„Komm schon, Tally! Lass uns schnell machen!“
Die späte Morgensonne brannte auf Maggie herunter, während sie Tallawantas ganzen Stolz zur Reitbahn führte. Die trockene Hitze erinnerte sie an australische Sommer, und auch der Geruch von Pferden, Heu und Staub war ihr vertraut.
Darüber hinaus war hier in Shajehar alles anders. Die Ställe wirkten um einiges luxuriöser als in Australien. Der Scheich gab offensichtlich ein Vermögen für seine Pferde aus.
Zu schade, dass er seinem Volk nicht die gleiche Aufmerksamkeit zukommen ließ. In den letzten Tagen war ihr aufgefallen, wie groß die Kluft zwischen Arm und Reich in diesem Land war. Direkt neben üblen Slums ragten extravagante Anwesen buchstäblich in den Himmel.
Maggie hatte die Pferde von Tallawanta in ihre neue Heimat begleitet und war entzückt von dieser Chance gewesen, endlich eine weite Reise zu unternehmen. Und dann noch in dieses spezielle Land!
„Wir sind gleich da, Tally“, flüsterte sie dem Tier zu, als die Stute plötzlich die Nüstern blähte und irritiert stehen blieb. Es war ein langer Flug für die Pferde gewesen, und nachdem sie nun ausgiebig von Veterinären untersucht worden waren, sollten sie endlich dem Scheich vorgeführt werden.
Als Maggie den Platz betrat, sah sie sich automatisch nach einem vertrauten Gesicht in der Menge, die sich um die Absperrung versammelt hatte, um. Khalid. Seit einem Monat gingen ihr dieser Name und auch sein Gesicht nicht mehr als dem Kopf.
In Australien hatte sie vergeblich versucht, sich mit Arbeit abzulenken, nachdem sie hörte, dass die Gäste aus Übersee überraschend das Gestüt verlassen hatten. Insgeheim hatte sie natürlich gehofft, die Nacht hätte ihm ebenfalls etwas bedeutet, obwohl das eher unwahrscheinlich war.
Und im Augenblick konnte Khalid überall auf diesem Erdball sein, aber ganz sicher nicht ausgerechnet hier. Erhobenen Hauptes führte sie die Zuchtstute im Kreis und beobachtete aus dem Augenwinkel eine Gruppe von Neuankömmlingen, die an das Gatter traten und dort ihre Plätze einnahmen. Unter ihnen war eine hochgewachsene Gestalt, deren breite Schultern durch die weite Landestracht noch besser zur Geltung kamen.
Das kann nicht sein! schoss es Maggie durch den Kopf, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Khalid!
Wenn er es tatsächlich war, würde er sich ihr zu erkennen geben oder so tun, als hätte er sie noch nie gesehen?
Fassungslos biss sie sich auf die Unterlippe. Vielleicht erinnerte er sich auch gar nicht an ihre gemeinsame Nacht. Ein Mann mit seinem Aussehen und seinen Erfahrungen. Oder doch, denn schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass man sich aus Mitleid auf eine verzweifelte, derangierte Frau einließ.
Ein Schrei und lautes Wiehern unterbrachen ihre Mutmaßungen, und Maggie packte die Zügel fester, als Tally urplötzlich in ihre Richtung scheute und den Kopf nach oben riss. Maggie hatte das Gefühl, ihre Arme würden aus den Gelenken gezerrt, aber sie hatte genug Pferdeverstand, in dieser Situation richtig zu reagieren. Schon bald hatte sie die Stute wieder unter Kontrolle.
Dasselbe konnte man von Diva nicht gerade behaupten. Aus dem Augenwinkel sah Maggie etwas Schwarzes in einer Staubwolke aufblitzen, als das Pferd unkontrolliert auf den Platz stob. Verflixt!
Maggie war dagegen gewesen, Diva einem unerfahrenen Stallknecht anzuvertrauen. Die Stute war zu übermütig und energiegeladen für jemanden, der sie nicht kannte, aber der Gestütsverwalter hatte auf seine Entscheidung bestanden. Hoffentlich war er jetzt auch in der Lage, das wilde Pferd selbst wieder einzufangen.
Die ungewohnte Umgebung tat ihr Übriges, und Diva war vollkommen außer sich. Sie rollte die Augen, bis das Weiße zu sehen war, und trat in alle möglichen Richtungen aus.
Hastig bewegte Maggie sich auf den Zaun zu und reichte Tallys Zügel an einen ihr bekannten Pferdetrainer weiter. Sein erschrockener Blick folgte ihr, als sie sich geschickt auf das aufbäumende Pferd zubewegte. Ein Raunen ging durch die neugierige Zuschauermenge.
Keine Sekunde lang ließ Maggie die Stute aus den Augen. Sie wusste genau, wie viel Kraft Diva hatte, und sprach deshalb unentwegt beruhigend auf das Tier ein.
Diva erkannte die vertraute Stimme und bewegte die Ohren vor und zurück. Ihre Muskeln zuckten, und sie tänzelte nervös auf der Stelle. Von Zeit zu Zeit schlug sie in die Richtung aus, aus der eine Fahne von einem Zuschauer bewegt wurde.
Dann ertönte ein kurzer scharfer Befehl auf Arabisch, und Maggie stellte erleichtert fest, dass das Publikum ein paar Schritte vom Zaun zurücktrat. Wenigstens bewies ein Zuschauer so viel Verstand, alle bedrohlichen Ablenkungen von dem Zuchtpferd fernzuhalten.
Als Maggie Divas hängende Zügel beinahe zu fassen hatte, machte die Stute einen schnellen Satz zur Seite und warf Maggie dabei mit voller Wucht gegen den Bretterzaun. Sie prallte mit dem Rücken auf und spürte einen stechenden Schmerz an der Wirbelsäule.
Diva trabte ein paar Schritte, und Maggie fiel schwer atmend auf Hände und Knie. Dann rappelte sie sich wieder auf und wandte sich dem Rappen zu. Um sie herum herrschte inzwischen Totenstille.
Mit ausgestreckter Hand ging sie um die Stute herum, aber sie stellte fest, dass bereits jemand anders die Zügel ergriffen hatte und das Pferd festhielt.
„Khalid!“
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie entdeckte, wer ihr dort zu Hilfe geeilt war. Er sah einfach hinreißend aus.
Sein Gesichtsausdruck war unergründlich und sein Mund nicht mehr als eine schmale, grimmige Linie. Die Augen hatte er leicht zusammengekniffen, und sein Atem ging schwer. War er etwa wütend?
Mit dem festen Griff eines erfahrenen Reiters hielt er das nervöse Pferd an seiner Seite, und Diva schien sich allmählich zu beruhigen.
„Maggie“, begrüßte er sie knapp. „Du bist schon wieder auf den Beinen? Du solltest dich hinsetzen, bis du wieder richtig Luft bekommst.“
Scheinbar dachte er nicht mehr über ihre gemeinsame Nacht nach, sondern bewegte sich ausschließlich im Hier und Jetzt. Eine ziemlich herbe Enttäuschung!
„Mir geht es gut“, antwortete sie automatisch.
„Das bleibt abzuwarten.“ Er wandte sich um und winkte einen Stallburschen heran, der daraufhin Diva vom Platz führte.
„Hast du es zu deiner Gewohnheit gemacht, Frauen in Not zu retten?“, fragte sie heiser.
Für den Bruchteil einer Sekunde befand sie sich wieder in Australien, in seinem Bett. Khalid beugte sich über sie, liebkoste ihren nackten Körper, und in seinen warmen Augen lag das Versprechen, ihr den Olymp der Lust zu Füßen zu legen.
Erschrocken sah sie sich um, als ihr bewusst wurde, dass sie von zahlreichen Schaulustigen angestarrt wurden. Ihre Wangen färbten sich dunkelrot.
„Was machst du hier?“, flüsterte sie so leise wie möglich.
Er hob die Augenbrauen. „Ich sehe mir die Pferde an.“
Natürlich hatte sein Erscheinen nichts mit ihr persönlich zu tun!
„Wir müssen dich von einem Arzt untersuchen lassen“, fuhr er fort.
„Das ist nicht nötig“, wehrte sie eilig ab.
„Oh, doch. Wir nehmen in diesem Land unsere Verantwortung Besuchern gegenüber sehr ernst. Außerdem musst du fit sein, um deine Arbeit machen zu können.“
„Sire.“ Ein Mann trat an sie heran. „Der angeforderte Arzt ist soeben eingetroffen.“
Maggie gefiel nicht, wie viel Aufhebens um ihre Person gemacht wurde. Wieso war der Arzt überhaupt schon vor Ort? „Das ist echt übertrieben“, wetterte sie. „Ich brauche keinen Arzt.“
„Lass den Mann seine Arbeit machen“, zischte Khalid so leise, dass nur sie ihn hören konnte. „Oder möchtest du es hier auf eine unschöne Szene ankommen lassen?“
Sein herausfordernder Blick schüchterte sie etwas ein. Ergeben schüttelte sie den Kopf.
„Kluges Mädchen.“
Immerhin wurde sie ihn auf diese Weise vorerst los. Trotz der Nacht, die sie miteinander verbracht hatten, kam er ihr in dieser langen Robe wie ein völlig Fremder vor.
Die medizinische Untersuchung lenkte sie für eine Weile von ihrer Grübelei ab. Der Arzt verbeugte sich tief vor Khalid, bevor er kurz prüfte, ob Maggie äußerliche Verletzungen hatte. Dann bedeutete er ihr, ihm zu folgen, und Maggie war froh, der gaffenden Menge endlich zu entkommen. Und hoffentlich sah sie Khalid so bald nicht wieder, denn er rief Gefühle in ihr wach, die sie lieber verdrängen wollte.