In einen übergroßen weißen Morgenmantel gehüllt, verließ Maggie das Badezimmer. Die Hände hatte sie tief in die Taschen des Mantels geschoben.
„Fühlst du dich jetzt besser?“ Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. „Auf jeden Fall siehst du wesentlich erholter aus. Endlich hast du mal eine gesunde Gesichtsfarbe.“
Maggie fühlte sich in ihrem Aufzug nicht gerade wohl, aber es war besser, als nur in Unterwäsche vor Khalid zu stehen. Trotzdem verursachte sein prüfender Blick ein unerträgliches Kribbeln auf ihrer Haut. Vielleicht war es auch Khalids unverschämt gutes Aussehen. Er hatte sich umgezogen, und Maggie konnte ihren bewundernden Blick nicht mehr von ihm abwenden.
„Danke. Mir geht es tatsächlich um einiges besser. Heißes Wasser wirkt Wunder, was?“, fügte sie hinzu und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen.
„Komm!“ Er streckte ihr seine Hand entgegen, die sie, ohne zu zögern, annahm. Der feste Griff seiner Finger hatte einen beruhigenden Effekt auf Maggie, auch wenn seine Berührung ihre Fantasie aufs Neue entfesselte.
Er führte sie in ein auffallend orientalisch eingerichtetes Wohnzimmer und wies mit dem Kopf zu einem gemütlichen Sofa.
„Setz dich doch erst mal“, bot er an. „Es wird etwas dauern, bis deine Kleider trocken sind. In der Zwischenzeit müssen wir dich irgendwie warm halten.“
Ergeben ließ sie sich in die weichen Kissen sinken. In einem offenen Kamin flackerte ein kleines Feuer, und nachdem Khalid Maggie eine Decke über die Beine gelegt hatte, reichte er ihr noch ein in Messing gefasstes Glas mit einer dampfenden Flüssigkeit.
„Was ist das?“
„Süßer Tee nach Shajehar-Art. Die optimale Medizin gegen Schockzustände und wütende Elemente.“ Sein Lächeln erschütterte sie bis ins Mark. Noch nie hatte sie einen so unfassbar schönen Mann gesehen.
„Absolut köstlich.“
„Das klingt überrascht.“
„Nein, so meinte ich das natürlich nicht.“
„Schon gut. Trink aus, und entspanne dich einfach. Ich bin bald zurück.“ Er wandte sich ab, und sofort beruhigte sich ihr Herzschlag wieder.
Sie musste allein sein, um die Geschehnisse dieses Abends in Ruhe zu verarbeiten. Es war doch kein Wunder, dass ihre Gefühle vollkommen verrücktspielten!
Nachdenklich starrte sie ins Feuer und nippte an ihrem Tee. Khalid war ein Fremder, sogar ein atemberaubender Fremder. Es war nicht nur sein Aussehen, auf das sie so stark reagierte. Es waren seine selbstverständliche Freundlichkeit, seine Verlässlichkeit und seine Hilfsbereitschaft. Er kümmerte sich um sie, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Das war sie nicht gerade gewohnt …
Niemand hatte sich für sie eingesetzt, nicht seit sie acht Jahre alt gewesen war. Damals hatte ihre Mutter sie für immer verlassen. Die kleine Schwester nahm sie mit, Maggie nicht.
Nach diesem Tag fehlte es in ihrem Heim an jeglicher Wärme. Maggies Vater war kein Mann, von dem man Gemütlichkeit, Zärtlichkeit oder Liebe zu erwarten hatte. Er war hart, mürrisch und streng. Selbst während der letzten Monate, in denen sie ihn gepflegt hatte, war er nicht zugänglicher geworden.
„Brauchst du noch etwas?“, erklang Khalids tiefe Stimme neben ihr.
Sie hatte ihn gar nicht zurückkommen hören, und seine Frage löste eine Flut von Emotionen in ihr aus. War es sein Mitgefühl, das sie so sehr aus der Fassung brachte? Weshalb war sie ihm so schutzlos ausgeliefert? Schön, sie hatte Marcus’ Betrug aufgedeckt und war tief getroffen. Aber das konnte nicht das Ende der Welt sein.
Sie war aus härterem Holz geschnitzt. Maggie Lewis weinte niemals, ein weiterer Grund, warum sie von den rauen Rancharbeitern so bedingungslos akzeptiert wurde.
„Nein.“ Es war nicht mehr als ein heiseres Krächzen. „Nein, danke.“ Zögernd löste sie ihren Klammergriff um den gläsernen Becher, als Khalid ihr das Gefäß abnehmen wollte.
„Dann solltest du dir am besten die Haare trocknen“, riet er ihr und reichte ihr ein frisches Handtuch.
Plötzlich wurde Maggie alles zu viel. Sie hatte an diesem Abend eine heftige Enttäuschung einstecken müssen, und mit der Entspannung kam nun auch die überwältigende Traurigkeit.
„Nicht weinen, Kleines!“ Seine Stimme war sanft und leise. Mit dem Daumen wischte er ihr vorsichtig die Tränen von den Wangen.
Es war schon das zweite Mal an diesem Tag, dass Maggie weinte, und das nach all den Jahren! Damals hatte sie sich die Seele aus dem Leib geheult, nachdem ihre Mutter verschwunden war, und seitdem nie wieder eine Träne vergossen. Heute Nacht war dieser Damm gebrochen.
„Bitte“, wisperte sie. „Ich will nicht allein sein.“
Abwesend betrachtete Khalid das Spiel des Feuers im Kamin. Es schien genauso unruhig zu sein wie sein eigenes Gefühlsleben. Neben ihm auf dem Sofa hatte Maggie sich unter ihrer Decke eingekuschelt, und Khalid konnte jede ihrer Bewegungen spüren. Doch obwohl er sie instinktiv gern in den Arm genommen hätte, um sie zu wärmen, tat er es nicht.
Einfach nur dazusitzen war allerdings eine Herausforderung an seine Willenskraft und sein Ehrgefühl. Denn den Wunsch, Maggie an sich zu ziehen, konnte er nicht allein auf sein Mitgefühl schieben. Vielmehr musste er seine Hormone dafür verantwortlich machen!
Im Geiste sah er Maggie wieder im Bad vor sich stehen, und sie trug nichts als seidene Unterwäsche und ihren Stolz. Sie war tapfer, wunderschön und sehr verletzlich, ganz zu schweigen von dem fesselnden Ausdruck in ihren Augen.
Khalid hatte sich an ihrem Körper gar nicht sattsehen können. Maggie war mit einer zauberhaften Figur gesegnet, die sich an genau den richtigen Stellen sanft rundete. Um nicht spontan seinen Instinkten zu folgen und die Hände an ihre aufreizenden Brüste zu legen, hatte er Hals über Kopf das Badezimmer verlassen müssen. Ein solcher Ausrutscher wäre unverzeihlich gewesen!
Er dachte an die Frauen, mit denen er nach Shahina zusammen gewesen war. Attraktive, clevere, anpassungsfähige Frauen, die ihn körperlich gereizt hatten. Doch Gefühle waren dabei niemals im Spiel gewesen, und genauso wollte er es halten. Kurze, einfache Beziehungen, die ihm emotional nicht gefährlich werden konnten.
Heute Abend mit Maggie Lewis war es plötzlich anders. Die sexuelle Begierde war da, strömte wie flüssiges Feuer durch seine Adern, aber noch etwas Komplexeres als bloßes Verlangen beschäftigte Khalid. Er konnte es nicht genau benennen, aber er war sicher, dass er es nicht fühlen wollte.
„Möchtest du darüber reden?“, durchbrach er die Stille und rieb sich das Kinn. „Hat dir jemand wehgetan?“
„Es war meine Schuld“, gab sie kleinlaut zu.
Ein eisiges Gefühl überkam ihn. „Sag so etwas nicht!“
„Es stimmt. Ich war diejenige mit den unrealistischen Erwartungen.“
„Wenn sich dir ein Mann aufdrängt, obwohl du ihn abgewiesen hast, ist es niemals deine Schuld.“
Sie sah zu ihm hoch. „Nein, das hast du missverstanden.“ Ihr trockenes Lachen klang eher wie ein freudloses Schluchzen. „Niemand hat sich mir genähert.“ Maggie richtete sich kerzengerade auf. Dabei klaffte der Kragen ihres Bademantels leicht auf und gab so den Blick auf ihr zartes Dekolleté frei.
Hastig lenkte Khalid seinen Blick wieder ins Feuer und versuchte, das ziehende Gefühl in seinen Lenden zu ignorieren.
„Keine Sorge, absolut unberührt. Das bin ich“, sagte sie mit beißendem Sarkasmus.
„Wie bitte?“ Für einen Moment war er sprachlos und gab sich der aufregenden Vorstellung hin, dass sie tatsächlich noch jungfräulich war. Aber wahrscheinlich sprach sie nur vom heutigen Abend! So begehrenswert, wie sie war, konnte das unmöglich stimmen. Trotzdem war ihr etwas zugestoßen, das sie aus der Fassung gebracht hatte.
„Also, was ist los?“
Betrübt zuckte sie die Achseln. „Hat dich deine Menschenkenntnis schon einmal im Stich gelassen?“
„Natürlich. Das ist wohl jedem schon passiert.“
„Wie beruhigend.“ Sie machte eine Pause. „Nun, mir ist auch so ein Fehler unterlaufen. Ein riesiger Fehler!“ Bebend atmete sie durch, und Khalid vermied es, so gut er konnte, dabei in ihren Ausschnitt zu starren. „Heute habe ich herausgefunden, wie dumm ich eigentlich bin.“