Lizzy schenkte einen perfekt gebrühten Assam-Tee aus einer silbernen Teekanne in zierliche Tassen ein. Ben war unterdessen emsig beschäftigt, wenn auch ein wenig unbeholfen, Spaghetti auf seine Gabel zu wickeln. Die untergehende Sonne tauchte die Terrasse in einen warmen goldenen Schimmer.
Derselbe Glanz war in ihr, strömte durch sie hindurch, sodass sie ein Teil des leuchtenden Lichts zu sein schien. Es verwirrte sie, dennoch gab sie sich dem Gefühl hin, da sie sich sowieso nicht dagegen wehren konnte.
Sie nippte an ihrem Tee und ließ ihren Blick zu dem Mann ihr gegenüber schweifen. Rico hatte sich auf seinem Stuhl entspannt zurückgelehnt und trank hin und wieder einen Schluck Espresso. Er unterhielt sich mit Ben, doch manchmal wanderte sein Blick zu ihr. Und jedes Mal war es, als würden kleine elektrische Ladungen durch ihren Körper blitzen.
Was passiert war, lag jenseits ihres Verständnisses. Sie wollte es auch gar nicht infrage stellen oder analysieren oder untersuchen oder begreifen. Sie wollte sich einfach nur der wundervollen Verwirrung hingeben, die sie mit diesem warmen leuchtenden Schein erfüllte.
Nach dem Abendessen spielten sie Karten. Es war ein lautes, schnelles Spiel. Doch selbst in den aufregendsten Momenten gelang es Rico, ihr einen raschen Blick zuzuwerfen. Immer noch konnte er das Echo jener Schockwelle spüren, die ihn durchlaufen hatte, als sie die Terrasse betreten hatte. Ihre Verwandlung war so einschneidend, dass er es immer noch kaum glauben konnte.
Und doch saß sie vor ihm, der lebende Beweis. Ein Wunder. Wie magisch angezogen musste er sie immer wieder ansehen.
Er begehrte sie, und er hatte nicht die Absicht, das zu verbergen.
Das war auch gar nicht möglich. Sein Körper hatte seit dem ersten Augenblick auf sie reagiert, auf ihre wundervollen weiblichen Kurven, die die ganze Zeit vor seinen Augen gewesen waren.
Er verstand noch immer nicht, wieso Lizzy einen solch perfekten Körper unter unförmigen Kleidern verbarg. Nun, die Zeit des Versteckspiels war vorbei. Nie wieder würde sie sich vor sich selbst verstecken.
Und schon gar nicht vor ihm.
Wieder spürte er eine leidenschaftliche Erregung durch seine Adern fließen und musste heftig dagegen ankämpfen.
Rico durfte nichts überstürzen. Erst musste sie sich selbst an die Veränderung gewöhnen.
Während Ben die nächste Runde austeilte, ließ er seinen Blick wieder auf ihr ruhen. Er konnte sehen, dass sie sich seiner Gegenwart bewusst war. Sah es an den verstohlenen Blicken, an dem leichten Zittern ihrer Hand, als sie ihre Karten aufhob.
Lizzy wusste, dass er sie ansah. Es fühlte sich an wie die leichteste Liebkosung auf ihrer Haut.
Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen.
Was passierte hier? Was geschah mit ihr?
Dabei wusste sie es ganz genau. Sie reagierte auf die überwältigende erotische Ausstrahlung des Mannes, den sie geheiratet hatte, nur um Ben zu beschützen.
Seit sie ihn in jener traumatischen Nacht in Cornwall zum ersten Mal gesehen hatte, reagierte sie auf seine Gegenwart. Sie hatte die Gefühle unterdrückt, weil sie gewusst hatte, dass diese Gefühle auf jemanden wie ihn schlicht … grotesk wirken mussten. Außerdem waren ihre Emotionen vollkommen irrelevant gewesen.
Allein Ben war wichtig.
Auch in den letzten Tagen, in denen Rico so freundlich zu ihr gewesen war und so gar nicht dem Playboy-Image entsprochen hatte, das sie sich von ihm zurechtgelegt hatte, waren sie noch immer irrelevant gewesen.
Allerdings hatte sie angefangen, sich in seiner Nähe zu entspannen. Sie fühlte sich wohl, wenn er bei ihr war. Und sie sah ihn nicht länger als den Prinzen oder den Mann, sondern als den Menschen, der er war.
Und sie hatten sich unterhalten – nichts Weltbewegendes, nur lockere Gespräche. Über Ben und andere Themen, beim Essen, am Strand, während Ben völlig versunken in das Spiel mit seinen Eisenbahnen war.
Die Atmosphäre war gelöst gewesen.
Unbefangen, entspannt, zwanglos.
Aber jetzt, jetzt war es, als prickelten winzige kleine Bläschen durch ihre Adern.
Jedes Mal, wenn er sie ansah.
„Gute Nacht, mein Schatz, schlaf gut.“
Lizzy gab Ben einen Kuss auf die Wange. Er war schon fast eingeschlafen. Auf der anderen Seite des Bettes stand Rico und streichelte dem Jungen zärtlich über die Haare.
Er hatte darauf bestanden, Ben heute Abend zu baden.
„Wir wollen doch nicht, dass Mummys neues Kleid nass wird, oder?“, hatte er gesagt.
Also war er derjenige, der nass geworden war. Lizzy konnte die feuchten Stellen sehen, an denen sein T-Shirt an seiner muskulösen Brust klebte. Rasch wandte sie den verräterischen Blick ab, aber Rico hatte sie bereits ertappt.
Seine Augen funkelten schelmisch. „Ich ziehe mich um, und dann essen wir gemeinsam zu Abend, okay?“
Bereits zuvor hatte er Anweisungen für das Dinner erteilt. Er wollte, dass es für Lizzy ein ganz besonderer Abend wurde.
Wieder durchlief ihn eine Woge der Faszination. Das passierte jedes Mal, wenn er sie ansah.
Ihm kam ein Gedanke. Hatte sie sich selbst überhaupt schon gesehen? Bestimmt hatte sie das. Und doch war da ihre anfängliche Reaktion, als sie vor ihm geflohen war und gemurmelt hatte, alles sei ein einziges Desaster.
„Du brauchst einen Schal oder ein Tuch“, sagte er. „Diese Frühlingsnächte können frisch werden. Schauen wir nach, was dein Schrank zu bieten hat.“
Er öffnete die Tür des begehbaren Kleiderschranks und trat ein. All ihre neuen Kleider hingen in Plastikhüllen ordentlich aufgereiht auf den Stangen. Erfreut sah er sich um. Er wollte, dass sie so viele neue Outfits wie möglich bekam. Und das hier war erst der Anfang.
Sie folgte ihm, genau, wie er es beabsichtigt hatte.
„Was meinst du, wo würde man ein Tuch aufbewahren?“, fragte er.
Aber Lizzy antwortete ihm nicht.
Die ganze Rückseite des Schranks wurde von einem Spiegel eingenommen, und aus diesem Spiegel blickte sie eine fremde Frau an, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.
Rico sah zuerst das Spiegelbild an, dann Lizzy. Er ließ sie schauen. Ließ den Ausdruck völligen Unverständnisses sich über ihr Gesicht ausbreiten.
„Das bist du“, meinte er schließlich. „Dein wirkliches Ich, das die ganze Zeit über verborgen war.“
„Das kann nicht sein.“ Sie hatte die Augen weit aufgerissen. „Das bin ich nicht.“
Er stellte sich hinter sie. „Doch, das bist du.“
Ganz sacht legte er seine Hände auf ihre Schultern. Ihre Haut fühlte sich zart an wie Seide. Sie erzitterte unter seiner Berührung, bewegte sich aber nicht.
„Wie haben die das gemacht?“, fragte sie verwundert.
Rico lächelte. „Sie hatten gutes Ausgangsmaterial.“
„Aber mein Haar … es ist nicht mehr spröde und krisslig …“
„Ich vermute, es gibt irgendein Mittel dafür. Danach mussten sie dich eigentlich nur ein wenig herrichten.“ Seine Stimme wurde weich. „Deine Schönheit war schon immer da, Lizzy.“
Er ließ die Hände wieder sinken, was er eigentlich überhaupt nicht wollte. Vielmehr wollte er über ihre Arme streicheln, sie zu sich herumdrehen, den Kopf über ihren Mund neigen und …
Aber das durfte er nicht. Nicht hier und nicht jetzt.
Noch nicht.
Rico machte einen Schritt zurück.
„Glaubst du, man hat die Tücher in die Kommode gelegt?“, fragte er.
Rico streckte die Hand nach der Champagnerflasche in dem Eiskübel aus und schenkte ihre Gläser nach.
Sie saßen an dem Tisch auf der Terrasse. Bens Spielsachen waren weggeräumt worden, ebenso der Sonnenschirm. Eine weiße Tischdecke war ausgebreitet worden, der Tisch mit silbernem Besteck und Kristallgläsern gedeckt. In der Mitte stand ein wundervolles Blumenarrangement. Die flackernden Flammen der Kerzen in dem silbernen Leuchter bildeten die einzige Lichtquelle. Über ihnen funkelten die Sterne an einem samtigen schwarzen Nachthimmel. Das leise Zirpen der Zikaden erfüllte die Luft. Über allem lag der Duft der ersten Frühlingsblumen.
Das Dinner hatte ganz und gar der wundervollen Umgebung entsprochen. Jeder Gang war so fantastisch hergerichtet und präsentiert worden, dass Lizzy keiner der Köstlichkeiten hatte widerstehen können. Auch ein zweites Glas Champagner lehnte sie nicht ab.
„Auf dich“, sagte Rico und hob sein Glas. „Auf dein neues Ich, dein wahres Ich.“
Die Angestellten waren gegangen, hatten sie mit Kaffee, kleinen Biskuitplätzchen und dem Champagner allein gelassen. Es war ein unbeschreiblich guter Jahrgang, den Rico sehr genoss.
Doch das war nicht das Einzige, was es für ihn zu genießen gab. Er lehnte sich zurück und ließ seinen Blick auf der Frau ihm gegenüber ruhen.
Sie hatte das Tuch, das sie endlich gefunden hatten, um ihre Schultern drapiert. Sein raffiniertes Farbenspiel brachte ihr zimtfarbenes Kleid erst richtig zur Geltung. Und auch die Rundungen ihrer Brüste wurden dadurch noch zusätzlich betont.
Nein, dort durfte er nicht hinsehen. Er wollte es, wollte es sogar sehr. Aber damit konnte sie nicht umgehen. Noch nicht. Rico musste es langsam angehen.
Es genießen.
„Auf dich“, sagte er noch einmal und trank einen Schluck Champagner. „Auf die neue wunderschöne Elisabetta.“
Plötzlich zog er die Brauen zusammen. „Warum nennen dich eigentlich alle Lizzy?“
Ein unsicherer Ausdruck trat in ihre Augen. „Ich war schon immer Lizzy.“
„Und doch warst du auch immer Elizabeth … Elisabetta.“ In seiner Stimme lag eine Schärfe, die sich erst verlor, als er die italienische Form ihres Namens wiederholte. Fragend hob er eine Augenbraue. „War es deine Schwester, die das getan hat?“
„Was getan?“, fragte sie verwirrt.