Ein Feuerwerk aus Leidenschaft - Kapitel 1

Kerry versuchte vergeblich, das Läuten an der Haustür zu ignorieren. Nur ein Vertreter würde so hartnäckig die Klingel betätigen. All ihre Freunde wussten, wie beschäftigt sie um diese Jahreszeit war. Sie entwarf Feuerwerke und hatte das ganze Jahr zu tun. Aber im Herbst ging es bei ihr wirklich hektisch zu. Sie musste die Aufträge für die Bonfire Night am fünften November und für die Silvesternacht bearbeiten. Fast ununterbrochen saß sie am Computer, damit die Feuerwerke noch spektakulärer wurden als im Vorjahr. Und das Ganze natürlich mit musikalischer Untermalung. Nicht wenige Kunden riefen im letzten Moment an, um sie zu bitten, ihren Auftrag noch irgendwie unterzubringen.

Derzeit bekam sie nachts ungefähr zwei Stunden weniger Schlaf, als sie eigentlich brauchte. Denn auch jetzt konnte sie es nicht über sich bringen, die Arbeit an ihrem Lieblingsprojekt aufzugeben. Sie wollte unbedingt ein ozeangrünes Feuerwerk entwickeln. Das war der Heilige Gral in der Pyrotechnik, der bisher noch keinem Feuerwerker gelungen war. Daher hatte sie auch nicht die Absicht, ihre Tätigkeit zu unterbrechen und jemandem zuzuhören, der sie in Hinblick auf ihre religiösen Ansichten belehren, über ihre Konsumgewohnheiten befragen oder ihr einen anderen Stromanbieter anpreisen wollte.

Es klingelte erneut.

„Verschwinde!“, flüsterte sie ärgerlich. Es müsste ein Gesetz gegen Vertreterbesuche am Freitagabend geben, dachte sie. Die Tatsache, dass sie die Tür nicht öffnete, obwohl Licht durch ihre Fenster drang, war ja wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl. Konnte der Mensch vor der Tür nicht einfach akzeptieren, dass sie nicht gestört werden wollte?

Offenbar nicht, denn es klingelte weiter. Unablässig und in kurzen Abständen. Das war schlimmer als ein langer durchgehender Ton, den sie einfach hätte ignorieren können. Kerry überlegte kurz, ob sie die Stereoanlage aufdrehen und den Störenfried mit der Musik von Johann Sebastian Bach übertönen sollte. Aber das hätte ihre Nachbarn auf den Plan gerufen. Sie wollte keinesfalls, dass einer von ihnen wutentbrannt an Decken oder Wände hämmerte.

Vielleicht war es jemand, der sie überreden wollte, ihre absolut perfekten Fenster gegen neue auszutauschen. Oder, schlimmer noch, ihre beste Freundin Trish, die sie von der Arbeit abhalten und auf eine langweilige Party schleppen wollte, um dort für sie einen Mann auszusuchen. Trish arbeitete schon lange und hartnäckig daran, sie zu verkuppeln. Dabei brauchte Kerry überhaupt keinen Mann. Sie war glücklich und zufrieden mit ihrem Leben. In jedem Fall würde sie ihrem ungebetenen Besucher deutlich machen, wohin er sich die Rakete stecken konnte, an der sie gerade arbeitete.

Sie speicherte die Datei, marschierte zur Tür und riss sie wütend auf. „Was?“

„Oh, schlechte Laune. Ich hätte dir Schokolade mitbringen sollen.“ Adam lehnte sich entspannt an den Türrahmen, legte den Kopf zur Seite und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Eines von jenen, bei denen sich sein Grübchen zeigte. Bei diesem Lächeln bekam jedes weibliche Wesen auf dem Planeten weiche Knie. Kerry bildete keine Ausnahme. Sie war weder gegen das Grübchen noch gegen das übermütige Funkeln in Adams blauen Augen immun.

„Aber vielleicht ist das hier ein angemessener Ersatz.“ Er hielt ihr eine Flasche Rotwein hin. Es handelte sich um einen sehr annehmbaren Cabernet Sauvignon.

Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass es nur Adam sein konnte, der um diese Zeit an ihrer Tür klingelte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und bemühte sich um eine strenge Miene. „Was willst du?“

„Einen Korkenzieher und zwei Gläser. Weil wir in deiner Wohnung sind, bin ich höflich und lasse dich die Musik aussuchen.“

Sie verdrehte die Augen. „Heute sucht hier überhaupt niemand Musik aus. Ich arbeite.“

Er schüttelte den Kopf und bedachte sie mit einem weiteren atemberaubenden Lächeln. „Es ist halb zehn am Freitagabend. Normale Menschen arbeiten um diese Zeit schon längst nicht mehr.“

„Was willst du damit sagen?“

„Dass du zu viel arbeitest und eine Pause brauchst. Man sollte immer auf eine gewisse Balance zwischen Arbeit und Leben achten, weißt du.“

„Ach, so. Das sagt ausgerechnet der Mann, der noch viel mehr arbeitet als ich.“

Er lachte. „Ja, aber ich achte darauf, dass ich mindestens genauso viel Spaß und Freizeit habe. Das gleicht es aus.“

Da hatte er zweifellos recht. Was Spaß und Vergnügen betraf, kam Adam wirklich auf seine Kosten. Er war ein echter Partylöwe, der sich in den Winterferien mit seinem Snowboard amüsierte und im Sommer in die Berge zum Klettern fuhr. Die Wochenenden verbrachte er, sooft es ihm möglich war, in Cornwall, um in den Atlantikwellen zu surfen.

„Komm schon, Kerry. Du brauchst eine Pause. Und ich sorge dafür, dass du sie auch bekommst. Ich habe sogar ein paar Snacks mitgebracht.“ Er schob sie sanft zur Seite und schloss die Eingangstür. „Hast du schon etwas gegessen?“

Es gab Momente, da hätte Kerry ihren Nachbarn von oben mit Freuden ermorden können. Besonders, wenn um sechs Uhr morgens seine momentane Gespielin lautstark ihr Vergnügen am Liebespiel kundtat. Adams Schlafzimmer lag direkt über Kerrys. Sie vergrub sich dann unter mindestens drei Kopfkissen, um die Lustschreie und das Quietschen der Bettfedern nicht hören zu müssen.

Gerade jetzt hatte sie wirklich viel zu tun und eigentlich überhaupt keine Zeit für ihn. Aber wie hätte sie ihm angesichts seines Lächelns widerstehen können?

Adam McRae war einfach mörderisch attraktiv. Schlimm war nur, dass er das ganz genau wusste.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hatte ein Sandwich zum Mittagessen.“

„Nur ein Sandwich? Und dein Mittagessen liegt doch bestimmt mehr als acht Stunden zurück. Kerry Francis, das ist nicht gut.“ Er schüttelte besorgt den Kopf. „Was soll ich nur mit dir machen? Du musst mehr auf deine Ernährung achten. Ich mag gar nicht daran denken, wie es in diesem Moment um deinen Blutzuckerspiegel bestellt ist. Setz dich hin. Ich mache dir ein Omelett, oder so.“

„Deine Küche liegt ein Stockwerk höher. In deiner Wohnung“, erinnerte sie ihn.

„Das schon, aber bis ich dir das Omelett nach unten gebracht habe, ist es längst kalt geworden. Kalte Omeletts sind schrecklich. Am besten mache ich es hier. Dann ist es heiß und fluffig und zergeht dir im Mund. Ich hoffe, du hast Eier im Haus, die das Verfallsdatum noch nicht überschritten haben? Und vielleicht ein Stückchen Käse, der noch nicht ganz hart geworden ist?“

Kerry hob abwehrend die Hände. Adam war ein richtiger Wirbelwind. Er bewegte sich stets mit Höchstgeschwindigkeit und erwartete von seinen Mitmenschen dasselbe. Sie fragte sich oft, wie die Krankenschwestern in der Notaufnahme während seiner Schichten damit zurechtkamen. Aber dort war Schnelligkeit vermutlich überlebenswichtig. „Ich möchte kein Omelett, danke. Wirklich Adam, ich bin nicht hungrig.“ Wenn sie konzentriert bei der Arbeit war, vergaß sie das Essen komplett. „Würdest du bitte aufhören, so ein Theater zu machen?“

„Aber jemand muss sich doch um dich kümmern!“

„Ja, und dieser Jemand bin ich selbst“, erwiderte sie kühl. Sie kümmerte sich schon die letzten zwanzig Jahre um sich selbst. Das funktionierte ganz gut, und sie hatte nicht die Absicht, es zu ändern.

„Ich meine, sich richtig kümmern, Kerry“, sagte er und zerzauste ihr das Haar. „Also setz dich einfach hin und mach es dir gemütlich. Ich sorge für das Essen.“

Sie sollte sich hinsetzen und es sich gemütlich machen? In ihrer eigenen Wohnung? Das sah Adam ähnlich. Er neigte zu Herrschsucht und organisierte gerne Dinge über die Köpfe anderer hinweg. Wahrscheinlich war das die Macht der Gewohnheit, denn er musste es in seinem Beruf ständig tun.

„Sind dir etwa die Krankenschwestern, die du ärgern kannst, schon ausgegangen? Du hast erst vor einem Monat das Krankenhaus gewechselt. Es müssen doch noch welche übrig sein, oder?“

„Ha, ha“, machte er nur, schnitt eine Grimasse und verschwand in der Küche.

Sie folgte ihm und beobachtete, wie er zwei Gläser aus dem Schrank nahm und die Weinflasche öffnete. „Im Ernst, Adam. Du hast doch sonst freitagabends immer eine Verabredung.“ Und immer mit einer anderen Frau, auch wenn sie alle viel gemeinsam hatten. Endlos lange Beine, langes blondes Haar, unerhört sexy und attraktiv. In dieser Hinsicht bediente er jedes Klischee.

Es war also mehr als seltsam, dass er sich an einem Freitagabend zu einem Besuch bei ihr entschlossen hatte. Na gut, sie hatte auch langes blondes Haar, das sie meist zu einem Knoten am Hinterkopf zusammensteckte. Aber damit hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Ihre Beine waren bestenfalls guter Durchschnitt, was die Länge betraf. Und sie war weder besonders sexy noch unglaublich attraktiv. Auf keinen Fall eine Frau, mit der sich ein großer dunkelhaariger und muskulöser Liebesgott wie Adam McRae verabredete. „Warum ist es heute Abend anders?“, hakte sie nach.

Er zuckte die Schultern. „Ich gehe gar nicht jeden Freitag aus. Außerdem hatte ich heute Spätdienst.“

Das hatte nichts zu bedeuten. Sie wusste, dass Adam eine Doppelschicht arbeiten und danach bis zum Abwinken feiern konnte, um am nächsten Morgen mit wachen Augen den Frühdienst in der Notaufnahme zu übernehmen. Er hatte nur das Thema gewechselt, um ihrer Frage auszuweichen. Irgendetwas stimmte nicht.

Obwohl er Kerry manchmal extrem irritierte, konnte sie ihn gut leiden. Sie mochte ihn, seit sie in die Wohnung unter ihm eingezogen war und es gleich am ersten Tag geschafft hatte, sich selbst auszusperren. Er war zu ihrer Rettung herbeigeeilt, hatte das Türschloss mit einem Trick geöffnet und sie dazu noch mit heißem Kaffee und Schokoladenkeksen versorgt. Definitiv ein toller Nachbar!

Im Laufe des vergangenen Jahres hatte sich ihre Bekanntschaft zu einer Freundschaft entwickelt. Eine gute Freundschaft ohne Druck und Verpflichtungen. Sie verstanden einander. Adam war Arzt, schuftete in der Notaufnahme hart und war immer für jede Art von Spaß und Unterhaltung zu haben. Kerry arbeitete als Pyrotechnikerin und beschäftigte sich lieber mit diversen Chemikalien, als auf Partys zu gehen. Beide machten sich unentwegt über den Lebensstil des anderen lustig, versuchten aber nicht, ihn zu ändern. Wenn Kerry einen schlimmen Tag hinter sich hatte, klopfte sie an Adams Tür. Dann machte er ihr einen Milchkaffee, fütterte sie mit Keksen und brachte sie zum Lachen. Wenn er einen schlimmen Tag gehabt hatte, kam er bei ihr auf eine zwanglose Unterhaltung vorbei.

So wie jetzt.

Aber heute war bei ihm zweifellos irgendetwas schiefgelaufen. Was mochte es sein? Männer wie Adam hatten keine Probleme mit Frauen. Wenn man einmal außer Acht ließ, dass die vielen Frauen, die ihm zu Füßen lagen, seine Bewegungsfreiheit einschränkten. Um sicher zu sein, fragte sie trotzdem. „Probleme mit den Frauen?“

„Nein.“

„Was dann?“

„Ich hatte einfach Lust, meine Lieblingspyromanin zu besuchen.“

Sie hielt sich nicht damit auf, ihn zu korrigieren, dass es Pyrotechnikerin heißen musste. Adam wusste schließlich ganz genau, wie ihre korrekte Berufsbezeichnung lautete. Er wollte sie nur ärgern. „Die zufällig gerade sehr beschäftigt ist“, erinnerte sie ihn.

„Aber es kann doch nicht so lange dauern, bis du eine Rakete oder ein komplettes Feuerwerk entworfen hast. Ich weiß, wie brillant du in deinem Job bist. Das machst du alles im Schlaf. Und ja, ich weiß auch, wie heiß du darauf bist, das erste ozeangrüne Feuerwerk zu entwickeln. Aber daran arbeitet deine Zunft seit Jahren vergeblich. Niemand wird diese chemische Formel über Nacht vor dir entdecken, Kerry. Du musst auch mal ausspannen, an den Rosen riechen, die Wolken betrachten und dem Vogelgezwitscher lauschen.“ Er füllte ihre Gläser. „Da wir gerade davon sprechen, darf ich die Musik aussuchen?“

Sie stöhnte auf. „Wenn das bedeutet, dass du eine CD mit uralter Rockmusik mitgebracht hast, lautet die Antwort Nein.“

„Süße, das ist das beste Material für Feuerwerke“, erwiderte er und grinste schief.

„Nicht meine Art von Feuerwerk. Dafür brauche ich klassische Musik.“

„Aber nein“, widersprach er, kniff ein Auge zu und hob den rechten Zeigefinger. „Du solltest mal über den Tellerrand hinausschauen. Du könntest eine tolle Vorstellung mit guter alter Rockmusik entwerfen. Pink Floyd, Led Zeppelin oder U2. Das wäre fabelhaft.“ Wieder dieses schiefe Lächeln. „Du musst dich nur trauen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich nehme heute keine Herausforderungen mehr an.“

„Eines Tages werde ich dir einen Auftrag erteilen. Dann musst du mir ein Feuerwerk nach meiner Musikauswahl entwerfen.“

Sie lachte. „Das kannst du dir doch gar nicht leisten. Ich bin nämlich sehr teuer.“

Er hob die Augenbrauen. „Also, das hört sich ganz nach einer Herausforderung an.“

„Es soll aber keine sein. Du lenkst vom Thema ab. Was ist denn nun eigentlich los mit dir?“

Er verzog schmerzlich das Gesicht. „Glaubst du wirklich, ich komme nur bei dir vorbei, wenn ich etwas auf dem Herzen habe und jemanden zum Reden brauche?“

„Na ja, nicht immer.“ Manchmal kam er auch, um sie zu einer seiner Partys einzuladen. Und bisweilen gingen sie gemeinsam zum Essen aus. Wenn er ein neues Restaurant entdeckt hatte und es ausprobieren wollte, bevor er mit seiner neuesten Gespielin dorthin ging. Sie waren eben nur Freunde. Gute Freunde. Freunde, die einander viel Raum ließen und auch nach einer längeren Pause immer dort anknüpfen konnten, wo sie aufgehört hatten.

Er seufzte. „Also gut, du darfst mich einen egoistischen Mistkerl nennen.“

„Du hast oberflächlich, rechthaberisch und sexbesessen vergessen“, ergänzte Kerry trocken. Ebenso wie charmant, attraktiv und witzig, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber sie sprach es nicht laut aus. Adams Ego brauchte keine Streicheleinheiten.

„Oh, vielen Dank auch.“

„Keine Ursache. Dafür sind Freunde schließlich da.“ Dafür und fürs Zuhören, wenn jemand zum Reden gefragt war.

Er brauchte anscheinend jemanden zum Reden. Aber er brauchte bestimmt auch etwas zu essen. Da er das Thema Essen zuerst erwähnt hatte, lag es nahe, dass er hungrig war. Schließlich kam er gerade von der Arbeit. Auch wenn er öfter kluge Reden über eine ausgewogene Ernährung schwang, wusste Kerry genau, dass er überwiegend von Schokoriegeln und Automatenkaffee lebte. In dieser Hinsicht war er der typische Arzt, der seine eigenen guten Ratschläge nicht befolgte.

Sie suchte im Küchenschrank nach einer Packung Cracker und holte ein Stück Brie aus dem Kühlschrank. Beides legte sie zusammen mit einem Messer auf einen Teller und komplimentierte Adam ins Wohnzimmer. Nachdem sie den Teller auf den Couchtisch gestellt hatte, setzte sie sich neben ihren Nachbar und rieb sich die schmerzende Nacken- und Schulterpartie.

„Verspannungen?“, erkundigte er sich mitfühlend.

„Nein“, log sie tapfer.

„Das kommt davon, dass du stundenlang vor dem Computer sitzt, ohne dir eine Pause zu gönnen. Dreh dich um.“

„Warum?“

Er verdrehte ungeduldig die Augen. „Weil ich dir die Knoten nicht aus dem Nacken massieren kann, wenn du mich ansiehst. Also, dreh dich um.“

Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unmöglich, Nein zu sagen. Das wäre, als wollte man die auflaufende Flut aufhalten. Kerry zog es daher vor, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und kehrte ihm den Rücken zu. Währenddessen stellte er die Weinflasche und die Gläser auf den Beistelltisch.

„Sehr schön. Jetzt schließ die Augen“, bat er mit sanfter Stimme.

Oh, er hatte wundervolle Hände! Und er wusste sie wirkungsvoll einzusetzen. Sie stöhnte wohlig auf, als er sich der Stelle widmete, die am meisten verhärtet war.

Für einen kurzen Moment stellte sie sich vor, wie es sich anfühlen mochte, wenn er sie auf intimere Weise berühren würde. Wenn er, anstatt ihren Nacken zu massieren, die Hände unter ihr T-Shirt schieben und über ihren Bauch hinauf bis zu ihren Brüsten gleiten lassen würde. Sie stellte sich vor, wie er ihre Brustwarzen umspielen würde, bis sie den Kopf zurücklegen und um mehr bitten würde.

Lieber Himmel, wo kamen diese Fantasien plötzlich her?

Adam McRae war der letzte Mann auf Erden, mit dem sie Sex haben wollte. Denn das würde ihre Freundschaft ruinieren. Und da sie Nachbarn waren, müsste sie danach peinliche Begegnungen vermeiden und ihm aus dem Weg gehen. Außerdem hatte sie in der Vergangenheit viel zu lange mit einem Mann wie ihm zusammengelebt. Mit einem Mann, der eine Reihe von Freundinnen hatte, nur an sein eigenes Vergnügen dachte und sich überhaupt nicht um die Bedürfnisse seiner Mitmenschen scherte. Diesen Fehler würde sie ganz bestimmt nicht noch einmal machen.

Kerry mochte Adam, sehr sogar. Aber sie wollte sich auf keinen Fall emotional auf ihn einlassen. Das wäre, als würde sie ihre Lieblingsrakete mit einem einfachen Streichholz entzünden. Das Ding würde hochgehen und ihr im Gesicht explodieren.

Auf diese schmerzhafte Erfahrung konnte sie gut verzichten.

„Was ist los? Du verkrampfst dich gerade völlig.“

„Tut mir leid.“ Sie beugte sich vor und schnitt sich ein Stück Käse ab. „Vielen Dank. Ich fühle mich schon viel besser.“

Seine Miene verriet ihr, dass er ihr nicht glaubte. Aber zu ihrer Erleichterung bedrängte er sie nicht weiter.

Er hatte bereits die Hälfte der Cracker gegessen, und der Käse war völlig verschwunden, als er ihr endlich von seinem Problem erzählte. „Meine Mutter hat mich heute Nachmittag angerufen.“

„Oh.“ Jetzt würde Adam sich wieder selbst bemitleiden, das kannte Kerry schon. Als Einzelkind wurde er von seinen Eltern geradezu vergöttert. Sie wusste, wie sehr er es hasste, so verhätschelt zu werden. Er sollte es einmal mit Eltern versuchen, die sich einen Dreck um ihre Sprösslinge scheren, dachte sie bitter. Dann wüsste er, wie viel Glück er hatte.

Es war nicht so, dass sie ihm dieses Glück nicht gönnte. Sie empfand nur einfach eine innere Leere, wenn sie an ihre eigenen Eltern dachte. Ihre ehemaligen Eltern, korrigierte sie sich im Stillen. Sie hatte einmal von einem Fall gehört, in dem ein Kind versuchte, sich von seinen Eltern scheiden zu lassen. Sie selbst hatte sich in ihrem Kopf bereits vor langer Zeit von ihren Eltern getrennt. Und sie brauchte keinen Ersatz. Es ging ihr gut, so ganz allein.

„Was wollte sie denn?“, fragte sie. „Hat sie etwa verlangt, dass du im nächsten Jahr einen halben Tag für sie erübrigst?“

Adam zuckte unbehaglich die Schultern. „Du scheinst mich tatsächlich für einen egoistischen Mistkerl zu halten.“

Oh, sie hatte ihn also verletzt. Das war nicht ihre Absicht gewesen. Aber immer, wenn sie an ihre ehemalige Familie dachte, hatte sie das Bedürfnis, um sich zu schlagen. Diesmal hatte es Adam erwischt. Es war nicht seine Schuld. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz. „Tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun. Was hat deine Mutter denn nun gesagt?“

„Es geht um meinen Vater.“ Adam sog scharf den Atem ein. „Kerry, ich brauche jetzt wirklich eine Freundin.“

„Deshalb sitzt du auf meiner Couch“, erwiderte sie weich. „Erzähl es mir.“

„Er hatte einen Herzanfall. Ich weiß noch nicht genau, wie schlimm es ist.“

Adam arbeitete in der Notaufnahme und war kein Herzspezialist. Aber er war ein qualifizierter Arzt. Wenn er also der Meinung war, dass etwas möglicherweise schlimm sein könnte, war das weder eine Übertreibung noch eine Panikattacke. Die Lage war demnach wirklich ernst. „Heißt das, du musst nach Schottland? Jetzt sofort?“

„Wir sind im Moment ziemlich unterbesetzt. Ich konnte heute Nachmittag nicht weg. Und für heute Abend habe ich keinen Flug mehr bekommen. Ich fliege morgen in aller Frühe.“ Er seufzte. „Aber das ist noch nicht alles. Mein Vater …“ Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Nein, das ist einfach lächerlich.“

„Sag es mir.“

Er seufzte erneut. „Wie du weißt, bin ich ein Einzelkind.“

Sie nickte.

„Daher betrachten mich meine Eltern als … nun, ich nehme an, als ihre Zukunft. Mein Vater will, dass ich sesshaft werde, heirate und Enkelkinder zeuge.“

„Das ist genauso unwahrscheinlich wie in den nächsten zwei Minuten ein ozeangrünes Feuerwerk zu entwickeln“, bemerkte Kerry trocken. „Du glaubst doch, eine zweite Verabredung wäre bereits eine Beziehung.“

Er runzelte die Stirn. „So oberflächlich bin ich nun auch wieder nicht. Ich bin nur noch nicht bereit, mich für den Rest meines Lebens an eine Frau zu binden. Ich habe die eine, die mich hinter geschlossenen Augen ein Feuerwerk sehen lässt, noch nicht getroffen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es sie gibt.“ Er zuckte die Schultern. „Und ich kann nicht warten, bis ich sie finde. Ich weiß nicht, wie lange mein Vater noch zu leben hat. Ich kann die Lage erst dann besser einschätzen, wenn ich den Krankenbericht gelesen, mit seinem Arzt gesprochen und meinen Dad selbst untersucht habe. Wie es scheint, hatte er schon das letzte Jahr über hin und wieder Beschwerden. Vermutlich eine Angina Pectoris. Mum hat mir das seit Monaten verschwiegen.“ Er schüttelte frustriert den Kopf. „Sie gehört zu den Müttern, die ihre Kinder nicht beunruhigen wollen. Jetzt hat sie mir nur Bescheid gesagt, weil es so ernst aussieht. Er könnte sterben, Kerry.“ Angst und Sorge zeichneten sein Gesicht. „Er könnte sterben mit dem Gedanken, dass ich ein Herumtreiber und eine große Enttäuschung für ihn bin.“

„Adam, ich bin davon überzeugt, dass du keine Enttäuschung für deine Eltern bist“, versicherte sie ihm. „Sieh dich doch an! Du bist ein hochqualifizierter Arzt und wirklich gut in deinem Beruf. Außerdem stehst du kurz davor, Facharzt zu werden. Dabei bist du erst dreißig. Du hast allen Grund, stolz auf dich zu sein.“

„Ich meine ja auch nicht in beruflicher Hinsicht. Sondern im Privatleben. Wie ich dir bereits gesagt habe, will er, dass ich häuslich werde und heirate.“

Kerry hatte das Gefühl, dass dies noch nicht alles war. Also wartete sie einfach ab.

„Meine Eltern träumen davon, dass ich die Tochter ihrer Nachbarn heirate, Elspeth MacAllister. Mum und Dad sind seit vielen Jahren mit ihren Eltern befreundet. Schon als Elspeth und ich noch im Kinderwagen saßen, haben sie bereits unsere Hochzeit geplant.“

Adam legte großen Wert darauf, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Kerry konnte sich seine Reaktion auf diese Idee nur allzu gut vorstellen.

„Versteh mich nicht falsch“, fügte er hinzu. „Sie ist ein nettes Mädchen. Ich mag sie und habe großen Respekt vor ihr.“

Das bedeutete, Elspeth MacAllister war keine langbeinige blonde Schönheit, interpretierte Kerry seine Worte im Stillen.

„Aber sie ist nicht die Richtige für mich“, fuhr er fort. „Sie hasst London. Ihr gefällt es in Inveraillie, wo alle sie fast ihr Leben lang kennen. Ein verschlafenes Nest, in dem sämtliche Einwohner nicht nur dich, sondern auch deine Eltern und Großeltern kennen und über alle deine Angelegenheiten Bescheid wissen.“ Er verzog das Gesicht. „Das ist nichts für mich. Ich kann nicht zurückgehen, um mich dort niederzulassen. Natürlich könnte ich versuchen, eine Stelle in Edinburgh zu finden. Aber ich mag meinen Job hier. Und ich mag London.“ Unruhig trommelte er mit den Fingern auf seine Knie. „Ich habe schon den ganzen Tag darüber nachgedacht. Dad muss die Dinge unbedingt ruhiger angehen lassen. Aber er hört auf niemanden, der ihm diesen Rat erteilt. Schon vor einiger Zeit habe ich ihm vorgeschlagen, nur noch in Teilzeit zu arbeiten, um den Stress zu reduzieren. Aber er hat sich nur darüber lustig gemacht. Er meinte, es würde den Stress nur erhöhen, wenn er für seine Arbeit noch weniger Zeit hätte als jetzt. Er hat mich absichtlich missverstanden. Mum hat ebenfalls versucht, mit ihm darüber zu reden. Leider vergeblich. Also bin ich auf die Idee gekommen, ein Abkommen mit ihm zu treffen. Wenn er sich schont, erfülle ich ihm seinen Wunsch und werde sesshaft.“

„Was meinst du damit?“

„Ich werde mich verloben“, erklärte er.

„Aber du kannst doch keine Verlobung eingehen, nur um jemandem einen Gefallen zu tun“, protestierte sie entsetzt. „Adam, das ist keine gute Idee. Es wird nicht funktionieren. Du schaffst es ja noch nicht einmal, dich mit derselben Frau eine ganze Woche lang zu verabreden. Und da redest du von Verlobung!“

„Keine richtige Verlobung“, erwiderte er. „Ich habe nicht vor, zu heiraten. Und es geht eigentlich nicht darum, ihm einen Gefallen zu tun. Es ist nur eine Art Trick, damit er endlich anfängt, an seine Gesundheit zu denken. Etwas anderes ist mir nicht eingefallen.“

„Eine vorgetäuschte Verlobung.“

„Ein bestechendes Argument in unseren Verhandlungen“, berichtigte Adam. „Um ein Geschäft mit ihm abschließen zu können. Ich weiß, es hört sich verrückt an. Aber wir haben schon alles andere versucht. Vielleicht schaffe ich es ja auf diesem Wege. Mein Vater ist so stur, dass es möglicherweise nicht klappt. Aber falls doch, brauche ich eine Verlobte.“

„Kannst du nicht einfach eine erfinden?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin ein schlechter Lügner.“

Das stimmte. In dieser Hinsicht war Adam ein hoffnungsloser Fall. Er war in der Lage, mit seinem Charme fast jede Frau herumzukriegen. Was er auch regelmäßig tat. Aber er machte niemandem etwas vor. Er war immer absolut ehrlich. Kerry wusste, dass er den Frauen, mit denen er sich traf, von Anfang an die Wahrheit sagte. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er nur an einer flüchtigen Affäre interessiert war und keine feste Bindung wollte. Er flirtete ständig mit allen und stand privaten Verpflichtungen geradezu feindselig gegenüber. Doch er war ein aufrichtiger Mensch.

„Meine Eltern werden meine Verlobte natürlich kennenlernen wollen. Wenn sie unsichtbar wäre, hätte ich ein kleines Problem.“

„Stimmt. Auf die Dauer würden dir die Ausreden ausgehen.“

„Genau. Und deshalb brauche ich eine richtige Verlobte.“

„Es sollte dir nicht allzu schwerfallen, eine Frau zu finden, die diese Rolle übernimmt“, bemerkte Kerry nachdenklich.

Er runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“

„Komm schon, du kennst doch bestimmt Hunderte von Frauen.“

„Keinesfalls Hunderte“, widersprach er kopfschüttelnd.

„Na schön, aber auf jeden Fall viele. Dein kleines schwarzes Notizbuch ist voller Namen.“

Er zuckte die Schultern. „Das mag sein, aber keine von ihnen kommt infrage. Sie würden alle denken, ich bitte sie nur deshalb darum, meine Verlobte auf Zeit zu spielen, um mein Gesicht zu wahren. Damit ich sie heiraten kann, ohne zugeben zu müssen, dass ich das eigentlich schon immer wollte.“

„Das hört sich ziemlich schräg an“, meinte Kerry und schnitt eine Grimasse.

„Es ist aber so.“

„Wie wäre es, wenn du eine Anzeige aufgibst?“

„Nein, das würde nicht funktionieren. Wie sollte denn der Text lauten? Gesucht wird eine vorgebliche Verlobte, die meine Eltern glauben macht, dass sie mich wirklich liebt und ich sie. Sie darf sich aber keine falschen Hoffnungen machen, dass ich sie tatsächlich heiraten will“, formulierte er. „Das klingt schräg.“

„Du hast recht. Also keine Anzeige.“

„Es gibt jemanden, der die Rolle spielen könnte“, sagte er langsam. „Eine gute Freundin.“

„Warum fragst du sie nicht einfach?“

„Sie würde vermutlich Nein sagen.“

Kerry zuckte die Achseln. „Das kannst du nicht wissen, bevor du sie gefragt hast. Wenn du es ihr richtig erklärst und ihr etwas an dir liegt, wird sie dir bestimmt helfen.“

„Stimmt.“ Als er lächelte, zeigte sich sein Grübchen. Feierlich nahm er ihre Hand. „Also dann. Kerry Francis, willst du meine Verlobte auf Zeit sein?“


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