Tausend Küsse für den Boss

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Libby braucht den Job! Sie muss den arroganten Patrick Kavanagh davon überzeugen, dass sie die Richtige ist: elegant genug für die Rezeption in seinem Luxusresort, sportlich genug, um die Hotelgäste bei ihren anstrengenden Outdoor-Ausflügen zu begleiten. Und Patrick gibt ihr eine einzige Chance. Bloß auf eines ist Libby nicht vorbereitet: Als sie zum ersten Mal mit ihm allein in der Wildnis unterwegs ist, küsst er sie heiß - unter tausend Sternen. Doch dann öffnet er die Augen, und Libby glaubt, darin immer noch Zweifel zu lesen …


  • Erscheinungstag 19.09.2017
  • Bandnummer 1994
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723903
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich möchte, dass du mich an meine Grenzen bringst. Damit ich dir zeigen kann, was in mir steckt. Bitte.“

Nachdenklich sah Patrick über die Papierstapel auf seinem Schreibtisch zu der Frau hinüber, die ihm gegenübersaß. Auf den ersten Blick hätte man Libby Parkhurst für eine unscheinbare Person halten können. Mausbraunes Haar, unspektakuläres Gesicht und ein schlabberiges Outfit, das mindestens eine Nummer zu groß für ihren zierlichen Körper war. Kurzum, keine Frau, nach der man sich auf der Straße umdrehte – wären da nicht diese Augen gewesen …

Sie waren von einem wunderbaren Grün und ließen ihn unwillkürlich an einen romantischen Waldspaziergang an einem sonnigen Sommertag denken.

Patrick räusperte sich. Vermutlich war seine Gesprächspartnerin sich überhaupt nicht bewusst, wie zweideutig ihre Bemerkung geklungen hatte. In erster Linie war er ein entfernter Bekannter der Familie, denn seine und Libbys Mutter waren lange Zeit miteinander befreundet gewesen. Jetzt sollte er allerdings auch noch Libbys Arbeitgeber werden.

„Ich weiß dein Angebot sehr zu schätzen, Libby“, erwiderte er. „Aber ich denke, wir beide wissen, dass dies nicht der richtige Job für dich ist. Vermutlich verstehst du nicht ganz, welche Anforderungen die zukünftige Stelleninhaberin erfüllen muss.“

Patricks Stellvertreterin Charlise würde schon bald für sechs Monate in Elternzeit gehen. Daher benötigte Patrick einen Ersatz – und zwar sofort. Bei der Suche nach einer Vertretung hatte er sich ein bisschen zu viel Zeit gelassen, weshalb seine resolute Mutter Maeve Kavanagh ihn kurzerhand zu einem Bewerbungsgespräch mit Libby genötigt hatte.

Die junge Frau setzte sich aufrecht hin und nestelte nervös mit den Händen in ihrem Schoß. Sie wirkte ein wenig verzweifelt. „Doch, das verstehe ich“, entgegnete sie. „Maeve hat mir die Position detailliert beschrieben. Ich bin sicher, dass ich nach einer gründlichen Einarbeitung alle Aufgaben zufriedenstellend erledigen kann.“

Patrick besaß ein Luxusresort mit Namen Silver Reflections, das gestressten Managern die Möglichkeit bot, sich inmitten der friedlichen Berglandschaft North Carolinas zu erholen. Darüber hinaus leitete er Teambildungsübungen mit Extremsportcharakter in der freien Natur, die den Teilnehmern ihre Grenzen aufzeigten und das Miteinander förderten.

Für die dynamische Charlise hatte es kein Problem dargestellt, ihn auch bei diesen Aufgaben zu unterstützen – und obwohl Patrick insgeheim Bewunderung für Libbys Entschlossenheit hegte, bezweifelte er, dass sie den anspruchsvollen Survivaltrips körperlich und mental gewachsen war.

„Libby …“ Er seufzte, während er überlegte, wie er die Absage so formulieren sollte, dass er Libbys Gefühle nicht zu sehr verletzte.

Die junge Frau sah ihn flehentlich an. „Ich brauche diesen Job, Patrick“, sagte sie eindringlich. „Und das weißt du.“

Natürlich wusste er das. Immerhin hatte die Regenbogenpresse den Skandal um ihren Vater gründlich ausgeschlachtet. Libbys Dad war vor einem Jahr wegen millionenschwerer Steuerhinterziehung zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Vor acht Wochen hatte sich dann auch noch Libbys Mutter nach der monatelangen Hetzjagd durch die Reporter und dem finanziellen Absturz das Leben genommen.

Innerhalb eines Wimpernschlags war aus der reichen Erbin Libby Parkhurst eine mittellose Frau ohne nennenswerte Qualifikationen geworden – denn die Dreiundzwanzigjährige konnte weder Berufserfahrung noch einen überzeugenden Lebenslauf vorweisen.

„Außerdem würde dir die Arbeit ganz bestimmt nicht gefallen“, wagte Patrick einen weiteren Versuch.

Unbeirrt sah sie ihn an. „Ich weiß, dass deine Mutter dich gezwungen hat, mich zu diesem Bewerbungsgespräch einzuladen. Aber ich habe nichts zu verlieren. Kein Zuhause. Keine Familie. Kein Vermögen. Es ist alles weg. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich auf mich angewiesen. Ich bin bereit, mich dieser Herausforderung zu stellen – aber dafür muss mir jemand eine Chance geben.“

Verdammt. Mit ihrer tapferen Ansprache landete sie einen Volltreffer bei ihm, was schon seit Jahren niemandem mehr gelungen war. Sofort ärgerte Patrick sich über seine weiche Seite. Weshalb um Himmels willen sollte er Libby Parkhurst zu seinem Problem machen? Was dachte sich seine Mutter eigentlich dabei, ihn den Babysitter für ihren Schützling spielen zu lassen?

Seufzend sah er aus dem Fenster und betrachtete die Bäume, deren kahle Äste in den trüben Januarhimmel ragten. In diesem Teil von North Carolina hatte der Winter die Natur noch fest im Griff. Es würden wenigstens acht Wochen vergehen, bevor die ersten Extremabenteurer im Silver Reflections eintrafen. In der Zwischenzeit würde Libby sicherlich die wesentlichen Grundzüge des Hotelempfangs gelernt haben – Reservierungen entgegennehmen, die Gäste begrüßen, für die Erfüllung ihrer Wünsche sorgen.

Doch selbst wenn er Charlises Arbeitsbereich aufteilte und Libby nur die einfachen Aufgaben erledigen ließ, brauchte er immer noch jemanden für die Outdoor-Aktivitäten. Und woher sollte er den auf die Schnelle bekommen – noch dazu für eine befristete Tätigkeit?

Während er überlegte, blickte Libby ihn bittend an. Er entschied sich, eine andere Taktik zu probieren, um sie abzuschrecken.

„Unsere Klienten kommen in der Regel alle aus der High Society“, gab er zu bedenken. „Ich brauche jemanden, der sich auch dementsprechend zu kleiden versteht.“

Obwohl ihre Wangen sich leicht röteten, blieb Libby standhaft. „Ich habe die Businesspartys meiner Eltern geplant und ausgerichtet und bin durchaus in der Lage, mein Outfit den Anforderungen anzupassen.“

Wortlos betrachtete er ihre leicht zerknitterte Kleidung und zog eine Augenbraue hoch.

Erst jetzt senkte Libby den Blick. „Ich schätze, mir fällt es schon gar nicht mehr auf, wenn ich diese Sachen trage“, gestand sie leise. „Ich bin schon so lange auf der Flucht vor den Journalisten, dass diese Verkleidung beinahe ein Teil von mir geworden ist.“

Er zuckte beschämt zusammen, als ihm bewusst wurde, wie sehr sein abfälliger Blick sie verletzt haben musste. Unerklärlicherweise verspürte er den unwiderstehlichen Drang, sein Verhalten wiedergutzumachen und ein Lächeln auf Libbys Gesicht zu zaubern.

„Versuchen wir es mit einer Probezeit“, sagte er. „Ich kann dir aber nichts versprechen.“

„Du stellst mich wirklich ein?“ Fassungslos starrte Libby ihn an.

Als er den freudigen Glanz in ihren grünen Augen bemerkte, fiel sein letzter Widerstand in sich zusammen. „Aber nur auf Zeit“, wiederholte er. „Charlise verlässt uns in zwei Wochen. Bis dahin kann sie dir zeigen, wie wir die Dinge hier handhaben. Wenn es wärmer wird, führe ich dich in unsere Outdoor-Aktivitäten ein. Ende Februar sehen wir dann weiter.“

Obwohl sie sich selten begegnet waren, kannte er Libby fast schon sein ganzes Leben lang. Patrick war dreißig, sie sieben Jahre jünger. Er erinnerte sich, sie das letzte Mal gesehen zu haben, als Maeve ihn und seine Brüder nach New York zu einem Eishockeyspiel mitgenommen hatte. Bei der Gelegenheit hatten sie die Parkhursts besucht.

Libby war ein schüchternes rothaariges Mädchen mit einer Zahnspange und Pferdeschwanz gewesen. Patrick hatte sich damals viel zu cool gefühlt, um ihr Beachtung zu schenken.

Jetzt saß sie hier vor ihm, sah ihn glücklich an, und die Wirkung ihres Lächelns verblüffte ihn.

„Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir“, sagte sie.

Wie hatte er sie jemals für farblos halten können? Um seine Überraschung zu verbergen, senkte er den Blick und schrieb rasch einige Zahlen auf ein Stück Papier, das er schließlich zu Libby hinüberschob. „Das ist dein Gehalt“, erklärte er in geschäftsmäßigem Tonfall. „Du kannst Montag anfangen.“

Als sie die Summe las, sah sie auf einmal betroffen aus.

„Ich weiß, dass es nicht besonders viel ist“, sagte er entschuldigend. „Aber ich glaube, es ist trotzdem ein ganz faires Angebot.“

„Natürlich.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich musste nur daran denken, wie meine Familie früher mit dem Geld um sich geworfen hat.“

„Es ist bestimmt hart …“, meinte er, „… nach einem Leben im Luxus plötzlich auf das Geld achten zu müssen.“

„Ja.“ Sie steckte das Papier in ihre Tasche. „Aber nicht so, wie du vielleicht denkst. Am schlimmsten für mich ist, herauszufinden, wie wenig ich vom praktischen Leben weiß. Meine Eltern haben mich immer verwöhnt. Ich habe keine Ahnung, wie man kocht oder wie viel ein Liter Milch kostet. Ich schätze, ich bin eine ziemlich nutzlose Person.“

Ohne darüber nachzudenken, griff er nach ihrer Hand und drückte sie sanft. Irgendetwas an dieser jungen Frau weckte seinen Beschützerinstinkt. „Niemand ist nutzlos, Libby. Du hast ein ziemlich hartes Jahr hinter dir. Es tut mir wirklich sehr leid wegen deiner Mutter.“

„Danke.“ Sie runzelte die Stirn. „Vielleicht sollte ich dir sagen, dass es nicht besonders überraschend gekommen ist. Ich habe sie vorher wochenlang zu Therapiesitzungen gefahren. Seit der Gerichtsverhandlung meines Vaters hat sie zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Letzten Endes hat sie es wohl einfach nicht mehr ausgehalten und sich entschlossen, doch von dieser Welt zu gehen, anstatt bei mir zu bleiben.“

„Suizid ergibt leider nie einen Sinn für die, die zurückbleiben. Ich bin sicher, dass deine Mutter dich geliebt hat.“

„Vielen Dank für deine Anteilnahme.“

Patrick war mächtig beeindruckt von Libbys Stärke. Sie hätte jedes Recht gehabt, sich zu bedauern und um Hilfe zu bitten. Stattdessen schien sie fest entschlossen, sich selbst zu helfen.

„Meine Mutter hält große Stücke auf dich, Libby“, sagte er. „Ich glaube, insgeheim hat sie sich immer eine Tochter gewünscht.“

„Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne sie getan hätte.“

Daraufhin schwiegen sie betreten, denn wie sie beide wussten, hatte er Libby nur auf Drängen seiner Mutter zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach wie vor war er davon überzeugt, dass Libby schon bald erkennen würde, dass sie den körperlichen Anforderungen des Jobs im Silver Reflections nicht gewachsen war. Charlise war ein athletischer Outdoorfan – Libby wirkte im Vergleich zu ihr wie eine zarte Blume, die unter großer Belastung bestimmt einknicken würde.

In den folgenden zwei Wochen fragte Patrick sich allerdings, ob er Libby vielleicht doch falsch eingeschätzt hatte. Wissbegierig stürzte sie sich auf ihr neues Aufgabengebiet im Hotel. Sie und Charlise waren sofort ein Herz und eine Seele, obwohl sie auf den ersten Blick nichts gemeinsam zu haben schienen.

Charlise schwärmte von ihrer Natürlichkeit, ihrem freundlichen Wesen und ihrem Geschick im Umgang mit der hoteleigenen EDV.

An einem Freitagmorgen, als Libby bereits seit zwei Wochen auf seiner Gehaltsliste stand, suchte er Charlise in ihrem Büro auf.

„Und?“, fragte er und lehnte sich gegen die Wand, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Was meinst du? Hat sie das Zeug zu deinem Job?“

Charlise lehnte sich auf dem Bürostuhl zurück und legte zufrieden die Hände auf den Babybauch. „Das Mädchen ist ein Naturtalent und kommt bestens bei den Gästen an. Ich kann also guten Gewissens gehen.“

„Und was ist mit den Outdoor-Aktivitäten?“

„Hm“, machte Charlise. „Da ist sie vielleicht ein bisschen schwächer aufgestellt.“

„Der Empfang ist schließlich nur ein Teil der Arbeit hier bei uns im Resort“, erinnerte Patrick sie. „Du weißt doch, wie anstrengend es selbst für uns beide ist, wenn wir mit einer Gruppe rausgehen.“

„Natürlich. Allerdings ist Libby wirklich sehr engagiert – und das darf man nicht unterschätzen.“

„Ich weiß nicht so recht“, entgegnete Patrick. „Bis vor einem Jahr hat sie ihre Zeit bestimmt ausschließlich in teuren Schönheitssalons vertrödelt und Partys für die Geschäftsfreunde ihres Dads organisiert.“

Tadelnd sah Charlise ihn an. „Du bist ein Kavanagh, Patrick. Dir hat es nie an etwas gemangelt. Du müsstest nicht arbeiten und hättest trotzdem bis an dein Lebensende ausgesorgt.“

„Das stimmt natürlich.“ Nachdenklich strich er sich über das Kinn. „Aber eine Sache wäre da noch. Ich habe Libby gesagt, dass sie passende Kleidung braucht, wenn sie hier arbeiten will, aber sie trägt immer noch diese schrecklichen Sachen.“

Charlise lachte. „Armer Patrick. Niemand macht, was du willst, hm?“ Dann wurde sie plötzlich ernst. „Sie möchte sich schon bald neue Sachen kaufen – von ihrem ersten Gehalt, das sie heute Nachmittag bekommt. Sie hat einfach nichts anderes, weil sie alles verkauft hat, um die Therapiesitzungen für ihre Mutter bezahlen zu können.“

„Oh, verdammt …“

„Genau.“

Nur selten zweifelte Patrick an seinen Entscheidungen. Maeve hatte ihren Söhnen beigebracht, ein ehrenwertes Leben zu führen und anderen Menschen mit Wertschätzung zu begegnen.

Er hatte Libby eingestellt – jetzt war es wohl an der Zeit, ihr zu zeigen, dass sie auch mit seiner Unterstützung rechnen konnte.

Libby schwebte wie auf Wolken. Nach Monaten der Unsicherheit und Verzweiflung hatte sie plötzlich wieder einen Grund, morgens aufzustehen. Sie fühlte sich zuversichtlich und gelassen.

Aus unerfindlichen Gründen hatte sie Patrick in den ersten beiden Wochen nur selten zu Gesicht bekommen. Charlise hatte den größten Teil ihrer Einarbeitung übernommen – was Libby sehr entgegenkam, denn sie war eine unkomplizierte und freundliche Frau, in deren Gesellschaft Libby sich wohlfühlte.

Sie kamen so gut miteinander aus, dass Libby aufrichtig bedauerte, Charlise ab der kommenden Woche nicht wiederzusehen. Kurz vor siebzehn Uhr ging sie in ihr Büro, um sich zu verabschieden.

Charlise packte gerade ihre Habseligkeiten in zwei Kartons. Sie war ganz gerührt von dem Geschenk, das Libby für ihren Sohn mitgebracht hatte, der schon bald das Licht der Welt erblicken würde. Angeregt unterhielten sich die beiden Frauen, bis es für Charlise Zeit war aufzubrechen.

„Du machst das schon“, sagte sie zu Libby. „Da bin ich ganz sicher. Aber einen Rat möchte ich dir noch mit auf den Weg geben.“

„Und welchen?“, fragte Libby neugierig.

„Lass dich bloß nicht von Patrick einschüchtern. Unter der rauen Schale steckt ein ganz sanfter Typ.“

„Das trifft mich jetzt aber tief“, erklang in diesem Augenblick Patricks männliche Stimme von der Bürotür her.

2. KAPITEL

Es war Libby entsetzlich peinlich, von ihrem Boss bei einem Gespräch über ihn ertappt zu werden, doch Charlise lachte nur.

Patrick ging zu der schwangeren Frau und küsste sie auf die Wange. „Sag deinem Mann, er soll mir unbedingt Bescheid geben, sobald ihr ins Krankenhaus fahrt. Und lass mich wissen, wenn ihr irgendetwas braucht – egal, was es ist.“

„Danke, Boss“, erwiderte sie gerührt.

„Es wird ohne dich nicht dasselbe sein“, meinte er.

„Hör auf oder ich fange an zu weinen. Diese Hormone machen mich ganz rührselig. Libby weiß alles, was ich weiß. Sie ist genau die Richtige für den Job. Davon bin ich fest überzeugt.“

„Ich glaube dir“, erwiderte Patrick lächelnd, bevor er sich an Libby wandte. „Wie wäre es mit Dinner heute Abend? Ich habe versucht, euch in der Einarbeitungszeit nicht im Weg zu sein, aber ich finde, jetzt sollten wir uns ein bisschen besser kennenlernen. Was meinst du?“

Libby spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Natürlich war das kein Date – aber Patrick Kavanagh war nun einmal ein sehr attraktiver und anziehender Mann. Er war groß, schlank, hatte wunderschöne graue Augen und widerspenstiges schwarzes Haar. Die glänzenden Locken bettelten förmlich danach, von den Fingern einer zärtlichen Geliebten glatt gestrichen zu werden. Libby war ziemlich sicher, dass sich unter seinem zivilisierten Auftreten und der Designerkleidung, die er bei der Arbeit trug, ein echter Kerl verbarg. Einer von der Art, die Frauenherzen höher schlagen ließ …

Plötzlich begann ihr ganzer Körper zu prickeln. „Das wäre nett“, erwiderte sie und räusperte sich verlegen.

Charlise nahm ihre Tasche und eine kleine Schachtel, während Patrick den großen Karton hochhob und ihr ins Freie folgte. Als Libby den beiden nachging, zog sie den Pullover fester um die Schultern, während sie beobachtete, wie Patrick den Karton in Charlises Wagen lud.

Kurz darauf klingelte sein Handy, und als er den Anruf entgegennahm, winkte Charlise sie zu sich. Sie hatte sich bereits hinter das Steuer gesetzt und das Fenster heruntergelassen.

„Lass dich nicht von ihm einschüchtern“, riet sie Libby leise. „Du bist manchmal viel zu nett. Wenn es nötig ist, widersprich ihm ruhig.“

„Warum sollte ich das tun? Er ist schließlich mein Boss …“

Lachend startete Charlise den Motor. „Weil er manchmal ziemlich von sich selbst eingenommen ist. Alle männlichen Kavanaghs sind so. Sie sind wahnsinnig sexy, müssen aber hin und wieder in ihre Schranken gewiesen werden. Vertrau mir, Libby. Alphamänner sind wie Raubtiere – sie wittern es, wenn du Angst vor ihnen hast. Zeig ihnen also nie, dass du dich fürchtest.“

„Jetzt bekomme ich es aber doch ein bisschen mit der Angst zu tun“, erwiderte Libby scherzend.

„Ich kenne Patrick schon sehr lange und bin mir ganz sicher, dass du dir seinen Respekt verdienen wirst. Mach dir bitte keine Sorgen wegen dieses Survivaltrainings. Was kann schon Schlimmes passieren?“

Beklommen sah Libby Charlises Auto nach und wurde das seltsame Gefühl nicht los, plötzlich ihre einzige Freundin verloren zu haben. Dunkel und bedrohlich lag der Wald vor ihr, und rasch drehte sie sich zum hell erleuchteten Hotel um. Da Patrick immer noch telefonierte, kehrte sie in ihr warmes Büro zurück.

Ungefähr zwanzig Minuten später sah Patrick bei ihr vorbei. „Können wir los? Wir sollten wohl besser mit zwei Wagen fahren. Umzuziehen brauchst du dich nicht – ich dachte an das Silver Dollar.“

Das Silver Reflections lag zehn Meilen von der Stadt entfernt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Berge thronte die imposante Silver Beeches Lodge – das traditionsreiche Familienhotel der Luxusklasse, das von Maeve Kavanagh und ihrem ältesten Sohn Liam geführt wurde. Von dort aus hatte man einen wunderschönen Blick auf den idyllischen Ferienort Silver Glen. Dort befand sich unter anderem auch der Silver Dollar Saloon, in dem Patricks Bruder Dylan Geschäftsführer war.

Zweifellos würde Libby mit ihrem Outfit in einer Westernbar nicht unangenehm auffallen.

„In Ordnung“, stimmte sie zu. „Dann bis gleich.“

Während der fünfundzwanzigminütigen Fahrt versuchte sie, ihre Aufregung in den Griff zu bekommen. Schließlich hatte sie den Job und ging nicht davon aus, dass Patrick sie jetzt noch feuern würde. Sie musste nur weiterhin alles richtig machen, bis die Survivaltrainings anstanden, und ihn dann davon überzeugen, dass sie auch diese Herausforderung meisterte.

In Silver Glen gab es im Winter stets eine Menge Schnee. Ein weiterer Vorteil des Ortes lag darin, dass sich kaum Paparazzi hierher verirrten. Deswegen war es nicht ungewöhnlich, dass man auf den Straßen berühmten Schauspielern oder Musikern begegnete.

Nach ihrer Ankunft wartete Libby vor der Außenveranda auf Patrick. Obwohl es hier ganz anders zuging als in ihrer Heimatstadt New York, liebte sie die gesellige Atmosphäre in Silver Glen und fühlte sich bereits wohl in der Kleinstadt.

Auf Empfehlung von Maeve hin hatte Libby ihr Apartment in Manhattan aufgegeben, um in der Abgeschiedenheit North Carolinas einen Neuanfang zu wagen. Und tatsächlich: Mit jedem Tag, den sie in dem hübschen Urlaubsort verbrachte, fühlte sie sich heimischer und konnte sich nur noch schwer vorstellen, wie ihr Leben in der Metropole New York gewesen war.

Nachdem Patrick ebenfalls eingetroffen war, betraten sie den gut besuchten Saloon. Sie hatten sich gerade gesetzt und ihre Getränkebestellung aufgegeben, als Dylan an ihren Tisch kam. Der gut aussehende Saloonbesitzer war der zweitälteste der sieben Brüder aus der Familie Kavanagh.

„Erinnerst du dich noch an Libby Parkhurst?“, fragte Patrick seinen Bruder, der Libby lächelnd ansah und ihr freundlich die Hand schüttelte.

„Natürlich“, entgegnete Dylan und wurde plötzlich ernst. „Es tut mir wirklich leid wegen deiner Mutter. Wir haben hier im Silver Dollar ein Apartment in der oberen Etage. Ich stelle es dir gern so lange mietfrei zur Verfügung, bis du wieder auf die Füße gekommen bist.“

Misstrauisch betrachtete Libby ihn. „Hat deine Mutter dich etwa auch dazu gezwungen, mir das anzubieten?“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Dylan, der ein bisschen so wirkte, als wäre er mit einer Hand in der Keksdose erwischt worden.

Nachdenklich sah Libby die beiden Brüder an. Offenbar war sie zum Familienprojekt der Kavanaghs geworden. „Aber nur, wenn Maeve nicht beleidigt ist“, erwiderte sie schließlich. „Ich bewohne zurzeit nämlich ein nettes kleines Zimmer in ihrem Hotel.“

Dylan schüttelte den Kopf. „Das ist sie ganz bestimmt nicht.“ Er machte eine kurze Pause. „Glaub mir. Sie hat sich nur gedacht, dass du vielleicht ein bisschen Privatsphäre haben möchtest.“

Aufmerksam beobachtete Patrick den Ausdruck in Libbys Gesicht. Sicher war ein Apartment über einer Bar nicht das, was sie gewohnt war. Allerdings hatte er auch keine Ahnung, was sie seit der Verurteilung ihres Vaters durchgemacht hatte.

Da Dylan inzwischen zur Bar zurückgekehrt war, um nach dem Rechten zu sehen, fragte Patrick aus einem Impuls heraus: „Magst du mir von deinem letzten Jahr erzählen?“

Libby trank einen Schluck Cola und betrachtete die bunte Gästeschar, die den Saloon an diesem Freitagabend bevölkerte. Obwohl ihr Kinn verriet, dass sie auch eigensinnig sein konnte, waren ihre Gesichtszüge weich und feminin. Patrick hätte darauf gewettet, dass sie nach einer Nacht in den Wäldern bestimmt einsah, nicht für das raue Leben in der Wildnis gemacht zu sein.

Als sie ihn aus diesen wundervollen grünen Augen ansah, spürte er jedoch plötzlich ein seltsames Gefühl in der Brust. Es kam ihm so vor, als würde er sie zum ersten Mal richtig sehen, und Erregung durchflutete seinen Körper. Hastig verdrängte er dieses Gefühl. Maeve würde es ihm nie verzeihen, wenn er sich an ihren Schützling heranmachte. Außerdem war Libby überhaupt nicht sein Typ – so ganz und gar nicht.

Traurig lächelte sie. „Es ist schrecklich gewesen – traumatisierend und lehrreich zugleich. Glücklicherweise hatte meine Mutter noch ein paar Wertanlagen, die auf ihren Namen liefen, weswegen wir uns ein kleines Apartment leisten konnten. Aber das Geld hat vorne und hinten nicht gereicht. Ich wollte mir Arbeit suchen, doch Mom hat darauf bestanden, dass ich bei ihr bleibe. Ich schätze, nachdem wir alles verloren hatten, hat sie sich noch verletzlicher und schwächer gefühlt.“

„Was ist mit deinem Vater?“

„Wir hatten ein paarmal Kontakt zu ihm. Doch wir haben es nicht übers Herz gebracht, ihn zu besuchen. Dafür haben wir uns beide viel zu sehr von ihm betrogen gefühlt. Ich schätze, das wirft kein gutes Licht auf mich, oder?“

Patrick schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Ein Mann hat die Pflicht, für seine Familie zu sorgen. Das hat dein Vater nicht getan – und dazu noch euer Vertrauen missbraucht. Ich kann dich also gut verstehen.“

„Du sprichst aus Erfahrung, habe ich recht?“, fragte sie. „Mom hat mir erzählt, was damals geschehen ist.“

Inzwischen tat es Patrick leid, das Thema angesprochen zu haben. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Libby ihm nun ihrerseits Fragen stellte. Vor vielen Jahren war sein Vater Reggie Kavanagh besessen von der Idee gewesen, eine alte Silbermine wiederzufinden.

Seine Besessenheit hatte ihn letzten Endes die Familie und sogar das Leben gekostet.

„Ich bin damals noch ein kleiner Junge gewesen“, antwortete Patrick. „Meinen Bruder Liam hat es am schlimmsten getroffen. Aber ich verstehe dich. Meine Mutter hätte wirklich jedes Recht gehabt, verbittert zu werden, aber sie hat alles darangesetzt, ihre sieben Kinder allein großzuziehen.“

„Ich wünschte nur, meine Ma wäre auch so stark gewesen wie deine“, sagte Libby leise. „Aber Maeve ist wirklich eine außergewöhnliche Frau.“

Patrick bereute seine unbedachte Bemerkung, die Libby offenbar als Kritik an ihrer Mutter aufgefasst hatte. Das hatte er keineswegs beabsichtigt. „Sie ist im Gegensatz zu deiner Mom aber auch nicht mittellos gewesen.“

„Das stimmt. Trotzdem hat sie Beachtliches geleistet. Mom ist nie eine besonders stabile und starke Persönlichkeit gewesen – selbst in ihren besten Zeiten nicht.“

„Das tut mir wirklich leid.“

„Tja, wir können uns unsere Familien eben nicht aussuchen“, erwiderte sie und lächelte traurig.

In diesem Moment erkannte er, wie viel ihr der Job im Silver Reflections bedeutete und wie niederschmetternd es für sie sein würde, beim Survivaltraining zu versagen. Doch besser, sie fand es so früh wie möglich heraus. Dann konnte sie sich in Ruhe nach einer Arbeit umsehen, die eher ihren Fähigkeiten entsprach. Schließlich war sie eine intelligente und organisierte Frau. Es gab ganz bestimmt einen Job, der perfekt zu ihr passte – nur leider nicht im Silver Reflections. Es war an der Zeit, Unausweichliches nicht länger vor sich herzuschieben.

Leise trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte. „Laut Wetterbericht soll es in ein paar Tagen milder werden.“

„Das habe ich auch gehört. Von Maeve weiß ich, dass ein früher Frühlingseinbruch hier nicht ungewöhnlich ist – leider hält er wohl nie lange an.“

„Das stimmt. Was hältst du davon, wenn wir die Gelegenheit nutzen und in den Wäldern übernachten? Dann kann ich dir zeigen, was auf dich zukommen würde.“

Plötzlich sah Libby aus wie ein verängstigtes Reh. „Wie? Schon so bald?“

„Ja. Wir könnten Montagmorgen aufbrechen und wären Dienstagnachmittag wieder zurück.“ Er fühlte sich ein wenig schuldig, sie derart unter Druck zu setzen. Doch je eher sie das hinter sich brachten, desto eher würde Libby die Wahrheit erkennen und sich nach einer neuen Arbeit umsehen, die sie wirklich glücklich machte.

Sie schluckte schwer. „Ich habe aber gar keine Trekkingausrüstung.“

„Mom und meine Schwägerinnen können dir bestimmt was leihen. An deiner Stelle würde ich mir nicht gleich etwas kaufen.“

„Weil du sowieso überzeugt davon bist, dass ich scheitere?“

Seiner Meinung nach gab es keinen Grund, lange um den heißen Brei herumzureden. „Ich denke, dir wird dabei klar, dass diese Arbeit eben doch nichts für dich ist.“

„Dann hast du deine Entscheidung also schon getroffen, sehe ich das richtig?“, fragte sie verärgert.

Ihr Wutausbruch überraschte ihn, denn diese Seite an ihr hatte er bisher noch nicht kennengelernt. „Nein.“ Stimmt das wirklich? fragte er sich insgeheim. „Ich habe dir einen Probelauf versprochen. Jetzt kommt er wegen des milden Wetters nur ein bisschen früher als ursprünglich geplant.“

„Gibst du mir eine Liste der Sachen, die ich benötige, oder kann deine Mom mir weiterhelfen?“

„Ich schicke dir eine E-Mail, aber Mom weiß schon ziemlich gut Bescheid.“

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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