Du sollst meine Prinzessin sein - Kapitel 9

~ Kapitel 9 ~

Lizzy schenkte einen perfekt gebrühten Assam-Tee aus einer silbernen Teekanne in zierliche Tassen ein. Ben war unterdessen emsig beschäftigt, wenn auch ein wenig unbeholfen, Spaghetti auf seine Gabel zu wickeln. Die untergehende Sonne tauchte die Terrasse in einen warmen goldenen Schimmer.

    Derselbe Glanz war in ihr, strömte durch sie hindurch, sodass sie ein Teil des leuchtenden Lichts zu sein schien. Es verwirrte sie, dennoch gab sie sich dem Gefühl hin, da sie sich sowieso nicht dagegen wehren konnte.

    Sie nippte an ihrem Tee und ließ ihren Blick zu dem Mann ihr gegenüber schweifen. Rico hatte sich auf seinem Stuhl entspannt zurückgelehnt und trank hin und wieder einen Schluck Espresso. Er unterhielt sich mit Ben, doch manchmal wanderte sein Blick zu ihr. Und jedes Mal war es, als würden kleine elektrische Ladungen durch ihren Körper blitzen.

    Was passiert war, lag jenseits ihres Verständnisses. Sie wollte es auch gar nicht infrage stellen oder analysieren oder untersuchen oder begreifen. Sie wollte sich einfach nur der wundervollen Verwirrung hingeben, die sie mit diesem warmen leuchtenden Schein erfüllte.

    Nach dem Abendessen spielten sie Karten. Es war ein lautes, schnelles Spiel. Doch selbst in den aufregendsten Momenten gelang es Rico, ihr einen raschen Blick zuzuwerfen. Immer noch konnte er das Echo jener Schockwelle spüren, die ihn durchlaufen hatte, als sie die Terrasse betreten hatte. Ihre Verwandlung war so einschneidend, dass er es immer noch kaum glauben konnte.

    Und doch saß sie vor ihm, der lebende Beweis. Ein Wunder. Wie magisch angezogen musste er sie immer wieder ansehen.

    Er begehrte sie, und er hatte nicht die Absicht, das zu verbergen.

    Das war auch gar nicht möglich. Sein Körper hatte seit dem ersten Augenblick auf sie reagiert, auf ihre wundervollen weiblichen Kurven, die die ganze Zeit vor seinen Augen gewesen waren.

    Er verstand noch immer nicht, wieso Lizzy einen solch perfekten Körper unter unförmigen Kleidern verbarg. Nun, die Zeit des Versteckspiels war vorbei. Nie wieder würde sie sich vor sich selbst verstecken.

    Und schon gar nicht vor ihm.

    Wieder spürte er eine leidenschaftliche Erregung durch seine Adern fließen und musste heftig dagegen ankämpfen.

    Rico durfte nichts überstürzen. Erst musste sie sich selbst an die Veränderung gewöhnen.

    Während Ben die nächste Runde austeilte, ließ er seinen Blick wieder auf ihr ruhen. Er konnte sehen, dass sie sich seiner Gegenwart bewusst war. Sah es an den verstohlenen Blicken, an dem leichten Zittern ihrer Hand, als sie ihre Karten aufhob.

    Lizzy wusste, dass er sie ansah. Es fühlte sich an wie die leichteste Liebkosung auf ihrer Haut.

    Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen.

    Was passierte hier? Was geschah mit ihr?

    Dabei wusste sie es ganz genau. Sie reagierte auf die überwältigende erotische Ausstrahlung des Mannes, den sie geheiratet hatte, nur um Ben zu beschützen.

    Seit sie ihn in jener traumatischen Nacht in Cornwall zum ersten Mal gesehen hatte, reagierte sie auf seine Gegenwart. Sie hatte die Gefühle unterdrückt, weil sie gewusst hatte, dass diese Gefühle auf jemanden wie ihn schlicht … grotesk wirken mussten. Außerdem waren ihre Emotionen vollkommen irrelevant gewesen.

    Allein Ben war wichtig.

    Auch in den letzten Tagen, in denen Rico so freundlich zu ihr gewesen war und so gar nicht dem Playboy-Image entsprochen hatte, das sie sich von ihm zurechtgelegt hatte, waren sie noch immer irrelevant gewesen.

    Allerdings hatte sie angefangen, sich in seiner Nähe zu entspannen. Sie fühlte sich wohl, wenn er bei ihr war. Und sie sah ihn nicht länger als den Prinzen oder den Mann, sondern als den Menschen, der er war.

    Und sie hatten sich unterhalten – nichts Weltbewegendes, nur lockere Gespräche. Über Ben und andere Themen, beim Essen, am Strand, während Ben völlig versunken in das Spiel mit seinen Eisenbahnen war.

    Die Atmosphäre war gelöst gewesen.

    Unbefangen, entspannt, zwanglos.

    Aber jetzt, jetzt war es, als prickelten winzige kleine Bläschen durch ihre Adern.

    Jedes Mal, wenn er sie ansah.

 

„Gute Nacht, mein Schatz, schlaf gut.“

    Lizzy gab Ben einen Kuss auf die Wange. Er war schon fast eingeschlafen. Auf der anderen Seite des Bettes stand Rico und streichelte dem Jungen zärtlich über die Haare.

    Er hatte darauf bestanden, Ben heute Abend zu baden.

    „Wir wollen doch nicht, dass Mummys neues Kleid nass wird, oder?“, hatte er gesagt.

    Also war er derjenige, der nass geworden war. Lizzy konnte die feuchten Stellen sehen, an denen sein T-Shirt an seiner muskulösen Brust klebte. Rasch wandte sie den verräterischen Blick ab, aber Rico hatte sie bereits ertappt.

    Seine Augen funkelten schelmisch. „Ich ziehe mich um, und dann essen wir gemeinsam zu Abend, okay?“

    Bereits zuvor hatte er Anweisungen für das Dinner erteilt. Er wollte, dass es für Lizzy ein ganz besonderer Abend wurde.

    Wieder durchlief ihn eine Woge der Faszination. Das passierte jedes Mal, wenn er sie ansah.

    Ihm kam ein Gedanke. Hatte sie sich selbst überhaupt schon gesehen? Bestimmt hatte sie das. Und doch war da ihre anfängliche Reaktion, als sie vor ihm geflohen war und gemurmelt hatte, alles sei ein einziges Desaster.

    „Du brauchst einen Schal oder ein Tuch“, sagte er. „Diese Frühlingsnächte können frisch werden. Schauen wir nach, was dein Schrank zu bieten hat.“

    Er öffnete die Tür des begehbaren Kleiderschranks und trat ein. All ihre neuen Kleider hingen in Plastikhüllen ordentlich aufgereiht auf den Stangen. Erfreut sah er sich um. Er wollte, dass sie so viele neue Outfits wie möglich bekam. Und das hier war erst der Anfang.

    Sie folgte ihm, genau, wie er es beabsichtigt hatte.

    „Was meinst du, wo würde man ein Tuch aufbewahren?“, fragte er.

    Aber Lizzy antwortete ihm nicht.

    Die ganze Rückseite des Schranks wurde von einem Spiegel eingenommen, und aus diesem Spiegel blickte sie eine fremde Frau an, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.

    Rico sah zuerst das Spiegelbild an, dann Lizzy. Er ließ sie schauen. Ließ den Ausdruck völligen Unverständnisses sich über ihr Gesicht ausbreiten.

    „Das bist du“, meinte er schließlich. „Dein wirkliches Ich, das die ganze Zeit über verborgen war.“

    „Das kann nicht sein.“ Sie hatte die Augen weit aufgerissen. „Das bin ich nicht.“

    Er stellte sich hinter sie. „Doch, das bist du.“

    Ganz sacht legte er seine Hände auf ihre Schultern. Ihre Haut fühlte sich zart an wie Seide. Sie erzitterte unter seiner Berührung, bewegte sich aber nicht.

    „Wie haben die das gemacht?“, fragte sie verwundert.

    Rico lächelte. „Sie hatten gutes Ausgangsmaterial.“

    „Aber mein Haar … es ist nicht mehr spröde und krisslig …“

    „Ich vermute, es gibt irgendein Mittel dafür. Danach mussten sie dich eigentlich nur ein wenig herrichten.“ Seine Stimme wurde weich. „Deine Schönheit war schon immer da, Lizzy.“

    Er ließ die Hände wieder sinken, was er eigentlich überhaupt nicht wollte. Vielmehr wollte er über ihre Arme streicheln, sie zu sich herumdrehen, den Kopf über ihren Mund neigen und …

    Aber das durfte er nicht. Nicht hier und nicht jetzt.

    Noch nicht.

    Rico machte einen Schritt zurück.

    „Glaubst du, man hat die Tücher in die Kommode gelegt?“, fragte er.

 

Rico streckte die Hand nach der Champagnerflasche in dem Eiskübel aus und schenkte ihre Gläser nach.

    Sie saßen an dem Tisch auf der Terrasse. Bens Spielsachen waren weggeräumt worden, ebenso der Sonnenschirm. Eine weiße Tischdecke war ausgebreitet worden, der Tisch mit silbernem Besteck und Kristallgläsern gedeckt. In der Mitte stand ein wundervolles Blumenarrangement. Die flackernden Flammen der Kerzen in dem silbernen Leuchter bildeten die einzige Lichtquelle. Über ihnen funkelten die Sterne an einem samtigen schwarzen Nachthimmel. Das leise Zirpen der Zikaden erfüllte die Luft. Über allem lag der Duft der ersten Frühlingsblumen.

    Das Dinner hatte ganz und gar der wundervollen Umgebung entsprochen. Jeder Gang war so fantastisch hergerichtet und präsentiert worden, dass Lizzy keiner der Köstlichkeiten hatte widerstehen können. Auch ein zweites Glas Champagner lehnte sie nicht ab.

    „Auf dich“, sagte Rico und hob sein Glas. „Auf dein neues Ich, dein wahres Ich.“

    Die Angestellten waren gegangen, hatten sie mit Kaffee, kleinen Biskuitplätzchen und dem Champagner allein gelassen. Es war ein unbeschreiblich guter Jahrgang, den Rico sehr genoss.

    Doch das war nicht das Einzige, was es für ihn zu genießen gab. Er lehnte sich zurück und ließ seinen Blick auf der Frau ihm gegenüber ruhen.

    Sie hatte das Tuch, das sie endlich gefunden hatten, um ihre Schultern drapiert. Sein raffiniertes Farbenspiel brachte ihr zimtfarbenes Kleid erst richtig zur Geltung. Und auch die Rundungen ihrer Brüste wurden dadurch noch zusätzlich betont.

    Nein, dort durfte er nicht hinsehen. Er wollte es, wollte es sogar sehr. Aber damit konnte sie nicht umgehen. Noch nicht. Rico musste es langsam angehen.

    Es genießen.

    „Auf dich“, sagte er noch einmal und trank einen Schluck Champagner. „Auf die neue wunderschöne Elisabetta.“

    Plötzlich zog er die Brauen zusammen. „Warum nennen dich eigentlich alle Lizzy?“

    Ein unsicherer Ausdruck trat in ihre Augen. „Ich war schon immer Lizzy.“

    „Und doch warst du auch immer Elizabeth … Elisabetta.“ In seiner Stimme lag eine Schärfe, die sich erst verlor, als er die italienische Form ihres Namens wiederholte. Fragend hob er eine Augenbraue. „War es deine Schwester, die das getan hat?“

    „Was getan?“, fragte sie verwirrt.

„Hat dich deine Schwester in Lizzy verwandelt?“

    „Ich verstehe nicht, was du meinst“, erwiderte sie. „Ich wurde schon immer Lizzy gerufen. Oder Krissel-Lizzy wegen meiner Haare. Meistens war ich aber ‚Die Beschäftigte Lizzy‘.“

    „Weil du sie von Kopf bis Fuß bedienen musstest?“

    „Maria? Maria war die beste Schwester, die man sich wünschen konnte.“ Ihre Kehle schnürte sich gefährlich eng zusammen. „Jeder liebte sie. Sie war wunderschön. Groß und schlank, und sie hatte lange Beine und blondes Haar bis zur Hüfte und blaue Augen, und die Jungs bewunderten sie, und als sie Model wurde, ist sie noch schöner geworden, kein Wunder, dass sich ein Prinz in sie verliebt hat …“, abrupt hielt sie inne.

    Rico wählte seine Worte mit Bedacht. „Sie war sehr schön. Aber ihre Art der Schönheit ist nicht die einzige.“

    Doch wenn Marias Schwester in dem Glauben aufgewachsen war, dass langbeinige Blondinen mit Modelmaßen der Inbegriff der Schönheit waren, war es nicht verwunderlich, dass sie nie versucht hatte, etwas aus ihrem Aussehen zu machen. Dann erstaunte es ihn auch nicht mehr, dass sie sich mit „Die Beschäftigte Lizzy“ zufriedengegeben und im Schatten ihrer Schwester gelebt hatte.

    „Wer hat dich ‚Die Beschäftigte Lizzy‘ genannt?“

    „Das war Maria“, antwortete sie und zwang sich zu einem halb erstickten Lachen. „Aber sie hat es nicht böse gemeint. Sie hat mich so gerufen, um mich aufzuziehen, weil ich nie …“

    Sie hielt inne und trank einen Schluck Champagner, um das Schweigen zu überdecken.

    „Weil du nie was?“, drängte Rico.

    Was war nur mit ihr passiert? Warum hielt sie sich selbst für hässlich? Er hatte geglaubt, ihre Schwester könnte dafür verantwortlich sein, doch das stritt sie ab. Also, was war es dann?

    Er wollte es wissen, wollte herausfinden, was ihr angetan worden war und von wem.

    Rico wollte Antworten. Wollte verstehen, damit das Gift ein für alle Mal unschädlich gemacht wurde.

    „Weil ich nie aufgehört habe“, sagte sie endlich.

    „Womit?“

    „Beschäftigt zu sein. Mich nützlich zu machen.“

    „Für wen?“, fragte er leise.

    Ihr Griff um das Champagnerglas wurde fester.

    „Für Maria. Für meine Eltern.“

    „Warum musstest du ihnen nützlich sein?“

    Sie konnte ihn nicht ansehen. „Weil …“

    „Weil?“, forderte er sanft, aber unnachgiebig.

    Jetzt hielt sie das Glas so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.

    „Weil ich nur dazu gut war. Ich war nicht schön wie Maria. Sie war die Intelligente, nicht ich. Sie war alles, was meine Eltern brauchten.“

    Lizzy hatte den Kopf gesenkt und starrte vor sich hin. Etwas ging in ihr vor, das konnte er deutlich sehen. Dann hob sie hastig das Glas an die Lippen, trank einen großen Schluck und stellte es mit einer ungelenken Bewegung zurück auf den Tisch.

    Willentlich, fast böse, hob sie den Kopf und sah ihn an.

    „Als Maria geboren wurde, verlor ich jede Funktion. Ich war nur noch dazu da, auf Maria aufzupassen, Maria zu helfen, Maria zu beschützen. Maria, Maria, Maria! Alles drehte sich nur noch um Maria. Ich war das fünfte Rad am Wagen, nur geduldet, weil ich mich um Maria kümmern konnte. Ich wollte sie hassen, aber das war unmöglich. Niemand konnte sie hassen, alle liebten sie. Kein Wunder, dass meine Eltern sie vergötterten und ihr alles verziehen. Sie haben ihr sogar verziehen, Model geworden zu sein. Es gab nur eine Sache, die sie ihr nicht vergeben konnten. Nur eine einzige Sache.“ Sie schwieg einen Moment. „Zu sterben. Das haben sie ihr nie verziehen.“

    Sie neigte den Kopf, als würde ein schweres Gewicht auf ihr lasten.

    „Ohne Maria konnten sie nicht leben. Also sind sie in die Garage gegangen, haben die Fenster und Türen geschlossen und den Motor des Wagens laufen lassen.“

    Einen Moment herrschte Stille. Vollkommene Stille. Tief in Ricos Innerem herrschte Eiseskälte.

    „Deine Eltern haben Selbstmord begangen?“, seine Stimme klang hohl. Das hatte nicht in dem Dossier über Maria Mitchell gestanden.

    „Sobald sie erfahren haben, dass sie nie wieder aus dem Koma erwachen würde.“

    „Aber sie hatten noch dich und das Baby.“

    Mit absolut leeren Augen sah sie ihn an. „Das Baby war ein vaterloser Bastard, eine Schande. Und ich, ich war … unwichtig. Ich zählte nicht“, sagte sie. „Für sie war ich … nutzlos.“

    Nutzlos. Das Wort besaß einen vertrauten Klang.

    Auch er war nutzlos. War es sein ganzes Leben gewesen. Er war der Ersatzreifen im Kofferraum, nur wichtig in einem Notfall. Ansonsten gab es für ihn keinen Verwendungszweck.

    Bittere Wut stieg in ihm auf. Doch dieses Mal war er wütend auf sich selbst. Weil er das Urteil, das seine Eltern über ihn verhängt hatten, anerkannt hatte. Sicher, er hatte die Rolle gehasst, aber sie dennoch akzeptiert.

    Rico blickte Lizzy an, die auf so schreckliche Weise für ihre Eltern nutzlos gewesen war. Aber es gab ein menschliches Wesen, für das sie wichtig war und für das auch er wertvoll war.

    Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand in seine.

    „Jetzt bist du wichtig. Du bist Bens Glück und ich seine … Sicherheit. Und zusammen werden wir uns um ihn kümmern und ihn von ganzem Herzen lieben.“

    Vorsichtig zog er sie auf die Füße. Von überwältigenden Gefühlen erfüllt, führte er sie die Terrasse entlang bis zu der Flügeltür zu ihrem Zimmer, die einen Spalt offen stand. Sie traten ein, stellten sich neben Bens Bett und blickten auf die kleine schlafende Gestalt hinunter.

    Rico legte den Arm um Lizzys Schultern und sah den Jungen an, für den sie die Welt bedeuteten.

 

„Haltet die Hüte fest!“, rief Rico.

    „Ich trage gar keinen“, schrie Ben zurück, bemüht, das Motorengeräusch zu übertönen.

    Rico legte einen Gang ein, und das schlanke Boot schoss nach vorn, eine weiße Schaumspur auf dem stillen blauen Wasser hinter sich zurücklassend.

    Automatisch schloss Lizzy Ben fester in ihre Arme. Doch der kannte vor Aufregung, endlich mit einem Speedboot zu fahren, keine Angst. Der Wind zerrte an ihren Haaren, trieb ihr die Tränen in die Augen. Mit aller Kraft musste sie sich an der Reling festhalten. Der Rumpf des Bootes sprang über die Wellen, wild und ungestüm, wie die Fahrt in einer Achterbahn.

    „Hurra!“, rief Ben begeistert.

    Grinsend wandte Rico sich um. Er sah jünger aus, sorglos.

    „Schneller?“, fragte er.

    „Ja, ja“, jauchzte Ben.

    „Also gut, dann los.“

    Er beschleunigte, und das Boot legte an Geschwindigkeit zu. Freude erfüllte ihn. Das war nicht mit dem Tempo eines Rennens zu vergleichen, aber dennoch recht schnell.

    Als er die Fahrt endlich mit einer weiten Kurve verlangsamte und wieder auf die Küste zuhielt, wandte er sich zu seinen Passagieren um.

    „Hat es euch Spaß gemacht?“, fragte er mit funkelnden Augen.

    „Ja!“, kam es von Ben.

    „Du bist völlig verrückt“, sagte Lizzy.

    Sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. „Nein, nur Italiener.“ Er drosselte weiter die Geschwindigkeit.

    Das Boot, das er im Hafen von Capo d’Angeli gemietet hatte, war ideal, um die Küste entlangzuschippern und kleine Touren zu machen. Verärgert dachte er daran, dass das noch nicht möglich war. Dafür waren noch einige Vorbereitungen zu treffen. Ansonsten würde sich die Presse auf ihn stürzen und wilde Gerüchte über ihn und seine Begleitung in die Welt setzen. Und das wollte er nicht. Er wollte, dass ihre Ehe offiziell vom Palast verkündet wurde. Nicht aus Respekt seinem Vater gegenüber, sondern um Lizzys willen.

    Sie hatte, dank ihrer Eltern, in ihrem Leben schon genug durchgemacht.

    Doch bislang hatte der Palast eisern geschwiegen. Nun, er hatte seinem Vater genug Zeit gegeben zu akzeptieren, was sein Sohn getan hatte – vielleicht sollte er ihm eine kleine Erinnerung schicken?

    Gleich heute würde er sich mit Jean-Pauls Hilfe darum kümmern.

    Behutsam steuerte er das Boot in seichtes Wasser, schaltete den Motor aus und ließ den Anker an seiner Kette herunter. Ohne zu zögern, sprang Ben ins Wasser und trottete an Land. Mit anmutiger Eleganz schwang sich Rico über die Reling und streckte die Arme nach Lizzy aus. Die erhob sich ein wenig unsicher.

    Er fing sie in seinen Armen auf, und sie rang nach Luft. Er lächelte. Sie fühlte sich weich in seiner Umarmung an, weiblich und begehrenswert. Und in den neuen Shorts und dem passenden azurblauen Top sah sie fantastisch aus. Der Wind hatte ihre Frisur ein wenig zerzaust, was ihr ein noch erotischeres Aussehen verlieh.

    „Ich bin zu schwer für dich!“

    Rico lachte nur und trug sie an den Strand. Unglaublich, dass er einst gedacht hatte, sie sei übergewichtig.

    Sanft ließ er sie in den Sand gleiten. Lizzy sah großartig aus. Jetzt, da sie nicht mehr in unförmigen Kleidern verhüllt war, bräunte ihre Haut in der Sonne, was ihr ein gesundes Aussehen verlieh.

    Allmählich begann sie auch, ihre Verwandlung zu akzeptieren. Der fassungslose Ausdruck trat immer seltener in ihre Augen. Endlich war sie aus der Schublade befreit, in die ihre Eltern sie geschlossen hatten.

    Seine Miene veränderte sich. Geduld, musste er einsehen, war keine leichte Tugend.

    „Tio Rico, ich brauche eine neue Sandburg. Komm und hilf mir!“, erklang Bens muntere Stimme.

    Rico war dankbar für die Ablenkung.

 

Nach dem Mittagessen rief er Jean-Paul an. „Was hältst du von einem Fotoshooting?“, fragte er ihn. „Machen wir uns bereit für den Kampf …“

    Er würde die Bilder zuerst zum Palast schicken, um seinen Vater daran zu erinnern, dass die Zeit knapp wurde. Wenn der dann immer noch nicht den ersten Schritt tat, würde er die Geschichte selbst an die Presse weitergeben.

    „Warte nicht zu lange, Rico. Die Sicherheitsmaßnahmen von Capo d’Angeli mögen hervorragend sein, aber …“, der Tonfall seines Freundes enthielt eine deutliche Warnung. „Für diese Story würden manche meiner Kollegen töten.“

    „Ich weiß. Kannst du morgen kommen?“

    „Ich werde da sein. Glaubst du, ich würde mir noch einen Knüller über dich entgehen lassen?“, Jean-Paul lachte und legte auf.

    Langsam ließ Rico sein Handy zurück in die Tasche gleiten. Sein Blick wanderte zu der Glastür hinüber, hinter der Lizzy versuchte, Ben zu einem Mittagsschlaf zu überreden.

    Morgen kam Jean-Paul. Um Fotos von einem glücklichen Paar zu machen, von einer glücklichen Familie. Das perfekte Ende eines Märchens: Der Playboy-Prinz heiratet die Adoptivmutter des Sohnes seines Bruders.

    Und sie entpuppt sich auch noch als Märchenprinzessin – nicht als die hässliche Schwester, für die sie sich selbst immer gehalten hatte. Ihre Verwandlung hatte ihn im Sturm erobert und seine Sinne in Brand gesteckt.

    Er wollte sie umarmen … besitzen …

    Ein trauriger Ausdruck erschien in seinen Augen.

    Hatte er ein Recht dazu? Er begehrte sie, sehr sogar. Er wollte sie, weil sie eine wunderschöne, verführerische Frau war. Jedes Mal, wenn er sie sah, sagte ihm sein Körper, dass sie die Frau war, die er sich immer erträumt hatte. Er wollte sie, weil sie diejenige war, die ihn sich hatte frei fühlen lassen. Und weil er gesehen hatte, wie sie sich in einen Schwan verwandelt hatte. Und ja, nun wollte er ihr auch den Rest des Weges zeigen.

    Aber hatte er ein Recht dazu?

    Sie war seine Ehefrau. Es gab keine andere Frau auf der Welt, die er begehren sollte.

    Seine Miene verdüsterte sich.

    In ihrer Ehe ging es nicht um ihn und sie, sondern um Ben. Alles, auch das Fotoshooting morgen, diente allein Bens Sicherheit, seiner Zukunft. Nicht ihrer.

    Warum nicht? Warum sollte es nicht auch um ihr Glück gehen?

    Rico saß ganz still, während ihm bewusst wurde, was er da dachte.

    Fühlte.

    Wollte.

    Er hatte sie geheiratet, um sie und Ben zu beschützen. Sobald Schutz nicht mehr nötig war, sobald ein Skandal ausgeschlossen war, würden sie die Ehe annullieren lassen. Sie wäre wieder frei. Und auch er bekäme seine Freiheit zurück.

    Ich will das nicht … Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Blitz. In ihrem Gefolge befand sich ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte. Er wusste nur, dass er sich ihm ergeben musste, weil es viel, viel zu stark war, um sich ihm zu entziehen.

    Heute Nacht würde er ihre Ehe Wirklichkeit werden lassen.

    Diese Bilder morgen würden kein Märchen zeigen.


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