Zeit der Zärtlichkeit, Zeit der Liebe – Kapitel 2

~ Kapitel 2 ~

Jakes tröstende Arme fühlten sich so gut an.

Zu gut, dachte Rebecca, als sie die Tränen zurückdrängte und sich aus seiner Umarmung löste.

Sie wusste nicht, wie lange ihr Kopf auf seiner Brust gelegen und Jake ihren Kopf gestreichelt hatte. Für einen Augenblick hatte sie jede Kontrolle über sich verloren.

„Es tut mir leid, Jake“, murmelte sie peinlich berührt. „Ich wollte Ihnen gegenüber nicht die Fassung verlieren. Der Tag war nur so lang, und ganz plötzlich schien alles auf mich einzustürmen. Und jetzt habe ich auch noch Ihr schönes weißes Hemd mit meinem Lidschatten verschmiert.“

Sie warf ihm einen Blick zu und sah, dass seine braunen Augen sie besorgt musterten.

Belustigung, Ekel, Überraschung … Alles wäre besser gewesen als dieses Mitgefühl. Wieder kämpfte sie gegen die Tränen an.

„Vergessen Sie es“, murmelte er. „Geht es jetzt wieder?“

Während sie in seinen Armen gelegen hatte, ihre Wange an seine gedrückt, da hatte er sie Becca genannt. Niemand hatte sie bisher so genannt, und sie fragte sich, warum es aus seinem Mund so bezaubernd und natürlich klang. Sie atmete tief durch, nickte und öffnete die Tür. „Ja, mir geht’s gut. Bitte treten Sie ein, dann führe ich Sie herum.“

Sie betraten ein kleines Wohnzimmer, das fast überquoll vor altem Mobiliar, Zeitschriften- und Zeitungsstapeln sowie Regalen mit allerlei verstaubtem Plunder. Die Fenster waren geöffnet, doch eine Außenmarkise schirmte die Sonnenstrahlen ab, sodass das unaufgeräumte Zimmer in ein düsteres Zwielicht getaucht war.

Als Rebecca eine Tischlampe anknipste, sagte Jake: „Ich glaube, ich war acht Jahre alt, als ich Apache Wells zum ersten Mal mit Quint zusammen besucht habe. Soweit ich mich erinnere, hat Ihre Tante damals schon hier gewohnt. Es wird ein seltsames Gefühl sein, hier vorbeizufahren und zu wissen, dass sie nicht mehr da ist.“

Rebecca deutete mit einer Hand durch das Zimmer. „Es ist kaum zu übersehen, dass meine Tante sehr bescheiden gelebt hat. Wahrscheinlich wollte sie das so.“

„Vielleicht konnte sie sich nicht mehr leisten“, vermutete er.

„Meine Tante war keine arme Schluckerin“, erklärte Rebecca. „Sie hatte viel Geld auf ihrem Bankkonto.“

„Dann hat sie vermutlich für etwas Wichtigeres gespart.“

Etwas Wichtigeres? Das Geld, das Anwesen – all das hatte sie Rebecca hinterlassen.

Nichts im Leben ihrer Tante oder ihren letzten Wünschen ergab irgendeinen Sinn. Hatte die Frau nur deshalb so bescheiden gelebt, um Rebecca ein kleines Vermögen zu hinterlassen? Sie hatte ihre Nichte doch überhaupt nicht gekannt.

Rebecca wünschte, sie könnte verstehen, was all das zu bedeuten hatte.

„Folgen Sie mir in die Küche“, sagte sie zu Jake. „Ich würde Ihnen ja etwas anbieten, aber ich fürchte, es ist nichts zu essen oder zu trinken im Haus.“

„Ich brauche nichts“, versicherte er. „So lange ist es ja noch nicht her, dass wir bei Abe Erfrischungen hatten.“

Die Küche war winzig, beherbergte eine Schrankreihe sowie ein einziges Spülbecken mit einem Fenster darüber.

Durch die vergilbten, ausgebleichten Vorhänge waren in weiter Ferne die aufragenden Gipfel einiger Wüstenberge zu sehen. Zwischen ihnen und dem Haus lag freies Land, mit grünem Gras, Salbeifeldern und blühenden Yuccapflanzen.

„Sehen Sie sich mal diesen Kühlschrank an“, sagte Jake. „Ich wette, der hat mindestens fünfzig Jahre auf dem Buckel.“

Rebecca warf einen Blick auf das Gerät mit seinen abgerundeten Ecken und dem verchromten Griff. Obwohl die Farbe schon abgenutzt war und stellenweise der Rost durchschimmerte, funktionierte das Ding noch. Und das, obwohl irgendjemand – sie hatte keine Ahnung, wer – die Vorräte aus den Fächern genommen hatte. Vermutlich, um sie nicht verderben zu lassen. Vielleicht hatte Gertrudes Freundin Bess das übernommen.

„Ja, Tante Gertrude hielt wohl nichts davon, irgendetwas auszutauschen, solange es noch funktionierte.“ Damit war sie das genaue Gegenteil ihrer Zwillingsschwester, dachte Rebecca sarkastisch.

In Houston war Gwyn unaufhörlich damit beschäftigt, ihr Haus mit dem Neuesten und Besten auszustatten. Die Gegensätzlichkeit der Schwestern war schockierend. Rebecca fragte sich nun umso mehr, wie es wohl zum Bruch zwischen den beiden gekommen war.

Sie deutete in einen kurzen Gang, der aus der Küche hinausführte. „Die Schlaf- und Badezimmer sind da hinten. Ich würde Sie Ihnen ja zeigen, aber dort herrscht eine entsetzliche Unordnung. Würden Sie gern einen Blick hinters Haus werfen?“

„Sicher.“

Er folgte ihr zur Küche hinaus, auf eine hölzerne Veranda, die von einem Vordach geschützt wurde.

An einem Ende bewegten sich die dünnen Äste einer Wüstenweide in der schwachen Brise und verteilten ihre Lavendelblüten auf dem staubigen Bretterboden.

Das Gras im Garten war lang, ungepflegt und voller Unkraut. Unwillkürlich musste Rebecca an den gepflegten Rasen ihrer Mutter in Houston denken.

Dort kümmerte sich ein eigens dafür angestellter Gärtner regelmäßig um das St.-Augustine-Gras. Und teure Gartenmöbel waren in optisch ansprechender Weise unter dem Schatten einer Eiche aufgestellt.

Gertrude O’Dell hat anscheinend nicht einmal eine Verandaschaukel besessen, dachte Rebecca bedrückt.

„Sieht aus, als seien hier auch einige Aufräum- und Reparaturarbeiten nötig“, bemerkte Jake. „Ich wusste gar nicht, dass ein Schuppen hinter dem Haus steht. Von der Straße aus wird er von den Bäumen verdeckt. Werden dort irgendwelche Tiere oder Gerätschaften aufbewahrt?“

„Keine Traktoren oder sonst irgendetwas in der Art“, gab sie zurück. „Allerdings gibt es drei Stallkatzen. Und heute Morgen war noch ein Pferd da. Wahrscheinlich bewegt es sich frei zwischen Schuppen und Weide. Als ich es gesehen habe, war es jedenfalls nicht in eine Stallbox gesperrt. Irgendwo ist auch noch ein Hund.“

„Lassen Sie uns nachsehen“, schlug er vor. Dann warf er einen Blick auf ihre High Heels. „Sie vielleicht besser nicht.“

„Der Boden ist hart und trocken. Um meine Schuhe mache ich mir keine Sorgen, Jake.“

Er lächelte, und für einen kurzen Moment durchlebte sie noch einmal seine kurze Umarmung.

Sein Körper hatte sich warm angefühlt. Unglaublich warm. Und seine Muskeln waren kraftvoll und hart. Sein männlicher Duft hatte sie eingehüllt, und sie sehnte sich danach, ihr Gesicht im V-Kragen seines T-Shirts zu versenken und sich an ihn zu klammern, bis sie die Welt um sich herum und ihre Probleme für eine Weile vergessen konnte.

Ihre heftige Reaktion auf den Cowboy erschreckte und verwirrte sie. Rebecca hatte männliche Gesellschaft immer genossen, dennoch hatte sie ihr Glück nie von einem Mann abhängig gemacht. Wie konnte sie auch, wo doch alle Leute, die sie bisher kennengelernt hatte, so unbeständig und unzuverlässig gewesen waren wie der Wind?

In all den Jahren hatte sie auf die harte Tour gelernt, dass Männer sich fortwährend an erster Stelle sahen. Ein Opfer erbringen bedeutete für sie, auf Footballtickets verzichten und sie stattdessen in die Oper auszuführen. Darauf konnte sie gut verzichten. Zumindest glaubte sie das.

Natürlich gab es immer wieder Momente wie den auf der Apache Wells Ranch, als sie Mauras und Quints liebevolles Gespräch über ihre kleinen Söhne mitgehört hatte. Dann fragte sie sich, ob sie jemals selbst diese Art von Liebe finden und irgendwann eigene Kinder haben würde.

„Gut.“ Jake unterbrach sie in ihren trüben Gedanken. „Dann gehen Sie voran.“

Sie hatten kaum die Veranda verlassen, als sich ein rot-brauner Hund mit langem Fell unter dem Hofzaun hindurchschob und auf sie zugerannt kam. Seinem Schwanzwedeln nach zu urteilen, freute er sich, Rebecca zu sehen. Sie bückte sich und streichelte ihm über den Kopf.

„Ich war überrascht, dass meine Tante Tiere hinterlassen hat“, sagte sie zu Jake. „Vor meiner Abreise muss ich sie wohl zu irgendjemandem bringen, der sie in ein neues Zuhause vermitteln kann. Außerdem muss ich einen vertrauenswürdigen Makler auftreiben, der sich um das Anwesen kümmert.“

Jake musterte sie eingehend. „Hat Gertie denn kein Testament hinterlassen?“, fragte er nachdenklich.

Rebecca schoss das Blut in die Wangen, auch wenn sie selbst nicht verstand, weshalb sie die Frage beunruhigen sollte. Es war schließlich kein Verbrechen, etwas zu erben. Auch nicht ein so heruntergekommenes Anwesen wie dieses. „Doch. Gertrude hat mich zur Alleinerbin bestimmt.“

Sie steuerte auf den Stall zu, und Jake schlenderte neben ihr her.

Auf der Rückseite des Hofs wuchs eine Gruppe Zitterpappeln, und als sie ihre Schatten durchquerten, war die Luft trocken und angenehm. Rebecca nahm an, dass es in der Nacht richtig kalt werden würde.

„Warum bleiben Sie dann nicht hier und nutzen das Anwesen?“, fragte er. „Oder besitzen Sie bereits eine Wohnung in Houston?“

War der Mann verrückt? Wie konnte er glauben, dass sie auf Gertrudes altem Gehöft unterkommen wollte oder musste? Sie hatte ihm und seinen Freunden zwar erzählt, dass sie als Modeeinkäuferin arbeitete, doch offensichtlich hatte Jake die Bedeutung ihrer Arbeit nicht ganz verstanden. Zumindest nicht die Bedeutung für ihr eigenes Leben.

„Ein Jammer“, sagte er. „Mit etwas liebevoller Pflege könnte man das zu einer hübschen kleinen Behausung machen. Aber ich nehme an, eine so extravagante Dame wie Sie würde sich nie mit etwas so Schlichtem abgeben.“

Seine Stimme klang keineswegs sarkastisch oder gar anklagend. Er sprach einfach nur aus, was für ihn eine Tatsache war. Rebecca war sich jedoch nicht so ganz sicher, ob ihr das Bild gefiel, das er sich von ihr machte.

„Morgen werde ich noch nicht abreisen“, entgegnete sie. Dabei fragte sie sich, weshalb sie es wichtig fand, ihn das wissen zu lassen. „Ich werde ein paar Tage brauchen, um mich hier um alles zu kümmern und das Anwesen zum Verkauf herzurichten.“

„Nun, ich hoffe, dass alles so kommt, wie Sie es sich vorstellen“, sagte er leise.

„Das hoffe ich auch“, murmelte sie und ging schneller, bis sie den Stall erreicht hatte.

Der Bau bestand aus Brettern und hatte ein Wellblechdach. Der Anstrich war irgendwann einmal weiß gewesen, verblasste jedoch längst zu einem kraftlosen Grau.

Die schwächer werdenden Sonnenstrahlen fielen durch zwei breite, offene Türen auf einen schmutzverkrusteten Boden.

Im Innern kauerten zwei Katzen – die eine grau gestreift, die andere weiß – auf einem kleinen Stapel Heuballen.

Daneben streckte sich ein gelber Kater im Schatten einer mit zahlreichen Rostlöchern gespickten, eisernen Tränke.

Wohin sie ihren Blick auch richtete – alles hier sah aus, als sei es vor langer Zeit in Vergessenheit geraten. Als wäre ihre Tante nicht erst gestern, sondern schon vor Jahren gestorben. Diese Vorstellung machte Rebecca nur noch trauriger.

 

Während sie versuchte, sich den misstrauischen Katzen zu nähern, ging Jake im Stall herum und testete die Stützbalken auf ihre Standfestigkeit.

Vielleicht kennt er ja jemanden, der am Kauf eines solchen Hauses interessiert war, ging es Rebecca durch den Kopf.

„Heute Morgen stand das Pferd in dem Holzgatter da draußen. Da jetzt das Tor offen steht, nehme ich an, dass das Tier ausgeflogen ist.“

„Wahrscheinlich bekommt es nur Gras zu fressen. Wissen Sie, wie viel Land zu dem Anwesen gehört?“, fragte Jake.

„Zweihundertzehn Hektar.“

„Nun, dann würde ich mir um das Pferd keine Sorgen machen. Bei dieser riesigen Weidefläche findet es genug zu fressen.“

Rebecca zog sich von den Katzen zurück und ging zu Jake, der zu der weit geöffneten Tür hinausblickte. „Verdienen Sie Ihr Geld als Cowboy, Jake?“, fragte sie.

Er sah sie leicht amüsiert an. „Das hängt davon ab, was Sie darunter verstehen.“

Sie zuckte mit den Achseln und fragte sich, warum sie sich in seiner Gegenwart so naiv fühlte. Sie war eine gebildete Frau, hatte sogar einen Collegeabschluss in Wirtschaftswissenschaften. Außerdem war sie sehr belesen. Sie verfolgte das Tagesgeschehen, die Politik und die Börsennachrichten. Und sie war unabhängig und stand schon seit einigen Jahren auf eigenen Füßen.

Wenn er sie jedoch mit seinen braunen Augen ansah, fühlte sie sich wie eine Frau, die nicht im Entferntesten wusste, wie man sich mit einem richtigen Mann unterhielt.

„Nun, dann formuliere ich die Frage anders. Sitzen Sie bei Ihrer Arbeit im Sattel?“

Er lachte leise. „Meistens. Mir gehört eine Ranch bei Fort Stanton, in der Nähe von Capitan. Dort züchte ich Rinder und Kühe.“

Sie sah ihn interessiert an. „Oh, ich hatte den Eindruck, Sie arbeiten für die Cantrells.“

„Ich habe mal für Quint gearbeitet. Auf seiner Ranch, der Golden Spur. Doch nachdem er sie ausgebaut hatte, fand ich, dass er mich nicht mehr brauchte. Und seitdem …“ Er verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. „… kümmere ich mich um meine eigenen Angelegenheiten. Hin und wieder helfe ich Quint noch aus. Immer dann, wenn er einen Viehtrieb zu bewältigen hat. Abe bittet mich hin und wieder, etwas für ihn zu erledigen. Zum Beispiel hat er einige ganz besondere Pferde, die er von keinem anderen beschlagen lässt als von mir.“

Sie hob die Augenbrauen. „Sie arbeiten auch als Hufschmied?“

Wieder lachte er leise. Dieses verführerische Geräusch zog ihren Blick magisch an.

In seinen Augen war ein Leuchten zu sehen, das sie nur als herausfordernd beschreiben konnte.

„Das bilde ich mir zumindest ein“, entgegnete er gedehnt.

Da sie gerade lieber auf ihre Füße blickte als zu ihm, fiel ihr auf, dass ihre High Heels ganz staubig und die Spitzen abgestoßen waren. Doch das war ihr egal.

Zu Werbezwecken versorgte das Bordeaux sie mit Kleidung, Schuhen, Taschen, Schmuck und allem, was sie sonst noch wollte. Wo diese High Heels herkamen, warteten noch viele weitere Paare auf sie.

„Ich weiß nicht viel über die Natur“, gab sie zu und blickte über die Schulter zu den faul herumliegenden Katzen. „Oder über Tiere. Ich hatte sie schon immer gern um mich, aber nie die Möglichkeit, eigene zu halten.“

„Nun, dann ist das doch die ideale Gelegenheit, das zu ändern“, bemerkte Jake. „Hier können Sie sich frei bedienen.“

Sie hob den Kopf und lächelte schwach. Bei Jake klang alles so einfach und unkompliziert. Was war es wohl für ein Gefühl, so zu leben?

Nicht immer von einem Ort zum anderen zu hetzen?

Nicht von einer Stadt in die nächste zu fliegen?

Sich nicht ständig Gedanken über ihr Aussehen zu machen?

Sich nicht dauernd zu fragen, ob das alles überhaupt eine Rolle spielte? Ob sie eine Rolle spielte.

„Vielleicht“, murmelte sie. „Wenn Sie so weit sind, würde ich jetzt alles verriegeln und zurück nach Ruidoso fahren. Vor Anbruch der Nacht möchte ich wieder im Hotel sein. Und von hier aus dauert die Fahrt mindestens eine halbe Stunde.“

„Klar. Ich helfe Ihnen.“

Zu zweit dauerte es nicht lange, die Fenster und Türen zu verschließen. Nachdem sie das Haus verlassen hatten, blieb Rebecca kurz an der Fahrerseite ihres Wagens stehen und streckte Jake die Hand entgegen.

Als er seine warmen Finger um ihre legte, fühlte sie sich in jenen Moment zurückversetzt, in dem sie in seinen Armen gelegen hatte. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass sie das Gefühl, ihm so nahe zu sein, nie vergessen würde. Auch nicht, wie es war, seine Stimme so dicht an ihrem Ohr zu vernehmen und seine Hand in ihren Haaren zu spüren.

„Vielen Dank, Jake, dass Sie sich Zeit für die Trauerfeier meiner Tante genommen haben. Das bedeutet mir sehr viel. Mehr, als Sie sich vorstellen können.“

„Das habe ich gern getan.“

Statt ihre Hand loszulassen, hielt er sie weiter fest, während er mit dem Daumen ganz sanft über ihren Handrücken strich.

Rebecca vergaß fast zu atmen. „Nun, vielleicht sehen uns noch einmal – bevor ich nach Texas zurückreise“, sagte sie und bemühte sich, ihre Stimme unbeschwert und natürlich klingen zu lassen.

„Das würde mir gefallen, Rebecca. Sogar sehr.“

Sie wartete darauf, dass er ihre Hand losließ. Als das nicht geschah, zwang sie sich dazu, ihre Finger selbst zu befreien. Dann ging sie zum Auto.

Bevor sie die Tür öffnen konnte, kam Jake ihr zu Hilfe. Und ohne ihn anzusehen, glitt sie hinter das Steuer und startete den Motor.

Erst nachdem er die Tür zwischen ihnen geschlossen hatte, wagte sie, ihm einen Blick durch das geöffnete Fenster zuzuwerfen. „Auf Wiedersehen, Jake.“

Er hob zum Abschied die Hand.

Während sie den Wagen wendete und die kurze Auffahrt hinunterfuhr, sah sie ihn im Rückspiegel zu seinem Truck gehen. Er nahm seinen Hut ab und fuhr sich durch die Haare. So, als sei er verwirrt oder erschöpft. Oder als müsse er sich nach dem Stress, sich um eine emotionale Frau zu kümmern, erst wieder sammeln.

Lieber Gott, was hatte sie nur dazu gebracht, in seine Arme zu sinken und an seiner Brust zu schluchzen? Das war doch sonst gar nicht ihre Art. Was mochte Jake jetzt von ihr denken?

Das spielt keine Rolle, Rebecca. Wahrscheinlich siehst du diesen Mann nie wieder.

Bei dieser Vorstellung fühlte sie sich sehr, sehr einsam und traurig.

    Die Rafter-R-Ranch, jenen Ort, den Jake sein Zuhause nannte, lag nur wenige Meilen von Fort Stanton entfernt.

Stanton war ein Militärstützpunkt, der einst eine wichtige Rolle gespielt hatte, damit New Mexico zu einem Staat heranwachsen konnte. Nun war es nur noch ein konservierter Teil seiner Geschichte, an dem Touristen in die Vergangenheit eintauchen konnten.

Wenn Jake Besorgungen aller Art benötigte, dann musste er in nordwestlicher Richtung nach Capitan fahren. Die Fahrt dauerte über zwanzig Minuten, und die Stadt war eigentlich nur ein Dorf mit eineinhalbtausend Einwohnern.

Doch die Abgeschiedenheit stört Jake nicht. Er war sogar froh, sich das kostbare Flussland unter den Nagel gerissen zu haben.

Als das Grundstück vor einigen Jahren auf dem Immobilienmarkt angeboten wurde, hatte Jake nicht ernsthaft daran gedacht, es für sich zu erwerben. Damals hatte er im ganzen County als Hufschmied gearbeitet. Mit dieser Tätigkeit hatte er genug verdient, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nicht jedoch, um exklusives Flussland zu kaufen.

Außerdem – wozu brauchte ein Mann wie er ein Haus mit mehreren Hundert Hektar Land? Seine Mutter hatte ihr eigenes Zuhause, und er benötigte nicht viel, um glücklich zu sein. Ihm reichte zu seiner Zufriedenheit ein Ort, an dem er essen, schlafen und seinen Hut aufhängen konnte.

Doch Quint, der schon immer mehr wie ein Bruder als wie ein Freund gewesen war, hatte darauf beharrt, dass Jake sich eines Tages niederlassen und eine Familie gründen würde. Eines Tages würde er sich nach einer Ranch sehnen. Nach einem Ort, an dem er seine Träume verwirklichen konnte.

Zunächst hatte Jake ihn ausgelacht. Er brauchte keine Träume, sondern lebte in der Realität. Und die sah so aus, dass er nicht einmal genug Geld auftreiben konnte, um ein Plumpsklo zu erstehen. Geschweige denn ein Haus mit Hunderten Hektar Land.

Doch Quint war in die Bresche gesprungen und hatte Jake angeboten, ihm bei dem Kredit zu helfen. Mit dem Resultat, dass es ihm irgendwie gelungen war, das erste und einzige Anwesen zu erwerben, das er wirklich als sein Zuhause bezeichnen konnte.

Jetzt besaß er so ziemlich alles, was sich ein Cowboy nur wünschen konnte. Mit einer Ausnahme: eine Familie.

Dieser triste Gedanke kam ihm, als er sein Pferd vor dem Stall zum Stehen brachte und sich aus dem Sattel schwang.

Er versuchte jedoch, nicht weiter daran zu denken, sondern öffnete den schweißnassen Sattelgurt und zog den Sattel vom Rücken des Pferdes.

Eigentlich war er kein Familienmensch. Ehemann und Vater zu sein, dazu noch ein guter, das bedeutete, für den Rest seines Lebens nur eine Frau zu lieben. Er konnte sich nicht vorstellen, sich einen derartigen Zwang aufzuerlegen – geschweige denn, ihn aufrecht zu halten.

Jake hatte gerade sein Pferd in den Stall gebracht, als er die Stimme seiner Mutter hörte, die von der Tür aus nach ihm rief.

Mehr als überrascht, dass sie noch so spät am Abend aus Ruidoso gekommen war, ging er ihr in dem breiten Zwischengang entgegen, um sie willkommen zu heißen.

Clara Rollins war eine dünne Frau mit braunen Haaren. Sie sah erschöpft und schwermütig aus.

Jake konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, bevor sein Vater Lee die Familie im Stich gelassen hatte. Damals war seine Mutter eine wunderschöne, lebenslustige Frau gewesen. Das lag allerdings fast zwanzig Jahre zurück und war, bevor die Ehe seiner Eltern Risse bekommen hatte. Und bevor seine Mutter ihre Krebsdiagnose erhalten hatte.

Sie hatte die Krankheit besiegt, doch die drastische Therapie hatte ihr Herz geschwächt. In den letzten fünf Jahren war Jake Zeuge geworden, wie ihre Bewegungen immer langsamer wurden und das Leuchten in ihren Augen verblasste. Nicht, weil ihr Herz schwächer geworden war, sondern weil sie ihre Hoffnung und ihren Überlebenswillen aufgegeben hatte.

Er liebte seine Mutter und wollte ihr das Leben erleichtern, doch ihre Grundeinstellung war negativ. Sie wehrte sich einfach dagegen, dass sich ihr Zustand verbesserte, weil sie keinen Grund dafür sah.

„Das ist ja eine Überraschung“, sagte er und küsste sie auf die Stirn. „Du bist schon seit Ewigkeiten nicht mehr zur Ranch rausgefahren.“

„Ich habe dich ja auch seit Tagen nicht gesehen“, sagte sie in einem leicht anklagenden Ton.

Jake unterdrückte ein Seufzen. Obwohl er seine Mutter liebte, strapazierte sie oft seine Geduld. „Ich hatte viel zu tun, Mom. Diese Woche habe ich die Zäune ausgebessert.“ Er legte einen Arm um ihre Schulter und entfernte sich mit ihr vom Stall. „Lass uns ins Haus gehen. Mal sehen, ob ich etwas zum Abendessen auftreibe.“

„Nicht nötig. Ich habe dir Schmorfleisch mitgebracht. Es steht in der Küche und muss nur noch aufgewärmt werden.“

Jake bedankte sich mit einem anerkennenden Blick. „Du hast gekocht? Dann musst du dich besser fühlen.“

„Ich sorge nur gern dafür, dass mein Sohn anständig isst“, entgegnete sie leise.

Jakes Haus lag etwa fünfzig Yards von den Ställen und Schuppen entfernt. Obwohl er langsam ging, um seiner Mutter nicht vorauszueilen, atmete sie schwer, als sie schließlich die Hintertür erreichten und die Küche betraten.

Am liebsten hätte er sie geschüttelt, weil sie die Anweisungen ihres Arztes ignorierte, sich mit regelmäßigen Spaziergängen in Form zu halten. „Setz dich, Mom. Ich stelle alles auf den Tisch.“

Sie tat wie geheißen, und Jake machte sich daran, Teller, Besteck und Gläser aufzudecken.

Während er das Fleisch und das Gemüse in der Mikrowelle aufwärmte, sagte Clara: „Ich habe gestern mit Quints Mutter telefoniert. Sie sagte, sie habe zu Hause auf Mauras Babys aufgepasst, während du auf der Beerdigung von Abes Nachbarin warst.“

„Das stimmt. Gertie O’Dell ist gestorben. Gestern war die Beerdigung. Ich glaube nicht, dass du sie gekannt hast. Die Frau hat ihr Haus fast nie verlassen. Sie lebte sehr zurückgezogen.“

„Nein, an den Namen erinnere ich mich nicht“, sagte Clara nachdenklich. „Was hat ihr denn gefehlt?“

Jake wollte seiner Mutter nicht sagen, dass Gertie O’Dell an Herzversagen gestorben war. Er wollte ihr Gefühl, dass sie wie Gertie auf ihr Totenbett zusteuerte, nicht noch verstärken. „Ich bin mir nicht sicher“, sagte er ausweichend. „Irgendeine längere Krankheit.“

Da nun alles auf dem Tisch stand, nahm er schräg gegenüber von seiner Mutter Platz und schenkte ihnen etwas von dem gesüßten Tee ein.

„Ich frage mich, was mit dem Grundstück geschieht“, fragte Clara, während sie Essen auf ihren Teller schaufelte. „Ohne einen Ehemann oder Kinder wird wohl irgendein entfernter Verwandter das Haus verkaufen.“

Rebeccas Abbild drängte sich vor Jakes inneres Auge. Er sah, wie die Tränen in ihren blauen Augen schimmerten. Und ihre schmalen Schultern, die durch ihr Schluchzen spürbar erbebten.

Jake war regelrecht schockiert gewesen, als sie in seine Arme gesunken war.

Um dieses Gefühl abzuschütteln, konzentrierte er sich wieder auf seine Mutter. „Du hast wahrscheinlich recht. Es wird nicht sonderlich schwer sein, das Grundstück zu verkaufen. Das Land grenzt an die Apache Wells. Abe würde sicherlich gern über einen fairen Preis verhandeln und das Land übernehmen, statt es irgendeinem Makler zu überlassen.“

„Vielleicht sollte jemand Gerties Verwandtschaft darüber informieren“, schlug Clara vor. „Die wären wahrscheinlich dankbar, wenn man ihnen einen Käufer auf dem Silbertablett liefert.“

Als Rebecca Hardaway erwähnt hatte, dass sie einen Makler suchen wollte, um das Haus zu verkaufen, hätte Jake sie vielleicht darauf hinweisen sollen, dass das nicht nötig war. Abe würde das Grundstück kaufen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Doch irgendetwas hatte ihn davon abgehalten. War es Egoismus? Die Hoffnung, Rebecca Hardaway würde so länger als nötig in New Mexico bleiben? Die Chance, sie näher kennenzulernen? Zeit mit ihr zu verbringen, ihr vielleicht sogar körperlich näherzukommen?

Träum weiter, Jake. Rebecca hat vielleicht einmal ihren verführerischen Körper an deinen gedrückt. Ein zweites Mal wird es jedoch nicht geben. Bei eurer nächsten Begegnung wird sie keine Tränen in den Augen haben und dich als das sehen, was du in Wahrheit bist: ein Cowboy, der ihr kaum mehr bieten kann als eine kurze Affäre im Heu.

Er nahm das Steakmesser in die Hand und begann, rabiat das Fleisch zu bearbeiten. „Vielleicht tue ich das ja, Mom.“

 


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