Verwöhnt mit süßen Küssen

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Candy ist zutiefst unglücklich: Sie hat sich ausgerechnet in den gut aussehenden Gutsbesitzer Cameron Strythe verliebt. Niemals darf sie diesen Gefühlen nachgeben, denn er soll vor Jahren ihre Schwester sitzen gelassen haben, obwohl sie schwanger war. Hat sie tatsächlich ihr Herz an einen eiskalten Verführer verloren?


  • Erscheinungstag 05.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756840
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Wenn dieser verrückte Hund nicht in dreißig Sekunden von meinem Grundstück verschwunden ist, werde ich ihn erschießen!“

Voller Entsetzen drehte Candy sich so hastig um, dass sie fast von der brüchigen alten Steinmauer gefallen wäre, auf der sie in der leider noch viel zu schwachen Märzsonne gesessen hatte. Der Mann hinter ihr war genauso groß und imposant, wie der harte Befehlston seiner Stimme vermuten ließ.

„Wie bitte?“ Candys Empörung besiegte ihre Angst. „Ich habe das Recht, hier zu sein! Was glauben Sie, wer Sie sind?“

„Oh, ich weiß genau, wer ich bin.“ Der Mann schnippte mit den Fingern, und die beiden schwarzen Labradors, die ihn begleiteten, setzten sich wie zwei Statuen an seine Seite. „Die Frage ist, wer sind Sie? Und übrigens, es bleiben Ihnen noch exakt vier Sekunden, um diesen Witz von einem Hund zur Ordnung zu rufen.“

Ihr Blick schweifte von dem dunklen, bärtigen Gesicht hinab zu dem Gewehr in den behandschuhten Händen. Er meint es ernst! durchzuckte es sie. Der Kerl würde Jasper erschießen!

„Jasper!“, schrie sie angstvoll.

Der verspielte Golden Retriever hielt sofort in seinem Herumtollen inne, hob den Kopf und jagte dann ungestüm den grasbewachsenen Hang hinauf. Mit einem Satz überquerte er die Mauer und landete neben seinem Frauchen. Seine braunen Augen blickten fragend, die lange Zunge hing wie immer weit heraus, was ihm einen komischen Anblick verlieh. Die beiden Labradors jedenfalls würdigten ihn keines Blickes, als er interessiert in ihre Richtung schnupperte.

Candy beugte sich über ihn, um ihn anzuleinen, und Jasper sah sie vorwurfsvoll an, als sie ihm die Kette über den Kopf streifte. Es war Jahre her, seit er eine derartige Demütigung hatte erdulden müssen, und dazu noch vor zwei fremden Hunden!

„Ist Ihnen nicht klar, dass dort auf der Weide Mutterschafe sind, die kurz vor dem Ablammen stehen?“ Die tiefe Stimme kam ihr seltsam bekannt vor, aber Candy blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. „Ich nehme an, Sie sind eine Städterin, die sich ein wenig Landluft um die Nase wehen lässt?“

Diese geringschätzige Bemerkung quittierte Candy mit einem wütenden Ausruf, und sofort begann Jasper drohend zu knurren. Er begriff zwar nicht, was vor sich ging, war aber immer hellwach, wenn es darum ging, sein Frauchen zu verteidigen. Die beiden schwarzen Wachhunde sollten gleich merken, dass in diesem Punkt mit ihm nicht gut Kirschen essen war!

„Ob Sie es glauben oder nicht, aber ich bin hier in Downdale aufgewachsen!“ Candys Stimme bebte vor Zorn. „Ich weiß genau, was sich auf dieser Weide befindet, wie auch auf allen Weiden ringsum. Jasper ist mit Farmtieren groß geworden. Es würde ihm nie in den Sinn kommen, ein Schaf zu jagen. Und wir haben die Erlaubnis, uns auf diesem Land aufzuhalten!“, fügte sie voller Überzeugung hinzu.

Die blauen Augen des Mannes blitzten eisig. „Tatsächlich?“, fragte er spöttisch. „Das bezweifle ich, denn ich müsste es immerhin wissen, wenn ich es einem so verantwortungslosen Menschen erlaubt hätte, über meine Weiden zu spazieren.“

„Das sind nicht Ihre Weiden!“ Empört schob Candy die Kapuze ihres schweren, dicken Dufflecoats zurück. Der schneidende Wind, der über die Hügel hinabfegte, zauste ihr langes rotes Haar und trieb ihr die seidigen Strähnen ins Gesicht. „Das Land gehört Colonel Strythe, der …“

„Colonel Strythe ist tot“, warf der Mann ungerührt ein.

„Das weiß ich!“, entgegnete Candy heftig. Wie konnte dieser unangenehme Fremde derart gefühllos über den Tod des Colonels reden, der als Arbeitgeber und alter Freund ihres Vaters praktisch zur Familie gehört hatte? „Zufällig war ich vergangenen Mittwoch auf seiner Beerdigung. Bis man aber den Sohn ausfindig gemacht hat, gelten noch die alten Regeln des Colonels …“ Sie verstummte betroffen, als sie dem Blick des bärtigen Fremden begegnete. Diese Augen! Warum hatte sie sie nicht schon früher erkannt? Von allen Menschen, die sie kannte, besaß nur Cameron Strythe Augen von einem so klaren, eisigen Blau. Oh ja, sie erinnerte sich nur zu gut an diese Augen! Und natürlich an die Stimme, deren tiefen, markanten Klang sie damals als Heranwachsende so ungemein attraktiv gefunden hatte.

„Wie ich sehe, muss ich mich wohl nicht mehr vorstellen. Trotzdem, Cameron Strythe, zu Ihren Diensten, Miss …?“

Candy ignorierte die unausgesprochene Frage und starrte ihn stattdessen an, als sei er der Teufel selbst. Wie hatte er sich verändert! Sie erinnerte sich an einen großen, glatt rasierten jungen Mann mit einem gewinnenden Lächeln und einem unwiderstehlichen Charme. Das Gesicht dieses Mannes war von der Sonne tief gebräunt, die Spitzen des langen dunklen Haars fast blond gebleicht. Nein, diese wilde, verwegene Gestalt hatte mit dem gewandten Hochschulabsolventen von einst nichts mehr gemein.

„Seit wann bist du zurück?“ Es war ein entsetztes Flüstern, das der stürmisch auffrischende Wind davontrug. Candy schluckte und wiederholte ihre Frage etwas lauter.

Cameron sah sie forschend an. „Kennen wir uns?“

Ob sie sich kannten? Unter anderen Umständen hätte Candy laut gelacht. Als sei es gestern gewesen, erinnerte sie sich an den Tag, als er das letzte Mal ins Haus gekommen war, um Michelle, ihre Schwester, zu treffen. Die beiden waren verlobt gewesen, und die Hochzeit hatte in wenigen Wochen stattfinden sollen. In Candys Schrank hatte bereits das Brautjungfernkleid gehangen, ein kleiner Traum aus rosa Taft und Tüll. Plötzlich sah sie es in allen Einzelheiten vor sich, bis hin zu den gestickten Rosenknospen am Saum. Es war eine zauberhafte Kreation gewesen, die das Herz der damals Zwölfjährigen hatte höher schlagen lassen. An besagtem Abend aber war es zu der hässlichen Szene zwischen Cameron und Michelle gekommen, und Cameron war fortgegangen. Wenige Wochen später hatte es sich nicht mehr verheimlichen lassen, dass Michelle schwanger war, und sechs Monate darauf war Jamie geboren worden. Die ganze Sache hatte Michelle das Herz gebrochen und ihre Eltern vorzeitig altern lassen.

Und dieser Mann war der Urheber all diesen Unglücks!

„Was ist los?“ Cameron, der sah, wie blass Candy geworden war, machte besorgt einen Schritt auf sie zu.

„Komm mir nicht zu nahe!“ Ihr hasserfüllter Ausruf ließ ihn verblüfft innehalten. „Du bist es nicht wert, Sohn deines Vaters genannt zu werden.“

Sein Gesicht erstarrte. Ehe er jedoch etwas erwidern konnte, rannte Candy schon den Hügel hinab. Ihre Füße flogen förmlich über das raue Gras, ihr rotes Haar wehte wie eine flammende Fahne im Wind, und Jasper tollte übermütig um sie herum.

Candy rannte den ganzen Weg bis nach Hause. Atemlos stürmte sie in das Wohnzimmer, wo ihre Eltern vor dem gemütlichen Kaminfeuer ein Sonntagsnickerchen hielten, bei dem ihnen die Katze Gesellschaft leistete.

„Candy!“ Ihre Mutter fuhr erschrocken aus dem Sessel hoch. „Was um Himmels willen ist los? Du hast mich halb zu Tode erschreckt!“

„Entschuldige …“ Candy blieb außer Atem mitten im Zimmer stehen. Ein Blick in ihr gequältes Gesicht genügte den Eltern, im nächsten Moment standen sie beide an ihrer Seite. Ihre Mutter legte den Arm um sie, ihr Vater redete besorgt auf sie ein.

„Was ist passiert, Candy? Ein Unfall? Ist dir etwas geschehen?“

„Ich habe ihn gesehen.“ Candy war selbst überrascht, dass diese alte Geschichte, die vor so langer Zeit passiert war, sie immer noch aus der Fassung bringen konnte. Es musste jetzt zehn Jahre her sein. Michelle war inzwischen glücklich verheiratet mit einem Mann, der verrückt nach ihr schien, und Jamie hatte noch zwei Geschwister bekommen. Und dennoch kam es immer wieder vor, dass Candy bei ihren Besuchen einen wehmütigen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer älteren Schwester bemerkte. Sie war sich sicher, dass Michelle in solchen Momenten an Cameron Strythe dachte, an den Mann, der ihr die Unschuld genommen und sie dann so schändlich im Stich gelassen hatte. Sie wusste nicht, ob Michelle ihn immer noch hasste, aber sie, Candy, tat es mehr denn je!

„Ihn?“ Ihr Vater schüttelte sie sacht. „Wen denn nur, um Himmels willen?“

„Cameron Strythe.“ Ihr Zorn war verraucht. Candy fühlte sich matt und den Tränen nahe. „Er­ … hat so gefühllos von Onkel Charles gesprochen, als ob ihn sein Tod überhaupt nicht berühre.“

„Vielleicht ist es so.“ Ihre Mutter seufzte. „Zehn Jahre sind eine lange Zeit, Candy. Menschen verändern sich. So oder so, es geht uns nichts an, oder?“

„Wie kannst du das sagen?“ Candy blickte fassungslos in die sanften blauen Augen ihrer früh ergrauten Mutter. „Nach allem, was er Michelle angetan hat?“

„Was zwischen deiner Schwester und Cameron vorgefallen ist, liegt lange zurück, und nur die beiden kennen die ganze Wahrheit“, sagte ihr Vater schroff und kehrte zu seinem Sessel vor dem Kamin zurück. „Es hat uns allen wehgetan, vor allem Charles, aber was vergangen ist, ist vergangen. Ich möchte nicht, dass alte Wunden wieder aufgerissen werden. Michelle ist glücklich, das weißt du genau. Und wenn Cameron sich entschließt, zurückzukommen und wieder hier zu leben, dann ist das sein gutes Recht. Immerhin hat er einen gewaltigen Besitz geerbt. Charles war ein sehr vermögender Mann.“

„Ich verstehe sowieso nicht, dass er alles ihm hinterlassen hat!“ Unwillig warf Candy Schal, Handschuhe und den dicken Dufflecoat auf den nächstbesten Stuhl und entpuppte sich nun als eine große, schlanke junge Frau, deren flammende Haarpracht in seidigen Kaskaden fast bis zu ihrer Taille hinabreichte.

„Red keinen Unsinn“, sagte ihr Vater scharf. „Charles liebte seinen Sohn. Cameron war alles, was er hatte. Lass dir nicht von alten Geschichten dein sanftes Gemüt vergiften, Kindchen.“

„Ha!“ Schmollend beugte sich Candy über Jasper, um ihm ein paar Kletten aus dem langen Fell zu entfernen. „Das war doch ironisch gemeint.“

„Mag sein.“ Über das Gesicht ihres Vaters huschte ein Lächeln. Er kannte natürlich das hitzige Temperament seiner jüngeren Tochter. „Wie dem auch sei, Cameron könnte sich durchaus entschließen hier zu bleiben, und in einem kleinen Dorf wie unserem würde ein offener Krieg das Leben für eine ganze Anzahl von Menschen sehr schwierig gestalten. Du musst die Vergangenheit ruhen lassen, Candy. Das ist mein Ernst.“

„Dad, ich bin eine achtbare Lehrerin von immerhin zweiundzwanzig Jahren“, erwiderte sie trocken. „Und als solche kann ich wohl selbst entscheiden, wie ich mich Cameron Strythe gegenüber verhalte, sollte ich ihn noch einmal wieder sehen.“

„Du wirst ihn wieder sehen“, warf ihre Mutter resigniert ein. „Wir alle werden das, und du solltest dich besser gleich an den Gedanken gewöhnen. Vergiss nicht, ihm gehört jetzt ein Großteil des Dorfes, und ob es dir gefällt oder nicht, sowohl der Job deines Vaters als auch dieses Haus liegen in seiner Hand.“

„Oh Dad!“ Candy sah ihren Vater betroffen an. Er war nicht nur der Verwalter der riesigen Farm des Colonels, sondern seinem verstorbenen Arbeitgeber auch von jeher in enger Freundschaft verbunden gewesen. Die beiden waren zusammen aufgewachsen, und für Candy hatte „Onkel Charles“ immer zur Familie gehört. Niemals hatte sie darüber nachgedacht, dass ihrer aller Lebensunterhalt von ihrer Beziehung zu den Strythes abhängig war. Auch ihr eigener Job als Dorfschullehrerin stützte sich in erheblicher Weise auf das „große Haus“, wie die Farm im Dorf respektvoll genannt wurde. Es war kein Geheimnis, dass die kleine Schule seit Jahren nur dank Onkel Charles’ finanzieller Unterstützung überlebt hatte, während man im Gemeinderat die Schließung befürwortete und die rund dreißig Schüler mit dem Schulbus in die nächstgelegene größere Schule transportieren wollte.

Candy wurde richtig schlecht. Warum hatte sie diese Möglichkeit nie bedacht? Sicher, Camerons Name war im stillschweigenden Einvernehmen aller Beteiligten seit Jahren nicht mehr genannt worden, trotzdem hätte ihr klar sein müssen, dass er als einziges Kind seines Vaters eines Tages alles erben würde. Es war für sie ein unerträglicher, unvorstellbarer Gedanke, ausgerechnet von ihm existenziell abhängig zu sein!

„Ich gehe nach oben, um mich umzuziehen. Vergesst nicht, David holt uns um sechs ab“, sagte sie kleinlaut und verließ den Raum.

Das war eine andere Geschichte, die ihr zu schaffen machte. David und sie waren von klein auf befreundet gewesen, wie alle Kinder in dem kleinen Ort. In jüngster Zeit aber schienen sich seine Gefühle ihr gegenüber in einer Weise gewandelt zu haben, die ihr zunehmend Unbehagen bereitete. Sie mochte ihn, natürlich, jeder mochte David. Aber eine romantische Beziehung?

Seufzend setzte sie sich vor den Frisiertisch in ihrem Zimmer. Unwillkürlich schweifte ihr Blick durch das Fenster hinaus über die malerische Landschaft von Devonshire mit ihren saftig grünen Weiden, dein friedlich grasenden Vieh und den sanften Hügeln im Hintergrund, die sie immer wieder bezauberte.

Nicht nur in diesem Punkt unterschied Candy sich von ihrer älteren Schwester. Michelle gab der Glitzerwelt der Großstadt den Vorzug und hatte es gar nicht erwarten können, dem „toten Nest“ zu entfliehen. Candy dagegen hatte während ihres Studiums in London die heitere, beschauliche Atmosphäre des kleinen Dorfs aus dem sechzehnten Jahrhundert mit seinen zumeist gelb verputzten, riedgedeckten Häuschen schmerzlich vermisst. Nach ihrem hervorragenden Examen hatte es Candy nicht an lukrativen Karriereangeboten gefehlt, doch sie hatte es vorgezogen, in ihren Heimatort zurückzukehren und die kleine Dorfschule zu übernehmen. So konnte Mrs. Jacobs, ihre Vorgängerin, endlich zusammen mit ihrem Mann den wohl verdienten Ruhestand genießen. Candy hatte ihre Entscheidung nie bedauert. Im Gegenteil, wann immer sie Michelle in deren todschickem, supermodernem Stadthaus besuchte, fühlte sie sich bestätigt.

Nein, wenn man einmal von Davids ungebetener Zuneigung absah, war Candy mit ihrem Leben insgesamt sehr zufrieden gewesen. Bis zu diesem Tag, an dem sie Cameron Strythe wieder begegnet war.

Als David pünktlich um sechs in seinem heiß geliebten, liebevoll gepflegten Oldtimer vorfuhr, waren Candy und ihre Eltern bereit. Auf der kurzen Fahrt wirkte David ungewöhnlich still, was aber Candy nur gelegen kam, denn sie war sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

In der Eingangshalle seines Elternhauses half David den Gästen aus ihren Mänteln und bat sie dann weiter in das geräumige Wohnzimmer mit seiner rustikalen Balkendecke.

„Übrigens, Mutter hat noch einen alten Bekannten von euch dazu eingeladen“, sagte er dabei sichtlich verzagt.

„Ach, ja?“ Candy horchte argwöhnisch auf. Mrs. Clarke war die größte Klatschtante des Dorfs und überdies die unglücklichste und unzufriedenste Frau, die Candy kannte. Sie liebte es ganz besonders zu intrigieren und wusste selbst die harmlosesten Ereignisse in einer Weise auszuschmücken, die man wirklich nur als bösartig bezeichnen konnte. Nicht zuletzt das war der Grund, warum die Clarkes nicht wirklich zum Freundeskreis von Candys Familie zählten, obwohl man auf einer oberflächlichen, geselligen Ebene miteinander verkehrte und sich von Zeit zu Zeit, wie auch an diesem Abend, gegenseitig zum Essen einlud.

Schon auf der Schwelle zum Wohnzimmer hörte Candy nun die markante, unverkennbare Stimme des anderen Gastes und fühlte sich für einen Moment versucht, auf dem Absatz kehrt zu machen und davonzulaufen. Doch dann meldete sich ihre angeborene Angriffslust, und sie hob trotzig den Kopf. Diese Frau! Sie hatte Cameron Strythe eingeladen, nur um sich an ihrer aller Reaktion zu weiden!

„Vivien, Ernest und meine liebe Candice!“ Mrs. Clarke kam mit einer theatralischen Geste auf sie zu. Die stechenden Augen in dem hageren Gesicht funkelten neugierig. „Wie schön, dass Sie da sind. Cameron kennen Sie ja sicher noch.“ Bei diesen Worten deutete sie auf den großen Mann, der schweigend hinter ihr stand.

Ein flüchtiger Blick verriet Candy, dass Cameron mindestens so überrascht war wie sie. Anscheinend hatte er ebenfalls keine Ahnung gehabt, wer die übrigen Gäste sein würden. Candy bemerkte auch, dass er inzwischen den Bart abrasiert hatte und sein dunkles Haar deutlich kürzer trug. Für einen Cameron Strythe war es offensichtlich kein Problem, an einem Sonntagnachmittag einen Friseur zu finden, der ihm zu Diensten stand! Der gepflegte, lässig gekleidete Mann, der ihr nun gegenüberstand, glich allerdings mehr dem Cameron von einst. Was es Candy noch leichter machte, ihn zu hassen.

„Er ist erst gestern Abend angekommen“, sagte Mrs. Clarke in das angespannte Schweigen hinein, wobei sie erwartungsvoll zwischen den Anwesenden hin und her blickte. „Und an seinem ersten Tag wieder im heimatlichen England, konnten wir ihn doch unmöglich allein lassen, nicht wahr?“ Sie lachte gekünstelt. „Ich nehme an, Sie wussten noch gar nicht, dass er wieder da ist?“

Die Frage war an Candys Mutter gerichtet, die wie vom Donner gerührt auf der Schwelle stehen geblieben war. Geistesgegenwärtig kam Candy ihr zu Hilfe, führte sie zu einem Sessel und winkte mit einem kleinen Lachen ab. „Oh, tatsächlich bin ich Cameron heute Nachmittag bereits begegnet“, erklärte sie betont gleichmütig.

„Wirklich?“ Camerons verwunderte Frage veranlasste Candy, sich ihm zuzuwenden. Sein Blick schweifte anerkennend über ihre flammend rote Haarpracht und die schlanke, langbeinige Figur, bevor er sich auf ihr herzförmiges Gesicht mit den ausdrucksvollen braunen Augen und dem sinnlichen Mund richtete. „Offensichtlich war ich zu weit entfernt, um dich zu bemerken.“

„Ganz und gar nicht.“ Candy gab sich nun keine Mühe mehr, ihre Abneigung zu verbergen. „Falls es dir entfallen ist, du hast gedroht, meinen Hund zu erschießen.“

Für einen Moment herrschte betroffene Stille. Dann lachte Mrs. Clarke affektiert auf. „Ach, die liebe Candice hatte schon immer einen etwas seltsamen Sinn für Humor!“

„Sie glauben mir nicht?“ Candy fuhr herum und sah die überraschte Mrs. Clarke herausfordernd an. „Fragen Sie ihn doch! Fragen Sie ihn, was er heute Nachmittag getan hat.“

„Du warst das?“, fragte Cameron ungläubig. „Ich hätte dich nicht wieder erkannt.“

„Ich war gut verpackt in einen Dufflecoat, Schal und Gummistiefel“, antwortete Candy eisig. „Aber ich war es, und es war mein Hund, den du zu erschießen drohtest!“ Sie betrachtete ihn spöttisch von Kopf bis Fuß. „Du hast dich für heute Abend ja auch etwas herausgeputzt.“

„Soso.“ Sein Gesicht nahm einen versteinerten Ausdruck an. „Das ist also das kleine Karottenköpfchen! Du hast dich wirklich sehr verändert.“

„Darauf kannst du wetten!“ Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Sekundenlang sahen sie sich streitlustig an, keiner schien bereit nachzugeben.

Candys Vater rettete die Situation. Er nahm Cameron beim Arm und forderte damit die Aufmerksamkeit des jüngeren Mannes.

„Es ist lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben, Cam“, sagte er mit der ihm eigenen offenen Freundlichkeit, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Cameron holte tief Luft, entspannte sich sichtlich und lächelte zögernd.

„Zu lange.“ Er wandte sich Ernest zu und schloss in sein Lächeln auch Vivien, nicht aber Candy ein. „Ich wollte morgen früh bei dir vorbeikommen, denn ich brauche deine Hilfe, um mich über den Stand der Dinge hier zu informieren.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Ernest herzlich, und Candy hörte es zornig und enttäuscht. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ihr Vater Cameron eine schallende Ohrfeige versetzt und wäre dann gegangen. Ernest aber tat nichts dergleichen, auch sehr zur Verärgerung von Mrs. Clarke, wie Candy bemerkte, als man sich kurz darauf zu Tisch setzte. Ihre Gastgeberin hatte offensichtlich auf eine heftige Szene gehofft und konnte ihre Enttäuschung kaum verhehlen.

Candy schaute zu David und stellte fest, dass der sich alle Mühe gab, ihrem Blick auszuweichen. Warum hatte er sie nicht vorgewarnt, dass sie auf Cameron treffen würden? Dumme Frage. Mummys braver Junge tat immer, was man ihm sagte. Das war nicht zuletzt der Grund, warum seine zunehmenden Annäherungsversuche Candy so sehr auf die Nerven gingen. Sie waren genauso zögerlich und halbherzig wie sein Verhalten gegenüber seiner Mutter, und eine willensstarke, entschlossene Persönlichkeit wie Candy begehrte instinktiv dagegen auf.

„Und wo haben Sie sich die vergangenen zehn Jahre versteckt, Cameron?“, fragte Mrs. Clarke katzenfreundlich, als der Krabbencocktail serviert war.

„Ich verstecke mich nie, Mrs. Clarke.“ Cameron sah sie direkt an, und sein Ton enthielt eine unmissverständliche Warnung. Davids Mutter senkte errötend den Kopf und tupfte sich sichtlich verärgert mit ihrer Serviette den Mund ab.

Erneut war es Candys Vater, der in die Bresche sprang. „Dein Vater erzählte mir, dass du einige Zeit auf den Ölbohrinseln gearbeitet und dir dann eine Farm in Australien gekauft hast“, sagte Ernest. „Wenn ich richtig informiert bin, warst du auf dem besten Weg, ein Vermögen zu machen, stimmt’s?“

„Die Dinge liefen ganz gut“, erwiderte Cameron kurz angebunden. Anscheinend war er nicht gewillt, im Rahmen dieses Essens über seine Privatangelegenheiten zu plaudern, was Candy ihm nicht verübeln konnte. Dagegen überraschte es sie zu hören, dass ihr Vater und Onkel Charles offenbar gelegentlich ohne Arg über Cameron gesprochen zu haben schienen.

„Wie sehen denn deine Zukunftspläne aus?“, erkundigte sich ihre Mutter, und Cameron wandte sich ihr mit einem offenen, herzlichen Lächeln zu. Candy durchzuckte es seltsam, als sie das warme Leuchten in seinen blauen Augen bemerkte. Plötzlich fühlte sie sich um Jahre zurückversetzt. Wie oft hatte er sich damals, als er mit Michelle verlobt gewesen war, Zeit für sie genommen, nicht selten zum Ärger ihrer großen Schwester. Ja, „Karottenköpfchen“ hatte er sie immer genannt. Sie hatte ihr auffallend rotes Haar sehr zum Entsetzen ihrer Eltern in einem jungenhaft kurzen Bürstenschnitt getragen, und Cameron war der Einzige gewesen, der ihr versichert hatte, es würde zu ihr passen. Und wenn er sie angesehen hatte, war in seinen Augen stets dieses warme, liebevolle Lächeln gewesen … Candy rief sich energisch zur Ordnung. Cameron Strythe war ein Mistkerl und herzloser Verführer, der Michelle und auch sie mit seinem Charme getäuscht hatte. Das durfte sie nie vergessen.

„Ich bin mir noch nicht sicher, Vivien“, antwortete er nun und sah sich im Kreis der Anwesenden um. „Auf jeden Fall wird es einige Veränderungen geben, aber für genauere Überlegungen hatte ich noch keine Zeit.“

„Veränderungen?“ Viviens Frage klang ein wenig angstvoll, und Candy hätte ihn allein dafür umbringen können, dass er ihre Mutter in Sorge versetzte.

„Nun, mein Vater war ein guter Mann, aber gelegentlich zu leichtgläubig und nachgiebig“, erklärte Cameron entschieden. „Da ist zum Beispiel die Schule. Nach meinem bisherigen Einblick in den Nachlass fließt eine beträchtliche Summe in diese Richtung. Da die Schule in Chitten nur wenige Meilen entfernt ist, erscheint es mir reichlich unsinnig, weiterhin Geld für den Erhalt eines recht baufälligen Gebäudes zu verschwenden. Die Gemeinde ist nicht bereit, auch nur einen Penny zuzuschießen, und befürwortet offenbar eine Schließung.“

Er wusste es natürlich! Candy zweifelte nicht einen Moment daran. Cameron wusste, dass sie die Lehrerin der kleinen Schule war, und machte sich einen Spaß daraus, mit ihr Katz und Maus zu spielen.

„Aber Candy unterrichtet dort“, warf ihre Mutter rasch ein. „Und die Kinder lieben sie.“

„Du bist die Lehrerin?“ Er sah sie kühl und fragend an, und Candy fühlte sich in ihrem Verdacht bestätigt. Ja, Cameron hatte es genau gewusst, sie las es in jedem Zug seines markanten, überheblichen Gesichts. „Du meine Güte.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das kurze dunkle Haar. „Nun, ich denke, wir werden uns zusammensetzen und darüber sprechen müssen, nicht wahr?“

Candy war zu wütend, um ihre Zunge im Zaum zu halten. „Ich bin sicher, Sie werden genau das tun, was Sie wollen, Mr. Strythe!“ Er hob spöttisch die Brauen, als sie ihn so ungewohnt förmlich anredete. „Das haben Sie schon vor zehn Jahren getan, und Sie können nicht aus Ihrer Haut heraus.“

Bei ihren letzten Worten schwand das spöttische Lächeln aus seinem Gesicht. Zu spät wurde Candy bewusst, was sie gesagt hatte.

Cameron durchbohrte sie mit einem vernichtenden Blick, bevor er sich seiner Gastgeberin zuwandte.

„Das Essen ist wirklich ganz vorzüglich, Mrs. Clarke. Mein Kompliment an die Köchin.“

Seine höflichen, beherrschten Worte trafen Candy wie eine Ohrfeige. Verlegen senkte sie den Kopf und fühlte sich plötzlich wie ein Kind, das ganz furchtbar ins Fettnäpfchen getreten war. Eine Weile wagte sie nicht, von ihrem Teller aufzublicken. Allmählich legte sich ihr Zorn, und sie fasste sich wieder. Cameron unterhielt sich inzwischen angeregt mit seinem Gastgeber, einem kleinen, sanftmütigen Mann, der normalerweise neben seiner boshaft intriganten Frau nicht zu Worte kam.

Vorsichtig wagte Candy einen verstohlenen Blick in Camerons Richtung. Er war mit den Jahren noch attraktiver geworden, wie sie sich widerstrebend eingestand. Groß und schlank war er immer gewesen, aber nun wirkte er kraftvoll und muskulös wie ein durchtrainierter Athlet. Sein jetzt sehr kurz geschnittenes dunkles Haar betonte die markanten, scharf geschnittenen Gesichtszüge und die stahlblauen Augen mit dem dunklen, dichten Wimpernkranz. Er mochte nicht im klassischen Sinn schön sein, trotzdem konnte Candy sich lebhaft vorstellen, dass die Damen sich darum rissen, sich in seine starken Arme zu werfen. Ja, Cameron Strythe hatte etwas Besonderes an sich, das ihn von der Menge abhob und nicht wenige Frauen magisch anzog. Das war immer schon so gewesen.

Candy errötete tief, als Cameron sie unerwartet ansah und forschend die Brauen hob. Er hatte sie dabei ertappt, wie sie ihn anstarrte! Was musste er nun von ihr denken?

Autor

Helen Brooks

Bereits seit über 20 Jahren veröffentlicht die britische Autorin unter dem Pseudonym Helen Brooks Liebesromane, unter ihrem richtigen Namen Rita Bradshaw schreibt sie seit 1998 historische Romane. Weit über 40 Bücher sowie einige andere Werke sind bisher unter dem Namen Helen Brooks erschienen, von Rita Bradshaw gibt es 14 Romane....

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