Romana Exklusiv Band 285

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WILDER STURM ÜBER SCHOTTLAND von WILKINSON, LEE
Ein Schneesturm tobt über Schottland. Cathys letzte Rettung ist ein kleines Hotel. Sie muss sich das letzte Zimmer mit einem attraktiven Fremden teilen. In dieser einen Nacht erwärmt er mit seiner glühenden Leidenschaft Cathys einsames Herz. Doch am nächsten Morgen erwacht sie allein …

ROMANTISCHES GESTÄNDNIS IN ROM von SPENCER, CATHERINE
Caroline war verliebt und vertraute Paolo blindlings - bis er sie nach einer einzigen heißen Nacht verließ. Damals schwor sie sich, niemals nach Rom zurückzukehren. Aber das Schicksal bringt sie erneut mit Paolo zusammen. Schon ein Blick von ihm trifft sie mitten ins Herz.

IM GEHEIMEN GARTEN DES SCHEICHS von WINTERS, REBECCA
Auf den Spuren ihrer Großmutter wird Lauren in der Wüste von einem Sandsturm überrascht. Gerade rechtzeitig rettet sie der feurige Rafi und bringt sie in den Palast des Scheichs. Als er sie im geheimen Garten küsst, ist es um Lauren geschehen. Doch sie ahnt nicht, dass diesen Mann niemals lieben darf.


  • Erscheinungstag 30.06.2017
  • Bandnummer 0285
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744113
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lee Wilkinson, Catherine Spencer, Rebecca Winters

ROMANA EXKLUSIV BAND 285

1. KAPITEL

Endlich ging es los! Cathy war heilfroh, als das Gepäck im Auto verstaut war und sie den Wohnungsschlüssel bei den Nachbarn abgegeben hatte.

Von London aus stand ihr eine lange Fahrt bevor. Deshalb hatte Carl empfohlen, im Ilithgow House zu übernachten, einem kleinen Familienhotel, das als gemütlich, aber preiswert beschrieben wurde.

„Fahr so früh wie möglich los, Schwesterherz! Es ist eine ganz schöne Strecke bis nach Ilithgow, und auf den Autobahnen sind schon die Weihnachtsurlauber unterwegs.“ Carl war immer sehr besorgt um sie.

Die Fahrt zog sich tatsächlich schier endlos hin. Bereits vor einigen Stunden war die Dunkelheit eingebrochen.

Zu allem Überfluss fing es auch noch an zu schneien, als Cathy Schottland erreichte. Die ersten dicken Flocken tanzten im grellen Scheinwerferlicht und behinderten die Sicht durch die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer arbeiteten im Akkord. Zum Glück saß sie in Carls Geländewagen. Da konnte sie sich wenigstens einigermaßen sicher fühlen in dem dichten Schneetreiben.

Eigentlich fand sie es sehr hübsch, wenn die Landschaft unter einer dicken Schneedecke verschwand. Schon als Kind hatte sie sich über weiße Weihnachten gefreut.

Dieses Jahr allerdings wurde ihre Freude ein wenig getrübt. Wenn sie nur daran dachte, dass sie sich Carl zuliebe auf eine handfeste Lügengeschichte eingelassen hatte …

Fast hätte sie das beleuchtete Hotelschild in dem immer heftiger werdenden Schneesturm verpasst. In letzter Sekunde bog sie links ab und fuhr durch ein Tor. Gleich würde die größte Anstrengung vorüber sein!

Wie sie bei der Buchung erfahren hatte, befand sich das Hotel etwa 500 Meter von der Hauptstraße entfernt. Über eine alte Steinbrücke führte ein schmaler Weg über den Ilith.

Erschrocken hielt sie an. In dem Schneetreiben war der Verlauf der Brücke kaum zu erkennen. Cathy sah sich schon im Fluss landen. Nach kurzer Überlegung hielt sie es für besser, auszusteigen und sich aus nächster Nähe ein Bild zu machen.

Gerade wollte sie die Tür aufstoßen, als sie im Rückspiegel die Lichter eines anderen Wagens auftauchen sah. Kurz darauf hielt neben ihr ein Range Rover. Ein Mann in einem kurzen Trenchcoat stieg aus und kam auf sie zu.

Cathy kurbelte das Seitenfenster hinunter, und der Mann fragte mit angenehm warmer Stimme: „Kann ich Ihnen helfen?“

Als sie ihm erklärte, dass sie Angst hatte, den Weg nicht zu erkennen, lächelte er. „Zum Glück kenne ich mich hier aus. Ich fahre voraus, und Sie folgen mir, einverstanden?“

Ohne ihre Reaktion abzuwarten, stieg er wieder in seinen Wagen und bahnte sich einen Weg durch den Schnee. Sie orientierte sich an seinen Rücklichtern, bis sie es beide glücklich auf die andere Seite des Flusses geschafft hatten.

Jetzt erkannte Cathy die beleuchteten Fenster des Hotels. Im nächsten Moment bog der Mann nach rechts ab, parkte neben dem Eingangsportal und stieg aus.

Cathy hielt direkt neben ihm. In dem schummrigen Licht konnte sie nur erkennen, dass der Fremde ziemlich groß und breitschultrig war.

Höflich öffnete er ihr die Wagentür. „Sie haben doch eine Reservierung, oder?“

„Ja, natürlich.“

„Seien Sie lieber vorsichtig. Es ist ziemlich glatt hier draußen“, warnte er mit Blick auf ihre hochhackigen Wildlederpumps.

Schneeflocken fielen auf sein blondes Haar. Da Cathy vermeiden wollte, dass er zu sehr durchnässt wurde, stieg sie eilig aus und geriet prompt ins Rutschen.

Geistesgegenwärtig fing er sie auf.

Cathy verzog das Gesicht. „Ich weiß, ich hätte auf Sie hören sollen.“

Er lachte nur. „Ist ja noch mal gut gegangen. Haben Sie viel Gepäck?“

„Nur eine Reisetasche.“

Vorsichtig tastete sie sich zum Kofferraum und wollte ihre Tasche herausnehmen, doch er war schneller. „Ich mache das schon“, meinte er.

Carl, der immer zu einem Scherz aufgelegt war, hatte ihr die über und über mit goldfarbenen Teddybären bedruckte Tasche geschenkt. Der Fremde enthielt sich jeden Kommentars. Vielleicht hatte er das Muster auch nicht bemerkt.

„Vielen Dank, aber Sie haben doch sicher Ihr eigenes Gepäck zu tragen.“

„Nein, ich habe gar nichts dabei. Diese Übernachtung war nicht geplant. Ein Geschäftstermin hat länger gedauert als erwartet, und bei diesem Schneesturm möchte ich lieber nicht weiterfahren. Sonst lande ich noch im nächsten Graben.“

Cathy lächelte verständnisvoll. Gemeinsam erklommen sie die Treppe. Der Mann stützte sie, als er merkte, wie unsicher sie auf den Beinen war. Diese – für sie ungewohnte – Geste machte sie fast ein wenig verlegen. Die vergangenen Jahre waren eher trostlos gewesen.

Seitdem ihre Eltern viel zu früh gestorben waren, lastete eine enorme Verantwortung auf ihren Schultern. Es tat gut, dass sich einmal jemand um sie kümmerte.

Schade, dass der Fremde sie losließ, sowie sie die Hotelhalle erreicht hatten. Nachdem sie den Schnee von den Kleidern geschüttelt hatten, machten sie sich quer durch die weihnachtlich geschmückte Halle auf den Weg zum Empfang.

Unauffällig musterte Cathy ihren Begleiter. Er hatte ein ausdrucksvolles Gesicht, einen sinnlichen Mund und schöne dichte Wimpern. Mehr konnte sie von der Seite nicht erkennen. Trotzdem fühlte sie sich sofort zu ihm hingezogen.

Vorsicht, Cathy, ermahnte sie sich. Sie durfte nicht vergessen, dass sie die Rolle einer Ehefrau spielte.

Diesen Plan hatte Carl ausgeheckt, um endlich als Skilehrer arbeiten zu können. Von diesem Beruf hatte er schon als kleiner Junge geträumt. Cathy sollte seine liebende Ehefrau spielen. Ihre wirkliche Ehe mit Neil war leider alles andere als glücklich gewesen …

Als sie den interessierten Blick des Fremden auffing, sah sie verlegen zur Seite.

Eine geschmolzene Schneeflocke tropfte aus ihrem Haar und lief ihr den Nacken hinunter. Cathy schauderte.

„Hier, bitte, nehmen Sie das.“ Der Mann zog ein blütenweißes Taschentuch hervor und reichte es ihr. „Ich heiße übrigens Ross Dalgowan.“

Erneut trafen sich ihre Blicke, und wieder sah Cathy zu Boden. Ihre langen, hübsch geschwungenen Wimpern berührten fast ihre Wangen. „Cathy Richardson.“

Vielleicht etwas schüchtern, dachte Ross, aber ausgesprochen faszinierend. Er konnte kaum den Blick von ihr wenden.

Sie war keine ausgesprochene Schönheit, verfügte aber über ein hinreißendes Lächeln, einen makellosen Teint und seidiges aschblondes Haar. Die Farbe ihrer Augen war schwer zu beschreiben, ihre Nase war etwas zu klein geraten, ihr Mund etwas zu groß. Doch ihr herzförmiges Gesicht hatte einen ganz eigenen Liebreiz.

Cathy trocknete sich Gesicht und Haar und gab Ross das Taschentuch zurück. „Vielen Dank.“

„Gern geschehen.“ Sein Lächeln ließ ihr Herz sofort höher schlagen.

In diesem Moment ging eine Tür hinter dem Rezeptionstresen auf, und eine pummelige grauhaarige Frau trat heraus. Lächelnd begrüßte sie die neuen Gäste. „Guten Abend. Sie haben ja scheußliches Wetter mitgebracht. Ach, jetzt erkenne ich Sie, Mr. Dalgowan!“

„Einen wunderschönen guten Abend, Mrs. Low.“

„Dass Sie sich bei diesem Sturm hierher verirren!“

„Gerade der hat mich zu Ihnen geführt“, bemerkte er. „Der Schnee hat mich auf der Heimfahrt überrascht. Ich würde gern bei Ihnen übernachten.“

„Oje, ausgerechnet heute haben wir kein einziges Zimmer mehr frei. Aber natürlich kann ich Sie bei diesem Wetter nicht wieder wegschicken. Sie können auf der Couch am Kamin schlafen und unser privates Badezimmer nutzen. Hier durch den Torbogen und dann rechts. Wäre Ihnen das recht?“

„Das wird schon gehen, danke.“

„Ich würde Ihnen ja Duggies Zimmer geben, aber er ist über Weihnachten zu Besuch und hat seine Freundin mitgebracht. Ja ja, die jungen Leute … So, und nun zu der jungen Dame hier.“

Nach einem kurzen Blick auf ihre unberingten Finger erklärte Ross: „Miss Richardson hat eine Reservierung.“

Geschäftig blätterte Mrs. Low in ihrem Reservierungsbuch. „Richardson … Richardson … ach, hier haben wir Sie ja.“ Nach einem zweiten Blick sah sie nervös auf. „Wir müssen uns bei Ihnen entschuldigen, Miss Richardson. Leider ist uns ein Fehler bei der Reservierung unterlaufen. Es ist nur noch eine kleine Suite im Erdgeschoss frei. Sie besteht aus zwei miteinander verbundenen Zimmern und einem Badezimmer. Selbstverständlich berechnen wir Ihnen nur die Kosten für ein Einzelzimmer, wie sie es gebucht haben. Haben Sie Gepäck?“

„Nur die Reisetasche.“

Mrs. Low betrachtete die trotteligen Teddybären auf der Tasche, die Ross noch immer in der Hand hielt.

In diesem Moment kullerte ein Wassertropfen über Cathys Wange. Behutsam tupfte Ross ihn ab.

Offensichtlich hatte Mrs. Low diese vertraute Geste falsch verstanden, denn hoffnungsfroh schlug sie vor: „Vielleicht könnten Sie sich die Suite teilen?“

„Das kann ich Miss Richardson wirklich nicht zumuten …“

„Nun, ich habe nichts dagegen, wenn es sich um zwei Zimmer handelt …“

Sie hatten beide gleichzeitig gesprochen.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Suite. Dann fällt Ihnen die Entscheidung leichter.“ Mrs. Low führte sie durch einen schmalen Flur und öffnete eine Tür auf der rechten Seite.

„Wir haben zwar Zentralheizung, aber ich habe den Kamin in diesem Zimmer angeheizt. Ein Kaminfeuer hat so etwas Beruhigendes, besonders in einer Nacht wie dieser, finden Sie nicht?“

Das Zimmer wirkte tatsächlich sehr gemütlich. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, im Kamin brannte ein munteres Feuer, am Bett spendete eine kleine Lampe warmes Licht.

Das Doppelbett war mit einem altmodischen Quilt bedeckt. In dem geräumigen Zimmer befanden sich außerdem eine Kommode, ein Kleiderschrank, ein mit Schnitzereien verzierter Wäscheschrank und eine gemütliche Sitzgruppe vor dem Kamin, daneben ein Weidenkorb mit Holzscheiten und Tannenzapfen. Der aromatische Tannenduft vermischte sich mit einem Hauch von Lavendel.

Hinter einem verzierten Torbogen mit Vorhang befand sich das zweite, kleinere Zimmer, welches mit Etagenbetten und eingebautem Kleiderschrank ausgestattet war.

Mit Blick auf Ross Dalgowans beeindruckende Größe von mindestens einem Meter sechsundachtzig, meinte Mrs. Low unsicher: „Dieser Raum ist eigentlich für Kinder gedacht. Aber selbst ein Etagenbett ist wohl bequemer als die Couch draußen. Hier ist das Badezimmer.“

Das makellos saubere Bad wirkte zwar altmodisch, schien aber mit allem Notwendigen ausgestattet zu sein, inklusive einer großzügigen Duschkabine.

„Hier finden Sie Handtücher und Kosmetika und sogar Einmalrasierer. Machen Sie es sich doch am Kaminfeuer gemütlich, wärmen Sie sich auf und überlegen Sie, ob Sie die Suite teilen wollen“, schlug Mrs. Low vor und verschwand dann mit den Worten: „Ich bringe Ihnen gleich ein schönes Abendessen!“ aus dem Zimmer.

Ross stellte Cathys Tasche auf die Kommode und zog fragend eine Augenbraue hoch. „Bitte sagen Sie es mir, wenn Sie etwas gegen Mrs. Lows Vorschlag haben.“

„Nein, nein, das ist überhaupt kein Problem.“

„Schön.“ Er half ihr aus dem Mantel, zog seinen eigenen aus und hängte beide auf.

Zu einer lässig-eleganten Hose trug er ein olivgrünes Hemd und eine teure Lederweste. Seine Armbanduhr sah sehr kostbar aus, die Schuhe schienen handgefertigt zu sein.

Er machte einen wohlhabenden, einflussreichen Eindruck. Seine Selbstsicherheit wirkte fast lässig.

„Bitte entschuldigen Sie mich kurz.“ Ross zog sein Handy aus der Tasche. „Ich will nur kurz Bescheid sagen, dass ich hier übernachte. Dann macht sich niemand Sorgen, wo ich bleibe.“

„Selbstverständlich.“ Cathy setzte sich an den Kamin.

Der Anruf wurde von jemandem namens Marley angenommen. Ross sprach nur kurz und verabschiedete sich schnell: „Bis morgen. Mach’s gut.“

Ob Marley seine Frau war?

Ross nahm in dem zweiten Sessel am Kamin Platz und bemerkte: „Ihre Schuhe sind ja völlig durchnässt. Ziehen Sie die lieber aus und wärmen Sie sich die Füße.“

Dieser Gedanke war Cathy natürlich auch schon gekommen. Erleichtert schlüpfte sie aus ihren Pumps, stellte sie ans Feuer und streckte die schlanken Füße aus, damit sie schnell warm wurden.

Schweigend blickte Ross in die munter züngelnden Flammen, während Cathy ihn unauffällig musterte.

In seinen Zügen spiegelten sich Arroganz und Sinnlichkeit. Dieser Mann muss einen sehr vielschichtigen Charakter haben, dachte sie plötzlich.

Unvermutet begannen Schmetterlinge in ihrem Bauch zu flattern. Er wirkte einfach so unglaublich … männlich.

Als er plötzlich aufsah, wandte sie ertappt den Blick ab. „Ist Ihnen schon etwas wärmer?“

„Viel wärmer, danke“, antwortete sie geistesabwesend.

„Wie lange waren Sie heute unterwegs?“

Cathy sah auf. „Ich bin heute Vormittag aus London abgefahren und habe zwischendurch nur eine Kaffeepause gemacht. Die Fahrt hat viel länger gedauert, als ich erwartet habe.“

„Wohin soll die Reise denn gehen?“, fragte er interessiert.

„In die Cairngorms. Der Ort heißt Luing.“

Er schien überrascht. Oder hatte sie sich getäuscht? „Kenne ich. Sie haben gut daran getan, die Fahrt hier zu unterbrechen. Bis Luing ist es noch eine ganz schöne Strecke. Laufen Sie Ski?“

„Ja, aber leider nicht sehr gut. Und Sie?“

„Ich bin in den Cairngorms aufgewachsen. In den Wintermonaten habe ich die Skier kaum einmal abgeschnallt.“

„Als Kind habe ich mit meinen Eltern Skiferien in den Alpen gemacht.“

„Da hatten Sie sicher viel Spaß.“

„Ja.“ Cathy musterte ihn nachdenklich. „Dafür, dass Sie hier aufgewachsen sind, haben Sie aber kaum einen schottischen Akzent.“

„Die Familie meines Vaters stammt aus Schottland, meine Mutter war Engländerin. Die Ehe wurde geschieden, als ich vierzehn und meine Schwester elf Jahre alt war. Mutter zog nach London, ich blieb bei meinem Vater und seiner zweiten Frau, bis ich dann mit achtzehn einen Studienplatz in Oxford erhalten habe. Nach dem Examen bin ich nach London gezogen und habe mit Freunden zusammen in der IT-Branche gearbeitet. Noch wohne ich dort, aber irgendwann möchte ich wieder in Schottland leben.“

„Wo in London wohnen Sie?“

„Ich habe eine Wohnung am Belmont Square.“

Mitten in Mayfair. Also musste er Geld haben.

Neugierig fragte sie: „Kommen Sie oft nach Schottland?“

„Vier- oder fünfmal im Jahr.“

„Beruflich oder privat?“

„Beides.“

In diesem Moment klopfte es, und Mrs. Low schob einen Servierwagen herein. „So“, verkündete sie fröhlich. „Ich bringe Ihnen meine gute Hühnersuppe, Haferbrötchen mit Schinken und Apfelkuchen mit Sahne. Eine Kanne Kaffee wird Ihnen sicher auch guttun.“

„Vielen Dank, Mrs. Low. Das ist ja ein richtiges Festmahl.“ Ross lächelte freundlich. „Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, sich so viel Mühe zu machen.“

Cathy nickte bekräftigend.

Mrs. Low lächelte geschmeichelt. „Das ist doch selbstverständlich. Ach, hier ist noch ein Fläschchen von Charlie. Damit Ihnen richtig warm wird, sagt er.“ Mit großer Geste zauberte sie eine Flasche Highland Single Malt und zwei Whiskygläser aus ihrer Schürze.

„Bitte richten Sie ihm unseren Dank aus.“

„Er würde sich freuen, Sie zu sehen, bevor Sie weiterfahren.“

„Gern, das lässt sich sicher einrichten.“

Nachdem sie weitere Scheite ins Feuer gelegt hatte, zog sich Mrs. Low zurück. „Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Das Haus ist voller Gäste, und ich muss morgen ganz früh aus den Federn. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Mrs. Low“, sagten sie wie aus einem Mund.

„Ach, das hätte ich fast vergessen: Frühstück wird ab sechs Uhr dreißig im Frühstücksraum serviert. Und wären Sie bitte so freundlich, den Servierwagen nachher vor die Tür zu stellen? Vielen Dank. Nochmals gute Nacht.“

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, schenkte Ross Kaffee ein. „Sie sind bestimmt sehr hungrig.“

„Das kann man wohl sagen.“

„Dann lassen Sie es sich schmecken.“

Schweigend genossen sie die schmackhafte Mahlzeit und lauschten dem knisternden Kaminfeuer und dem ums Haus heulenden Wind.

Cathy fand es schön, mit einem Mann schweigen zu können. Neil hatte ständig geredet. Er konnte keine Stille ertragen und pflegte sie lieber mit unwichtigem Geschwätz zu füllen.

Sie war gerade neunzehn Jahre alt gewesen, war schüchtern und naiv, als sie den erfahrenen Neil kennenlernte, der allerdings kaum ein Jahr älter war als sie. Bald darauf hatten sie geheiratet, obwohl er noch studierte und keinen Penny besaß. Er war bei ihr eingezogen und lebte auf ihre Kosten. Dabei hatte sie damals schon ihren Bruder Carl unterstützen müssen, der bei ihr wohnte.

Schon bald nach der Heirat wurde Cathy bewusst, dass Neil ein oberflächlicher Blender war, der sie nur ausnutzte. Warum war sie nur auf sein charmantes Lächeln hereingefallen? Nach wenigen Monaten Ehe hatte er in betrunkenem Zustand versucht, ihr Gewalt anzutun. Als das misslang, hatte er sie geschlagen und als ‚frigide Ziege‘ bezeichnet.

Ross Dalgowan dagegen war alles andere als oberflächlich – das erkannte sie sofort. Und niemals würde er einer Frau etwas antun, das spürte sei einfach.

Sie sah auf und begegnete seinem Blick. Seine rauchgrauen Augen waren faszinierend.

Ein prickelnder Schauer überlief sie. Schnell wandte sie den Blick ab.

„Gibt es ein Problem?“, fragte er sanft.

„Nein, alles in Ordnung.“

Sofort ließ er das Thema fallen. Schließlich wollte er nicht indiskret sein. Einträchtig schweigend setzten sie die Mahlzeit fort.

„Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee?“, fragte er, als alles aufgegessen war.

„Nein, vielen Dank.“

„Dann schiebe ich den Wagen jetzt vor die Tür.“

Anschließend machte er es sich wieder im Sessel bequem. „Wie wär’s mit einem kleinen Absacker vor dem Schlafengehen?“

Eigentlich machte sie sich nichts aus Hochprozentigem, da sie jedoch noch nicht auf seine Gesellschaft verzichten wollte, meinte sie nur: „Warum nicht?“

Er öffnete die Flasche, schenkte ein und reichte ihr ein Glas, bevor er seins zum Trinkspruch hob. „Ich trinke auf die Zukunft und darauf, dass wir uns besser kennenlernen.“

Ihr wurde ganz warm ums Herz. Sie sehnte sich geradezu nach dem, was dieser Mann ihr zu bieten hatte. Er zog sie magisch an. Mit ihm könnte sie den Rest ihres Lebens verbringen. War sie etwa der wahren Liebe begegnet?

Cathy wunderte sich selbst, woher ihr plötzlich solche Gedanken kamen. Schnell wandte sie den Blick ab und trank hastig einen Schluck Whisky. Prompt erlitt sie einen Hustenanfall.

Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. „Als Nichtschottin möchten Sie den Whisky vielleicht mit Wasser verdünnen?“

„Ja“, keuchte sie. „Das wäre wohl besser.“

Bevor sie aufstehen konnte, war er schon auf den Beinen. „Kommt sofort.“

Kurz darauf kehrte er mit einem Glas Wasser aus dem Badezimmer zurück. „Sagen Sie Stopp!“

Als der Single Malt sichtbar verdünnt war, murmelte sie: „Das reicht. Vielen Dank.“

„Probieren Sie erst mal!“

Gehorsam trank sie einen Schluck. „Viel besser.“ Sie strahlte.

Ross erwiderte das Lächeln, und plötzlich knisterte es zwischen ihnen.

Wieder wandte Cathy den Blick ab und konzentrierte sich auf die züngelnden Flammen im Kamin. Was war das nur für eine seltsam erotische Spannung zwischen ihnen?

Sie versuchte den Gedanken zu verdrängen. „Sind Sie nach Schottland gekommen, um hier die Weihnachtsfeiertage zu verbringen, Mr. Dalgowan?“

„Ja, und Silvester. Aber bitte nicht so förmlich: Ich bin Ross.“

„Cathy.“

Er strahlte. „Wie lange bleibst du in Schottland, Cathy?“

„Mal sehen. Auf alle Fälle bis Neujahr.“

„Gibt es jemanden in deinem Leben? Einen Partner?“

Es war ihr unangenehm, über ihre kurze gescheiterte Ehe zu sprechen. Daher antwortete sie nur kurz angebunden. „Nein.“

Obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten und er so gut wie nichts von dieser Frau wusste, fühlte er sich wie magisch von ihr angezogen. Und tatsächlich war er erleichtert, dass sie allem Anschein nach Single war.

Nach Lena hatte er sich auf keine feste Beziehung mehr eingelassen. Hier und da ein Abenteuer, das war’s. Instinktiv spürte er jedoch, dass ihm das in diesem Fall nicht genügen würde.

Cathy sah ihm in die Augen und stellte die Frage, die sie stellen musste: „Und wie steht es mit dir? Bist du mit jemandem zusammen?“ Aufgeregt wartete sie auf seine Antwort.

„Nein.“

Erleichtert atmete sie auf. Doch dann fügte er hinzu: „Eigentlich wollte ich im Sommer heiraten. Aber das hat sich zerschlagen. Lena ist zwar auch Schottin und ganz in der Nähe aufgewachsen, doch sie kann sich nicht vorstellen, je wieder hier zu leben. Ihr gefällt es in London besser, wogegen ich unbedingt wieder nach Schottland ziehen möchte. Als sie gemerkt hat, wie wichtig mir das ist, hat sie Schluss gemacht. Sie lebt jetzt in der Park Lane bei einem reichen Geschäftsmann, der nie aus London herausgekommen ist.“

Seinem verbitterten Unterton nach zu urteilen, musste ihn das Verhalten seiner Ex-Freundin sehr verletzt haben.

„Wenn sie auf Besuch bei ihrem Vater in Schottland ist, schaut sie hin und wieder bei mir vorbei, wenn ich da bin“, fuhr Ross fort.

Wie gemein von dieser Frau, noch Salz in die Wunde zu streuen, dachte Cathy und verzog ungehalten das Gesicht.

Ross deutete das Stirnrunzeln falsch. „Entschuldige, ich wollte gar nicht so persönlich werden. Mich hat nur interessiert, ob du hier oben jemanden besuchst.“

Einen Moment lang war Cathy versucht, diesem Mann, der ihr schon so vertraut schien, von Carls und ihrer Scharade zu erzählen.

„Es ist ja nur eine kleine Notlüge“, hatte Carl behauptet. „Ich bin die ideale Besetzung für die Stelle bei den Bowans. Leider bestehen sie darauf, nur einen verheirateten Mann als Skilehrer einzustellen. Deshalb musst du mitspielen, Schwesterchen. Wenn ich mich in dem Job bewährt habe, können wir ihnen reinen Wein einschenken. Bitte, Cathy, du musst mir helfen! Wer konnte denn ahnen, dass Katie mir kurz vor der Hochzeit den Laufpass gibt?“

Zähneknirschend hatte sich Cathy schließlich darauf eingelassen. Immerhin hatten die Bowans auch ihr eine Stelle angeboten.

Doch wie sollte sie Ross diese komplizierte Geschichte erklären? Außerdem hatte sie Carl hoch und heilig versprochen, kein Sterbenswörtchen zu verraten.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich besuche niemanden.“

Ross war zufrieden, und sie wandte sich schnell ab, um ihre Verlegenheit darüber zu verbergen, ihn belogen zu haben.

2. KAPITEL

Ross schenkte Whisky nach und reichte Cathy das Glas. „Du hast übrigens wunderschöne Augen.“ Er lächelte verlegen. „Aber das hörst du sicher ständig.“

Cathy hätte gern so dunkelblaue Augen wie ihr Bruder gehabt und erhielt selten Komplimente. „Ich finde sie eigentlich eher unspektakulär.“

„Im Gegenteil! Sie sind faszinierend. Wie ein Opal verändern sie die Farbe. Eben wirkten sie blau, jetzt grün und golden, wie ein Apriltag.“

Das waren nicht die Worte eines Verführers, sondern seine ehrliche Meinung. Irgendwie spürte Cathy das.

Als er ihre Verlegenheit bemerkte, fügte er zerknirscht hinzu: „Entschuldige, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Sag mal, bist du eigentlich gebürtige Londonerin?“

Sie war froh, das Thema wechseln zu können. „Nein, mein Bruder und ich wurden beide in Kent geboren. Mein Vater war Arzt, meine Mutter Physiotherapeutin. Sie haben in einem Londoner Krankenhaus gearbeitet.“

„Aha. Und ihr? Habt ihr den gleichen Berufsweg eingeschlagen?“

„Mein Bruder ist Physiotherapeut, ich wollte Ärztin werden.“

Ross bückte sich und legte weitere Scheite ins Feuer. „Wieso ist daraus nichts geworden?“

„Weil ich kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag die Schule abgebrochen habe, als meine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind.“

„Das tut mir sehr leid.“

„Es ist jetzt sieben Jahre her. Sie wollten ihren zwanzigsten Hochzeitstag feiern.“

„Ist dein Bruder älter als du?“

„Nein. Er ist ein Jahr jünger.“

„Das muss eine harte Zeit für euch gewesen sein.“ Mitfühlend sah er sie an.

„Ja, aber irgendwie sind wir zurechtgekommen.“

Offensichtlich belastete sie dieses Thema. Er beschloss, nicht weiter zu fragen. „Warst du schon mal in den Cairngorms?“

„Nein, bisher habe ich nur davon geträumt. Ich liebe die Berge.“

„Es ist wirklich eine sehr reizvolle Gegend, aber ziemlich einsam – jenseits der Touristengebiete. Einige Bereiche sind nur zu Fuß, auf Skiern oder zu Pferde zu erreichen.“

Begeistert erzählte Ross von seinem geliebten Schottland, bis er merkte, dass Cathy fast die Augen zufielen. „Bist du müde? Sag Bescheid, wenn du mich loswerden willst, damit du ins Bett gehen kannst.“

„Nein, nein, eigentlich bin ich noch gar nicht müde. Es liegt wohl an der Wärme, dass ich gähnen muss.“ Sie wollte auf keinen Fall, dass er jetzt ging und sie allein ließ.

„Du musst aber sagen, wenn du schlafen willst.“

Im Kamin brannte das Feuer, draußen heulte der Schneesturm, und Ross und sie unterhielten sich angeregt. Unterschwellig spürte Cathy immer wieder die Spannung, die in der Luft hing.

Schließlich erhob er sich, sichtlich widerstrebend. „Dir steht morgen noch eine lange Fahrt bevor. Ich muss mich jetzt wirklich verabschieden, damit du schlafen kannst.“

Ihre Ehe und die anschließende Scheidung hatten Cathy tief verletzt und all ihrer Illusionen beraubt. Seitdem ging sie Männern aus dem Weg. Doch bei Ross Dalgowan war das anders. Er sollte nicht gehen!

Sie atmete tief durch. „Es wäre mir aber sehr unangenehm, wenn du in einem dieser kleinen Betten übernachten müsstest, obwohl hier genug Platz ist.“

„Keine Sorge, ich strecke mich auf der Couch im Aufenthaltsraum aus.“

„Aber die ist doch viel zu kurz. Außerdem herrscht da vermutlich ein ständiges Kommen und Gehen.“

Ross spürte, dass diese Frau etwas ganz Besonderes war. Etwas, auf das er immer gewartet hatte. Und obwohl er sich fest vorgenommen hatte, nach dem Desaster mit Lena erst mal die Finger von Frauen zu lassen, zögerte er nun.

Cathy, die seine Unsicherheit bemerkte, gab zu bedenken: „Die Etagenbetten nebenan sind ja eigentlich für Kinder gemacht. Aber bestimmt kannst du dort besser schlafen als auf der Couch. Und außerdem kannst du hier das Badezimmer benutzen und musst nicht in deinen Klamotten schlafen.“

„Das macht dein Angebot natürlich unwiderstehlich“, entgegnete er lächelnd.

„Dann bleib.“

„Bist du sicher?“

„Ganz sicher. Am besten gehst du gleich ins Bad.“

„Nein, du zuerst.“

Nachdenklich blickte Ross ins Feuer, während Cathy mit Kulturtasche, Nachthemd und Morgenmantel bewaffnet im Badezimmer verschwand.

Sie duschte, putzte sich die Zähne und schlüpfte in ihr Nachthemd. Dann bürstete sie ihr langes dichtes Haar aus, bis es ihr seidig glänzend über die Schultern fiel. Im Spiegel sah sie, dass ihre Wangen rosig schimmerten und ihre Augen vor Freude strahlten.

Nur nichts überstürzen, warnte sie sich selbst, zog den Morgenmantel über, verknotete den Gürtel, hob die abgelegte Kleidung auf und kehrte ins Zimmer zurück.

Ihr Herz klopfte sofort schneller, als sie Ross am Kamin sitzen sah. Der Feuerschein ließ sein Gesicht wie das eines Gottes der Inka leuchten.

Cathy legte den Kleiderstapel neben ihre Reisetasche, atmete tief durch und sagte leise: „Du bist dran.“

Ross stand auf und ließ beiläufig den Blick über ihren schlanken Körper in dem elfenbeinfarbenen Satinmantel gleiten. Sie bemerkte, wie seine Augen dunkler wurden und wie es in ihnen verlangend aufleuchtete.

Einen Moment lang sahen sie einander tief in die Augen, dann wandte Ross sich abrupt ab und marschierte ins Badezimmer.

Kurz darauf hörte sie die Dusche. Cathy zitterten die Knie. Sie sank in den Sessel, in dem sie den halben Abend verbracht hatte, und ließ die mit Ross verbrachte Zeit Revue passieren – verwirrt, aber doch freudig erregt.

Etwas Magisches war mit ihnen passiert, als würden sie beide unter einem Bann stehen. Cathy war sicher, dass Ross das auch so empfand.

Oder täuschte sie sich? In Neil hatte sie sich schließlich auch getäuscht. Durfte sie sich nach diesem Fiasko überhaupt noch auf ihr Gefühl verlassen?

Immerhin war sie inzwischen älter und realistischer geworden, außerdem war Ross ganz anders als Neil. Sie fühlte sich nicht nur körperlich zu ihm hingezogen, nein, da war viel mehr: seine Herzenswärme, sein Einfühlungsvermögen, seine innere Stärke …

Instinktiv spürte sie, dass er hinter ihr stand. Sie wandte sich um und bemerkte, wie er sie in aller Seelenruhe betrachtete.

Er war frisch rasiert, das blonde Haar noch feucht vom Duschen, und trug einen der dunkelblauen Gästebademäntel.

„Bist du wirklich sicher, dass du die Suite mit einem wildfremden Mann teilen willst?“, fragte er leise.

„Du bist mir nicht fremd – im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dich schon mein ganzes Leben lang zu kennen. Das hört sich seltsam an, ich weiß …“

Ross kam näher, beugte sich vor und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.

Atemlos erwiderte sie seinen Blick.

Er zog sie zu sich hoch und murmelte: „Ja, ich war sicher, dass du es auch spürst. Da ist so eine Verbindung zwischen uns … Ich habe es gefühlt, als ich dir zum ersten Mal in die Augen sah. Aber wir sollten nichts überstürzen, Cathy. Wenn du willst, dann schlafe ich nebenan.“

Natürlich wollte sie das nicht, aber sie war viel zu schüchtern, um ihm das zu sagen. Also senkte sie den Kopf und flüsterte: „Und was willst du?“

Behutsam legte er einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Forschend blickte er ihr in die Augen.

Die zwei Stunden in Cathys Gesellschaft hatten seinen ersten Eindruck bestätigt: Sie war das süßeste Ding, dem er je begegnet war. Eine Aura von Traurigkeit und Unschuld umgab sie. Diese besondere Art der Verletzlichkeit rührte ihn zutiefst.

Rau antwortete er: „Das musst du doch spüren: Ich möchte dich in meinen Armen halten, dich küssen, deinen nackten Körper an meinem fühlen. Ich möchte mit dir ins Bett gehen und dich lieben, bis wir beide die Welt um uns herum vergessen. Und dann möchte ich mit dir in meinen Armen einschlafen.“

Ihre jahrelange Verschlossenheit nach der schrecklichen Ehe mit Neil schien plötzlich überwunden. Cathy spürte ein Gefühl wohliger Wärme in sich aufsteigen. Sie sehnte sich danach, in den Armen ihres Beschützers zu liegen.

Aber was sollte sie tun, wenn sich Neils Behauptung, sie wäre frigide und langweilig, bestätigte?

Aufmerksam betrachtete Ross ihre Miene, all die wechselnden Empfindungen, die sich darin ausdrückten, und ließ Cathy schließlich los.

„Keine Angst, ich schlafe auf der Couch“, sagte er ruhig und wandte sich zum Gehen, als sie flüsterte: „Nein, bitte bleib hier.“

„Lieber nicht. Die Versuchung wäre zu groß.“

„Ich möchte aber nicht, dass du gehst.“

„Bist du sicher? Gerade noch hat dir die Vorstellung, dass ich bleibe, Angst gemacht.“

„Nein, das hast du falsch verstanden. Es ist nur … also, normalerweise tue ich so etwas nicht.“

„Das würde ich dir auch niemals unterstellen. Hör zu, wir kennen uns erst seit einigen Stunden. Wenn dir das alles zu schnell geht …“

„Nein, wirklich nicht, Ross. Bitte bleib bei mir.“

Lächelnd beugte er sich vor und lehnte seine Stirn gegen ihre. Diese zärtliche Geste brachte ihr Herz zum Schmelzen. Tränen schimmerten in ihren Augen.

Als Ross den Kopf hob, kullerten sie ihr über die Wangen.

Behutsam küsste er sie weg, dann widmete er sich ihren weichen Lippen. Als er spürte, wie der Kuss sie erbeben ließ, zog er sie an sich und küsste sie ein wenig leidenschaftlicher.

Instinktiv schmiegte sie sich an ihn und begann, seine Liebkosungen zu erwidern, worauf er noch fordernder wurde. Während er sie küsste, zog er langsam ihren Gürtel auf und schob ihr den Morgenmantel von den Schultern. Sanft ließ er seine Hände über den seidenen Stoff ihres Nachthemds gleiten, erforschte ihre Hüften, ihren Po, die wunderschön geformte Brüste.

Als Cathy leise aufstöhnte, umfasste er zärtlich eine Brust und liebkoste die aufgerichtete Brustspitze. Schließlich schob er ihr die Träger des Nachthemds hinunter, bis auch dieses letzte Stück Stoff zu Boden glitt. Dann umschloss er eine Brustspitze mit den Lippen, während er die andere behutsam streichelte.

Cathy seufzte tief und schaffte es, sich fallen zu lassen und Ross’ Zärtlichkeiten zu genießen. Nach unendlich himmlischen Minuten zog er die Bettdecke zurück und ließ sie in die weichen Kissen gleiten.

Bewundernd betrachtete er ihren makellosen Körper, die hübschen festen Brüste, die sanft geschwungenen Hüften, die langen schlanken Beine. Als Cathy die Augen aufschlug, lächelte er.

Dann legte er den Bademantel ab und kam zu ihr aufs Bett. Mit federleichten Berührungen streichelte er ihren Körper, fand jede erogene Zone und erweckte Empfindungen in ihr, die sie noch nie zuvor erlebt hatte.

Leise versicherte er ihr, wie schön und begehrenswert sie sei, und wie sehr ihr Körper ihn erregte. Cathy ertrug die Spannung kaum noch.

Für den Bruchteil einer Sekunde überkam sie wilde Panik, als er sich auf sie legte. Hoffentlich enttäusche ich ihn nicht, flehte sie innerlich. Doch Ross schien ihre Angst zu ahnen und küsste sie sanft und ausdauernd, bis sie ihre Furcht überwunden hatte.

Im Schein des Kaminfeuers, begleitet vom ums Haus heulenden Schneesturm, liebte er sie so zärtlich und leidenschaftlich, dass sie alles um sich herum vergaß.

In ihren wildesten Träumen hatte sie sich nicht ausmalen können, wie schön es sein konnte, mit einem Mann zu schlafen. Nach einem überwältigenden Höhepunkt kam sie nur langsam wieder zu sich und genoss den Schwebezustand, in dem sie sich befand. Erst nach einer Weile ging ihr Atem ruhiger. Ross hatte den Kopf auf ihre Brust gebettet.

Cathy wagte nicht, sich zu bewegen. Sie betrachtete ihn fasziniert, genoss diesen Moment äußerster Intimität, bis er sich schließlich von ihr schob.

Neil hätte ihr jetzt den Rücken zugedreht und sie deprimiert und unbefriedigt sich selbst überlassen. Und obwohl sie sich jetzt wunderbar entspannt und glücklich fühlte, holte die Erinnerung sie ein, bis Ross sich über sie beugte und sie voller Hingabe küsste.

Dann versicherte er ihr noch einmal leise, wie unglaublich sie wäre, wie warm und verführerisch, und wie sehr es ihm gefallen hatte, mit ihr zu schlafen.

Seine liebevollen Worte und Küsse verscheuchten die traurige Vergangenheit. Zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben war Cathy richtig glücklich. Sie fühlte sich erfüllt – und wie eine richtige Frau.

Ross drehte sich auf den Rücken und zog sie an sich. Entspannt lag sie an ihn geschmiegt, als wäre das ihr natürlicher Platz. Es war unglaublich tröstlich, sein Herz an ihrer Wange pochen zu hören, ihm so nah zu sein, seinen erregenden Duft zu atmen.

Ihr größter Traum hatte sich von einem Augenblick auf den anderen erfüllt. Ross gab ihr alles, was sie sich je von einem Mann erträumt hatte, und sie dankte ihrem Schicksal für den Schneesturm, der sie zusammengeführt hatte.

Am liebsten hätte sie die ganze Nacht wach gelegen, um dieses Gefühl unendlicher Geborgenheit auszukosten, doch der Schlaf übermannte sie, als sie den Gedanken kaum zu Ende gedacht hatte.

Sie schlief tief und traumlos, bis Ross sie mitten in der Nacht mit einem zärtlichen Kuss weckte, um sie noch einmal zu lieben.

Cathy erlebte einen weiteren, intensiven Höhepunkt. Später lag sie überglücklich an Ross’ Brust gelehnt und konnte kaum fassen, was mit ihr geschehen war.

Bevor sie wieder einschlief, nahm sie sich fest vor, ihm beim Frühstück von ihrer Abmachung mit Carl zu erzählen. Natürlich würde sie ihn um Stillschweigen bitten müssen, aber auf keinen Fall wollte sie noch länger Geheimnisse vor ihm haben.

In den frühen Morgenstunden träumte sie, wie sie geborgen in den Armen ihres Geliebten lag und Pläne für die Zukunft schmiedete. Plötzlich hörte sie von irgendwoher ein Telefon klingeln. Der geliebte Mann stand auf.

Einsam und verlassen weinte sie lautlos. Es brach ihr das Herz, doch dann kehrte er zurück und küsste sie zärtlich.

Doch es war ein Abschiedskuss.

In ihrem Traum umschlang sie ihn und bat ihn, bei ihr zu bleiben – vergeblich. Er machte sich von ihr los und ging davon. Und sie wusste, dass sie ihn nie wieder sehen würde. Sie suchte überall nach ihm – in leeren Räumen, auf belebten Straßen, sah in jedes Gesicht und wurde immer verzweifelter. Schließlich entdeckte sie ihn in einiger Entfernung vor sich auf dem Bürgersteig. Überglücklich lief sie ihm nach und hielt ihn am Arm fest. Aber als der Mann sich umdrehte, war es Neil, der sie kalt und abweisend musterte und zurückstieß.

Als Cathy am Morgen erwachte, dauerte es einen Moment, bis sie sich erinnerte, wo sie war und was geschehen war.

Lächelnd drehte sie sich zu Ross um.

Doch das Bett war leer. Hatte sie das alles etwa nur geträumt? Cathy zwinkerte einige Male, um wach zu werden, und sah auf die Uhr. Kurz vor halb neun.

Vielleicht rasiert er sich, dachte sie und schöpfte neue Hoffnung. Sie stand auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und machte sich auf den Weg zum Badezimmer. Kein Laut war zu hören. Zögernd öffnete sie die Tür. Am Haken hing sein Bademantel, seine Kleidung war verschwunden. Also war er wirklich fort!

Nun, wahrscheinlich saß er schon beim Frühstück.

Aber hätte er sie nicht geweckt, um gemeinsam mit ihr zu frühstücken?

Eine eiskalte Hand schien sich um ihr Herz zu legen.

Konnte sie sich denn so getäuscht haben? War sie für Ross einfach nur ein Abenteuer gewesen, eine nette Ablenkung für eine Nacht?

Niedergeschlagen wandte sie sich um und kehrte zum Bett zurück. Auf dem Fußboden entdeckte sie einen Zettel – offenbar aus einem Notizbuch herausgerissen.

Mit bebender Hand hob sie die Nachricht auf und las:

Du hast so fest geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken. Ich danke dir für die wunderschöne Nacht. Du warst hinreißend. Mrs. Low erklärt dir, warum ich so plötzlich fort musste.

Gute Fahrt nach Luing! Wir werden uns so bald wie möglich wiedersehen. Ross

Er wusste doch gar nicht, wo in Luing sie wohnte. Vielleicht war der Ort ja so winzig, dass er sie finden würde. Hoffentlich! Allerdings konnte es schwierig werden, wenn er nach einer Miss Richardson fragte. Hätte sie ihm die Sache mit Carl doch nur früher erzählt!

Nach einer schnellen Dusche zog Cathy sich an und eilte zum Frühstücksraum, wo Mrs. Low sie bereits erwartete.

„Guten Morgen, Miss Richardson. Ich soll Ihnen schöne Grüße von Mr. Dalgowan ausrichten. Leider musste er überstürzt abreisen, nachdem er von zu Hause einen Notruf erhalten hatte. Er hat das Hotel schon um halb sechs verlassen.“

Dann habe ich das Telefonklingeln gar nicht geträumt, dachte Cathy.

„Ich soll Ihnen ausrichten, dass er sich so bald wie möglich bei Ihnen meldet“, fuhr Mrs. Low aufgeregt fort. „Wenigstens hat der Schneesturm nachgelassen. Inzwischen taut es schon wieder. Die Straßen sind also frei. Was hätten Sie gern zum Frühstück, Miss Richardson?“

„Nur eine Tasse Kaffee, bitte.“

„Ist das alles?“

„Ja, danke.“

Sie setzte sich an einen Tisch und blickte nachdenklich vor sich hin. Würde sie Ross je wiedersehen?

Als Mrs. Low den Kaffee servierte, bat Cathy um die Rechnung.

„Das hat Mr. Dalgowan schon übernommen, Miss. Ein wirklich netter Mann, sieht gut aus, ist großzügig …“

„Wie gut kennen Sie ihn?“, fragte Cathy neugierig.

„Er hat im Herbst mal bei uns übernachtet, weil sein Wagen liegen geblieben war. Charlie und er haben sich unterhalten. Sie haben gemeinsame Bekannte. Jedenfalls hat er versprochen, demnächst wieder bei uns vorbeizuschauen.“

„Wissen Sie, wo er wohnt?“

„Irgendwo in der Nähe von Luing, glaube ich. Oh, das Telefon klingelt. Falls wir uns nicht mehr sehen, wünsche ich Ihnen eine gute Fahrt. Auf Wiedersehen, Miss Richardson.“ Wie der Wind eilte sie davon.

Cathy trank den Kaffee, packte anschließend ihre Sachen und schob den Ehering, den sie von jetzt an brauchen würde, über den Finger. Er saß ziemlich locker. Hoffentlich ging er nicht verloren.

Den Ring hatte ihre Mutter getragen, und nur aufgrund der Gravur war es möglich gewesen, ihn seiner Besitzerin nach dem Flugzeugabsturz zuzuordnen und ihn an Cathy und Carl zurückzuschicken.

Erst am späten Nachmittag erreichte Cathy ihr Ziel. Luing entpuppte sich als kleines Dorf, umgeben von einer atemberaubend schönen Landschaft. Der Dorfkern bestand aus einem Bauernhof am Fuß der Berge, fünf weißgetünchten Cottages und einer alten grauen Kirche an einer Weggabelung, von der drei schmale Straßen abgingen.

Das Straßenschild lag am Boden, sodass sie keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie fahren musste.

Glücklicherweise kam in diesem Moment ein mit einem Regenmantel bekleideter Mann vorbei. Auf dem Kopf trug er eine für die Gegend typische Mütze. „Entschuldigung!“, rief Cathy ihm zu. „Könnten Sie mir sagen, wie ich nach Beinn Mor komme?“

„Du musst einfach geradeaus fahren, Mädchen. Es ist nicht weit.“

Sie bedankte sich und setzte die Fahrt fort. Nach etwa drei Kilometern gelangte sie zu einem Anwesen, das von mächtigen steinernen Torpfosten begrenzt war, auf denen zähnefletschende Löwen ungebetenen Besuchern den Zutritt verweigerten. Das schmiedeeiserne Tor zur Auffahrt stand jedoch weit offen.

Ein dunkelgrünes Schild mit goldenen Lettern informierte die Besucher darüber, dass sie sich am Eingang zum Dunbar Estate und Beinn Mor Hotel sowie der angeschlossenen Skihütte befanden.

Leichter Schneefall setzte ein, als Cathy die kurvenreiche Auffahrt entlangfuhr. Vor ihr tauchte ein lang gestrecktes, hell erleuchtetes Gebäude auf.

In Schottland wurde traditionell eher Silvester als Weihnachten gefeiert, doch sogar von außen war das imposante Haus festlich mit Weihnachtsbeleuchtung und grünen Tannenzweigen geschmückt. Neben dem Eingang stand ein hoher, reich dekorierter Christbaum.

Als Cathy vorfuhr, öffnete sich die schwere Eichentür, und Carl, der sie offensichtlich schon erwartet hatte, kam heraus, begleitet von einer großen, schlanken Blondine.

Schon von Weitem stellte sie erleichtert fest, wie euphorisch er wirkte. Endlich schien er darüber hinweg zu sein, dass Katie ihn kurz vor der Hochzeit sitzen gelassen hatte.

„Hallo, Liebes. Wie schön, dass du endlich da bist.“ Er umarmte sie herzlich und flüsterte ihr ins Ohr: „Es läuft großartig. Hast du an den Ring gedacht?“

„Ich trage ihn“, wisperte sie beruhigend.

„Prima.“ Er legte ihr einen Arm um die Schultern und fügte in normaler Lautstärke hinzu: „Das ist Mrs. Bowan.“

Mrs. Bowan entpuppte sich als hübsch und noch relativ jung, ihre blauen Augen blitzten vergnügt.

„Darling, das ist Mrs. Bowan. Margaret, dies ist meine Frau Cathy.“

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Cathy. Es tut mir leid, dass ich zuerst dachte, Ihr Name wäre Katie. Offensichtlich habe ich mich verhört.“

Verlegen ging Cathy darüber hinweg. „Freut mich sehr, Mrs. Bowan.“ Es war ihr peinlich, diese nette Frau zu hintergehen.

„Margaret, bitte. Wir sind hier nicht so förmlich. Kommen Sie herein und wärmen Sie sich erst mal bei einer schönen Tasse Tee auf, bevor Carl Ihnen die Wohnung zeigt.“

Sie öffnete eine mit einem Ilexkranz verzierte Tür und führte Cathy und Carl in den Aufenthaltsraum, wo am brennenden Kaminfeuer eine zum Entspannen einladende Ledersitzgruppe stand. Am anderen Ende des großen Raumes befand sich eine Bar, auf der rechten Seite ein frisch polierter Tresen, hinter dem ein junges schwarzhaariges Mädchen Papiere sortierte.

„Das ist unsere Assistentin Janet Muir“, stellte Margaret vor. „Janet, das ist Carls Frau Cathy.“

Innerlich zuckte Cathy erneut zusammen, ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern lächelte Janet freundlich zu, bevor Margaret sie in ihr privates Wohnzimmer bat.

Der Tee stand schon bereit. „Es ist leider etwas beengt hier“, erklärte sie entschuldigend. „Aber während der Skisaison herrscht nun mal Hochbetrieb, und wir möchten lieber vor Ort sein, als drüben im Herrenhaus zu wohnen. Dunbar Estate gehört meinem Bruder. Bitte, legen Sie doch ab und nehmen Sie Platz, Cathy. Sie natürlich auch, Carl.“ Sie schenkte Tee ein. „Wie war die Fahrt?“, fragte sie dann besorgt.

„Ganz gut, allerdings bin ich kurz vor Ilithgow House in einen Schneesturm geraten. Aber auch das war halb so schlimm.“

„Da bin ich aber beruhigt. Für uns hier oben ist der Schnee ja ein Segen, aber das Autofahren ist bei dieser Witterung kein Vergnügen. Darf ich Ihnen ein Stück von Janets unübertroffenem Topfkuchen anbieten?“

„Nein, vielen Dank. Ich bin gar nicht hungrig.“

„Du hast ja keine Ahnung, was dir entgeht, S …“ In letzter Sekunde biss Carl sich auf die Zunge und redete Cathy statt mit Schwesterherz mit Sweetheart an.

„Hoffentlich haben Sie Appetit, wenn wir nachher im Herrenhaus zu Abend essen. Mein Bruder hat uns alle eingeladen. Ach, Cathy, es ist so schön, ein so nettes junges Ehepaar bei uns zu haben. Die letzte Saison war der reinste Albtraum, weil der Skilehrer sich als Casanova entpuppte, der es bei allen Frauen versuchte, egal ob sie verheiratet waren oder nicht. Unzählige Gäste haben sich über ihn beschwert, insbesondere natürlich die Ehemänner. Deshalb haben wir darauf bestanden, dass unser nächster Skilehrer verheiratet sein muss.“

Sie schenkte Tee nach. „Wir stellten ein junges Paar namens Mr. und Mrs. Fray ein. Leider mussten wir bald feststellen, dass sie gar nicht miteinander verheiratet, sondern nur auf ein erotisches Abenteuer aus waren. Natürlich haben wir sie sofort entlassen.“

Beschämt senkte Cathy den Blick. Worauf hatte sie sich nur eingelassen?

3. KAPITEL

„Die Skisaison hat zwar gerade erst begonnen, aber schon gestern Abend kam es zu einem ersten Zwischenfall“, berichtete Margaret. „Ein Pärchen war nicht von einem Tagesausflug zurückgekehrt. Zum Glück wurden sie schnell gefunden. Aber ich rede und rede, dabei wollen Sie sicher allein sein. Ihre Wohnung liegt im Herrenhaus. Carl hat sich dort schon eingerichtet, Sie werden sich bestimmt auch schnell einleben, Cathy. Um neunzehn Uhr nehmen wir einen Aperitif im Arbeitszimmer. Bis dahin haben Sie Zeit, Ihre Sachen auszupacken.“

Cathy bedankte sich für den netten Empfang und verließ das Zimmer – fast fluchtartig und mit Carl auf den Fersen. Es war ihr schrecklich unangenehm, diese netten Leute so zu belügen.

Wäre sie allerdings nicht nach Schottland gekommen, hätte sie Ross niemals kennengelernt. Und das wäre furchtbar gewesen, denn die wenigen Stunden, die sie mit ihm verbracht hatte, hatten alles verändert. Sie fühlte plötzlich wieder Freude am Leben und freute sich auf die Zukunft.

Einträchtig stapften Carl und sie durch den Schnee. „Es tut mir so leid, Schwesterchen“, sagte Carl zerknirscht. „Ich weiß, wie unangenehm dir die ganze Sache ist.“

„Es fällt mir wirklich nicht leicht, alle zu belügen.“

„Glaubst du, mir macht das Spaß?“ Carl öffnete den Wagen, auf dem sich bereits der Schnee türmte. „Aber es geht eben nicht anders. Da müssen wir jetzt durch. Steig ein, ich fahre.“

Er wischte den Schnee von den Außenspiegeln und setzte sich ans Steuer. „Bitte, Cathy, lass mich jetzt nicht im Stich. Es ist die Chance meines Lebens. Der Job ist ideal. Sowie ich unsere Arbeitgeber davon überzeugt habe, dass ich meine Arbeit gut mache und kein Casanova bin, rücke ich mit der Wahrheit heraus. Ehrenwort!“

„Und wenn sie dich an die Luft setzen, wenn du ihnen reinen Wein einschenkst?“, fragte Cathy besorgt.

„Das Risiko muss ich eingehen. Aber es wäre ein Jammer, wo ich mich jetzt schon so wohl fühle.“

„Also gut, Carl. Ich bin dabei. Aber du weißt, dass ich mich nicht besonders gut verstellen kann.“

„Mir geht es doch genauso. Gerade eben hätte ich dich fast Schwesterherz genannt.“ Carl betätigte den Scheibenwischer und knipste die Scheinwerfer an. Schon ging die Fahrt durch die verwunschene Winterlandschaft los. Die schmale Straße führte bergauf. Kein Problem für den Range Rover.

„Sag mal, wie weit ist es denn zum Herrenhaus?“, fragte Cathy schließlich neugierig.

„Es sind nur knapp zwei Kilometer mit dem Auto. Wenn man zu Fuß unterwegs ist, nimmt man am besten die Abkürzung durchs Wäldchen. Das dauert nur ein paar Minuten.“

Als sie um die letzte Kurve bogen, führte die Straße wieder bergab, und das Herrenhaus tauchte vor ihnen auf. Cathy hatte es sich groß, klotzig und hässlich vorgestellt.

Die Überraschung war also perfekt, als sie das lang gestreckte Gebäude entdeckte, das sich an den Berg zu schmiegen schien. Schiefe Schornsteine zierten das Dach, längs unterteilte Fenster und immergrüne Kletterpflanzen verliehen der Front ein romantisches Antlitz.

Es war pittoresk und strahlte den Charme eines alten gepflegten Landsitzes aus. Wie verzaubert murmelte Cathy: „Mein Haus …“

„Wie?“, fragte Carl erstaunt.

„Das Haus kommt mir bekannt vor. Ich habe es in einer alten Schneekugel gesehen. Du weißt schon, du drehst das Glas um, und es schneit.“

Entzückt hatte sie damals die Schneekugel betrachtet, und verträumt blickte sie jetzt dem Haus entgegen.

Carl bog um die Ecke und parkte den Wagen vor dem beleuchteten Nebeneingang, sprang hinaus und lud das Gepäck aus. Er trug die großen Koffer, Cathy ihre Reisetasche.

Dann zog er ein Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss die Tür auf. Kurz darauf betraten sie eine Halle mit Steinfußboden und einem hübschen Felsenkamin.

„Früher war das der Personaltrakt. Aber heute sind hier nur noch wenige Angestellte beschäftigt“, erklärte Carl.

Cathy wunderte sich, wie warm es in dem alten Gemäuer war.

„Das Haus verfügt über eine Zentralheizung“, bemerkte Carl und schloss eine der von der Halle abgehenden Türen auf. „Manchmal schließt die Tür nicht richtig.“ Er schaltete das Licht in der Wohnung an. „Hier sind wir ganz für uns. Das Zimmermädchen kommt nur, wenn es gerufen wird. Es wird also niemand merken, dass wir getrennt voneinander schlafen.“

Cathy atmete erleichtert auf.

„Mrs. Fife, die Haushälterin, hat sich vor meiner Ankunft um alles gekümmert. Der Kühlschrank und die Tiefkühltruhe sind voll. Wenn du etwas brauchst, wendest du dich an sie. Ihr eilt der Ruf eines Hausdrachens voraus, aber ich komme prima mit ihr zurecht.“

„Du wickelst doch jede Frau um den Finger, Carl.“

Er grinste verlegen. „Komm, ich möchte dir alles zeigen, dann kannst du auspacken.“

Die Wohnung war groß und hübsch, mit großen Fenstern, weißgetünchten Wänden, schwarzen Deckenbalken und gewienertem Eichenholzparkett.

Das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer verfügte über einen Kamin, die Küche war zweckmäßig eingerichtet. Von hier aus gelangte man auf eine kleine schneebedeckte Terrasse. Die Wohnung umfasste außerdem zwei Schlafzimmer, die jeweils mit einem Badezimmer verbunden waren. In dem einen Zimmer hatte Carl sich bereits häuslich eingerichtet, in das andere trug er Cathys Gepäck.

„Dein eigener Schlüsselbund liegt auf der Kommode“, erklärte er. „Wie gefällt es dir hier?“

„Besser als befürchtet.“

„Ich hatte gehofft, dass du dich hier wohl fühlst.“ Zufrieden holte er das restliche Gepäck aus dem Wagen, während Cathy begann, die Sachen in Schränken und Kommoden zu verstauen.

Zehn Minuten vor sieben verließ Cathy das Schlafzimmer – frisch geduscht und bekleidet mit einem eleganten dunkelblauen Etuikleid, das ihre schlanke Figur besonders gut zur Geltung brachte. Ihre schmalen Füße steckten in Abendsandaletten, als Schmuck hatte sie Perlenohrhänger angelegt.

Carl wartete bereits im Wohnzimmer auf sie.

„Du siehst super aus!“, rief sie überrascht, als sie ihren Bruder zum ersten Mal im Smoking sah.

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Schwesterherz.“

„Danke, sehr freundlich. Sag mal, wie ist eigentlich Mrs. Bowans Bruder so?“, fragte sie, als Carl die Wohnungstür hinter ihnen schloss.

„Ich kenne ihn noch gar nicht, aber Margaret hat mir schon viel von ihm erzählt. Er ist Geschäftsmann und verbringt die meiste Zeit in London oder auf Reisen.“

Auf dem Weg zum Arbeitszimmer fügte er hinzu: „Als sein Vater vor zwei, drei Jahren starb, hat er das gesamte Anwesen von Dunbar und den Titel geerbt, von dem er allerdings keinen Gebrauch macht. Es kostet natürlich eine Kleinigkeit, so ein Anwesen zu unterhalten. Daher hat er beschlossen, Ferienhäuser auf dem weitläufigen Grundstück bauen zu lassen und Beinn Mor in ein Touristenparadies zu verwandeln. Im Sommer kann man von hier aus Wanderungen unternehmen, im Winter läuft man Ski.“

Sie gingen unter einem Torbogen hindurch und gelangten zu einer herrschaftlichen Halle, die mit getäfelten Wänden, Kronleuchtern und einem imposanten Kamin ausgestattet war. Eine elegante Eichenholztreppe führte zu einer Empore hinauf.

„Dies ist die Eingangshalle“, erklärte Carl. „Und hier geht es zur Bibliothek, die auch als Arbeitszimmer dient.“

Die Bücherregale reichten bis zur Decke, den Boden schmückte ein weinroter Teppich, die schweren Samtvorhänge waren vorgezogen. Vor dem brennenden Kaminfeuer befand sich eine Ledersitzgruppe und daneben ein Servierwagen mit verschiedenen Flaschen, Karaffen und Gläsern.

Auf dem großen Schreibtisch am Fenster stand ein moderner PC mit allem, was dazugehörte. Im rechten Winkel dazu befand sich ein kleinerer Tisch mit einem Laptop.

Ein großer kräftiger Mann Ende Dreißig mit braunem Haar und offenem Blick eilte herbei, um sie zu begrüßen.

„Hallo, mein Name ist Robert Munro, der Verwalter. Sie müssen Carl sein.“

„Stimmt.“ Carl schüttelte ihm die Hand. „Und das ist meine Frau Cathy.“

„Freut mich sehr, Sie beide kennenzulernen.“

Das fröhliche Glitzern in seinen haselnussbraunen Augen gefiel Cathy. Lächelnd reichte sie dem sympathischen Mann die Hand. In diesem Moment ging eine Tür am anderen Ende des Zimmers auf, und eine kleine Gruppe trat ein.

Janet und Margaret, die sich angeregt unterhielten, wurden von einem dunkelhaarigen, gut aussehenden Mann begleitet, der sich als Kevin Bowan vorstellte.

Als letzter betrat ein Mann das Zimmer, der aufmerksam seinem Handy lauschte. Er war groß, breitschultrig, blond und hatte ein elegant geschnittenes Gesicht.

Cathy glaubte ihren Augen nicht zu trauen.

Der Mann beendete den Anruf und sah auf. Als er Cathy bemerkte, begann er über das ganze Gesicht zu strahlen. Er wollte auf sie zugehen, doch Margaret kam ihm zuvor.

„Ross, darf ich dir Carl Richardson vorstellen? Er ist unser neuer Skilehrer. Und dies ist Cathy, seine bezaubernde Frau. Sie wird uns in den kommenden Wochen bei der Büroarbeit unterstützen.“

Cathy schluckte. Am liebsten wäre sie einfach nur davongestürzt. Doch sie war so schockiert, dass sie sich nicht vom Fleck bewegen konnte.

Ross’ Blick fiel auf den breiten goldenen Ehering an ihrem Finger, ehe er ihre eiskalte Hand umschloss und höflich „Guten Abend, Mrs. Richardson“ sagte.

Außer Cathy hatte niemand die besondere Betonung bemerkt. Die rauchgrauen Augen, mit denen er sie noch vor wenigen Stunden so zärtlich angeschaut hatte, blickten jetzt kalt und verächtlich. Unwillkürlich begann Cathy zu frösteln.

Ross ließ sich nichts anmerken. Stattdessen spielte er den perfekten Gastgeber. „Was darf ich Ihnen anbieten?“

Als sie nur schweigend den Kopf schüttelte, fragte er nach: „Vielleicht einen Gin Tonic oder einen Sherry?“

„Sherry, bitte“, stieß sie heiser hervor.

„Cream oder trocken?“

„Trocken, bitte.“

„Janet?“

„Das gleiche für mich. Danke.“

Er reichte ihnen die Gläser, bevor er sich seiner Schwester zuwandte. „Was darf es für dich sein, Marley?“

„Ich nehme einen Gin Tonic.“

Ross reichte allen Gästen die gewünschten Drinks. Allmählich kam eine Unterhaltung in Gang, doch Cathy stand noch immer unter Schock und antwortete nur, wenn ihr jemand eine Frage stellte.

Endlich begab man sich zu Tisch. Ein langer antiker Esstisch war festlich mit weißem Leinen, Silberleuchtern und funkelnden Kristallgläsern gedeckt.

Erleichtert stellte Cathy fest, dass Carl zu ihrer Linken und Margaret zu ihrer Rechten Platz nahmen. Doch aus der Erleichterung wurde schnell Entsetzen, als Ross sich auf den Stuhl ihr gegenüber setzte.

Nur Carl zuliebe blieb sie sitzen, das Essen bereitete ihr wahre Qualen. Sie brachte kaum einen Bissen der Köstlichkeiten hinunter, so genau spürte sie Ross’ vorwurfsvollen Blick auf sich.

Schließlich war die Tortur vorüber, und sie setzten sich an den Kamin, um dort den Kaffee einzunehmen. Cathy suchte sich einen Platz auf dem Ecksofa aus. Prompt ließ sich Ross direkt neben ihr nieder, ihre Knie berührten sich fast.

„Wie lange sind Sie schon verheiratet, Mrs. Richardson?“, fragte er aalglatt.

Cathy hielt den Blick gesenkt. „Noch … noch nicht sehr lange“, brachte sie stockend heraus. Widerstrebend sah sie auf und begegnete seinem Blick.

„Was heißt das genau?“

Sie war völlig durcheinander. „Drei oder vier Wochen“, behauptete sie leise.

Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Seltsam. Sehr sicher scheinen Sie sich nicht zu sein.“

Sie wandte den Blick ab und rechnete verzweifelt nach, wann Carl und Katie hätten heiraten sollen. „Es war genau heute vor vier Wochen.“

„Dann haben Sie also an einem Freitag geheiratet?“

„Äh … ja.“ Sie biss sich auf die Lippe. Sehr überzeugend hatte das auch nicht geklungen.

„Sind Sie sicher?“

Musste er sie so quälen? Cathy riss sich zusammen. „Natürlich bin ich sicher.“

„An einem Freitag zu heiraten bringt Unglück, sagt man. Sind Sie nicht abergläubisch?“

„Nein.“

„Haben Sie nur standesamtlich oder auch kirchlich geheiratet, Mrs. Richardson?“

„Standesamtlich.“ Langsam wurde sie sicherer.

„Tatsächlich? Wo denn?“

„Wieso?“

„Wieso nicht? Wo haben Sie sich standesamtlich trauen lassen?“

Cathy hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Automatisch erwähnte sie das Standesamt, in dem sie Neil das Jawort gegeben hatte, und hoffte, Ross würde sein Verhör endlich beenden.

Doch der dachte gar nicht daran. Offensichtlich machte es ihm Spaß, sie zu verunsichern.

„Und Sie haben in London gewohnt, ja?“

„Ja.“

„Und wo genau?“

Mit zitternden Händen stellte sie ihre Kaffeetasse so heftig auf die Untertasse, dass es klirrte, und antwortete kurz angebunden: „Notting Hill.“ Da sie die nächste Frage bereits kommen sah, fügte sie hinzu: „Wir haben eine möblierte Wohnung im Oldes Court gemietet.“

Anzüglich lächelnd fragte er: „Mit wir meinen Sie wohl sich und Ihren Mann?“

„Natürlich.“

„Haben Sie beide dort schon vor Ihrer Eheschließung gewohnt?“

„Ja.“

„Haben Sie die Wohnung behalten?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Wozu? Wir sind doch jetzt nach Schottland gezogen.“

Damit war das Verhör hoffentlich beendet. Doch sie hatte sich zu früh gefreut. Ross’ Blick war eisig, als er fragte: „Wo haben Sie denn die Flitterwochen verbracht, Mrs. Richardson?“

Sie schickte Carl einen Hilfe suchenden Blick, doch ihr Bruder war in ein Gespräch mit Janet vertieft.

„Warum sind Sie so nervös, Mrs. Richardson?“

Nun eilte Margaret ihr zu Hilfe. „Weil du sie verhörst, Ross. Was fällt dir eigentlich ein? Ich bin fest davon überzeugt, dass Cathy und Carl glücklich verheiratet sind – im Gegensatz zu Mr. und Mrs. Frey.“ Sie verdrehte den Blick himmelwärts. „Und bitte tu mir einen Gefallen, Ross: Hör auf, das arme Mädchen Mrs. Richardson zu nennen. Wir sagen hier alle Cathy zu ihr.“

Ross lächelte schief. „Vielleicht ist ihr das zu vertraut.“

„Unsinn. Du weißt ganz genau, dass wir uns hier alle mit dem Vornamen anreden.“

„Also gut. Sie haben also nichts dagegen, wenn ich Cathy sage?“

Sie atmete tief durch. „Nein.“

Da Kevin die Aufmerksamkeit seiner Frau beanspruchte und Margaret dadurch abgelenkt war, setzte Ross das Verhör ungeniert fort.

„Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Sie wollten mir erzählen, wo Sie die Flitterwochen verbracht haben.“

„Wir waren nicht auf Hochzeitsreise.“

„Warum nicht?“

„Wir konnten es nicht einrichten, weil Carl ja hier seine Stellung antreten musste.“

„Das ist ja nicht sehr romantisch.“

Carl hatte die letzten Worte aufgeschnappt und widersprach sofort. „Sie irren sich, Ross. Ich kenne keine romantischere Frau als Cathy.“

„Das klingt, als würden Sie sie schon Ihr ganzes Leben lang kennen.“

„Stimmt.“ Carl biss sich auf die Zunge. Hatte er sich gerade in die Nesseln gesetzt?

Ross rang sich ein Lächeln ab. „Dann ist aus der Sandkastenfreundschaft wahre Liebe geworden?“

„So könnte man es ausdrücken“, antwortete Carl, ohne mit der Wimper zu zucken.

Nicht eine Sekunde länger konnte sie das ertragen! Mit leicht zitternden Beinen stand Cathy auf und bat die Runde: „Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Nach der langen Fahrt bin ich doch recht müde und würde gern ins Bett gehen.“

„Selbstverständlich.“ Margaret hatte volles Verständnis. „Die Reise durch den Schneesturm war sicher sehr anstrengend.“

Ross hatte sich ebenfalls erhoben und bemerkte unschuldig: „Vielleicht haben Sie in der letzten Nacht zu wenig Schlaf bekommen?“

Cathy überhörte die anzügliche Bemerkung, wünschte allen eine gute Nacht und ging zur Tür.

Ross war schneller und hielt sie für sie auf. Dabei stellte er sich Cathy in den Weg.

„Ich erwarte Sie morgen früh spätestens um acht Uhr in meinem Arbeitszimmer.“

„Wieso in Ihrem Arbeitszimmer?“ Cathy sah ihn schockiert an. „Ich dachte, ich würde im Hotel arbeiten.“

„Nein, das haben Sie falsch verstanden. Ihre Aufgaben betreffen die Verwaltung und die Buchführung für das Anwesen. Um das Hotel kümmern sich Marley und Janet.“

„Ach so.“

Mitfühlend schaltete sich Janet ein. „Keine Angst, ich helfe Ihnen am Anfang, bis Sie wissen, wie der Hase läuft.“

Ross runzelte die Stirn. „Ich dachte, Marley hat jemanden eingestellt, der mit diesen Arbeiten vertraut ist?“

„Ich bin damit vertraut“, erklärte Cathy.

Margaret, die sich über ihren Bruder wunderte, kam Cathy ein weiteres Mal zu Hilfe. „Ich bin sicher, dass Sie Ihre Aufgaben zu unser aller Zufriedenheit erledigen werden, Cathy. Bisher hat Hector McDonald diese Arbeit erledigt, und zwar fast fünfzig Jahre lang. Jetzt haben wir ihn in Rente geschickt. Immerhin ist er inzwischen fast fünfundachtzig. Leider ist in den letzten Monaten viel Arbeit liegen geblieben, zumal Hector sich standhaft geweigert hat, ‚neumodische Methoden‘ einzuführen. Damit meinte er einen PC, den Janet in seiner Gegenwart auf gar keinen Fall benutzen durfte. Trotzdem hat sie versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Es wäre also eine gute Idee, wenn sie Ihnen wenigstens eine kurze Einführung gäbe.“

„Sie hören ja selbst, dass viel Arbeit auf Sie zukommt. Deshalb bestehe ich auch darauf, spätestens um acht Uhr anzufangen“, sagte Ross.

„Du bist ein echter Sklaventreiber.“ Nun schaltete sich auch Kevin ein. „Das habe ich ja schon lange geahnt, mein lieber Schwager. Aber dass du unserem frisch verheirateten Pärchen, das gerade erst wieder vereint ist, heute Nacht den Spaß verderben willst … das geht zu weit.“ Kevin zwinkerte vergnügt.

Margaret spürte, dass Cathy vor Verlegenheit am liebsten im Erdboden versunken wäre. „Ihr seid ja ganz schöne Helden, was? Was fällt euch ein, das arme Mädchen so in Bedrängnis zu bringen?“

Ross lächelte verächtlich. „Die meisten Paare leben heutzutage doch schon vor der Ehe zusammen. Ich finde es erstaunlich, dass eine junge Frau wegen einer harmlosen Bemerkung vor Scham gleich rot anläuft.“

„Nun ist aber Schluss, Ross.“ Ärgerlich funkelte Margaret ihren Bruder an. „Was ist heute Abend nur in dich gefahren? Du bist doch sonst nicht so unsensibel.“

„Tut mir leid, wenn ich Mrs. Richardson zu nahe getreten bin.“

„Aber keineswegs.“ Cathy hatte sich wieder im Griff. „Bitte entschuldigen Sie mich jetzt.“

Etwas verspätet dachte Carl daran, den verliebten jungen Ehemann zu geben, und stand auf. „Soll ich dich begleiten, Liebling?“

„Nein, nicht nötig. Amüsier dich gut.“

„Hast du den Schlüssel?“

Verneinend schüttelte sie den Kopf.

„Hier, nimm meinen.“ Er warf ihr das Schlüsselbund zu. „Ich komme gleich nach. Schließlich muss ich auch früh raus.“

„Gute Nacht allerseits.“ Cathy schob sich an Ross vorbei und flüchtete sich in ihr Zimmer.

Wie in Trance zog sie sich aus und legte sich ins Bett. Warum nur war das Schicksal so gemein zu ihr? Eben noch war sie im Siebten Himmel gewesen, weil Ross in ihr Leben getreten war, und nun lag ihr Leben erneut in Scherben. Die Situation war unerträglich. Am liebsten hätte sie Ross sofort alles erklärt, doch das konnte sie Carl nicht antun. Ihr kleiner Bruder war so glücklich mit seinem neuen Job.

Also musste sie Ross in dem Glauben lassen, dass sie mit jedem Mann ins Bett hüpfte, der ihr über den Weg lief. Sie fröstelte, als sie sich an seinen eisigen, verächtlichen Blick erinnerte.

Als Carl zwei Stunden später die Wohnung betrat, lag Cathy noch immer wach, stellte sich jedoch schlafend. Ihr Bruder sollte nicht sehen, dass sie die ganze Zeit geweint hatte.

Erst in den frühen Morgenstunden fiel sie in einen unruhigen Schlaf und träumte von Ross.

4. KAPITEL

Noch ganz erfüllt von den lebhaften Träumen erwachte Cathy schließlich mit einem überwältigenden Glücksgefühl.

Doch schon im nächsten Moment holte die Wirklichkeit sie wieder ein. Wie konnte das Schicksal ihr nur so einen gemeinen Streich spielen?

Da sie normalerweise automatisch früh aufwachte, hatte sie darauf verzichtet, den Wecker zu stellen, der auf ihrem Nachttisch stand. Nun musste sie entsetzt feststellen, dass es bereits Viertel vor neun war!

In der Wohnung war es ganz still, also hatte Carl bereits gefrühstückt und war schon unterwegs.

Cathy hastete ins Badezimmer und machte sich für den Tag fertig. Am Abend hatte sie bereits die Sachen herausgelegt, die sie heute anziehen wollte: einen braunen Rock und einen cremeweißen Pullover.

Das lange Haar steckte sie auf, griff in letzter Minute noch nach dem Schlüsselbund, den sie in ihre Rocktasche steckte, und eilte zum Arbeitszimmer.

Vor der Tür traf sie auf einen großen Kater, der ihr offensichtlich Gesellschaft leisten wollte. Sein orangegoldfarbenes Fell glänzte, Brust und Pfoten waren weiß, der Schwanz orange-weiß gestreift.

Auch die untere Gesichtshälfte war von schneeweißer Farbe, die über der Nase in einem umgekehrten V endete. Das Tier sah aus, als trüge es einen Helm.

Cathy liebte Katzen und bückte sich. „Hallo, wo kommst du denn her?“

Der Kater sah mit hellen goldgrünen Augen zu ihr auf und miaute leise.

„Du bist aber ein hübscher Bursche“, sagte sie und streichelte ihn.

Offensichtlich erfreut über das Kompliment, begann er, um ihre Fesseln zu streichen. Das dichte Fell fühlte sich seidig an, und der Kater hatte den Schwanz hoch erhoben – wie eine königliche Standarte.

Cathy richtete sich wieder auf und fasste nach dem Türgriff. „Ich weiß nicht, ob du hier herein darfst. Verschwinde lieber schnell, bevor dich jemand sieht.“

Beleidigt blieb er zurück, doch sowie sie die Tür öffnete, schoss er wie ein geölter Blitz an ihr vorbei ins Zimmer und machte es sich vor dem Kaminfeuer bequem, wobei er ihr geflissentlich den Rücken zuwandte.

Sie schloss die Tür hinter sich. „Entschuldigung, ich wusste nicht, ob …“

Der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken, denn nicht Janet mit ihren warmherzigen braunen Augen blickte ihr entgegen, sondern Ross, der sie kühl musterte.

Er saß am PC und warf einen bedeutungsvollen Blick auf seine Armbanduhr.

„Tut mir leid“, sagte Cathy stockend. „Ich habe verschlafen.“

„Das habe ich gemerkt. Ich hatte so gehofft, dass Marley zur Abwechslung mal zuverlässige Leute einstellt – leider vergebens, wie man sieht.“

Cathy senkte den Blick. „Es wird nicht wieder vorkommen. In Zukunft stelle ich den Wecker.“

„Das wird vielleicht gar nicht nötig sein. Wenn dein Mann sich auch verspätet hat und dadurch den Terminplan durcheinanderbringt, könnt ihr gleich eure Sachen packen.“

„Carl war pünktlich.“

„Wann ist er denn losgegangen?“

„Das weiß ich nicht genau.“

„Hast du denn nicht gehört, wie er das Zimmer verlassen hat?“

Verneinend schüttelte sie den Kopf. „Ich habe geschlafen.“

„Und er hat dich nicht geweckt?“

„Nein. Er weiß ja, dass ich immer früh aufstehe.“

„Wann bist du aufgestanden?“

„Viertel vor neun“, gab sie widerstrebend zu. „Aber ich habe wenig geschlafen und …“

Kevins anzügliche Bemerkung über frisch Verheiratete, die im Bett Besseres zu tun hatten als zu schlafen, fiel ihr wieder ein. Verlegen sah sie zur Seite.

Ross wusste sofort, was in ihr vorging. „Sicher, wo du dich doch in der vorletzten Nacht nur mit einem Ersatz zufriedengeben musstest …“

Cathy zuckte zusammen. „Es tut mir alles so schrecklich leid. Wie gern würde ich es rückgängig machen.“

„Das glaube ich gern. Marley hat dich sofort ins Herz geschlossen und dich als ruhig, süß und schüchtern beschrieben. Die anderen haben ihr zugestimmt. Und dein Mann, dem du offensichtlich viel bedeutest, meinte, du wärst etwas ganz Besonderes, und er könne sich glücklich schätzen, so eine Frau gefunden zu haben. Was sie wohl alle denken würden, wenn ich ihnen sagte, wie du wirklich bist?“

Leise fragte sie: „Hast du denn vor, es ihnen zu erzählen?“

„Das kommt ganz darauf an.“

„Worauf?“

„Darauf, ob du tust, was ich von dir verlange. Beispielsweise verbiete ich dir, dich mit den männlichen Gästen von Beinn Mor abzugeben. Deinem Mann zuliebe werde ich den Mund halten und dir eine Chance geben.“

„Das heißt, du gibst mir Bewährung?“

„Wenn du es so ausdrücken willst – ja. Du begreifst wirklich schnell, Cathy. Kompliment, du bist nicht nur schön und schamlos, sondern auch intelligent.“

Als er bemerkte, wie kreidebleich sie wurde, fragte er: „Störst du dich an dem Wort ‚schamlos‘? Wie soll man denn sonst eine Frau bezeichnen, die frisch verheiratet ist und sich trotzdem mit anderen Männern vergnügt?“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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