Sybilla konnte sich den Seufzer nicht verkneifen, der ihr über die Lippen kam, als sie in das dampfende Wasser eintauchte. Seit dem Angriff auf die Feste hatte sie sich nur noch mit dem Wasser aus der Waschschüssel gesäubert, und ihre Haare waren seit der Kopfverletzung gar nicht mehr gründlich gewaschen worden. Jetzt ließ sie sich von der Wärme und von dem Gefühl davontragen, dass der gesamte Schmutz und Schweiß von einer Woche von ihrer Haut gespült wurde. Weitere Eimer standen an der Wand für den Fall aufgereiht, dass sie sie noch benötigte. Sie spielte mit dem Gedanken, im Wasser sitzen zu bleiben, bis es kalt wurde, doch an diesem Tag konnte sie sich nicht die Zeit dafür nehmen, da sie wusste, was ihr noch bevorstand.
Trotz des heißen Wassers und der Wärme des Kamins lief es ihr kalt den Rücken herunter. Sie hörte, wie Gytha und Aldys um den Zuber herumgingen, wobei es Aldys’ Aufgabe war, sie zu waschen, während Gytha das Bett fertig machte. Die Laken waren gewaschen worden, das Bett hatte sie für die Nacht frisch bezogen. Alles war für seine Ankunft bereit, die sicher nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Sybilla lehnte sich wieder zurück, wartete und horchte auf jedes Geräusch, das ihr verriet, ob er auf dem Weg hierher war. Da das Abendmahl unten im Saal sich gerade erst dem Ende zuneigte, glaubte Sybilla, dass ihr noch etwas mehr Zeit blieb, um sich mit dem abzufinden, was in der kommenden Nacht zwischen ihnen beiden geschehen würde. Als er dann aber ohne die üblichen schweren Schritte und auch ohne seine typischen lautstarken Befehle an seine Leute auf einmal in der Tür auftauchte, überraschte er sie und auch ihre Dienerinnen.
„Lord Soren!“, rief Aldys energisch, während sie den Eimer abstellte, aus dem sie Wasser über Sybillas Haare hatte laufen lassen. Ihre Stimme bewegte sich um den Badezuber herum, und zweifellos nahm sie gleich darauf eine Abwehrhaltung zwischen der Tür und dem Zuber in der Ecke ein. „Gytha!“, zischte sie. Schritte folgten, deren Richtung verriet, dass die beiden Dienerinnen nun schützend vor ihr standen.
„Lady Sybilla ist noch nicht fertig, Mylord“, erklärte Aldys.
Die Tür wurde mit solcher Wucht zugeworfen, dass ein leichtes Zittern den Zuber durchfuhr. Sybillas erster Impuls war aufzustehen, stattdessen rutschte sie noch etwas tiefer ins Wasser.
„Fertig?“, fragte er und kam näher, seine Stimme wurde lauter. „Womit fertig?“
„Mit ihrem Bad, Lord Soren. Dem Bad, das Sie ihr aufgetragen haben.“
„Ich habe ihr nicht aufgetragen zu baden, Frau. Das Bad war für mich bestimmt.“
Sybilla war sich nicht sicher, ob sie erleichtert oder beleidigt reagieren sollte. Bedeutete das einen weiteren Aufschub für ihre ehelichen Pflichten? Sie rührte sich nicht, und sie hatte auch das Gefühl, dass alle anderen wie angewurzelt dastanden.
Dann hörte sie ihn näher kommen und abrupt einatmen. Die Schatten in dieser Ecke ihres Gemachs und das Wasser sorgten ganz sicher nicht dafür, ihre nackte Haut vor seinen Blicken zu verbergen.
Seine flachen, kurzen Atemzüge sprachen für seine Erregung, doch die Tatsache, dass er sie zum großen Teil nackt sah, löste bei ihr die gleiche Art von Atmung aus.
„Beende dein Bad, Sybilla“, forderte er sie mit heiserer Stimme auf. „Ich lasse mehr heißes Wasser kommen und werde später für mein Bad wieder herkommen.“
„Hier?“, fragte sie erstaunt. „Ihr wollt hier Euer Bad nehmen?“ Zuerst verstand sie nicht, warum. Aber dann wurde ihr klar, dass er ungestört baden wollte, und das konnte er nur hier, weil dies die einzigen privaten Gemächer der gesamten Feste waren.
„Ich komme später wieder“, sagte er nur, anstatt ihr den Grund wenigstens zu erklären – schließlich konnte er nicht wissen, dass sie von selbst auf die Antwort gekommen war.
Er ging zur Tür und warf sie genauso energisch hinter sich zu wie beim Hereinkommen. Sybilla wartete einen Moment lang, dann umklammerte sie die Ränder des Zubers und zog sich hoch. „Aldys, hilf mir heraus“, sagte sie und begann bereits, ihre nassen Haare auszuwringen. „Gytha, ein Handtuch. Beeilt euch, ich möchte nicht noch einmal unbekleidet von ihm überrascht werden.“
„Das Bad war für ihn?“, wunderte sich Aldys, während sie ihr aus dem Zuber half. „Davon hat der Junge kein Wort gesagt.“
„Der junge Raed ist sicher nicht schuld an diesem Missverständnis. Er muss in ständiger Angst leben, für jeden noch so kleinen Fehler verprügelt und bestraft zu werden“, flüsterte Gytha. „Wie ich höre, wird er von Lord Soren täglich bedroht.“
Sybilla ließ sich von den beiden Frauen helfen, versuchte aber den Tratsch zu überhören. Sie alle hatten die Botschaft, die der Junge überbracht hatte, falsch ausgelegt. Wollte er ihr Quartier vielleicht nur zum Baden benutzen? Hatte er gar nicht vor, mit ihr die Ehe zu vollziehen? Wollte er sich letztlich doch von ihr trennen?
Die Dienerinnen gingen zügig und zielstrebig ans Werk, und es dauerte nicht lang, da saß sie vor dem Kamin, in dem ein Feuer brannte, dessen Wärme ihre Haare trocknen ließ. Vorsichtig bürstete Aldys sie und achtete darauf, dass sie die Kopfverletzung nicht berührte. Auf Sybilla hatte dieses gleichmäßige, nicht zu schnelle Bürsten eine beruhigende Wirkung, die ihr allmählich die Anspannung nahm. Da für sie die gleiche Dunkelheit wie in einer mondlosen Nacht herrschte, war sie fast willens, die Welt um sie herum zu vergessen und in einen tiefen Schlaf zu sinken.
Ein Klopfen an der Tür, zu leise, um von Soren kommen zu können, riss sie aus ihrer Ruhe und Gelassenheit. Schnell zog sie ihren Morgenmantel enger um sich und nickte. Eine der beiden Frauen würde ihre Geste schon mitbekommen. Es war Aldys, die zur Tür ging und ihm Einlass gewährte.
Bis zu diesem Moment hatte sich Soren noch nie im Schlafgemach einer Frau fehl am Platz gefühlt. Er war in vielen Gemächern dieser Art gewesen, von den einfachsten bis hin zu den vornehmsten, und immer hatte er genau gewusst, welche Rolle er spielte – Liebhaber, Vertrauter, leidenschaftlicher Gefährte. Aber sobald er Sybillas Quartier betreten hatte, wurde er von ihren Dienerinnen beobachtet, die jeden seiner Schritte genau verfolgten und auf jede Regung seiner Gesichtszüge achteten, während er die Tür hinter sich schloss.
Auch wenn er es niemals zugegeben hätte, wollte er diesen intimen Anblick seiner … seiner Ehefrau nicht mit den anderen Männern teilen, die im Korridor Wache hielten. Und obwohl er Sybilla weiterhin die Schuld für die Sünden ihres Vaters geben wollte, hatte ein Blick auf ihren nackten Körper im Badezuber genügt, um seinen Vorsatz zu vergessen, ihr mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Dieser Entschluss war in ihm herangereift, als er gemerkt hatte, dass sich Mitleid für sie in ihm regte. Dass er beim nächsten Mal jedoch gegen Lust würde ankämpfen müssen, damit hatte er nicht gerechnet.
Ein Blick auf ihre samtweiche Haut, ihre straffen Brüste mit den roséfarbenen Spitzen und ihre weiblichen Kurven hatte gereicht, um ihn über alle Maßen zu erregen. Nicht, dass er mit dieser Absicht zu ihr gekommen wäre, wie über die Jahre bei all den anderen Frauen. Sein Körper war darauf gedrillt, schnell bereit zu sein, da er nie im Voraus gewusst hatte, wie lange er sich mit der betreffenden Dame würde vergnügen können.
Sybilla saß auf einem Hocker nahe dem Kaminfeuer, sie bewegte sich nicht, doch der weibliche Schwung ihres Körpers zeichnete sich unter dem weichen Stoff ihres Gewands deutlich ab. Die angelsächsische Kleidung, die sie für gewöhnlich trug, war so geschnitten, dass sich unter den vielen Lagen Stoff und Schleier die Konturen gänzlich verloren. Der Anblick, den sie jetzt bot, machte sie sogar noch viel verführerischer als am ersten Abend, als er sie im Bett hatte liegen sehen.
Da er beim Baden keine Zuschauer um sich haben wollte, zog er die Tür weit auf und machte eine unmissverständliche Kopfbewegung. Die ältere Dienerin schaute zwar drein, als wollte sie widersprechen, sie war aber klug genug, den Mund zu halten. Ganz im Gegensatz zu der jüngeren Frau.
„Lady Sybilla“, fragte sie. „Sollen wir gehen?“
„Ja, ihr geht“, befahl er ihnen, ohne sie anzubrüllen, wie er es am liebsten getan hätte. Aus einem unerfindlichen Grund strahlten dieser Raum und sogar Sybilla selbst ein Gefühl der Ruhe aus, das er nicht stören wollte. Es war so, als hätte er einen Zufluchtsort betreten, eine Oase der Stille und Sicherheit. So etwas hätte er niemals mit einem Schlafgemach in Verbindung gebracht, weshalb das Ganze auch nicht so recht einen Sinn ergeben wollte, aber er akzeptierte es und nickte den beiden nochmals zu. Als er dann endlich die Tür hinter ihnen geschlossen und sich umgedreht hatte, stellte er fest, dass Sybilla aufgestanden war.
„Soll ich mich ebenfalls nach draußen begeben?“, fragte sie ihn. „Ich vermute, Ihr seid hergekommen, weil Ihr ungestört sein wollt. Also solltet Ihr Eure Ruhe haben.“
„Nein“, gab er zurück und stellte sich vor, was die Männer draußen im Korridor zu sehen bekommen würden, wenn sie an ihnen vorbeiging. Er schüttelte den Kopf, dann erst fiel ihm ein, dass sie gar nichts sehen konnte. „Nein, das ist nicht nötig.“
Daraufhin setzte sie sich wieder hin und drehte ihm den Rücken zu, um ihm das Gefühl zu geben, dass sie nicht hinsehen würde, wenn er sich entkleidete. Soren ging zum Badezuber und tauchte die Finger ein. Das Wasser war warm, aber nicht heiß. Er bemerkte die Eimer an der Wand und goss deren Inhalt in den Zuber. Mit einem zufriedenen Lächeln sah er Dampf aufsteigen. Es würde sich wunderbar anfühlen, in dieses Wasser einzutauchen.
Es war reine Gewohnheit, dass er sich in die tieferen Schatten einer Zimmerecke zurückzog, um sich seiner Kleidung zu entledigen. Da der ärgste Teil seines vernarbten Körpers in Düsternis getaucht und somit nicht zu sehen war, kam er nach vorn, stieg in den Badezuber und sank ins Wasser. Womöglich hatte er dabei lustvoll aufgestöhnt, ohne sich dessen bewusst zu sein – bis er Sybilla leise lachen hörte.
Ein leises amüsiertes, aber auch nervöses Lachen.