Julia Extra Band 542

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WEIHNACHTSÜBERRASCHUNG FÜR EINE PRINZESSIN von CLARE CONNELLY
Eine Nacht der Freiheit! Das ist Prinzessin Charlottes innigster Weihnachtswunsch. Heimlich türmt sie aus dem New Yorker Hotel und trifft in einer Bar auf den geheimnisvollen Rocco Santinova. Gegen jede Vernunft verbringt sie Stunden der Lust mit ihm. Doch dann muss sie zurück – um einen anderen zu heiraten!

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  • Erscheinungstag 10.10.2023
  • Bandnummer 542
  • ISBN / Artikelnummer 0820230542
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Clare Connelly, Michelle Douglas, Alison Roberts, Chloe Edmondson

JULIA EXTRA BAND 542

PROLOG

„Schau mal, Schatz.“

Rocco Santinova, erst neun, aber für sein Alter schon recht groß, trat näher an seine Mutter heran und reckte sich, um an den gutgekleideten Kauflustigen vorbei in das Schaufenster des Warenhauses sehen zu können. Dort wurde eine weihnachtliche Szene gezeigt: Im Hintergrund zerklüftete, schneebedeckte Berge, im Vordergrund gab es kleine Tannenbäume, eislaufende Kinderfiguren und alpenländisch anmutende Häuser.

„Wie in meiner Kindheit“, murmelte sie verträumt. „Ist das nicht schön?“, fragte sie auf Italienisch, ihrer Muttersprache.

Rocco nickte. „Si, Mama.“

Sie sah ihn mit tränenfeuchten Augen an. „Eines Tages möchte ich mit dir dorthin. Dann fahren wir Ski.“

Roccos Herz machte einen Satz. Er war sehr abenteuerlustig und sehnte sich danach, das Skifahren zu lernen.

„Eines Tages kehren wir nach Hause zurück“, sagte seine Mutter versonnen.

Seine Mutter sprach oft von „zu Hause“, und Rocco wusste nicht, wie er ihr klarmachen sollte, dass New York zu seinem Zuhause geworden war. Seine Berge waren die Wolkenkratzer, und er hatte sich geschworen, eines Tages einen davon zu besitzen.

„Es gibt dort ein Restaurant, in dem ich immer sonntags nach der Kirche gegessen habe. Dort bereiten sie das beste Essen der Welt zu“, erklärte sie mit wehmütigem Lächeln.

Rocco mochte es nicht, seine Mutter traurig zu sehen. Er schaute zu ihr auf; sie starrte noch immer mit feuchten Augen die Alpenszenerie im Schaufenster an. „Was werden wir sonst noch machen?“, fragte er.

Das schien sie aus den Gedanken zu reißen. Mit einem sonderbaren Ausdruck lächelte sie ihn an. „Es gibt dort wundervolle Sternsinger. Wir kaufen heiße Schokolade und hören ihnen stundenlang zu. So wie ich damals als kleines Mädchen“, antwortete sie und nahm seine Hand.

Roccos Herz zog sich zusammen, als er ihre vom Mopp schwieligen Finger spürte. Er konnte nichts gegen die Sorgen seiner Mutter ausrichten. Er konnte ihr nur zuhören und nicken.

Endlich wandte sie sich von dem Schaufenster ab und ging mit ihm in Richtung U-Bahn. Doch sie erzählte weiter von ihrem Dorf und schilderte es so ausführlich, dass Rocco beim Einsteigen in die schmuddelige Bahn Richtung Brooklyn beschloss, alles zu tun, um eines Tages mit seiner Mutter in ihr Heimatdorf reisen zu können. Sie hatten keine weiteren Angehörigen, nahmen es zu zweit mit dem Rest der Welt auf, und Rocco war sicher, dass das immer so bleiben würde.

Damals hatte er nicht ahnen können, dass er nur zehn Jahre später ganz allein sein würde, verlassen und von niemandem geliebt, und dass er den Wohlstand, mit dem er seiner Mutter ein besseres Leben hätte bieten können, zu spät erreichen sollte.

1. KAPITEL

Prinzessin Charlotte Rothsburgs Herz schlug zum Zerspringen, seitdem sie gegen Ende der Veranstaltung, die sie besucht hatte, ihren Bodyguards aus einer Laune heraus entschlüpft war.

Die Bekanntgabe ihrer Verlobung mit dem Scheich von Abu Hemel stand kurz bevor. Sie war ihr gesamtes Leben lang fast immer brav und gehorsam gewesen, und sie fügte sich der arrangierten Ehe, weil ihr klar war, dass diese ihr eben bestimmt war.

Charlotte musste die Thronfolge sicherstellen. Ihre Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass die Blutlinie des Königshauses weitergeführt wurde. Ihrem Königreich ein Baby zu schenken, weil ihr Bruder dazu nicht in der Lage war.

Auch wenn sie wusste, was von ihr erwartet wurde, hieß das nicht, dass es ihr gefiel, und es hieß auch nicht, dass sie sich komplett widerstandslos in die ihr vorbestimmte Zukunft aufmachte. Ein kleines bisschen wollte sie ihre Freiheit noch auskosten, bevor sie sich ihrem Schicksal fügte.

Sie verdrängte die Erinnerung an jenes einzige andere Mal, dass sie etwas Unbesonnenes getan hatte. Darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Ja, es hatte Folgen gehabt, aber damals war sie ein Teenager gewesen, und nun war sie eine erwachsene Frau. Diese kleine Eskapade würde keine Konsequenzen haben. Sie wollte einfach nur einmal das berühmte New Yorker Nachtleben genießen, ohne ihre Leibwächter um sich zu haben. Die hätten ohnehin nie zugelassen, dass sie einen Laden wie diesen überhaupt betrat.

Mit heftig pochendem Herzen bahnte sie sich ihren Weg durch die rammelvolle Bar und atmete den Geruch von teuren Parfums, Alkohol und poliertem Messing ein. Der Raum war von Gesprächen und Gelächter erfüllt. Als sie innehielt und lauschte, hörte sie die leise Musik, die aus den Lautsprechern drang.

An der Theke angekommen nahm sie die Anwesenden genauer in Augenschein. Es waren hauptsächlich Businessleute. Die Männer trugen maßgeschneiderte Anzüge, die Frauen elegante Kleider, Perlenketten und Schuhe mit halbhohen Absätzen.

Es war irrsinnig, was sie hier machte. Ihre Leibwächter würden sicher gefeuert werden. Sie hätte nicht weglaufen dürfen.

Aber die Vorstellung, wieder einmal für eine einzige Veranstaltung nach New York zu fliegen, um drei Stunden am Stück nur zu lächeln und zu nicken, bevor man sie in ihr Hotelzimmer verfrachtete, war ihr unerträglich gewesen. Darum hatte sie sich, als sich eine Gelegenheit zum Entkommen ergeben hatte, durch eine Hintertür hinausgeschlichen.

Charlotte hörte einen Mann lachen, wandte sich instinktiv nach ihm um und sah, wie die Frau, mit der er sich unterhielt, sich mit ungekünsteltem Lächeln zu ihm hinüberbeugte. Es war nicht zu übersehen, dass sie mit ihm flirtete.

Fasziniert verfolgte sie die Interaktion der beiden, beobachtete das Knistern, das zwischen ihnen herrschte, und fragte sich, ob zwischen ihr und dem Scheich eine ähnliche Anziehung herrschen würde.

Charlotte kannte ihren zukünftigen Ehemann kaum, hatte ihn nur wenige Male gesehen. Er sah toll aus, und sie hatte oft überlegt, wie es mit ihm sein würde – aber hatte das etwas zu sagen?

Als sie sich weiter im Raum umsah, fiel ihr Blick auf einen Mann, der ihr augenblicklich den Atem raubte.

Sein kantiges Gesicht hatte einen entschlossenen Ausdruck, der ihm etwas Rabiates gab, was ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Er war groß und breitschultrig und sah stark aus, wie ein wildes Tier, das zu lange eingesperrt gewesen war. Er trug rahmengenähte Schuhe zu perfekt sitzenden schwarzen Jeans. Die Ärmel seines Hemdes, das auf einer Seite aus dem Hosenbund gezogen war, waren hochgekrempelt, was lässig wirkte. Er war mindestens eins fünfundachtzig, hatte einen Dreitagebart, dunkelbraune, von dichten, geschwungenen Wimpern umrahmte Mandelaugen und volles, dunkles, leicht welliges Haar.

Ein heißes Gefühl wallte in ihr auf, drang von ihrem Bauch bis in ihre Finger und Zehenspitzen vor und setzte sich schließlich glühend in ihrem Unterleib fest.

Der Mann hob sein Glas in ihre Richtung, und ihr Puls beschleunigte sich. Die Geste war eindeutig: Willst du dich zu mir setzen? Als sie mit zitternden Knien auf ihn zusteuerte, fragte sie sich kurz, ob das töricht war. Ihr Herz raste, ihr ganzer Körper war in Aufruhr – nur wegen dieses Mannes.

Sie sollte sich nicht weiter um ihn kümmern, die Bar verlassen, zurück zu ihren Bodyguards gehen und sich bei ihnen entschuldigen. Doch beim bloßen Gedanken daran sträubte sich alles in ihr.

Nie hatte sie das Leben, das sie führte, hinterfragt. Nie hatte sie ihren Eltern ihren Unmut gezeigt, den Groll und den Schmerz, den sie empfand, seitdem ihr klar geworden war, dass sie nur geboren worden war, um die Thronfolge zu sichern – weil ihr großer Bruder nicht dazu in der Lage war. Nicht ein einziges Mal hatte sie mit ihnen gestritten. Nicht über die Schule, die man für sie ausgesucht hatte, nicht über den Mann, den sie heiraten sollte, und auch nicht über die Selbstverständlichkeit, mit der davon ausgegangen wurde, dass sie mit all den Plänen, die bereits vor ihrer Geburt für sie gemacht worden waren, einverstanden sein würde. Sie hatte das immer alles mit dem ihr anerzogenen Pflichtbewusstsein hingenommen, aber heute Abend hatte das Bedürfnis nach ein wenig Freiheit sie gepackt. Und dem wollte sie nachgeben, bevor sie sich zurück in den goldenen Käfig begab.

„Darf ich dir einen Drink spendieren?“, fragte er, als sie nah genug war, um ihn zu hören. Er hatte eine tiefe Stimme und einen leichten Akzent, italienisch oder griechisch.

Charlotte nickte und setzte sich auf den Barhocker neben seinem. Nun war sie dem Mann so nah, dass sie einander fast berührten. Sein holzig-männlicher Duft verstärkte das Pulsieren tief in ihrem Leib noch. „Gern.“

Er sah unglaublich gut aus und war zweifelsohne sehr selbstbewusst. Er war der Einzige im Lokal, der keinen Anzug trug; offensichtlich hatte er es nicht nötig, die Leute zu beeindrucken. „Was möchtest du?“

Sie ließ den Blick über die Flaschen schweifen. „Was trinkst du?“

„Whisky.“

Sie kräuselte die Nase. „Das ist mir zu stark. Ich trinke kaum Alkohol.“

„Wie wär’s mit Champagner?“

Sie nickte. „Ja, ein kleines Gläschen.“

Er winkte den Barkeeper herbei und bestellte Champagner. Wenige Augenblicke später stand ein Glas vor ihr, und Charlotte betrachtete einen Moment lang die aufsteigenden Bläschen darin, bevor sie dem Fremden stumm zuprostete.

Als sie einander in die Augen sahen, war das so intensiv, dass Charlotte kaum zu atmen wagte, doch sie konnte ihren Blick nicht losreißen, und die Hand, in der sie das Glas hielt, begann leicht zu zittern. Er schien ihre Reaktion zu bemerken und sah sie prüfend an, was sie nur umso mehr erregte. Sie nippte kurz an ihrem Champagner und stellte ihr Glas beiseite. Wenn sie nicht achtgab, würde sie ihn zu schnell trinken – gegen die Nervosität, die sie befallen hatte.

„Willst du lieber was anderes?“, fragte er und beugte sich zu ihr herüber, um bei der herrschenden Lautstärke besser zu hören zu sein. Diese Nähe brachte sie komplett durcheinander. Sein Duft war nun noch betörender und mischte sich mit dem Geruch seines Whiskys. Charlotte sah, dass seine Augen nicht einfach nur dunkelbraun waren, sondern graue und silberne Sprenkel hatten, und bemerkte die Sommersprossen auf seiner Nase, die sich von der recht dunklen Haut abhoben. Außerdem war das dunkel gelockte Haar unter seinem Hemd zu erahnen; zu gern hätte sie die Finger darin vergraben. Es erschreckte sie, dass sie so stark auf ihn reagierte. Sie konnte sich nicht erinnern, je zuvor ein derartiges körperliches und fast schon animalisches Verlangen empfunden zu haben.

„Wie – was anderes?“, antwortete sie auf seine Frage, die jetzt erst zu ihr vorgedrungen war.

Er sah ihren Drink an und dann wieder sie.

„Ein Mineralwasser wäre perfekt.“

Wieder winkte er den Barmann im Handumdrehen herbei und bestellte ein Mineralwasser. Sie sahen schweigend zu, wie es eingegossen wurde, und nachdem der Barkeeper gegangen war, benetzte sie ihre trockene Kehle mit dem kalten Wasser, bevor sie das Glas auf den Tresen stellte.

„Woher kommst du?“

Es gefiel ihr, dass er so direkt fragte. Die meisten Leute, mit denen sie sprach, hatten ihres Titels wegen Respekt vor ihr und reagierten mit der entsprechenden Hochachtung. Dass man ihr auf Augenhöhe begegnete, ohne überzogene Ehrfurcht, war eine ganz neue Erfahrung. Aber weil sie ihre Identität nicht preisgeben wollte, mochte sie die Frage nicht beantworten. „Was lässt dich darauf schließen, dass ich nicht von hier bin?“

„Abgesehen von deinem Akzent?“

„Du hast auch einen Akzent“, erwiderte sie.

„Ich bin gebürtiger Italiener“, antwortete er.

„Ah, das habe ich mir gedacht.“

„Aha.“ Er beugte sich zu ihr vor. „Und was hast du noch gedacht?“

Charlottes Herzschlag beschleunigte sich. Sie war es nicht gewohnt, dass man mit ihr flirtete. Sie schlug die Beine übereinander und war innerlich ganz hibbelig vor Aufregung. „Ich …“

Sein Lächeln jagte ihr einen erregten Schauer über den Rücken. Sie straffte sich und kniff die Augen zusammen, während sie vergeblich versuchte, ihre heftigen Gefühle in den Griff zu bekommen. Verlangen erfüllte sie, verlockendes, quälendes Verlangen – zum ersten Mal in ihrem vierundzwanzigjährigen Leben.

„Du …?“, hakte er nach.

„Ich … ich wollte nur sagen, dass New York mich fasziniert.“

„Warum?“

Sie war ihm dankbar dafür, dass er den Themenwechsel durchgehen ließ. „Die Stadt ist so dynamisch. Außerdem hat man das Gefühl, trotz der Unzahl von Menschen anonym zu bleiben.“

„Magst du das Gefühl?“

„Und wie!“ Sie verzog das Gesicht, als sie an ihr überwachtes und durchgetaktetes Leben dachte. „Hier habe ich das Gefühl, tun zu können, was ich möchte.“

„Ist das sonst nicht so?“

Bestürzt stellte sie fest, dass sie zu viel verraten hatte. „In welchem Bereich arbeitest du denn?“, fragte sie nach einer Schrecksekunde.

„Finanzen.“

„Das ist ein weites Feld. Was machst du genau?“

„Ich investiere.“

Sie lachte. „Sehr geheimnisvoll.“

„Nein. Nur nicht besonders interessant.“

„Verstehe.“ Sie nickte, griff nach ihrem Glas und trank einen Schluck. „Dann erzähl mir doch etwas Interessanteres über dich.“

„Was wüsstest du denn gern?“

Sie legte den Kopf schief und überlegte. „Aus welcher Region Italiens kommst du?“

„Aus dem Norden.“

Das war sehr vage. Ihr war die Technik bestens vertraut – auch sie war versiert darin, ausweichend zu antworten.

„Vermisst du es?“

„Nein“, antwortete er und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Ich bin häufig da.“

„Was hat dich nach Amerika verschlagen?“

„Meine Mutter ist mit mir hergezogen, als ich noch ein Kind war.“

Sie fragte sich, ob sie sich nur einbildete, dass er auf einmal etwas angespannt wirkte. „Der Arbeit wegen?“

„Nein.“

„Was ist mit deinem Vater?“

„Ich bin ohne Vater aufgewachsen.“ Er hielt inne. „Aber meine Mutter war für mich da wie zwei Elternteile.“

„Steht ihr euch sehr nah?“

„Sie lebt nicht mehr.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Es ist schon ein paar Jahre her“, antwortete er und griff nach seinem Scotch. „Jetzt bin ich dran. Was führt dich nach New York?“

Obacht, Charlotte. „Die Arbeit“, antwortete sie schulterzuckend. „Auch langweilig.“

„Wie lange bist du hier?“

„Ich fliege morgen zurück.“

„Dann bleibt nur wenig Zeit.“

„Wofür?“, fragte sie und hielt den Atem an.

„Zum Erkunden“, antwortete er mit einem unübertrefflich verführerischen Lächeln.

Charlotte sah verlegen beiseite. „Nein. Dafür habe ich nie Zeit.“

„Bist du oft beruflich auf Reisen?“

„Ja, ich bin fast jede Woche unterwegs.“

„Gefällt dir das?“

„Hängt davon ab, wo es hingeht und was ich dort mache.“

„Und was ist dein Lieblingsort?“

„Tatsächlich liebe ich Italien“, antwortete sie. „Ich liebe es in jeder Hinsicht. Ich liebe das Essen dort, die Kultur, die Landschaft. Aber vor allem liebe ich …“ Sie hielt inne. Es ihr war ihr ein wenig peinlich.

„Die Männer?“, ergänzte er schmunzelnd.

Charlotte lachte. So einen Witz hätte sie von einem so ernst wirkenden Mann nicht erwartet. „Du hast mich durchschaut“, antwortete sie lächelnd und nippte an ihrem Glas. „Nein, ich liebe ihren Familiensinn. Die Vorstellung, dass alle Generationen der Familie regelmäßig zusammenkommen, um gemeinsam zu kochen, zu essen, zu lachen und Wein zu trinken. Ich weiß, dass das sicher ein Klischee ist, aber wenn ich da bin, meine ich oft, das zu sehen.“ Sie seufzte. „Tja, die Kirschen in Nachbars Garten sind halt immer süßer.“

„Ist das denn in deiner Familie nicht so?“, fragte er.

Normalerweise gab Charlotte nichts über ihr Privatleben preis, aber sie merkte, dass sie gerade anfing, lockerer zu werden. Immerhin wusste der Mann nicht, wer sie war, und nach dieser kleinen Eskapade würde sie in ihr Hotel zurückkehren und wieder in ihre Rolle als Prinzessin Charlotte schlüpfen.

„Nein, wir sind nicht so eng miteinander“, antwortete sie. Ihm ein bisschen über sich zu verraten war okay, aber er durfte auf keinen Fall erfahren, wer sie war. „Meine Eltern waren älter, als sie mich bekommen haben. Mein Bruder war schon Teenager.“

„Dann warst du also ein Unfall?“, hakte er nach.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. Ihre Zeugung war minutiös geplant gewesen. „Ich war gewollt, aber das ändert nichts.“

„Nein? Ich hätte gedacht, dass man sich dann wertgeschätzter fühlen würde.“

„So einfach ist das nicht“, antwortete sie. „Viele Kinder sind nicht geplant und werden trotzdem sehr geliebt. Und auf der anderen Seite gibt es Kinder wie mich, die irgendeine Lücke ausfüllen sollen oder als Absicherung dienen. In solchen Fällen geht es weniger um das Kind selbst als um seine Rolle in der Familie.“

„Und was ist deine Rolle?“

„Absicherung“, antwortete sie verdrossen.

„Wogegen?“

„Mein Bruder wurde mit elf sehr krank. Sie dachten, er würde sterben.“ Sie ging nicht weiter ins Detail. Ihr Bruder war der einzige Thronfolger gewesen. Sein Tod hätte das Land in eine Krise gestürzt.

„Ich würde denken, dass deine Eltern dir nach so einer Erfahrung umso näherstehen müssten.“

In einer normalen Familie vielleicht, aber ihre Eltern hatten den Erfordernissen ihrer Stellung gerecht zu werden. „Es geht mir ja nicht nur um die Eltern“, wich sie aus. „Ich wollte die komplette Packung: Großeltern, Cousinen, Cousins, Gelächter, Lärm … und ganz viele Geschwister.“

„Aber du warst einsam.“

„Ja“, antwortete sie, verblüfft über sein gutes Gespür.

„Das kann ich nachvollziehen.“

„Hast du dir auch eine größere Familie gewünscht?“

„Es gab wohl ein paar Sachen, die ich gern geändert oder verbessert hätte …“

„Was zum Beispiel?“, unterbrach sie ihn.

Er trank sein Glas leer und stellte es auf den Tresen. „Meine Mutter hat sehr hart gearbeitet. Sie wollte nur das Beste für mich und hat alles für mich getan. Ich habe mir oft gewünscht, ihr das Leben leichter zu machen, aber sie ist gestorben, bevor ich ihr helfen konnte.“

Charlotte schüttelte bekümmert den Kopf. „Ich bin sicher, dass es ihr sehr viel bedeutet hat, zu wissen, dass du so denkst.“

Als sie einander in die Augen sahen und es heftig zwischen ihnen knisterte, merkte Charlotte, dass ihr das hier alles zu heikel wurde. „Ich sollte jetzt gehen“, sagte sie und stand auf. Das hier lief gerade komplett aus dem Ruder.

Er musterte sie und nickte. „Ich bringe dich raus.“

„Das brauchst du nicht …“

„Ich wollte sowieso los“, unterbrach er sie und legte ihr eine Hand ins Kreuz.

Charlotte fuhr zusammen. Die harmlose Berührung erfüllte sie mit heißem Begehren. Sie zwang sich, ihm in die Augen zu schauen, sah aber sofort wieder weg und errötete.

In seiner Hand, die in ihrem Kreuz lag, pochte das Blut heiß vor Verlangen, und er hätte diese Hand zu gern weiter nach unten bewegt, um ihren Po zu berühren, oder weiter nach oben, um sie zwischen den Schulterblättern zu streicheln. Er wollte sie riechen, sie schmecken, hören, wie sie zärtlich seinen Namen hauchte … Verflixt, sie hatten einander nicht einmal die Namen verraten! Auf alle Fälle hatte ihr kurzes Beisammensein etwas in ihm entfacht, und das, obwohl er normalerweise darauf achtete, für nichts zu entbrennen – ganz einfach, weil er die Dinge gern im Griff behielt.

Draußen wurden sie von einer eisigen Bö empfangen, und die Fremde fröstelte in ihrem Wollmantel.

„Ich besorge dir ein Taxi“, bot er an, obwohl er nicht wollte, dass sie wegfuhr.

Sie nickte. Rocco musste zugeben, dass ihn das enttäuschte. Er schaute in Richtung Straße, doch bevor er sich der Bordsteinkante nähern konnte, sagte die Fremde: „Fühlt sich an, als könnte es Schnee geben.“

„Es ist Schnee vorhergesagt“, antwortete er.

Sie wandte sich um und sah ihn zögernd an.

Es fühlte sich an wie ein Triumph. „Ich wohne direkt um die Ecke“, sagte er beiläufig. „Möchtest du vielleicht mitkommen, um die Aussicht zu sehen?“, schlug er vor und fragte sich, wieso er auf einmal so nervös war.

„Ich …“ Charlotte wusste nicht, was sie sagen sollte. Außerdem war ihr Mund auf einmal ganz trocken. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem, was sie tun wollte, und dem, was sie tun sollte. Doch die Vorstellung, in ihr Hotel und zu ihren Sicherheitsleuten zurückzukehren, erinnerte sie daran, dass sie bald heiraten würde, und auf einmal war ihr der Gedanke, sich für immer zu binden, ohne vorher jemals richtig das Leben genossen zu haben, unerträglich. „Um die Aussicht zu sehen …“, echote sie und schaute unentschlossen die Straße hinunter.

„Eine bessere Aussicht hat man nirgendwo in der Stadt.“

Warum sollte sie nicht einmal etwas wirklich Lustiges, Aufregendes und Spontanes machen und mitgehen? Es wurde höchste Zeit – immerhin war sie schon vierundzwanzig!

„Ja“, antwortete sie, ohne weiter darüber nachzudenken. Alles in ihr war in Aufruhr, aber das hielt sie nicht ab. Also sah sie ihn fest an und sagte entschlossen: „Lass uns losgehen.“

2. KAPITEL

Charlotte wusste nicht, was sie erwartet hatte. Doch als sich die Lifttür zu seinem Penthouse auf der Fifth Avenue öffnete, wurde ihr klar, dass dieser Mann steinreich sein musste. Wohnungen wie diese waren unfassbar teuer. Er wirkte allerdings nicht wie die Sorte Mann, die über einen solchen Wohlstand verfügten.

„Darf ich dir den Mantel abnehmen?“, hörte sie ihn hinter sich fragen. Sie knöpfte den Mantel mit leicht zitternden Fingern auf und reichte ihn dem Unbekannten. Der musterte sie mit taxierendem Blick von Kopf bis Fuß, wobei sein Blick ein wenig zu lange auf ihren Brüsten verweilte. Dann entfernte er sich ein paar Schritte von ihr, um ihren Mantel über eine Stuhllehne zu legen, und wandte sich ihr wieder zu.

Die Luft zwischen ihnen knisterte, wie sie es aus Büchern kannte, aber es war mehr als das. Es war Charlotte ein Rätsel, wie man sich so sehr zu jemandem hingezogen fühlen konnte. Er faszinierte sie. Sein Verstand, seine Stimme, sein Einfühlungsvermögen. Sie liebte es, mit ihm zu reden. Sich so ohne Umschweife zu unterhalten war etwas ganz Neues für sie, und sie hatte Lust auf mehr.

„Möchtest du etwas trinken?“

Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie noch mehr trank, würde sie vielleicht etwas tun, was sie später bereute. Es war besser, einen klaren Kopf zu behalten. „Erzähl mir etwas über die Stadt“, bat sie.

Als er wieder zu ihr kam, fühlte sie sich wie ein Beutetier, dem sich ein Löwe näherte, doch sie rührte sich nicht von der Stelle. Ganz dicht vor ihr blieb er stehen und sah sie eindringlich an. „Weißt du eigentlich, dass du die Angewohnheit hast, Befehle zu geben, anstatt Fragen zu stellen?“

Zum wiederholten Mal staunte sie über seine Auffassungsgabe und war zugleich entsetzt darüber, dass sie schon wieder zu viel über sich verraten hatte. „Hast du ein Problem damit?“, konterte sie.

„Ehrlich gesagt finde ich es unglaublich anziehend“, antwortete er mit einem verwegenen Lächeln. „Was möchtest du denn gern wissen?“

Sie war kaum in der Lage, klar zu denken. „Die Gebäude …“ Charlotte fuhr mit der Hand durch die Luft. Als sie sie wieder sinken ließ, streifte sie seine Hüfte, und weil sich das so gut anfühlte, ließ sie die Hand einen Moment lang dort, bevor sie sie zurückzog.

Stirnrunzelnd blickte sie zu ihm auf. Das hier lief aus dem Ruder. Sie sollte jetzt gehen. Doch obwohl sie wusste, dass es das Richtige wäre, wusste sie auch, dass sie es nicht tun würde. Gerade fühlte sie sich zum ersten Mal wirklich lebendig.

Er legte ihr eine Hand ins Kreuz, wie er es in der Bar getan hatte, und bedeutete ihr mit sachtem Druck, sich ein Stück zu drehen. Ihre Reaktion war die gleiche wie beim ersten Mal – in ihr ging ein wahres Feuerwerk der Empfindungen hoch. „Das da ist das Empire State Building“, sagte er.

Charlotte erkannte die Silhouette des berühmten Gebäudes, doch die Aussicht interessierte sie auf einmal nicht mehr, genau wie die Stadt an sich. Das Einzige, was gerade für sie zählte, war der Mann neben ihr. Seine Hand auf ihrem Rücken, sein Daumen, den er langsam auf und ab bewegte, und diese heftigen Gefühle, die ihr völlig neu waren und die in ihr den Wunsch auslösten, mehr über sich und ihre weiblichen Empfindungen zu lernen und diese Triebe zu verstehen, die ihr innewohnten und ihr ganzes Leben lang unerkannt vor sich hin geschlummert hatten.

„Als wir neu in New York waren, war ich sehr fasziniert davon“, gestand er.

„Dann warst du sicher oft oben?“, fragte sie.

„Wir konnten uns den Eintritt damals nicht leisten“, antwortete er. „Tatsächlich war ich bis heute nie oben.“

„Du machst Witze.“

„Findest du daran irgendetwas witzig?“

„Nein, eher überraschend.“ Charlotte wandte sich ihm zu. Im Profil sah er so herb und männlich aus, dass sich alles in ihr zusammenzog. Auf einmal fiel ihr wieder ein, dass sie nicht einmal seinen Namen kannte. Das machte das Ganze noch verbotener – und vor allem aufregender. „Wie heißt du eigentlich?“

Er sah sie an, als wunderte er sich über ihre Frage. „Rocco Sa…“

„Lass uns die Nachnamen für uns behalten“, unterbrach sie ihn und legte ihm einen Finger an die Lippen. Offenbar hatte er sie nicht erkannt, aber er würde ihren Familiennamen sicher zuordnen können, weshalb sie diesen unbedingt für sich behalten wollte.

Hemmenway genoss dank seiner Erdöl- und Diamantenvorkommen und seiner Lage trotz seiner geringen Fläche seit Jahrhunderten bedeutenden Einfluss. Charlotte entstammte einem der ältesten regierenden Königshäusern Europas, und ihre Familie war ziemlich bekannt. Darum war es besser, den Namen Rothsburg nicht zu erwähnen.

„Charlotte“, sagte sie also und stellte erleichtert fest, dass es bei ihm offenbar nicht klingelte.

„Passt zu dir“, sagte er, wobei sein warmer Atem ihren Finger streifte und die in ihr schwelende Glut noch anfachte.

Rasch zog sie ihre Hand weg, doch das änderte nichts an den erregten Schauern, die sie überliefen. Gleichzeitig bekam sie ein wenig schlechtes Gewissen, weil ihre Sicherheitsleute bestimmt gerade Ärger ihretwegen bekamen. Aber es war nun einmal ihr Leben, und sie hatte ein Recht darauf, es zu leben, auch wenn es nur für eine ganz kurze Zeit war. Sie hatte nicht darum gebeten, Prinzessin von Hemmenway zu werden. Und auch nicht darum, einen Bruder zu haben, der keine Kinder zeugen konnte. Und Eltern, die sie mit ihren Ansprüchen einengten. Trotzdem hatte sie in dem Glauben, dass ihre Eltern ihr irgendwann Liebe entgegenbringen würden, wenn sie nur immer brav wäre, stets getan, was man von ihr erwartet hatte. Inzwischen hatte sie die Hoffnung aufgegeben, aber so leicht legte man seine Gewohnheiten eben nicht ab.

Sie merkte, wie sie sich ihm unwillkürlich entgegenneigte. Weil sie keine Erfahrungen mit Männern hatte, wusste sie nicht, wie man amourösen Versuchungen widerstand und wie man seine Gefühle verbarg. Für jemanden wie Rocco, der sicher so erfahren war wie sie unerfahren, musste sie ein offenes Buch sein.

„Lebst du gern in New York?“, fragte sie und hörte ihre eigene Stimme kaum, so laut rauschte ihr Blut.

„Ab und zu.“

„Das ist aber eine sehr kryptische Antwort.“

„Tja, was soll ich sagen, ich bin eben ein geheimnisvoller Typ.“

Er näherte sich ihr ein paar Millimeter – oder war sie es? –, sodass ihre Körper sich berührten, und es war, als gingen unzählige Feuerwerke in ihr los. Ihre Haut prickelte, sie spürte ein heftiges Verlangen, und ihre Brustwarzen kribbelten unter ihrem BH. Heftig atmend sah sie ihn an.

Er streckte eine Hand aus und streichelte ihr mit dem Daumen über die Wange. „Du hast so schöne Augen.“

Charlotte sah ihn blinzelnd an; sie hatte ganz weiche Knie. „Dasselbe habe ich gerade über deine Augen gedacht“, sagte sie. „Ich hatte mich gefragt, ob sie eher braun oder silbern oder golden sind.“

„Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“ Er reckte ihr den Kopf ein wenig entgegen.

„Zu keinem“, antwortete sie. „Was würdest du denn sagen?“

„Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“

„Verstehe.“ Sie nickte, und aus irgendeinem Grund kam ihr Gesicht dadurch seinem noch näher. Ihr Herz klopfte wie verrückt. „Also außen sind sie dunkelbraun wie Baumstämme, aber zur Mitte hin sieht es aus wie Sonnenstrahlen.“

„Wie Sonnenstrahlen?“ Er klang skeptisch.

Sie nickte lächelnd. „Ja, und dann sind da noch diese kleinen Sprenkel, die aussehen wie Sternenlicht in einem Wald. Man muss sehr genau hingucken, um sie zu sehen. Sie sind ziemlich hypnotisierend.“

„Du hast eine blühende Fantasie.“

„Ich beschreibe bloß, was ich sehe.“

„Und was fühlst du?“

Sie hielt erschrocken den Atem an. „Ich bin verwirrt“, antwortete sie nach einer kurzen Pause.

Er verzog den Mund zu einem verführerischen Grinsen, das einen Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch auffliegen ließ. Dann umfasste er ihre Taille und fragte: „Und gibt es irgendetwas, das ich gegen diese Verwirrung unternehmen könnte?“

Charlotte schluckte. Sie war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich … also … ich habe keine Erfahrung mit One-Night-Stands.“

„Und?“

„Ich muss schon zugeben, dass ich ganz schön fasziniert bin von dir.“ Sie biss sich nervös auf die Unterlippe. „Das ist Wahnsinn. Ich sollte jetzt wirklich gehen.“

„Aber willst du denn gehen?“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Darum bin ich verwirrt.“

„Ich wüsste etwas, das dir die Entscheidung erleichtern könnte“, sagte er, und ehe sie begriff, was er vorhatte, berührten seine Lippen ihre, ganz leicht nur, doch sie spürte es im ganzen Körper. Erschrocken griff sie nach seinem Hemd und gab einen Seufzer von sich, als er sich von ihr löste.

„Hilft das weiter?“, fragte er und musterte sie.

Sie leckte sich die Unterlippe, in der sein Kuss noch nachsummte, und legte den Kopf schief. „Das war zu kurz, um es zu beurteilen.“

„Das können wir ja ändern.“

Sie schmeckte nach Erdbeeren und Sommer. Als er sie zum zweiten Mal küsste, brachte das sein Blut so sehr in Wallung, dass er nicht so sanft und behutsam sein konnte, wie er es eigentlich gewollt hatte. Er küsste sie mit verzehrender Leidenschaft, während er sie eng umschlungen hielt, drehte sie schließlich so, dass sie mit dem Rücken zur Wand stand, und drängte sich ihr entgegen. So spürte er ihre wundervollen weiblichen Rundungen, und sein Körper reagierte sofort darauf. Charlotte seufzte auf, als sie seine Erregung spürte, und schmiegte sich ihm einladend an ihn.

Er zog den Saum ihrer Bluse aus ihrer Hose und schob die Hand darunter. Ihre Haut war unendlich weich. Als er spürte, wie Charlotte unter seiner Berührung erschauerte, zog er seine Hand zurück. „Zu kalt?“

„Nein.“

Lächelnd küsste er sie wieder. Dabei knöpfte er rasch ihre Bluse auf und zog sie ihr aus.

Wie schön Charlotte war mit ihrer makellosen, leicht gebräunten Haut, die sich von ihrem cremefarbenen BH absetzte, ihrer schmalen Taille, ihrem flachen Bauch und den großen Brüsten! Er konnte der Verlockung nicht widerstehen, diese sanft mit den Händen zu umfassen.

„Ich habe das noch nie gemacht“, sagte sie und stachelte damit seine Erregung nur noch mehr an. Der Umstand, dass sie sich normalerweise nicht auf One-Night-Stands einließ, aber bereit war, bei ihm eine Ausnahme zu machen, wirkte wie ein Aphrodisiakum auf ihn. Sie war anders – das erklärte, warum sie ihn so unwiderstehlich faszinierte.

„Keine Sorge, das stört mich nicht im Geringsten“, versicherte er lächelnd und griff um sie herum, um ihren BH aufzuhaken. Als er ihr den BH auszog und so ihren nackten Oberkörper seinem Blick preisgab, hörte er sie scharf einatmen.

Er beugte sich vor, um die Knospe einer ihrer Brüste mit den Lippen zu umschließen und mit der Zunge zu liebkosen, und genoss Charlottes Reaktion – sie erbebte und erschauerte so sinnlich und unverstellt, dass er von einem ungezügelten Verlangen gepackt wurde, fast, als wäre er kein Mann, der schon einige Frauen gehabt hatte, sondern ein unerfahrener Teenager.

Er konnte nicht einmal sagen, was so anders war an dieser Frau, aber es fühlte sich einfach so an. Vielleicht lag es daran, dass es komplett unerwartet war, daran, wie schnell es zwischen ihnen gefunkt hatte. Er spürte, wie seine Ungeduld sich steigerte, es reichte ihm nicht mehr, Charlotte einfach nur zu küssen und zu streicheln, er wollte sie ganz spüren. Also hob er sie hoch, trug sie in sein Schlafzimmer und ließ sie behutsam auf die Bettkante hinunter.

Stöhnend begann sie, seinen Körper mit den Händen zu erkunden und ihn auszuziehen. Nachdem sie ihn von seinem Hemd befreit hatte, küsste sie sein Schlüsselbein entlang, bevor sie sich weiter nach unten bewegte, um seine Brustwarzen mit der Zunge zu umkreisen, was sich so gut anfühlte, dass er scharf einatmete, Charlotte fest umschlang und unwillkürlich die Finger in ihrer weichen Haut vergrub. Sie sah lächelnd zu ihm auf. Sie wusste genau, was sie in ihm auslöste.

Verflixt! Es war lange her, dass er sich so wenig im Griff gehabt hatte wie jetzt. Und für ihn hatte es absolute Priorität, sich im Griff zu haben. Anders hätte er es wohl kaum geschafft, sich aus der Armut emporzuarbeiten, um zu einem der wichtigsten Player der New Yorker Finanzwelt zu werden – und zu einem der reichsten Menschen der Welt. Er ließ sich nicht von seinen Impulsen oder Leidenschaften steuern. In dieser Hinsicht war er das komplette Gegenteil seines Vaters. Er traf seine Entscheidungen mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen oder anderen Körperteilen.

Doch gerade entglitt ihm die Kontrolle, und das fühlte sich so gut an, dass er gewillt war, es ausnahmsweise zuzulassen.

Charlotte nestelte mit zitternden Fingern an seinem Reißverschluss. Ihr war sonderbar schwindelig, sie fühlte sich wie in einer Loopingbahn. Es war, als wäre ihr Kopf nicht mehr Herr über ihren Körper und als würde sie eins mit dem Universum. Mit Rocco zusammen zu sein war berauschend, ihn zu küssen eine Droge, nach der sie jetzt schon süchtig war. Nichts außer ihnen beiden war wichtig. Die Krone nicht, die bevorstehende Verlobung nicht und auch sonstige Verbindlichkeiten nicht.

Sein durchtrainierter Körper fühlte sich wunderbar warm und geschmeidig an, und während sie weiter seinen Oberkörper mit Küssen bearbeitete, seufzte sie erleichtert auf, als es ihr endlich gelang, ihm die Hose abzustreifen und er nichts mehr trug als schwarze Boxershorts, unter denen sich deutlich abzeichnete, wie groß sein Verlangen nach ihr war. Charlotte schluckte, als ihr klar wurde, was zu tun sie im Begriff war.

Er griff ihr unter die Arme und zog sie hoch, küsste sie und ließ sich mit ihr ins Bett sinken. Sie spürte sein Verlangen deutlich. Hart und heiß presste er sich an sie, während er sie weiter küsste.

Ihr Herz stockte kurz, als er ihr aus den Kleidern half, wobei er sich als wesentlich geschickter erwies als sie. Mit beiden Händen streichelte er ihre Schenkel. Sie erbebte unter den ungewohnten Liebkosungen. Doch das alles fühlte sich so richtig, so gut an. In seinen Armen zu liegen, von ihm berührt zu werden, zum ersten Mal im Leben wie eine Frau zu empfinden … es war, als wäre etwas in ihr wachgerufen worden, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass es existierte.

Er bewegte seine Hände an die Innenseite ihrer Schenkel und dann auf ihre Hüften, die er festhielt, als er den Oberkörper aufrichtete und sagte: „Du bist atemberaubend.“

Doch in diesem Moment reichten Worte ihr nicht aus. „Dann zeig’s mir“, befahl sie, ganz Prinzessin, als wäre er ihr Sexsklave.

„Sehr gern.“ Er stand auf, öffnete die Schublade seines Nachttischs und nahm ein kleines Folienpäckchen heraus. Charlotte stützte sich auf die Ellenbogen. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und zwar nicht nur vor Verlangen. Es war ein Anflug von Panik dazugekommen. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihre Entscheidung mit mehr Bedacht hätte treffen müssen, doch als er zu ihr kam, war sie wieder absolut sicher, dass sie das hier wollte und sich unendlich nach ihm sehnte.

Mit souveränem Griff schob er ihre Beine auseinander und positionierte sich dazwischen, wobei sein Körper eine ungeheure Stärke, Männlichkeit und Dominanz ausstrahlte. Von der Lässigkeit seiner Gesten bis zu dem Selbstbewusstsein, das in seiner Stimme mitschwang, war er der geborene Anführer.

„Ich begehre dich, seitdem du die Bar betreten hast“, flüsterte er ihr mit samtiger Stimme ins Ohr, was ihr einen erregten Schauer über den Rücken jagte. Und dann drang er ohne Vorwarnung ganz in sie ein, und ihre Lust wurde von einem kurzen Schmerz gestört, als er die unsichtbare Barriere zerriss. Charlotte schrie auf und kniff die Augen zu. Er hielt inne, und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass er sie erst verblüfft und dann ebenso ungläubig wie verärgert anstarrte.

„Charlotte?“

Doch der Schmerz und der Schreck wichen dem wiedererstarkenden Verlangen in ihr. Sie klammerte sich an seinen Schultern fest und sagte: „Hör nicht auf.“

Rocco fluchte leise. „Wie kann das sein?“ Er schüttelte den Kopf und starrte weiterhin ungläubig ihre Stirn an.

Ihre Lust drohte abzuebben, und Charlotte ertrug die schiere Vorstellung nicht. „Mach weiter“, flehte sie.

Als er ihr schließlich wieder in die Augen schaute, sah sie, wie er mit sich kämpfte, doch endlich begann er wieder, sich zu bewegen, langsamer und behutsamer als vorhin, während sie ihre Beine um ihn schlang.

„Ich will dich ganz“, sagte sie, „du brauchst nicht so vorsichtig zu sein.“

„Ich habe sehr lange nicht mehr mit einer Jungfrau geschlafen“, antwortete er ein wenig angespannt und küsste sie glutvoll, während ihm sein Ärger immer noch deutlich anzusehen war.

Sie erwiderte seinen Kuss und versuchte nicht weiter, ihre Gefühle zu sortieren. „Ich bin keine Jungfrau mehr.“

Darauf erwiderte er nichts, doch er bewegte sich kraftvoller und nahm sie in Besitz, wie sie es sich wünschte. Charlotte war ganz wild und besinnungslos vor Lust, krallte sich an seinem Rücken fest. Wie von selbst wölbte sie sich ihm entgegen, und dann war er so tief in ihr, so sehr Teil von ihr, dass sie nicht mehr wusste, wo er anfing und sie aufhörte. Die Wellen der Lust bauten sich immer schneller auf und katapultierten sie in die Höhe, bis sich alles um sie herum drehte und ihr Körper zu beben begann. Sie atmete heftig, und während die Welle brach und Charlotte in die Tiefe taumeln ließ, machte er erbarmungslos weiter und verschaffte ihr so noch größere Lust als zuvor, und es dauerte nicht lange, bis sie den Gipfel der Lust ein zweites Mal erreichte.

Dieses Mal kam Rocco gemeinsam mit ihr. Stöhnend erbebte er und hielt in der Bewegung inne, während sein Höhepunkt sie beide durchzuckte und Charlotte unter ihm vor Lust verging. Sie atmete geräuschvoll aus, schloss die Augen und gab sich ganz den überwältigenden Gefühlen hin.

Und während die Lust langsam abebbte, dachte Charlotte, dass sich Rebellion noch nie zuvor so unglaublich gut angefühlt hatte.

3. KAPITEL

„Wie kann das sein?“

„Das hast du schon mal gefragt“, murmelte Charlotte lächelnd. Sie lag da, spürte das Gewicht seines Körpers, seinen Atem, sog seinen Duft ein und seufzte leise auf.

„Du hättest es mir sagen sollen.“

„Aber ich habe es dir doch gesagt“, antwortete sie und sah ihn ernst an.

„Ich dachte, du meinst, dass du noch nie einen One-Night-Stand hattest.“

„Das ist ja auch so.“ Sie merkte, wie sich ihre Glückgefühle angesichts seiner Reaktion zu verziehen drohten. War er sauer? Enttäuscht? Sie wand sich unter ihm, worauf er beiseite rückte, sodass sie aufstehen konnte. „Tut mir leid, wenn du nicht erwartet hast, dass …“

„Wie hätte ich das erwarten können?“, unterbrach er sie und sah sie durchdringend an. „Du bist kein Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau!“ Er wurde blass. „Oder?“

„Ich bin vierundzwanzig.“

„Gott sei Dank.“ Er senkte kurz den Kopf; als er wieder zu ihr aufsah, schien er völlig gefasst. „Wieso um alles in der Welt warst du dann noch Jungfrau?“

Charlotte hatte keine Ahnung, was sie antworten sollte.

„Bist du eine Nonne? Eine Amish? In irgendeiner komischen Sekte?“

„Nein, nein, und nicht wirklich“, antwortete sie mit einem halben Lächeln. Ihr war ganz flau im Magen vor Schreck.

„Das ist nicht lustig“, brummte er und stand auf. „Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.“

„Ich habe dich nicht angelogen“, erwiderte sie. Er sah atemberaubend aus, wie er da nackt vor ihr stand, wohlgeformt wie eine antike Statue. „Ich habe dir gesagt, dass ich das noch nie gemacht habe. Dass du das falsch verstanden hast, habe ich erst gemerkt, als es schon zu spät war.“

„Aha. Und wie kommt es, dass du noch Jungfrau warst?“

Sie wandte den Blick ab. Wie sollte sie einem Mann wie ihm erklären, was für ein Leben sie gelebt hatte? Wie sollte sie es ihm erklären, ohne ihre Identität preiszugeben? „Das geht dich eigentlich nichts an.“

„Doch, seit eben geht es mich etwas an“, entgegnete er in schneidendem Ton.

Sie wandte sich ihm wieder zu und musterte ihn. Offenbar war er es gewohnt, dass man ihm gehorchte. „Nein“, antwortete sie mit fester Stimme.

Er zog die Brauen zusammen.

„Dass wir Sex hatten, heißt nicht, dass du ein Recht darauf hast, alles über mich zu wissen.“

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, bevor er sich wieder fing und eine arrogante Miene aufsetzte. „Schön, dann frage ich anders: Warum ich? Das zu wissen ist wohl mein gutes Recht.“

„Keine Ahnung.“ Sie stockte. „Es hat sich irgendwie richtig angefühlt.“

„Und vorher hat es sich noch nie bei irgendjemandem richtig angefühlt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Es hat sich nie ergeben.“

„Das kann doch nicht sein!“, brummte er. „Wer bist du?“

Auf keinen Fall würde sie ihm sagen, wer sie war. Das hier war ihr Abend. Nicht der von Prinzessin Charlotte. „Eine Frau, die in eine Bar gegangen ist und da einen Mann getroffen hat, dem sie nicht widerstehen konnte“, antwortete sie in beiläufigem Ton, doch ihre Stimme zitterte.

Rocco fluchte, wandte sich ab und atmete tief durch. „Ich hätte dich nicht mit hierher genommen, wenn ich das gewusst hätte. Ich dachte …“

„Dass ich wie du wäre“, flüsterte sie. Die Vorstellung gefiel ihr, obwohl er jetzt so sauer war. Es gefiel ihr, dass sie wie eine selbstbewusste, unabhängige Frau gewirkt hatte, die selbst über ihr Leben und ihr Schicksal bestimmte.

„Dass du Erfahrung hättest“, brummte er und wandte sich ihr wieder zu. „Du hättest nicht herkommen dürfen.“

„Willst du mir damit sagen, dass du bereust, was gerade passiert ist?“

„Ja.“

Die Überzeugung, mit der er ihr antwortete, war das Verletzendste, auch wenn seine Haltung an sich schon niederschmetternd war. „Wow.“ Nun war es Charlotte, die sich abwandte. Sie bückte sich nach ihren Sachen; sie musste so schnell wie möglich hier raus. Auf keinen Fall wollte sie vor ihm weinen.

Er atmete geräuschvoll aus. „Ich will nicht der erste Mann sein, mit dem du geschlafen hast.“

„Warum nicht? Irgendwer musste es ja sein.“

Rocco sah sie eindringlich an. „Ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich dir mehr bieten könnte.“

„Was sollte das sein? Liebe? Ehe?“ Sie verdrehte die Augen. „Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wenn sich da eine Frau entschließt, mit jemandem zu schlafen, heißt das nicht, dass sie die Ehe erwartet.“

„Aber das erste Mal sollte mit jemandem passieren, den man länger als eine Stunde kennt.“

„Sagt wer?“

Er kniff die Augen zusammen.

„Im Ernst. Gibt es da irgendeine Regel, von der ich nichts weiß?“

Rocco rieb sich den Nacken. „Ich habe keine Lust, mit dir zu debattieren.“

Es war offensichtlich, dass er mit alldem hier – mit ihr – nichts zu tun haben wollte. Abgesehen davon sie hatte ihren Stolz und selbst keine Lust darauf, mit ihm herumzanken. Das Ganze führte ohnehin zu nichts. Ihr Leben fand anderswo statt. Fröstelnd und ohne ihn anzusehen, zog sie ihren Slip und ihre Hose an, atmete tief durch und ging zurück in das Zimmer, in dem er ihr im Eifer des Gefechts ihren BH und ihr Hemd ausgezogen hatte, und zog beides wieder an. Als sie ihre Bluse zur Hälfte zugeknöpft hatte, spürte sie seinen Blick im Nacken und wandte sich um. Er stand schweigend da, groß und selbstbewusst und bis auf seine Hose nackt.

„Tut mir leid, wenn du dich von mir überrumpelt gefühlt hast. Das war keine Absicht“, sagte sie in leicht überheblichem Ton. „Und es tut mir leid, dass du diesen Abend bereust – ich bereue ihn nicht.“

Mit ausdrucksloser Miene sah er zu, wie sie sich zum Gehen wandte, folgte ihr aber mit einem Moment Verzögerung, erreichte vor ihr den Aufzug und drückte den Knopf. „Du bist schön“, sagte er in fast vorwurfsvollem Ton. „Aber für Beziehungen oder komplizierte Angelegenheiten bin ich nicht zu haben.“

Sie verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Und ich bin eine komplizierte Angelegenheit“, sagte sie und dachte dabei wehmütig an das, was vor ihr lag. Ihre Zukunft war bereits von anderen verplant worden. Das heute Abend war eine Ausnahme gewesen, und nun war es an der Zeit, sich der Realität wieder zu stellen. „Aber keine Sorge, du wirst nie wieder von mir hören, Rocco.“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange, bevor er sie unvermittelt küsste. Es war ein langer, berauschender Kuss, von dem ihr ganz schwindelig wurde. Als sie nach vorn schwankte, schlang er die Arme um sie und hielt sie fest umschlungen, und sie gaben sich beide der Anziehung hin, die noch immer zwischen ihnen herrschte. Charlotte war machtlos gegen dieses Verlangen, aber Rocco nicht. Er hatte sich besser im Griff, und bevor sie den Fehler machen konnte, ihn zu bitten, noch einmal mit ihr zu schlafen, löste er sich von ihr und betrachtete sie noch eine kurze Weile, bevor er einen Schritt rückwärts machte.

„Also gut“, sagte Charlotte. Sie war komplett durcheinander. „Leb wohl.“

Er nickte ihr zum Abschied zu. Sie stieg mit heftig pochendem Herzen in den Aufzug und konnte noch immer noch nicht ganz glauben, was sie gerade getan hatte.

Er lehnte sich mit dem Rücken an die Aufzugtür und schloss die Augen.

Was zum Teufel war das denn gewesen?

Es fühlte sich an, als hätte eine Granate in sein Leben eingeschlagen.

Eine Jungfrau! Wie um alles in der Welt hatte ihm das passieren können? Er war immer so vorsichtig, achtete stets sehr genau darauf, dass er Frauen keine falschen Hoffnungen machte.

Normalerweise ging er mit neuen Bekanntschaften erst einmal aus, um etwas mehr über sie zu erfahren. Hätte er das mit Charlotte so gemacht, hätte er gewusst, woran er bei ihr war. Im Nachhinein war ihre Unerfahrenheit offensichtlich. Von ihrer Unsicherheit beim Flirten in der Bar bis hin zu verräterischen Kleinigkeiten hier bei ihm hatte einiges darauf hingedeutet, dass sie noch nie mit einem Mann zusammen gewesen war.

Und anstatt das erste Mal für jemanden aufzusparen, der ihr etwas bedeutete, hatte sie ihn benutzt, um ihre Jungfräulichkeit loszuwerden. Nun war er ihr erster Mann und würde es immer bleiben. Obwohl sie einander nichts bedeuteten.

Aber auch er war nicht ganz ehrlich zu ihr gewesen. Sosehr er sich über sich selbst ärgerte – er bereute nicht, was sie getan hatten. Wenn er bloß daran dachte, wie sie miteinander geschlafen hatten, wollte er es gleich wieder tun – was auch immer das an Erwartungen in ihr erwecken könnte.

Seufzend durchquerte er das Zimmer und öffnete die gläserne Terrassentür.

Draußen war es eiskalt, aber das war ihm egal. Er ging hinaus. Der schneidende Wind und die frostige Luft taten ihm gut. Er stützte sich auf das Geländer und schaute zur Straße hinunter. Gerade fuhr ein gelbes Taxi vor. Er war zu hoch oben, um sie zu erkennen, aber den Bewegungen nach zu urteilen war es Charlotte, die darauf zuging. Mit heftig klopfendem Herzen beobachtete er, wie sie die hintere Tür öffnete und einstieg, ohne sich noch einmal umzusehen oder nach oben zu schauen.

Das war es also gewesen.

Als sie einen Blick auf ihr Handy warf, packte sie die Reue. Nicht wegen der Sache mit Rocco, sondern weil sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Siebenundvierzig verpasste Anrufe und zwanzig Textnachrichten. Von ihrem Bruder, ihren Eltern, dem Protokollchef und von ihrem Sicherheitsteam.

Als Erstes antwortete sie ihren Eltern.

Es geht mir gut. Ich erkläre es euch später.

Ihrem Bruder schrieb sie eine ähnliche Nachricht. Noch hatte sie keine Ahnung, was genau sie erklären sollte, aber so gewann sie immerhin ein wenig Zeit. Am Anfang glaubte sie fast, sie alle hätten sich tatsächlich um sie gesorgt und nicht um den Fortbestand des Königshauses, doch diese törichte Wunschvorstellung schob sie ganz schnell beiseite. Sie schaute auf die Straße hinaus, und ein Kloß stieg ihr in die Kehle. Charlotte schluckte dagegen an, doch er blieb, wo er war, also gab sie es auf und ließ zu, dass ihr ein, zwei Tränen aus den Augen kullerten.

Sie wischte sie rasch wieder ab. Wie albern! Sie sollte glücklich sein. Sie hatte etwas Unglaubliches getan. Etwas, das nur ihr gehörte und von dem sie wohl bis an ihr Lebensende zehren würde, auch wenn sie nun wieder in ihre Rolle als Prinzessin Charlotte von Hemmenway schlüpfen musste. Sie hatte sich eine kleine Auszeit gegönnt und zum ersten Mal in ihrem Leben einfach gemacht, was sie wollte. Und das würde sie sich von nichts und niemandem kaputtmachen lassen.

Sie würde Rocco nie wiedersehen, ihm aber ewig dankbar sein für das, was sie miteinander erlebt hatten.

Drei Tage später musste Rocco beim Aufwachen feststellen, dass sich die schlechte Laune, die ihn plagte, seitdem Charlotte Soundso seine Wohnung verlassen hatte, immer noch nicht verzogen hatte.

Und dass er wieder von ihr geträumt hatte – davon, wie sie ihn angeschaut hatte, als er mit ihr geschlafen hatte, und wie ihr Körper auf seinen reagiert hatte. Wie sie ihn umschlossen hatte … Er stand auf, ging ins Bad, drehte das kalte Wasser in der Dusche an und stellte sich darunter.

Drei Nächte lang quälten ihn diese intensiven Träume schon und sorgten dafür, dass er Charlotte so sehr begehrte und sich so sehr danach sehnte, in ihr zu sein, dass er selbst im Schlaf vor Erregung pulsierte.

Aber das war noch nicht alles.

Er konnte ihre Unterhaltung in der Bar einfach nicht vergessen. Konnte nicht vergessen, wie ihre Fragen etwas in ihm ausgelöst hatten, das er lange nicht empfunden hatte. Er hatte sich ihr geöffnet, und das war seltsam gewesen, weil er eigentlich nicht der Typ Mann war, der sich so schnell jemandem anvertraute. Aber es hatte sich nicht falsch angefühlt, sondern eher gut. Sehr gut sogar. Vielleicht war die Unterhaltung mit ihr eine Art Vorspiel gewesen …

Er lehnte seine Stirn an die geflieste Wand und schaute zu Boden.

Das würde schon vorbeigehen. Es war noch nie vorgekommen, dass ihm eine Frau längere Zeit nicht aus dem Kopf gegangen war. Er würde nicht zulassen, dass es bei Charlotte anders wäre.

„Charlotte? Hörst du mir überhaupt zu?“

Charlotte sah auf, schaute ihre Mutter an und ärgerte sich darüber, dass ihre Gedanken schon wieder abgedriftet waren. Es war schon eine Woche her, dass sie aus New York zurückgekommen war, und sie schwebte immer noch auf Wolke sieben. „Pardon. Was hast du gesagt?“

„Kannst du dich nicht mal einen Moment lang konzentrieren? Das ist eine wichtige Angelegenheit!“

Charlotte hatte noch nie ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt, aber schon vor dem ersten Kaffee von ihr kritisiert zu werden, konnte sie absolut nicht leiden. Und es nervte sie, dass sie schon die ganze Woche lang so abgelenkt war. Rocco Sa… spukte ihr ständig im Kopf herum, und beim Gedanken an ihn zog sich alles in ihr vor Lust zusammen. Nachts, wenn sie alleine war, versuchte sie mit der Hand dasselbe himmlische Gefühl in sich auszulösen, das er ihr verschafft hatte. Aber das, was sie erreichte, war Welten von dem entfernt, was sie mit ihm empfunden hatte.

„Der Scheich kommt nächsten Monat her. Dein Bruder wird ein Staatsbankett ausrichten, in dessen Anschluss die Verlobung bekannt gegeben wird.“

Alles in Charlotte sträubte sich. Zu gern hätte sie ihrer Mutter gesagt, dass sie das doch nicht konnte. „Ich …“, fing sie an, doch als sie den missbilligenden Blick der Königin sah, verstummte sie.

„Was?“

„Es ist nur … ich kenne ihn ja kaum“, sagte Charlotte.

Die Königin erhob sich und sah ihre Tochter streng an. „Du bist vierundzwanzig, und wir brauchen mindestens zwei Kinder. Drei wären allerdings besser. Du kannst es nicht schon wieder aufschieben.“

„Ich will ja auch gar nichts aufschieben“, erwiderte Charlotte. Ja, was wollte sie eigentlich?

Sie erhob sich ebenfalls, ging zum Fenster und sah in den prächtigen Palastgarten hinaus. Als sie die Augen schloss, sah sie ihn vor sich. Seine wunderschönen Augen, seinen intensiven, leicht spöttischen, taxierenden Blick, seinen aufregenden Körper. Das Verlangen, das sie packte, war so stark, dass sie fast aufgestöhnt hätte.

„Wie war es, als du meinen Vater kennengelernt hast?“, fragte sie, ohne sich umzudrehen.

„Wie meinst du das?“

„War es Liebe auf den ersten Blick?“ Sie wandte sich um.

„Liebe auf den ersten Blick? Was für eine alberne Frage“, antwortete die Königin mit sparsamer Miene. „Natürlich nicht. Unsere Ehe war arrangiert, genau wie deine es sein wird.“

Alles in Charlotte sträubte sich, aber dieses Mal gab es kein Entkommen. Sie saß in der Falle. Man erwartete von ihr, dass sie den Scheich heiratete und die Thronfolge sicherte, und es gab kein Entrinnen. „Und, bist du glücklich?“

„Glück ist kein Maßstab für Leute unseres Standes. Als Mitglied der Königsfamilie trägt man eine große Verantwortung.“

Charlotte schloss die Augen.

„Deine Heirat wird mich glücklich machen“, fügte ihre Mutter hinzu. „Und wenn du mir sagst, dass du ein Kind vom Scheich erwartest, dann werde ich zum ersten Mal seit Jahren ruhig schlafen“, fügte sie hinzu, und Charlotte empfand fast ein wenig Mitleid mit der Königin.

Ja, sie war schön. Und intelligent. Und erfolgreich. Trotzdem hatte Rocco sich noch nie in seinem Leben so sehr gelangweilt. Er starrte die Frau an, die ihm gegenübersaß und verführerisch an ihrem Wein nippte, und trommelte mit den Fingern auf seinen Schenkel.

Er sah sich in der Bar um. Als sein Blick auf die Barhocker fiel, auf denen er und Charlotte gesessen hatten, packte ihn wieder das Verlangen, das ihn nunmehr seit Wochen immer wieder heimsuchte. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er schon kalt hatte duschen müssen, wie oft er aufgewacht war und sich selbst die Erlösung verschafft hatte, die er viel lieber in ihrem Körper gefunden hätte. Er war wie besessen von ihr. Hätte er ihr nicht die Unschuld genommen, wäre die Lösung einfach gewesen: Er hätte sie um ein weiteres Treffen gebeten. Das hätte ihm sicher geholfen, sie ein für alle Mal zu vergessen. Aber dass sie noch Jungfrau gewesen war, machte alles komplizierter.

Und natürlich die Tatsache, dass er weder ihre Telefonnummer noch ihren Nachnamen kannte. Sie war keine Amerikanerin – ansonsten wusste er nichts über sie.

Es wäre quasi unmöglich, sie wiederzufinden. Und sosehr er sich ein Wiedersehen mit ihr gewünscht hätte, scheute er aus irgendeinem Grund instinktiv davor zurück.

Was ihm daran Angst machte, verstand er nicht ganz, denn bislang hatte er seine Beziehungen immer ganz gut im Griff gehabt. Doch insgeheim ahnte er, dass es mit Charlotte möglicherweise nicht ganz so einfach wäre. So etwas wie den Abend mit ihr hatte er nie vorher erlebt. Wahrscheinlich sollte er es sich einfach aus dem Kopf schlagen.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Brünetten zu, die ihm gegenübersaß, und bemerkte, dass ihm die Vorstellung, mit ihr zu schlafen, zuwider war.

Aber vielleicht besser als eine weitere Nacht allein?

Eher nicht.

Er gab dem Kellner ein Zeichen.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte die Frau.

„Ich muss los“, antwortete er und warf etwas Bargeld für den Kellner auf den Tisch. „Hab noch einen schönen Abend.“

„Rocco? Soll ich dich morgen anrufen? Rocco?“

Ohne zu antworten, verließ er die Bar. Er konnte es nicht abwarten, mit seinen Erinnerungen an jenen gottverdammten Abend allein zu sein.

Einen Monat nach ihrer Rückkehr aus New York war Charlottes Leben die absolute Hölle. Während die Vorbereitungen für ihre Hochzeit in vollem Gange waren, konnte sie an nichts als an Rocco denken. Das war ebenso erschreckend wie aufregend – und komplett sinnlos. Denn sie konnte ihn nicht wiedersehen. Selbst wenn sie irgendeine Möglichkeit gehabt hätte, nach New York zu kommen … als sie gegangen war, hatte er ihr ganz deutlich gesagt, woran sie bei ihm war. Jemand Unerfahrenes wie sie war ihm zu kompliziert. Und das, obwohl er nicht einmal wusste, wer sie war!

„Ich muss mich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, bevor er die Verlobung bekanntgibt? Das darf ja wohl nicht wahr sein!“

„Das liegt nicht an ihm“, erwiderte Iris, von all ihren Beraterinnen diejenige, der Charlotte am meisten vertraute, „sondern an seinem Volk.“

„Das klingt ja nicht besonders sympathisch“, antwortete Charlotte. „Ich hoffe, dass ich mit diesen Leuten nicht allzu viel zu tun haben werde, wenn wir verheiratet sind.“ Bei der bloßen Vorstellung zog ihr Herz sich zusammen. „Was geht sie das überhaupt an?“

„Ich nehme an, es geht darum, ob du Kinder bekommen kannst“, erklärte Iris. „So wie ich das verstanden habe, braucht seine Hoheit ebenfalls schnell einen Erben.“

Charlotte spürte, wie ihr ein Kloß in die Kehle stieg. „Verstehe.“

Kinder. Einen Erben. Sex. Mit ihrem Ehemann. Natürlich würde sie mit ihrem Ehemann schlafen müssen. Aber die bloße Vorstellung, dass ein anderer als Rocco sie berührte, sie küsste, mit ihr schlief, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

Sie atmete tief durch und versuchte, die Panik zu unterdrücken, und da sie so geübt darin war, sich nichts anmerken zu lassen, bekam die Ärztin gar nicht mit, dass etwas nicht stimmte. Sie nahm Charlotte Blut ab und stellte ihr eine Reihe allgemeiner Fragen, bevor sie sich mit der Ankündigung, sich am folgenden Tag zu melden, verabschiedete.

„Oh, Sie sind es“, sagte Charlotte und sah von den Unterlagen auf, die sie gerade durchlas. Es ging um eine Schenkung für eine kleinere Universität, um die sie sich gekümmert hatte. Es war ihr gelungen, genügend Mittel aufzubringen, um nicht nur die neuen Räumlichkeiten für die Bibliothek, sondern obendrein die Modernisierung zweier Hörsäle zu finanzieren. „Haben wir heute Morgen etwas vergessen?“

„Nein“, antwortete die Ärztin und sah von Iris, die ebenfalls hereingekommen war, zu Charlotte. „Könnte ich Sie einen Moment sprechen?“

„Gern“, sagte Charlotte und wies auf einen Stuhl.

Die Ärztin wirkte nervös.

„Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“, fragte Charlotte beunruhigt.

„Also, Eure Hoheit …“

Charlotte sah die Ärztin erwartungsvoll an. „Ja?“

„Ich habe die Ergebnisse der Blutuntersuchung bereits erhalten. Ich hatte das Labor um Eile gebeten.“

„Und?“, sagte Charlotte.

„Es ist ein wenig heikel“, sagte die Ärztin. „Sollten wir lieber allein sprechen?“

Charlotte schüttelte den Kopf; vor Iris hatte sie keine Geheimnisse. „Nicht nötig. Schießen Sie los.“

Die Ärztin sah Charlotte aufmerksam an. „Es ist so weit alles in Ordnung“, sagte sie. „Ihre Eisenwerte sind gut, der Vitamin-D-Spiegel auch. Allerdings haben Sie einen erhöhten hCG-Wert.“

„Was ist das für ein Wert? Ist es schlimm, wenn er erhöht ist?“

„Nicht, wenn Sie schwanger sind“, antwortete die Ärztin.

Charlotte erstarrte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und es dauerte eine Minute, bis sie wieder einen Ton herausbrachte. „Was?“

„Da habe ich Sie offenbar überrascht“, sagte die Ärztin mit entschuldigender Miene.

Charlotte öffnete den Mund, und Iris sprang ihr bei, indem sie sagte: „Da muss ein Irrtum vorliegen.“

„Ich habe das Blut Eurer Hoheit ein zweites Mal testen lassen“, erwiderte die Ärztin. „Es besteht kein Zweifel.“

Charlotte erhob sich und durchquerte ihr Arbeitszimmer. „Ich kann das nicht glauben.“

Iris und die Ärztin sagten nichts. Charlotte schloss die Augen und versuchte, die Nachricht zu verarbeiten.

Schwanger.

Stöhnend sah sie zu Boden und schütt...

Autor

Clare Connelly
Clare Connelly liebt Liebesromane – von Jane Austen bis  E L James. Nachdem sie lange erfolgreich Selfpublisherin war, ging 2017 ihr Traum in Erfüllung, als ihr erstes  Buch bei einem Verlag erschien. Seitdem ist sie nicht mehr zu stoppen. Clare liest und schreibt leidenschaftlich gerne, und lebt in einem kleinen...
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