„Bist du verrückt geworden?“, fragte Kerry fassungslos.
Adam blinzelte. „Äh, nein, ich glaube nicht.“ Sie war es doch gewesen, die den Vorschlag gemacht hatte. Wenn du es ihr richtig erklärst und ihr etwas an dir liegt, wird sie dir bestimmt helfen. Das waren genau ihre Worte. Kerry und er waren Freunde. Gute Freunde. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohler als bei jedem anderen. Sie bedeutete ihm viel, und er war sicher, dass es für sie genauso war. Vielleicht hatte er ihr die Situation nur nicht richtig erklärt. „Es liegt doch nahe, dass du die richtige Wahl bist.“
„Inwiefern?“, entgegnete sie empört. „Du verabredest dich ausschließlich mit langbeinigen Blondinen.“
Er lachte. „Aber du bist blond.“ Auch wenn sie ihre lange Mähne zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt hatte, war Kerrys Haar ohne jeden Zweifel von einem hellen, schimmernden Blond. Er vermutete, dass ihr Haar sich glatt und seidig anfühlte. Mit weichen Strähnen, die sich um seine Finger wickelten, wenn er es anfassen würde.
Er deutete auf ihre Beine, die in einer engen Jeans steckten. „Wenn mein Anatomieprofessor an der Universität mich nicht völlig aufs Glatteis geführt hat, sind die beiden Körperteile in deinen Jeans da Beine.“ Schöne Beine noch dazu. Auch wenn Kerry sie immer in Hosen versteckte. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er sie noch nie in einem Rock oder Kleid gesehen. Nicht einmal, wenn sie zusammen ausgingen.
„So habe ich es nicht gemeint. Und das weißt du genau. Du musst wirklich verrückt geworden sein. Ich kann mich unmöglich mit dir verloben.“
Ein hässlicher Verdacht beschlich ihn. Kerry verabredete sich äußerst selten. Und nie mehr als zweimal mit demselben Mann. Bisher hatte er angenommen, dass ihr anstrengender Job der Grund dafür war. Aber vielleicht lagen die Dinge ja ganz anders. „Bist du etwa schon verheiratet?“, fragte er vorsichtig. Das glaubte er eigentlich nicht. Falls doch, lebte sie vielleicht getrennt und war im Begriff, sich scheiden zu lassen.
„Nein. Ich glaube nicht an die Ehe.“
Das klang für seinen Geschmack ein wenig zu selbstsicher. Möglicherweise widmete sie sich ihrer Arbeit deshalb so hingebungsvoll, weil sie einmal mit einem Mann verheiratet oder zumindest eng verbunden war, der sie dann verlassen hatte. Wenn er jedoch weitere Fragen in diese Richtung stellte, würde er nur alte Wunden wieder aufreißen. „Kerry, ich will dich nicht bedrängen. Aber wir sind doch Freunde, oder?“
„Ja.“
„Ich mag dich, sehr sogar. Und ich habe dir erklärt, warum ich eine Verlobte brauche. Damit ich meinen Vater dazu bewegen kann, mehr auf seine Gesundheit zu achten.“ Adam strich sich nervös durchs Haar.“ Kerrys Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schaufelte er sich gerade sein eigenes Grab. Sie hatte immer vermieden, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Er war sich ziemlich sicher, dass es da eine Wunde gab, die nur schlecht verheilt war und immer noch schmerzte. Da sie jedoch zu den Menschen gehörte, die das Herz nicht auf der Zunge trugen, hatte er sie nie bedrängt, etwas von ihrem familiären Hintergrund preiszugeben. Wenn sie darüber reden wollte, würde sie es irgendwann von allein tun.
„Sieh mal, es tut mir leid, wenn ich bei dir durch meine Bitte schlimme Erinnerungen wachgerufen habe. Aber mir fällt niemand ein, der besser geeignet wäre als du. Du weißt, dass ich nicht heiraten will. Du ja auch nicht. Du steckst deine gesamte Energie in deinen Beruf. Wir wissen beide genau, was wir voneinander halten. Und wir sind beide nicht auf der Suche nach einem geeigneten Ehepartner.“
Kerry sah ihn nur schweigend an und nahm einen großen Schluck Wein.
Adam hatte das Gefühl, dass er gerade dabei war, die Sache gründlich zu verderben. Das irritierte ihn, denn bei der Arbeit wusste er immer genau, was zu tun war. Er konnte eine Situation innerhalb von Sekunden richtig einschätzen und die geeigneten Maßnahmen ergreifen. Warum versagte er dann jetzt so schmählich?
„Du bist der einzige Mensch, mit dem ich darüber gesprochen habe“, fuhr er fort. „Und auch der Einzige, mit dem ich das teilen möchte.“ Dieses Eingeständnis überraschte ihn selbst am meisten. Denn es war die Wahrheit. Er hatte schon den ganzen Tag über das Problem nachgegrübelt. Wann immer ihm jemand eingefallen war, der ihm vielleicht zuhören und einen vernünftigen Ratschlag geben konnte, hatte er seinen Einfall verworfen.
Und immer wieder waren seine Gedanken bei Kerry gelandet.
„Warum?“, fragte sie.
„Weil … weil ich dir vertraue, nehme ich an.“ Er zuckte die Schultern. „Wir sind uns sehr ähnlich. Geradlinig und ohne Hintergedanken. Ich brauche Hilfe, Kerry. Du bist die einzige Person, die ich darum bitten möchte.“ Er grinste schief. „Wenn du Glück hast, lässt mein Vater sich gar nicht auf den Handel ein. Dann bist du raus aus der Geschichte.“
„Und wenn er es doch tut?“
„In diesem Fall muss ich mein Versprechen einhalten und eine Verlobte präsentieren. Wenn ich meinen Eltern irgendeine fremde Frau vorstelle, werden sie den Braten sofort riechen. Aber von dir wissen sie ja schon.“
Kerry runzelte die Stirn. „Warum?“
„Obwohl sie mich mit ihrer übertriebenen Fürsorge verrückt machen, liebe ich meine Eltern, Kerry. Ich schicke ihnen E-Mails und rufe sie ein paarmal in der Woche an, um zu hören, wie es ihnen geht. Meine Mutter ist wirklich gut darin, Leute auszuhorchen. Ich habe ihr von dir erzählt, als du hier eingezogen bist. Sie weiß, dass wir Freunde geworden sind. Dass du ein scharfes Chili machst, Rotwein lieber trinkst als weißen und nur klassische Musik hörst.“
Kerry hob die Augenbrauen. „Und das macht mich zu deiner ersten Wahl bei der Suche nach einer vorgetäuschten Verlobten?“
„Es würde für meine Eltern zumindest plausibel klingen. Wir kennen uns schon eine Weile. Wir verstehen uns gut. Es hat eben seine Zeit gedauert, bis wir entdeckt haben, dass zwischen uns die Funken sprühen.“
Sie wirkte nicht sehr überzeugt.
Daraus konnte Adam ihr keinen Vorwurf machen. Sie hatten sich noch nie geküsst. Manchmal umarmten sie sich oder massierten sich gelegentlich den verspannten Nacken, aber das war rein freundschaftlich und hatte nichts mit Erotik zu tun. In Kerrys Gegenwart dachte er noch nicht einmal an Erotik. Er hatte noch nie das Bedürfnis verspürt, ihr die Sachen vom Leib zu reißen oder sie leidenschaftlich zu küssen. Sie war eben Kerry, das Mädchen von nebenan.
Er war gern mit ihr zusammen. Sie war ganz anders als seine sonstigen Frauenbekanntschaften. Und auch ganz anders als jeder Mensch, den er bisher getroffen hatte. Allerdings schien es ihm ratsam, im Moment nicht allzu genau zu analysieren, wie er sich in ihrer Gegenwart fühlte. In seinem Kopf leuchtete bei diesem Thema nämlich eine rote Alarmleuchte auf.
Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Er seufzte und lehnte sich zurück. „Also gut. Lass mich mal anders anfangen. Jemand, von dem du gedacht hast, dass er nie im Traum daran gedacht hätte, teilt dir mit, er wolle sich verloben. Würdest du ihm glauben, wenn er behauptet, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen und er kennt das Mädchen erst seit Tagen? Oder klingt es nicht wahrscheinlicher, wenn er sagt, dass er sich in eine Frau verliebt hat, die er schon sehr lange kennt?“
„Ich würde weder das eine noch das andere glauben.“
Er verdrehte die Augen. „Komm schon, sei keine Spielverderberin. Du musst dich entscheiden.“
Kerry schwieg für eine Weile. Dann sah sie ihn aus ihren meergrünen Augen ernst an. „Na, schön. Du hast recht. Es klingt plausibler, wenn es eine Frau ist, die derjenige schon seit Jahren kennt.“
Adam atmete erleichtert auf. Gut, sie hatte sein Argument verstanden. Und auch, dass sie die perfekte Person für diese Rolle war. „Also wirst du mir helfen? Bitte.“
Sie nippte erneut an ihrem Weinglas. „Was genau müsste ich denn tun?“
Das war immerhin kein klares Nein. Damit konnte er arbeiten. Er musste es nur vorsichtig und geschickt anstellen. „Nichts, womit du dich nicht wohlfühlst.“
„Zum Beispiel, deine Eltern kennenzulernen und ihnen ins Gesicht zu lügen?“, fragte sie mit Bitterkeit in der Stimme.
Es war an der Zeit, einen kleinen Rückzieher zu machen. Und zwar schnell. „Vielleicht könntest du mit ihnen telefonieren. Und ihnen sagen, was du von mir hältst.“
„Was sollte das sein? Dass du oberflächlich bist?“
Einer ihrer Mundwinkel war ein paar Millimeter nach oben gezogen. Das verriet sie. Sie wollte sich nur über ihn lustig machen. Jedenfalls hoffte er das.
„Wenn du willst“, sagte er lächelnd. „Wenn Mum den Schock erst einmal überwunden hat, ist sie vermutlich froh, dass ich eine Frau kennengelernt habe, die mich so nimmt, wie ich bin.“
Das angedeutete Lächeln verschwand von Kerrys Gesicht. „Mir gefällt das nicht besonders, Adam. Ich lüge eigentlich nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Wie würdest du es denn bezeichnen, wenn du sie anrufst und behauptest, wir wären verlobt?“
„Als die Wahrheit. Nur eben nicht die ganze Wahrheit. Sie müssen ja nicht wissen, dass wir nur so tun, als ob.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht. Wie willst du mich ihnen denn vorstellen? Das ist Kerry, die den ganzen Tag lang mit Sprengstoff herumhantiert. Da werden sie mich gleich ganz besonders in ihr Herz schließen.“