Zeit der Zärtlichkeit, Zeit der Liebe – Kapitel 3

~ Kapitel 3 ~

Zur selben Zeit saß Rebecca in einer luxuriösen Hotelsuite, zwanzig Meilen südlich von Ruidoso. Von ihrem Platz auf der moosgrünen Couch hatte sie durch die verglaste Front eine gute Aussicht auf die malerische Sierra Blanca.

Im Moment hatte sie jedoch keine Augen für die Schönheit des höchsten Berges im südlichen Teil des Staates, sondern dachte an Jake Rollins. Das tat sie schon, seit sie davongefahren war und den Mann vor dem Haus ihrer Tante stehen lassen hatte.

Warum bleiben Sie nicht und nutzen das Anwesen? Mit etwas liebevoller Fürsorge könnte man daraus ein gemütliches kleines Zuhause machen.

Rebecca hatte heute eigentlich vorgehabt, einige Erledigungen zu machen. Zunächst wollte sie sich in der Stadt nach einem vertrauenswürdigen Makler erkundigen. Danach wollte sie das nächstgelegene Tierheim kontaktieren, um ein neues Zuhause für Gertrudes Tiere zu finden.

Nichts davon hatte sie getan. Sie hatte nur einen kurzen Spaziergang in die Stadt unternommen, zu Mittag gegessen und war dann ins Hotel zurückgekehrt.

Die letzten beiden Stunden hatte sie mit der Frage verbracht, warum Jake Rollins’ Worte sie nicht mehr losließen.

Dieser Mann spielte in ihrem Leben doch überhaupt keine Rolle. Sie hatte ihn gerade erst kennengelernt. Und doch hatten die Dinge, die er zu ihr gesagt, die Art, wie er sie angesehen hatte, auf irgendeine Weise ihr Denken beeinflusst.

Am anderen Ende des Zimmers klingelte ihr Handy und unterbrach sie in ihren Gedanken. Seufzend ging sie zum Tisch, wo sie es hingelegt hatte.

Auf dem erleuchteten Display waren der Name und die Nummer ihrer Mutter zu erkennen. Mit einem tiefen Atemzug rang sie um Fassung, dann klappte sie das Handy auf und hielt es sich ans Ohr.

Gwyn hatte es bereits den ganzen Tag klingeln lassen, Rebecca hatte ihre Anrufe jedoch ignoriert.

Sie war zwar nach wie vor nicht bereit, wieder mit ihrer Mutter zu reden, andererseits konnte sie die vielen Jahre als folgsame Tochter nicht innerhalb weniger Tage einfach so wegwischen. Und Gwyn hatte ein Recht zu erfahren, dass sie sicher in New Mexico angekommen war. „Hallo, Mom.“

Gwyn ließ einen erleichterten Seufzer vernehmen. „Endlich gehst du ran. Ist alles in Ordnung?“

Rebeccas Kiefer verspannte sich. „Soll das ein Witz sein? Wie kann alles in Ordnung sein? Ich musste gerade mit ansehen, wie meine Tante – von deren Existenz ich bisher nichts wusste – beerdigt wurde!“

„Lass uns bitte nicht wieder davon anfangen. Gertrude ist tot. Es hat keinen Sinn, noch weiter darüber zu sprechen.“

Nur ihre Rücksicht auf die übrigen Hotelgäste hielt Rebecca davon ab, in den Hörer zu brüllen. Stattdessen versuchte sie, die in ihr hochkommende Wut zurückzudrängen. „Klar. Vergessen wir sie einfach“, sagte sie in einem vor Sarkasmus triefenden Tonfall. „Leben wir einfach weiter unser schönes, beschauliches Leben. Genauso, wie du es schon die letzten dreißig Jahre getan hast.“

Für einen langen Moment herrschte Schweigen. Dann fragte Gwyn: „Wann kommst du nach Hause?“

Offensichtlich war Gwyn noch immer nicht bereit, sich dem Thema zu öffnen. Diese gleichgültige Haltung löste etwas in Rebecca aus. Sie fühlte sich seltsam ruhig, als sie sagte: „Überhaupt nicht. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Ich habe hier einiges zu erledigen und will sichergehen, dass alles korrekt abläuft.“

Gwyn keuchte. „Was hast du denn zu erledigen? Wovon redest du nur?“

„Meine Tante hat mir ihre gesamten Besitztümer hinterlassen. Und auch, wenn sie von uns gegangen ist, verdient sie meine Aufmerksamkeit. Zumindest das bin ich ihr schuldig.“ Plötzlich wurde ihr die Kehle eng und drohte, sie zu ersticken. „Das und noch viel mehr.“

„Aber Rebecca … dein Job … du musst bald nach Houston zurückkommen.“

„Die Sorge um meinen Job überlasse ich dir. Du scheinst ihn ohnehin mehr zu lieben als ich.“

„Rebecca, du …“

„Tut mir leid. Ich habe viel zu tun. Deshalb muss ich jetzt leider Schluss machen.“

Rebecca legte auf, ging entschlossen zu ihrem Schrank und zog den Koffer heraus, mit dem sie gekommen war.

    Eine Stunde später hatte Rebecca alles gepackt und aus dem Hotel ausgecheckt. Und nachdem sie noch einige Lebensmittel eingekauft hatte, fuhr sie nach Norden, zu Gerties Haus.

Während sie in nordwestlicher Richtung aus den Bergen heraus und in die Wüstenlandschaft des Tularosa Basin fuhr, zückte sie ihr Handy und drückte auf einen Knopf, der sie mit ihrer Chefin in Houston verband.

„Du tust – was?“, klang die Stimme der Frau laut in ihrem Ohr auf.

Rebecca verspürte den idiotischen Drang zu grinsen, kämpfte jedoch dagegen an.

Schon vor dem Tod ihres Vaters war sie ein verantwortungsbewusstes Kind gewesen, das zu einer noch verantwortungsbewussteren Erwachsenen herangereift war. Sie hatte in ihrem Leben noch nie irgendetwas Spontanes getan. Und es schockierte sie geradezu, wie gut sie sich jetzt dabei fühlte. „Ich nehme mir eine Auszeit, Arlene.“

„Ja, aber du sagtest, auf unbestimmte Zeit. So lange wird deine Auszeit doch hoffentlich nicht dauern. Was mache ich denn ohne dich? Die Modenschau in Dallas ist bald. Und danach die in New York City. Bis dahin brauche ich eine Einkäuferin. Andernfalls …“

Vor dem Fenster des Autos bedeckte die Sonne den Wüstenboden mit einem purpurgoldenen Glanz. So etwas Wildes und Schönes hatte Rebecca noch nie gesehen. „Schick Elsa hin. Sie weiß, was sie tut, und tritt sicher nur allzu gern in meine Fußstapfen.“

„Elsa hat weder deinen Geschmack noch dein Feingefühl im Umgang mit Menschen. Ich will, dass du in zwei Wochen zurück bist. Mehr Zeit kann ich dir nicht geben, Rebecca.“

„Das reicht nicht, Arlene. Nicht einmal annähernd.“

„Was ist nur in dich gefahren, Rebecca? Mir ist bewusst, dass du trauerst. Aber ich dachte, die Verstorbene war eine entfernte Verwandte. Bestimmt kommst du bald darüber hinweg und kannst dich wieder auf die Arbeit konzentrieren.“

Jetzt näherte Rebecca sich der Abzweigung zu Gertrudes Haus, sowie der Straße, die zur Apache Wells Ranch weiterführte.

Jake und die Cantrells hatten ihr an einem Nachmittag mehr Mitgefühl entgegengebracht, als diese Frau in all den sechs Jahren, die sie für das Bordeaux gearbeitet hatte. Was sagte das über die Menschen aus, mit denen sie sich umgab?

„Diese Auszeit ist sehr wichtig für mich, Arlene. Wenn du meinst, mir kündigen und jemand anderes einstellen zu müssen, verstehe ich das. Schick mir dann einfach meinen letzten Gehaltsscheck in meine Wohnung.“

Rebeccas Worten folgte ein langes Schweigen. Nach einer Weile sagte Arlene mit besänftigter Stimme: „Einen Moment, Rebecca. Lass uns nichts überstürzen. Du bist sehr wertvoll für das Bordeaux, und ich möchte dich nicht verlieren.“ Sie stieß einen langen, kapitulierenden Seufzer aus. „Na gut. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Dein Job wartet auf dich, wenn du nach Houston zurückkommst.“

Arlenes Einlenken hätte Rebecca begeistern und sie mit Freude darüber erfüllen müssen, dass sie so gut war und ihre Arbeit geschätzt wurde. Dennoch war sie nur darüber erleichtert, dass das Gespräch beendet war.

Rebecca erinnerte sich daran, dass in Gertrudes Testament ein Truck erwähnt wurde und sie nahm an, dass es der alte rote F150 war.

An diesem entlegenen Ort benötigte man irgendein Transportmittel.

Sie fragte sich, ob das Fahrzeug noch immer fahrtüchtig war, und notierte sich in Gedanken, das Ding auszuprobieren, nachdem sie die verderblichen Lebensmittel sicher verstaut hatte.

Sich für eine längere Zeit einen Mietwagen zu nehmen, war ziemlich kostspielig. Der Truck konnte die Lösung für dieses Problem sein.

Sie öffnete den Kofferraum und holte eine Tüte mit Lebensmitteln heraus, als sie plötzlich ein tiefes Jaulen hörte und spürte, wie etwas an der Rückseite ihres Beins entlangstreifte.

Als sie sich umdrehte, sah sie, dass der Hund ihre Ankunft bemerkt hatte und zur Begrüßung gekommen war. Seine Schnauze stand offen und schien zu grinsen, als freue er sich, sie zu sehen.

Einen Moment lang vergaß Rebecca die Einkaufstüte und ging in die Knie, um den Hund zu umarmen.

„Da bist du ja wieder“, sagte sie und strich über seinen Rücken. Ihr wurde klar, dass das Tier seit Gertrudes Tod nicht mehr genug zu fressen bekommen hatte. „Bestimmt hast du Hunger. Ich wette, du hättest gern eine große Schüssel mit saftigem Hundefutter.“

Wie aufs Stichwort gab der Hund ein langes, lautes Winseln von sich. Rebecca lächelte und tätschelte seinen Kopf. „Na gut, dann komm mal mit. Und ich sehe zu, was ich für dich tun kann.“

Beide Hände mit Plastiktüten beladen, signalisierte sie dem Tier, ihr auf die Veranda zu folgen.

„Aber nur eine Weile“, warnte sie ihn, als er mit wild wedelndem Schwanz an ihr vorbeischoss.

Als sie gestern vor der Beerdigung kurz hier gewesen war, hatte sie in einer kleinen Vorratskammer einen Stapel Hunde- und Katzenfutter entdeckt. Sie leerte zwei Packungen in eine Plastikschüssel, die sie auf den Boden stellte.

Während der Hund sich hungrig darüber hermachte, verstaute Rebecca das verderbliche Essen im Kühlschrank. Alles andere fand im Regal Platz.

Nach getaner Arbeit hatte auch der Hund den Napf leer gefressen und sah zu ihr auf, den Kopf neugierig zur Seite geneigt. Zweifellos verstand er nicht, weshalb sein Frauchen weg war.

Wie traurig. Rebecca versuchte, sich den Hund zusammen mit ihrer Tante vorzustellen. Das war sehr schwer, da sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie Gertrude ausgesehen hatte. Im Haus gab es keine Fotos von ihr. Und noch im Tod hatte sie die Öffentlichkeit gescheut und ihrem Anwalt die Anweisung hinterlassen, ihren Sarg geschlossen zu halten.

Wenn Gertrude und Gwyn eineiige Zwillinge gewesen waren, dann wäre sie klein und dunkelhaarig gewesen, hätte braun-grüne Augen und ein eckiges Gesicht gehabt. Ihre Mutter hatte es jedoch nicht für nötig befunden, ihr mehr über ihre Schwester zu erzählen. Rebecca konnte also nur raten und musste sich Gertrudes Aussehen vorstellen.

Um nicht länger den Verlust zu betrauern und schon wieder weinerlich zu werden, begann Rebecca mit dem Hund zu sprechen. „Ich habe keine Ahnung, wie du heißt. Furry? Smiley? Buddy? Nein. Das passt alles nicht. Wie wär’s mit Beau? In der Grundschule kannte ich mal einen Jungen, der Beau hieß. Der hatte auch so umgebogene Ohrenspitzen, genau wie du. Aber er war nett, und ich mochte ihn gern.“

Der Hund antwortete mit einem erneuten Jaulen und schob den Kopf unter Rebeccas Hand. Lächelnd kraulte sie ihn liebevoll hinter den Ohren. „Okay, Beau. Dann wollen wir mal sehen, ob wir mit dem Hausputz beginnen können.“

    Eine Woche später war Jake im Marino’s Futter und Ranchbedarf, um mehrere Hufeisen zu kaufen, als er hörte, wie eine weibliche Stimme leise seinen Namen rief.

Er drehte sich um und war schockiert, Rebecca Hardaway zu erblicken, die nur wenige Schritte von ihm entfernt stand. Was hatte sie in einem Laden zu tun, der hauptsächlich von Ranchern und Farmern besucht wurde? Und was noch wichtiger war: Weshalb war sie noch immer in New Mexico?

Sein Herz schlug auf einmal schneller und ein Gefühl der Freude hallte durch seinen Körper. „Hallo, Rebecca.“

Er ging auf sie zu, bis sie sich in der Mitte des staubigen Ganges trafen, der mit Pestiziden und Düngern angefüllt war.

Lächelnd reichte sie ihm die Hand. Er drückte sie, während seine Blicke schnell jede Stelle ihres Körpers erkundeten.

Sie war leger gekleidet und trug Jeans und ein rosafarbenes Kapuzenshirt. Das blonde Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihr Gesicht war ganz und gar ungeschminkt. Sie sah frisch, wunderschön und erholt aus.

„Wie schön, Sie hier zu sehen“, gab er zu. „Ich dachte schon, dass Sie die Gegend längst wieder verlassen haben.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe mich entschieden, doch noch eine Weile zu bleiben. Zurzeit wohne ich im Haus meiner Tante.“

Vor Überraschung wäre Jake beinahe die Kinnlade heruntergeklappt. An dem Tag, an dem sie gemeinsam Gerties Haus besucht hatten, schien ihr das Anwesen geradezu gleichgültig gewesen zu sein. Was hatte sie bewogen, ihre Meinung zu ändern? „Oh. Und wie läuft’s?“

Sie lachte. Jake war begeistert von ihrem Lachen. Und noch mehr von dieser anderen, dieser viel zugänglicheren Rebecca.

„Ich habe in meinem Leben noch nie so viel sauber gemacht. Aber es lohnt sich. Das Haus wird langsam zu einem kleinen Schmuckstück. Ich habe beschlossen, jemanden anzuheuern, der mir im Garten hilft. Da liegt viel schwerer Schrott herum, der weggeschafft werden muss. Den Truck habe ich aber in Gang gebracht und meinen Leihwagen zurückgegeben.“

Jake spähte zu den Glasfenstern auf der Vorderseite des Gebäudes, durch die man auf den Schotterparkplatz blicken konnte. Fuhr sie etwa Gerties alten Truck? Das konnte er sich nicht vorstellen. Aber vielleicht hatte sie diese andere Seite schon immer gehabt, und er hatte sie nur noch nicht zu sehen bekommen. Seine Gedanken überschlugen sich. „Das ist schön. Fährt er sich gut?“

Sie nickte stolz. „Großartig. Ich habe ihn von einem Automechaniker durchchecken lassen. Lediglich die Reifen musste ich wechseln lassen.“

„Klingt, als hätten Sie viel zu tun gehabt.“

Wieder lächelte sie. Und als er sie ansah, wurde ihm klar, dass ihr Blick aufrichtig war. Diese Feststellung machte ihn glücklich. Sogar sehr. „Es ist zumindest ein Anfang.“

Jake warf einen kurzen Blick auf die rote Plastiktüte in ihrer Hand. „Sie haben im Futtermittelgeschäft eingekauft?“

„Nur ein paar Dinge für den Hund und die Katzen. Flohhalsbänder, Entwurmungsmittel. Besonders freuen werden sie sich darüber wahrscheinlich nicht, aber ich will, dass sie gut versorgt sind.“ Sie seufzte leise und lächelte zaghaft.

Jake konnte den Blick nicht von ihr abwenden oder sich auch nur vorstellen, ihre Hand loszulassen.

„Ich bin froh, dass ich Ihnen begegnet bin“, sagte sie. „Ich habe mich gefragt, ob Sie mir vielleicht einen Gefallen tun können. Natürlich nur, wenn Sie Zeit haben und zufällig bei meinem Haus vorbeikommen.“

Mein Haus. Sie nannte es bereits ihr Haus? Jake war verblüfft, dass solch eine Kleinigkeit ihn so glücklich machen konnte. Außerdem fragte er sich, ob er irgendeine Krankheit ausbrütete, die sein ganzes Denken aus dem Gleichgewicht brachte.

Er hatte sich schon immer zu Frauen hingezogen gefühlt. In all den Jahren hatte er wahrscheinlich mehr Freundinnen gehabt als Quint Rinder. Doch keine von ihnen hatte ihm ein dümmliches Grinsen aufs Gesicht gezaubert oder ihm das Gefühl gegeben, als würde helles Sonnenlicht ihn durchströmen. „Ich würde Ihnen gern helfen, wenn ich kann“, gab er zurück.

„Das Pferd ist zurückgekommen und hält sich jetzt im Stall auf. In einem Vorratsraum habe ich etwas Futter gefunden, aber ich war mir nicht sicher, wie viel ich ihm geben soll. Mit den Katzen und dem Hund kann ich umgehen, aber von Pferden verstehe ich nichts. Und da fiel mir ein, dass Sie sich damit auskennen. Es wäre zu freundlich, wenn Sie mal einen Blick darauf werfen und sich davon überzeugen könnten, dass alles in Ordnung ist. Vielleicht können Sie mir auch sagen, wie viel ich füttern muss. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.“

Der liebe Gott meint es heute wirklich sehr gut mit mir, dachte Jake. Die ganze letzte Woche hatte er vergeblich versucht, diese Frau aus dem Kopf zu vertreiben. „Klar“, entgegnete er so beiläufig wie möglich. „Ich wollte heute Abend sowieso zur Apache Wells fahren. Wäre Ihnen das früh genug?“

Sie lächelte. „Das wäre wundervoll.“

    Rebecca war im Stall, um das Pferd in das Trockengehege zu bringen, als Jakes weißer Truck in der Einfahrt erschien. Schon kurz darauf rannte sie quer über den Hof und rief dabei seinen Namen.

„Jake, ich bin hier hinten!“

Er erspähte sie sofort und änderte schnell seine Richtung.

Sie verharrte am Fleck und begutachtete seinen kraftvollen Gang, bis er sie schließlich erreicht hatte. Heute Abend hatte er sein Jeanshemd gegen ein kariertes, mit Außentaschen und perlenbesetzten Druckknöpfen an den Ärmeln ausgetauscht.

Er sah sehr westernmäßig und ausgesprochen attraktiv aus. Und als er sie anlächelte, schlug ihr Herz wie eine außer Kontrolle geratene Trommel.

„Gerade wollte ich zum Haus“, sagte er. „Ich dachte, dass ich Sie dort finde.“

Rebecca konnte nicht verhindern, dass sich ihre Lippen zu einem breiten Lächeln verzogen. Sie verstand selbst nicht genau, weshalb, aber sein bloßer Anblick machte sie glücklich. „Ich war im Stall, um das Pferd ins Gatter zu sperren, damit es vor Ihrer Ankunft nicht ausbüxen kann“, erklärte sie. „Möchten Sie gleich einen Blick darauf werfen?“

„Klar. Wir sind sowieso schon halb dort.“

Mit Beau auf einer und Jake auf der anderen Seite ging sie voraus zum Stall. Auf dem Weg dorthin bemerkte Jake die säuberlich aufgeschichteten Müllbeutel, die sie in allen Ecken des Hofs eingesammelt hatte.

„Ich habe versucht, den Schrott wegzuräumen“, erklärte sie. „Gertrude hielt offenbar nichts davon, irgendetwas wegzuwerfen. Nicht einmal, wenn es kaputt war. Ich habe noch nie so viele alte Reifen und verrostete Eimer gesehen.“

„Ich bin überrascht, wie viel besser der Hof gleich aussieht. Und wo wir schon davon sprechen: Ich könnte das ganze Zeug für Sie wegschaffen. Natürlich nur, wenn Sie nicht schon jemanden dafür haben.“

Sie lächelte ihn dankend an. „Das ist nett von Ihnen, Jake. Aber Abe hat mir bereits angeboten, einige seiner Hilfskräfte vorbeizuschicken.“

„Sie haben mit Abe gesprochen?“, fragte er überrascht.

 

Rebecca nickte. „Nach meiner Rückkehr von Ruidoso heute Nachmittag habe ich ihn kurz besucht. Ich wollte ihm persönlich sagen, wie dankbar ich ihm für seine liebevolle Unterstützung am Tag von Gertrudes Beerdigung bin. Er ist ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Ich hätte mir keinen besseren Nachbarn aussuchen können.“

Jake lächelte. „Wenn Abe nicht schon fünfundachtzig wäre, wäre ich jetzt eifersüchtig.“

Eifersüchtig, weil sie einen anderen Mann besucht hatte? Es war vielleicht albern, dennoch fand sie es aufregend, dass Jake so besitzergreifend über sie dachte. Um zu vermeiden, dass ihr das Blut in die Wangen schoss, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung. „Sind Sie heute mit Ihrer Arbeit fertig geworden?“

„Vor etwa einer Stunde. Ich bin noch dabei, die Verspannung aus meinem Rücken zu lösen.“

„Oh, das tut mir leid. Ich hätte Sie nicht mit Star belästigen sollen. Hätten Sie mir doch einfach gesagt, dass ich einen Tierarzt holen soll.“

„Star? Hat Gertrude das Pferd so genannt? Oder haben Sie die Anmeldungspapiere gefunden?“

„Wenn Star solche Papiere überhaupt hat, dann habe ich sie nicht gefunden. Allerdings habe ich noch gar nicht damit begonnen, all die Schränke und Schubladen mit Gertrudes Unterlagen zu durchsuchen. Wissen Sie, vor dem Morgen ihrer Beerdigung hatte ich noch keine Ahnung, dass meine Tante überhaupt irgendwelche Tiere besitzt. Also habe ich sie alle kurzerhand selbst getauft. Auch wenn ihnen ihre Namen vielleicht nicht gefallen, so ist es immer noch besser, als sie mit Hund, Katze oder Pferd anzureden.“

„Nun, für mich ist es überhaupt kein Problem, mir Star anzusehen“, versicherte er und fügte zwinkernd hinzu: „Außerdem hilft Bewegung gegen die Rückenverspannung.“

Sie gingen zu dem kleinen, eingezäunten Gehege auf der linken Seite des Gebäudes. Im Innern des Stalls kam die grau gesprenkelte Stute, die Rebecca „Star“ getauft hatte, zu ihnen getrottet.

Beau ließ sich derweil in einen nahe gelegenen Schatten plumpsen und begnügte sich mit der Beobachterrolle.

Jake untersuchte den allgemeinen Zustand des Tieres.

Rebecca beschloss, ihre Fragen für sich zu behalten, bis er die Möglichkeit gehabt hatte, seine Meinung zu äußern.

Schließlich sagte er: „Von dieser Seite des Zaunes aus scheint sie in guter Verfassung zu sein.“

„Haben Sie eine Ahnung, wie alt sie ist? Oder welche Rasse?“

„Wenn ich sie mir genauer ansehen würde, könnte ich ihr Alter wahrscheinlich ganz gut schätzen. Haben Sie ein Halfter oder einen Zügel, den ich ihr anlegen könnte?“

„Ja. Wenn Sie einen Moment warten, hole ich ihn.“

Als sie mit einem Halfterstrick zurückkam, stand Jake bereits im Gehege und untersuchte das Pferd.

Rebecca kletterte zu ihm über den Zaun. Jake nahm ihr das schlichte Zaumzeug aus der Hand und legte es um den Kopf des Pferdes.

Überrascht darüber, wie leicht ihm das fiel, stöhnte sie resigniert auf. „Ich habe gestern mehrmals versucht, ihr das Ding anzulegen. Bei jedem Mal hat sie jedoch den Kopf höher gehalten.“

Jake sah sie amüsiert an. „Überlassen Sie ihr bei diesem Spiel nicht den Sieg. Legen Sie Ihren Arm hinter ihren Kopf, wenn Sie versuchen, ihr das Halfter umzulegen. Dadurch weiß die Stute, dass sie den Kopf auf Ihrer Höhe halten muss.“

„Ich habe Sie ja schon vorgewarnt, dass ich nicht viel von Pferden verstehe.“

Er warf ihr einen anerkennenden Blick zu. „Immerhin wissen Sie genug, um zu erkennen, dass es eine Stute ist.“

Ihre Wangen wurden noch röter. „Danke, dass Sie mir wenigstens das zugestehen.“

Er ließ die Hand den Hals der Stute hinabgleiten und strich durch Stars lange schwarze Mähne. Für einen Mann mit so großen Händen waren seine Berührungen ausgesprochen sanft, wie Rebecca bemerkte.

„Gern geschehen“, gab er zurück. „Mir ist jedoch nicht so ganz klar, weshalb Sie sie Star getauft haben. Sie hat doch gar keinen Stern auf der Stirn.“

Rebecca warf ihm einen hilflosen Blick zu. „Nehmt ihr Cowboys alles so wörtlich? Ich habe sie Star genannt, weil sie einer ist – zumindest für mich. Ist das denn nicht Grund genug?“

„Der beste“, bestätigte er. Dann bedeutete er ihr mit leisem Lachen, näher zu kommen.

Da sie jedoch ohnehin nur wenige Schritte von ihm entfernt war, konnte sie ihm gar nicht viel näher kommen, ohne ihn dabei zu berühren. Verwirrt trat sie einen kleinen, vorsichtigen Schritt auf ihn und Star zu.

„Kommen Sie hierher“, meinte er mit sanfter Stimme und deutete direkt vor sich auf den Boden. „Keiner von uns beiden wird Sie beißen. Ich will Ihnen nur etwas beibringen.“

Rebecca war nicht ganz sicher, ob sie bereit war für die Art Lektion, die er ihr erteilen konnte. Dennoch kam sie der Aufforderung nach.

Sofort löste er das Halfter vom Kopf der Stute und drückte ihr die herunterbaumelnden Riemen in die Hände.

Atemlos starrte sie ihn an. „Jake, das kann ich nicht. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich …“

Bevor sie weitersprechen konnte, positionierte er sie neben dem Pferd und baute sich selbst dicht hinter ihr auf.

Rebecca zog scharf den Atem ein, als er sich von hinten an ihren Rücken drückte. Hitze durchlief ihren Körper und brachte jede einzelne Pore zum Kribbeln.

Sie rang nach Atem und versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie nicht dahinschmelzen würde, als er plötzlich ihre Arme berührte und ihre Hand in seine gleiten ließ.

„Ich werde Sie führen“, erklärte er mit tiefer Stimme. „Öffnen Sie so das Halfter.“ Während er ihre Hand führte, glitten die Striemen in die richtige Position. „Jetzt legen wir diesen Arm um Stars Hals. Und mit dem anderen schlingen wir das Seil um ihren Kopf.“

Fast unmerklich rieben ihre Körper aneinander. Rebecca erbebte unter den Schauern der Erregung, die ihr das Atmen erschwerten – vom Denken ganz zu schweigen. Zum Glück konnte er ihr Gesicht nicht sehen, oder auch nur erahnen, wie überwältigt sie von seiner Nähe war.

Schließlich gelang es ihr wieder zu sprechen. „Sie … wird wieder versuchen wegzulaufen.“

„Nein, das wird sie nicht“, flüsterte er. „Sie mag menschlichen Kontakt. Sie etwa nicht?“

Diese Frage sollte ich eigentlich nicht beantworten, dachte Rebecca verwirrt. Tatsächlich wich die Stute genauso wenig vor ihnen zurück, wie Rebecca vor Jake.

Sie schluckte erneut, dann antwortete sie: „Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort …“

Darauf erwiderte er nichts. Andererseits war das auch gar nicht nötig. Die langsamen, gefühlvollen Bewegungen seines Körpers verrieten ihr, wie sehr es ihm gefiel, ihr so nahe zu sein. Und wie sehr er sich wünschte, diese Erfahrung endlos in die Länge ziehen zu können.

Sie versuchte zu schlucken und gluckste dabei, während seine tiefe Stimme ganz dicht an ihrem Ohr erklang. „Dieser Teil kommt hinter Stars Ohren. Und der hier unter ihren Hals. Dann binden Sie die beiden zusammen und zurren sie zu. Aber nicht zu fest.“ Mühelos schob er zwei seiner Finger zwischen das Halfter und den Kiefer des Pferdes. „Sie sollten die Finger noch bequem darunter schieben können.“

„Ja … ich verstehe.“ Ihre Stimme klang wie ein angestrengtes Krächzen.

Jake warf einen Blick über seine Schulter, um sie anzusehen. „Ist alles in Ordnung?“

Sie versuchte zu lächeln, brachte jedoch nur ein Nicken zustande. „Klar.“

„Wollen Sie es noch einmal versuchen?“

Noch einmal? Sie hatte schon diese erste Lektion gerade so überstanden. „Ich denke, ich bekomme das in Zukunft allein hin. Danke.“ Bevor Jake auf einer weiteren Halfterübung bestehen konnte, trat Rebecca zurück, bis sie einen sicheren Abstand erreichte.

Er sah sie an und sagte: „Sie lernen offenbar sehr schnell.“

Superschnell, dachte sie, als sie das schwache Grinsen auf seinem Gesicht bemerkte.

Sich in Jakes Nähe aufzuhalten, war so gefährlich, wie mit einer Stange Dynamit zu kuscheln. Das wurde ihr in Sekundenschnelle bewusst. „Das stimmt. Ich merke mir alles … sehr schnell.“

„Praktisch. Vor allem, wenn man mit Tieren zu tun hat. Da braucht man ein wachsames Auge.“ Den Blick weiter auf Rebecca gerichtet, tätschelte er Stars Flanke. „Star hält vielleicht still und benimmt sich, das heißt aber nicht, dass nichts sie erschrecken und zum Ausschlagen bringen könnte. Sie würde nie versuchen, Sie zu verletzen – höchstens, ihre eigene Haut zu retten. Verstehen Sie, was ich Ihnen damit sagen will?“

Ja, Rebecca verstand mehr, als er auch nur ansatzweise ahnen konnte. Nämlich, dass sowohl er als auch Star unberechenbar waren. Und dass sie in ihrer beider Nähe wachsam sein musste. Wenn man das tat, hatte man allerdings keinen Spaß, weder mit dem Pferd noch mit Jake oder dem Leben im Allgemeinen.

Seltsam, dass sie, seit sie nach New Mexico gereist war, die Dinge auf diese Weise beurteilte. Davor, in Houston, hatte sie über jeden ihrer Schritte zunächst eingehend nachgedacht. „Keine Sorge, Jake. Ich werde in ihrer Nähe sehr vorsichtig sein.“

„Gut.“

Er lächelte verhalten und wandte sich wieder der Stute zu. In den nächsten Minuten inspizierte er ganz langsam und sorgfältig Stars Zähne, ihre Ohren, die Hufe und das Fell. Als er fertig war, führte er das Pferd zum Zaun und band das Seil locker um eine der Latten aus Zedernholz. „Nun, ich würde Stars Alter auf etwa zehn Jahre schätzen.“

„Ist zehn denn alt? Für ein Pferd, meine ich.“

Jake schlenderte zu Rebecca und lehnte sich gemächlich mit der Schulter an den Zaun. „Ganz und gar nicht. Sie hat noch nicht einmal ihre Blüte erreicht.“

Rebecca lächelte erleichtert. „Da bin ich aber froh. Ich habe mich wohl schon an sie gewöhnt. Da hätte es mir gar nicht gefallen, wenn sie schon auf ihren Lebensabend zugeht und ich sie nicht mehr allzu lange habe.“

Lässig verschränkte er die Arme vor seiner Brust und sah Rebecca fragend an. „Hmm. Heißt das, dass Sie sie mit nach Houston nehmen?“

Sie stöhnte innerlich auf. „Das weiß ich noch nicht, Jake. So weit habe ich noch nicht gedacht. Ich freue mich nur, wenn ich weiß, dass sie mir noch eine Weile erhalten bleibt. Verstehen Sie, was ich meine?“

Er lächelte wissend, und Rebecca wurde plötzlich klar, dass er tatsächlich verstand. Dass er ihre Pläne am Ende vielleicht gar nicht so lächerlich fand, wie ihre Mutter das all die Jahre getan hatte.

„Aber sicher.“

Sie atmete erleichtert aus. „Gibt es sonst noch etwas, das ich über sie wissen sollte? Irgendwelche Probleme?“

„Nichts Ernstes, soweit ich es sehen kann. Sie braucht nur eine Wurmkur. Und jemand sollte sich um ihre Hufe kümmern. Ein Satz Hufeisen würde schon helfen. Vor allem, wenn Sie auf ihr reiten möchten.“

Überraschung zeichnete sich auf Rebeccas Lippen ab. „Oh, könnte ich sie denn reiten?“

Sein Lächeln wurde noch breiter, und Rebecca betrachtete fasziniert das Grübchen neben seinem Mundwinkel.

Ein langer Blick dieses Mannes reichte aus, um eine Frau zum Schmelzen zu bringen.

„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Sie scheint zahm zu sein. Wenn Sie möchten, bringe ich Ihnen einen Sattel vorbei. Dann sehen wir ja, wie sie darauf reagiert. Können Sie eigentlich reiten?“

Rebecca zuckte die Achseln. „Ich weiß, wie man sich in den Sattel schwingt und sie zum Laufen bringt und wieder anhält. Das war’s dann auch schon. Zusammen mit einer Freundin habe ich mal einen Sommerurlaub auf Padre Island gemacht. Dort haben wir von einem Gestüt Pferde gemietet und sind damit zum Strand geritten. Für Sie wären das wahrscheinlich alte Klepper gewesen, aber uns hat es sehr großen Spaß gemacht.“

Er lachte leise. „Ich weiß nicht, was Gertie mit Star angefangen hat, aber ein alter Klepper ist sie mit Sicherheit nicht.“

Rebecca ging zu Star und schmiegte die Wange an den Hals der Stute. Jake folgte ihr, und als er dicht hinter ihr stehen blieb, sah sie gedankenverloren zu ihm auf. „Ich frage mich wirklich, was meine Tante mit Star gemacht hat.“

Mit feierlicher Miene schüttelte Jake den Kopf. „Ich weiß nicht, ob Abe oder Quint sie je im Sattel gesehen haben. Ich jedenfalls nicht. Vielleicht hatte sie die Stute nur zur Gesellschaft.“

Irgendwo in der Mitte ihrer Brust verspürte Rebecca ein leises, schmerzhaftes Stechen. „Ja. Wahrscheinlich war sie einsam“, murmelte sie und spürte, wie Tränen in ihren Augen brannten. Peinlich berührt richtete sie ihren Blick auf Stars graues Fell.

Jake räusperte sich hinter ihr. Dann legte er eine Hand auf ihre Schulter und drückte sie sanft.

Berührt von seiner Einfühlsamkeit drehte Rebecca sich zu ihm um und zwang sich zu einem Lächeln. Jetzt war sie ihm so nahe, dass sie die goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen sehen und das dezente Aftershave an seinem Hemd riechen konnte. Seine Lippen waren nicht wirklich voll, allerdings auch nicht schmal. Und während sie seine Unterlippe studierte, die an den Enden leicht abgewinkelt war, sowie seinen markanten Kiefer und die hohen Wangenknochen, kam ihr der Ausdruck „perfekt“ in den Sinn.

Mit Mühe unterdrückte sie das Verlangen, ihre Lippen zu befeuchten. Dann sagte sie: „Es gibt noch eine Sache, bei der Sie mir einen Rat geben könnten. Vor einigen Tagen habe ich Futter für Star gekauft. Bei Marino’s, wo ich Ihnen heute über den Weg gelaufen bin. Der Mann an der Ladentheke riet mir zu einer ganz bestimmten Sorte. Allerdings wüsste ich ganz gern Ihre Meinung dazu. Ich habe es im Stall. Wenn Sie vielleicht einen Blick darauf werfen könnten …“

„Liebend gern.“

Sie atmete tief durch, trat an ihm vorbei und ging auf den Schuppen zu.

Als er nicht sofort folgte, warf sie einen Blick zurück und sah, wie er Star das Halfter abnahm und dann das Tor öffnete, damit die Stute kommen und gehen konnte, wie es ihr gefiel.

Rebecca wartete, damit er sie einholen konnte, und setzte ihren Weg zur Rückseite des Stalls fort, wo sich ein kleiner Raum mit einer Tür befand.

Als sie sie öffnete und Jake die vier an der Wand gestapelten, fünfzig Pfund schweren Futtersäcke entdeckte, sah er sie überrascht an. „Wie haben Sie die denn hier hereingebracht?“

Sie zuckte die Achseln, als sei das kein Kunststück. „Ich habe den Truck bis zum Zaun gefahren und habe die Schubkarre benutzt, um sie in den Vorratsraum zu schaffen.“

„Dazu mussten Sie sie doch hochheben.“

„Ich bin nicht so zerbrechlich, wie ich aussehe. Ich gehe regelmäßig ins Fitnessstudio und habe einige Muskeln.“

Wann immer Jake diese Frau ansah, bemerkte er keine Muskeln. Er sah nur sanfte Rundungen. Und er sah eine aufregend attraktive Frau, die er berühren und lieben wollte.

An diesem Abend trug sie ein lilafarbenes Top mit rundem Ausschnitt und dünnen Trägern. Die ganzen letzten Minuten hatte er schwer mit sich gerungen. Sich daran erinnert, dass er kein Recht hatte, sie einfach zu berühren, um ihre Haut unter seinen Fingerkuppen zu spüren. „Dann muss ich mir wohl keine Sorgen mehr machen.“

Sie verzog leicht die Brauen über ihren blauen Augen, und ihre Mundwinkel bogen sich nach oben. „Sorgen? Warum? Ich sorge schon seit sehr langer Zeit für mich selbst.“

„Mag sein. Aber nicht hier draußen auf dem Land. Ganz allein.“

„Abe ist nicht weit weg. Und falls ich Hilfe brauche, hat er Dutzende Cowboys, die er vorbeischicken kann.“

An Dutzende Cowboys, die Rebecca zu Hilfe eilten, wollte Jake gar nicht denken. Nicht einmal einen einzigen wollte er sich vorstellen. Abgesehen natürlich von sich selbst. „Ja, die hat er wohl“, murmelte Jake und betrat den kleinen Vorratsraum.

Rebecca blieb vor der geöffneten Tür stehen und wartete, bis er sich hinuntergebeugt hatte, um das Futter zu begutachten und die Zutatenliste zu lesen.

Als er sich wieder aufrichtete, sagte sie: „Ich habe ihr jeden Tag zwei ganze Kellen davon gegeben. Ist das genug? Oder zu viel?“

Jake betrachtete die Plastikkelle, die in einem schwarzen Futtereimer lag.

„Für den Moment reicht das. In ein paar Wochen könnten Sie die Dosis auf drei Kellen erhöhen, jeweils morgens und abends.“

„Gut zu wissen. Das notiere ich gleich im Kalender, damit ich es nicht vergesse“, sagte Rebecca und strahlte. „Danke für die Nachhilfe in Sachen Pferde. Und für Ihre Geduld mit einem … Greenhorn.“

Er lachte leise. „Ich wäre völlig verloren, wenn ich etwas über die Modebranche erzählen müsste.“

Sie stimmte in sein Lachen ein. „Wir haben eben alle unsere Stärken und Schwächen.“

„Nun, wenn Sie mich heute Abend nicht mehr brauchen, dann gehe ich jetzt wohl.“

Die Enttäuschung auf ihrem Gesicht war für Jake wie ein Sonnenstrahl. „Wie schade. Eigentlich habe ich gehofft, dass Sie zum Essen bleiben. Ich habe so viele Enchiladas gemacht, dass ich sie nicht einmal annähernd allein essen kann.“

Jake war verblüfft. Klar, sie hatte ihn hergebeten. Allerdings hatte er nur mit einer kurzen Unterhaltung über die Stute gerechnet. „Sind Sie sicher?“, fragte er. „Ich will wirklich nicht stören.“

Zu seiner Überraschung hakte sie sich bei ihm ein. „Stören? Ich habe Sie doch um so viele Gefallen gebeten“, sagte sie. „Außerdem hasse ich es, allein zu essen. Sie etwa nicht?“

Hätte Jake zu dieser Frau wirklich ehrlich sein wollen, dann hätte er gesagt, dass er alles ungern allein tat. Doch das konnte er ihr gegenüber nicht zugeben. Wie alle anderen Leute sollte sie ihn für einen Mann halten, der glücklich mit sich und seinem Leben war. „Ich esse auch lieber in Gesellschaft.“

„Prima. Dann tun wir uns gegenseitig einen Gefallen. Lassen Sie uns ins Haus gehen. Ich brauche nur ein paar Minuten, um alles herzurichten.“

Während sie den Stall verließen, hielt sie sich weiter an ihm fest.

Jake war von der Wirkung dieser einfachen Berührung überrascht. Das ergibt doch alles keinen Sinn, dachte er. Im Laufe der Jahre hatte er viele Frauen kennengelernt, die mehr als nur seinen Arm berührt hatten. Doch keine dieser Frauen oder ihre Berührungen hatten ihm das Gefühl gegeben, als würde er zwei Schritte über dem Erdboden schweben. Als sei er wirklich wichtig und begehrenswert.

Andererseits musste er nach wie vor seine Ranch ausbauen und seine Mutter versorgen. Er hatte überhaupt keine Erfahrung, wie es sich anfühlte, mit einer Frau sesshaft zu werden. Schon gar nicht mit einer, die keine schwere Arbeit gewohnt war und nichts über das wirkliche Cowboyleben wusste.

Rebecca konnte ihn sehr leicht verletzen. Aber nur, wenn er es zuließ. Und das würde Jake nicht. In diesem Moment hatte sie ihn zwar fest im Griff, doch niemals würde er ihren Fingern gestatten, sein Herz zu berühren.

 


Sold out

Sold out

Sold out
Vorheriger Artikel Zeit der Zärtlichkeit, Zeit der Liebe – Kapitel 4
Nächster Artikel Zeit der Zärtlichkeit, Zeit der Liebe – Kapitel 2