Bianca Exklusiv Band 315

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DIE RICHTIGE BRAUT FÜR DEN MILLIONÄR von BARBARA BENEDICT
Skandal auf der Society-Hochzeit: Ihre beste Freundin lässt den steinreichen Rhys vorm Altar stehen und läuft davon. Teresa tut sich mit Rhys zusammen, um die Braut zu finden, und erkennt dabei, dass Rhys nicht nur Humor hat, sondern auch sonst alles andere als langweilig ist …

HAPPY END IN LAS VEGAS von TERESA HILL
Janes wichtigste Regel ist: unabhängig bleiben. Finanziell und emotional. Daran wird auch der erfolgreiche Rechtsanwalt Wyatt nichts ändern. Davon ist sie überzeugt - bis sie ihn nach Las Vegas begleiten muss: Plötzlich träumt sie von einer Hochzeit in der Stadt, in der alles möglich ist …

LIEBESSKANDAL IN DER HIGH SOCIETY? von NICOLE FOSTER
Seit Jahren ist Blake McCord heimlich in die Verlobte seines Bruders verliebt. Nach deren Trennung sieht Blake endlich seine Chance gekommen - und er kann Katie erobern. Doch gemeiner Klatsch träufelt immer mehr Gift und Zweifel in sein Herz. Liebt Katie ihn wirklich?


  • Erscheinungstag 11.10.2019
  • Bandnummer 315
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737085
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Barbara Benedict, Teresa Hill, Nicole Foster

BIANCA EXKLUSIV BAND 315

PROLOG

Es war eine dunkle und stürmische Nacht …

Die Nacht war wirklich dunkel und stürmisch. Wenn Teresa Andrelini jemals als Schriftstellerin publiziert werden wollte, durfte sie sich solcher Klischees allerdings nicht bedienen. Nicht nur ihre Professoren, auch ihre Kommilitonen erwarteten von ihr einen weniger kitschigen Stil.

Die Eideszeremonie war Quinns Idee gewesen. Und bei ihrem Sinn für Melodramatik hatte ihre Freundin womöglich sogar einen Deal mit den Himmelsmächten geschlossen und den Gewittersturm angefordert, der gerade ums Haus heulte.

Da standen sie nun also in einem Kreis, Teresa und ihre drei Mitbewohnerinnen, mit gespenstischen Mienen hinter flackernden Kerzen, und versuchten, nicht bei jedem Donnerschlag zusammenzuzucken.

Eine beeindruckende, beinahe grimmige Entschlossenheit herrschte. Zumindest bei Quinn und Alana. Lucie hielt den Kopf gesenkt, als ob es ihr widerstrebte, den Schwur zu leisten.

Die Millionenerbin Lucinda Beckwith glaubte an Happy Ends. Wäre sie die aufstrebende Schriftstellerin gewesen, hätte sie eine anrührende Lovestory zu Papier gebracht und Unmengen damit verdient.

Dagegen wusste Teresa, dass sich im wahren Leben gerade die Männer, die besonders märchenhaft wirkten, oft als die größten Schufte herausstellten. Joannas Ehemann war der beste Beweis dafür.

Der Gedanke an ihre abwesende Freundin versetzte Teresa einen Stich. Joanna hätte den melodramatischen Kitsch dieser Zeremonie geliebt. Aber sie war auf dem Weg nach St. Louis – in ein Frauenhaus, um ihrem vermeintlichen Märchenprinzen zu entkommen. Auch sie hatte an ein Happy End geglaubt. Und was hatte es ihr eingebracht? Nichts als Prügel von ihrem heiß geliebten Jimmy.

„Erde an Teresa!“

Quinns Tonfall verriet Ungeduld. Alle waren angespannt, seit sie Joanna an diesem Morgen in den Bus nach St. Louis gesetzt hatten.

Teresa merkte, dass sie sich wieder einmal in Gedanken verloren hatte – eine Angewohnheit, die ihre Mitbewohnerinnen nervte.

„Ich habe dich gefragt, ob du schwörst“, wiederholte Quinn.

„Ja. Ich werde nicht heiraten, bevor ich mein Ziel erreicht habe und eine erfolgreiche Schriftstellerin geworden bin“, erklärte Teresa laut und deutlich.

Insgeheim hatte sie es sich schon vor Jahren geschworen. Da sie aus einem Haushalt mit einem italienischen Vater und fünf älteren Brüdern stammte, war es ihr schon von Kindesbeinen an ein Bedürfnis gewesen, Unabhängigkeit zu beweisen. Sie war nicht bereit, wie ihre kubanische Mama als unbezahlte Dienerin der Männer in ihrem Leben zu enden. Wenn und falls sie sich auf einen Mann einließ, wollte sie selbst über ihre Zukunft bestimmen.

Zufrieden mit der Antwort, wandte Quinn sich an Alana. „Schwörst du, Alana Simms, dass du nicht heiratest, bevor du dein Ziel erreicht und Karriere gemacht hast?“

Alana richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Ich schwöre“, verkündete sie entschieden. „Kein Mann wird mich davon abhalten, meine eigene Modelagentur zu eröffnen.“

Alana mit ihrem glänzenden schwarzen Haar, den schönen klassischen Gesichtszügen und dem betörenden graziösen Körper brauchte nur einen Raum zu betreten, um die Aufmerksamkeit jedes anwesenden Mannes zu fesseln. Doch keiner würde sie davon abbringen, das Modelgeschäft von der Pike auf zu erlernen und ihre Ausbildung zu vollenden. Ihre Züge mochten zart wirken wie die einer Dresdner Puppe, aber unter der schönen Schale steckte ein stählerner Kern.

„Okay. Jetzt zu dir, Lucie“, entschied Quinn.

Lucie war blond und zierlich. Sie wirkte weit jünger als ihre zweiundzwanzig Jahre und ließ sich gern von anderen die Entscheidungen abnehmen.

Teresa sah in ihr die kleine Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte und die es zu beschützen galt. Deshalb saß sie nun in einer Zwickmühle. Sie hatte nämlich geschworen, niemandem zu verraten, dass Lucie dem reichen Nachbarn ihrer Eltern Rhys Allen Paxton III so gut wie versprochen war.

Einerseits galt es zu verhindern, dass Lucie unter Druck gesetzt wurde; andererseits sollte gerade sie an den Schwur gebunden werden, weil die geplante Heirat einen katastrophalen Fehler bedeutete.

Mit gesenktem Kopf murmelte sie: „Ich schwöre.“

„Was schwörst du?“, bohrte Quinn in strengem Ton nach. Getrieben von ausgeprägtem Ehrgeiz, brachte sie wenig Geduld oder Verständnis für die Zögerlichkeit anderer auf.

„Ich … äh … werde nicht heiraten.“

„Bis?“ Quinn tippte mit dem Fuß auf den Boden. „Was willst du erreichen?“

Eine gute Frage. Lucie verfügte über die Mittel und Beziehungen, um sich jeden Beruf aussuchen zu können, doch obwohl sie kurz vor dem Examen stand, hatte sie immer noch keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte.

„Na ja, ich wollte eigentlich immer Schauspielerin werden“, verkündete sie stockend. „In der Theatergruppe war ich die Beste. Wie wäre es, wenn ich nicht heirate, bevor ich meine erste Filmrolle kriege?“

Teresa unterdrückte ein Stöhnen. Stichwort: Griff nach den Sternen. Als ob Mitsy Beckwith ihr einziges Kind jemals nach Hollywood lassen würde! Es war schon ein Wunder, dass Lucie überhaupt das College in Tulane besuchen durfte, das weit entfernt von ihrem Zuhause in Connecticut lag.

Quinn zuckte mit keiner Wimper. Entweder akzeptierte sie die Antwort, oder aber sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um richtig zuzuhören. Schnell sagte sie: „Damit bin ich dran. Ich werde nicht heiraten, ehe ich zum Kompagnon einer Anwaltskanzlei gemacht werde.“

Ein lauter Donnerschlag hallte durch den Raum – wie eine Antwort auf die Ankündigung. Teresa, Lucie und Alana erschauderten.

Quinn blieb ungerührt und verkündete mit der dröhnenden Stimme einer Hohepriesterin bei einer Opferzeremonie: „Als Zeichen der Zustimmung möge jede die rechte Hand in die Kreismitte strecken, so wie ich.“

Alana gehorchte mit feierlicher Miene. Lucie schluckte schwer und tat es ihr gleich.

Teresa hielt das alles für einen lächerlichen Hokuspokus und kam der Aufforderung nur zögerlich nach.

Als habe der Blitz, dessen greller Schein gespenstisch durch den Raum zuckte, ihre vereinigten Hände getroffen, spürte Teresa plötzlich so etwas wie Strom zwischen ihnen fließen. Etwas, das ein warmes Gefühl der Zugehörigkeit hervorrief und die Verbindlichkeit ihres Versprechens untermauerte.

Auch wenn die Zeremonie nur melodramatischer Kitsch sein mochte, war es ein bedeutender Augenblick. Was zählte, war die Entschlossenheit der Gruppe, die Verbundenheit, die ungebrochene Einigkeit. Selbst mit allem Geld der Familie Beckwith kann man solche Momente nicht kaufen.

1. KAPITEL

Sechs Jahre später

Hoffentlich denkt niemand, dass ich den Brautstrauß fangen wollte! Nervös blickte Teresa um sich. Das dumme Ding war einfach in ihrem Schoß gelandet. Am liebsten hätte sie das Bouquet aus weißen und pfirsichfarbenen Blüten auf den Boden geworfen, doch ihre gute Kinderstube verbot ihr, eine Kirche zu verunreinigen.

Nicht, dass irgendjemand auf sie achtete. Alle Gesichter waren verblüfft der Tür zugewandt, die Lucie gerade hinter sich zugeschlagen hatte. Der Knall hallte immer noch in der sonst totenstillen Kirche nach.

Sie hat es geschafft, dachte Teresa verwundert, die kleine Lucie hat endlich Nein gesagt. Eine starke Nummer, bei dem Affenzirkus, den ihre Mutter veranstaltet hat.

Die hübsche Kapelle, die einem Bilderbuch entsprungen schien, platzte aus allen Nähten. Wohlhabende Verwandte, einflussreiche Gäste und eine ganze Horde Medienvertreter waren gekommen. Mitsy Beckwith hatte es unverkennbar darauf angelegt, die Hochzeit ihres einzigen Kindes zu einer denkwürdigen Begebenheit zu machen. Das Ereignis, über das jeder von Rang und Namen noch jahrelang reden sollte.

Nun, ihr Wunsch schien in Erfüllung zu gehen. Über diesen Eklat wird bestimmt bis in alle Ewigkeit getratscht werden.

Unwillkürlich sah Teresa zum Altar hinüber, wo der Bräutigam noch immer in strammer Haltung stand. Rhys Allen Paxton III, Inhaber der Paxton Corporation, war es gewohnt, dass alles nach Plan lief. Er war groß, dunkelhaarig, ausgesprochen attraktiv und makellos gepflegt. Sein Erscheinungsbild war ebenso penibel ordentlich wie jeder andere Aspekt seines Lebens.

Obwohl er in diesem Moment längst nicht so selbstbeherrscht wirkte wie gewöhnlich. Vielleicht lag es an all dem Schwarz – Haar, Smoking, italienisches Schuhwerk –, dass er so blass um die Nase aussah.

Als habe er ihre Aufmerksamkeit gespürt, richtete er die leuchtend blauen Augen auf Teresa.

Innerlich wand sie sich unter seinem eindringlich musternden Blick. „Was ist?“, formte sie mit den Lippen und fragte sich, ob er Hilfe bei ihr suchte.

Abrupt wandte er sich ab und stürmte zum Ausgang.

Hastig lief sie ihm nach, denn sie wollte ihm auf gar keinen Fall Gelegenheit geben, Lucie in eine ungewollte Heirat zu drängen.

Draußen vor der Kirche blinzelte Teresa im gleißenden Sonnenlicht und sah sich suchend um. Von Lucies Flucht kündeten nur noch die Rücklichter einer schnittigen schwarzen Limousine, die an der nächsten Straßenecke nach links abbog.

„Sie ist weg!“, lamentierte Mitsy Beckwith, die zusammen mit ihrem Mann Hal aus der Kirche geeilt kam. „Sie fährt bestimmt nach Hause.“

Nein! Bitte nicht, betete Teresa inständig. Wenn Lucie sich in den Hoheitsbereich ihrer Mutter begab, kam sie gewiss nicht ungeschoren davon.

Offensichtlich war ihr das vehemente Nein laut herausgerutscht, denn Mitsy erklärte: „All ihre Sachen sind dort. Sie würde niemals ohne ihre Kreditkarten irgendwohin gehen.“

Das stimmte allerdings. Lucie war zu sehr an den Reichtum der Beckwiths gewöhnt, um ohne ihr Geld überleben zu können. Auch Hal und Rhys wurden sich offenbar dieser Tatsache bewusst und holten zeitgleich ihre Autoschlüssel hervor.

Teresa beobachtete, wie die Beckwiths in ihren Lincoln stiegen und davonbrausten. Ein Anflug von Panik stieg in ihr auf. Sie war mit dem Taxi vom Hotel gekommen und konnte deshalb auf keinen Wagen zurückgreifen. „Ich komme mit dir, Rhys“, verkündete sie und lief ihm zu seinem schwarzen Mercedes nach. „Lucie braucht jemanden, dem sie sich anvertrauen kann.“

„Dieser Jemand sollte ich sein.“ Er stieg ein und startete den Motor.

Sie zerrte am Griff der Beifahrertür, die leider verriegelt war. „Lass mich rein!“ Sie fixierte ihn mit ihrem „bösen Blick“. Wenn man als Mädchen im Andrelini-Haushalt aufwuchs, musste man sich gewisse Methoden aneignen, um Männer wissen zu lassen, wann man es ernst meinte.

Wortlos legte er den Rückwärtsgang ein.

„Sie ruft mich garantiert an“, argumentierte sie eindringlich. „Wenn du mich hier stehen lässt, wirst du nie erfahren, was sie zu sagen hat.“

Er äußerte sich nicht dazu, aber ein Klicken verriet, dass er das Schloss entriegelte. Sie stieg hastig ein. Er fuhr an, noch bevor sie die Tür schließen konnte.

Es war klug, sich zu beeilen. Denn schon strömten Hochzeitsgäste und Medienleute aus der Kirche.

Rhys ignorierte Teresa total, während er wie ein Rennfahrer zum Beckwith-Anwesen raste.

So ruppig, wie er mit Kupplung und Gangschaltung umging, blieb sie lieber unbeachtet. Ein einziges Mal wandte er den Kopf in ihre Richtung – um finster auf die pfirsichfarbenen Rosen in ihren Händen zu starren. Sie wusste, dass eigentlich sie selbst, nicht der Brautstrauß, der Grund für seine Irritation war. Er hatte seine Abneigung gegen sie noch nie verbergen können.

„Was hast du zu Lucie gesagt?“, wollte er unvermittelt wissen.

„Ich?“

„Du musst ihr irgendwas eingeredet haben. Es sieht ihr nicht ähnlich, so impulsiv zu handeln.“

„Ach, wirklich? Hast du Cancún vergessen?“

Anscheinend nicht, seiner finsteren Miene nach zu urteilen.

Der Trip nach Cancún war einer verrückten Laune entsprungen. In dem Bedürfnis, dem Alltagstrott in Tulane zu entfliehen, waren sie in das sonnendurchflutete Mexiko aufgebrochen. Dass Lucie in einem Moment still an ihrer Margarita genippt und im nächsten auf dem Tisch getanzt hatte, dafür war vielleicht die Urlaubsstimmung oder der Einfluss ihres damaligen Freundes Bobby verantwortlich gewesen. Jedenfalls waren sie unverhofft in einem mexikanischen Gefängnis gelandet und hatten darauf gewartet, dass Rhys sie herausholte.

„Das war nicht meine Schuld“, teilte Teresa ihm nun trotzig mit. „Ich habe uns nicht in den Knast gebracht.“

„Und wessen Idee war es, überhaupt dorthin zu fahren?“

„Warum musst du immer …“

„Bei dem exzessiven Gesaufe und Gefeiere“, unterbrach er, „hast du keinen Ärger vorausgesehen?“ Er schüttelte indigniert den Kopf und raste mit quietschenden Reifen in eine enge Kurve.

„Lucie ist auch nicht gerade ein Unschuldslamm. Sie ist durchaus in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen. Sofern man es ihr gestattet.“

„Was soll das denn heißen?“

„Du erwartest wohl nicht, dass ich glaube, dass diese Hochzeit ihre Idee war?“

„Alles, was ich von dir erwarte, ist etwas mehr Höflichkeit. Eine wahre Freundin würde sich zurückhalten und uns in Ruhe diese offensichtlich private Angelegenheit klären lassen.“

„Ganz im Gegenteil. Eine wahre Freundin setzt sich für Lucies Interessen ein. Ich habe nicht die Absicht, mich rauszuhalten, solange ich nicht mit Sicherheit weiß, dass sie diese Hochzeit will.“

„Ich gebe dir Brief und Siegel darauf, dass wir heiraten werden. Du kannst nichts dagegen tun.“

„Offensichtlich hat Lucie selbst etwas dagegen getan“, konterte Teresa.

Kurz darauf erreichten sie die Villa Beckwith. Mitsy kam ihnen schon entgegengelaufen und rief: „Sie ist nicht hier! Was sollen wir jetzt bloß tun?“

Rhys schwieg. Offensichtlich wusste er keine Antwort. Er ließ sich Zeit damit, den Motor auszuschalten und die Fahrertür zu öffnen.

Als er ausstieg, sah Teresa einen Muskel über seiner rechten Augenbraue zucken. Er könnte mir fast leidtun …

Die Anwandlung verflog rasch, sobald sie ihm folgte und feststellte, dass er sich wieder so reizbar und arrogant benahm wie gewöhnlich.

„Wir werden warten“, entschied er. „Vermutlich fährt Lucie nur durch die Gegend und denkt nach. Sobald sie zur Vernunft kommt, liefert sie uns sicherlich eine Erklärung. Lasst uns dann bitte ganz sachlich bleiben, okay?“ Er blickte von Hal zu Mitsy und übersah Teresa geflissentlich. „Wir wollen sie nicht noch mehr aufregen.“

„Sie?“, rief Mitsy aufgebracht. „Was ist denn mit mir? Was soll ich tun? Das Orchester, die Speisen, die schmelzenden Eisskulpturen …“ Gehetzt blickte sie die Straße hinunter. „Die Gäste …! Was ist, wenn sie herkommen? Mein Gott, die Medien!“

„Immer mit der Ruhe“, beschwichtigte Rhys. „Es nützt nichts, in Panik zu geraten. Außerdem bezweifle ich, dass die Gäste zu einem Hochzeitsempfang kommen, nachdem gar keine Hochzeit stattgefunden hat.“

Mitsy schien ihn gar nicht zu hören. „Es ist ein Albtraum!“, fuhr sie in hysterisch-schrillem Ton fort. „Die Leute werden sich hinter meinem Rücken lustig machen. Das lasse ich nicht zu.“ Mit einem wilden Ausdruck in den Augen klammerte sie sich an seinen Arm. „Du musst etwas dagegen tun.“

„Was denn? Deine Tochter hat mich gerade am Altar stehen lassen. Was zum Teufel glaubst du, was ich dagegen tun kann?“

Das machte Mitsy für einen Augenblick sprachlos.

Er presste die Lippen zusammen und schwieg. Damit gestand er praktisch ein, nicht alles unter Kontrolle zu haben – ein Novum, soweit Teresa wusste.

„Ich könnte die Polizei rufen“, bot Hal an.

Rhys schüttelte den Kopf. „Vorläufig wollen wir weder die Behörden noch die Presse einschalten.“

Typisch! Die arme Lucie irrt hilflos irgendwo herum, und er sorgt sich nur um negative Publicity. Entrüstet drückte Teresa ihm den Brautstrauß in die Hand und kramte ihr Handy aus der Handtasche. „In der Limousine gibt es bestimmt ein Telefon. Hat jemand die Nummer?“

Hal nickte und holte eine Visitenkarte aus der Jackentasche.

Teresa rief den Chauffeurservice an. Niemand meldete sich.

Ungehalten drückte Rhys ihr den Brautstrauß wieder in die Hand und schnappte sich das Handy.

„He, gib das wieder her!“

Er hielt es sich mit ausgestrecktem Arm über den Kopf.

Um es zu erreichen, musste sie wie ein übereifriges Hündchen hochspringen. Unvermittelt wurde ihr bewusst, wie groß er war, wie körperlich überwältigend. Sie gab es auf und höhnte: „Glaubst du, du kannst es besser? Dass Lucie abnimmt, weil sie spürt, dass du dran bist?“

Er blickte sie an, als wäre sie eine Mücke, die ihn umsirrte – nicht wirklich ernst zu nehmen, aber unglaublich lästig. „Ich rufe nicht die Limousine an“, erklärte er schroff, „sondern die Zentrale. Ich brauche nur den Standort.“

Sie unterdrückte ein Seufzen, wandte sich ab und sah ein Auto um die Ecke biegen. Hoffnung stieg in ihr auf, denn es war der Leihwagen, den Quinn und Alana gemietet hatten. Mit ihrer Hilfe war es vielleicht noch zu schaffen, Lucie zu erreichen, bevor es jemand anders tat.

Halt durch, Lucie! betete Teresa inständig. Ich bin schon unterwegs zu dir.

Bleib cool, ermahnte Rhys sich auf dem Weg ins Haus. Denk einfach nicht daran, dass die halbe Welt gerade zugesehen hat, wie du sitzen gelassen wurdest.

Er hätte sich gegenüber Mitsy durchsetzen und auf einer begrenzten Personenzahl beharren sollen. Er wünschte sich eine beschauliche Hochzeit, kein Spektakel mit über fünfhundert geladenen Gästen. Schlimmer noch war, dass ihr Bestreben, es auf die Titelblätter der Regenbogenpresse zu schaffen, unzählige Paparazzi angelockt hatte. Dass ihm einige Zeitschriften gehörten, garantierte ihm leider nicht, dass er ungeschoren davonkommen würde. Diese Story musste einfach für Schlagzeilen in allen Morgenausgaben sorgen.

„Sagen Sie doch was“, knurrte er ins Handy, erhielt aber keine Antwort. Frustriert starrte er es an und stellte fest, dass der Akku leer war. Typisch Teresa!

Natürlich war es sinnlos, sich aufzuregen, aber er hasste es, untätig zu sein und nicht Bescheid zu wissen. Er musste Lucie erreichen und zur Vernunft bringen. Schließlich waren sie übereingekommen, dass eine Heirat unvermeidbar war. Ihre Eltern erwarteten es; alle sahen es als vollendete Tatsache an. Die Zeremonie hätte lediglich eine Formalität sein sollen, der Schlusspunkt eines sorgfältig erwogenen Arrangements. Nur hatte Lucie plötzlich alles über den Haufen geworfen. Was konnte ihren Gesinnungswandel ausgelöst haben?

Dumme Frage. Er wusste, was passiert war. Ihre Freunde hatten sie umgestimmt. Genauer gesagt: Teresa Andrelini.

Ihm war nicht entgangen, wie sie im hintersten Winkel der Kirche mit Lucie getuschelt hatte. Wie hätte er sie in ihrem Outfit auch übersehen können? Das sexy lindgrüne Kostüm, die Stilettos aus Lackleder, das üppige rote Haar …

Seit sich die beiden auf dem College kennengelernt hatten, verleitete sie Lucie zu Schandtaten, war aber nie zur Stelle, wenn es um Schadensbegrenzung ging. Das war stets seine Aufgabe.

Betroffen stellte er sich seine Verlobte vor, wie sie ganz allein und verängstigt in einem schmuddeligen Bahnhof hockte und allmählich ihren Widerspruchsgeist ablegte. Er musste zu ihr. Sie rechnete mit ihm. Ihre Familie erwartete es. Schließlich hatte er sie noch nie im Stich gelassen. Ach, Lucie, dachte er verzweifelt, wo zum Teufel steckst du?

„Rhys? Bist du okay? Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.“

Er drehte sich zu seinem jüngeren Bruder Jack um, der ihm mit seinen blonden Haaren und den heiteren Zügen so gar nicht ähnelte. „Es geht mir gut“, knurrte er und lächelte dann, um den schroffen Tonfall etwas zu entschärfen.

Jack, eigentlich eine wahre Frohnatur, blieb ausnahmsweise ernst.

„Ich nehme an, Lucie hat dir nicht zufällig gesagt, wohin sie will?“

Mir? Nein, ich habe keine Ahnung. Aber falls du dich erinnerst, ich habe dich gewarnt, dass es ein Fehler ist, sie zur Hochzeit zu drängen.“

„Ich habe sie nicht gedrängt. Und ich mache keine Fehler. Das kann ich mir nicht leisten.“

„He, komm mal wieder runter.“ Beschwichtigend hob Jack die Hände und grinste. „Merkst du gar nicht, dass du genauso klingst wie unser alter Herr?“

Ein unfairer Vergleich, dachte Rhys gereizt. Zumal er immer den Vermittler gespielt hatte, wenn sein Bruder und ihr inzwischen verstorbener Vater wegen ihrer inkompatiblen Lebenseinstellungen aneinandergeraten waren.

„Und wie willst du sie zurückholen?“, wollte Jack wissen. „Hoffentlich nicht mit der Polizei.“

„Nein. Diese Sache muss ich allein klären.“

„Okay. Ich halte solange die Stellung im Betrieb.“

Eigentlich graute Rhys bei der Vorstellung, seinem unzuverlässigen Bruder die Geschäftsleitung zu überlassen. Zumal er gerade in wichtigen Übernahmeverhandlungen mit einer Firma stand, die sein Vater jahrelang vergeblich zu kaufen versucht hatte. Ein gewaltiger Coup, für den er von seinem Vater allerdings keine Lorbeeren geerntet hätte – schließlich wäre es in den Augen von Rhys Paxton II unentschuldbar gewesen, ein gestecktes Ziel nicht zu erreichen.

Um sich sein mangelndes Vertrauen in seinen Bruder nicht anmerken zu lassen, lächelte Rhys und reichte ihm die Hand. „Danke, das weiß ich zu schätzen.“

Erfreut schlug Jack ein. Als eine schrille weibliche Stimme aus dem Foyer ertönte, blickte er zerstreut über die Schulter. „Ich gehe jetzt lieber. Jemand muss die Beckwiths beruhigen – und die Gäste, falls welche gekommen sind.“

Rhys wusste, dass es nicht um die Beckwiths ging. Die Neigung seines Bruders, sich vom anderen Geschlecht ablenken zu lassen, war legendär und ein guter Grund, ihm die Leitung der Paxton Corporation nicht zu lange zu überlassen.

Kopfschüttelnd ging Rhys weiter zu Lucies Zimmer, denn dort stand sein Gepäck für die Hochzeitsreise. Er wollte sich den Smoking ausziehen und ihre private Festnetzleitung benutzen.

Er ließ die Tür offen, weil er sich in dem mädchenhaft eingerichteten Raum sonst ein wenig klaustrophobisch fühlte. Dank Mitsys Dekorationskünsten war das Zimmer total überladen mit Seidenkissen, Rüschengardinen und Spitzendeckchen.

Kein Wunder, dass Lucie ein verzerrtes Bild von der Realität hatte. Sogar das Telefon war absurd: eine Nachbildung von Cinderellas gläsernem Schuh!

Rhys warf Teresas abgeschaltetes Handy auf das Bett und griff nach dem Halbschuh. Als Erstes rief er Rosa an, seine Haushälterin auf den Bahamas. Dort hatten die Flitterwochen beginnen sollen. Sie liebte es, die Verlobte des Hausherrn zu verwöhnen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie aufgeregt sie Vorbereitungen traf. Zumindest diese Mühe konnte er ihr ersparen, wenn schon nicht die Enttäuschung über das Fernbleiben der Braut.

„Aber Miss Lucie ist auf dem Weg hierher“, teilte Rosa ihm mit. „Sie hat gerade vom Flughafen angerufen.“

Dass Lucie in Sicherheit war, erleichterte ihn ungemein. Es wunderte ihn nicht, dass sie zu der Frau fuhr, die sich fürsorglicher um sie kümmerte als ihre eigene Mutter. Warum sollte sie sich von Bus oder Bahn durchrütteln lassen, wenn sie sich in seinem Haus auf den Bahamas verwöhnen lassen konnte?

Mit etwas Glück würde Rhys es schaffen, sie am Flughafen abzufangen. Andernfalls konnte er immer noch auf der Insel eine besinnliche Zeremonie in einer malerischen Kapelle arrangieren. Ihm war es egal, wo sie heirateten, solange es innerhalb seiner Urlaubswoche passierte.

Er war froh, ein festes Ziel vor Augen zu haben. Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden wollte er seine entlaufene Braut finden und sie als seine Ehefrau zurückholen.

Auf der Jagd nach ihrem Handy lief Teresa hektisch durchs ganze Haus. Da sie Rhys nirgendwo finden konnte, beschloss sie, das private Festnetz in Lucies Zimmer zu benutzen. In der Tür blieb sie abrupt stehen, denn der Raum war bereits besetzt.

Mit dem Rücken zu ihr, viel zu groß und überwältigend maskulin in der femininen Umgebung, telefonierte Rhys in schroffem Ton. Der Glasschuh sah in seiner großen Hand extrem zerbrechlich und albern aus.

„… muss ihr folgen.“ Ungehalten lockerte er seine Krawatte. „Ich habe auf Flug 213 um halb fünf nach Miami umgebucht.“ Er lauschte einen Moment. „Ich weiß, dass sie einen Direktflug auf die Bahamas genommen hat. Aber die Maschine ist völlig ausgebucht. Schicken Sie mein Gepäck zum Boot. Bayside, Liegeplatz 337.“

Er öffnete die Hemdsärmel. „Vergessen Sie meinen Aktenkoffer nicht.“ Er warf einen finsteren Blick zum Bett. „Und meinen BlackBerry. Ich brauche unbedingt ein verlässliches Telefon.“

Da ist ja mein Handy! Teresa konnte sich kaum zurückhalten, in den Raum zu stürmen und es sich zu schnappen.

„Ja, ich habe Lucie versprochen, dass ich diese Woche nicht arbeite. Aber es ist ja keine Hochzeitsreise mehr.“

Sie hörte kaum noch auf seine Worte. Sein Striptease fesselte sie zu sehr. Gerade streifte er sich das Hemd ab. Sein Oberkörper war erstaunlich muskulös und gebräunt. Wer hätte je gedacht, dass dieser zugeknöpfte Manager einen so umwerfenden Körper hat?

Sie fragte sich, wie ein Workaholic dazu kam. Selbst, wenn er in seinem Terminkalender eine Lücke für Sonnen- und Fitnessstudio fand, brauchte es dafür Badehose und Sportkleidung. Soweit sie wusste, trug er immer nur Geschäftsanzüge.

Als er zum Reißverschluss seiner Hose griff, wich sie abrupt von der Tür zurück. Sie war gewiss nicht prüde, aber den Beinahe-Ehemann ihrer besten Freundin beim Entkleiden zu begaffen, war nicht erlaubt. Sich davon erregen zu lassen, war erst recht ein No-Go.

„Kümmern Sie sich sofort darum“, verlangte Rhys. „Ich muss diesen Flug erwischen.“ Er knallte das Telefon mit so viel Kraft auf den Nachttisch, dass der Schuh zerbrochen wäre, hätte er aus Glas statt Acryl bestanden.

Zum Teufel mit Rhys Paxton, seinem Geld und seinen Beziehungen! dachte Teresa. Offensichtlich wusste er genau, wohin Lucie unterwegs war, wollte es aber niemandem verraten. Flug 213 um halb fünf nach Miami, hatte er gesagt. Und danach Bayside Marina, Liegeplatz 337.

Sieht ganz so aus, als hätten wir dasselbe Ziel …

2. KAPITEL

Rhys stand auf der Brücke seiner Jacht und gähnte herzhaft. Wegen schwerer Gewitterstürme war der Flug nach Miami um mehrere Stunden verschoben worden. Dann hatte er auf dem Weg vom International Airport zum Jachthafen zwei Stunden in einem Verkehrsstau gesteckt und somit sein Boot erst in den frühen Morgenstunden erreicht. Kein Wunder, dass er die Augen kaum noch offen halten konnte!

Zum Glück kam er nun gut voran. Er schätzte, dass er die Insel in einer guten Stunde erreicht haben würde. Genau bei Tagesanbruch. Sehr symbolträchtig, dachte er. Welch besseren Zeitpunkt gab es für ihn und Lucie, um in die gemeinsame Zukunft zu starten, als den Anbruch eines neuen Tages?

Mit einem Lächeln auf den Lippen stellte er sich vor, wie er sie sanft wecken würde. Er wollte ihr alle Zeit lassen, die sie brauchte. Ihre Ängste vertreiben, ihre Zweifel ausräumen. Und danach mit ihr gemeinsam in dieselbe Richtung gehen – geradewegs in die Kapelle. Er musste nur positiv denken. An den Erfolg glauben.

Er schaltete auf Autopilot und vergewisserte sich, dass die Systeme richtig arbeiteten. Die Jacht glitt stetig über den spiegelglatten Ozean. Das einzige Anzeichen einer Störung war sein Magen, der mit lautem Knurren darauf aufmerksam machte, dass er seit dem Frühstück am Vortag keine feste Nahrung mehr bekommen hatte.

Rhys beschloss, in die Kombüse zu gehen, um etwas zu essen. Bei der Gelegenheit trug er gleich das Gepäck in die Kabine hinunter und beförderte es schwungvoll in den Kleiderschrank.

Statt des erwarteten Polterns ertönte ein unterdrücktes Stöhnen. Verblüfft riss er die Tür auf und entdeckte die Quelle: Teresa Andrelini, die beide Reisetaschen an sich drückte und verschlafen blinzelte.

Sie hatte das Jackett ausgezogen, wie ihm auffiel, als sie überraschend würdevoll aufstand. Ihr tiefrotes Haar war zerzaust und umspielte fast nackte Schultern. Anscheinend gehörte sie zu den Frauen, die aufgelöst noch attraktiver wirkten als kunstvoll gestylt.

Er unterdrückte den Impuls, ihr durch die üppige Haarpracht zu streichen, und fuhr sie ruppig an: „Was zum Teufel machst du hier?“

„Du musst mich nicht so anschreien.“

„Doch. Sonst drehe ich dir womöglich den Hals um.“ Er beobachtete, wie eine reizvolle Röte ihr sanft gebräuntes Gesicht überzog.

„Tut mir leid, dass ich mich an Bord geschmuggelt habe. Aber mir ist kein anderer Weg eingefallen, um Lucie zu erreichen.“

Sie hatte sich die Schuhe ausgezogen. Ohne die hohen Absätze reichte sie ihm nicht einmal bis ans Kinn. Sie vergrub die rot lackierten Zehennägel in den tiefen Flor des Teppichbodens und wirkte so klein, so verletzlich, so …

So teuflisch, sagte Rhys sich streng. Er durfte ihr nicht vertrauen. Hatte er sie nicht gerade als blinden Passagier entlarvt? „Hausfriedensbruch ist eine Straftat“, konstatierte er und wappnete sich gegen ihren verletzten Gesichtsausdruck. „Ich sollte schnurstracks nach Miami zurückkehren und dich den Behörden übergeben.“

„Ich kann dir alles erklären.“

„Bitte tu das.“ Er sah sie streng an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann nicht erwarten zu hören, wie es dazu kam, dass du dich in meinem Kleiderschrank versteckt hast.“

Stirnrunzelnd schaute sie sich in der Kajüte um. „Muss das hier sein? Die Umgebung lädt nicht gerade zu einer Beichte ein. Lass uns an Deck gehen.“

Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er dieser Frau keine Zugeständnisse machen durfte. Nach einem Blick auf das breite Bett musste er allerdings zustimmen, dass das kein geeigneter Ort für eine Befragung war.

Er wandte sich wieder Teresa zu und bemerkte, dass die oberen Knöpfe ihrer Bluse offen standen. Ein Hauch von Spitze und ein unglaublich reizvolles Dekolleté waren zu sehen. Mit den wirren Haaren, die ihr errötetes Gesicht umrahmten, sah sie aus, als wäre sie soeben aus dem fraglichen Bett gestiegen.

Eine Vorstellung, die seinen Puls unliebsam beschleunigte.

Schlafmangel, sagte er sich. Der Verstand ist bei Erschöpfung zu verrückten Dingen fähig, und es ist unglaublich verrückt, sich solchen Fantasien hinzugeben. „Gut.“ Er ging zur Tür. „Reden wir in der Kombüse.“

„Aber ich will nicht …“

„Offen gesagt, interessiert mich herzlich wenig, was du willst.“ Er blieb auf dem Gang stehen. „Ich hatte einen langen, anstrengenden Tag und bin mit meiner Geduld am Ende. Entweder kommst du jetzt mit und erklärst mir alles, während ich mir ein Sandwich mache, oder du kannst den Behörden dein Märchen auftischen. Deine Entscheidung.“ Damit wandte er sich ab und ging davon.

Teresa fröstelte. Eigentlich hätte seine zornige Reaktion sie nicht überraschen sollen. Doch auf einer so kurzen Fahrt hatte sie einfach nicht damit gerechnet, von ihm entdeckt zu werden. Warum zum Teufel musste er auch den Kleiderschrank benutzen?

Auf dem Weg in die Kombüse musterte sie ihn. Er trug eine Kakihose und ein Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Unterarme waren gebräunt und muskulös, die Hände groß und kräftig. Angeblich sagt der Händedruck eines Menschen sehr viel über seinen Charakter aus. Ihrer Erfahrung nach bestätigte sich diese Binsenweisheit erstaunlich oft.

Unwillkürlich fragte sie sich, wie es sich anfühlen mochte, mit ihm Händchen zu halten. Nicht, dass sie es jemals herauszufinden gedachte.

Demonstrativ hielt Rhys ihr den Rücken zugekehrt. Er stürmte zwischen Kühlschrank und Geschirrschrank hin und her, riss Türen auf und knallte sie wieder zu.

Sein Temperamentsausbruch hätte sie einschüchtern sollen, aber das Sortiment aus Aufschnitt, Brot und Dressings, das er auftischte, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihr letztes Mahl hatte sich auf ein Tütchen Erdnüsse im Flugzeug beschränkt. Sie deutete mit dem Kopf zum Tisch. „Kriege ich auch was?“

„Bedien dich“, murmelte er mit finsterer Miene, als wäre ihre Bitte unverschämt. Er setzte sich an den Tisch und begann, ein Sandwich zu belegen. „Nicht, dass irgendjemand dich davon abhalten könnte, das zu tun, was du willst.“

Teresa zwang sich, ihren Unmut zu zügeln. Ihr Ziel war es schließlich, zu Lucie zu gelangen. Sich Rhys zum Feind zu machen, brachte sie nicht weiter. Sie setzte sich ihm gegenüber und streckte eine Hand nach dem Brot aus.

Leider griff er im selben Moment danach und stieß mit ihr zusammen.

Sie tauschten einen erschrockenen Blick über die unerwartete Berührung und zuckten gleichzeitig zurück. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er das Brot ergatterte, während sie leer ausging. Ihr blieben lediglich ein vager Eindruck von Wärme und Stärke und dazu eine ungesunde Neugier, wie es sich anfühlen mochte, ihn richtig anzufassen.

Er knallte die Brotscheibe als Deckel auf seine mehrstöckige Kreation. „Okay, ich würde gern mal herzhaft lachen. Also, lass deine Geschichte hören.“

Teresa ärgerte sich darüber, dass sie auf den Kontakt ihrer Hände reagierte, während es ihn völlig kalt zu lassen schien. Also konzentrierte sie sich darauf, ihr eigenes Sandwich zu belegen. „Ich muss Lucie finden. Du und dein Boot seid leider meine einzige Hoffnung.“

„Das ist deine ganze Erklärung?“

„Ist es dir lieber, wenn ich mir etwas ausdenke? Wie eine Entführung durch Aliens?“

„Lieber ist mir, wenn du meine Fragen beantwortest. Erstens: Woher weißt du, dass ich nach Miami wollte? Oder zum Jachthafen? Ganz zu schweigen von diesem Boot.“

„Ich habe gelauscht. Als ich das Telefon in Lucies Zimmer benutzen wollte. Im Grunde genommen ist es deine Schuld. Du hast mir mein Handy geklaut. Was blieb mir also anderes übrig?“

Fassungslos schüttelte er den Kopf. „Zuerst ein Lauschangriff, dann Hausfriedensbruch und jetzt auch noch die Behauptung, dass alles meine Schuld ist …?“

„Alles nicht. Ich gebe zu, dass es falsch war, mich auf deinem Boot zu verstecken. Tut mir wirklich leid. Aber wie soll ich sonst zu Lucie kommen?“

Da Rhys gerade einen großen Bissen von seinem Sandwich genommen hatte, musste er erst einmal kauen und sich mit einem finsteren Blick zufriedengeben, bis er schlucken konnte. „Wie kommst du auf die Idee, dass du zu ihr kommen sollst?“

Eindringlich beugte sie sich zu ihm. „Ich muss ihr helfen. Das ist das Mindeste, was ich für meine Freundin tun kann.“

Sie beobachtete, wie er die Augen aufriss. Zuerst glaubte sie, dass ihn ihre Entschlossenheit beeindruckte. Dann erkannte sie, dass er ihre Brüste fixierte. Sie senkte den Kopf und sah, dass mehrere Blusenknöpfe aufgesprungen waren. Obwohl ihre Wangen glühten, gab sie sich ganz gelassen. „Lucie ist meine allerbeste Freundin“, konstatierte sie, während sie die Knöpfe schloss. „Ich lasse nicht zu, dass sie unter Druck gesetzt wird.“

„Was soll das heißen?“

„Sie will ganz offensichtlich ebenso wenig heiraten wie ich. Würdest du mehr auf sie als auf ihre Mutter hören, wüsstest du das.“

„Und wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen? Berichtige mich, falls ich mich irre, aber ihr habt doch seit sechs Monaten nicht miteinander gesprochen.“

Muss der Mann einfach alles wissen?

„Abgesehen von eurem kleinen Plausch in der Kirche“, fuhr Rhys fort. „Was hast du ihr da eigentlich eingeredet?“

„Wie kommst du darauf, dass ich sie beeinflusst habe? Ob du’s glaubst oder nicht, Lucie hat ihren eigenen Kopf.“

„Sie mag ihre flatterhaften Momente haben, aber sie würde nie weglaufen. Nicht ohne Ermutigung und ganz gewiss nicht in so einer Situation – vor den Augen ihrer Eltern und fünfhundert Gästen. Ich denke, sogar du musst zustimmen, dass diese Handlungsweise jeder Logik und Vernunft widerspricht.“

„Nicht alles im Leben wird von Logik bestimmt“, konterte Teresa verärgert. „Manchmal muss man aus dem Bauch heraus entscheiden. Und in diesem Fall hat Lucies Bauchgefühl sie gedrängt zu fliehen.“

„Seltsam, dass sie dieses Bauchgefühl nicht hatte, bevor du aufgetaucht bist.“

Wie selbstgefällig er wirkt, während er gelassen sein Sandwich mampft! Wie anmaßend! Als ob er allein über Lucies tiefste Empfindungen Bescheid wüsste … „Bist du dir wirklich so sicher, dass du weißt, was sie denkt? Vielleicht hatte sie einfach so viel Angst vor deiner Reaktion, dass sie zuvor immer gesagt hat, was du ihrer Meinung nach hören wolltest.“

„Lass mich den Spieß umdrehen: Wie kommst du darauf, dass du eine Hotline zu der wahren Lucie hast? Erzähl mir bloß nicht, du wusstest, dass sie davonlaufen würde! Ich habe dein Gesicht gesehen. Du warst genau so schockiert wie alle anderen, als sie aus der Kirche gerannt ist.“

Er hat mich beobachtet? „Ich war überrascht, allerdings. Aber mal ganz ehrlich, so unerwartet war es auch wieder nicht. Schließlich ist sie nicht zum ersten Mal weggelaufen.“

Rhys zuckte betroffen zusammen.

Sie hätte ihre Bemerkung gern zurückgenommen. Jenes Intermezzo anzusprechen, war ein Schlag unter die Gürtellinie, aber er besaß ein Talent dafür, sie in Rage zu bringen.

Zweifellos hielt er sie auch dafür verantwortlich, dass Lucie damals ganz spontan nach London geflogen war – angeblich aus einem unwiderstehlichen Drang heraus, in Wirklichkeit aber, um sich vor ihrer eigenen Verlobungsparty zu drücken. Sie hatte behauptet, dass es Rhys nichts ausmache, und er hatte sich bei der Feier tatsächlich ganz gelassen gegeben und den Gästen erzählt, dass seine Verlobte wegen einer Virusinfektion ans Bett gefesselt sei.

Bis zu diesem Tag bereute Teresa, dass sie ihre Freundin nicht nach England begleitet hatte. Denn gleich nach der Party hatte Rhys den nächsten Flieger nach London genommen und Lucie einige Tage später zurückgebracht – mit einem riesigen Klunker am Ringfinger.

„Das arme Mädchen ist offensichtlich verwirrt“, stellte Teresa nachdrücklich fest. „Sie muss über diese Sache reden. Mit jemand anderem als dir. Sobald wir die Insel erreichen …“

Fluchend sprang Rhys auf, ließ den Rest seines Sandwichs fallen und rannte aus der Kombüse.

„Was ist?“, rief sie ihm nach. „Wo willst du hin?“

„Auf die Brücke. Bei dem Tempo laufen wir jeden Moment auf.“

Rhys stand am Ruder und beobachtete, wie der Morgen über dem nahen Küstenstreifen dämmerte. Zum Glück hatte er die Geschwindigkeit rechtzeitig reduziert und somit ein Kentern verhindert. Nun, als er die Hafengrenze erreichte, drosselte er den Motor noch mehr.

Was war bloß in ihn gefahren, sich derart ablenken zu lassen? Er musste noch erschöpfter sein, als er gedacht hatte. Wie konnte er sich auf Teresas unablässiges Geplapper einlassen und darüber sein Boot – ganz zu schweigen von ihrer beider Leben – aufs Spiel setzen?

Aber war es nur ihr Geplauder, das ihn so zerstreute?

Unwillkürlich fiel ihm das Prickeln ein, das er bei der Berührung ihrer Hände verspürt hatte. Ihre Finger waren überraschend schlank, zart und warm gewesen. Und der unerwartete Anblick ihrer halb entblößten vollen Brüste hatte ihn erregt. Nun fragte er sich, ob sie ebenso weich und warm waren wie ihre Hände.

„Hier.“

Aufgeschreckt wirbelte Rhys herum und sah sie mit zwei Bechern hinter sich stehen. Er hoffte, dass sie es sich nicht zur Gewohnheit machte, sich unvermutet anzuschleichen, während er in Gedanken – noch dazu in derart abwegige – vertieft war.

Sie ignorierte sein Stirnrunzeln und hielt ihm lächelnd einen Becher hin. „Ich habe Kaffee gemacht. Ich dachte mir, dass wir beide einen nötig haben.“

Sein Zorn verrauchte, sobald ihm das kräftige Aroma in die Nase stieg. Sie hat recht, dachte er nach einem langen belebenden Schluck, das habe ich wirklich gebraucht.

Sie selbst konnte er allerdings auf seinem Boot nicht gebrauchen. Geflissentlich ignorierte er seine ungebetene Passagierin und konzentrierte sich darauf, die Jacht in die Hafeneinfahrt zu lenken.

„Mir ist vorhin etwas eingefallen“, eröffnete Teresa. „Bei all der Verwirrung habe ich meinen Pass vergessen. Macht das Probleme, wenn wir andocken?“

„Wir legen direkt an meinem Haus an.“ Er deutete zu einer Bucht auf der Steuerbordseite. „Dort stellt niemand neugierige Fragen.“

Sie atmete erleichtert auf. „Der Kaffee kommt echt gut, stimmt’s? Mir hilft er jedenfalls. Ich habe so eine Pille gegen Seekrankheit genommen und fühle mich davon ganz groggy. Deshalb war ich vielleicht ein bisschen unfreundlich zu dir und habe Sachen gesagt, die ich besser für mich behalten hätte.“

Mann, wie viel diese Frau redet! „Was willst du mir damit sagen?“

„Wie leid es mir tut. Dass ich dir im Weg bin. Dass ich mich in deinem Schrank versteckt habe. Einfach alles.“

„Alles?“

Ihre grünen Augen blitzten. „Ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich Lucie helfen will, falls du darauf hinaus willst.“

„Ich habe dich nie um etwas anderes gebeten, als dich nicht in mein Leben einzumischen.“

„Das tue ich ja gar nicht.“ Sie seufzte. „Wir beide haben eine Menge gesagt, was zum Teil berechtigt und zum Teil geradezu gemein war. Aber momentan geht es um Lucie. Um ihr Wohlergehen und ihr künftiges Glück. Können wir unsere Differenzen nicht beilegen, bis wir sicher sind, dass es ihr gut geht?“

„Du schlägst einen Waffenstillstand vor?“

Strahlend reichte sie ihm die Hand. „Ja.“

Rhys ignorierte die Geste und stellte den Motor ab. „Drück mal auf den Knopf da, ja?“, bat er, in der Hoffnung, sie abzulenken. „Wir müssen den Anker setzen.“

Sie hielt die Hand immer noch ausgestreckt und starrte ihn an, als hätte er ihr gerade den Boden unter den Füßen weggezogen. „Wir gehen hier vor Anker? Mitten auf dem Wasser? Nicht da drüben am Steg?“

„Der ist für kleinere Boote vorgesehen. Wenn ich mit dieser Jacht näher ans Ufer fahre, läuft sie auf Grund. Ich nehme meistens das Schlauchboot, um an Land zu kommen.“

„Oh.“ Sie drückte den Knopf. „Ich bin nicht besonders seemännisch veranlagt.“

Wem sagst du das? dachte er und musterte verstohlen ihren engen grünen Rock und die nackten Füße. „In dem Outfit wird es schwierig, ins Beiboot zu steigen. Sieh doch mal in Lucies Reisetasche nach, ob du was Geeignetes findest. Du kannst dich unter Deck umziehen, während ich vor Anker gehe.“

„Gute Idee. Danke.“ Sie ging die Treppe nach unten.

Er sagte nichts dazu. Denn sein Angebot war ganz und gar nicht hilfsbereit gemeint. Vielmehr plante er, sich klammheimlich davonzuschleichen, um Lucie als Erster zu erreichen. Wenige Minuten später hatte er das Schlauchboot zu Wasser gelassen und war startklar.

Doch schon rief Teresa: „Oh, da bist du ja! Ich dachte schon, du wärst ohne mich abgehauen.“

Rhys sah keinen Grund, darauf zu antworten. Außerdem verschlug ihr Anblick in dem neuen Outfit ihm die Sprache. Die knallengen roten Shorts saßen extrem tief auf den Hüften und enthüllten aufregend viel glatte gebräunte Haut. Das knappe weiße T-Shirt überließ noch weniger der Fantasie.

Er half ihr nicht, ins Beiboot zu steigen. Es war besser, ihren halb entblößten Körper nicht zu berühren.

Sie wartete ohnehin nicht darauf. Mit einer Reisetasche im Arm stieg sie über die Reling, sprang ins Boot und erläuterte: „Ich dachte mir, dass Lucie ihre Sachen braucht.“

Verärgert startete er den Außenbordmotor. Dass Teresa nun da war, änderte alles. Wie sollte er Lucie zur Vernunft bringen, wenn ihre so genannte beste Freundin gleichzeitig auf sie einredete? Dass die Hochzeit letztendlich stattfinden würde, bezweifelte er nicht. Aber durch Teresa konnte es zu einem unnötig langen und kostspieligen Aufschub kommen.

Typisch für sie, ihm die alte Geschichte von der Verlobungsparty vorzuhalten und ihn für Lucies unerwarteten Abstecher nach London verantwortlich zu machen. Dabei war er felsenfest überzeugt, dass sie selbst hinter Lucies sprunghaftem Verhalten steckte. Mitsy behauptetet steif und fest, dass „diese Andrelini“ einen schlechten Einfluss auf ihre Tochter ausübte, und in diesem Punkt gab Rhys ihr ausnahmsweise recht.

Er musste sie unbedingt loswerden. Lucie zuliebe und um seiner selbst willen.

Die ersten Bedenken kamen Teresa, sobald Rhys’ Anwesen in Sicht kam. Ein großes weißes Haus im Kolonialstil thronte wie ein schlafender Riese auf einem begrünten Hügel direkt am Strand. Ein Sammelsurium aus Gebäuden in verschiedenen Pastelltönen, jedes mit einem roten Ziegeldach, umgab das Haupthaus.

So viel zu der schlichten Ferienhütte, die ich erwartet hatte. „Wow! Das ist ja enorm. Fast ein kleines Dorf.“

„In einigen der Häuser wohnt das Personal, aber überwiegend handelt es sich um Schuppen und Scheunen.“

Teresa war nicht nur beeindruckt von dem Ausmaß des Landsitzes, sie begriff auch, dass die veränderte Situation ihm einen deutlichen Vorteil verschaffte. Weil er sich auskannte, wusste er genau, wo Lucie zu finden war. Sie dagegen hatte nicht die leiseste Ahnung.

Es erschien ihr naheliegend, im Hauptgebäude mit der Suche zu beginnen. Um als Erste dorthin zu gelangen, musste sie allerdings abspringen und loslaufen, sobald sie den Steg erreicht hatten. Mit etwas Glück bekam sie einen kleinen Vorsprung, während Rhys das Boot vertäute.

Doch er machte ihr einen Strich durch die Rechnung, indem er das Boot an der Anlegestelle vorbeigleiten und auf den Sandstrand auflaufen ließ. Mit einer geschickten Bewegung schnappte er sich den Motor, sprang ins seichte Wasser und rannte los.

Sie setzte ihm nach und rief: „Du hast gerade deine Fünfhundertdollarschuhe ruiniert!“

Nicht, dass es ihn kümmerte. Bei seinem Reichtum standen wahrscheinlich Hunderte gleichwertiger Paare in seinem Schrank.

Sie beobachtete, wie er die Stufen zur Veranda hinauflief, und verabschiedete sich von ihrer letzten Hoffnung, ihm zuvorzukommen. Sie konnte nur noch schreien: „Lucie! Komm raus, Lucie! Wir müssen reden.“

Wie aufs Stichwort flog die Haustür auf. Allerdings war es nicht Lucie, die mit Rhys kollidierte, sondern eine kleine dunkelhaarige Frau mittleren Alters. Ihre Uniform aus schwarzem Kleid und weißer Schürze deutete darauf hin, dass sie die Haushälterin war.

„Ich habe jemanden rufen gehört.“ Ihr Blick glitt zwischen ihm und Teresa hin und her. „Irgendetwas nicht in Ordnung, Mr. Paxton?“

„Nein. Es ist alles bestens. Ich suche Miss Beckwith. Ist sie oben?“

„Sie ist gestern Abend wieder abgereist. Hat sie denn gar nicht angerufen?“

Rhys drehte sich um und starrte Teresa finster an, als wäre auch das ihre Schuld. Dann wandte er sich wieder an seine Haushälterin. „Hat sie gesagt, wohin sie will?“

„Sie hat meinen Enkel Raymond gebeten, sie in seinem Fischerboot nach Miami zu bringen.“

„Sonst hat sie nichts gesagt?“

„Nur, dass es ihr leidtut. Und dass sie ihr Brautkleid oben gelassen hat. Sie möchte, dass Sie es ihrer Mutter schicken.“

Teresa bemerkte, dass er den Kopf hängen ließ. Ein wenig fühlte sie mit ihm. Ihre eigene Enttäuschung, Lucie nicht angetroffen zu haben, war jedoch stärker. „Wir müssen schnellstens nach Miami zurück und versuchen, sie im Hafen einzuholen.“

„Prinzipiell hast du recht“, pflichtete Rhys ihr bei. „Nur gibt es kein ‚wir‘. Ich fahre allein nach Miami.“ Er wandte sich ab, um zum Boot zurückzugehen.

Sie packte ihn am Arm. „Moment mal! Du kannst mich nicht einfach hierlassen.“

„Warum nicht? Ich bin nicht verpflichtet, einen blinden Passagier zu transportieren. Außerdem hast du keinen Pass. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich das Risiko eingehe, von der Hafenpolizei angehalten zu werden.“

„Das ist niederträchtig. Selbst für deine Verhältnisse.“

Er zuckte mit den Schultern und entfernte ihre Hand von seinem Arm. „Ich bezweifle nicht, dass es dir schon bald gelingt, dich von dieser Insel zu mauscheln. Bis dahin wird Rosa dafür sorgen, dass du zu essen und einen Schlafplatz hast.“

Teresa sah ihm nach, wie er davonging. „Ich dachte, wir hätten einen Waffenstillstand vereinbart!“

Über eine Schulter entgegnete er: „Falls du dich erinnerst, ich habe nie zugestimmt.“

Rückblickend fiel ihr ein, dass er geschickt das Thema gewechselt und sie gebeten hatte, den Anker zu setzen. „Du … du …!“

„Leb wohl, Teresa.“ Mit langen Schritten, mit denen sie niemals hätte mithalten können, lief er zum Schlauchboot und startete den Motor.

Ihr war danach zumute, hinter ihm herzuschreien, ihm mit erhobener Faust zu drohen und mit dem Fuß aufzustampfen. Doch was hätte das genutzt? „Ich dachte, du seist ein Gentleman!“, rief sie ihm trotzdem nach. „Aber du hast mir nicht mal Kleidung zum Wechseln dagelassen.“

Als Antwort warf er Lucies Reisetasche über Bord. „Da! Such dir diesmal was aus, was dir passt.“

Sie wusste selbst, wie albern sie in dem zu knappen Outfit aussah. „Der Mann ist wirklich ein Unmensch“, murrte sie vor sich hin, während sie die Reisetasche zur Veranda zerrte.

„Oh nein“, protestierte Rosa, die auf sie zugeeilt kam, um ihr mit dem Gepäck zu helfen, „für uns hier auf der Insel ist Mr. Paxton fast so etwas wie ein Heiliger.“ Sie lud Teresa ins Haus ein, setzte Kaffee auf und sang dabei wahre Loblieder auf Rhys’ Tugenden. „Meine Familie wäre obdachlos, hätte Mr. Paxton uns letztes Jahr nach einem Hurrikan nicht unter die Arme gegriffen. Er hat uns finanziell unterstützt und sogar mit bloßen Händen geholfen, die Häuser wieder aufzubauen.“

Eine Weile lauschte Teresa den Lobeshymnen, weil sie eine Tasse Kaffee gebrauchen konnte und es ihr ganz natürlich erschien, dass eine Haushälterin sich bemüßigt fühlte, ihren Arbeitgeber zu verteidigen.

Nach fünfzehn Minuten hielt es sie nicht länger auf dem Stuhl. Taten sagen mehr als Worte, dachte sie sich, und der sogenannte Heilige hatte sie gerade buchstäblich auf dem Trockenen sitzen lassen. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen. Zum hundertsten Mal wünschte sie sich ihr Handy zurück.

„Darf ich mal telefonieren?“, bat sie und wurde in ein Gästezimmer mit Festnetzanschluss geführt.

Ich hätte die zweite Tasse Kaffee nicht ablehnen sollen, dachte sie mit sehnsüchtigem Blick auf das breite Himmelbett. Entschieden wehrte sie sich gegen die Müdigkeit und griff zum Telefon.

Als Erstes wählte sie sich in ihre Sprachbox ein. Vier Nachrichten waren eingegangen. Von ihrer Mutter, die eindringlich an das Familienessen am nächsten Sonntag erinnerte, sowie von Quinn, Alana und wie erhofft von Lucie.

Die Botschaft, offensichtlich in angetrunkenem Zustand gesprochen, war verworren und schwer verständlich, erweckte aber Zuversicht. Anscheinend wollte Lucie nicht reumütig zu Rhys zurückkehren, sondern sich einen Mann suchen, in den sie sich wahnsinnig, unsterblich, bis über beide Ohren verlieben konnte.

Vorsichtshalber spielte Teresa die Nachricht erneut ab. Die Euphorie legte sich schnell wieder. Was mochte Lucie damit meinen, dass sie an den Punkt zurückkehren wollte, an dem sie zum ersten Mal einen falschen Kurs eingeschlagen hatte?

Mit einem bangen Gefühl erkannte Teresa, dass Lucie dabei an ihre Studienzeit dachte. Genauer gesagt: an ihre ausgeflippte Jugendsünde Bobby, der in krassem Gegensatz zu dem ach so steifen Rhys Paxton stand.

Lässig, gut aussehend und unbekümmert – Bobby war der Inbegriff des bösen Jungen. Für Eltern mochte er den ultimativen Albtraum bedeuten; für ein junges, behütetes Mädchen wie Lucie hatte er ein unwiderstehliches Abenteuer versprochen.

Womöglich wäre sie für immer mit ihm zusammengeblieben, wäre nicht die bedauerliche Episode in Mexiko dazwischengekommen. Damals hatte Lucie schwören müssen, ihn nie wiederzusehen.

Andernfalls hätte Rhys sich nicht für Bobbys Freilassung eingesetzt, sondern ihn im Gefängnis schmoren lassen.

Sie hatte sich an ihr Versprechen gehalten, es aber immer bereut und sich gefragt: Was wäre, wenn …

Die Vorstellung, dass sie sich nun wieder auf Bobby einlassen wollte, war erschreckend. So allein, verletzlich und von Natur aus impulsiv, wie sie war, konnte sie diesmal richtig in die Klemme geraten.

Teresa stürmte die Treppe hinunter. Sie musste sofort fort von dieser Insel und Lucie finden, bevor es zu spät war.

3. KAPITEL

Zum zigsten Mal schaute Rhys auf die Uhr und dann wieder hinauf zur Anzeigentafel. „Delayed“ blinkte dort immer noch. Anscheinend herrschte wieder Startverbot wegen Gewitterstürmen.

Im Geist zählte er langsam bis zehn, um sich in Geduld zu üben. Er hatte bereits zweieinhalb Tage damit verschwendet, die Hafengegend von Miami nach Lucie zu durchkämmen. Ohne Erfolg. Sie war weder in einem Hotel noch bei Freunden abgestiegen und – zu seiner großen Erleichterung – auch nicht in einem Krankenhaus gelandet. Sie war einfach wie vom Erdboden verschluckt.

Eigentlich konnte er nach Hause zurückkehren und sich um seine Geschäfte kümmern. Früher oder später geht ihr das Geld aus, und dann ruft sie mich an, dachte er. Wie sie es immer tat.

Sein Bruder Jack hatte geflissentlich zu erwähnen vergessen, dass in der Filiale in Dallas eine ernste Krise drohte. Da Rhys jedoch in weiser Voraussicht seinen Laptop mitgenommen hatte, war er auf das Problem gestoßen und hatte es soeben behoben. Nun rieb er sich die Augen, die vor Anstrengung und Schlafmangel brannten, und übersah beinahe den Rotschopf, der an ihm vorbeihuschte.

Er blinzelte mehrmals. Vermutlich spielten ihm seine übermüdeten Sinne einen Streich.

Aber nein, es war tatsächlich Teresa, die zum nächsten Abfertigungsschalter ging und ihre Bordkarte vorlegte. Ihr Körper war nun von schwarzen Jeans und einer grünen Seidenbluse angemessen verhüllt. Trotzdem hatte sie eine sehr sinnliche Ausstrahlung.

Rhys richtete sich auf und las das Schild über dem Schalter. New Orleans. Abrupt war er hellwach. Fest entschlossen, ihr keinen Vorsprung zu gewähren, sprang er auf und rannte zum Gate. Leider war die Maschine ausgebucht, aber den nächsten Flieger würde er besteigen. Soviel war sicher.

„Bobby? Der ist nicht hier.“

Teresa stöhnte enttäuscht und starrte Bobbys Cousin finster an. Mit seinem schmierigen braunen Haar und dem unrasierten Gesicht, in fleckigen Jeans und ärmellosem Sweatshirt sah Beau Boudreaux wie ein Penner aus. Es war zwei Uhr morgens, und es fiel ihr schwer, sein Lallen zu verstehen. „Erwartest du ihn demnächst zurück?“

Er schwankte und sah sie verständnislos an. „Wen?“

„Bobby. Ich habe dich gefragt, ob ich ihn sprechen kann.“

„Kannst du nicht.“

„Wieso nicht?“

„Weil er nicht hier ist. Ist nach Hollywood gegangen. Im April. Oder war’s im Mai?“

„Bobby ist in Kalifornien?“

„Ja. Macht Filme.“ Beau grinste. „Ist das nicht ein Brüller? So toll, wie er aussieht, haben alle gedacht, dass er Schauspieler wird. Keiner hat geahnt, dass er mal selbst Filme machen wird.“

Teresa wich instinktiv zurück, als er sich vorbeugte, wie um ihr ein wichtiges Geheimnis anzuvertrauen.

„Filmproduktion, das ist jetzt sein Ding. Hat sich einen Sponsor geangelt, der nicht weiß, was er sonst mit seinem vielen Geld anfangen soll. Drüben an der Küste. In Beverly Hills. Da nimmt mein kleiner Cousin einen reichen Pinkel aus und lässt sich’s gut gehen.“

„Eine Adresse hast du nicht?“

„Doch, klar!“ Beau ging zu einer Kommode im Flur und kramte einen zerknitterten Zettel aus einer Schublade.

Teresa riss ihm das Papier aus der zittrigen Hand und stopfte es sich in die Hosentasche. Um ihn davon abzulenken, fragte sie: „Ich schätze, er hat niemanden mitgenommen, oder?“

„Nein. Aber die Blonde, die neulich nach ihm gefragt hat, die wollte zu ihm. Hübsches Ding. Mann, die hätte ich zu gern …“

„Blond?“

„Ja, die Kleine hat früher immer mit Bobby rumgehangen.“ Mit sichtbarer Mühe fokussierte er den Blick auf Teresa. „Du warst auch dabei! Jetzt erkenne ich dich wieder.“ Er grinste. „Komm doch rein. Ich hab noch ’nen Sixpack. Wir kippen uns einen hinter die Binde und quatschen über die alten Zeiten.“

Sie wich zurück.

„He, wo willst du hin?“

„Es war toll, dich wiederzusehen, aber ich bin auf dem Sprung.“ Sie eilte über die Straße und rief dabei über die Schulter: „Muss ’nen Flieger erwischen.“

Glaubte er wirklich, dass sie auch nur einen Fuß in die schmuddelige Bude gesetzt hätte, die er sein Zuhause nannte? Die beschwerliche Suche nach Lucie war ja wohl schon Tortur genug …

Über zwei Tage waren vergangen, bis sie von den Bahamas nach New Orleans gelangt war. Zunächst hatte sie auf die Rückkehr von Rosas Enkelsohn Raymond warten müssen und danach beträchtliche Geduld sowie einen Großteil ihrer Barschaft geopfert, um ihn zu überreden, noch einmal nach Florida überzusetzen.

Endlich in Miami angekommen, hatte die Bürokratie kostbare Zeit in Anspruch genommen. Erst mit Quinns Hilfe, die als Anwältin in Regierungskreisen verkehrte, war Teresa schließlich zu neuen Reisedokumenten gekommen.

Und jetzt musste sie nach Kalifornien fliegen.

Sie hielt ein Taxi an und kämpfte gegen ihr wachsendes Unbehagen. Ihr Bargeld verringerte sich beängstigend schnell, trotz beträchtlicher Zuschüsse von Quinn und Alana. In dem Rucksack, der mit Lucies weitesten Kleidungsstücken und Toilettensachen vollgestopft war, befanden sich außerdem dreihundert Dollar, die sie in einer Tasche gefunden hatte und Lucie bringen wollte. Falls die Suche noch lange dauerte, würde allerdings nichts davon übrig bleiben.

Und was soll werden, wenn ich sie finde? Wovon zwei Menschen ernähren, für zwei Unterkünfte aufkommen, die lange Rückfahrt nach Hause bezahlen?

Das alles hatte Teresa zu Beginn dieser Suche nicht bedacht. Da war ja auch Rhys dabei gewesen, der sich um alles gekümmert hatte.

Unwillkürlich fragte sie sich, wo er sein, was er tun mochte. Wahrscheinlich trat er noch immer in Miami auf der Stelle. Sie grinste vor sich hin. Sein Starrsinn gestattete ihm sicherlich nicht, sich geschlagen zu geben. Oder sah er inzwischen ein, dass es falsch gewesen war, sie so zu unterschätzen und zurückzulassen? Spätestens, sobald sie Lucie aufgespürt hatte, musste er zu dieser Erkenntnis gelangen.

Mal sehen, wie dir das gefällt, dachte sie. Er fand es bestimmt auch nicht lustig, im Regen stehen gelassen zu werden.

Ganz allmählich wachte Teresa aus einem unruhigen Schlaf auf. War es Traum oder Wirklichkeit, dass Rhys sie über einen breiten, tiefen Strom im Dschungel trug? Seine nackte Brust war schweißüberströmt, denn es war heißer als in Miami im Hochsommer, und das lag nicht nur an der feucht-warmen Luft. Einen Großteil der Hitze erzeugte die Reibung ihrer Körper aneinander.

Im Halbschlaf gefangen, spürte sie die Erregung, hörte ihn ihren Namen flüstern, fühlte seinen warmen Atem auf der Wange, roch den dezenten Duft seines Aftershaves.

Widerstrebend schlug sie die Augen auf – und sah Rhys Paxton dicht neben sich hocken. Entgeistert fuhr sie hoch und stieß beinahe mit dem Kopf gegen sein Kinn.

Hastig richtete er sich auf und trat einen Schritt zurück. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte er steif. „Aber wir müssen unbedingt reden.“

Ihr Kopf wurde wieder klar. Sie stellte fest, dass sie auf einem Gangplatz in einem Flugzeug saß und Rhys’ Outfit total ungeeignet für den Dschungel war. Zu einem grauen Anzug trug er ein kobaltblaues Hemd und eine gestreifte Krawatte in für seine Verhältnisse gewagt kräftigen Farben. Mit seinem frisch rasierten Gesicht war er bürotauglich.

Ich dagegen … Da sie in letzter Zeit herzlich wenig Schlaf bekommen hatte, musste sie furchtbar aussehen. „Was willst du hier?“, fauchte sie.

Mit einem selbstzufriedenen Grinsen setzte er sich auf einen leeren Platz auf der anderen Seite des Gangs. „Dasselbe wollte ich dich fragen.“

Teresa bemühte sich, ihre wirren Gedanken zu ordnen. Offensichtlich war er ihr gefolgt. Aber wie hatte er sie gefunden? Wann? Wo? „In Miami“, dachte sie laut. „Du hast dort auf der Lauer gelegen?“

Einen Moment wunderte er sich über ihren Scharfsinn. Er wollte ihr nicht groß und breit erklären, wie er ihr nach New Orleans gefolgt war und instinktiv die Wohnung von Lucies Exfreund aufgesucht hatte. Die Adresse war ihm in Erinnerung geblieben, weil er damals in Cancún für Bobby Boudreaux ein kleines Vermögen an Kaution vorgestreckt und nie zurückerhalten hatte. „Das tut nichts zur Sache. Alles, was dich interessieren sollte, ist, dass ich hier bin und nicht weggehen werde. Uns bleibt …“, er hielt inne und konsultierte seine Uhr, „… ungefähr eine Stunde und fünfzig Minuten bis zur Landung. Also kannst auch du vorläufig nicht verschwinden.“

Die letzten Überreste ihres Traums verflüchtigten sich bei seinen schroffen Worten. „Okay. Was willst du?“

Er ignorierte ihren ungnädigen Tonfall. „Ich habe über das nachgedacht, was du gesagt hast. Ein Waffenstillstand ist vielleicht doch eine gute Idee.“

„Ach, jetzt macht der gnädige Herr plötzlich auf nett! Hat das zufällig mit der Tatsache zu tun, dass ich eine brauchbare Spur habe und er nicht?“

Das selbstgefällige Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. „Uns aneinander zu messen, bringt uns nicht weiter. Wenn wir Lucie wirklich finden wollen, sollten wir die Chancen erhöhen, indem wir unsere Kräfte bündeln.“

Teresa schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich versuche, sie in Sicherheit zu bringen und nicht, sie der Inquisition auszuliefern.“

„Ist es etwa deine Vorstellung von Sicherheit, sie einer zwielichtigen Gestalt wie Boudreaux zu überlassen?“

Dass er von Bobby weiß, ist gar nicht gut. Sie vermutete, dass er sich nur herabließ, mit ihr zu reden, weil er noch nicht alle Teile des Puzzles zusammengesetzt hatte. Er hielt sich für clever, aber sie durchschaute ihn. Er plante, sie zu benutzen und wieder abzuservieren, sobald er sein Ziel erreicht hatte. „Du verlangst von mir, dass ich dir vertraue, nachdem du mich ohne Pass in einem fremden Land zurückgelassen hast?“

„Das war gemein, zugegeben. Ich hatte einen harten Tag und konnte nicht klar denken. Aber jetzt …“

„Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich jetzt etwas habe, das du willst.“

Einen Moment starrte er sie stirnrunzelnd an. Schließlich nickte er ernst. „Du hast recht.“

Dieses Eingeständnis kam völlig unerwartet und entwaffnete sie.

Bis er hinzufügte: „Aber vergiss nicht, dass ich die Mittel und Beziehungen habe, um die Suche endlos auszudehnen. Ich werde nicht aufgeben, bis ich sie finde. Mit oder ohne deine Hilfe.“

„Ist das eine Drohung?“

Gelassen lehnte Rhys sich auf seinem Sitz zurück. „Nein. Nur eine Feststellung. Ich garantiere, dass ich sie irgendwann nach Hause zurückhole. Kannst du das auch von dir behaupten?“

„Sieh an, sieh an! Wir sind ja gar nicht eingebildet, wie?“

„Überhaupt nicht. Ich bin realistisch. Wir beide wissen, dass dir die Mittel lange vor mir ausgehen werden.“

Sie dachte an die dreihundert Dollar in ihrem Rucksack. Ein behagliches Polster auf kurze Sicht, aber wenn sich die Suche länger hinzog … Nein, darüber würde sie sich erst Gedanken machen, wenn es so weit war. „Vergiss es. Dein Vorschlag bedeutet einen Gewinn auf ganzer Linie für dich, aber für mich schaut gar nichts dabei raus. Ich lasse meine beste Freundin doch nicht in eine lieblose Ehe tappen.“

„Lucie und ich haben eine solide, warmherzige Beziehung“, protestierte er. „Du hast dich immer geweigert, das anzuerkennen. Aber es stimmt. Ich war immer für sie da. Wenn du mir das nicht glaubst, kannst du sie ja fragen, sobald wir sie finden. Ich bin überzeugt, dass du feststellen wirst, dass sie diese Ehe genauso eingehen will wie ich.“

„Deswegen ist sie auch vom Altar geflohen“, höhnte Teresa.

„Sie ist in Panik geraten. Wer kann ihr das verdenken? Die vielen fremden Leute in der Kirche, ihre nörgelnde Mutter und dazu ihre Freundinnen, die ihr unsinnige Flausen in den Kopf gesetzt haben.“

„Mal angenommen, ich kaufe dir ab, dass sie in Panik geraten ist. Inzwischen sind Tage vergangen. Sie hatte genug Zeit, um zur Vernunft zu kommen und nach Hause zurückzukehren.“

„Mitsy hat ein ganzes Vermögen für diese Hochzeit ausgegeben. Würdest du ihr in absehbarer Zeit unter die Augen treten wollen?“

Da ist was dran. „Okay, aber warum hat sie dich nicht kontaktiert? Wo ihr doch diese solide, warmherzige Beziehung habt.“

„Das ist kompliziert. Du würdest es nicht verstehen.“

„Lass es doch mal darauf ankommen.“

„Mir ist klar, dass du mich gern als Bösewicht hinstellen möchtest. Aber ich will nur sichergehen, dass es ihr gut geht. Sobald ich mich davon überzeugt habe, kannst du mit ihr reden, soviel du willst.“

„Selbst wenn ich ihr ausrede, dich zu heiraten?“

Rhys zuckte mit den Schultern. „Du kannst es gern versuchen. Aber vorläufig brauchst du mich genauso wie ich dich. Wir müssen Lucie finden, bevor sie sich in ernste Schwierigkeiten bringt.“

Sie forschte in seinem Gesicht. Es fiel ihr schwer, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. „Meine Bedingung ist, dass du mich als Erste mit Lucie sprechen lässt.“

„Warum sollte ich mich darauf einlassen?“

„Weil du überzeugt bist, dass sie diese Ehe ebenso will wie du. Was hast du also zu verlieren?“

Er musterte sie argwöhnisch, nickte aber schließlich und reichte ihr die Hand. „Also gut. Abgemacht.“

Sie war nicht überzeugt, ob sie ihm vertrauen konnte. Doch je mehr sie darüber nachdachte, umso vernünftiger erschien es ihr, ihre Kräfte zu bündeln. Er hatte all das Geld. Warum also nicht ihn für die Fahrtkosten aufkommen lassen? „Du näherst dich Lucie also nicht, bevor ich ihr meine Meinung gesagt habe?“

Er reichte ihr die Hand. „Ich gebe dir mein Wort darauf.“

Teresa beugte sich zu ihm hinüber und schlug ein. Die Berührung wühlte sie auf. Vielleicht sollte sie ihre Einstellung zu ihm doch überdenken? Sie musste anerkennen, dass sein Händedruck sehr fest und gleichzeitig sanft, warm und ehrlich wirkte. Wenn sie wirklich überzeugt war, dass man den Charakter eines Mannes nach seinem Händedruck beurteilen konnte, kam sie nicht umhin, an seine Aufrichtigkeit zu glauben.

Beinahe erschrocken begegnete sie seinem Blick, während er immer noch ihre Hand hielt. Ihr war nie zuvor aufgefallen, wie tiefblau seine Augen waren, wie aufrichtig und direkt. Einen Moment lang verlor sie sich in ihnen. Im Geist wanderte sie zu ihrem Traum zurück und fühlte sich unwillkürlich erhitzt, atemlos, ja beinahe …

Bist du total verrückt geworden? Das ist Rhys Paxton – der arroganteste Mann, den du kennst, und dazu der Verlobte deiner besten Freundin!

Abrupt entzog sie ihm die Hand und winkte ihn mit einer ungehaltenen Geste fort. Sie beobachtete, wie er zum vorderen Bereich des Flugzeugs ging und verdrehte die Augen. Natürlich flog er First Class.

Nun, diese Runde ging an ihn, aber das hieß noch lange nicht, dass er ihr immer überlegen sein würde. Sie gab nicht viel auf sein Wort. Er mochte nicht so egoistisch und rücksichtslos sein, wie sie ihm gern unterstellte, aber die Rhys Paxtons dieser Welt verfolgten so gut wie immer ihre eigenen Ziele, zu denen es höchst selten zählte, den Teresa Andrelinis zur Seite zu stehen. Auch wenn sie notgedrungen mit ihm zusammenarbeitete, musste sie ihm noch lange nicht vertrauen.

Müde sank Rhys auf den weichen Ledersitz, doch er war zu aufgewühlt, um zu schlafen. Er sorgte sich um Lucie und fragte sich, wo sie stecken, was sie tun, in welche Schwierigkeiten sie diesmal geraten sein mochte.

Ihm lag sehr viel an ihr, auch wenn Teresa das anders sah. Wie konnte sie von einer lieblosen Verbindung sprechen? Sie ließ es klingen, als handle es sich zwischen ihm und Lucie um ein rein geschäftliches Agreement.

Zugegeben, es mangelte der Beziehung an den romantischen Gefühlen eines Liebesromans, aber er kümmerte sich seit Jahren um Lucie. Jeder wusste, dass sie sich keinen verlässlicheren Ehemann wünschen konnte. Aber …

Sobald er Teresas warme, weiche Haut berührte, regte sich etwas in seiner Brust. Wenn er ihre Hand in seiner hielt und ihr in die tiefgründigen smaragdgrünen Augen sah, geriet sein Pflichtgefühl gegenüber Lucie ein klein wenig ins Wanken.

Und wieso regte sich sein Gewissen, weil er sie in der Touristenklasse eingezwängt sitzen ließ, während er die Luxusklasse genoss?

Entschieden wehrte er sich gegen die seltsame Anwandlung. Es ging nicht um irgendjemandes Komfort, sondern allein um die Suche nach Lucie. Um dieses Ziel zu erreichen, musste er sich auf seine nächsten Schritte konzentrieren.

Er hatte einen Leihwagen und zwei Plätze für den Nachtflug nach New York reserviert. Sofern die Gepäckabfertigung nicht in den angedrohten Streik trat, konnte er schon am nächsten Morgen mit Lucie wieder zu Hause sein und zur Tagesordnung übergehen.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht schloss er die Augen. Er war wieder am Zug. Genau so, wie es ihm gefiel.

Zum Glück verstand Teresa sich darauf, Straßenkarten zu lesen. Sie dirigierte Rhys auf die Autobahn 405 in Richtung Santa Monica und grinste heimlich über sein unablässiges Gemurre.

Wegen einer Verwechslung hatte die Leihwagenfirma ihm nicht die vorbestellte Luxuskarosse, sondern einen kleinen, klapprigen Chrysler Neon zur Verfügung gestellt. Und als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er nicht in seinem gewohnten Stil reisen konnte, war zu allem Überfluss auch noch sein Gepäck verloren gegangen.

Ausgleichende Gerechtigkeit, dachte sie. Seine eleganten Anzüge und Krawatten mochten ihm wirklich abgehen, sich über den fehlenden Laptop zu beschweren, fand Teresa allerdings unangebracht, da er Lucie ursprünglich versprochen hatte, keine Arbeit mit auf die Reise zu nehmen.

Als sie im Seitenfenster Palmen erblickte, seufzte sie zufrieden. Für sie gab es nichts Schöneres als einen Sommertag in Südkalifornien. Das Einzige, was noch fehlte, waren die Beach Boys, die aus dem Radio trällerten.

Sie folgten Beaus Wegbeschreibung in die Hügel und hielten schließlich vor einer ultramodernen Kreation aus Betonstein und Glas. Offensichtlich hatte Bobby sich tatsächlich einen megareichen Gönner geangelt.

Als sie über einen langen Gartenweg auf die Eingangstür aus Edelstahl zuging, fühlte sich Teresa wie Dorothy auf dem Weg ins Märchenland Oz.

Es war jedoch keine böse Hexe, die sie empfing, sondern eine junge und sehr angetrunkene Blondine in einem knappen gelben Bikini. Auf die Frage nach Bobby schüttelte sie kichernd den Kopf. „Der ist nicht hier, aber ihr könnt gern mitfeiern.“

Hinter dem Haus rief jemand: „He, Gigi, wo bleibst du denn?“ Kreischend lief das Mädchen davon.

„Gehen wir“, entschied Teresa. Während sie sich anschickte, das Haus zu betreten, wandte Rhys sich zum Auto um. „Ich meinte, gehen wir rein.“

„Herrje, denkst du jemals an etwas anderes als ans Feiern?“

Verärgert stemmte sie die Hände in die Hüften. „Und du? Guckst du jemals über deinen Tellerrand hinaus?“

„Ich glaube nicht …“

„Nur zu deiner Information: Ich bin auch nicht in Partylaune, aber es kann nicht schaden, sich unter die Gäste zu mischen. Wollen wir wetten, dass jemand da drinnen weiß, wo Bobby steckt und ob er mit oder ohne Lucie dort ist?“

Mit finsterer Miene starrte er auf die offene Haustür und schüttelte den Kopf.

„Gut, wenn du einen besseren Ansatz hast … Ich für meinen Teil gehe rein und suche Lucie.“

4. KAPITEL

Rhys war Teresa ins Haus gefolgt, um ihr zu beweisen, wie hervorragend er sich darauf verstand, durch geschicktes Verhandeln wertvolle Informationen zu ergattern.

Allerdings kamen ihm schon bald Bedenken. Derartiges Verhandeln erforderte einen gemeinsamen Ausgangspunkt. Aber wie sollte er Gemeinsamkeiten mit diesen neureichen Hollywoodtypen finden? Von dem reich verzierten Kristalllüster bis zu den Unmengen an poliertem Chrom und schwarzem Marmor machte das Haus eine eindeutige Aussage über seinen Besitzer: dass er kürzlich Unsummen verdient hatte und nicht wusste, was er damit anfangen sollte.

Der Garten hinter dem Gebäude war beeindruckend. Schmiedeeiserne Zäune grenzten einen riesigen Bereich für sportliche Aktivitäten ab. Die Beläge der Tennis- und Basketballplätze sahen so makellos aus, dass sie entweder neu angelegt worden waren oder höchst selten benutzt wurden.

Der Pool, umgeben von üppigen Sträuchern und gurgelnden Wasserfällen, schien aus einem Tarzanfilm zu stammen. Die hochmoderne Außenküche war nicht weniger pompös.

Rhys’ vage Hoffnung, mit dem Besitzer doch noch eine gemeinsame Basis zu finden, schwand dahin, als er mitten auf der Rasenfläche die drei Meter hohe Statue eines nackten Adonis erblickte, umgeben von einem Dutzend steinerner Jungfern, die bewundernd zu ihm aufsahen.

In Einklang mit dem Motiv waren die meisten Gäste weiblich. Das Durchschnittsalter lag unverkennbar unter zwanzig. Sie alle waren dürftig bekleidet, schlürften Champagner aus der Flasche und fühlten sich sichtlich wohl im Playboymilieu.

Trotz allem machte Rhys seine Runde und bemühte sich um produktive Gespräche. Er fühlte sich fehl am Platz in seinem grauen Anzug. Die Mädchen kicherten über seine Fragen, die Jungen fielen ihm einfach ins Wort. Sie waren da, um zu chillen, und nicht, um ernsthafte Gespräche zu führen.

Teresa hingegen schien in ihrem Element zu sein. Zahlreiche Leute umringten sie und lauschten eifrig, während sie mit ausholenden Gesten redete.

Als die Gruppe in lautes Gelächter ausbrach, fiel ihm wieder ein, warum Lucie ihre frühere Mitbewohnerin so gern mochte: Teresa war einfach amüsant. Wenn sie lächelte, war das wie Sonnenschein an einem kalten Wintertag. Ihr Lachen war ansteckend und ausgelassen.

Rhys beobachtete, wie sie ihr Publikum begeisterte, und musste zugeben, dass sie über ein gewisses Rattenfänger-Talent verfügte. Besonders ein blutjunger Surfer, der etliche Jahre jünger war als sie, tanzte nach ihrer Pfeife und bediente sie mit Champagner.

Machte sie sich einen Spaß daraus? Nein, anscheinend merkte sie gar nicht, wie lüstern er sie ansah. Ganz arglos zog sie ihn auf die geflieste Fläche neben dem Pool, die als Dancefloor diente.

In einer Hand das Glas, die andere in die Hüfte gestemmt, wiegte sie sich zur lateinamerikanischen Musik – mit der sinnlichen Grazie einer Schlange, die der Flöte des Schlangenbeschwörers gehorcht. Der arme Junge war geradezu mitleiderregend gefesselt.

Genau wie du, durchfuhr es Rhys, als ihm klar wurde, wie fasziniert er sie anstarrte. Er riss sich aus seiner Verzückung und trat zu ihr. „Das reicht.“ Er nahm ihr das Glas aus der Hand und schüttete es aus.

„Da ist aber jemand mit dem falschen Bein aufgestanden“, spottete sie und tanzte unbeirrt weiter. „Schade um den Champagner.“

„Mach dir nichts draus. Ich hol dir ein neues Glas“, tröstete der Junge sie und lief davon.

Rhys konnte seine Verstimmung nicht verbergen. „Ich dachte, unser Ziel wäre, Lucie zu finden. Nicht, uns zu besaufen.“

„Ich hatte erst ein einziges Glas. Vielleicht ist es für dich ja alltäglich, aber für mich ist es ein besonderes Vergnügen, Champagner zu trinken. Hast du eine Ahnung, wie oft ich mir das Zeug bei meinem Budget leisten kann?“

„Und wie kannst du der Versuchung widerstehen, wenn du deinen Lustknaben hast, der dich bedient.“

„Eifersüchtig?“

„Nein. Ich hab die Nase voll. Hör auf, dich wie ein Teenager im Frühling zu benehmen, und lass uns hier verschwinden.“

Verärgert fauchte Teresa: „Wer hat dich denn hier zum Boss gemacht?“

Ihm fiel auf, dass sich viele Köpfe zu ihnen umdrehten. „Mach keine Szene, und komm mit“, verlangte er und packte sie am Arm.

„Verschwinde, Alter! Die Kleine gehört zu mir!“, rief der Junge und beförderte Rhys mit einem Stoß in den Pool. Unter lautem Gejohle sprang ein Partygast nach dem anderen ins Wasser.

Rhys tauchte wieder auf und rang nach Atem. Teresa grinste ihn vom Beckenrand aus an. „Tut mir leid“, behauptete sie und wirkte dabei kein bisschen zerknirscht. „Komm, ich helfe dir.“ Sie beugte sich vor und reichte ihm die Hand.

Ganz impulsiv, aus einem unerklärlichen Bedürfnis heraus, zog er sie zu sich herunter. Selbst überrascht von seinem spontanen Verhalten, holte er sie schnell an die Oberfläche.

Anstatt ihn wütend zu beschimpfen, strich sie sich lachend das Haar aus dem Gesicht. „Diese Runde geht an dich. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für dich.“

Ihre Augen funkelten, ihr ganzes Gesicht strahlte vor Belustigung. Wie glücklich sie wirkte, wie lebensfroh! Plötzlich drängte es ihn, sie noch näher an sich zu ziehen.

„Mir ist kalt“, sagte sie unvermittelt, und schon schwamm sie an den Rand und kletterte hinaus.

Seltsam, dachte er verwundert, mir war seit Jahren nicht so warm im Innern.

Nicht, dass das Gefühl anhielt. Als Rhys die oberste Stufe der Leiter erreichte, fröstelte er in der kühlen nachmittäglichen Brise.

Teresa gab ihm ein Handtuch. „Du siehst aus wie ein begossener Pudel.“

Autor

Teresa Hill

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