Über dem Hoftor schwebten bunte Luftballons.
"Es sind wirklich Ballons", stellte Bryce fachmännisch fest.
"Ob sich jemand freut, dass wir wieder da sind?", fragte Wendy. Sie war während der Rückfahrt äußerst schweigsam gewesen, denn die Heimkehr rief keine reine Freude hervor. Bald fing die Schule wieder an.
"Vielleicht ist die neue Haushälterin schon da", meinte Pierce, ohne den Kindern direkt Hoffnung zu machen.
"Ich vermisse Shanni", sagte Abby.
"Sie war keine richtige Haushälterin."
"Nein, sondern viel besser." Das Lob kam natürlich von Donald.
"Neben der Scheune steht ein Auto!", rief Bryce. "Es gehört nicht Shanni."
Pierce sah genauer hin. Tatsächlich – ein Polizeiauto. Sollte er vielleicht wieder einem Verhör unterzogen werden? Das passte nicht zu den Ballons am Tor.
"Ganz ruhig", sagte er, nachdem er tief durchgeatmet hatte. Am liebsten wäre er auf der Stelle umgekehrt und nach Dolphin Bay zurückgefahren. "Alles wird sich aufklären."
Er parkte den Kombi an der üblichen Stelle, und alle stiegen aus. Kein Laut war zu hören. Langsam gingen sie weiter und blieben vor dem Hintereingang stehen. Pierce wollte aufschließen, aber im selben Moment öffnete sich die Tür.
Ein Höllenkonzert begann. Jemand spielte Dudelsack, Trillerpfeifen waren zu hören, Knaller wurden gezündet, Papierschlangen durch die Luft geworfen, Topfdeckel aneinandergeschlagen, es wurde gepfiffen, gejohlt und gelacht.
Pierce wich zurück, aber mehrere Arme streckten sich nach ihm aus und zogen ihn ins Haus. Er bemerkte gerade noch, dass die Kinder hochgehoben und hereingetragen wurden.
Susan hatte Abby auf die Arme genommen, Hamish Donald. Ruby kam herbeigeeilt und nahm Pierce die kleine Bessy ab. Auch Blake war da. Er beugte sich zu Bryce hinunter, sagte etwas zu ihm und setzte ihn dann auf seine Schultern.
Wie kam Nikolai hierher? Sollte er nicht in Mexiko sein? Was hatten Dwayne und Mary Roberts hier zu suchen? Was Mr. Connelly, der Apotheker? Und Dr. Martin, der Gemeindearzt?
Auch Miles und Toby waren da. Das erklärte das Polizeiauto. Ferner Jake und Kirsty, Nick und Jodie – die guten Geister von Loganaich Castle.
Und schließlich Shanni. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge und schloss Wendy in die Arme. "Endlich, Schatz, jetzt sind wir wieder zusammen", hörte Pierce sie sagen.
Dwayne, der Schlaks aus dem Supermarkt, trug ein Tablett mit einem riesigen Schokoladenkuchen. Darauf stand in Zuckerguss: Herzlich willkommen in Craggyburn.
Pierce blieb wie betäubt stehen und sah sich um. Die Küche war überfüllt. Viele Menschen kannte er nur vom Sehen, manche gar nicht. Es war der überwältigendste Empfang, den er jemals erlebt hatte.
Mary Roberts stieß ihren Sohn unsanft in die Seite, worauf er mit einiger Mühe hervorbrachte: "Wir wollten Sie alle herzlich begrüßen. Meine Mum meinte …"
"Seine Mum meinte, wir hätten Sie ausgesprochen scheußlich behandelt", ergriff Mary selbst das Wort. "Wir hatten fünf Waisenkinder unter uns und … Kurz und gut, wir waren ziemlich grausam, aber das wird sich jetzt ändern. Wir mussten in der Scheune einen zweiten Kühlschrank aufstellen, um alle Vorräte unterzubringen. Ein Rindfleischcurry und ein Apfelstrudel sind auch dabei …"
"Mum …"
"Schon gut, Dwayne." Mary verstand, dass sie sich kurz fassen sollte. "Wir heißen Sie alle als gute Nachbarn willkommen. Olga haben wir bereits kennengelernt. Sie ist reizend und bestimmt eine Perle. Nicht, dass Shanni keine gewesen wäre, aber Olga passt einfach besser in die Rolle. Sie erhält im Supermarkt auf alle Produkte zehn Prozent Rabatt."
Olga?
Pierce schaute verwirrt zu Shanni hinüber, die hübscher denn je aussah. Sie trug ein pastellfarbenes Kleid mit tiefem Ausschnitt und weitem, wadenlangem Rock. Das Glück strahlte ihr aus den Augen, aber warum sollte sie nicht glücklich sein? Sie hatte ihr Geld zurück, sie konnte ihren alten Beruf wieder aufnehmen und nach England zurückkehren.
Shanni bemerkte seinen Blick und wies auf eine Frau mittleren Alters, die neben Ruby stand. Ob das Olga war? Wenn sie es war, passte sie tatsächlich besser in die Rolle einer Haushälterin. Sie war kräftig gebaut, hatte ein volles Gesicht und rosige Wangen. Ihre Jeans saßen vielleicht etwas zu stramm, dafür hatte die Baumwollbluse Überweite, und die Stiefel hätten in jeden Western gepasst.
"Hallo", sagte sie.
"Hallo", antwortete Pierce. "Sie sind Olga … unsere neue Haushälterin?"
"Das kommt ganz auf Sie an." Die ältere Frau fühlte die Blicke aller auf sich gerichtet und lächelte nervös. "Ruby hat mir den Vorschlag gemacht. Ich habe im Kindergarten gearbeitet, bis ich beim Ladendiebstahl erwischt wurde. Es war zwar nur Schokolade, aber … Eins der Kinder hatte Geburtstag, und mein Ex war gerade mit dem ganzen Haushaltsgeld durchgebrannt. Ich wurde entlassen … Sie können mir glauben, ich werde nie wieder klauen. Das schwöre ich."
Ratloses Schweigen breitete sich aus, bis Ruby mit klarer Stimme sagte: "Ich weiß, dass Sie ehrlich sind, Olga. Deshalb habe ich Ihnen vorgeschlagen, es mit Pierce und den Kindern zu versuchen."
"Keiner kennt die Menschen besser als meine Tante Ruby", fügte Shanni hinzu. "Das können Sie mir glauben."
Alle blickten jetzt auf Mary Roberts. Man erwartete offenbar, dass sie für die Allgemeinheit sprach. "Also gut", begann sie, "wenn Shanni für Olga bürgt, sehe ich kein Problem. Es bleibt bei dem Rabatt, aber wenn wieder mal ein Geburtstag naht und die Kasse leer ist …", sie wandte sich direkt an Olga, "… dann kommen Sie zu mir, bevor Sie wieder lange Finger machen."
Alle lachten und applaudierten. Einige umringten Olga und drückten ihr die Hand. Dabei habe ich sie noch gar nicht eingestellt, dachte Pierce. Die Leute scheinen es mit ihrer neuen Politik wirklich ernst zu meinen.
Es blieb nicht bei der turbulenten Begrüßung. Ruby und Shanni hatten ein regelrechtes Kinderfest arrangiert: mit Ponyreiten, Sackhüpfen und Eierlaufen. Die Älteren konnten sich auch im Baumstammwerfen und Scheibenschießen üben. Es gab mehr zu essen, als verträglich war, Saft und Limonade flossen in Strömen, und am Eisstand bildete sich ständig eine neue Schlange.
Pierce erlebte das alles wie im Traum. Für einen Mann wie ihn, der die Fähigkeit zum Alleinsein bis zur Perfektion entwickelt hatte, war dieser Freundschaftsbeweis seiner ehemaligen Gegner fast nicht zu begreifen. Dass zwei seiner Pflegebrüder gekommen waren, erhöhte für ihn das Gefühl, mit seinen Sorgen nicht mehr allein zu sein. Verfänglichen Fragen, die vor allem von Blake kamen, wich er geschickt aus, was ihm manchen forschenden oder besorgten Blick eintrug.
Schließlich brachte Pierce die von all dem Trubel erschöpften Kinder nach oben in ihre Betten und wartete, bis sie eingeschlafen waren. Als er wieder herunterkam, hatte das große Aufräumen begonnen, das Ruby in bewährter Weise leitete.
Sobald sie ihn erblickte, eilte sie auf ihn zu und schloss ihn stürmisch in die Arme. Das hatte sie schon immer getan, auch gegen den spürbaren Widerstand ihres Jüngsten.
"Danke", sagte Pierce bewegt, als er sich endlich frei gemacht hatte.
"Danke Shanni, nicht mir", antwortete Ruby.
"Aber du hast Olga entdeckt."
Ruby nickte. "Sie ist ein Schatz und sehnt sich nach einer intakten Familie … genau wie du."
"Ich sehne mich nicht …"
"Schon gut, mein Lieber. Lass mich weiter abwaschen, und kümmere dich um Shanni."
"Hat sie dieses Fest organisiert?"
"Gemeinsam mit Susan. Die beiden sind einfach unschlagbar."
"Wo finde ich Shanni?"
Ruby zwinkerte vergnügt. "Sie wollte einem Bullen Hallo sagen."
"Einem Bullen?"
"Sie meinte, es sei ein nettes Tier."
Ehe Ruby ein weiteres Wort sagen konnte, war Pierce verschwunden. Er bahnte sich einen Weg durch die etwas gelichtete Gesellschaft, sprang über das Geländer der Veranda und durchquerte mit großen Schritten den Garten.
Shanni saß auf dem Gatter zur Koppel und streichelte Clyde die Stirn. Klugerweise hatte sie sich so hingesetzt, dass sie bei Gefahr jederzeit herunterspringen konnte.
"Shanni!"