Mary hob eine Augenbraue. „Keineswegs. Ich dachte nur, dass Ihr Urteil für eine Frau wie mich, die nie zu heiraten gedenkt, überaus beruhigend ist. Ich habe nicht die Absicht, mich je einem Mann unterzuordnen – keine Frau sollte das. Mit Ausnahme meines eigenen Vaters scheinen alle Männer darauf aus zu sein, uns zu unterdrücken.“

„Miss Smith! Eigentlich sollte ich mich angesichts Ihrer Worte empört zeigen, doch ich glaube, dass Sie dergleichen inzwischen aus reinem Trotz sagen.“

„Mary, der Trotzkopf, Mary, der Trotzkopf“, spöttelte eine der jungen Damen, woraufhin unfreundliches Gelächter aufbrandete. Mary errötete. Diese Gemeinheit hatte sie unerwartet getroffen. Sie hob das Kinn. Bisher war sie noch keiner jungen Frau begegnet, mit der sie hätte befreundet sein wollen. Vermutlich würde sie nie einer begegnen.

Ich habe immer gewusst, dass Papa mein einziger Freund ist.

Sie zwang sich, sich zu konzentrieren, wollte sich nicht geschlagen geben. „Ich sage das nicht aus Trotz, sondern weil es die Wahrheit ist. Ehrlich zu sein kann ja wohl nicht schaden.“

„O doch.“ Miss Plumpton war immer noch erzürnt. „Eine unzumutbare Wahrheit muss unausgesprochen bleiben.“

Mary schüttelte den Kopf. „Ich schrecke nicht davor zurück, die Wahrheit zu sagen. Ich wurde dazu erzogen, stets offen und ehrlich zu sein. Das muss ich auch weiterhin tun.“

„Nicht wenn Ihre ‚Wahrheit‘ andere verletzt. Oder wenn sie Ihrem guten Ruf schadet.“

„Meinem guten Ruf – pah! Ein Konstrukt der Gesellschaft, um uns zu kontrollieren.“ Sie ignorierte das entsetzte Keuchen ihrer Mitschülerinnen und fuhr fort: „Unterziehen wir Ihre Behauptung doch einer logischen Überprüfung, Miss Plumpton. Ihrer Meinung nach ist Ehrlichkeit abzulehnen, wenn die Äußerungen dazu angetan sind, andere zu verletzen. Ist das korrekt?“

Miss Plumpton zuckte mit den Schultern. „Ein schlichtes Gebot der Höflichkeit.“

Mary legte den Kopf schief. Ihr Verstand lief auf Hochtouren. „Ich stimme Ihnen insoweit zu, als uns bei allem Bedürfnis nach Ehrlichkeit klar sein muss, dass harte Worte verletzen können. Allerdings ist mir dann nicht ganz klar, warum Sie nichts gesagt haben, als mich eine meiner Mitschülerinnen gerade eben als ‚Trotzkopf‘ bezeichnet hat.“

Darauf trat eine Pause ein. Miss Plumpton schien es kurzzeitig die Sprache verschlagen zu haben. Mary wartete, wobei sie vor allem Neugier empfand. Genau solche Debatten hatte sie so gern mit ihrem Papa geführt. Über Logik. Moral. Freiheit und Verantwortung.

Alle warteten auf Miss Plumptons Antwort. Ihr Blick flackerte nach links, nach rechts, und schließlich fiel ihr etwas ein: „Ich schlage vor, Miss Smith, dass Sie, statt eine Ihrer Mitschülerinnen in Bedrängnis zu bringen – kein sehr liebenswerter Zug, wie Sie mir sicher zustimmen –, lieber darüber nachdenken sollten, warum die anderen Sie für einen Trotzkopf halten.“ Ihre Miene wurde siegesgewiss. „Um sein Benehmen zu ändern bedarf es der Selbsterkenntnis!“

„Nun, darin stimme ich Ihnen zu.“ Marys Ton war heiter. „Unsere Handlungen werden von unseren Überzeugungen und unseren Launen gesteuert. Erst wenn man sich selbst versteht, kann man auch hoffen, sich zu bessern. Und ich sollte klarstellen, dass ich niemanden in Bedrängnis bringen wollte, sondern nur darauf hinweisen, dass es Ihrem Argument an Logik fehlte.“

Miss Plumptons ältliches Gesicht wies mittlerweile eine interessante puterrote Färbung auf. „Sie täten gut daran, Miss Smith, nicht zu vergessen, dass Sie hier die Schülerin sind und ich Ihre Lehrerin.“

Mary runzelte die Stirn. „Nun, natürlich habe ich das nicht vergessen.“

Die Lehrerin schnalzte mit der Zunge. „Ich meine, dass Sie Höhergestellten nicht widersprechen sollten.“

„Höhergestellten? Niemand ist von Natur aus oder per Gesetz mehr wert als andere. Wir Menschen wurden alle von Gott erschaffen.“

Miss Plumpton stieß ein höchst undamenhaftes Schnauben aus. „Natürlich sind die einen mehr wert als die anderen. Wir stehen über den armen Kreaturen in den Elendsvierteln und den Leuten, die uns bedienen, und über Fremden aus anderen Ländern. Im Gegenzug unterstehen wir unseren Männern – den Ehegatten, Vätern, Pfarrern und letztlich dem König selbst.“

Mary schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Wir Frauen sind mehr als Besitz, mit dem sich die Männer schmücken können. Ich glaube, dass wir ebenso denkende, fühlende Menschen sind und unseren Platz in der Gesellschaft einnehmen können.“

Miss Plumpton riss die Augen auf. „Das ist Unsinn! Wer hat Ihnen denn diese aufrührerischen Flausen in den Kopf gesetzt?“

„Merkwürdigerweise sind mir diese Ideen von ganz allein gekommen. Ich kann nämlich selbst denken.“

„Nun, ab sofort verbiete ich Ihnen, an diesem Institut derartig absurdes Gerede zu verbreiten!“

„Sie verbieten es mir? Aber …“

„Ich werde meine Zeit nicht länger mit diesen Albernheiten verschwenden!“ Miss Plumpton nahm ihre Stickarbeit zur Hand und hob sie hoch, damit die Schülerinnen sie sehen konnten. „Miss Ives, schauen Sie, wie sauber ich diese Stiche gesetzt habe. Jetzt möchte ich von Ihnen dasselbe sehen.“

Mary ließ den Handarbeitsunterricht über sich hinwegziehen und war wieder einmal überwältigt von dem Gefühl, nicht dazuzugehören, eine Mohnblume in einem Feld voller Gänseblümchen – oder eher ein Unkraut unter Rosen. Sie blickte sich im Raum um. Oh, mit ihren dunklen Locken, den blauen Augen und dem modischen Musselinkleid glich sie den anderen jungen Damen durchaus. Doch sie war nicht wie sie. Nicht im Innersten. Je früher sie dieses Schuljahr hinter sich brachte und zu Papa zurückkehrte, desto besser.

2. KAPITEL

Stiffkey Hall, Norfolk

Und Sie wollen mir sagen, dass meine Schwester plant, ihren gesamten Nachwuchs mitzubringen? Alle fünf?“

Sir Nicholas Denny funkelte seinen bedauernswerten Sekretär erbost an.

„Genau, Sir. Sie hat es Ihnen in ihrem Brief geschrieben.“ Der Sekretär wedelte mit einem Blatt Papier vor Nicholas’ Nase herum. Darauf war Susan Dennys, jetzt Mrs. Fenhursts ausladende Handschrift deutlich zu erkennen. In dem fehlgeleiteten Versuch, ihm Porto zu sparen, hatte seine Schwester das Blatt kreuz und quer beschrieben, was die Lektüre zu einer mühseligen Angelegenheit werden ließ.

„Ich will die Einzelheiten gar nicht sehen. Dafür bezahle ich doch Sie, Bramber“, erwiderte er offen und schnörkellos. „Sagen Sie mir das Schlimmste. Wie lang will sie diesmal bleiben?“

Bramber schluckte. „Ähm … von Anfang Februar bis … bis zum Beginn der Saison. Ein etwas längerer Frühlingsbesuch als üblich, Sir.“

„Sie betrüben mich, Bramber! Muss ich ihre Gesellschaft länger als zwei ganze Monate ertragen?“

Darauf hatte sein Sekretär keine Antwort.

„Nun gut, anscheinend bleibt mir keine andere Wahl. Ich weiß, was ich meiner Familie schuldig bin. Der Besuch meiner Schwester muss stattfinden, und ich muss ihn hinnehmen, so ungelegen er mir auch kommt.“ Nicholas runzelte die Stirn. „Lassen Sie mich kurz nachdenken.“ Er trommelte mit den langen Fingern auf den Schreibtisch. „Ah, ich hab’s! Bramber, erinnern sie sich an das alte Märchen vom versteckten Schatz und wie der rechtmäßige Besitzer ihn zurückbekam?“

Bramber wirkte angesichts dieses Themenwechsels ein wenig erstaunt. „Ähm … nein, Sir.“

„Also“, sagte Nicholas, „der Mann schleppte den Dieb auf das Feld, wo der Schatz vergraben lag, und zwang ihn, das Versteck zu offenbaren. Dann band er sein Taschentuch an einen Stecken, markierte damit die Stelle, und der Dieb musste unter Androhung einer Haftstrafe das Versprechen geben, den Stecken nicht wieder wegzunehmen.“

„Ja, Sir?“ Bramber machte einen reichlich verwirrten Eindruck.

„Der Dieb überlistete ihn. Als der Mann mit einer Schaufel zurückkehrte, stand das Feld voller Stecken mit Taschentüchern. Das spezielle Taschentuch ging in der Menge unter, verstehen Sie?“

„Ah. Demnach haben sie also vor, hier eine Menge Gäste zu versammeln?“

Nicholas lächelte. „Allerdings. Stellen Sie mir eine Liste von Freunden und Nachbarn zusammen, die passende Ablenkung bieten könnten. Bis zum Frühling ist es noch eine Weile hin, die Leute werden gern herkommen. Solange meine Schwester da ist, können wir auch weibliche Gäste einladen. Bitten Sie die üblichen Familien zu allerlei Abendunterhaltungen – Sie wissen schon, wen ich alles meine, Bramber. Den Squire. Sir Harold. Die Reeves. Ach, und den neuen Pfarrer aus Houghton St Giles. Ich habe ihn kürzlich kennengelernt, er erschien mir recht vernünftig.“

„Jawohl, Sir. Und …“, Bramber runzelte die Stirn, „… ich werde ein paar zusätzliche Dienstboten einstellen, wie immer, wenn Ihre Schwester zu Besuch kommt. Wenn wir ein großes Haus führen wollen, brauchen wir Lakaien, Zimmermädchen, Stallburschen … Vielleicht sollte ich dieses Jahr auch noch ein paar Kindermädchen und eine Gouvernante engagieren, nachdem diesmal auch die Kinder mitkommen?“

„Prima Idee, Bramber! Meine Schwester bringt sicher dieses armselige Wesen mit, das ihr als Gouvernante dient. Besser, wir holen uns angesichts von Susans Nachwuchs noch etwas Unterstützung.“ Er grinste. „Gott helfe der armen Gouvernante, auf die meine Nichten und Neffen losgelassen werden – eine weniger verheißungsvolle Kinderschar habe ich selten gesehen. Da bin ich froh, dass ich nicht geheiratet habe.“ Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und er warf seinem Sekretär einen neugierigen Blick zu. „Sie sind ein junger Mann, Bramber, etwas jünger als ich selbst. Haben Sie vor, sich Ehefesseln anlegen zu lassen?“

Bramber lächelte angespannt. „Ich habe keine Vorbehalte gegen die Ehe, aber ich bin noch nicht … also, will sagen … dergleichen kann sich schwierig …“ Seine Stimme verklang.

„Vielleicht findet sich ja unter unseren Gästen eine passende junge Dame für Sie, Bramber. Noch ein Grund, dieses Frühjahr einen Massenauflauf zu veranstalten!“ Nicholas grinste ihn an. „Und nun rufen mich meine Studien.“ Er wies auf den griechischen Text vor sich. „Auf, auf! Füllen Sie das Haus mit Menschen, damit ich mich vor meinen Verwandten verstecken kann.“

Bramber ging hinaus.

„Miss Plumpton möchte Sie sehen, Miss. In ihrem Salon.“

Bei der Nachricht des Hausmädchens beschleunigte sich Marys Herzschlag.

Was habe ich nun schon wieder verbrochen?

Seit der Konfrontation im Klassenzimmer in der Vorwoche hatte Mary sich nach Kräften bemüht, folgsam zu erscheinen. Oft hatte sie sich auf die Zunge gebissen und klaglos an unsinnigen Dingen wie Tanzstunden, Benimmunterricht und Vorleseübungen teilgenommen.

Bei Letzteren waren zumindest Bücher ins Spiel gekommen. Echte Bücher. Für eine Schule wies das Plumpton-Pensionat für Höhere Töchter erstaunlich wenige Bücher auf.

Allerdings überlegte sie, während sie Miss Plumptons Salon entgegenstrebte, wird Bücherwissen hier auch kein großer Wert beigemessen.

Ganz im Gegenteil, Miss Plumpton brachte die jungen Damen tatkräftig davon ab, in irgendeiner Weise gelehrsam zu wirken.

Mary, die mit den Büchern und dem lebhaften Geist ihres Vaters aufgewachsen war, fühlte sich hier wie in einer fremden Welt. Doch Papa hatte gewollt, dass sie herkam. Und so hatte sie beschlossen, nicht mehr gegen Miss Plumpton aufzubegehren und die Zeit im Pensionat als weiteren Schritt auf ihrem Bildungsweg zu begreifen. Es war schließlich nur ein Jahr. Seit September war sie nun schon hier, ein Drittel hatte sie also schon hinter sich. Und der Schulaufenthalt kostete Papa viel Geld. Sie hielt inne, dachte an ihre Streitigkeiten deswegen. Sie hatte sich bis zum Ende gewehrt, aber er war fest entschlossen gewesen.

„Es war selbstsüchtig von mir, dich bei mir zu behalten“, hatte er erklärt. „Deine Mutter hätte gewollt, dass du deine Weiblichkeit genießt. Dass du deine ganze Zeit mit deinem alten Papa und Diskussionen über Bücher verbringst, ist einfach nicht richtig für eine junge Dame. Du musst nach London, tanzen, lachen, die Jugend genießen.“

„Ich vermisse dich, Papa“, flüsterte Mary nun. Weihnachten vor ein paar Wochen hatte sie zu Hause verbracht, aber vor Ende der Fastenzeit würde sie ihren Papa nicht wiedersehen. Sie schrieben einander alle vierzehn Tage, und Mary freute sich auf jeden seiner Briefe. Er hatte sich in einer neuen Gemeinde im Kreis Walsingham in Norfolk niedergelassen und schien sich dort gut eingelebt zu haben. Die Schulzeit dehnte sich schier endlos vor ihr, und Mary zählte die Tage bis Ostern.

Vor dem Salon angekommen, klopfte sie an und trat dann auf Miss Plumptons Aufforderung ein.

„Miss Smith.“ Miss Plumpton wirkte noch strenger als sonst. „Setzen Sie sich.“

Wortlos ließ Mary sich auf einen satinbezogenen Stuhl sinken.

Miss Plumpton wies auf einen vor ihr liegenden Brief. „Ich habe soeben reichlich betrübliche Nachrichten erhalten.“ Sie sah Mary direkt an. „Es betrifft Ihren Vater.“

Mary spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Plötzlich schien sich alles um sie zu drehen. „Was … was für Nachrichten?“ Sie umklammerte die Seiten des Stuhls mit beiden Händen, als könnte sie sich damit in der Wirklichkeit verankern.

„Dieser Brief …“, Miss Plumptons Stimme triefte vor Verachtung, „… ist von einer gewissen Miss Sarah Lutton. Sagt Ihnen dieser Name etwas?“

„Was? Ich … nein. Ich kann mich an niemanden dieses Namens erinnern.“

„Der Brief ist konfus, voller Tintenflecken und auf billigem Papier geschrieben, aber ich habe ihn entziffert. Anscheinend ist diese Miss Lutton Haushälterin in der Pfarrei von Houghton St Giles, in die Ihr Papa vor Kurzem versetzt wurde.“

„Ach so. Was ist mit Papa? Ist er … ist er krank?“ Mary hörte das Zittern in ihrer Stimme.

„Schlimmer!“

Mary keuchte auf. „Nein!“ Papa!

Miss Plumpton schnalzte mit der Zunge. „Bitte kein Getue und keine Hysterie, Miss Smith. Er ist nicht von uns gegangen.“ Ihr Ton war knapp, ihre Miene missbilligend.

„Aber … Sie haben gesagt, es sei schlimmer als eine Krankheit. Ich …“

„Es wäre auch besser gewesen, wenn er einfach krank geworden wäre. Oder sogar gestorben, meiner bescheidenen Meinung nach. Das hier ist viel, viel übler.“

Mary hatte es aufgegeben, ihre Lehrerin verstehen zu wollen. Völlig verwirrt bat sie nur: „Bitte sagen Sie mir, was in dem Brief steht.“

„Ihr Papa – der als Pfarrer doch so ehrbar schien – wurde von den Konstablern abgeführt.“

„Unmöglich!“

„Und doch haben wir hier den Beweis.“ Miss Plumpton hielt den Brief hoch. „Die Haushälterin schreibt, dass sie ihn wegen nichts Geringerem als Landesverrat verhafteten.“

„Landesverrat? Landesverrat? Zeigen Sie mir den Brief!“

Die Lehrerin gab ihn ihr, und Mary las ihn rasch durch. Ihre Gedanken rasten. Anscheinend war Papa im Besitz von Papieren angetroffen worden, die eigentlich ins Kriegsministerium gehörten, saß nun im örtlichen Gefängnis ein und wartete auf die Entscheidung des Friedensrichters. Bei seiner Verhaftung hatte er Miss Lutton gebeten, der Schule zu schreiben, dass sich gewiss alles rasch aufklären werde. Da jedoch der Friedensrichter nicht immer anwesend war, erklärte Miss Lutton, würde Mr. Smiths Fall wohl nicht vor dem nächsten Quartalstag an Ostern verhandelt werden.

„Aber Ostern ist dieses Jahr doch so spät!“, rief Mary aus. „Es muss sich um ein Missverständnis handeln. Mein Vater ist genauso wenig ein Spion wie Sie oder ich!“

Miss Plumpton schniefte. „Was das angeht, so würde mich das bei Ihnen nicht überraschen, wenn ich an Ihr Benehmen hier in meiner Schule denke. Ich weiß, dass Ihr Vater als recht exzentrisch gilt. Solche Leute sind zu allem fähig!“

„Unsinn! Mein Vater ist gut und freundlich und liebt nur die Lektüre und den Dienst an seiner Gemeinde.“ Stirnrunzelnd murmelte sie: „Ich muss los, ihm helfen.“

Sie stand auf, als könnte sie sofort an die Seite ihres Vaters eilen.

„Sie können uns verlassen, wann immer Sie wollen“, sagte Miss Plumpton ausdruckslos. „Ihr Schuldgeld wird monatlich bezahlt, und ich mache mir keinerlei Hoffnung auf den Februarbeitrag.“

Mary starrte sie an. „Sie können doch nicht vorhaben, mich auf die Straße zu setzen! Sie haben diesen Brief doch auch gelesen. Es könnte März werden, ehe dieses Missverständnis aus der Welt geschafft und mein Vater wieder frei ist. Bis dahin brauche ich ein Dach über dem Kopf!“

Miss Plumpton presste die Lippen zusammen. „Ihr Schulgeld ist bis Ende Januar bezahlt, länger nicht.“

„Aber der Januar ist doch schon fast vorüber.“ In flehendem Ton fügte sie hinzu: „Bitte erlauben Sie, dass ich meinen Vater besuche und Genaueres herausfinde. Ich muss versuchen, ihm irgendeine Unterstützung zukommen zu lassen. Wenn ich in einer Woche wiederkomme, bleibe ich in meinem Zimmer. Sie brauchen mich nicht zu unterrichten.“

Miss Plumptons Miene wurde verschlossen. „Ich habe nicht die Absicht, irgendwen für nichts und wieder nichts durchzufüttern oder bei mir aufzunehmen. Das hier ist ein Unternehmen, kein Wohltätigkeitsverein.“ Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. „Sie dürfen jetzt gehen. Und vergessen Sie den Brief nicht.“

„Aber …“

„Gehen Sie auf Ihr Zimmer, Miss Smith!“

Zorniges Feuer loderte in Mary. Sie legte beide Hände auf den Schreibtisch und sah ihrer Lehrerin direkt ins Gesicht. „Das tue ich nicht. Sie nennen sich eine gottesfürchtige Christin? Wie können Sie nur? Wie können Sie es wagen, mich einfach hinauszuwerfen, ohne Freunde, ohne Sicherheit? Zeigt sich hier das wahre Gesicht des Plumpton-Pensionats?“

Miss Plumpton kniff die Augen zusammen. „Ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich meine Christenpflicht vernachlässige.“ Sie nahm einen Stift, schrieb etwas auf ein Stück Papier und reichte es Mary. „Das hier ist die Adresse von Mrs. Grays Stellenvermittlung. Vielleicht findet sich ja eine Familie, die verzweifelt genug ist, Sie als Gesellschafterin zu engagieren – oder eher als Küchenmädchen! Ich jedenfalls würde Sie nicht in meinen Wohnräumen haben wollen!“

Mit einem erstickten Aufschrei ergriff Mary das Papier. Sie machte kehrt und verließ grußlos den Salon. Nicht einmal die Tür machte sie hinter sich zu.

Eigentlich war eine so kleinliche Revanche unter ihrer Würde, doch sie war in diesem Augenblick so überwältigt von Wut, Furcht und Sorge, dass sie nicht anders konnte. Sie lief auf ihr Zimmer, schlüpfte in Stiefel und Mantel und stülpte sich den Hut über, verbarg ihr Portemonnaie unter dem Mantel, eilte nach draußen und rief eine Droschke.

Mrs. Grays Stellenvermittlung war wohl ihre letzte Hoffnung.

3. KAPITEL

Mrs. Grays Stellenvermittlung war ein stark frequentierter Ort. Mary verlor den Mut, als sie all die Männer und Frauen sah, die auf der Suche nach Arbeit waren. Bei ihrer Ankunft zahlte sie die Gebühr und trug sich in eine Liste ein. Vor ihr waren bereits an die zwanzig Namen vermerkt – auch eine Frau, die, wenn man nach ihrer ordentlichen Handschrift urteilte, hochgebildet zu sein schien. Mary sah sich im Zimmer um und glaubte, die betreffende Frau ausmachen zu können.

Sie wusste um ihre begrenzten Talente im Putzen. Ihr lag eher das Lesen und Schreiben, Denken und Debattieren. Papa hatte großen Wert auf Bildung gelegt, etwas anderes konnte sie nicht.

Mutlos überdachte sie ihre Lage. Miss Plumpton – bei dem Gedanken an diese Frau grub sie sich die Nägel in die Handflächen – war fest entschlossen, sie am ersten Februar vor die Tür zu setzen. Mary brauchte eine Stellung – irgendeine Stellung –, um ein Dach über dem Kopf und zu essen zu haben, während sie den Versuch unternahm, ihrem Papa zur Freiheit zu verhelfen. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sich ihren sanften, gelehrten Vater in irgendeiner feuchten, schmutzigen Zelle vorstellte. Unter solchen Bedingungen würde er nicht lang überleben.

Sie hatte immer noch etwas Kleingeld übrig, aber nicht viel. Papa hatte sie Miss Plumpton zu treuen Händen anvertraut, und nun entpuppte die sich als ebenso niederträchtig wie irgendein x-beliebiger Schurke! Mary musste unbedingt so viel verdienen, um nach Norfolk zu Papa und wieder zurück fahren zu können.

Die Zeit zog sich in die Länge. Sobald ein Name aufgerufen wurde, verschwand der jeweilige Bewerber im Büro und tauchte einige Zeit später mit erleichterter oder enttäuschter Miene wieder auf. Mary hatte eine weitere vornehm wirkende Dame entdeckt und hin und wieder ein höfliches Lächeln mit ihr ausgetauscht. Die erste junge Dame trat ins Büro, als eine Miss Anne Bolton aufgerufen wurde, und während sie bei Mrs. Gray saß, begann Mary mit der anderen jungen Dame ein Gespräch. Als Miss Bolton zwanzig Minuten später herauskam, lächelte sie den beiden kurz zu.

Endlich war sie an der Reihe. Mrs. Gray rief sie auf.

Mit laut klopfendem Herzen ging Mary in das Büro.

Den Raum hätte sie danach kaum beschreiben können, nahm nur einen vagen Eindruck von Behaglichkeit und Opulenz mit. Mrs. Gray dominierte den Raum. Sie saß hinter einem Schreibtisch aus Rosenholz und betrachtete Mary aufmerksam. Während der höflichen Begrüßung war Mary sich Mrs. Grays durchdringenden Blicks bewusst – dunkle Augen, die sie einschätzten, musterten, durchschauten.

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Mary engeren Kontakt zu Mrs. Gray gesucht. Sie war offenkundig eine vermögende Frau, eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit einer selbstbewussten, unabhängigen Ausstrahlung, die Mary völlig faszinierte.

Genau so möchte ich auch gern sein!

Vor sich hatte sie den Beweis, dass eine Frau über ein unabhängiges Einkommen verfügen und ein unabhängiges Leben führen konnte. Mary konnte nur erahnen, mit welchen Vorurteilen Mrs. Gray konfrontiert war, nicht nur als Frau, sondern als Schwarze Frau. Sie runzelte die Stirn. Ob Mrs. Grays Gatte ihr zum Erfolg verholfen hatte? Sie schüttelte den Kopf. Sogar die alberne Miss Plumpton hatte es geschafft, ohne Hilfe eines Ehemanns eine Schule zu etablieren. Ein Mann war nicht vonnöten, wenn eine Frau wirklich unabhängig sein wollte. Aber vielleicht hatte Mr. Gray, wer er auch sein mochte, seine Frau auf dem Weg zum Erfolg unterstützt. Vielleicht gab es ja auch gute Männer, die ihre Frauen nicht nur als Besitz betrachteten.

Mrs. Gray musterte sie. Sie war schon älter, strahlte Ruhe und eine Art natürliche Gelassenheit aus. Diese Frau war weise. Mary wusste es einfach. Mit ihrem intelligenten Blick durchdrang sie Marys sorgfältig zurechtgelegte Halbwahrheiten – und dabei hatte sie noch keine einzige Frage gestellt.

„Also, Miss Smith, was für eine Stellung suchen Sie?“

„Irgendeine!“, platzte Mary heraus. „Ich brauche eine Stellung – irgendeine Stellung!“

„Und warum das?“

Mary zögerte.

„Es wäre besser, wenn Sie ehrlich zu mir wären, Miss Smith. Ich bin heute schon genug angelogen worden.“

Es gibt Leute, die es wagten, sie anzulügen?

Mary seufzte. „Also schön. Ich gehe auf das Plumpton-Pensionat für Höhere Töchter. Mein Vater hat mein Schulgeld noch bis Ende Januar gezahlt, danach brauche ich ein Einkommen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.“

Mrs. Gray ließ eine Augenbraue in die Höhe schnellen. „Miss Plumpton hat vor, Sie Ihrem Schicksal zu überlassen?“

Mary lachte hohl. „Sie hat mich nie gemocht – in ihren Augen bin ich viel zu eigensinnig. Sie hat mir mitgeteilt, dass ich das Haus Ende des Monats verlassen muss.“

Mrs. Gray machte sich eine Notiz. „Verstehe.“ Sie hob den Blick und sah Mary durchdringend an. „Was ist mit Ihrem Vater?“

Mary öffnete den Mund, doch die Lüge, er wäre plötzlich erkrankt, wollte ihr nicht über die Lippen. Sie zögerte und ließ die Schultern hängen. „Er wurde verhaftet.“

Die Miene der Stellenvermittlerin blieb unergründlich. „Dann ist er also ein hartgesottener Verbrecher?“

Mary sprang auf. „Er ist überhaupt kein Verbrecher, ist nie einer gewesen!“ Mrs. Gray betrachtete sie eine Weile und machte sich noch eine Notiz. „Setzen Sie sich, Miss Smith, und erzählen Sie mir das Ganze.“

Mary tat, wie ihr geheißen, geriet etwas in Stottern, als sie darauf zu sprechen kam, wie Miss Plumpton den Inhalt des Briefes offenbarte, den die Haushälterin geschrieben hatte. Laut ausgesprochen, wirkte Papas Notlage noch realer. „Und daher“, schloss sie, „muss ich zu ihm gehen und versuchen, ihm zu helfen, aber dazu muss ich Geld verdienen. Ich … ich kann mir die Fahrkarte nach Norfolk nicht leisten.“ Sie reckte das Kinn. „Ich brauche Ihre Hilfe. Ich versichere Ihnen, dass ich hart arbeiten werde, welche Stellung ich auch bekomme, damit ich meinen Vater wiedersehen kann.“

„Was können Sie denn, Miss Smith? Können Sie putzen, nähen oder unterrichten?“

„Ich … ich habe keine speziellen Fähigkeiten.“ Mary schüttelte den Kopf, und plötzlich wurde ihr bewusst, wie unmöglich das alles war. „Es ist hoffnungslos. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe.“

Warum habe ich geglaubt, ich brauche nur hier hereinzuspazieren und würde sofort eine Stellung bekommen, wenn es doch so viele andere kundige Leute gibt?

Sie erhob sich, fest entschlossen, ihren Gefühlen nicht nachzugeben. „Ich muss mir etwas anderes überlegen.“

„Setzen Sie sich, Miss Smith.“

Mary tat, wie ihr geheißen, bemerkte dabei kaum, dass sie, die sie sonst auf Autorität so widerspenstig reagierte, Mrs. Grays Befehl sofort Folge geleistet hatte.

„Sie verstehen sicher, wie schwierig es für mich ist, jemanden ohne Ausbildung, ohne Erfahrung und, nehme ich an, auch ohne Empfehlungen unterzubringen.“ Mary nickte. Sie konnte nichts sagen, weil ihr die Kehle vor Schmerz wie zugeschnürt war.

„Jemanden“, fuhr Mrs. Gray fort, „der mir als …“, sie konsultierte ihre Notizen, „… eigensinnig beschrieben wurde.“

Mary schloss kurz die Augen. Das ist schrecklich.

„Und dann gibt es noch ein Problem. Sie hatten vor, glaube ich, sich hier in London eine Stellung zu suchen und dann mit Hilfe Ihres Lohns nach Norfolk zu reisen?“ Als Mary nickte, schüttelte sie den Kopf. „Die meisten Dienstboten haben im Monat nur an zwei Tagen Ausgang, es würde eine Weile dauern, bis sie genügend Tage aufgespart hätten, um nach Norfolk zu reisen. Sie können kaum darauf hoffen, vor April oder Mai dort einzutreffen – zu spät, um Ihrem Vater von Nutzen zu sein. Übrigens, um welchen Teil von Norfolk handelt es sich eigentlich?“

Mary blinzelte angesichts dieser Abschweifung. „Ähm … die Pfarrei meines Vaters befindet sich in Houghton St Giles – in der Nähe von Walsingham. Nördlich von Fakenham, glaube ich.“

Mrs. Grays Augen weiteten sich kaum merklich. „Oh, ich weiß genau, wo Walsingham liegt. Ich habe sogar schon von Houghton St Giles gehört. Erst gestern habe ich auf einer Landkarte danach gesucht.“ Sie blickte hinab auf ihre Notizen und strich sich nachdenklich über das Kinn.

Schweigen trat ein. Im Hintergrund tickte eine zierliche Uhr. Mary konzentrierte sich ganz auf das Ticken und auf Mrs. Grays unergründliche Miene. Sie hielt den Atem an.

„Miss Smith.“

„Ja?“ Marys ganze Hoffnungen ruhten auf dieser Frau.

„Wie ist es um Ihre Bildung bestellt? Können Sie lesen? Und schreiben?“

„Ich … ja. Ich liebe Bücher und das Studium.“

„Hmmm …“ Mrs. Gray begann, ihr Wissen in Mathematik, Geografie, Geometrie und Astronomie abzufragen. Prüfte sie in Fremdsprachen, Geschichte und erbaulicher Literatur. Mary beantwortete die Fragen, so gut sie konnte, fühlte sich jetzt auf festerem Boden. Das war ihre Welt. Die Welt der Bildung und Ideen. Die Welt der Gelehrsamkeit.

„Gut.“

Gut? Ihr Herz begann hoffnungsfroh zu klopfen, und sie sah Mrs. Gray gespannt an.

„Ich habe vor Kurzem den Auftrag erhalten, Aushilfspersonal für eine Hausgesellschaft in Norfolk zu engagieren. Das Haus befindet sich, glaube ich, keine drei Meilen von dem Dorf entfernt, das Sie erwähnten. Die Stellung wäre auf gut zwei Monate begrenzt – bis Ostern, um genau zu sein, was Ihren Anforderungen vermutlich entspräche.“

„In Norfolk?“ Mary riss die Augen auf, als sie an die Möglichkeiten dachte, die sich ihr damit eröffneten. „Wenn ich dort arbeiten würde, könnte ich Papa an meinen freien Tagen besuchen!“

„Genau. Sir Nicholas Denny und seine Familie leben in Stiffkey Hall, das liegt in der Nähe der Pfarrei Ihres Vaters. Eine innere Stimme sagt mir, ich solle sie dort als Aushilfsgouvernante hinschicken. Ich habe gelernt, meiner inneren Stimme zu vertrauen, Miss Smith, und in diesem Fall bin ich geneigt, es mit Ihnen zu versuchen.“

„Oh, danke, Mrs. Gray! Danke!“

Mrs. Gray hob eine altersfleckige Hand. „Am besten danken Sie mir, indem sie hart arbeiten. Ich verstehe Ihr Bedürfnis, Ihren Vater zu sehen und zu versuchen, ihm zu helfen, aber ich gehe mit Ihnen ein Risiko ein. Setzen Sie den Ruf meiner Agentur nicht aufs Spiel, indem Sie sich zu sehr von Ihrer Arbeit ablenken lassen.“ Sie sah Mary durchdringend an. „Sie müssen einen Vertrag mit mir abschließen – keinen rechtlichen, wie ihn Männer machen würden, sondern einen moralischen. Ein Gelübde, wenn Sie so wollen. Sie an diese Familie zu vermitteln, wenn ich so wenig von Ihnen weiß, stellt für mich ein ziemliches Risiko dar. Dieses Risiko wird vertretbarer, wenn Sie mir Ihr Wort geben, dass Sie den Bedingungen der Dennys voll und ganz entsprechen und Ihren Pflichten sorgfältig und gewissenhaft nachkommen werden.“

Sechs oder sieben Wochen und die Möglichkeit, Papa zu helfen? Das wäre jede Stellung wert! Mit strahlendem Lächeln nickte sie. „Ich verspreche es.“

„Es könnte sein, dass man dort eine eigensinnige Gouvernante nicht sehr freundlich aufnimmt.“

Mary überlegte. Sie hat recht.

„Um meinem Vater zu helfen, bringe ich es fertig, mich ein paar Wochen fade und gesittet zu verhalten.“

„Wirklich?“ Mrs. Grays scharfer Blick brachte Marys Selbstvertrauen ins Wanken.

Mary nickte mit Nachdruck. „Ich muss, mir bleibt ja keine andere Wahl.“ Sie straffte die Schultern. „Ich verspreche, nichts zu tun, was Ihren Ruf gefährden könnte. Ich werde mich nach Kräften bemühen, die ideale Gouvernante zu sein – effizient, tüchtig und unsichtbar. Und ich werde die volle Zeit dortbleiben, wenn ich gebraucht werde. Bitte wählen Sie mich als Sir Nicholas Dennys Gouvernante aus.“

4. KAPITEL

Sir? Darf ich kurz stören?“

Nicholas, der schon drauf und dran war zu sagen, dass er nicht gestört werden wollte, sah, wer hereingekommen war, und ließ das Buch sinken. „Bramber! Sie sind wieder da.“ Er reichte seinem Sekretär die Hand, der sie mit erfreutem Lächeln schüttelte. „Und, haben Sie Ihren Auftrag in London erfolgreich erledigt?“

„Ja.“ Bramber strahlte vor Stolz. „Hausmädchen, eine Gouvernante, Lakaien, Kindermädchen – sogar einen zusätzlichen Stallburschen! Alle unter Vertrag, und alle werden in den nächsten zwei Tagen eintreffen. Miss Smith, die Gouvernante, ist mit mir in der Kutsche hergekommen. Ich dachte, es wäre netter, wenn sie nicht gezwungen wäre, die Postkutsche zu nehmen.“

Etwas in Brambers Ton weckte Nicholas’ Interesse. „Ach ja? Ist sie etwa ein älteres Fräulein? Ich kann niemanden brauchen, der mit dem unternehmungslustigen Nachwuchs meiner Schwester nicht fertigwird.“

„Ähm … nein. Sie ist überhaupt kein älteres Fräulein.“ Brambers Ohren hatten einen interessanten Rosaton angenommen. „Tatsächlich handelt es sich um … um eine junge Dame.“

„Ach ja?“, murmelte Nicholas und dachte an ihr vorheriges Gespräch.

Ich sähe es gern, wenn Bramber eine Familie gründete. Vielleicht ist diese Gouvernante ja die Richtige für ihn.

„Und ist sie auch manierlich? Wohlerzogen?“

„Ich fand nichts auszusetzen an ihr“, erwiderte Bramber. „Sie ist …“ Er unterbrach sich. „Sie benimmt sich so, wie es sich gehört.“

„Das freut mich. Ach, und Bramber“, fügte Nicholas lässig hinzu, „während unserer Hausgesellschaften müsste ich Sie bitten, mit uns zu dinieren. Und die Gouvernante ebenfalls, da die beiden älteren Töchter meiner Schwester sich allmählich in Gesellschaft begeben.“

So, das wird schon dafür sorgen, dass sich die beiden näherkommen.

„Ich, Sir? Aber …“

„Nichts aber! Sie sind der Sohn eines Gentlemans, Sie haben jedes Recht, mit am Tisch zu sitzen. Außerdem dient es mir zur Beruhigung, wenn ich weiß, dass wenigstens ein vernünftiger Mensch anwesend ist.“ Dann übermannte ihn die Neugier. „Und jetzt gehen Sie und machen sich nach der Reise ein wenig frisch, und richten Sie der Gouvernante Miss …?“

„Miss Smith.“

„Richten Sie Miss Smith aus, dass ich sie jetzt empfange.“

„Jawohl, Sir.“

Zehn Minuten später verriet ihm ein energisches Klopfen, dass die Gouvernante seine Botschaft erhalten hatte. „Herein!“

Auf den ersten Blick fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Sie war eine junge Dame, ordentlich gekleidet in ein Reisekleid aus Batist. Ihr Haar war dunkel, ihre Züge regelmäßig und angenehm. Sie war weder groß noch klein, weder dick noch dünn, weder drall noch ausgezehrt. Sie war eine ganz normale Frau. Zielstrebig ging sie auf ihn zu. Sie strahlte nüchterne Sachlichkeit aus, was in ihrem Beruf wohl hilfreich war, ihn aber rätseln ließ, was Bramber so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Er erhob sich. „Guten Tag, Miss Smith, und willkommen auf Stiffkey Hall. Ich bin Sir Nicholas Denny.“

Sie schüttelte ihm kurz die Hand. „Vielen Dank, und danke auch, dass ich in Ihrer Kutsche herfahren durfte. Das war so viel angenehmer, als wenn ich die Postkutsche hätte nehmen müssen.“

Ihre Augen sind sehr blau, fiel ihm auf, und als sich ihre Blicke trafen, setzte sein Herz seltsamerweise einen Schlag aus. Eigentlich ist sie doch ziemlich attraktiv.

Er winkte ab. „Bei mir dürfen Sie sich da nicht bedanken, es war Brambers Entscheidung.“ Er nickte. „Mein Sekretär ist ein vernünftiger Bursche.“

„In der Tat. Er war überaus nett zu mir.“ Ihr Ton war völlig neutral. Falls sie Brambers tendre erwiderte, ließ sie es sich nicht anmerken. Gut so. Eine ehrbare Dame würde ihre Gefühle niemals zeigen.

„Zweifellos hat er Sie in Kenntnis gesetzt über Ihre Aufgaben von jetzt bis Ostern. Meine Schwester Mrs. Fenhurst wird in zwei Tagen mit ihren Kindern hier eintreffen. Bis dahin können Sie sich in aller Ruhe mit dem Haus und der Gegend vertraut machen.“

Etwas blitzte in ihrem Blick auf. „Danke, Sir, das werde ich.“

„Gut.“ Er ergriff sein Buch. „Wir dinieren um sechs. Jarvis wird Ihnen den Weg in den Speisesalon weisen.“

„Ja, Sir.“ Leise wandte sie sich um und verließ den Raum.

Eine ziemliche Schönheit, dachte er, allerdings fehlt es ihr – bis auf dieses kurze Aufblitzen – leider an Lebhaftigkeit.

Er widmete sich seinem Vergil und vergaß sie prompt.

So weit ist alles gut.

Obwohl sie Papa am liebsten sofort besucht und für seine Freilassung gesorgt hätte, wusste Mary doch, dass sie vorsichtig vorgehen musste. Nach ihrem Besuch bei Mrs. Gray war sie auf unerwartete Freundlichkeit gestoßen – nicht einmal, sondern zweimal.

Zuerst hatte Jane, eines der Hausmädchen im Pensionat, ihr dabei geholfen, ihre Habseligkeiten in zwei Kisten zu verstauen. Miss Plumpton selbst – vermutlich zwickte sie das Gewissen – ging Mary völlig aus dem Weg. Mary nahm nicht mehr am Unterricht teil und aß auf ihrem Zimmer. Sie hatte Miss Lutton, der Haushälterin ihres Vaters, geschrieben, dass sie eine Stellung bei Sir Nicholas Denny antreten werde und sie so bald wie möglich besuchen wolle.

Die zweite Freundlichkeit hatte in Mr. Brambers Angebot bestanden, Mary in der Kutsche seines Dienstherrn mitzunehmen. Mary hatte natürlich eilig zugesagt und hinterher überlegt, dass dies das erste Mal war, dass sie mit einem Mann allein war, wenn man von Papa einmal absah. Als junge Dame hätte sie sich das nicht erlauben können. Als Gouvernante schon.

Trotz ihrer Bedenken war die Reise sehr behaglich verlaufen. Mr. Bramber war ein angenehmer Reisegefährte, und nach einer Weile fühlte Mary sich in seiner Gesellschaft so wohl, dass etwas von ihrer natürlichen Lebhaftigkeit zutage trat. Sobald es ihr bewusst wurde, unterdrückte sie es natürlich. Von ihrer Rolle als sittsame Gouvernante durfte sie nicht abweichen, dazu stand zu viel auf dem Spiel.

Allerdings nutzte sie die Gelegenheit, die sich unterwegs bot, und erkundigte sich nach dem Haushalt und ihren Schützlingen. Zu ihrer Überraschung erfuhr sie, dass Sir Nicholas noch ein ziemlich junger Gentleman war, noch keine dreißig. Er war unverheiratet, und die Kinder, die sie unterrichten sollte, gehörten zu seiner Schwester.

Mr. Bramber offenbarte nur zögerlich irgendwelche Informationen über die Kinder, beschrieb einige von ihnen aber als „recht aufgeweckt“. Das schüchterte Mary erst ein wenig ein, doch dann dachte sie daran, dass man ihr selbst auch schon diesen Stempel aufgedrückt hatte. Sie hoffte, dass die kleinen Fenhursts auf eine gute Art aufgeweckt waren.

Das Zimmer, das Mary zugewiesen worden war, war klein, aber behaglich. Das Bett wirkte bequem, es gab einen Tisch und einen Schrank, und das Fenster ging zur Seite hinaus. Alles in allem der perfekte Raum für eine Gouvernante. Das Haus war imposant, und der gepflegte Zustand legte beredtes Zeugnis von Sir Nicholas’ Wohlstand ab. Während sie sich fürs Dinner umkleidete, erlaubte sie sich schließlich auch, über den Mann selbst nachzudenken.

Sie fand ihn durchaus attraktiv mit seinem kantigen Kinn, dem zerzausten dunklen Haar und den warmen braunen Augen. Als er vor ihr stand, hatte er sie überragt – sie hatte die breiten Schultern, kräftigen Schenkel und den schlanken Oberkörper durchaus bemerkt, doch vor allem war ihr aufgefallen, dass er neben sich eine Ausgabe von Vergils Georgica liegen hatte.

Also kein begriffsstutziger Adonis.

Ihre kurze Begegnung hatte Spuren bei ihr hinterlassen, und sie wusste nicht recht, warum. Vielleicht lag es einfach daran, dass er ihr Dienstherr war, sie also in der Hand hatte. Bei dieser Vorstellung krümmte sie sich innerlich. In diesem Moment kamen ihre leidenschaftlichen Freiheitsideale auf dem Boden der gesellschaftlichen Realität auf.

Sie führte sich vor Augen, dass selbst Mrs. Gray wahrscheinlich irgendwo als Angestellte angefangen hatte. Geld musste man entweder erben oder verdienen. Und als Frau musste man es zudem irgendwie vor den männlichen Anverwandten in Sicherheit bringen. Marys Gehalt als Gouvernante war zwar dürftig, aber da Papa im Gefängnis war, konnte sie frei darüber verfügen.

Wie immer kehrten ihre Gedanken zu ihrem Vater zurück. Wie es ihm wohl ging? Wurde er schlecht behandelt? War er krank, verzweifelt? Sie hatte es nach Norfolk geschafft – eine Herausforderung, die ihr noch unmöglich erschienen war, als sie Miss Luttons Brief gelesen hatte. Als Nächstes musste sie die Haushälterin aufsuchen. Zum Glück hätte sie am nächsten Tag Zeit dafür.

Entschlossen hob sie das Kinn. Papa, ich hole dich dort raus!

Nur drei Gedecke waren fürs Dinner aufgelegt worden – ein Anblick, der Mary zögern ließ, als sie das Speisezimmer betrat. Als sie den Gong zum Dinner gehört hatte, war sie aus dem Obergeschoss heruntergeeilt und hatte sich von Jarvis, dem ältlichen Butler, den Weg in den richtigen Raum weisen lassen. Sie dankte ihm und trat eilig ein.

Sir Nicholas und Mr. Bramber waren gerade im Begriff, ihre Plätze einzunehmen, und begrüßten sie freundlich, worauf Sir Nicholas ihr den Platz zu seiner Linken zuwies. Mr. Bramber saß ihr gegenüber zu seiner Rechten und lächelte ihr beruhigend zu, während der Lakai die Speisen auftrug. Und was für Speisen das waren! Mary war in verschiedenen Pfarrhäusern aufgewachsen und hatte immer genug zu essen gehabt, aber etwas so Köstliches hatte sie noch nie serviert bekommen. Pasteten, Suppen und Fleischgerichte waren flankiert von Beilagen wie Omelette, Blumenkohl und Oliven. Um nicht ungehobelt zu erscheinen, nahm Mary von allem ein wenig und genoss die ungeahnte Vielfalt an Geschmack und Konsistenz.

Neue Erfahrungen bieten immer Gelegenheit, den Verstand anzuregen, sagte sie sich und versuchte gespannt zu erraten, was die graue Masse vor ihr war, ehe sie sie kostete, oder welche Fleischsorte in der köstlichen Pastete steckte. Taube, vermutete sie.

Darauf bedacht, nicht zu viel zu essen – sie war derartig reichhaltige Speisen nicht gewohnt –, nutzte sie die Gelegenheit, die beiden Herren zu mustern. Die Männer plauderten angeregt miteinander, ihr Umgang offenbarte freundliche Vertrautheit. Bramber war ein wenig steifer und formeller als sonst und seinem Dienstherrn gegenüber sehr ehrerbietig. Mary hatte den Eindruck, dass sie normalerweise nicht miteinander speisten.

Sie bestritt ihren Part der Unterhaltung, wenn sie gefragt wurde, aber im Übrigen begnügte sie sich an diesem Abend damit – für sie eher ungewöhnlich –, zuzuhören und zu beobachten. Das war zum Teil auf ihre Entschlossenheit zurückzuführen, keinen Anstoß zu erregen, aber sie stellte an sich auch eine gewisse Nervosität fest, die sie daran hinderte, das Wort zu ergreifen.

Liegt es daran, dass sie Männer sind und ich eine Frau?

Diese Vorstellung gefiel ihr nicht, und sie blickte stirnrunzelnd auf ihren Teller.

„Ist die Mandelspeise nicht nach Ihrem Geschmack?“ Sir Nicholas war ganz höfliche Sorge.

Er ist zu aufmerksam.

„Oh!“ Ihre wahren Gedanken konnte sie unmöglich offenbaren. „Ich bewundere gerade die Details. Die Form muss wirklich kunstvoll gearbeitet sein, um einen so vollendeten Flammeri zu erhalten.“ Tatsächlich war der Anblick ein wenig morbid: Die Mandelspeise war in Form einer Kanope serviert worden, jener Krüge, in der die alten Ägypter die Eingeweide ihrer mumifizierten Aristokraten beigesetzt hatten.

Er lächelte reuig und erwiderte: „Darüber habe ich noch nicht groß nachgedacht. Solche häuslichen Einzelheiten gehen leider an mir vorbei.“

Häusliche Einzelheiten! Ohne es zu wollen, hatte sie den Anschein erweckt, der Häuslichkeit zuzuneigen und sich eher von Puddingsturzformen als von den Ägyptern inspirieren zu lassen. Nun, zumindest passte es zu dem Eindruck, den sie hatte erwecken wollen.

Ich muss weiter farblos erscheinen, darf in wichtigen Dingen keine eigene Meinung haben.

Inzwischen hatte sich das Gespräch anderen Dingen zugewandt. Gerade befragte Sir Nicholas seinen Sekretär, wie es ihm gelungen sei, beinahe ein Dutzend Londoner Dienstboten dazu zu überreden, sich in einem obskuren Herrenhaus im abgeschiedenen Norfolk zu verdingen.

Mr. Bramber versicherte seinem Dienstherrn: „Das war nicht weiter schwierig, Sir. Die Inhaberin der Stellenvermittlung hat gesagt, im Moment gebe es mehr Dienstboten als freie Stellen. Die meisten waren überaus dankbar für diese Chance.“

Mary senkte erneut den Blick auf ihre Mandelspeise. Der Hinweis war genau zum rechten Zeitpunkt gekommen. Was Sir Nicholas von ihr dachte, war wichtig, aber nur insofern, als sie dadurch eine Stellung samt Kost und Logis innehatte, die es ihr erlaubte, ihrem Vater zu helfen. Der Umstand, dass sie in seinen Augen vielleicht ebenso hohlköpfig war wie die anderen jungen Damen im Plumpton-Pensionat, spielte nicht die geringste Rolle. Im Gegenteil, das Versprechen, das sie Mrs. Gray gegeben hatte, besagte, dass sie in diesem Fall vielleicht besser als hohlköpfig erscheinen sollte denn als starrköpfig.

Vergiss das nicht, ermahnte sie sich.

Sie war hier, um Papa zu retten. Dem durfte nichts im Wege stehen.

Sir Nicholas ließ die Felder hinter sich und nahm den Weg nach Houghton. Dies war eine seiner Lieblingsstrecken beim morgendlichen Ausritt, denn dann konnte er am Flussufer entlang nach Stiffkey Hall zurückzukehren. Er genoss die Aussicht auf die Landschaft. Selbst im Winter waren die grünen Felder, der plätschernde Fluss und die kahlen Bäume für ihn wunderschön. Vor sich bemerkte er ein bäuerliches Fuhrwerk, das auf ihn zu kam, und eine Person, die Richtung Dorf unterwegs war. Er verlangsamte das Tempo, grüßte im Vorbeireiten den Bauern und näherte sich dann dem einsamen Wanderer von hinten. Es war eine Frau, und irgendetwas an ihrem energischen Gang kam ihm bekannt vor.

Es war die Gouvernante, wie er schließlich feststellte. Er kramte fieberhaft in seinem Gehirn nach ihrem Namen. Etwas Farbloses. Smith.

Autor

Catherine Tinley
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