Auf dem Schloss des Playboys

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Christopher Smythe bringt die junge Reiseleiterin Jennifer fast um den Verstand. Auch wenn der sexy Schlossbesitzer im Ruf eines notorischen Playboys steht, kann sie seinen erregenden Küssen nicht lange widerstehen - und hofft bald auf mehr als eine Affäre. Vergeblich?


  • Erscheinungstag 25.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733726560
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Irgendwie war sein Leben aus dem Ruder gelaufen. Und sosehr sich der junge Earl of Winchester auch bemühte, er bekam es einfach nicht wieder in den Griff.

Sein Lieblingszimmer lag ganz oben im nördlichen Turm der Burg. Es war seine Zuflucht und der Ort, an dem er in Ruhe nachdenken konnte. Als sie noch Kinder waren, hatten seine Brüder und er hier gespielt. Später, als er etwas älter war, hatte er hier Bücher über kühne Ritter, schreckliche Schlachten und schöne, aber verzweifelte Prinzessinnen gelesen. In seinen Träumen hatte er stets gesiegt.

Heutzutage begann er jedoch unweigerlich zu grübeln, sobald er Zeit innerhalb der dicken Granitwände verbrachte. Dunkle Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum wie die Nebel um Loch Kerr, den tiefen See nahe der Burg, und seine ohnehin schlechte Stimmung wurde noch düsterer. Tag für Tag wuchsen seine Hilflosigkeit und seine Wut, bis er gefährlich nahe daran war, auf alles loszugehen, was ihm in die Quere kam.

Christopher Smythe, Earl of Winchester, trat auf den Balkon und starrte zornig auf das purpurrote Heidekraut hinunter, das seine Burg umgab. Etwa fünfhundert Kilometer weiter südlich lag London. Dort verbrachten seine Freunde gerade ein paar gesellige Tage, ehe sie im August an die Côte d’Azur weiterziehen würden. Seine Freunde waren eine willkommene Ablenkung, wenn sie ihn auf der Burg besuchten, aber sie verschwanden immer viel zu schnell wieder nach London oder zu einer Fuchsjagd, zu einem Polospiel oder einer Party. Wenn Christopher dann allein war, blieb ihm keine andere Wahl, als sich wieder mit seiner Wut zu beschäftigen. Denn er war außerstande, sich seinen größten Wunsch zu erfüllen.

Er umklammerte die steinerne Balustrade mit festem Griff und fluchte laut. Statt sich besser zu fühlen, nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hatte, empfand er jedoch etwas anderes: eine Art Vorahnung, dass sein Leben noch komplizierter werden würde. Was sollte das nun wieder bedeuten?

In diesem Moment sah er, wie sich etwas auf der schmalen, mit Kies aufgeschütteten Auffahrt bewegte, die von der Hauptstraße den Hügel hinauf zur Burg führte. Es schien ein Kleinbus zu sein, rot, kompakt und staubig. Seine Haushälterin besaß kein Auto, und der Verwalter hatte heute frei. Der Stallmeister und seine Gehilfen kümmerten sich gerade um die Pferde. Den Steinmetz und seine Leute erwartete er in den nächsten Tagen nicht. Tatsächlich kannte er niemanden, der einen solchen Wagen fuhr.

Während das rote Vehikel näher rumpelte und dabei Staub und Kies aufwirbelte, fiel Christophers Blick auf ein leuchtend buntes Schild auf einer Seite des Wagens: Murphy’s weltweite Traumtouren. Touristen, die sich verfahren haben, dachte Christopher grimmig. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als hinunterzugehen und ihnen den Weg zur Schnellstraße zu zeigen.

Verärgert, weil er sein Grübeln unterbrechen musste – oder vielleicht auch, weil die Unterbrechung kurz und langweilig sein würde –, eilte er die Stufen vom Turm zum nächsten Treppenabsatz hinunter. In großen Schritten, immer zwei elfenbeinfarbene Marmorstufen auf einmal, lief er die nächste Treppenflucht hinab bis in die große Halle im Erdgeschoss. Christopher riss die schwere Eichentür auf und ging hinaus, wo eine junge Frau gerade vom Fahrersitz des Busses kletterte und ihre Passagiere fröhlich winkend aufforderte, seinen Besitz zu betreten.

Das ging zu weit.

„Was, verdammt noch mal, erlauben Sie sich?“ Er lief auf sie zu und spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.

Sie drehte sich um und starrte ihn überrascht an. Ihre Augen hatten die Farbe junger Blätter. Frisch, grün, unschuldig. Doch als sie sein mürrisches Gesicht sah, verdunkelte sich ihr Blick. „Wie bitte?“

„Haben Sie das Schild nicht gesehen?“

„Welches Schild?“ Ihre Stimme klang herausfordernd. Das überraschte ihn. Normalerweise reichte ein Blick von ihm, um Eindringlinge zu vertreiben.

„Das, auf dem Privatbesitz steht“, knurrte er. „Betreten verboten.“

Sie blinzelte ihn an, knabberte an ihrer Unterlippe und seufzte. „Nun, ich glaube, ich habe angenommen, dass wir keine …“ Sie spähte in ihre Handtasche und begann, darin zu kramen. „Hier, bitte.“ Sie schwenkte ein Blatt Papier vor seinem Gesicht. „Wir haben für elf Uhr gebucht.“

„Gebucht?“ Er schnappte sich das Blatt und entfaltete es.

Es schien eine Buchungsbestätigung für Bremerley Castle zu sein. Er wollte ihr gerade sagen, dass Bremerley Castle zwanzig Kilometer weiter nördlich lag, als ihm die erwartungsvollen Blicke ihrer Gäste auffielen und die Sorge in den grünen Augen der jungen Frau.

Sein Ärger verflog, seine Stirn glättete sich, und die Anspannung wich aus seinen Schultern. Er brachte es nicht fertig, ihr in Gegenwart der anderen zu sagen, dass sie sich verfahren hatte.

Abgesehen davon sah sie fantastisch aus, wie sie da vor ihm stand, sich mit der Zunge über die Oberlippe fuhr und ihn mit diesen schönen hellgrünen Augen ansah.

„Ich würde mich freuen, Sie herumzuführen“, brummte er schließlich und war ein bisschen erstaunt über sich selbst.

Ihr Gesichtsausdruck hellte sich sofort auf. „Oh, schön. Sie müssen der Verwalter sein. Wohnt Lord MacKinney zu dieser Jahreszeit hier?“

Das Spielchen gefiel ihm so sehr, dass es sogar ein Lächeln auf seine Lippen zauberte. Was sprach dagegen, so zu tun, als sei er jemand anderes? Und wenn er damit dieser verirrten, aber schönen jungen Amerikanerin aus der Patsche helfen konnte – umso besser. „Manchmal“, sagte er. „Wenn er nicht gerade Polo spielt oder in London ins Theater geht. Heute ist er nicht da.“

Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Sie sind sicher froh, dass er aus dem Weg ist.“

Er beugte sich zu ihr hinab und roch den schwachen Vanilleduft ihres Parfums. „Der Lord kann eine ziemliche Plage sein.“

„Nun, dann freut es mich, dass er nicht da ist.“ Sie drehte sich um und bewunderte die vor ihr aufragenden Festungsmauern mit großen Augen und kindlicher Freude. „Können Sie uns die Zimmer zeigen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind?“

Die Linie ihres Halses zog seine Aufmerksamkeit auf sich, und Christopher stellte sich unwillkürlich vor, wie seine Lippen daran entlangglitten. Die junge Frau war klein und blond und reichte ihm selbst in ihren High Heels nur bis zur Schulter. Während sie das Gebäude musterte, das seiner Familie seit fast dreihundert Jahren gehörte, spielte sie mit den Quasten an ihrer Tasche. Sie runzelte kurz die Stirn, als ihr der rechte Flügel der Burg, die Ruine, auffiel.

Kluge Frau, dachte Christopher. Sie merkte wohl gerade, dass etwas nicht stimmte. Bremerley war vollständig restauriert. Wenn sie eine sachverständige Führerin war, würde sie das wissen. Er fragte sich, wie lange sie wohl brauchen würde, um ihren Fehler zu bemerken.

In der Zwischenzeit freute er sich über ihr Interesse an seinem Erbe. Normalerweise schickten er oder sein Verwalter alle Touristen, die auf der A7 die falsche Abfahrt nahmen und hier landeten, sofort wieder weg. Aber dieser Frau zuzusehen war einfach verdammt fesselnd.

„Wie heißen Sie?“, fragte er und zeigte einladend zu den Eingangsstufen hin.

Sie ging los, gefolgt von zehn Reisenden, die sich schon angeregt miteinander unterhielten und sich interessiert umschauten. „Jennifer Murphy, und Sie?“

„Christopher.“

„Christopher“, wiederholte sie nachdenklich und stieg die Granittreppe empor, deren Stufen in der Mitte vom jahrhundertelangen Gebrauch ausgetreten waren. „Ist das ein schottischer Name? Ich dachte, er sei englisch.“

„Ich bin in Sussex geboren, aber hier in der Gegend und in London aufgewachsen.“

„Wie aufregend!“

„Manchmal“, bekannte er. Er hatte sich niemals Gedanken über das nächste Essen machen müssen, und es war immer genug Geld dagewesen, mit dem er tun konnte, was ihm gerade einfiel. Sein Vater, der Earl of Sussex, war zwar mit seiner Zuneigung sparsam umgegangen, doch er hatte Christopher und seine beiden Brüder immer gut versorgt – auch mit Titeln. Alle drei konnten sie sich nach dem Gesetz Earl nennen, obwohl ihre Titel weniger bedeutend waren als der ihres Vaters. Der Familie gehörte eine ganze Sammlung von Adelsbezeichnungen, die ihre Vorfahren in den vergangenen Jahrhunderten angehäuft hatten.

„Und Sie? Sie sind offensichtlich Amerikanerin. Aus welchem Teil der Staaten kommen Sie?“

„Ich bin in Baltimore aufgewachsen und habe dort auch immer gelebt. Meiner Mutter und mir gehört ein Reiseunternehmen. Wir haben uns auf Touren durch Europa spezialisiert.“

„Und sie leiten jede Reise persönlich?“

Sie lächelte. „Nein, nicht jede. Aber die meisten. Meine Mutter wacht lieber über das Büro. Und weil ich Geschichte studiert habe, kann ich auch die Führungen leiten, die wir unseren Kunden anbieten.“

Sieh mal einer an! Sie war also nicht nur hübsch, sondern auch klug. Es juckte Christopher, mehr über sie herauszufinden. Doch nun standen sie in der Mitte der Haupthalle, und die Reisegruppe wurde unruhig.

Er wollte sie gerade darum bitten, ihren Kunden zu sagen, dass sie nicht die Gemälde berühren sollten, die er erst kürzlich aus einem Lagerraum geholt hatte, um sie aufzuhängen. Da fiel ihm auf, dass sie seine Kleidung musterte und dabei leicht die Stirn runzelte. „Ist alles in Ordnung?“

„Ich habe mich gerade gefragt, was Verwalter wohl heutzutage verdienen.“ Sie tippte auf das Revers seines Lieblingsblazers aus Kaschmir.

Sie schaltete offenbar schnell. Christopher hätte beinahe laut aufgelacht.

Eigentlich hatte er heute nach Edinburgh zu seinem Anwalt fahren wollen. Auf diese Weise verkehrten er und sein Vater neuerdings miteinander. Der alte Earl missbilligte den Lebensstil seines jüngsten Sohnes, über den die britischen Paparazzi ausführlich berichteten. Sein Vater hielt ihn für einen Playboy mit einer Schwäche für schnelle Polopferde und rassige Frauen. Als Christopher ihn vor einem Jahr gebeten hatte, ihm Donan Castle als Teil seines Erbes zu überlassen, hatte sein Vater wohl in der Hoffnung zugestimmt, dass sich Christopher im Norden niederlassen und eine Braut finden würde. Doch nun lebte er schon seit neun Monaten auf Donan, und die zukünftige Ehefrau ließ immer noch auf sich warten.

In Wirklichkeit, wusste Christopher, hatte er nur eine einzige Schwäche. Doch die würde er so lange geheim halten, bis er von seinem Versprechen entbunden wurde. Er hoffte inständig, dass dieser Tag nahe war.

Christopher zwang sich, zu lächeln. „Die Jacke ist ein Geschenk meines Arbeitgebers.“

Jennifer musterte ihn noch einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augen. Er wünschte, er könnte ihre Gedanken lesen, doch plötzlich drehte sie sich um, klatschte in die Hände und begann ihrer Reisegruppe etwas über mittelalterliche Architektur zu erzählen. Er hörte ihr zu, eher vom Klang ihrer Stimme als vom Inhalt ihrer Worte begeistert. Ihre Stimme klang sanft und süß und erinnerte ihn an seine Kindheit, als ihm ein Kindermädchen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte, Geschichten über eine Zeit vorgelesen hatte, als Ehre noch alles gewesen war.

Er versuchte sich vorzustellen, wie Jennifer wohl im Kleid einer Edelfrau aus dem fünfzehnten Jahrhundert aussehen würde. Heute trug sie einen einfachen Jeansrock und ein pinkfarbenes Baumwolltop. Damals wäre es ein bodenlanges Kleid aus flämischem Damast gewesen, und in ihr langes flachsfarbenes Haar wären Bänder und Edelsteine eingeflochten gewesen. Damals hätte ein Mann seine Frau wegschließen können, um sie vor begehrlichen Blicken und den Übergriffen anderer Männer zu bewahren …

Wie war er nur auf diese Idee gekommen? Christopher versuchte, die Gästegruppe im Auge zu behalten. Trotzdem beschäftigte ihn seine Fantasie weiter. Er stellte sich vor, wie er mit Lady Jennifer allein war und sie berühren konnte, wann immer ihm danach war. Sein Körper reagierte sofort. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie wütend er eben noch gewesen war, als sie ihren Wagen vor seiner Eingangstür geparkt hatte. Doch es nützte nichts.

„Kommen Sie?“

Erschrocken sah Christopher hoch, aufgeschreckt von Jennifers Stimme, die plötzlich weiter entfernt zu sein schien. Er drehte sich um und sah, dass sie auf die Tür zusteuerte, die in seine Bibliothek führte. „Wir haben es eilig“, rief sie ihm zu. „Wir müssen zum Mittagessen in einem Pub südlich von Edinburgh sein. Und …“, sie warf ihm einen wissenden Blick über die Schulter zu, „… die Aufzeichnungen, die ich über die Innenausstattung von Bremerley gemacht habe, scheinen nicht mit der Realität übereinzustimmen.“

Jetzt musste er doch lachen. Sie war wirklich eine kluge Frau.

Er beeilte sich, sie einzuholen, hörte ihrem weiteren Vortrag aufmerksam zu und war überrascht, wie viel sie über die Geschichte der Borders wusste, der Region im Süden Schottlands, die an England grenzte. Dort hatten die Kämpfe zwischen England und Schottland nicht nur Hunderte von Jahren angedauert, sie waren auch besonders heftig gewesen. Donan Castle war ein wichtiger Teil der Verteidigungslinie gewesen. Die Burg hatte Dutzende Male den Besitzer gewechselt.

Christopher lauschte Jennifers Ausführungen so konzentriert, dass ihm der Mann zunächst nicht auffiel, der sich von der Gruppe entfernte, um sich ein Paar Duellpistolen anzusehen, die an der Wand hingen.

Aus dem Augenwinkel sah Christopher, wie eine Hand nach den Waffen fasste. Bevor er es sich versah, schrie er: „Nicht!“

Alle starrten ihn an. Jennifer legte den Kopf schief und betrachtete ihn triumphierend.

Mit drei Schritten hatte Christopher den Mann erreicht und schob dessen Hand von den Pistolen weg. „Der Earl mag es nicht, wenn man seine Sachen berührt“, sagte er und versuchte, ruhig zu klingen.

„Entschuldigung, ich wollte nichts beschädigen“, wandte der Tourist ein.

„Das ist ein fabelhafter Grundsatz, den Sie immer befolgen sollten, wenn Sie ein Museum oder ein Gebäude von historischem Rang besuchen“, sagte Jennifer fröhlich. „Viele Dinge, die Sie dort sehen, sind unersetzbar. Lassen Sie uns nun weitergehen.“ Sie warf Christopher im Vorbeigehen einen schelmischen Blick zu. „Ich bin sicher, dass es hier noch mehr Interessantes zu entdecken gibt.“

Als sie den ersten Stock besichtigt hatten, war sich Christopher sicher, dass Jennifer nicht nur wusste, dass sie sich nicht auf Bremerley befand, sondern auch ahnte, dass er nicht der war, der er zu sein vorgab. Immer, wenn die Gruppe einen Raum betrat, spürte er Jennifers Blick auf sich ruhen. Und immer wieder erwischte er sich dabei, wie er sich zwischen die Touristen und seine liebsten Besitztümer stellte, als schirme er sie vor unbeholfenen Händen ab.

Zum Schluss – als sie sich alle in einem Kreis in der Haupthalle versammelten – wandte sich Jennifer direkt an ihn. „Dürfen wir die Räume ganz oben auch besichtigen?“

Christopher erstarrte bei der Vorstellung, dass Fremde durch seine Privatzimmer laufen könnten. „Ich … nun … Wissen Sie, die oberen Räume werden gerade renoviert.“ Das stimmte zwar, aber er hätte sie ihnen trotzdem zeigen können. Alle, außer dem Turmzimmer. Das gehörte ihm allein.

Zwei Frauen seufzten bedauernd.

„Nun, dann sind wir fertig!“, verkündete Jennifer. „Vielen Dank, Christopher, dass Sie den Gastgeber gespielt haben. Wir haben uns sehr gefreut, die Burg besichtigen zu dürfen.“

„Kein Problem.“ In seinen Ohren klang seine Stimme ungewohnt entspannt und freundlich. Wie lange war es her, dass er sich so gelassen gefühlt hatte?

Bevor er es herausgefunden hatte, trieb Jennifer ihre Schützlinge zur Eingangstür und erläuterte die Pläne für den Nachmittag.

Christopher folgte ihr auf den Fersen. Er fühlte sich ein bisschen schuldig, weil er sie an der Nase herumgeführt hatte. Es spielte keine Rolle, dass er sie nie wiedersehen würde, dachte er, während die Gruppe in den Wagen stieg. Ihm gefiel nur der Gedanke nicht, sie in dem Glauben wegfahren zu lassen, dass er sie mit Absicht hereingelegt hatte, wo er ihr doch nur hatte helfen wollen. Aber natürlich hatte er sich auch ein bisschen Spaß und Ablenkung versprochen.

„Warten Sie!“, rief er, gerade als sie in den roten Bus einsteigen wollte. Er griff nach ihrer Hand, zog sie einen Schritt vom Wagen weg und schloss die Tür, damit niemand sie hörte. „Wie haben Sie es herausgekriegt?“, fragte er leise.

„Verwalter sind normalerweise gegenüber ihren Arbeitgebern sehr loyal“, stellte Jennifer fest. „Aber kein Angestellter war bisher je so stolz auf das Haus seines Chefs wie Sie. Ich habe gedacht, Sie würden Mr. Pegorski erwürgen, als er die Pistole berührt hat.“ Sie sah ihn anklagend an. „Das hier ist nicht Bremerley. Kein einziges Architekturmerkmal kommt in meinen Aufzeichnungen vor. Und Sie sind kein Verwalter. Wo bin ich also, und wer sind Sie?“

„Dies hier ist Donan Castle. Sie haben die falsche Abfahrt genommen. Ich bin Christopher Smythe, Earl of Winchester.“

Sie musterte ihn, und nach einem Moment nickte sie. „Ich habe von Ihnen gehört oder irgendwo Fotos von Ihnen gesehen. Ich glaube, in einem Magazin. Eins von diesen Gesellschaftsblättern, an einem Londoner Kiosk.“

Er hob ungerührt eine Braue. „Glauben Sie nicht alles, was Sie lesen.“ Dass sie sein Ruf weder beeindruckte noch beunruhigte, machte ihn neugierig. Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. Sie roch nach Vanille. Dann ließ er sie zögernd los.

„Der Earl of Winchester“, wiederholte sie nachdenklich.

„Ein ziemlich unbedeutender Titel. Am Hof kennen sie mich kaum.“

Sie sah ihn zweifelnd unter hellen Wimpern an. „Stimmt. Sie sind nur ein Durchschnittsbürger.“

Er schüttelte den Kopf und lächelte. Ein richtiges Lächeln – zum ersten Mal seit Ewigkeiten. Aus irgendeinem Grund gefiel es ihm, dass sie ihn offenbar für attraktiv hielt. Er hatte sich inzwischen angewöhnt, die bewundernden Blicke von Frauen zu ignorieren. Doch in der Vergangenheit hatte er oft genug nur auf die Bedürfnisse seines Körpers gehört, wie er sich eingestehen musste.

„Sie sind kein besonders guter Lügner“, sagte Jennifer gerade. „Und Sie sehen nicht wie ein Dienstbote aus. Ich nehme an, dass Sie niemanden lange hinters Licht führen können.“

Er mochte ihre Ehrlichkeit. „Die Unfähigkeit, jemanden zu betrügen, kann eine gute Charaktereigenschaft sein. Wie lange bleiben Sie noch in Schottland?“, fragte er spontan.

„Einen Tag.“

„Und dann?“

„Dann sind wir zwei Tage lang in London. Danach schicke ich meine Kunden zurück in die Staaten. Ich habe vor, noch ein paar Tage dranzuhängen.“

„Wenig Zeit. Schade“, murmelte er, als sie die Wagentür öffnete. Er spürte eine unwillkommene Hitze, ein Gefühl der Erregung … und entschied sich, es nicht weiter zu beachten. Jennifer Murphy würde nur kurz auf dieser Seite des Atlantiks sein. Ihr Zuhause und ihre Zukunft lagen in den USA, während sein Platz in Großbritannien war und blieb – aus Gründen, über die er jetzt nicht nachdenken wollte.

„Also …“, begann er, musste sich aber räuspern, bevor er fortfahren konnte. „Auf Wiedersehen, Jennifer aus Baltimore.“ Er reichte ihr die Hand, half ihr auf den Fahrersitz, wandte sich dann jedoch sofort zu den Ställen um und marschierte entschlossen davon. Was er jetzt brauchte, war ein fordernder Ausritt. Auch wenn es nicht ganz die körperliche Betätigung war, die er sich gerade wünschte.

Aber was blieb ihm übrig?

Jennifer schaute in den Rückspiegel. In den Sekunden, die der Wagen brauchte, um die erste Kurve zu erreichen, beobachtete sie Christopher Smythe, der mit langen Schritten um eine Ecke bog und dann aus ihrem Blickfeld verschwand. Ihre Hände auf dem Lenkrad waren feucht; ihr Nacken prickelte. Sie spürte immer noch die Berührung seiner Lippen auf ihrer Hand. Verdammter Kerl!

Ja, er war eingebildet. Ja, er war zu gut aussehend und zu reich. Aber seinetwegen hatte auch keiner ihrer Kunden bemerkt, dass sie sich auf dem Weg von London nach Edinburgh verfahren und einen echten Earl in seinem Heim gestört hatte. Dafür war sie ihm zu Dank verpflichtet.

Wie konnte das nur passieren? Sie verfuhr sich sonst nie! Wenn sie eine Reise leitete, erledigte sie ihre Hausarbeiten gründlich: Sie legte die Strecke fest, überprüfte sie mehrfach und plante genau, was sie über Geschichte und Architektur erzählen wollte.

Sie ärgerte sich so sehr über sich selbst, dass sie Christopher nicht böse war, dass er sie hereingelegt hatte. Immerhin hatte sein Verhalten es ihr ermöglicht, das Gesicht zu wahren. Sie sollte sich eigentlich dafür bedanken. Vielleicht mit einem kurzen Brief … Oder sie könnte auch einfach ein Exemplar des Magazins zerreißen, das so peinliche Dinge über ihn geschrieben hatte.

Ohne es zu wollen, dachte Jennifer später am Nachmittag in Edinburgh immer wieder an Christopher. Wiederholt fielen ihr seine faszinierenden, unglaublich blauen Augen ein. Während sie die Ruinen von Holyrood Abbey und den angrenzenden Park besichtigten, hatte sie seinen sexy klingenden britischen Akzent in den Ohren. Sie musste an die jungenhaften dunklen Locken denken, die ihm ständig in die Stirn gefallen waren, und wie er ihr zugezwinkert hatte, nachdem sie ihn bei seiner kleinen Lüge erwischt hatte.

Und dann war da noch diese Sache mit dem Handkuss. Hatte er beabsichtigt, dass seine Geste bei ihr dieses erregende Kribbeln auslöste? Wahrscheinlich. Christopher Smythe war mit Sicherheit daran gewöhnt – und offenbar sehr erfahren darin –, bei Frauen solche Gefühle auszulösen. Wahrscheinlich machte er das automatisch. Sie konnte sich gut vorstellen, wie er die Hand einer achtzigjährigen Herzogin küsste und sich dann einfach umdrehte, während die Frau vor Verzückung in Ohnmacht fiel. Nichts Besonderes für einen attraktiven Earl.

Während Jennifers Verstand ihr sagte, dass die Empfindungen, die er in ihr ausgelöst hatte, nichts bedeuteten, war ihr Körper anderer Ansicht.

Und doch würde es dein Leben nur unnötig kompliziert machen.

Sie war für ihre eigene und die finanzielle Sicherheit ihrer Mutter verantwortlich. Das war das Wichtigste für sie, und es bedeutete, so viel wie möglich zu arbeiten, um die letzten Schulden abzubezahlen, die ihnen ihr Vater hinterlassen hatte, bevor sich ihre Mutter endlich von diesem Schurken hatte scheiden lassen. Es wäre schön, wenn es einen Mann in ihrem Leben gäbe, keine Frage, dachte Jennifer. Aber keiner der Männer, die sie bisher kennengelernt hatte, konnte ihr die Sicherheit geben, die sie brauchte.

Jennifer musste an ihren Vater denken – und dann wieder an Christopher. Der einzige Männertyp, der noch schlimmer war als ein Frauenheld mit einem Hang zum Wetten, war ein Playboy, der sein Geld für teure Kleidung, Autos und Partys aus dem Fenster warf. Außerdem lebte Christopher auf einem anderen Kontinent. Sie musste sich nur all die Wochen vorstellen, in denen sie getrennt sein würden. In denen sie sich fragen würde, ob er gerade sein letztes Geld für ein Polopferd ausgab oder mit anderen Frauen schlief. Selbst wenn er ihr treu wäre, blieben noch die Kosten für Ferngespräche und Flüge.

Sich in einen so anziehenden und charmanten Typen wie den Earl of Winchester zu verlieben, der in einer waschechten Burg lebte, seine Zeit beim Polo verbrachte und Frauen den Kopf verdrehte, wäre der größte Fehler, den sie jemals machen könnte.

Hör sofort auf damit, befahl sich Jennifer. Warum, um Himmels willen, dachte sie all das überhaupt? Sie hatte genau neunzig Minuten in der Gesellschaft von Christopher Smythe verbracht. Sie wusste so gut wie gar nichts über diesen Mann, und doch träumte sie von einer Beziehung mit ihm. Sie war wohl total verrückt geworden!

Am Ende des Tages, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle ihre Kunden satt und sicher in ihren Zimmern im Caledonian Hotel in der Princes Street untergebracht waren, nahm sie ihre Stadtpläne und Broschüren und ging damit ins Pub des Hotels, wo sie eine ruhige Ecke fand. Auf dieser Reise würde es keine weiteren Fehler geben! Sie entfaltete den Stadtplan von Edinburgh.

„Gute Idee“, stellte jemand ganz in der Nähe fest.

Jennifer sah erschrocken auf. „Was machen Sie denn hier?“ Sie lächelte Christopher zu, freute sich einerseits unglaublich, ihn wiederzusehen, und hörte andererseits ihre innere Stimme flüstern: Was fällt dir ein?

„Geschäfte“, sagte er rasch. „Brauchen Sie Unterstützung mit diesen Plänen?“

Sie lachte. „Ich schätze, das kann nicht schaden, obwohl wir morgen die meiste Zeit zu Fuß unterwegs sein werden. Ich habe keine Ahnung, wie das heute passieren konnte. Ich verfahre mich nie, ehrlich. Falls meine Mutter je davon erfährt, bekommt sie einen Anfall.“

„Dann sollten wir es ihr nicht sagen.“ Christopher zwinkerte ihr zu und zog sich einen Stuhl heran. Über den Tisch gebeugt, musterte er einen der Stadtpläne, in dem sie die Schnellstraßen orange hervorgehoben hatte.

„Heißt Ihre Burg wirklich Donan?“, fragte Jennifer. Ihr war aufgefallen, dass er den Namen der Burg wie ein Schotte ausgesprochen hatte: Dun-in. „Ich konnte sie nicht in den offiziellen Listen der historischen Sehenswürdigkeiten finden.“

„Der Name stammt aus dem Gälischen und war ursprünglich ein Clan-Name. Ich konnte die Burg wegen der Bedingungen, die daran geknüpft sind, bisher nicht eintragen lassen.“ Christopher zeigte auf die Straßenkarte. „Hier ist heute etwas schiefgegangen. Sie hätten auf der A7 die Abfahrt hinter dem See nehmen müssen.“

„Ich weiß. Ich habe es beim Mittagessen gesehen. Übrigens schulde ich Ihnen etwas dafür, dass Sie mich nicht verraten haben. Die meisten aus der Reisegruppe sind sehr nett, aber eines der Paare ist etwas speziell.“

In ihrer Gruppe gab es vier Paare. Drei davon waren verheiratet und im Seniorenalter. Das vierte Paar war in den Dreißigern, die restlichen Reisenden waren ein Mann in den Vierzigern, der sich für die Geschichte seiner Familie interessierte, und eine etwa fünfzigjährige Frau, die die Gruppenreise einfach genoss.

Er runzelte die Stirn. „Wieso speziell?“

„Sie sind immer unzufrieden oder tun wenigstens so. Ich habe den Eindruck, sie bereiten sich jetzt schon darauf vor, später ihr Geld zurückzufordern. Wir garantieren Zufriedenheit bei all unseren Touren.“

„Ein kleiner Ausrutscher wie heute sollte doch niemandem die Reise vermiesen.“

Jennifer zuckte die Achseln. „Sie würden staunen. Manche Leute buchen eine Reise und wissen genau, dass sie die Hälfte der Kosten zurückerstattet bekommen, wenn sie nur laut genug stöhnen. Es ist eine Art Betrug. Aber manchmal ist es besser, sie damit davonkommen zu lassen, vor allem, wenn man eine kleine Firma wie unsere führt. Man muss den Verlust einfach hinnehmen.“

Christopher schüttelte den Kopf.

Jennifer betrachtete ihn aufmerksam. Hier im Pub wirkten seine blauen Augen dunkler. Ihr fiel eine ernsthafte Seite an ihm auf, die sie in Donan nicht bemerkt hatte. Er hatte die Angewohnheit, seinen Kiefer anzuspannen, wenn ihm etwas missfiel, wie etwa die Gemeinheit von reisenden Schwindlern oder gedankenlose Gäste, die seine Schätze berührten.

„Sie sind nicht zufällig hier im Hotel, oder?“, fragte sie.

Er schaute von seinem Whiskyglas auf. Es war halb leer, und sie nahm plötzlich an, dass – egal, welche Geschäfte ihn nach Edinburgh geführt hatten – er hier auf sie gewartet hatte. Der Gedanke sandte einen warmen Schauder durch ihren Körper.

„Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte sie.

„Das war nicht schwer. Auf dem Beifahrersitz Ihres Wagens lag eine Broschüre vom Caledonian Hotel. Wenn ich Sie hier im Pub nicht angetroffen hätte, hätte ich Sie auf Ihrem Zimmer angerufen.“

Wieder verspürte Jennifer dieses erregende Kribbeln. „Und gibt es einen besonderen Grund, weshalb Sie mich zu suchen?“

Er sah sie einige Zeit an, bevor er antwortete. „Ich schätze, ich wollte nicht, dass unsere Tour schon zu Ende ist.“

Autor

Kathryn Jensen

Kathryn Jensen lebt in Maryland. Glücklicherweise genau zwischen den zwei spannenden Städten Washington, D.C. und Baltimore. Aber der Mittelatlantik war nicht immer ihr zu Hause. Zu den vielen Ländern, in denen sie gelebt hat, zählen unter anderen Italien, Texas, Connecticut und Massachusetts. Viele Länder, die sie auch bereist hat, haben...

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