Baccara Exklusiv Band 218

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

HAB ICH DICH SCHON MAL GEKÜSST? von MAYA BANKS
„Kennen wir uns?“ Der Unfall, der sein Gedächtnis auslöschte, war ein harter Schlag für Milliardär Rafael. Noch härter trifft ihn, dass Bryony behauptet, er hätte ihr ewige Liebe geschworen – und sie dann um ihr Erbe gebracht …

EIN TRAUM VON DIR, VERBOTEN UND SINNLICHvon KATHIE DENOSKY
Ein Tornado hat nicht nur Paige Richardsons Heimatstadt verwüstet, sondern ihr auch den Mann genommen. Doch als dessen Bruder Cole zum Wiederaufbau zurückkehrt, spürt sie das gleiche Verlangen wie einst – gefährlich und unerfüllt …

HEISSE KÜSSE AM RAUSCHENDEN MEER von CHARLENE SANDS
Wow! Milliardär Adam Chase möchte die schöne Fremde nur allzu gern mit feurigen Küssen verwöhnen. Doch als Mia behauptet, er sei der Vater ihrer Nichte, wird er zu Eis. Muss er sich erneut damit abfinden, dass süße Lippen lügen?


  • Erscheinungstag 08.04.2022
  • Bandnummer 218
  • ISBN / Artikelnummer 0858220218
  • Seitenanzahl 512

Leseprobe

Maya Banks, Kathie DeNosky, Charlene Sands

BACCARA EXKLUSIV BAND 218

1. KAPITEL

Rafael de Luca hatte sich schon in schlimmeren Situationen befunden. Er konnte damit umgehen und würde sich von diesen Leuten hier nicht ins Schwitzen bringen lassen. Sie würden nie erfahren, dass er keinerlei Erinnerungen an irgendeinen von ihnen besaß.

Er sah sich im überfüllten Saal um und nippte an dem geschmacklosen Wein, um die Tatsache zu überspielen, dass er sich unsicher fühlte. Nur aufgrund seiner starken Willenskraft hatte er so lange durchgehalten. In seinem Kopf hämmerte der Schmerz so gnadenlos, dass es schwierig war, den Wein hinunterzuschlucken, ohne dass sein Magen ihn gleich wieder hinaufbeförderte.

„Rafe, du kannst jetzt verschwinden“, murmelte Devon Carter neben ihm. „Du hast lange genug durchgehalten. Niemand vermutet irgendetwas.“

Rafael drehte sich zu seinen drei Freunden um. Devon, Ryan Beardsley und Cameron Hollingsworth gaben ihm sozusagen Rückendeckung. Und das schon, seit sie zusammen das College besucht hatten und entschlossen gewesen waren, Karriere zu machen.

Sie waren zu ihm geeilt, als er im Krankenhaus gelegen und sich an nichts hatte erinnern können. Sie hatten ihn nicht verhätschelt, sondern ihn behandelt wie immer, und dafür war er ihnen äußerst dankbar.

„Ich hab mir sagen lassen, dass ich nie eine Party vorzeitig verlasse“, sagte Rafael und führte noch einmal das Glas zum Mund. Als ihm jedoch das Aroma des Weins in die Nase stieg, senkte er es wieder.

Cameron, von seinen Freunden nur Cam genannt, lächelte verächtlich. „Wen interessiert, was du normalerweise tust? Es ist deine Party. Sag ihnen, sie sollen sich zum …“

Ryan hob die Hand. „Es sind wichtige Geschäftspartner, Cam. Wir wollen ihr Geld, vergiss das nicht.“

Devon beugte sich hastig vor und flüsterte: „Der Mann, der jetzt auf uns zukommt, ist Quenton Ramsey der Dritte. Seine Frau heißt Marcy. Er ist einer derjenigen, die in den Moon Island Deal investieren.“

Rafael nickte, machte einen Schritt aus dem Schutz seiner Freunde und lächelte das sich nähernde Paar an. Es stand eine Menge auf dem Spiel, und von daher war es wichtig, dass die Investoren nicht nervös wurden. Rafael und seine Geschäftspartner hatten einen fantastischen Ort für ihren Hotelkomplex gefunden – eine winzige Insel vor der Küste von Texas, direkt gegenüber der Bucht von Galveston. Das Land gehörte ihm. Jetzt mussten sie dort nur noch das Hotel errichten und ihre Investoren bei Laune halten.

„Quenton, Marcy, wie schön, Sie beide wiederzusehen. Sie sehen bezaubernd aus, Marcy. Quenton kann sich wirklich glücklich schätzen.“

Die ältere Frau errötete erfreut, während Rafael ihre Hand nahm und sie an seine Lippen führte.

Er nickte höflich und heuchelte Interesse, doch sein Nacken kribbelte erneut, und er musste den Drang unterdrücken, ihn zu massieren. Er hielt den Kopf gesenkt, als würde er jedem Wort der beiden lauschen, doch gleichzeitig ließ er den Blick hastig durch den Saal schweifen auf der Suche nach der Ursache für sein Unbehagen.

Anfangs strich sein Blick über sie hinweg, doch abrupt richtete er seine Aufmerksamkeit zurück auf die Frau, die am anderen Ende des Saals stand und ihn grimmig ansah. Wenn Blicke töten könnten, dachte er und musterte sie abschätzend. Sie ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern starrte ihn weiter an.

Rafael konnte nicht einmal sagen, warum sie ihn so in den Bann zog. Normalerweise stand er auf große, langbeinige Blondinen. Und wenn sie dazu noch blaue Augen und weiche helle Haut besaßen, war er meist verloren.

Diese Frau war klein, trotz ihrer hohen Absätze, und ihr Teint eher südländisch. Dichte schwarze Locken fielen ihr bis auf die Schultern, auch ihre Augen waren dunkel.

Sie musterte ihn, als hätte sie bereits ein Urteil über ihn gefällt und ihn für schuldig befunden. Er dagegen hatte sie noch nie gesehen. Oder vielleicht doch?

Erneut verfluchte Rafael die Lücke in seinem Gedächtnis. Er erinnerte sich an nichts, was in den Wochen vor seinem Unfall vor vier Monaten geschehen war. Und auch die Erinnerungen an die Zeit davor waren nicht vollständig. Es war alles so … willkürlich. Selektive Amnesie. So ein Quatsch. Abgesehen von hysterischen Frauen in schlechten Seifenopern bekam kein Mensch Amnesie – hatte er bisher zumindest geglaubt. Sein Arzt vermutete, dass es einen psychologischen Grund für die fehlenden Teilchen seines Gedächtnisses geben könnte. Rafael hatte das weit von sich gewiesen. Er war nicht verrückt. Wer zum Teufel wollte schon sein Gedächtnis verlieren?

Er erinnerte sich sehr gut an Devon, Cam und Ryan und an alles, was sie während der letzten zehn Jahre erlebt hatten. An die Jahre im College. Ihre Erfolge im Geschäftsleben. Er erkannte auch die meisten Menschen, die für ihn arbeiteten. Allerdings nicht alle, und das bereitete ihm im Büro ziemlich viel Stress. Vor allem, da er dabei war, den Vertrag für den Bau des Resorts unter Dach und Fach zu bringen, der ihm und seinen Partnern Millionen einbringen würde.

Jetzt erkannte er die Hälfte seiner Investoren nicht, und dabei konnte er es sich in diesem Stadium wirklich nicht leisten, einen von ihnen zu verlieren.

Die Frau starrte ihn immer noch an, aber sie machte keine Anstalten, sich ihm zu nähern. Je länger sie sich ansahen, desto kälter wurde ihr Blick.

„Entschuldigen Sie mich bitte“, murmelte er den Ramseys zu. Mit einem freundlichen Lächeln löste er sich aus der Gruppe, die sich um ihn herum gebildet hatte, und bahnte sich einen Weg zu der mysteriösen Frau.

Sein Sicherheitsteam folgte ihm in kurzem Abstand, doch Rafael ignorierte die Männer. Sie klebten an seinen Fersen, nicht, weil man um seine Sicherheit fürchtete, sondern weil seine Partner Angst hatten, dass sein Gedächtnisverlust bekannt werden könnte. Die Sicherheitsleute waren ein ungewohntes Ärgernis, doch sie hielten andere auf Abstand, was ihm im Augenblick nur recht war.

Die Frau blickte ihm mit stolz erhobenem Kopf entgegen, und der Trotz, der sich in ihrer Miene spiegelte, faszinierte ihn.

Einen Moment lang stand er schweigend vor ihr und betrachtete die zarten Linien ihres Gesichts, während er überlegte, ob dies wirklich ihre erste Begegnung war. Doch an solch eine Frau würde er sich erinnern, oder?

„Entschuldigen Sie, kennen wir uns?“, fragte er betont einschmeichelnd.

Vermutlich würde sie kichern und eine Begegnung leugnen. Oder sie würde frech lügen und ihn davon überzeugen wollen, dass sie eine wunderbare Nacht zusammen verbracht hatten. Was definitiv nicht sein konnte, da sie absolut nicht sein Typ war.

Sein Blick wanderte über ihren üppigen Busen, der von der Empiretaille ihres schwarzen Cocktailkleides noch betont wurde.

Sie verhielt sich jedoch nicht so, wie er es erwartet hatte. Als er ihr wieder ins Gesicht schaute, funkelte sie ihn wütend an.

„Ob wir uns kennen?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch Rafael kam jedes Wort wie ein Peitschenhieb vor. „Du elender Mistkerl!“

Er hatte den Schock über ihre Schimpftirade noch nicht verdaut, da verpasste die Frau ihm einen rechten Haken. Rafael taumelte rückwärts und hielt sich die Nase.

„Verdammt …“

Ehe er sie fragen konnte, ob sie wohl den Verstand verloren hatte, trat einer der Sicherheitsleute zwischen ihn und die Frau, und in dem Durcheinander traf er sie versehentlich so, dass sie ins Straucheln geriet. Sie stolperte und fiel auf ein Knie, wobei sie instinktiv die Hände auf den Bauch legte.

Erst jetzt bemerkte Rafael, was der weite Rock verborgen hatte: die sanfte Wölbung eines Babybauchs.

Sein Leibwächter wollte die Frau gerade unsanft wieder auf die Füße ziehen, als Rafael dazwischen ging.

„Nein!“, rief er. „Sie ist schwanger. Tun Sie ihr nicht weh!“

Der Bodyguard trat zurück und sah Rafael überrascht an. Die Frau kam hastig auf die Füße und rannte dann den Flur entlang, wobei ihre spitzen Absätze auf dem Marmorboden klapperten.

Rafael starrte ihr hinterher, zu überrascht, um irgendetwas tun oder sagen zu können. Bevor sie sich abgewandt hatte, hatte er der Frau noch einmal in die Augen geschaut. Sie hatte nicht mehr wütend ausgesehen, sondern verletzt und den Tränen nahe. Irgendwie hatte er dieser Frau wehgetan, und er wollte verdammt sein, wenn er wusste, wodurch.

Der stechende Schmerz in seinem Kopf war vergessen, als er den Flur entlang hinter ihr hereilte. Er stürmte aus der Hotellobby, und als er die Stufen erreichte, die hinunter auf die geschäftige Straße führten, entdeckte er zwei Schuhe im Mondlicht glitzern.

Er bückte sich und hob die mit Strasssteinen verzierten Riemchensandalen auf. Eine schwangere Frau sollte nicht solche hohen Absätze tragen, dachte er stirnrunzelnd. Wenn sie nun gestolpert und gefallen wäre? Warum war sie überhaupt davongelaufen? Ganz offensichtlich hatte sie ihn zur Rede stellen wollen, nur um dann bei erster Gelegenheit zu fliehen.

„Verdammt, was geht hier vor, Rafe?“, wollte Cam wissen.

Nicht nur Cam, sondern sein gesamtes Sicherheitsteam sowie Ryan und Devon waren ihm hinaus in die kühle Herbstnacht gefolgt. Jetzt scharten sie sich um ihn und musterten ihn besorgt.

Frustriert stieß er den Atem aus und drückte Ramon, dem Chef seiner Sicherheitsabteilung, die Sandalen in die Hand.

„Sehen Sie zu, dass Sie die Frau finden, die diese Schuhe getragen hat.“

„Was soll ich mit ihr machen, wenn ich sie gefunden habe?“, fragte Ramon mit ruhiger Stimme und ließ bei Rafael keinen Zweifel aufkommen, dass er auch diese Aufgabe wie immer schnell, diskret und zuverlässig erledigen würde.

„Gar nichts. Erstatten Sie mir einfach Bericht. Ich kümmere mich um alles Weitere.“

Mit diesen Worten erntete er nur weiteres Stirnrunzeln.

„Das gefällt mir nicht, Rafe“, meinte Ryan. „Das sieht alles zu sehr nach einem abgekarteten Spiel aus. Es ist durchaus möglich, dass dein Gedächtnisverlust schon bis zur Presse durchgesickert ist, ohne dass sie es bis jetzt an die große Glocke gehängt haben. Eine Frau könnte dich auf tausend Arten manipulieren und die Sache gegen dich verwenden.“

„Ja, das könnte sie“, erwiderte Rafael ruhig. „Allerdings hat die Frau irgendetwas an sich, was mich beunruhigt.“

Cam hob eine Augenbraue. „Kennst du sie?“

Rafael schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber ich finde es heraus.“

Bryony Morgan trat aus der Dusche, schlang sich ein Handtuch um den Kopf und zog dann ihren Bademantel an. Nicht einmal eine warme Dusche hatte ihren rasenden Puls beruhigen können. So sehr sie es auch versuchte, aber sie kam nicht über die unbändige Wut hinweg.

Kennen wir uns?

Rafaels Frage erklang wie eine Endlosschleife immer wieder in ihrem Kopf, bis sie nur noch den Wunsch verspürte, auf irgendetwas einzuschlagen. Vorzugsweise auf ihn.

Wie hatte sie nur so dumm sein können? Eigentlich neigte sie nicht dazu, den Kopf wegen eines gut aussehenden Mannes zu verlieren. Meist war sie immun, sogar wenn jemand mit Charme und Humor punkten konnte.

Aber von dem Moment an, als Rafael de Luca auf ihre Insel gekommen war, hatte sie nur noch Augen für ihn gehabt. Sie hatte gar nicht erst versucht, dagegen anzukämpfen oder ihm zu widerstehen, denn er verkörperte alles, was sie sich immer gewünscht hatte. Er war die Vollkommenheit in Person in den seriösen Anzügen, die er trug. Oh, aber es war ihr schnell gelungen, ihn daraus zu befreien. Als er schließlich abgereist war, hatte ihn nicht einmal mehr sein Pilot erkannt.

Aus dem ernsten, nervösen Geschäftsmann war ein entspannter und gut erholter Urlauber geworden.

Der verliebt gewesen war.

Bryony schloss die Augen, als der Schmerz sie unvermittelt wieder traf.

Offenbar war er doch nicht verliebt gewesen. Er kam. Er sah. Er siegte. Sie war einfach nur so unglaublich naiv und selbst zu verliebt gewesen, um seine wahren Motive zu begreifen.

Doch das hieß ja noch lange nicht, dass er mit seinen Lügen und seinem Betrug durchkommen würde. Es war ihr egal, was sie tun musste, aber er würde das Land, das sie ihm verkauft hatte, nicht mit einem riesigen Schickimicki-Hotel bebauen und die gesamte Insel in einen Spielplatz für den gelangweilten reichen Jetset verwandeln.

Sie hatte all ihren Mut zusammennehmen müssen, um heute Abend in seine Party zu platzen, aber nachdem sie von dem Anlass erfahren hatte – eine Zusammenkunft der potenziellen Investoren für das Projekt, mit dem er plante, ihre Insel zu ruinieren –, war sie entschlossen gewesen, ihn zur Rede zu stellen. Direkt dort, inmitten der Investoren. Sollte er es doch wagen, sie anzulügen, wenn alle im Saal von seinen Plänen wussten.

Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass er es leugnen würde, sie jemals getroffen zu haben. Aber besser hätte er sie ja gar nicht zum Bauerntölpel abstempeln können. Oder als weltverbessernde Ökofanatikerin, die sich gegen den Fortschritt stemmte.

Es haute sie fast um, wie sehr sie sich in ihm getäuscht hatte. Seufzend schüttelte sie den Kopf. Sie musste sich endlich wieder beruhigen, sonst würde ihr Blutdruck noch weiter in die Höhe schießen.

Wo blieb denn der Zimmerservice? Sie war halb verhungert. Entschuldigend rieb sie sich den Bauch und versuchte ganz bewusst, all die aufgestaute Wut und den Stress loszulassen. Es konnte nicht gut für das Baby sein, wenn die Mutter ständig so auf der Zinne war.

Sie biss die Zähne zusammen, bevor sie merkte, dass sie sich schon wieder verspannte. Noch einmal zwang sie sich loszulassen, ehe sie sich der mühevollen Aufgabe widmete, die Haare durchzubürsten und trocken zu föhnen.

Gerade als sie fertig war, klopfte es an der Tür.

„Endlich etwas zu essen“, murmelte sie und stellte den Föhn ab.

Sie eilte zur Tür und riss sie auf. Aber im Flur standen weder ein Wagen mit Essen noch ein Hotelangestellter, sondern Rafael. In den Händen hielt er ihre Schuhe.

Hastig machte Bryony einen Schritt zurück und versuchte, die Tür wieder zuzuschlagen, doch Rafael schob blitzschnell einen Fuß dazwischen.

Unbeugsam wie immer bahnte er sich einen Weg ins Zimmer und baute sich vor ihr auf. Bryony hasste es, wie klein und verletzlich sie sich in seiner Gegenwart fühlte. Oh, sie hatte es nicht immer gehasst. Im Gegenteil, sie hatte es genossen, wie geborgen und geliebt sie sich gefühlt hatte, wenn sie ihren viel kleineren Körper an seinen geschmiegt hatte.

„Verschwinde oder ich rufe den Hotelsicherheitsdienst“, zischte sie ihn an.

„Tu das“, erwiderte er gelassen. „Doch da mir dieses Hotel gehört, könnte es schwierig werden, mich hinauswerfen zu lassen.“

Bryony kniff die Augen zusammen. Mist, wieso musste sie sich ausgerechnet eins von seinen Hotels aussuchen?

„Dann rufe ich eben die Polizei. Es ist mir egal, wer du bist. Du kannst nicht einfach in mein Hotelzimmer eindringen.“

„Ich bin hergekommen, um dir deine Schuhe zurückzubringen. Bin ich deshalb ein Verbrecher?“

„Ach, komm schon, Rafael! Hör auf, diese dummen Spielchen zu spielen. Das ist unter deiner Würde. Oder sollte es zumindest sein. Ich verstehe schon. Glaub mir – ich verstehe! Ich hab’s schon verstanden, als du auf der Party direkt durch mich hindurchgesehen hast. Obwohl ich sagen muss, dein ‚Kennen wir uns?‘ war einfach unbezahlbar. Man könnte auch sagen, damit hast du den Vogel abgeschossen.“

Es kostete sie große Kraft, nicht noch einmal zuzuschlagen, und offenbar merkte Rafael das, denn er wich zurück.

Sie ging auf ihn zu, nicht willens, ihm die Kontrolle über die Situation zu überlassen. „Weißt du was? Ich habe dich nie für einen Feigling gehalten. Du hast mich ausgetrickst. Das ist mir schon klar. Ich war ein großer Dummkopf. Aber dass du dich vor der unausweichlichen Konfrontation drücken würdest, wie du es getan hast, macht mich ganz krank.“

Sie bohrte einen Finger in seine Brust und ignorierte den erstaunten Ausdruck auf seinem Gesicht. „Außerdem kommst du mit deinen Plänen für mein Land nicht davon. Und wenn es mich den letzten Cent kostet, aber ich werde dich bekämpfen. Wir hatten eine mündliche Vereinbarung, und an die wirst du dich halten.“

Er blinzelte und sah aus, als wollte er etwas sagen.

Bryony verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist? Hast du etwa gedacht, du würdest mich nie wiedersehen? Dass ich mich irgendwo verstecken und schmollen würde, weil ich herausgefunden habe, dass du mich gar nicht liebst und nur mit mir geschlafen hast, damit ich dir das Land verkaufe? Dann irrst du dich aber gewaltig.“

Rafael reagierte, als hätte sie ihn erneut geschlagen. Sein Gesicht wurde ganz blass, und der Blick, den er ihr zuwarf, war eisig. Wenn sie nicht so wütend wäre, bekäme sie es jetzt wahrscheinlich mit der Angst zu tun. Aber Mamaw sagte immer, die Vernunft ist das Erste, was schwindet, wenn man wütend ist. Leider hatte sie recht.

„Willst du damit andeuten, dass wir miteinander geschlafen haben?“, fragte er mit gefährlich leiser Stimme, die ihr – wieder – Angst einflößen sollte. Aber inzwischen war sie über die Angst hinaus. „Ich kenne nicht einmal deinen Namen.“

Warum tat es so weh? Ihr war doch schon seit Langem bewusst, warum Rafael sie auserkoren hatte. Warum er sie verführt und ihr all die Lügen aufgetischt hatte. Sie konnte ihm nicht allein die Schuld zuschieben. Sie war viel zu leicht zu erobern gewesen.

Trotzdem, dass er jetzt vor ihr stand und vehement leugnete, auch nur ihren Namen zu kennen, versetzte ihr einen Stich ins Herz, der wohl niemals verheilen würde.

„Du solltest gehen“, brachte sie mühsam heraus. Wenn er jetzt nicht ging, würde sie die Beherrschung verlieren.

Er zog die Brauen zusammen und neigte den Kopf, um Bryony ausgiebig zu mustern. Sehr zu ihrem Entsetzen streckte er dann die Hand aus und wischte mit dem Daumen eine Träne aus ihrem Augenwinkel.

„Du bist durcheinander.“

Heilige Muttergottes, dieser Mann war wirklich ein Idiot. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Kind ihren Verstand und nicht seinen erbte. Fast hätte sie laut aufgelacht, doch heraus kam nur ein unterdrücktes Schluchzen. Es war ja wohl sinnlos, darauf zu hoffen, dass ihr armes Baby auch nur einen Funken Verstand geerbt hatte, wenn es so offensichtlich war, dass beide Eltern schwachsinnig waren.

„Verschwinde!“

Stattdessen umschloss er ihr Kinn und hob es ein wenig an, sodass er ihr in die Augen schauen konnte. Mit einer überraschend zärtlichen Geste wischte er ihr die Tränen von der Wange.

„Wir können nicht miteinander geschlafen haben. Abgesehen von der Tatsache, dass du nicht mein Typ bist, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich solch ein Ereignis vergessen haben könnte.“

Ihr klappte der Mund auf, und die Tränen versiegten abrupt. Sie befreite sich aus seinem Griff und gab es auf, den Mann aus ihrem Zimmer zu bekommen. Sollte er doch bleiben. Sie würde gehen.

Sie zog den Aufschlag ihres Bademantels weiter zusammen und stapfte um Rafael herum. Sie kam bis in den Flur, als sich seine Hand um ihr Handgelenk schloss.

Genug war genug. Sie öffnete die Lippen, um laut aufzuschreien, doch er riss sie an seinen harten Körper und legte ihr eine Hand auf den Mund.

„Verdammt, ich tue dir nicht weh“, zischte er.

Er drängte sie zurück ins Hotelzimmer, schlug die Tür zu und verschloss sie. Dann drehte er sich um und funkelte Bryony wütend an.

„Du hast mir schon wehgetan“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Seine Miene wurde wieder weicher, und Verwirrung zeichnete sich darauf ab.

„Offensichtlich hast du das Gefühl, dass ich dir in irgendeiner Weise unrecht getan habe. Ich würde mich ja entschuldigen, aber dafür müsste ich mich an dich erinnern und an das, was ich dir angeblich getan habe, um Wiedergutmachung leisten zu können.“

„Wiedergutmachung?“ Fassungslos sah sie ihn an, verwirrt angesichts des Unterschieds zwischen dem Rafael de Luca, in den sie sich verliebt hatte, und dem Mann, der jetzt vor ihr stand. Sie riss den Bademantel auseinander, sodass ihr runder Bauch unter dem dünnen Satinnachthemd zu erkennen war. „Du bringst mich dazu, mich in dich zu verlieben. Du verführst mich. Du erzählst mir, dass du mich liebst und dir eine gemeinsame Zukunft mit mir wünschst. Du bringst mich dazu, meine Unterschrift unter Papiere zu setzen, mit denen ich dir das Land verkaufe, das seit einem Jahrhundert im Familienbesitz ist. Du tischst mir Lügen über unsere Beziehung auf und über deine Pläne bezüglich des Baulandes. Aber das reicht dir noch nicht. Nein, du musst mich zu allem Überfluss auch noch schwängern!“

Er wurde kreidebleich und zusehends wütender. Er machte einen Schritt auf Bryony zu, und zum ersten Mal bekam sie es jetzt doch mit der Angst zu tun. Sie wich zurück und stützte sich am Fernsehtisch ab.

„Willst du damit sagen, dass wir miteinander geschlafen haben und dass ich der Vater deines Kindes bin?“

Sie starrte ihn an. „Willst du etwa behaupten, dass wir es nicht getan haben? Dass ich mir die Wochen, die wir zusammen verbracht haben, nur eingebildet habe? Willst du etwa leugnen, dass du mich verlassen hast, ohne dich je wieder zu melden?“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus, aber leider war auch ihr Schmerz nicht zu überhören, und das ärgerte sie. Es war hart genug, dass er sie verraten hatte. Jetzt wollte sie nicht noch weiter gedemütigt werden.

Rafael zuckte zusammen und schloss die Augen. Langsam machte er einen Schritt von ihr fort, und einen Moment lang hoffte sie, dass er endlich das tat, worum sie ihn schon die ganze Zeit gebeten hatte, nämlich gehen.

„Ich erinnere mich nicht an dich“, sagte er rau. „Ich habe keine Erinnerungen an all das. An dich. An uns. An das.“ Er deutete auf ihren Bauch.

Etwas an seiner Stimme ließ Bryony innehalten. Beschützend legte sie die Arme über ihren Bauch und schluckte.

„Du erinnerst dich nicht.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fluchte leise. „Ich hatte einen … Unfall. Vor einigen Monaten. Ich erinnere mich nicht an dich. Wenn das, was du sagst, die Wahrheit ist, dann haben wir uns während der Zeit getroffen, die in meinem Kopf ein schwarzes Loch ist.“

2. KAPITEL

Rafael sah, wie sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht wich und sie ins Schwanken geriet. Fluchend streckte er die Hände nach ihr aus, und dieses Mal wehrte sie sich nicht dagegen. Widerstandslos ließ sie sich von ihm zum Bett führen.

„Setz dich, bevor du mir umkippst“, forderte er sie auf.

Mit gequältem Gesichtsausdruck schaute sie zu ihm auf. „Du erwartest von mir, dass ich dir glaube, dass du unter Amnesie leidest? Mit etwas Besserem kannst du nicht aufwarten?“

Er zuckte zusammen, denn auch er fand den Gedanken an Amnesie absurd. Wenn all das, was sie gesagt hatte, der Wahrheit entsprach und ihre Rollen vertauscht wären, hätte er sie aus dem Zimmer gejagt.

„Ich frage das jetzt nicht, um dich noch wütender zu machen, aber kannst du mir sagen, wie du heißt? Ich fühle mich in der Hinsicht etwas benachteiligt.“

Sie seufzte und strich sich mit der Hand abwesend durch das dichte dunkle Haar. „Du meinst es wirklich ernst.“

Als er nur ungeduldig schnaubte, fuhr sie leise fort: „Ich heiße Bryony Morgan.“

Sie senkte den Kopf, und die schwarzen Locken fielen nach vorn und verhüllten ihr Profil. Rafael konnte nicht widerstehen und strich mit dem Finger über ihre Wange, um ihr das Haar hinters Ohr zu streichen.

„Okay, Bryony, wie es scheint, haben wir beide eine Menge zu bereden. Ich habe, wie du dir vielleicht vorstellen kannst, viele Fragen.“

Sie hob den Kopf. „Amnesie. Beharrst du wirklich weiterhin darauf, mir diesen Unsinn auftischen zu wollen?“

Rafael versuchte, daran zu denken, wie skeptisch er an ihrer Stelle wäre, doch die Tatsache, dass sie ihm überhaupt nicht glaubte, ärgerte ihn. Er war es nicht gewohnt, dass jemand sein Wort infrage stellte.

„Glaubst du, mir hat es gefallen, auf einer öffentlichen Veranstaltung von einer Frau geschlagen zu werden und zu erfahren, dass sie angeblich mit meinem Kind schwanger ist, obwohl es meines Wissens das erste Mal ist, dass wir uns treffen? Versetz dich doch mal in meine Lage. Wenn ein Mann, den du noch nie gesehen hast oder an den du dich nicht erinnern kannst, auf dich zukäme und dir die Dinge erzählen würde, die du mir erzählt hast, meinst du nicht, dass du auch ein bisschen misstrauisch wärst? Vermutlich hättest du schon längst die Polizei gerufen!“

„Das ist verrückt“, murmelte sie.

„Pass auf, ich kann das mit meinem Unfall beweisen. Ich kann dir die medizinischen Berichte zeigen. Ich erinnere mich nicht an dich, Bryony. Es tut mir leid, wenn das schmerzhaft ist, aber es ist eine Tatsache. Ich habe nur dein Wort, dass wir uns mal etwas bedeutet haben.“

Sie verzog den Mund. „Ja, wir dürfen ja nicht vergessen, dass ich nicht dein Typ bin.“

Autsch. Natürlich hatte sie sich diese Bemerkung gemerkt.

„Ich möchte, dass du mir alles erzählst, von Anfang an. Sag mir, wann und wo wir uns kennen gelernt haben. Vielleicht löst irgendetwas von dem, was du sagst, mein Erinnerungsvermögen wieder aus.“

Es klopfte an der Tür. „Erwartest du um diese Uhrzeit noch Besuch?“, fragte er grimmig.

Bryony stand auf. „Das ist der Zimmerservice. Ich bin halb verhungert, weil ich den ganzen Tag lang nichts gegessen habe.“

„Das kann nicht gut für das Baby sein.“

Ihr Blick verriet, dass sie auf diese Bemerkung hätte verzichten können. Sie ließ den Kellner herein, unterschrieb die Rechnung und bedankte sich mit einem halbherzigen Lächeln bei dem Mann, als er das Zimmer wieder verließ.

Anschließend schob sie den Wagen mit dem Essen zum Bett. „Tut mir leid, mit Gesellschaft hatte ich nicht gerechnet. Ich habe nur Essen für eine Person bestellt.“

Er hob eine Augenbraue, als sie anfing, die Deckel von den Gerichten zu heben. Es war genügend Essen da, um eine kleine Armee zu versorgen.

„Setz dich, entspann dich und iss. Unterdessen können wir reden.“

Während sie es sich gemütlich machte und nach einem Teller griff, musterte Rafael das Gesicht der Frau, die er vergessen hatte.

Sie war hübsch, das konnte er nicht leugnen. Nicht die Art von Frau, von der er sich normalerweise angezogen fühlte. Für seinen Geschmack war sie viel zu unverblümt. Er mochte es lieber, wenn Frauen nett waren und – jedenfalls behaupteten das seine engsten Freunde – unterwürfig.

Verdammt, das klang so, als wäre er ein Mistkerl. Aber er konnte nicht abstreiten, dass er seine Frauen lieber ein bisschen fügsam mochte. Er fand es faszinierend, dass er sich angeblich Hals über Kopf in Bryony Morgen verliebt haben sollte, die das genaue Gegenteil von all den Frauen war, mit denen er sich in den letzten Jahren eingelassen hatte.

Okay, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, war möglich. Und er konnte sich auch vorstellen, mit ihr ins Bett zu gehen. Aber sich verlieben? Innerhalb von wenigen Wochen?

Lächerlich.

Doch sie war eine Frau, und Frauen neigten dazu, emotional zu reagieren. Vermutlich hatte sie wirklich geglaubt, er wäre in sie verliebt. Ihr Schmerz und ihre Empörung wirkten jedenfalls nicht gespielt.

Und dann war da noch die nicht unerhebliche Tatsache, dass sie mit seinem Kind schwanger war. Es wäre verrückt, nicht auf einem Vaterschaftstest zu bestehen. Es war ja auch denkbar, dass sie sich das alles nur ausgedacht hatte, nachdem sie von seinem Gedächtnisverlust erfahren hatte.

Am liebsten hätte er sofort seinen Anwalt angerufen, um zu erfahren, wessen Unterschrift auf dem Vertrag stand, den er vor seinem Unfall abgeschlossen hatte. Er hatte die Papiere seitdem nicht mehr gesehen, denn sobald er einen Deal abgeschlossen hatte, bestand für ihn kein Grund mehr, sich um die Einzelheiten zu kümmern … dafür hatte er seine Leute.

Verdammt, das war alles ein unglaubliches Durcheinander. Aber morgen früh würde er als Erstes Erkundigungen einziehen.

„Was denkst du?“, fragte Bryony direkt.

„Das ist alles ein ziemlicher Sch …“

„Wem sagst du das“, murmelte sie. „Allerdings weiß ich nicht, warum es aus deiner Sicht so schlecht sein soll. Du bist reich wie Krösus. Du bist nicht schwanger, und du hast nicht dein Land verkauft, das seit Generationen in der Familie war, und zwar an einen Mann, der es zerstören will, um eine Touristenfalle darauf zu bauen.“

Der Schmerz in ihrer Stimme verursachte ein merkwürdiges Gefühl in Rafaels Innerem. Es kam ihm fast so vor, als nagten Schuldgefühle an ihm, aber weshalb sollte er sich schuldig fühlen? Das war doch alles nicht seine Schuld.

„Wie haben wir uns kennen gelernt?“, fragte er. „Ich muss alles wissen.“

Sie spielte mit der Gabel und verzog das Gesicht.

„Als ich dich zum ersten Mal sah, hattest du einen spießigen Anzug an, Schuhe, die mehr kosten als mein Haus, und zu allem Überfluss hattest du noch eine Sonnenbrille auf. Es hat mich geärgert, dass ich deine Augen nicht sehen konnte, also habe ich mich geweigert, mit dir zu reden, bis du sie abgenommen hattest.“

„Und wo war das?“

„Moon Island. Du hast mich nach einem Stück Land direkt am Strand gefragt und wolltest wissen, wem es gehört. Es war meins, und mir war sofort klar, dass du so ein typischer Städter bist, mit großen Plänen, die Insel zu einem Ferienparadies zu machen, um alle Einheimischen vor einem Leben in Armut zu bewahren.“

Rafael runzelte die Stirn. „Stand es denn nicht zum Verkauf? Ich meine mich zu erinnern, dass es verkauft werden sollte. Sonst wäre ich ja gar nicht auf die Insel gekommen.“

Sie nickte. „Stimmt. Ich … ich musste es verkaufen. Meine Großmutter und ich konnten uns die Grundsteuer nicht mehr leisten. Aber wir waren uns einig, dass wir es niemals an einen Bauunternehmer geben würden. Es war schon schlimm genug, dass wir uns überhaupt davon trennen mussten.“

Sie brach ab, weil es ihr ganz offensichtlich unangenehm war, das preiszugeben.

„Wie auch immer, ich hielt dich für einen typischen steifen Geschäftsmann, also hab ich dich auf eine sinnlose Suche über die ganze Insel geschickt.“

Er warf ihr einen wütenden Blick zu und sah zum ersten Mal die Andeutung eines Lächelns auf ihren Lippen.

„Du warst schrecklich wütend auf mich. Du hast an meine Tür gehämmert und wolltest wissen, was zum Teufel ich mir dabei gedacht hätte. Du meintest, ich würde mich ja nicht gerade wie jemand verhalten, der dringend ein Stück Land verkaufen müsste.“

„Das klingt nach mir“, gab er zu.

„Ich habe dir erklärt, dass ich nicht daran interessiert wäre, an dich zu verkaufen. Als du wissen wolltest, warum nicht, habe ich dir erklärt, dass ich meiner Großmutter versprochen hätte, nur an jemanden zu verkaufen, der uns garantiert, dass dieser Strandabschnitt nicht kommerziell genutzt wird. Daraufhin hast du darauf bestanden, sie kennen zu lernen.“

Ein unangenehmes Prickeln rann ihm über den Rücken. Das klang so gar nicht nach ihm. Er war niemand, der persönlich wurde. Jeder hatte seinen Preis. Er hätte einfach sein Angebot erhöht.

„Der Rest ist ziemlich peinlich“, fuhr Bryony fort. „Ich habe dich mit zu Mamaw genommen, und ihr zwei seid erstaunlich gut miteinander ausgekommen. Sie hat dich eingeladen, zum Abendessen zu bleiben. Anschließend haben wir einen Strandspaziergang gemacht. Du hast mich geküsst. Ich habe den Kuss erwidert. Du hast mich zu meinem Cottage gebracht und mir gesagt, dass du mich am nächsten Tag wiedertreffen würdest.“

„Und habe ich das?“

„Oh ja“, flüsterte sie. „Aber es hat drei Tage gedauert, bis ich dich endlich aus dem blöden Anzug heraus hatte.“

Er hob eine Augenbraue.

Sie wurde rot und schlug eine Hand auf den Mund. „Oh, so habe ich das nicht gemeint. Du hast diesen Anzug überall am Strand getragen. Du bist aufgefallen wie ein gestrandeter Wal. Also bin ich mit dir Strandklamotten einkaufen gegangen.“

Das hörte sich immer mehr nach einem Albtraum an. „Strandklamotten?“

Sie nickte. „Shorts, T-Shirts, Flip-Flops.“

Vielleicht hatte der Arzt doch recht gehabt. Er hatte sein Gedächtnis verloren, weil er alles vergessen wollte. Flip-Flops? Unwillkürlich blickte er auf seine sehr teuren Lederschuhe und stellte sich vor, Flip-Flops zu tragen.

„Und das habe ich angezogen?“

„Ja. Wir haben dir natürlich auch Badehosen gekauft. Ich weiß wirklich nicht, wie jemand auf eine Insel fahren kann, ohne sich Schwimmsachen einzupacken.“

Das, was Bryony behauptete, wich so von seinem normalen Ich ab, dass es Rafael vorkam, als würde er die Geschichte eines anderen hören. Was hatte ihn nur dazu getrieben, sich so untypisch zu verhalten?

„Wie lang hielt denn diese Beziehung, die wir angeblich hatten?“

„Vier Wochen“, erwiderte sie leise. „Vier wunderbare Wochen lang. Wir waren jeden Tag zusammen. Nach Ende der ersten Woche hast du dein Hotelzimmer aufgegeben und bist zu mir gezogen. Wir haben uns bei offenem Fenster geliebt, damit wir das Meer rauschen hören konnten.“

„Ich verstehe.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Du glaubst mir nicht.“

„Bryony“, antwortete er vorsichtig, „das ist sehr schwierig für mich. Mir fehlt ein Monat meines Lebens, und das, was du mir erzählst, klingt so fantastisch, so absolut untypisch für mich, dass ich Schwierigkeiten habe, es zu begreifen.“

Sie presste die Lippen aufeinander, aber trotzdem sah er, dass sie zitterten. „Ja, mir ist schon bewusst, dass es schwierig für dich ist. Aber versetz dich doch für einen Moment mal in meine Lage. Stell dir vor, dass der Mensch, den du liebst und von dem du geglaubt hast, er würde dich auch lieben, sich plötzlich nicht mehr an dich erinnern kann. Stell dir vor, wie du an dir zu zweifeln beginnst, wenn du herausfindest, dass alles, was er dir erzählt hat, eine Lüge war, dass er sämtliche Versprechen, die er dir gegeben hat, gebrochen hat. Wie würdest du dich dann fühlen?“

Er schaute in ihre Augen, am Boden zerstört angesichts des Schmerzes, den er dort sah. „Ich wäre ziemlich aufgebracht.“

„Ja, so könnte man es wohl bezeichnen.“

Sie stand auf und rieb sich geistesabwesend den Nacken. „Weißt du … ich glaube, das ist alles zwecklos. Ich bin wirklich müde. Du solltest jetzt lieber gehen.“

Rafael sprang auf. „Du willst, dass ich gehe?“ Es lag ihm auf der Zunge, sie zu fragen, ob sie verrückt geworden sei, aber damit würde er nicht unbedingt Punkte bei ihr sammeln. „Nachdem du mir diese abstruse Geschichte erzählt hast, nachdem du mich damit konfrontiert hast, dass ich Vater werde, erwartest du von mir, dass ich einfach so verschwinde?“

„Das hast du ja schon einmal gemacht“, erwiderte sie müde.

„Woher zum Teufel willst du das wissen? Woher willst du wissen, was ich getan oder nicht getan habe, wenn ich es selbst nicht einmal weiß? Du hast gesagt, du hättest mich geliebt und ich hätte dich geliebt. Ich erinnere mich aber nicht. Woher willst du also wissen, dass ich dich verlassen und betrogen habe? Ich hatte einen Unfall, Bryony. Wann hast du mich zuletzt gesehen? Was haben wir da gemacht? Hatte ich dich sitzen lassen? Habe ich dir gesagt, ich würde dich verlassen?“

Ihr Gesicht war kreidebleich, als sie antwortete: „Es war der Tag, nachdem wir den Kauf besiegelt hatten. Du musstest wegen eines Notfalls in der Firma nach New York zurück. Du hast gesagt, es würde nicht länger als ein, zwei Tage dauern. Du hast mir versichert, dass du zurückkommen würdest, weil du es gar nicht erwarten könntest, und dass wir dann darüber sprechen würden, was wir mit dem Land machen“, erklärte sie mit schmerzerfüllter Stimme.

„An was für einem Tag war das, Bryony? Sag mir das genaue Datum.“

„Der dritte Juni.“

„Der Tag, an dem ich verunglückt bin.“

Sie presste die Hand auf den Mund und sah so schockiert aus, dass Rafael Angst hatte, sie würde gleich umkippen. Er umschlang ihr Handgelenk und zog sie zu sich aufs Bett. Benommen starrte sie ihn an.

„Wie? Was ist passiert?“

„Mein Privatjet ist über Kentucky abgestürzt“, erzählte er. „Ich erinnere mich an kaum etwas, nur dass ich irgendwann im Krankenhaus aufgewacht bin und keine Ahnung hatte, wie ich dorthin gekommen war.“

„Und jetzt hast du keinerlei Erinnerungen mehr?“, fragte sie heiser.

„Doch, nur die vier Wochen vor dem Unfall sind wie ausgelöscht. Ich habe zwar auch noch andere Gedächtnislücken, aber da handelt es sich meist um Menschen, die ich kennen müsste, an die ich mich aber nicht erinnere. Anfangs wusste ich auch nicht mehr, warum ich nach Moon Island geflogen war, doch das war leicht herauszufinden, da ich ein Stück Land dort gekauft hatte.“

„Also hast du nur mich vergessen“, meinte sie mit einem gequälten Lachen.

Er seufzte. „Ich weiß, das ist schwer zu ertragen. Bitte versuch zu verstehen, dass es für mich genauso schwierig ist, all das zu glauben, was du mir erzählt hast. Ich mag mich vielleicht nicht an dich erinnern, Bryony, aber ich bin auch kein ganz übler Kerl. Es ist für mich nicht schön, mit anzusehen, wie sehr du leidest.“

„Ich habe versucht, dich anzurufen“, erzählte sie tonlos. „Erst habe ich noch gewartet und mir alle möglichen Entschuldigungen für dich zurechtgelegt. Aber dann habe ich es unter der Nummer versucht, die du mir gegeben hattest. Niemand wollte mich mit dir reden lassen. Immer gab’s irgendwelche Ausreden. Du wärst in einer Besprechung, auf Geschäftsreise oder zum Mittagessen.“

„Man hat mich nach meinem Unfall ziemlich abgeschirmt, weil wir nicht wollten, dass irgendjemand von meinem Gedächtnisverlust erfährt. Jegliches Zeichen von Schwäche kann schon bedeuten, dass die Investoren das Vertrauen verlieren und ihr Geld zurückziehen.“

„Auf mich wirkte es so, als wolltest du nichts mehr mit mir zu tun haben, was mich ziemlich sauer gemacht hat. Vor allem deshalb, weil du nicht einmal den Mut hattest, es mir ins Gesicht zu sagen.“

„Warum bist du denn jetzt auf einmal gekommen? Warum hast du so lange gewartet?“

„Mir wurde meine Schwangerschaft erst bewusst, als ich schon in der zehnten Woche war. Und Mamaw hatte gesundheitliche Probleme, also habe ich viel Zeit mit ihr verbracht. Um sie nicht aufzuregen, habe ich ihr nichts von meiner Befürchtung erzählt, dass du mich nur verführt hast, um an das Land zu kommen. Das hätte ihr das Herz gebrochen. Nicht nur wegen des Grundstücks. Sie wusste, wie sehr ich dich geliebt habe, und wollte, dass ich glücklich werde.“

Verdammt, er fühlte sich gerade wie ein elender Wurm.

„Wir müssen ein paar wichtige Entscheidungen treffen, Bryony.“

„Entscheidungen?“

„Du behauptest, ich sei in dich verliebt gewesen. Dass du mich auch geliebt hast. Außerdem sagst du, dass du mein Kind bekommst. Wenn du glaubst, dass ich jetzt einfach so auf Nimmerwiedersehen verschwinde, dann bist du verrückt. Wir haben sehr viel zu klären, und das lässt sich nicht an einem Abend bewerkstelligen. Oder an einem Tag. Nicht einmal innerhalb von einer Woche.“

Sie nickte.

„Ich möchte, dass du mit mir kommst.“

Sie riss die Augen auf und leckte sich nervös mit der Zunge über die Lippen. „Wohin soll ich mitkommen?“

„Wenn alles, was du sagst, der Wahrheit entspricht, dann haben sich mein Leben und meine Zukunft auf der Insel total verändert. Du und ich, wir werden dorthin zurückkehren, wo alles begonnen hat.“

Fassungslos starrte sie ihn an. Hatte sie etwa erwartet, dass er sich davonmachen würde?

„Wir werden diese Wochen noch einmal durchleben, Bryony. Vielleicht hilft es meinem Gedächtnis auf die Sprünge, wenn ich wieder dort bin.“

„Und wenn nicht?“, fragte sie vorsichtig.

„Dann haben wir viel Zeit damit verbracht, uns wieder kennen zu lernen.“

3. KAPITEL

„Hast du den Verstand verloren?“, wollte Ryan wissen.

Rafael hörte auf, hin und her zu laufen und musterte seine Freunde, die sich in seinem Büro versammelt hatten.

„Wer hier den Verstand verloren hat, darüber wollen wir lieber nicht reden“, erwiderte Rafael. „Ich bin jedenfalls nicht derjenige, der die Frau suchen lässt, die mich mit meinem Bruder betrogen hat.“

Ryan warf ihm einen bösen Blick zu, bevor er sich abwandte und aus dem Fenster starrte.

„Das war ein Schlag unter die Gürtellinie“, murmelte Devon.

Rafael atmete tief durch. Devon hatte recht. Was auch immer Ryan für Gründe haben mochte, seine Exverlobte aufspüren zu lassen, er hatte es nicht verdient, dass Rafael sich ihm gegenüber wie ein Schwein benahm.

„Tut mir leid, Kumpel“, entschuldigte Rafael sich.

Cam lehnte sich in Rafaels Chefsessel zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. „Ich glaube, ihr seid beide nicht ganz zurechnungsfähig. Keine Frau ist so viel Aufhebens wert.“ Er schaute Rafael direkt an. „Was dich angeht … ich weiß gar nicht, was ich zu deiner verrückten Idee sagen soll, mit der Frau zurück nach Moon Island zu fliegen. Was erhoffst du dir davon?“

Das war eine verdammt gute Frage. Rafael war sich nicht sicher. Er wollte seine Erinnerungen wiederhaben. Er wollte wissen, was ihn dazu bewegt hatte, völlig abzudrehen und sich angeblich innerhalb von wenigen Wochen in eine Frau zu verlieben und sie zu schwängern.

Er war vierunddreißig Jahre alt, aber nach allem, was er gehört hatte, hatte er sich wie ein verliebter Teenager aufgeführt. „Sie sagt, wir hätten uns ineinander verliebt.“ Oh Gott, klang das lächerlich.

Die drei anderen Männer starrten ihn an, als hätte er gerade verkündet, künftig im Zölibat leben zu wollen. Was vielleicht gar nicht die schlechteste Idee war.

„Außerdem sagt sie, du wärst der Vater ihres Kindes“, warf Devon ein. „Das ist ziemlich viel, was sie da behauptet.“

„Hast du schon mit deinem Anwalt gesprochen?“, fragte Ryan. „Diese ganze Situation macht mich nervös. Sie könnte uns erheblichen Schaden zufügen, wenn sie das publik macht. Wenn sie verlauten lässt, dass du dich wie ein elender Mistkerl verhalten hast, indem du sie geschwängert und dann sitzen gelassen hast, kaum dass die Tinte auf dem Vertrag trocken war. Wenn das herauskommt, wirft das kein gutes Licht auf uns.“

„Nein, verdammt, ich habe noch nicht mit Mario gesprochen“, murmelte Rafael. „Wann denn auch? Ich rufe ihn gleich an.“

„Also, wie lange soll dein Selbstfindungstrip dauern?“, fragte Cam.

Rafael stopfte die Hände in die Taschen. „So lange wie nötig.“

Devon blickte auf seine Uhr. „So gern ich noch bleiben würde, um mich von euch amüsieren zu lassen, aber ich muss los, weil ich einen Termin habe.“

„Mit Copeland?“ Cam grinste.

Devon warf ihm nur einen bösen Blick zu.

„Besteht der alte Mann immer noch darauf, dass es nur zu der Fusion kommt, wenn du seine Tochter heiratest?“, wollte Ryan wissen.

Devon seufzte. „Ja. Sie ist … flatterhaft, und Copeland scheint zu glauben, dass ich sie bändigen kann.“

Rafael warf seinem Freund einen Blick voller Mitgefühl zu.

Cam zuckte mit den Schultern. „Dann sag ihm doch, dass du auf den Deal pfeifst.“

„So schlimm ist sie auch wieder nicht. Sie ist jung und … ausgelassen. Es gibt schlimmere Frauen.“

„Mit anderen Worten, sie würde einen Spaßverderber wie dich in den Wahnsinn treiben“, meinte Ryan grinsend.

Devon machte eine nicht gerade salonfähige Handbewegung und marschierte zur Tür.

Cam drehte sich auf Rafaels Chefsessel herum und stand ebenfalls auf „Ich muss auch los. Sag uns auf jeden Fall Bescheid, ehe du verschwindest, um dich selbst zu finden, Rafe.“

Rafael brummte und nahm seinen Sessel wieder in Beschlag, als Cam hinter Devon das Büro verließ. Ryan stand noch immer am Fenster und drehte sich jetzt zu Rafael herum.

„Hey, es tut mir leid wegen meiner Bemerkung über Kelly“, meinte Rafael, ehe Ryan etwas sagen konnte. „Hast du sie schon ausfindig gemacht?“

Ryan schüttelte den Kopf. „Nein, aber das werde ich.“

Rafael verstand nicht, wieso Ryan so erpicht darauf war, seine Exverlobte zu finden. Das ganze Fiasko hatte sich während der vier Wochen ereignet, die in seinem Gedächtnis ausgelöscht waren, aber Devon und Cam hatten ihm erzählt, dass Kelly mit Ryans Bruder geschlafen hatte, woraufhin Ryan sie rausgeworfen und die Angelegenheit anscheinend abgehakt hatte. Doch jetzt hatte er einen Privatdetektiv angeheuert, der sie finden sollte.

„Erinnerst du dich wirklich nicht an Bryony?“, fragte Ryan. „An absolut nichts?“

„Nein, an gar nichts. Es ist so, als würde ich eine Fremde anschauen.“

„Findest du das nicht ziemlich merkwürdig?“

Rafael schnaubte. „Natürlich. Diese ganze Situation ist absolut merkwürdig.“

Ryan musterte Rafael eindringlich. „Man sollte doch denken, wenn man sich Hals über Kopf in eine Frau verliebt, vier Wochen lang Tag und Nacht mit ihr verbringt, sie obendrein noch schwängert, dass man da zumindest eine Art Déjà-vu hat.“

„Ich verstehe schon, was du meinst, Ryan, und ich weiß deine Sorge auch zu schätzen. Aber irgendetwas ist auf der Insel passiert. Ich weiß zwar noch nicht, was, aber in meinem Gedächtnis klafft eine riesige Lücke, und Bryony ist mittendrin. Ich muss auf die Insel zurückkehren, und wenn es nur dazu dient, um ihre Geschichte zu widerlegen.“

„Und wenn sie die Wahrheit sagt?“

„Dann habe ich eine Menge aufzuarbeiten.“

Bryony stand vor dem modernen Bürohochhaus und starrte nach oben auf die glitzernde Fassade, in der sich die helle Herbstsonne spiegelte.

Die Stadt faszinierte sie, machte ihr aber auch Angst. Alle waren hier so geschäftig. Niemand schien auch nur für einen Moment innezuhalten.

Wie konnte man das aushalten?

Und doch war sie bereit gewesen, sich Rafael zuliebe an das Leben in der Stadt zu gewöhnen. Hier lebte und arbeitete er. Hier blühte er auf.

Je länger sie hier stand, desto größer wurden ihre Zweifel. Machte sie sich schon wieder zum Narren?

Einmal auf einen Mann hereinzufallen, war entschuldbar, aber zweimal? „Ich muss verrückt sein, ihm zu vertrauen“, murmelte sie.

Aber wenn diese absurde Geschichte stimmte, dann hatte er sie nicht betrogen. Dann hatte er sie nicht sitzen lassen. Und auch nicht all das getan, was sie ihm vorgeworfen hatte.

Einerseits war sie erleichtert, andererseits hatte sie keine Ahnung, was sie glauben oder denken sollte.

„Sie sind Bryony, oder?“

Sie riss den Blick von dem Gebäude los. Es war ihr peinlich, dass sie noch immer wie ein Trottel dastand und gen Himmel blickte, vor allem, als sie jetzt zwei Männer bemerkte, die ihr schon auf der Party in Rafaels Begleitung aufgefallen waren.

Sie machte einen Schritt zurück. „Ja“, antwortete sie zögernd.

Es waren beides große Männer. Der eine hatte kurzes braunes Haar, der andere etwas längeres blondes. Der eine lächelte, während der andere sie musterte wie ein lästiges Insekt.

Der lächelnde Mann streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Devon Carter, ein Freund von Rafael. Das ist Cameron Hollingsworth.“

Cameron musterte sie weiterhin kritisch, also ignorierte Bryony ihn und konzentrierte sich auf Devon, obwohl sie nicht wusste, was sie sagen sollte.

„Freut mich, Sie kennen zu lernen“, murmelte sie.

„Sind Sie hier, weil Sie sich mit Rafe treffen wollen?“, fragte Devon.

Sie nickte.

„Wir bringen Sie gern nach oben.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon okay. Ich finde den Weg allein. Ich meine, ich möchte Ihnen keine Mühe bereiten.“

„Kein Problem“, erwiderte Devon geschmeidig. „Aber wie Sie möchten. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“

„Danke. Es war nett, Sie kennen zu lernen.“

Die beiden Männer verabschiedeten sich und gingen zur Straße, um in einen BMW zu steigen.

Bryony holte noch einmal tief Luft und marschierte auf die Drehtür zu. In der Mitte der Lobby stand ein großer Brunnen, und sie blieb einen Moment lang stehen, um sich vom Plätschern des Wassers beruhigen zu lassen. Sie vermisste das Meer. Es kam nicht häufig vor, dass sie die Insel verließ, und hier in dieser hektischen Großstadt sehnte sie sich nach der Ruhe und dem Frieden der kleinen Insel, auf der sie aufgewachsen war.

Das schlechte Gewissen versetzte ihr einmal mehr einen Stich. Ihretwegen befand sich das Grundstück ihrer Familie jetzt in den Händen eines Mannes, der entschlossen war, darauf ein Resort samt Golfplatz und wer weiß was zu bauen. Nicht, dass das schlechte Dinge waren. Bryony hatte weder etwas gegen den Fortschritt noch gegen freie Marktwirtschaft und Kapitalismus. Jeder Mensch verdiente gern Geld.

Aber Moon Island war etwas Besonderes. Bisher war es vom Bauboom, der so manch andere Insel verunstaltet hatte, verschont geblieben. Die Familien, die dort lebten, taten dies schon seit Generationen. Jeder kannte jeden. Es gab eine unausgesprochene Vereinbarung unter den Einwohnern, dass sie die Insel so belassen wollten, wie sie war. Ein Hafen für Menschen, die nicht länger auf der Überholspur leben wollten. Auf Moon Island lief alles ein wenig langsamer.

Und jetzt würde sich all das ihretwegen ändern. Bulldozer und Bautrupps würden einfallen, und anschließend würde langsam auch die Außenwelt immer mehr von der Insel Besitz ergreifen und den Lebensstil dort verändern.

Bryony biss sich auf die Unterlippe und ging in Richtung Fahrstuhl. Es war schmerzlich, erkennen zu müssen, dass sie unglaublich naiv gewesen war. Inzwischen, mit ein wenig Abstand zu der Beziehung, auf die sie sich so Hals über Kopf eingelassen hatte, erkannte sie, wie dumm sie gewesen war. Aber vor ein paar Monaten … da hatte sie überhaupt nicht mehr vernünftig denken können. Gegen Rafaels Verführungskünste, seine Anziehungskraft und gegen die Vorstellung, dass es ihn genauso heftig erwischt hatte wie sie, war sie machtlos gewesen.

Wütend drückte sie den Knopf für den einunddreißigsten Stock und trat weiter zurück, als noch mehr Menschen in den Lift kamen. Es war ja nicht so, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte, eine Klausel in den Vertrag einfügen zu lassen, aber sie hatte das Gefühl gehabt, dass Rafael dann denken könnte, sie würde ihm nicht vertrauen. Es wäre klug gewesen, aber auch heikel und hätte Fragen aufgeworfen, über die sie zu dem Zeitpunkt nicht weiter hatte nachdenken wollen.

Rafael hatte ihr glaubhaft versichert, dass er das Land zum persönlichen Gebrauch kaufen wollte. Unter dem Vertrag stand auch nicht der Name einer Firma, sondern seiner. Und sie hatte ihm geglaubt, als er ihr versichert hatte, dass er zurückkehren würde. Dass er sie liebte. Dass er mit ihr zusammen sein wollte.

Ihre eigene Dummheit beschämte sie so sehr, dass sie es kaum ertragen konnte, darüber nachzudenken. Und jetzt, nachdem sie endlich nach New York gekommen war, um Rafael mit seinen Lügen zu konfrontieren, erzählte er ihr eine unglaubliche Geschichte von einem Unfall und einem Gedächtnisverlust. Das war verdammt praktisch für ihn.

Trotzdem wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass er die Wahrheit sagte. Denn wenn es so war, dann war der Rest vielleicht auch nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Was sie vermutlich zu einer noch größeren Idiotin machte, als sie ohnehin schon war.

Als Bryony aus dem Fahrstuhl trat, wurde sie von der Rezeptionistin in Empfang genommen und direkt zu Rafael ins Büro geführt.

Rafael stand auf und kam auf sie zu. „Hallo, Bryony.“

Sie starrte ihn an und konnte sogar seinen Duft wahrnehmen, so nah stand er vor ihr. Es war so schwierig, weil sie überhaupt nicht wusste, wie sie sich jetzt in seiner Gegenwart verhalten sollte. Die Rolle der beleidigten verlassenen Geliebten konnte sie nicht länger spielen, weil er sich überhaupt nicht an sie erinnerte und man ihm daher ja wohl keinen Vorwurf daraus machen konnte, dass er während der vergangenen Monate so getan hatte, als würde es sie nicht geben.

Aber sie konnte auch nicht dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten, und sich in seine Arme werfen.

Rafael seufzte. „Ehe wir reden, gibt es etwas, was ich tun muss.“

Misstrauisch bemerkte Bryony, dass Rafael noch einen Schritt auf sie zukam. „Was?“, fragte sie.

Er umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen und kam noch näher, bis ihre Körper sich fast berührten und seine Hitze – sein Duft – sie umfingen.

„Dich küssen.“

4. KAPITEL

Bryony machte einen Schritt zurück, doch Rafael war entschlossen, sie nicht entkommen zu lassen. Er fasste sie bei den Schultern und zog sie fast ungestüm an sich. Ehe seine Lippen ihren Mund eroberten, hörte er noch, wie Bryony überrascht nach Luft schnappte.

Er war sich nicht sicher, was er erwartet hatte. Ein Feuerwerk? Die wundersame Rückkehr seiner Erinnerungen? Bilder der fehlenden Wochen, die wie eine Diashow vor seinen Augen abliefen?

Nichts davon geschah, aber das, was ihm widerfuhr, versetzte ihn in eine Art Schockzustand.

Sein Körper erwachte zum Leben. Jeder einzelne Muskel stand von einer Sekunde zur anderen unter Strom. Verlangen und Lust packten ihn, und er wurde fast schmerzhaft hart.

Und verdammt, sie war aber auch entgegenkommend. Nach ihrem anfänglichen Widerstand schmolz sie geradezu dahin und erwiderte seinen Kuss mit gleicher Leidenschaft. Die Arme um seinen Hals geschlungen, klammerte sie sich an ihn und presste ihre herrlichen Kurven an seinen Körper. Ein Körper, der danach verlangte, sie auf den Schreibtisch zu drängen und seine Lust zu stillen.

Dieser Gedanke brachte Rafael dazu, sich von Bryony zu lösen. Du meine Güte, war er verrückt geworden? Sie war schwanger mit seinem Kind, er konnte sich nicht an sie erinnern, und doch war er bereit, ihr und sich die Kleidung vom Leib zu reißen und sich einen Dreck um die Konsequenzen zu scheren?

Na ja, wenigstens konnte sie nicht noch einmal schwanger werden …

Schwer atmend strich er sich mit der Hand durchs Haar und wandte sich ab, während sein Herz völlig unkontrolliert pochte.

Nicht sein Typ? Er schüttelte den Kopf. Noch nie hatte er eine Frau getroffen, bei der es so gefunkt hatte.

Als er sich wieder umdrehte, sah er, dass auch Bryony benommen aussah. Ihre Lippen waren leicht geschwollen, und ihr Blick wirkte weich und versonnen. Rafael musste sich sehr beherrschen, sie nicht wieder in die Arme zu reißen, um das zu beenden, was er eben begonnen hatte.

„Es tut mir leid, ich musste es einfach wissen.“

„Was wissen?“, fragte sie argwöhnisch.

„Ob ich mich an irgendetwas erinnern kann“, murmelte er.

Sie verzog das Gesicht und betrachtete ihn voller Verachtung. Als ihm einfiel, dass sie ihn schon gestern Abend geschlagen hatte, machte er vorsichtshalber einen Schritt zurück.

„Und?“

Er schüttelte den Kopf. „Nichts.“

Nachdem sie ihn noch mit einem angewiderten Blick bedacht hatte, marschierte sie zur Tür.

„Verdammt, warte!“, rief er und schaffte es gerade noch, sie aufzuhalten.

„Wo zum Teufel ist dein Problem?“

Fassungslos sah sie ihn an. „Mein Problem? Wow, ich weiß nicht? Vielleicht hab ich es nicht so gerne, als eine Art Experiment begrapscht zu werden? Mir ist schon bewusst, dass das schwierig für dich ist, Rafael, aber du bist nicht der Einzige, der hier zu leiden hat. Du musst dich nicht wie ein mieser Schuft benehmen.“

„Aber …“

Ehe er seinen Protest äußern konnte, war sie verschwunden, und er sah ihr hinterher. Einen Moment lang überlegte er, ob er ihr folgen sollte oder nicht. Aber was sollte er ihr sagen? Es tat ihm nicht leid, dass er sie geküsst hatte, auch wenn es sich nicht als Mittel zur Wunderheilung entpuppt hatte. Doch es hatte ihm etwas Wichtiges verraten. Er konnte nicht in Bryonys Nähe kommen, ohne in Flammen aufzugehen, daher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sein Kind in sich trug, wohl ziemlich groß.

Er ging zu seinem Schreibtisch und griff nach dem Telefon. Einige Sekunden später antwortete Ramon mit einem knappen „Ja?“

„Miss Morgan hat gerade mein Büro verlassen. Bitte sorgen Sie dafür, dass sie sicher zu ihrem Hotel kommt.“

Bryony verließ das Gebäude, wobei es ihr egal war, dass sie und Rafael eigentlich zum Essen verabredet gewesen waren. Ihr Kiefer schmerzte, weil sie die Zähne krampfhaft aufeinander biss und gegen die Tränen ankämpfte.

Sie hatte gehofft, etwas von dem Rafael de Luca wiederzufinden, in den sie sich verliebt hatte. Vielleicht hatte sie auch gehofft, dass der Kuss etwas entfachen würde, was Rafael zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen ließ, einmal etwas für sie empfunden zu haben.

Aber in seinen Augen war keine Spur von Erkennen gewesen. Lediglich Lust. Lust, wie jeder Mann sie verspüren konnte, ohne tiefere Gefühle zu hegen.

Blindlings marschierte Bryony los. Die Straßenlaternen wurden gerade angeschaltet, doch es war noch hell genug, dass sie die wenigen Blocks bis zu ihrem Hotel zu Fuß gehen konnte. Das würde ihr helfen, sich zu beruhigen. Rafaels Kuss hatte sie erhitzt, und es machte sie wütend, dass er so kalt und berechnend reagiert hatte.

Sie war sich vorgekommen wie ein Spielball seiner sexuellen Gelüste. So, als wäre sie überhaupt nicht wichtig, sondern bestünde nur aus einem Paar praller Brüste, die seiner Unterhaltung dienten.

Aber wahrscheinlich war sie von Anfang an nichts anderes für ihn gewesen.

Noch einmal durfte sie nicht so dumm sein. Erst wenn sie von ihm garantiert bekam – schriftlich! –, dass er das Grundstück nicht bebauen würde, würde sie sich gestatten, daran zu glauben, dass er sie nicht betrogen hatte.

Fröstelnd im frischen Wind blieb sie vor einer Ampel stehen. Ein Mann stieß mit ihr zusammen, und sie drehte sich erschrocken herum. „Hey!“

Er murmelte eine Entschuldigung, während die Ampel auf Grün schaltete und die Fußgänger losströmten. Weil sie abgelenkt war, merkte sie erst zu spät, dass jemand an ihrer Handtasche zerrte. Der Riemen rutschte herunter, und ihr wurde fast der Arm ausgerissen, als der Dieb sich mit der Tasche davonmachen wollte.

Wütend schnappte Bryony instinktiv mit der anderen Hand nach dem Riemen und zog.

Der Mann war nicht viel größer und schwerer als sie, aber wilde Entschlossenheit zeichnete sich auf seinem schmutzigen Gesicht ab. Er versetzte Bryony einen Stoß, sodass sie hinfiel. Der Sturz war so heftig, dass ihre Zähne aufeinander schlugen, aber der Riemen der Handtasche war um ihr Handgelenk geschlungen, und so leicht gab sie nicht auf.

Wieder zerrte der Dieb daran, und dieses Mal schleifte er Bryony ein paar Schritte mit, bevor er wütend fluchte und ihr einen Schlag ins Gesicht verpasste. Sie schrie auf und lockerte zwangsläufig den Griff. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie etwas Silbernes aufleuchten.

Gelähmt vor Angst, sah sie das Messer auf sich zukommen. Doch der Angreifer zerschnitt nur den Riemen, sodass sie wieder rückwärts fiel, als die Spannung nachließ. Innerhalb von Sekunden war der Dieb in der Menge verschwunden, während sie auf dem Bürgersteig lag und eine Hand auf das schmerzende Auge hielt.

Menschen scharten sich um sie, und jemand hockte sich neben sie. „Geht es Ihnen gut?“

Sie drehte sich um, zu fassungslos, um reagieren zu können. Im nächsten Moment hielt eine große schwarze Limousine mit quietschenden Reifen neben ihr, und ein Berg von einem Mann stürzte heraus. Dabei bewegte er sich mit einer Anmut, die bei seiner Größe eher ungewöhnlich war. Er hockte sich neben sie und umschloss ihr Kinn. Besorgt drehte er ihren Kopf hin und her, um das Auge zu begutachten.

Er bellte irgendetwas in sein Bluetooth, doch Bryony war noch immer zu benommen, um zu verstehen, was er sagte oder mit wem er sprach. Sie hoffte, es war die Polizei.

„Miss Morgan, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte er eindringlich.

„W … woher wissen Sie meinen Namen?“

„Mr de Luca hat mich geschickt.“

„Woher weiß er, was passiert ist?“, fragte sie erstaunt.

„Er wollte sichergehen, dass Sie heil im Hotel ankommen. Ich habe Sie nicht mehr erwischt, um Sie im Wagen mitzunehmen, und habe gerade nach Ihnen Ausschau gehalten, als ich sah, was hier passierte.“

„Oh.“

„Können Sie aufstehen?“

Sie nickte. Während er ihr auf die Füße half, legte sie schützend eine Hand auf ihren Bauch, aus Angst, dass das Baby bei dem Fall Schaden genommen haben könnte.

„Tut Ihnen etwas weh?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte sie zitternd. „Ich habe Angst. Der Sturz …“

„Ich bringe Sie unverzüglich ins Krankenhaus. Mr de Luca kommt direkt dorthin.“

Bryony protestierte nicht, als er sie auf den Rücksitz der Limousine bugsierte. Er selbst setzte sich neben sie und erteilte dem Fahrer Anweisungen. Im nächsten Moment hatten sie sich schon in den Verkehr eingefädelt.

Der Riese neben ihr nahm fast die gesamte Rückbank ein. Er beugte sich vor und zauberte aus der Konsole etwas Eis hervor, wickelte es in ein Tuch ein und hielt es ihr an das verletzte Auge.

„Haben Sie noch andere Verletzungen?“, fragte er.

„Ich glaube nicht. Ich bin nur ein bisschen erschüttert.“

Mit grimmiger Miene zog er das Eis weg und musterte aufmerksam ihr Auge.

„Da bekommen Sie mit Sicherheit ein schönes Veilchen. Aber ich glaube, es ist gut, wenn ein Arzt Sie kurz durchcheckt, damit Sie sicher sind, dass dem Baby nichts passiert ist.“

Sie nickte und zog eine Grimasse, als er ihr das Eis wieder aufs Auge drückte.

„Danke“, murmelte sie. „Für Ihre Hilfe. Ihr Timing war perfekt.“

Wütend schüttelte er den Kopf. „Nein, war es nicht. Wenn ich einen Moment eher da gewesen wäre, hätte er Ihnen nicht wehtun können.“

„Trotzdem danke. Er hatte ein Messer.“

Sie versuchte, gegen die Panik anzukämpfen und tief durchzuatmen. Noch immer sah sie das Aufblitzen des Messers vor sich, und die Erinnerung daran ließ sie am ganzen Körper zittern.

„Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen“, sagte sie schwach.

Er sah sie besorgt an, so als würde er denken, dass sein Name das Letzte wäre, was sie jetzt beschäftigen sollte.

„Ramon. Ich bin der Sicherheitschef von Mr de Luca.“

„Ich bin Bryony“, sagte sie, ehe ihr bewusst wurde, dass er ihren Namen ja bereits kannte.

„Wir sind fast da, Bryony.“

Tatsächlich, schon Sekunden später hielt der Wagen, und die Türen wurden sofort geöffnet. Ramon nahm das Eis von ihrem Auge und stieg eilig aus, um ihr aus dem Wagen zu helfen. Ein Sanitäter mit einem Rollstuhl wartete bereits auf sie.

Erstaunt über die Schnelligkeit, mit der man sie in einen Untersuchungsraum verfrachtet hatte, starrte Bryony mit offenem Mund auf die beiden Schwestern, die ihr halfen, sich in ein Krankenbett zu legen, und sofort damit begannen, sie zu untersuchen.

Ramon blieb neben dem Bett stehen und beäugte die Vorgänge genau. Als würde er Bryonys Verwunderung spüren, beugte er sich vor und murmelte: „Mr de Luca spendet häufig für dieses Krankenhaus. Er hat angerufen und Sie angekündigt.“

Oh, dann ergab das alles schon mehr Sinn.

„Der Gynäkologe kommt gleich zu Ihnen“, versicherte ihr eine der Schwestern. „Er wird sich vergewissern, dass mit Ihrem Baby alles in Ordnung ist.“

Bryony nickte und bedankte sich.

Die Krankenschwester stellte ihr noch eine Reihe von Fragen, während Bryony das alles ein wenig peinlich war. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte sie nichts weiter als ein blaues Auge und ein paar blaue Flecken am Po. Aber sie war trotzdem froh, dass man sich davon überzeugen wollte, dass es dem Baby gut ging.

Sie hatte sich gerade zurückgelehnt und die Augen geschlossen, als die Tür aufflog und Rafael ins Zimmer stürmte.

Er eilte zum Bett und nahm Bryonys Hand. „Alles okay mit dir?“, fragte er. „Bist du verletzt? Hast du Schmerzen?“ Er holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das … Baby?“

Ehe sie etwas erwidern konnte, bemerkte er ihr zerschundenes Gesicht und zuckte entsetzt zusammen. Sanft berührte er ihre Wange, bevor er sich an Ramon wandte. „Was ist passiert?“

„Mir geht es gut“, erwiderte Bryony, aber Rafael achtete gar nicht auf sie, weil er seinen Sicherheitschef ausfragte.

„Rafael.“

Als er Ramon weiter mit Fragen bombardierte, zupfte sie an seinem Ärmel, bis er sich endlich wieder zu ihr umdrehte.

„Mir geht es gut. Ehrlich. Ramon ist gerade noch rechtzeitig gekommen. Er hat sich gut um mich gekümmert.“

„Ich hätte dich nicht weglaufen lassen sollen“, brummte Rafael. „Du warst aufgelöst und hättest so nicht auf die Straße gehen sollen. Ich dachte, Ramon würde dich nach Hause fahren.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin zu Fuß gegangen. Er hat mich erst eingeholt, nachdem …“

Rafael schaute sich um und zog sich einen Stuhl heran. „War schon ein Arzt da? Was hat er zum Baby gesagt? Tut dir noch mehr weh? Hat der Kerl dich geschlagen?“

Sie schüttelte den Kopf angesichts der vielen Fragen und blinzelte, weil er so grimmig klang und aussah. Diese Seite von Rafael hatte sie bisher noch nicht kennen gelernt.

„Die Schwester hat gesagt, dass der Gynäkologe gleich kommt und mich untersucht, um sicherzustellen, dass dem Baby nichts passiert ist. Und nein, ansonsten bin ich nicht verletzt.“

Rafael begutachtete ihr Auge. „Es geht nicht, dass du allein durch New York läufst. Mir gefällt es nicht einmal, dass du allein im Hotel wohnst.“

Sie lächelte amüsiert. „Aber es ist dein Hotel, Rafael. Willst du etwa andeuten, dass es nicht sicher ist?“

„Mir wäre es lieber, wenn du bei mir wärst, wo ich weiß, dass du sicher bist“, brummte er.

„Was soll das heißen?“

„Pass auf, wir wollten in ein paar Tagen ohnehin zusammen auf die Insel fahren. Da ist es doch sinnvoll, wenn du bis dahin bei mir wohnst. Dadurch gewinnen wir zusätzliche Zeit, um uns … wieder miteinander bekannt zu machen.“

Sie starrte in seine Augen und suchte … hm, eigentlich wusste sie nicht genau, wonach sie suchte. Was sie jedoch sah, war Entschlossenheit – und Wut darüber, dass sie verletzt worden war.

Rafael mochte sich vielleicht nicht an sie erinnern, aber sein Beschützerinstinkt war geweckt worden, und ob er nun akzeptierte, dass sie sein Kind in sich trug oder nicht, er war auf jeden Fall besorgt um Mutter und Kind.

War das nicht immerhin ein Anfang?

„In Ordnung“, antwortete sie leise. „Ich bleibe bei dir, bis wir zur Insel zurückkehren.“

5. KAPITEL

Rafael hätte sie ins Penthouse getragen, wenn Bryony es zugelassen hätte. Er hatte versucht, sie zu überreden, bis sie die Augen verdreht und ihm erklärt hatte, dass sie völlig in Ordnung war und niemand wegen eines blauen Auges getragen werden musste.

Die Erinnerung an ihr Veilchen versetzte Rafael wieder in Rage. Sie war eine kleine Frau, und die Vorstellung, dass irgendein mieser Schlägertyp über sie hergefallen war – über eine Schwangere! – machte ihn rasend. Auch wenn der Arzt ihnen versichert hatte, dass alles in Ordnung war.

Rafael wusste nicht so recht, was er tun sollte. Er bewegte sich sozusagen auf unbekanntem Terrain. Bryony war die erste Frau, die er je mit in sein Penthouse genommen hatte, und es kam ihm so vor, als wäre seine Privatsphäre verletzt worden.

„Möchtest du, dass ich uns etwas zum Abendessen bestelle?“, fragte er, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass sie es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatte.

„Eine gute Idee“, erwiderte sie und legte den Kopf an die Lehne.

Rafael bekam ein schlechtes Gewissen, als er sah, wie erschöpft sie war. Er hatte es ihr nicht gerade leicht gemacht. Sie hatte eine lange Reise gehabt und dann … Dann war alles noch viel schlimmer geworden.

Irritiert stand er auf. Warum sollte er sich schuldig fühlen? Er konnte sich an nichts erinnern. Und er hatte es weiß Gott versucht. Jeden Abend ging er völlig frustriert ins Bett und hoffte, dass über Nacht auf wundersame Weise seine Erinnerungen zurückkehrten und er sich nicht länger den Kopf über all die Lücken in seinem Gedächtnis zerbrechen musste. Und sich nicht mehr fragen musste, ob er etwas so Verrücktes getan hatte wie eine Frau zu verführen und sich innerhalb weniger Wochen in sie zu verlieben.

Es klang einfach so unvorstellbar.

Nein, er brauchte keine Schuldgefühle zu haben. Das alles war nicht sein Fehler.

Abgesehen von der Tatsache, dass er Bryony verärgert hatte, sodass sie aus seinem Büro gestürmt und als Folge davon überfallen worden war.

Er ging hinüber zum Telefon und bestellte etwas zu essen, bevor er sich auf den Sessel neben dem Sofa setzte. „Möchtest du etwas trinken, während wir auf das Essen warten?“

Sie betrachtete ihn durch halb geöffnete Lider. „Gerne. Hast du Saft da? Ich habe manchmal einen niedrigen Blutzuckerspiegel, und die Schwangerschaft bringt das alles noch mehr durcheinander, sodass ich darauf achten muss, regelmäßig zu essen, sonst laufe ich Gefahr, ohnmächtig zu werden.“

Rafael fluchte leise. „Und was ist, wenn du ohnmächtig wirst, wenn du allein bist?“

„Na ja, wichtig ist, dass ich sicherstelle, nicht ohnmächtig zu werden. Mir geht es gleich wieder gut“, fügte sie leise hinzu. „Meine Großmutter ist Diabetikerin, also weiß ich, wie man mit niedrigen Blutzuckerwerten umgeht.“

Eilig verschwand er in der Küche und war froh, als er im Kühlschrank Orangensaft fand, der zum Glück auch noch haltbar war. Er schenkte ein Glas voll und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Dieses Mal setzte er sich neben Bryony auf die Couch und reichte ihr den Saft. Durstig trank sie das halbe Glas leer, ehe sie es ihm wieder reichte.

„Danke, Rafe, das sollte helfen.“

Die Kurzversion seines Namens, die sonst nur seine engsten Freunde benutzten, kam ihr über die Lippen, als hätte sie sie schon Tausende von Malen ausgesprochen. Es klang so … richtig. Als hätte er es schon früher gehört oder sie vielleicht sogar dazu ermutigt, ihn so zu nennen.

Er rieb sich den Nacken und wandte den Blick ab. Warum konnte er sich nicht erinnern? Wenn er sich wirklich mit dieser Frau eingelassen und eine romantische Beziehung mit ihr gehabt hatte – von Liebe mochte er nicht sprechen –, warum hatte er sie dann aus seinem Gedächtnis verbannt?

Bryony schlüpfte aus ihren Schuhen und zog die Beine unter sich. Ihm fiel ein, dass er, wenn sie ein Paar wären, sich jetzt neben sie setzen und mit ihr … kuscheln würde.

Was ein weiterer Beweis dafür war, dass die Vorstellung, sich verliebt und vier Wochen mit einer Frau verbracht zu haben, einfach lächerlich war. Er verabredete sich. Manchmal hatte er sogar Beziehungen, aber nur zu seinen Bedingungen. Das bedeutete, dass keine der Frauen hier in sein Penthouse kam – dafür hatte er Hotels. Auf jeden Fall war er niemand, der mit einer Frau kuschelte.

Dann schaute er auf und begegnete Bryonys Blick. Sie sah müde und verletzlich aus, und das weckte Gefühle in ihm, mit denen er nicht vertraut war. Sie sah aus, als würde sie jemanden brauchen, der sie tröstete.

Verdammt.

„Rafe, er hat mir meine Handtasche geklaut.“

Er nickte. Die Polizei war ins Krankenhaus gekommen, um ihre Aussage aufzunehmen, aber es war unwahrscheinlich, dass sie den Kerl schnappen würden.

„Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht … Ich meine, alles ist so schnell passiert, und dann im Krankenhaus …“ Sie machte eine hilflose Geste, die seinen Wunsch, sie zu trösten, noch verstärkte.

„Was bereitet dir Sorgen, Bryony?“

„Ich muss meine Kreditkarten sperren lassen. Mist, vermutlich hat er schon alle meine Konten leer geräumt. Mein Führerschein war auch darin. Wie soll ich denn jetzt nach Hause kommen? Ohne Ausweis kann ich nicht fliegen.“

Je länger sie redete, desto aufgeregter wurde sie. Rafael rutschte zu ihr und schlang ein wenig unbeholfen einen Arm um sie.

„Du brauchst nicht in Panik zu geraten. Hast du die Telefonnummern, die du brauchst?“

Sie schüttelte den Kopf, bevor sie ihn an Rafaels Schulter lehnte.

„Ich kann sie im Internet nachschauen, wenn du einen Computer hier hast.“

Er schnaubte. „Wenn ich einen Computer habe … Ich bin nie ohne eine Internetverbindung.“

Sie hob den Kopf. „Auf der Insel schon.“

„Das ist unmöglich. Ich wäre nicht einfach so von der Bildfläche verschwunden. Ich muss mich um meine Firma kümmern.“

„Oh, natürlich bist du mit deinen Leuten in Verbindung geblieben“, meinte sie. „Aber meistens hast du deine Anrufe oder E-Mails morgens oder spät abends erledigt. Während des Tages, wenn wir die Insel erkundet haben, hast du deinen Blackberry im Haus gelassen.“

Er seufzte. „Genau deshalb fällt es mir so schwer, deine Geschichte zu glauben. So etwas würde ich niemals tun.“

Enttäuscht wandte sie sich ab.

Um die peinliche Situation zu überspielen, stand Rafael auf und nahm seinen Laptop aus der Aktentasche. Eine ganze Weile stand er mit dem Rücken zu Bryony, damit er sich wieder sammeln konnte und nicht Gefahr lief, sich bei ihr zu entschuldigen. Er wollte ihr nicht wehtun, verdammt.

Schließlich drehte er sich wieder um, öffnete den Laptop und stellte ihn auf ein Kissen neben Bryony. „Ich gebe dir am besten meine Adresse, damit man die neuen Karten per Express hierher schicken kann.“

„Und was ist mit meinem Führerschein?“, fragte sie frustriert. „Wie soll ich denn jetzt nach Hause kommen?“ Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht, sodass das blaue Auge sichtbar wurde.

„Ich bringe dich schon nach Hause, Bryony. Mach dir darüber keine Gedanken. Kannst du deine Großmutter anrufen, damit sie dir eine Kopie deiner Geburtsurkunde schickt? Soweit ich weiß, kann man die benutzen, wenn man am Flughafen eincheckt, aber man wird genauer überprüft.“

Sie nickte und wandte sich dem Computer zu.

Rafael dachte über die Aufregungen der letzten Tage nach. Wenn man Bryony glauben konnte, dann war ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt worden. Von ihm.

Mehr und mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass sie vielleicht wirklich die Wahrheit sagte. So verrückt und unglaublich das Ganze auch klang. Und wenn sie die Wahrheit sagte, musste er sich überlegen, was zum Teufel er mit der Frau machen sollte, die er angeblich liebte. Und mit ihrem Kind – das auch seins war.

6. KAPITEL

„Das erinnert mich an die Abende, die wir in meinem Haus verbracht haben“, sagte Bryony und aß noch etwas von den Meeresfrüchten.

Rafael hielt inne, die eigene Gabel auf halbem Weg zum Mund, und machte sich darauf gefasst, mehr über sein uncharakteristisches Verhalten zu erfahren. Doch Bryony sagte nichts weiter, sondern senkte den Blick, so als würde sie spüren, wie schlecht gelaunt er war, und aß weiter.

Doch seine Neugier war geweckt, denn – verdammt – irgendetwas war ja zwischen ihnen geschehen, und sie war der einzige Schlüssel, um seine verloren gegangenen Erinnerungen zurückzubekommen.

Er zwang sich, nicht allzu inquisitorisch zu klingen. „Was haben wir gemacht?“

Verträumt schaute sie zum Fenster hinaus in die Nacht. „Wir haben auf der Veranda gesessen und etwas gegessen. Meist habe ich gekocht. Danach habe ich meinen Kopf in deinen Schoß gelegt, und du hast mein Haar gestreichelt, während wir dem Rauschen des Meeres gelauscht und zu den Sternen geschaut haben.“

Sie senkte die Stimme und klang ein wenig heiser. „Anschließend sind wir nach drinnen gegangen und haben uns geliebt. Manchmal haben wir es nicht einmal bis ins Schlafzimmer geschafft.“

Der versonnene Ausdruck auf ihrem Gesicht bewegte Rafael tief. Eine fast schmerzhafte Erregung packte ihn, als er die Bilder vor Augen sah, die sie heraufbeschworen hatte. Es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie vor ihm lag, wie er mit den Lippen über ihre Haut glitt, wie sie sich an ihn klammerte, während er ihnen beiden unglaubliche Freuden bereitete.

Er schüttelte den Kopf, als er merkte, dass er sie anstarrte und sich dabei völlig verspannte. Konnten sie es nicht einfach hinter sich bringen? Miteinander ins Bett gehen und Sex haben, bis sie beide nicht mehr wussten, wie sie hießen? Sein Körper war mehr als bereit, doch sein Verstand schalt ihn einen verdammten Idioten.

Vermutlich würde Bryony denken, dass es wieder ein Experiment war, so wie er vorhin mehr oder weniger hastig behauptet hatte, dass der Kuss auch nichts anderes gewesen sei.

Am liebsten hätte er gelacht. Konnte man es ein Experiment nennen, wenn man ein Verlangen verspürt hatte, das so heftig gewesen war, dass einem Hören und Sehen vergangen war?

Ob er es nun zugeben wollte oder nicht, zwischen ihnen bestand eine unglaubliche Anziehungskraft. Vielleicht hatte er sich so sehr in ihrem Netz verfangen, dass er völlig den Verstand verloren hatte. Vielleicht hatte er in der Hitze des Augenblicks absurde Versprechungen gemacht. Doch so wütend, wie sie war, hatte er immerhin noch genügend Vernunft bewiesen, nichts zu unterschreiben.

Autor

Maya Banks

Maya Banks lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und einer ganzen Schar von Katzen in Texas. Wenn sie nicht schreibt, trifft man sie beim Jagen und Fischen oder beim Poker spielen. Als typisches Mädchen aus den Südstaaten beschreibt sie in ihren Geschichten leidenschaftlich gern Charaktere und Landschaften aus ihrer Heimat....

Mehr erfahren
Kathie De Nosky
Mehr erfahren
Charlene Sands

Alles begann damit, dass der Vater von Charlene Sands, ihr als Kind die schönsten, brillantesten und fantastischsten Geschichten erzählte. Er erfand Geschichten von plündernden Piraten, mächtigen Königen und Sagen von Helden und Rittern. In diesen Erzählungen war Charlene immer die Prinzessin, Königin oder Heldin um die gekämpft oder die gerettet...

Mehr erfahren