Bianca Exklusiv Band 343

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IST ES DIESMAL LIEBE? von KAREN ROSE SMITH
Eingeschneit – mit dem Mann ihrer Träume! Als Emily mit ihrem Chef Brad in einer romantischen Blockhütte übernachten muss, kommen sie sich näher – hautnah! Doch Brad macht Emily klar: Sie ist nicht mehr als eine Affäre für ihn …

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Er verwechselt sie! Eigentlich ist Sarah nur zu Ridge Bowman gefahren, um ihm ein schreckliches Familiengeheimnis zu gestehen … Soll sie die Chance ergreifen, dem attraktiven Rancher zum Fest der Liebe ganz nah zu sein?

DAS GLÜCK WARTET NEBENAN von LINDA WARREN
Vor lauter Kummer sieht Gabe nichts Schönes mehr. Dabei ist seine Nachbarin Lacey so süß und sexy – mit ihr könnte er eine strahlende Zukunft haben! Aber erst, wenn Gabe endlich vergisst, dass er der Liebe abgeschworen hat …


  • Erscheinungstag 03.12.2021
  • Bandnummer 343
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501217
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Rose Smith, RaeAnne Thayne, Linda Warren

BIANCA EXKLUSIV BAND 343

1. KAPITEL

„Ich bin jedenfalls nicht der Vater!“, erklärte Brad Vaughn wütend.

Vaughn & Associates, die väterliche Detektei in Chicago, war nicht der Ort für ein Privatgespräch, aber da sein Vater in der Tür stand, hatte Brad keine andere Wahl.

Phillip Vaughn, der Firmenchef, ein ziemlich autoritärer Mann, wies auf die Zeitung in seiner Hand. „Bist du sicher? Suzette Brouchard behauptet …“

„Es ist mir egal, was Suzette behauptet! Wir hatten eine kurze Beziehung, aber nur geschützten Verkehr. Soweit ich weiß, wurde ihr Kind zweiundvierzig Wochen nach unserer letzten gemeinsamen Nacht geboren. Sie hatte zu der Zeit bereits einen anderen Freund, das wird der Vater sein.“

Suzette war ein gefragtes Model und sehr attraktiv, aber sie und Brad hatten nur eine rein sexuelle Beziehung gehabt und seit ihrer Trennung vor drei Jahren nichts mehr voneinander gehört.

„Wieso tut sie das?“, fragte Phillip.

„Aus Geldgier. Sie glaubt, wenn sie laut genug herumtönt, finde ich sie finanziell ab.“

Brad war nämlich vermögend. Nicht durch seinen Vater, sondern aus eigener Kraft. Er war an der Börse erfolgreich gewesen, hatte das Verdiente in solide Firmen und Immobilien investiert und besaß mit fünfunddreißig Jahren mehr, als er brauchte.

Dass er nun in die Firma seines Vaters eingetreten war, hatte keine finanziellen Gründe. Auf eine Übernahme war er nicht scharf, auch wenn sein Vater das anstrebte. Seine Mutter hatte ihn allerdings dezent daran erinnert, dass sein Vater nicht ewig da sein würde, und so wollte Brad versuchen, die bislang schlechte Beziehung vielleicht doch noch zu verbessern.

Seit zwei Jahren war er Vizepräsident von Vaughn & Associates – aber mit seinem Vater kam er leider noch immer nicht gut aus. So wenig wie damals, als er zwölf war und seine Eltern sich scheiden ließen.

„Ich habe Suzettes Anwalt gesagt, dass ich zu einem Gentest bereit sei. In einem Monat ist die Sache erledigt.“

„Wenn es vier Wochen lang abfällige Zeitungsartikel über diese Angelegenheit gibt, kann der Firmenruf ruiniert sein!“, empörte sein Vater sich.

„Genau darauf zählen Suzette und ihr Anwalt.“

„Mit einem finanziellen Vergleich könnte die Angelegenheit sofort beendet sein!“

„Nein, Vater, ich will, dass mein Name reingewaschen wird. Ich möchte nicht als verantwortungsloser Playboy gelten, dem es egal ist, ob er eine Frau schwängert.“

„Bist du das etwa nicht?“

„Ich war nie verantwortungslos!“, erwiderte Brad verärgert.

Sein Vater schwieg eine Weile. „Vielleicht solltest du mal an Heirat denken.“ Er warf die Zeitung auf Brads Schreibtisch.

„Du weißt genau, was ich davon halte.“

Nachdem sein Vater Brads Mutter vor Jahren nach deren Affäre hinauswarf, hatte Brad die Woche über bei ihr gelebt und am Wochenende bei seinem Vater. So etwas würde er seinem Kind nie zumuten. Außerdem traute er Frauen nicht. Vielleicht lag es an der Untreue seiner Mutter, aber wohl auch daran, dass, sobald Brad in College-Zeiten eine Affäre hatte, die seinem Vater nicht passte, das jeweilige Mädchen von Phillip durch Bestechung zur Aufgabe der Beziehung gebracht worden war. Daraus hatte Brad unbewusst den bitteren Schluss gezogen, dass nur Geld zählte, nie aber die Liebe.

„Abgesehen von der Vaterschaftsklage – was gedenkst du in der Angelegenheit Thunder Canyon zu tun?“

„Die hat Vorrang“, erklärte Brad.

Thunder Canyon war eine Kleinstadt in Montana. Caleb Douglas, einer der angesehensten Bürger der Stadt, hatte Vaughn & Associates, deren Ruf bis zu ihm gedrungen war, beauftragt herauszufinden, wem die dortige Goldmine wirklich gehörte.

„Ich habe den Bericht von Caleb Douglas gestern erhalten“, fuhr Brad fort. „Die Familie Douglas behauptet, seit Ende des 19. Jahrhunderts Eigentümer der Goldmine Queen of Hearts zu sein. Sie können zwar die Besitzurkunde nicht finden, Caleb ist jedoch davon überzeugt, dass sie ihm gehört. Ich hoffe, ich kann den Fall in wenigen Tagen klären und irgendetwas finden, das den Besitz beweist. Ich werde Emily Stanton bitten mitzukommen.“

„Deine Sekretärin? Ist das nötig?“

„Caleb möchte, dass die Angelegenheit so schnell wie möglich geklärt wird. Wenn Emily mitkommt, kann sie den täglichen Bericht schreiben und vorbereitende Gespräche führen.“

Sein Vater schaute auf die Uhr. „Oh, ich muss gehen.“ Er warf noch einen Blick auf die Zeitung. „Vielleicht legt sich das Geschwätz wegen dieser Sache, wenn du ein paar Tage außer Haus bist. Ich habe keine Lust auf neugierige Fragen.“

Als wenn Dad irgendetwas über mein Privatleben wüsste! dachte Brad. „Falls jemand anruft, gib ihm meine Handynummer.“

„Mach ich.“ Mit diesen Worten verließ Phillip das Büro.

Brads Blick wanderte zu Emily, die mit Kopfhörern am Computer saß und einen Bericht eintippte.

Im Privatleben würde Brad sich nie auf eine Frau verlassen, aber Emily war im Berufsleben äußerst verlässlich und pünktlich und hatte manchmal die erstaunliche Gabe, Brads Gedanken lesen zu können.

Sie hatte dunkelbraunes, schulterlanges Haar, war nett anzusehen, aber nicht kokett, sondern immer höflich. Vor allem war sie sehr tüchtig und verfügbar, sobald Brad sie brauchte. Vorher hatte sie im Firmensekretariat gearbeitet, aber seit Brads persönliche Mitarbeiterin vor sechs Monaten in den Mutterschaftsurlaub gegangen war, arbeitete sie bei Brad. Da sie nie Privatgespräche führten, wusste Brad nichts über sie – außer dass sie siebenundzwanzig war.

Bevor er ging, tippte er ihr auf die Schulter. „Emily?“

Sie erschrak und erhob sich so hastig, dass der Kopfhörer ihr von den Ohren rutschte. Beide standen dicht voreinander. Brad fiel auf, dass sie wunderbar duftete.

Emily trat einen Schritt zurück. „Mr. Vaughn, ich habe Sie wegen der Kopfhörer nicht gehört.“

„Das konnten Sie ja auch nicht.“

Sie trug ein schlichtes schwarzes Kostüm. Brad fiel zum ersten Mal auf, dass sie smaragdgrüne Augen hatte. Einen Moment lang sahen sich beide an.

„Könnten Sie bitte kurz zu einer Besprechung kommen?“

Emily griff nach Block und Stift. „Gern.“

In seinem Büro setzte Brad sich hinter den Schreibtisch, und Emily nahm einen Stuhl.

„Ich habe einen Sonderauftrag für Sie. Erinnern Sie sich an die Notizen über Caleb Douglas?“

„Der Mann, der glaubt, in Montana eine Goldmine zu besitzen?“

„Genau. Wir sollen jedoch so schnell wie möglich herausfinden, ob ihm diese Mine gehört oder nicht. Sie ist Ende des 18. Jahrhunderts aufgegeben worden, aber als vor ein paar Monaten ein kleiner Junge in eine Grube stürzte, fand man dort ein paar Nuggets. Caleb Douglas möchte nun prüfen, ob da noch mehr Gold ist. Doch dazu braucht er natürlich eine Besitzurkunde.“

„Und Sie sollen dieses Dokument finden.“

„Ja, ich soll herausbekommen, wer der wahre Besitzer ist. Vermutlich gibt es keine Urkunde mehr, aber vielleicht irgendein Papier, das den Besitz belegt.“

„Und was soll ich dabei tun?“

Brad fiel erst jetzt auf, wie hübsch sie eigentlich war – wenn auch nicht der Typ Frau, für den er sich normalerweise interessierte. „Da die Angelegenheit eilig ist, möchte ich, dass Sie morgen mit mir nach Montana fliegen. Dann geht vielleicht manches schneller. Wir müssen einen Haufen alter Dokumente durchsehen, und ich könnte Gänge machen, während Sie Telefonate erledigen.“

Emily warf einen demonstrativen Blick auf die Zeitung. „Und wir würden beide zusammen fliegen, nur Sie und ich?“

Brad galt als einer der begehrtesten Junggesellen von Chicago. Auf einmal störte ihn dieser Ruf. Er zerknüllte die Zeitung und warf sie in den Papierkorb. „Die Behauptung da ist schlichtweg falsch.“

„Es geht mich auch gar nichts an.“

„Na ja, ich möchte nicht, dass ein albernes Gerücht Sie davon abhält, mich zu begleiten.“

„Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass Sie jetzt wegfahren wollen.“

„Nun, ich lasse nicht zu, dass eine unwahre Behauptung meine Arbeit oder mein Privatleben beeinträchtigt.“

„Ich weiß nicht recht, Mr. Vaughn …“

„Es ist nur für ein paar Tage, Emily. Außerdem werden wir mit vielen Leuten zusammen und sehr beschäftigt sein.“

„Wo wohnen wir?“

„Im Gasthof oder im Hotel. Soweit ich weiß, ist es eine kleine Stadt, die sich allerdings gerade zu einem richtigen Ski-Ort mausert. Und wenn Sie mitkommen“, fügte Brad schnell hinzu, da sie noch unentschlossen wirkte, „zahle ich Ihnen einen Extra-Bonus.“ Er nannte eine beträchtliche Summe.

„So viel zahlen Sie für meine Mithilfe?“

„Ja, für effektive Assistenz. Ich brauche jemanden, der so zuverlässig ist wie Sie. Also, was sagen Sie?“

„Wann fahren wir?“, fragte Emily nach kurzer Bedenkzeit.

„Tut mir leid, Mr. Vaughn, ich habe kein Zimmer für Sie“, erklärte der Hotelmanager.

Emily konnte es kaum glauben. Man hatte ihnen versichert, dass es nicht nötig sei zu reservieren, da die Saison noch nicht begonnen habe. Sie waren erschöpft von der langen Anreise.

Der Vormann der Lazy-D-Ranch, der sie vom Flugplatz abgeholt hatte, tippte an seinen Stetson. „Das liegt am Goldrausch. Es kommen mehr Leute, als die Stadt verkraften kann“, erklärte er lakonisch.

„Vielleicht rufen wir Caleb Douglas an, Mr. Vaughn“, schlug Emily vor.

„Nennen Sie mich doch bitte einfach Brad. Caleb Douglas werden wir ohnehin treffen.“ Er wendete sich wieder an die Rezeption. „Ich möchte den Manager sprechen.“ Man merkte, dass er daran gewöhnt war, alle Hindernisse sofort aus dem Weg zu räumen.

Mr. Smith wirkte leicht gereizt. „Ich bin der Besitzer des Hotels und habe leider kein Zimmer für Sie.“

Brad legte einen Geldschein auf den Tresen. „Sind Sie ganz sicher?“

Mr. Smith richtete sich empört auf. Emily trat eilfertig einen Schritt näher. „Mr. Smith“, begann sie so freundlich wie möglich, „wir haben eine lange Reise hinter uns und sind müde. Könnten Sie uns vielleicht eine andere Unterkunft empfehlen?“

„Leider nicht. Hier ist alles besetzt. Sie hätten vorher anrufen sollen.“

„Ich ahnte nicht, dass es hier so viele Touristen gibt“, erklärte Brad.

„Das ist auch ganz ungewöhnlich.“ Mr. Smith schüttelte den Kopf. „Alles nur wegen ein paar Nuggets! Ich werde es noch mal woanders versuchen, Miss.“ Er schob den Geldschein zurück. „Das ist nicht nötig.“

Verwundert steckte Brad ihn wieder ein.

Bevor Emily sich um die Stellung bei Brad beworben hatte, war sie ihm gelegentlich im Flur begegnet. Sie fand ihn sehr attraktiv, aber von dieser Art Mann wollte sie nichts wissen, sie war ein gebranntes Kind. Die einzige ernsthafte Beziehung ihres Lebens hatte ein schlimmes Ende gefunden. Nicht nur, weil sie verlassen worden war, sobald sie entdeckt hatte, schwanger zu sein, sondern weil sie wenige Wochen später eine Fehlgeburt erlitt. Nun hatte sie genug von gut aussehenden, wohlhabenden, verantwortungslosen Männern und wollte nur noch dafür sorgen, dass ihre jüngere Schwester ihr Studium beendete.

„Gibt es ein Problem?“, fragte jemand hinter ihnen. Es war ein grauhaariger älterer Mann, dem man ansah, dass er viel Zeit im Freien verbrachte. Er trug einen weißen Stetson, eine Wildlederjacke und einen mit Türkisen und Silber verzierten Western-Gürtel.

Der Vormann wies auf Brad. „Das ist der Privatdetektiv, Mr. Douglas.“

Caleb Douglas streckte Brad die Hand hin. „Freut mich, Sie kennen zu lernen.“

„Mich ebenfalls, Mr. Douglas.“ Brad stellte Emily als seine Assistentin vor.

Als Douglas von dem Zimmerproblem hörte, sagte er nach einigem Überlegen: „Normalerweise könnten Sie bei mir auf der Ranch wohnen, aber wir haben gerade Besuch von der Familie meiner Frau. Ich habe allerdings vor kurzem eine Berghütte gekauft, die ich Ihnen zur Verfügung stellen könnte. Sie ist etwa vierzig Minuten Fahrt von hier entfernt und noch nicht richtig hergerichtet, aber alles Wesentliche ist da. Sobald unser Besuch weg ist, können Sie dann bei uns wohnen. Was halten Sie davon?“

Emily hatte das Gefühl, in einem fahrenden Zug mit unbekanntem Ziel zu sitzen. Mit Brad allein, weit weg von jeglicher Zivilisation?

„Ich weiß nicht recht“, meinte sie zögernd.

„Mr. Douglas, entschuldigen Sie uns einen Moment?“ Brad zog Emily beiseite. „Hören Sie, das ist das einzige Angebot, was wir haben!“

„Ich kann doch nicht mit Ihnen allein in einer Hütte wohnen!“

„Sie sind siebenundzwanzig, Emily, oder?“

„Mein Bruder wäre entsetzt, und meinen Schwestern wäre ich ein schlechtes Beispiel.“

Brad schaute sie an, als käme sie von einem anderen Stern. „Möchten Sie die Nacht vielleicht im Auto oder in einer Scheune verbringen?“

Hm, es gab wohl keine andere Möglichkeit.

„Wenn Sie lieber nach Chicago zurückfahren wollen, könnte ich versuchen …“

Er hatte ja Recht. Außerdem lockte die Extravergütung. Damit könnte sie Lizbeth’ letzte Studiengebühren bestreiten und dann selbst endlich das College besuchen. „Also gut, sagen Sie Mr. Douglas, dass wir sein Angebot annehmen.“

Als Calebs Vormann Brad und Emily beim Mietwagenbüro aussteigen ließ, hatte Brad noch die Hoffnung, alles schnell und erfolgreich erledigen zu können. Schon deshalb, weil er Emily trotz ihrer zurückhaltenden Art immer attraktiver fand. Die Dame am Empfang der Mietwagenfirma hatte jedoch kein Geländefahrzeug zur Verfügung. „Es gibt im Moment so viele Besucher in Thunder Canyon, dass alle Wagen vermietet sind. Das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist eine einfache Limousine.“ Sie deutete zum Fenster.

Brad schaute nach draußen und sah einen Viertürer der Mittelklasse. „Ich nehme sie.“

Als er zehn Minuten später das Büro verließ, hatte sich der Himmel verdunkelt. Brad war hungrig und vermutete, dass es Emily ähnlich ging. Sie stand mit verschränkten Armen da und schien zu frösteln. Brad hatte ganz vergessen, wie kühl es in Montana im Mai oft noch sein konnte, und Emily war erst recht nicht darauf eingestellt.

Er nahm die Reisetaschen und ging zum Mietwagen. „Wir sollten uns im Supermarkt mit Lebensmitteln eindecken. Haben Sie die Wegbeschreibung zur Hütte?“

„Ja, aber wir müssen gut aufpassen, es gibt keine Straßenschilder. Wie mag die Hütte wohl sein?“

„Sie ist schlicht eingerichtet, hat zwei Zimmer, Wasser und Strom. Aber sollte der Strom ausfallen, müssen wir die Pumpe betätigen.“

„Wenn der Strom ausfällt?“, fragte Emily entsetzt.

„Im Gebirge kann alles passieren. Waren Sie nie beim Camping?“ Schon die bloße Idee kam ihr offenbar abartig vor. „Von Caleb weiß ich, dass es einen Kamin gibt. Es wird schon gehen. Wir müssen nur noch Gaskartuschen für den Brenner besorgen.“ Er warf einen Blick auf den Mietwagen. „Nicht gerade, was ich wollte, aber er wird uns schon ans Ziel bringen.“

„Hoffentlich“, murmelte Emily besorgt.

Brad stellte das Gepäck neben den Kofferraum. „Für eine Nacht wird es wohl gehen, oder?“ Als ihr eine Haarsträhne übers Gesicht wehte, strich er sie spontan zur Seite. Ihre Haut fühlte sich ganz weich an.

„Ja, es wird gehen“, erklärte sie mutig.

Brad war sich dessen auf einmal nicht mehr so sicher. Eine einsam gelegene Berghütte mit einer Frau, die ihm plötzlich gar nicht mehr gleichgültig war … Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Emily mitzunehmen!

2. KAPITEL

Der Einkauf der Lebensmittel dauerte länger, als Brad erwartet hätte, zumal Emilys und sein Geschmack vollkommen unterschiedlich waren. Sie guckte nach Bio-Produkten, er eher nach Schokokeksen und praktischen Dingen.

Im warmen Auto nahm er dann plötzlich Emilys Parfüm wahr. Mit Hilfe einer Taschenlampe verfolgte sie aufmerksam die Wegbeschreibung.

Als sie etwa eine Meile aus der Stadt heraus waren, begann es zu schneien. Anfangs nur leicht, dann immer stärker.

„Hier schneit es im Mai?“, staunte Emily.

„In Montana ist das normal. Wir sind hier ziemlich hoch im Gebirge.“ Brad schaute sie kurz an. „Bereuen Sie es, mitgekommen zu sein?“

„Sie nicht?“

Beim Blick auf die hohen Tannen im Schneegestöber dachte Brad, dass ihm eine Unterbrechung der Routine im Grunde gut tat. „Nein. Ich bin es leid, nur am Computer zu sitzen, mit schwierigen Kunden zu tun zu haben und immer wieder feststellen zu müssen, dass ein Unternehmen das andere zu übervorteilen versucht.“

„Wieso sind Sie denn dann nach Chicago zurückgekommen und in die Firma Ihres Vaters eingetreten?“

„Aus mehreren Gründen“, antwortete Brad.

Eine Böe ließ den Schnee, der inzwischen auf dem Kühler lag, aufstieben, sodass man kaum noch etwas sehen konnte.

„Gefällt Ihnen die Zusammenarbeit mit Ihrem Vater nicht? Manchmal hat man den Eindruck.“

Brad hätte nicht gedacht, dass Außenstehende das merken würden. „Es ist nicht immer leicht, mit ihm zusammenzuarbeiten.“

„Ihren Job machen Sie aber wirklich gut. Sie scheinen immer eine Antwort zu finden, ein Problem lösen zu können und die richtigen Leute zusammenzubringen.“

„Aber?“

„Manchmal wirken Sie etwas … nun, unbeteiligt.“

„So wie Sie?“

„Das ist etwas anderes. Ich tippe, ordne, lege ab, übertrage und arbeite nicht mit Menschen.“

Brad dachte an tägliche Vorkommnisse. „Es ist nicht immer lustig, wenn man herausfindet, dass eine Ehefrau ihren Mann betrügt. Dabei muss man unbeteiligt bleiben.“

„Scheidungsfälle übernehmen Sie doch nur, wenn es reiche und berühmte Klienten sind.“

Brad dachte an einen bekannten Fernsehmoderator, der inkognito bleiben wollte und für den Emily unauffällige Besprechungen arrangiert hatte.

Trotz des Scheinwerferlichts konnte man draußen kaum noch etwas sehen. Brad verlangsamte das Tempo und sah auf die Kilometerzahl am Straßenrand. „Wir dürfen die Abzweigung nicht verpassen.“

„Ich sehe nicht das Geringste“, gestand Emily beunruhigt.

Brad ging es ähnlich, aber dann entdeckte er die Felsformation, die Caleb beschrieben hatte und an der sie abbiegen mussten.

Als sie in der Kurve plötzlich ins Rutschen gerieten, hielt Emily erschrocken die Luft an.

„Nichts passiert.“ Brad brachte den Wagen sofort wieder unter Kontrolle. Er legte ihr die Hand auf den Arm. „Alles in Ordnung?“

„Nein“, rief sie, „ich habe Angst! Was ist, wenn wir hier stecken bleiben?“

„Irgendwann hört es auf zu schneien, wir stranden hier schon nicht. Wieso machen Sie nicht einfach das Radio an?“

„Damit es mich ablenkt?“

„Es könnte uns beide ablenken.“

Emily lenkt mich eigentlich genug ab, dachte Brad. Mehr als der Schnee, der Sturm oder die unsichere Straße. Sie war in allem so verdammt ehrlich, so etwas kannte er bei Frauen nicht.

Emily versuchte vergeblich, einen Sender zu finden, sie empfingen jedoch nur seltsame Geräusche.

„Ich könnte ja singen“, flachste Brad.

Emily musste an das Ziel des Auftrags denken. „Was halten Sie eigentlich von diesem Caleb Douglas?“

„Nun, er scheint ein wichtiger Mann zu sein. Ihm gehört die größte Ranch der Gegend, außerdem plant er, aus Thunder Canyon ein Ski-Resort zu machen. Trotz allem findet er Zeit, sich eine Berghütte zu kaufen, was darauf schließen lässt, dass er sein Leben etwas geruhsamer gestalten will.“

Emily löste die verkrampfte Hand vom Türgriff. „Vielleicht braucht er einen ruhigen Ort, an dem er herausfindet, wer er eigentlich ist.“

Brad konnte Emily im Dunkeln des Wagens kaum sehen. Sie schien Charakter zu haben, aber gleichzeitig auf Sicherheit Wert zu legen. Er dachte daran, warum seine Verlobte ihn verlassen hatte und dass nun auch Suzette Brouchard auf eine finanzielle Einigung mit ihm aus war.

Das Schneetreiben wurde immer heftiger. Je höher sie kamen, umso dicker wurden die Flocken. Es erstaunte Brad, dass er Emilys Nervosität spürte. Normalerweise hatte er, was Frauen betraf, wenig Intuition.

„Wir sind gleich da“, erklärte er, denn er hatte die letzte Abzweigung entdeckt.

„Ein Glück!“

Brad lächelte. Sobald sie wieder in Chicago wären, würden sie im Rückblick alles interessant finden.

Sein Lächeln erstarb jedoch im selben Augenblick. In Sichtweite der Hütte war ein Bach zu sehen, der durch aufschäumendes Schmelzwasser zu einem tosenden Fluss geworden war. Die vereiste Brücke war fast überflutet, doch an eine Umkehr war nicht mehr zu denken. Der Schnee lag inzwischen zu hoch.

Immerhin würde es in der Hütte trocken und warm sein, und zu essen hatten sie genug für eine Woche. Brad überlegte, ob sein Handy wohl noch funktionierte.

Die Reifen rutschten über den vereisten Schnee der Brücke, aber Brad schaffte es mit dem Wagen immerhin bis in die Nähe der Hütte.

„Weiter kommen wir nicht, Emily. Das Beste ist, Sie bleiben hier. Ich bringe schon mal die Vorräte den Hügel hoch.“

„Ich komme mit.“

„Emily …“

„Ich bin nicht der Typ ‚zaghafte Jungfrau‘, Brad“, protestierte sie.

Brads Blick fiel auf ihre braunen Slipper. „Vermutlich werde ich Sie nach oben tragen müssen, nicht nur die Vorräte. Mit den Schuhen da kommen Sie nicht weit!“ Er selbst trug feste schwarze Stiefel.

„Ich habe festere Schuhe dabei.“

„Gut, die werden Sie brauchen. Soll ich sie rausholen?“

„Nein, ich lasse sie lieber trocken für morgen. Gehen wir.“ Emily schien genauso dickköpfig zu sein wie er.

Brad stieg aus, es schneite noch immer. Genussvoll atmete er die kalte Nachtluft ein. Das Scheinwerferlicht ließ die hohen Tannen gespenstisch aussehen. Er freute sich, hier zu sein, weit weg von der Stadt, weg von seinem Vater, weit weg von Suzette Brouchard und einer Situation, die erst durch einen Laborbefund geklärt werden würde.

Mit der Taschenlampe leuchtete er in den Kofferraum.

Als Emily nach ihrer Tasche greifen wollte, legte er die Hand auf ihre. „Die trage ich.“ Die Berührung ließ ihn erschauern. Erstaunt sah er Emily ins Gesicht. Ihr schien es ähnlich zu gehen, denn sie blickte ihn aus großen Augen an. Der Schnee fiel auf ihr dunkles, seidiges Haar.

Als sie fröstelte, sagte er schnell: „Sie nehmen eine der Lebensmitteltüten, ich kümmere mich um den Rest.“

Emily hängte sich ihre Kamera über die Schulter, nahm zwei Tüten und ging zur Hütte hinauf.

Na, das wird ja interessant werden, dachte Brad. In den vergangenen sechs Monaten hatte sie die folgsame Sekretärin gespielt, nun zeigte sie anscheinend ihren wahren Charakter.

Emilys Füße versanken im Schnee. Auf den beiden Stufen, die zum Eingang führten, rutschte sie fast aus. Reflexartig ließ Brad die beiden Taschen fallen und versuchte, Emily aufzufangen. Sie prallte dabei gegen seine Brust, und er nahm wahr, dass ihr Haar nach Sommerblumen duftete.

Ihre Gesichter waren dicht voreinander. Der warme Atem ließ in der kalten Luft weiße Wölkchen aufsteigen. „Alles in Ordnung“, murmelte sie, während er sagte: „Ich halte Sie fest.“

Plötzlich schwiegen beide. Ihre Körper wirkten in der Kälte wie ein warmer Kokon. Im Licht der Autoscheinwerfer konnte Brad Emilys überraschten Gesichtsausdruck erkennen. Wenn er den Kopf ein wenig senkte, würden ihre Lippen sich berühren …

Ein Windstoß machte dem Gedanken ein Ende. Ich bin hier nicht in einem romantischen Urlaub! ermahnte Brad sich. Außerdem kamen er und sie aus völlig verschiedenen Welten. Wahrscheinlich war Emily ähnlich wie seine Exverlobte Robin, die aus einfacher Familie stammte und das Beste aus ihrer Situation zu machen versuchte und die deshalb den Scheck seines Vaters akzeptiert hatte und einfach aus seinem Leben verschwunden war.

Erst Jahre später wurde ihm klar, dass sie gar nicht zueinander gepasst hatten. Robin ging es vor allem um ein bequemes Leben, um ein gutes Leben. Das hatte Brad zwar, aber seit einiger Zeit genügte ihm das nicht mehr.

Ein Windstoß peitschte ihnen Schnee ins Gesicht. „Wir werden noch ganz nass!“, sagte Brad, schloss eilig auf und betrat das Haus.

Emily erschauerte, obgleich ihr bei dem Gedanken an die Umarmung von eben innerlich ganz warm wurde. Brad hatte sie nur vor einem Sturz bewahren wollen, aber sein Blick bewies, dass auch er erotische Gedanken gehabt hatte. Oder ging ihre Fantasie etwa mit ihr durch? Zögernd folgte sie ihm.

Brad hatte inzwischen das Licht angeknipst. Der Holzfußboden war mit Läufern bedeckt. Vor dem Kamin stand ein kleines Sofa, daneben ein Ledersessel mit einem Kissen, auf das ein Büffel gestickt war. Die Holzwände waren schmucklos, an einer Seite stand ein Bücherbord.

In der Küche gab es Herd und Kühlschrank. Das Schlafzimmer lag im Dunkeln.

Brad entdeckte den Thermostaten und stellte die Heizung an. „Ich hole den Rest der Vorräte. Sie bleiben hier. Wärmen Sie sich erst mal auf“, entschied er.

Mir wird schon warm, wenn er mich nur ansieht, dachte Emily.

Brad trug ihre Tasche ins Schlafzimmer, wo er eine kleine Lampe anmachte. „Sie können hier schlafen, ich nehme das Sofa“, erklärte er.

Als er die Haustür wieder öffnete, spürte sie, wie heftig der Sturm draußen wütete. Er wird sich den Tod holen! dachte Emily besorgt.

Nachdem Brad die letzten Tüten in die Küche gebracht hatte, begann er auszupacken und die Sachen im Schrank zu verstauen. Emily beobachtete ihn dabei. Sie bewunderte seine breiten Schultern und wie geschickt er hantierte.

„Was ist?“, fragte er.

Ihre Wangen röteten sich. „Nichts.“

„Was haben Sie gerade gedacht, Emily?“

„Ich war überrascht, wie selbstverständlich Sie sich in der Küche bewegen.“

Brad kam etwas näher. „Wieso überrascht?“

„Männer sind darin meistens nicht so geschickt.“

„Meinen Sie einen bestimmten?“

„Hm, meinen Bruder zum Beispiel. Eigentlich hätte er bei drei Schwestern und einer Mutter gelernt haben müssen, für sich selbst zu sorgen, aber das hat er nicht.“

„Ihre Eltern sind geschieden?“

„Nein, Dad starb, als ich zehn war.“

„Das tut mir leid. Sie haben einen Bruder und zwei Schwestern?“

„Ja, Eric ist zwei Jahre älter als ich, Lizbeth und Elaine dagegen sind jünger. Haben Sie auch Geschwister?“

Brad schüttelte den Kopf. „Das muss für Ihre Mutter sehr schwer gewesen sein.“

„Stimmt. Wir hatten alle Teilzeitjobs, sobald es ging.“

Als er ihr die Hand auf den Rücken legte, erschauerte Emily wohlig.

„Ihre Sachen sind ja ganz feucht“, stellte er besorgt fest.

Emily wünschte sich plötzlich, Brad möge sie küssen. Was für ein Gedanke! Eilig drehte sie sich weg und stellte den Gaskocher an. „Ich mache uns eine heiße Schokolade, dann überlegen wir, was wir zu Abend essen.“

„Vorausgesetzt, wir können uns einigen. Unser beider Geschmack scheint ziemlich gegensätzlich zu sein.“

„Ich esse kaum Fleisch, aber wenn Sie ein Steak wollen, brate ich Ihnen eins und mache einen großen Salat dazu.“

Plötzlich war alles stockdunkel. Der Sturm rüttelte am Fenster, die Hütte schien zu vibrieren.

„Verdammt noch mal, wo ist denn meine Taschenlampe?“, schimpfte Brad.

„Ich habe eine kleine Leuchte am Schlüsselbund.“

„Aber den müssen Sie erst mal finden!“

In der absoluten Finsternis, die herrschte, war das tatsächlich schwierig. Außerdem befürchtete Emily, dass sie bei der kleinsten Bewegung gegen Brad stoßen würde. Also blieb sie stehen, wo sie war, und überlegte, wo sie ihre Handtasche abgestellt hatte.

Brad war am Suchen. „Ich hab sie!“, verkündete er und knipste die Lampe an.

„Was machen wir jetzt?“, erkundigte sie sich besorgt. „Ohne Strom funktioniert die Heizung nicht!“

„Wir haben ja den Kamin. In der Küche liegt Holz, und vermutlich gibt es draußen noch mehr. Ich glaube, ich habe auf dem Bücherbord eine Öllampe gesehen.“ In einer der Tüten fand er Streichhölzer, dann zündete er die Lampe an, und eine gewisse Helligkeit breitete sich im Wohnbereich aus.

„Mit dem Öl sollten wir sparsam sein“, meinte Brad. „Sie könnten schon mal die heiße Schokolade machen. Ich gehe nach draußen, um den Holzvorrat zu überprüfen.“

„Wir schlafen hier nur eine Nacht, oder?“

„Hm, wer weiß.“

„Was? Wir werden hier doch nicht tagelang eingeschneit sein, oder?“

„Das bezweifele ich, aber ich möchte trotzdem wissen, ob wir genug Holz haben.“

„Hier gibt es doch überall Bäume.“

„Stimmt, aber selbst wenn ich eine Axt hätte, ginge das nicht. Frisch geschlagenes Holz ist zu nass. Ich hoffe, draußen gibt es welches, das einigermaßen trocken ist. Machen Sie inzwischen den Kakao?“

Als Brad einige Minuten später wieder hereinkam, schaute er grimmig drein.

„Was ist?“ wollte Emily wissen.

Er legte einen Arm voll Holz auf den Herd. „Das ist alles.“

Emily zitterte vor Kälte. Sie hatte ihre feuchten Sachen vorsichtshalber ausgezogen, und in der Hütte war es nur wenig wärmer als draußen.

Brad hängte seine Jacke über den Küchenstuhl. In Jeans und dem karierten Flanellhemd sah er aus, als gehörte er nach Montana. Männlich und sexy, dachte Emily.

„Was möchten Sie zuerst – eine heiße Schokolade oder sich umziehen?“ Er sah sie prüfend an. „Sie sollten etwas Trockenes anziehen, damit Ihnen wieder warm wird. Ich hoffe, Sie haben etwas Bequemes mitgebracht.“

„Nur eine Trainingshose, aber die ist nicht sehr warm.“

„Ich mache erst mal den Kamin an, dann gucken wir, ob wir irgendwas im Schrank finden. Wir werden beide in der Nähe des Feuers schlafen müssen, damit uns warm genug ist. Sie können das Sofa haben, ich schlafe auf dem Fußboden.“

„Der ist ja steinhart!“

„Macht nichts, das bin ich vom Camping her gewöhnt. Zur Not nehme ich den Sessel. Ich schlafe überall. Trinken Sie den Kakao, solange er warm ist.“

„Ein Steak können wir nun auch nicht braten.“

„Keine Sorge, verhungern werden wir trotzdem kaum. Wir haben genug zu essen und außerdem den Gasbrenner.“

„Ich war zwar noch nie in Montana und auch noch nie beim Camping, aber Sie brauchen mich trotzdem nicht wie ein Kind zu behandeln“, bemerkte sie schnippisch, nahm ihren Becher und verzog sich ins Schlafzimmer.

„He, Sie werden das hier brauchen!“, rief Brad hinter ihr her und hielt ihr die Taschenlampe hin. „Ohne die sehen Sie im Schlafzimmer nichts. Ich nehme die Öllampe.“

Grinste er frech, oder kam ihr das nur so vor? Emily nahm die Taschenlampe, murmelte ein knappes „Danke“ und schloss hinter sich die Tür. Sie war verärgert. Die Situation war völlig ungewohnt, und dass sie sich zu Brad so hingezogen fühlte, irritierte sie. Sie konnte keine Komplikation in ihrem Leben gebrauchen!

Im Licht der Taschenlampe packte sie ihre Sachen aus und zog sich um. Aber selbst in trockener Kleidung fror sie in dem kalten Raum.

Plötzlich nahm sie leichten Brandgeruch wahr. Hatte Brad den Kamin angemacht? Sie ging zurück in den Wohnraum … und blieb wie angewurzelt stehen.

Brad stand splitternackt vorm Kamin.

3. KAPITEL

Emily konnte den Blick nicht von Brad wenden. Im flackernden Licht des Feuers sah er einfach umwerfend aus! Ohne Kleidung konnte man deutlich erkennen, wie muskulös er war. Sein Brusthaar war schwarz und lockig, und als ihr Blick weiter nach unten glitt …

Entweder hatte sie ein Geräusch gemacht, oder Brad hatte ihre Gegenwart gespürt. Ohne die geringste Verlegenheit sah er sie an und lächelte ihr zu.

Emily drehte sich verlegen um. Sie hörte, wie er seine Jeans anzog und den Gürtel zuklickte.

„Sie können sich jetzt umdrehen. Tut mir leid, ich hatte nicht erwartet, dass Sie so schnell wieder zurück sein würden. Frauen brauchen meistens länger, um sich umzuziehen.“

Vielleicht die Frauen, mit denen er zu tun hatte!

Emily strich sich durchs Haar. „Ich bin bestimmt nicht der Typ Frau, mit dem Sie es normalerweise zu tun haben.“ Sie ging zur Küche und vermied jeden weiteren Blick auf ihn. „Also, was essen wir?“, rief sie.

Brad zog seine Socken an und suchte in der Tasche nach einem Hemd. „Wir haben heiße Schokolade und ein schönes Feuer, dazu könnten wir Sandwichs mit Erdnussbutter essen und eine Dose Früchte öffnen. Und morgen früh kochen wir uns ein Ei.“

Ob wir hier wohl richtig einschneien können? überlegte Emily ziemlich besorgt. „Erdnussbutter ist gut“, sagte sie laut. „Das Dosenobst können Sie essen, ich nehme lieber einen frischen Apfel.“

„Ah, ja, die Gesundheitsbewusste“, neckte er sie.

In der Küche war es lausig kalt. Nur der Wohnraum hatte durch das Feuer eine angenehme Temperatur bekommen. „Vielleicht sollten wir am Kamin essen“, schlug er vor.

Neben ihm auf dem Sofa?

Emily bestrich ein paar Erdnussbutterbrote. Brad öffnete eine Dose Obst und nahm Schokoladenkekse aus dem Schrank. Sein Hemd hing noch lose über der Jeans. Emily stellte sich vor, wie es wäre, mit der Hand darunter zu fahren und die nackte Haut zu berühren … Was zum Teufel war nur mit ihr los?

Eilig verschloss sie das Glas Erdnussbutter. „Wie haben Sie denn gelernt, sich so gut allein zu versorgen?“

„Hm.“ Er stand lässig am Tresen.

„Heißt das, dass Sie es mir nicht erzählen wollen?“

„Mir fällt auf, dass Sie hier ganz anders sind als im Büro.“

„Und Sie wechseln das Thema.“

Die Öllampe auf dem Küchentisch flackerte. „Kinder lernen eben vieles.“

Die Bemerkung stand im Widerspruch zu seinem Hintergrund. Jeder wusste, dass Phillip Vaughn aus reicher Familie stammte. Als Junge hatte Brad also sicher alle möglichen Privilegien genossen, inklusive eines Kindermädchens.

Brad stellte die Kekse auf den Tresen, als sei ihm der Appetit vergangen.

„Das kenne ich. Nach Dads Tod war Mom völlig verzweifelt. Sie brachte Eric, dem Ältesten, bei, einiges von dem zu erledigen, was Dad sonst gemacht hatte. Sowohl Praktisches als auch Finanzielles. Lizbeth, Elaine und ich waren ziemlich allein auf uns gestellt. Ich als die Älteste von uns dreien hatte am meisten im Haushalt zu tun, denn Mom musste viele Überstunden machen, um uns über die Runden zu bringen.“

„Haben Sie darunter gelitten?“

„Ich würde gern sagen, nein, aber ich fand es immer schrecklich, wenn meine Freunde Dinge tun konnten, die ich nicht durfte. Andererseits wusste ich, ich werde gebraucht. Und ich lernte, mir die Zeit einzuteilen, Reste zu verwerten und mich um die Termine meiner Geschwister zu kümmern. Und Sie, haben Sie unter dem gelitten, was Sie lernen mussten?“

„Meine Situation war sehr anders als Ihre.“ Brad schwieg eine Weile. „Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich zwölf war. Die Woche über wohnte ich bei meiner Mutter, am Wochenende bei meinem Vater, in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Anfangs vergaß ich hier mal ein Schulbuch, dort mal ein Spielzeug. Ich konnte mich auf niemanden verlassen, außer auf mich. Es wurde also wichtig für mich, an alles selbst zu denken.“

„Es muss schwierig sein, gleichzeitig in zwei Wohnungen zu leben. Ist es nicht so, als hätte man dann kein wirkliches Zuhause?“

Er zuckte mit den Schultern. „Daran gewöhnte ich mich. Dennoch, kein Kind sollte so leben.“ Er nahm den Teller mit den Sandwichs und wies mit dem Kinn zum Sofa hinüber. „Setzen wir uns dahin?“

Im Wohnzimmer stellte er alles auf den kleinen Tisch, schob ihn zur Seite und das Sofa dichter an den Kamin. „Wenn Ihnen kalt wird, hole ich eine Decke.“

Emily kuschelte sich in eine Sofaecke. „Im Moment ist mir warm genug.“ Und noch wärmer wurde ihr, als Brad sich neben sie setzte.

Bei der lockeren Unterhaltung, die sie führten, entspannte sie sich jedoch. Brad war nicht überrascht, als sie erklärte, dass sie gern studieren würde, und fragte interessiert nach dem Fach. Er erzählte so lustig von seiner Zeit während seiner Ausbildung zum Wirtschaftsfachmann, dass Emily ein paar Male auflachte.

Das Feuer war fast heruntergebrannt, der Sturm draußen schien sich zu legen. Brad hielt Emily einen Schokokeks hin. „Möchten Sie nicht auch einen?“

Der Keks sah wirklich lecker aus! Als sie hineinbiss, schloss sie genussvoll die Augen.

Brad beobachtete sie. „Keine Sorge, wir haben noch mehr davon.“

Er schaut mich an, als sei ich selbst ein Schokokeks! dachte Emily verlegen, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte.

Als sie sechs Monate zuvor den Job als seine Privatsekretärin bekam, hatte sie sich vorgenommen, das Verhältnis zu Brad trotz seiner Attraktivität rein beruflich zu halten. Durch ihren Exverlobten hatte sie gelernt, dass Männer glaubten, alles müsse sich nach ihnen richten. Heute hatte sie jedoch eine neue Seite an Brad kennen gelernt, und die gefiel ihr. Sehr sogar! Er hatte wirklich unglaublich ausgesehen, als er nackt vor dem Kamin stand. Ihre Gedanken schweiften ab.

Brad rückte plötzlich dichter an sie heran. „Emily …“, begann er heiser.

Ihr Mund wurde trocken. „Was ist?“, fragte sie verlegen.

Sanft strich er ihr mit dem Daumen über die Unterlippe. „Schokokrümel.“

Als sie die Krümel schnell selbst wegwischen wollte, hielt er ihre Hand fest. „Seit gestern knistert es irgendwie zwischen uns, spüren Sie das auch?“

Emily nickte nur.

Er beugte sich vor. „Emily, ich möchte dich küssen.“

Sie war also vorgewarnt, hätte sich noch entziehen können, aber schon seit einiger Zeit träumte sie davon, ihm durchs Haar zu streichen, sein unrasiertes Gesicht zu streicheln … Darum hielt sie ganz still, als er ihren Kopf dichter an sich heranzog.

Als seine Lippen ihre bedeckten, war ihr, als würden winzige Raketen in ihrem Körper gezündet. Seine Zunge drängte in ihren Mund, und Emily empfand nichts als reine Lust!

Plötzlich jedoch löste er sich wieder von ihr. Er lächelte. „Du schmeckst nach Erdnussbutter und Schokolade.“

Emily konnte nicht sprechen, sie war noch ganz benommen.

Als Brad sich dann erneut über sie beugte, überließ er sich ganz seinem Verlangen. Einen solchen Kuss hatte Emily noch nie erlebt. Brad Vaughn sah nicht nur sexy aus, er war es auch! Sie schlang den Arm um seinen Hals, und je länger der Kuss dauerte, umso tiefer ließ sie sich fallen.

Hingebungsvoll sanken sie beide aufs Sofa. Als Emily sein Hemd etwas nach oben schob und die nackte Haut streichelte, fragte er heiser: „Weißt du auch, was du da tust?“

Und plötzlich wurde Emily die Situation bewusst. Ihr fiel ein, wie sehr sie unter der gescheiterten Beziehung mit Warner gelitten hatte. Und nun war da Brad, ein Mann, dem schon ein schlechter Ruf voranging! Sie sollte doch gewarnt sein!

Erschrocken setzte sie sich wieder auf.

„Du hast recht“, sagte er.

Emily war noch ganz aufgewühlt. „Was soll das heißen?“

„Nichts, wir haben uns beide hinreißen lassen.“

Emily fand die Vorstellung, dass er vielleicht an ähnliche Situationen mit anderen Frauen dachte, schrecklich. „So etwas passiert mir sicher seltener als dir“, erwiderte sie gereizt.

„Ich weiß.“

Diese Antwort ärgerte sie erst recht. „Du weißt gar nichts!“

„Stimmt. Sonst hätte ich dich nicht gebeten, mich hierher zu begleiten.“

Das saß. Emily stiegen Tränen in die Augen. Schnell drehte sie sich weg, stand auf und nahm die Teller. „Ich gehe schlafen“, erklärte sie knapp.

„Und ich hole Wasser von der Pumpe, sonst funktioniert die Toilettenspülung nicht.“

Es nervte sie, dass sie hier so von Brad abhängig war, aber sie hatte keine Wahl. Bis sie wieder in der Zivilisation wären, musste sie Abstand von ihm halten!

Als Brad am folgenden Morgen erwachte, schien die Sonne durchs Hüttenfenster. Das Feuer war erloschen, und im Haus war es bitterkalt. Emily schlief noch. Sie hatte sich tief in zwei Decken gekuschelt.

Dass sie sich in frostigem Schweigen schlafen gelegt hatte, war allein seine Schuld. Er hätte sie nicht küssen dürfen!

Zum Glück hatte er im Schrank noch Decken gefunden, außerdem einen Parka sowie eine Lammfelljacke. Schon um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, hatte er sich in voller Kleidung schlafen gelegt. Ihr Blick, als er nackt vor dem Kamin gestanden hatte, war schließlich die Ursache dafür gewesen, dass er so heißblütig reagiert hatte!

Als er sich leise erhob, fragte Emily schläfrig: „Wohin gehst du?“

„Nach dem Zähneputzen will ich versuchen, uns auszugraben. Es ist ziemlich kalt, also warte am besten, bis ich zurückkomme und Feuer mache.“

„Aber wir fahren doch heute …“

„Als ich gestern Abend Wasser holte, lagen zehn bis fünfzehn Zentimeter Schnee. Ich glaube nicht, dass da der Wagen ohne Schneeketten durchkommt.“

Emily wirkte niedergeschlagen. Sie setzte sich auf. „Ich komme mit.“

„Nicht nötig, Emily.“

„Schließlich sind wir beide hier eingeschneit. Ich übernehme also gern meinen Teil.“

Brad wusste schon, dass sie hartnäckig sein konnte. „Na schön, du ziehst den Parka an, der wird dich warm halten.“ Dann verschwand er im Bad.

Als sie eine Viertelstunde später nach draußen gingen, wurden sie von der grellen Sonne und dem weißen Schnee geblendet. Emily schirmte die Augen mit der Hand ab und schaute sich um. „Ich kann nicht verstehen, dass jemand in solcher Einsamkeit eine Hütte hat.“

In dem viel zu großen Parka sieht sie einfach süß aus, dachte Brad. „Es ist zwar einsam, aber hinter dem nächsten Hügel könnte ein Nachbar wohnen. Außerdem gibt es hier viele Tiere, wenn man alles genauer beobachtet. Ich kann mir kaum einen friedlicheren Ort als diesen vorstellen. Hörst du etwas?“

„Ich höre nichts.“

„Genau das ist es, hier herrscht totale Stille!“

Als sie sich anschauten, empfand Brad genau dasselbe tiefe Gefühl, das er empfunden hatte, als er sie am vergangenen Abend geküsst hatte.

Emily schaute besorgt zu dem mit Schnee bedeckten Wagen hinüber.

„Ich habe gestern Abend vorm Haus eine Schaufel und einen Besen gesehen, die hole ich gleich. Dann versuchen wir, den Wagen wieder in Gang zu bringen.“ Brad bezweifelte allerdings, dass sie weit damit kommen würden.

Emily empfand die warmen Sonnenstrahlen als ausgesprochen wohltuend. „Vielleicht schmilzt der Schnee?“

„Kann sein.“ Da der Bach schon jetzt überlief, würde das allerdings neue Probleme bringen.

Eine halbe Stunde lang schaufelte Brad den Schnee um die Reifen herum weg, während Emily mit dem Besen Kühler und Kofferraum abfegte. Sie holte ihre Kamera aus der Hütte und machte ein paar Aufnahmen.

Als der Wagen einigermaßen freigeschaufelt war, sagte Brad mit einem Blick auf die Brücke: „Ich versuche mal, wie weit ich komme.“

Emily stieg ebenfalls ein.

„Hast du Angst, ich lasse dich hier allein?“, neckte er sie.

„Ich gehe kein Risiko ein.“

Obgleich das scherzhaft klang, ahnte Brad, dass Emily ihm nicht recht traute. Am Vorabend war die unsichtbare Mauer, hinter der sie sich verschanzte, kurzzeitig eingefallen, aber inzwischen war der Schutzwall wieder so hoch wie vorher.

Der Motor hustete und spuckte, doch schließlich sprang er an. Sobald sie allerdings wieder auf vereisten Grund gerieten, drehten die Räder durch.

Emily empfand leichte Panik.

„So geht es nicht, wir müssen etwas anderes versuchen.“

„Was denn? Stecken wir hier fest?“

Beruhigend legte Brad ihr die Hand auf den Arm. „Caleb weiß ja, dass wir hier sind. Er wird uns herausholen, wenn wir es nicht allein schaffen.“

Ihr Gesicht hellte sich plötzlich auf. „Du hast doch ein Handy, oder?“

„Das habe ich gestern Abend probiert, aber hier oben im Gebirge hatte ich keinen Empfang, und als ich es heute Morgen noch mal versuchte, war die Batterie leer.“

Emily schaute so deprimiert drein, dass Brad sie aufzumuntern versuchte. „Den Bonus werde ich dir nach dieser Erfahrung wohl mächtig erhöhen müssen.“

„Wieso? Wegen des Kusses gestern?“

Brad war klar, dass Emily ihn für einen Frauenhelden hielt, aber die Vorstellung, dass er für einen Kuss zahlen müsste, irritierte ihn. „Es war mehr als ein Kuss, und du warst daran genauso beteiligt wie ich. Ich finde nur, du verdienst eine Entschädigung dafür, dass du in einer Gegend gestrandet bist, in der es dir nicht gefällt.“

In der Hütte zündete er erneut das Kaminfeuer an, und gegen Mittag bereitete er auf dem Gaskocher Rührei zu. Es dauerte eine Weile, aber dann konnten sie schließlich essen, zusammen mit einem Butterbrot. Emily nahm wieder ein Stück Obst dazu, während Brad sich an einen Schokoriegel hielt.

Er überlegte, was ihnen für Möglichkeiten blieben. Vielleicht wohnte jemand in der Nähe? Thunder Canyon entwickelte sich zu einem begehrten Skigebiet, und der Goldrausch hatte viele Leute in die Gegend gelockt.

Als Brad mal die Sommerferien mit einem Freund in Montana verbrachte, hatte er diverse Überlebenstechniken gelernt. Er wusste, wie man anhand des Sonnenstandes und des Baumbewuchses die Himmelsrichtung ortete und wie man sich markante Punkte in der Landschaft merkte.

Emily bemühte sich später, die Bratpfanne zu säubern. Seit sie wieder in der Hütte waren, hatte sie nicht viel gesagt, und es tat Brad leid, dass er am Morgen etwas ruppig gewesen war. Vor allem, da er sich sehr zu ihr hingezogen fühlte.

„Ich werde heute Nachmittag mal die Gegend erkunden“, erklärte er. „Vielleicht gibt es hier doch irgendwo einen Nachbarn.“

„Ich komme mit.“

„Nein, Emily, ohne dich gehe ich schneller und weiter.“ Die Sonne verschwand hinter einer Wolke. In den Bergen wechselt das Wetter schnell, dachte er einen Moment lang.

Und freundlicher sagte er dann: „Du bleibst hier im Warmen und passt auf, dass das Feuer nicht ausgeht. Allerdings musst du mit dem Holz etwas sparsam sein.“

„Das halte ich für keine gute Idee“, protestierte Emily. „Erstens möchte ich nicht gern allein hier bleiben, und zweitens missfällt mir die Vorstellung, dass du da draußen in der eisigen Kälte herumstreunst.“

Brad nahm sie bei den Schultern. „Ich weiß, was ich tue, Emily. Ich habe schon mal eine zehntägige Rucksacktour im Gebirge gemacht. Und was ich damals nicht lernte, habe ich später bei anderen Touren gelernt. Mach dir also keine Sorgen.“

„Das ist leichter gesagt als getan!“

Brad überlegte, wann sich das letzte Mal jemand ernsthaft Sorgen um ihn gemacht hatte. Der Gedanke rührte ihn. In den beiden Tagen, die er mit Emily zusammen verbracht hatte, waren schon so manche seiner Ansichten ins Wanken geraten.

Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, aber er hielt sich zurück. „Geh nicht hinaus, es sei denn, es ist unumgänglich, versprochen?“

„Ja, gut.“

Brad nahm einen Schokoriegel mit. „Nur für den Fall, dass ich hungrig werde.“ Bei einem letzten Blick zurück dachte er, dass es ganz gut sei, wenn sich seine Gedanken an Emily draußen etwas abkühlen würden.

Die erste Stunde, die Emily nach Brads Weggehen verbrachte, war noch erträglich. Ab dann ging sie jedoch alle Viertelstunde ans Fenster und schaute hinaus. Lustlos versuchte sie, eine Zeitung zu lesen, die sie eingepackt hatte. Sie trank etwas Saft und schaute sich die Titel der Bücher im Regal an.

Eine Stunde später verdunkelte sich der Himmel. Im Haus wurde es feuchtkalt, und Emily bekam ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Brad war schon anderthalb Stunden weg! War er ausgerutscht und gar gestürzt? Holte er sich in der Kälte gar den Tod?

Das Feuer war beinahe heruntergebrannt, und sie wusste nicht, ob sie noch ein Holzscheit auflegen sollte oder nicht. An Stillsitzen war nicht mehr zu denken.

Sie zog die Lammfelljacke an, die über dem Küchenstuhl hing. Irgendwie roch sie nach Brad …

Die Jacke war zwar angenehm warm, trotzdem zog sie noch einen Pullover darunter. Dann stellte sie den Kragen auf und verließ das Haus.

Es schneite leicht. Brads Fußstapfen waren noch zu sehen. Obgleich der Abstand für sie zu groß war, weil er längere Beine hatte, versuchte sie, immer genau dort hineinzutreten, damit ihre Schuhe nicht feuchter wurden als nötig.

Es schneite immer mehr, und als auch der Wind sich verstärkte, überlegte Emily, ob sie umkehren sollte. Sie starrte auf die Tannen und wünschte sich, hindurchsehen zu können.

Plötzlich sah sie dann tatsächlich etwas, oder war es eine Halluzination? Nein, sie erkannte den grünen Parka mit der pelzbesetzten Kapuze. Brad kam direkt auf sie zu!

Als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, rannte sie auf ihn zu und schlang ihm erleichtert die Arme um den Hals. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist. Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Du kamst und kamst nicht zurück …“

Brad schob die Kapuze zurück, die ihm über die Augen gerutscht war, und sah Emily liebevoll an. „Jetzt bin ich wieder da, und alles ist in Ordnung. Komm, lass uns ins Haus gehen.“

Aber sie blieben stehen. In Emilys Augen standen Tränen. „Ich hatte Angst, dir sei etwas zugestoßen.“ Sie drückte ihn fest, und er hielt sie umschlungen. Dann senkte er den Kopf.

Der Kuss war so leidenschaftlich, dass Emily nicht mehr wahrnahm, wie heftig es schneite. Brad hob sie schließlich auf seine Arme und brachte sie ins Haus.

Kaum waren sie drinnen, küsste er sie erneut. Ihre Lippen verschmolzen, und die Lust aufeinander schien außer Kontrolle zu geraten.

Brad trug Emily zu seinem Schlafplatz und kniete sich neben sie. „Ich will dich, Emily“, flüsterte er.

„Ich dich auch.“ Seit langem träumte sie davon, mit Brad zu schlafen. Würde sich dieser Traum nun erfüllen?

Hastig schlüpfte er aus seinem Parka, und Emily zog die Jacke und ihren Pullover aus. „Ich hatte solche Angst um dich, Brad!“

„Mir gefiel der Gedanke, dass du allein in der Hütte warst, auch nicht, aber ich musste doch einen Weg für uns finden, hier wegzukommen.“

Sie streckte die Arme nach ihm aus, und dieses Mal war der Kuss noch inniger. Dann zog Brad Emily ganz aus und breitete eine Decke über sie. Sekunden später war er ebenfalls nackt, legte sich neben sie und nahm sie in die Arme. Genussvoll drängte Emily sich an ihn.

In der Hitze der Leidenschaft vergaßen sie völlig, wie kalt es um sie herum war. Als Brad Emilys Brüste streichelte, stöhnte sie voller Verlangen auf. Welche Stelle er auch berührte, jede schien empfindsamer zu sein als die vorige. Bei jedem Kuss auf ihr Dekollete, auf ihren Bauch, in ihre Halsgrube empfand sie neue Glücksgefühle.

„Was möchtest du, Emily?“, flüsterte er.

„Dich in mir spüren.“

Und Brad gab ihr, was sie wollte. Schon beim ersten Stoß wäre sie beinahe gekommen, aber dann ließ er sich Zeit, um den Genuss zu verlängern.

Er erregte sie dermaßen, dass beide sich schon bald nach der Erlösung sehnten. Emily hatte das Gefühl, es kaum noch aushalten zu können. Als sich ihre Muskeln anspannten, stöhnte Brad auf. Sie umschlang seine Hüften mit den Beinen, und seine Bewegungen passten sich ihrem Rhythmus an. Dann drängte er seine Hand dazwischen und brachte sie zum Höhepunkt. Der kam nicht plötzlich, sondern genussvoll langsam, sich steigernd, und Brad bewegte sich weiter, bis auch er Erfüllung fand. Er erschauerte tief und stöhnte laut auf. Emily hielt ihn fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Einige Minuten verharrten sie in inniger Umarmung. Dann löste Brad sich und legte sich auf den Rücken.

Plötzlich empfand Emily tiefe Scham, und bevor Brad etwas hätte sagen können, was sie nicht hören wollte, bemerkte sie: „So ist es auch mit Suzette passiert, oder?“

4. KAPITEL

Brads Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Emily, ob du es glaubst oder nicht, ich hatte noch nie vorher ungeschützten Sex.“

Nur zu gern hätte sie ihm das geglaubt. Auch dass er noch nie jemanden so begehrt hatte wie sie, was er behauptete.

„Wie konnte ich das nur geschehen lassen!“ Sie setzte sich auf und barg ihr Gesicht in den Händen. Als sie mit Warner zusammen gewesen war, hatte sie zwar die Pille genommen, war aber dennoch schwanger geworden. Wenn sie jetzt schwanger würde, war es allein ihre Schuld!

Brad setzte sich ebenfalls auf. „Emily, solltest du hiervon schwanger sein, lasse ich dich nicht im Stich“, versicherte er ihr, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Wie viele Männer sagten so etwas? Warner hatte sofort erklärt, ein Kind passe nicht in seine Pläne! Brad dachte wahrscheinlich auch nur an eine finanzielle Unterstützung. „Du meinst, so wie bei Suzette?“

„Ich bin nicht der Vater von Suzettes Kind!“

„Und wieso behauptet sie es dann?“

„Das ist doch egal, oder? Du glaubst mir ohnehin nicht. Ich weiß nicht, wie du auf die Idee kommst, ich würde mich dir gegenüber verantwortungslos verhalten!“

„Stimmt, dazu hast du mir nie Grund gegeben. Aber ich habe Fotos der Frauen gesehen, mit denen du zusammen warst, habe Klatschspalten gelesen und Privatgespräche für dich vermittelt. Deine Beziehungen dauern selten länger als ein Gewitter.“

Emily rechnete damit, dass Brad verärgert reagieren würde. Er sagte jedoch nur: „Denk, was du denken möchtest.“ Er stand auf und zog sich die Jeans an. „Mit dem Holz kommen wir nicht über die Nacht. Ich versuche mal, draußen etwas zu finden, das trocken genug zum Verbrennen ist.“

„Du solltest nicht mehr hinausgehen!“

„Dieses Mal bleibe ich nicht lange weg.“

Vor zehn Minuten hatten sie sich noch in der intimsten Umarmung befunden, die es zwischen Mann und Frau gibt, und jetzt kam es Emily vor, als seien sie Welten voneinander entfernt!

Sie stand auf und zog sich an. Dann bereitete sie einen Salat für das Abendessen zu.

Brad kam bald mit Brennmaterial wieder herein. „Wenn das hier zu feucht ist, müssen wir mit dem auskommen, was wir haben.“

Das ist nicht gerade viel, dachte Emily besorgt, aber immerhin haben wir eine Unterkunft, genug zu essen und ein paar Decken.

Als Brad die Äste anzündete, qualmte es mächtig. „Das habe ich befürchtet!“, schimpfte er. „Komm schnell, wir gehen raus, bis sich der Rauch verzogen hat.“

Hustend nahm Emily die Lammfelljacke und folgte ihm nach draußen. Inzwischen hatte es aufgehört zu schneien.

Brad schaute zum Himmel. „Hm, es sieht aus, als gebe es einen Wetterwechsel.“

„Ich verstehe nicht, dass Mr. Douglas nicht versucht hat, uns zu erreichen. Er hat doch bestimmt einen Geländewagen.“

„Selbst wenn er das probiert hätte, wäre er damit nicht über die Brücke gekommen. Wir müssen hier bleiben, bis sich eine andere Möglichkeit ergibt.“

Emilys Gesichtsausdruck sagte alles.

„Es ist besser, du kennst die Wahrheit. Keine Sorge, Caleb holt uns garantiert hier heraus. Er ist ein Mann der Tat.“

Emily bemühte sich, keine Angst zu zeigen und nicht mehr an das zu denken, was vor nicht allzu langer Zeit in der Hütte geschehen war.

Sie schaute zu den schneebedeckten Tannen hinüber. Plötzlich flüsterte sie: „Brad, sieh mal, was ist denn das da?“

Er stellte sich neben sie. „Ein Elch“, antwortete er leise.

„Der kommt doch wohl nicht näher, oder?“

Brad lachte leise. „Ich glaube nicht, dass er auf unsere Gesellschaft Wert legt, aber bald ist Brunftzeit. Vielleicht schaut er sich vorher noch ein bisschen um.“

Emily lächelte bei dem Gedanken.

„Komm, gehen wir wieder rein, bevor es zu kalt wird. Wir sollten uns eine heiße Schokolade machen.“

„Wann ist deiner Meinung nach das letzte Holz aufgebraucht?“

„Oh, ziemlich bald. Bevor wir uns schlafen legen.“

Emily wusste nicht, wie spät es war, als sie im Stockfinsteren erwachte. Das Feuer war längst ausgegangen, und sie fror erbärmlich. Trotz der Trainingshose und der beiden Decken wollte ihr einfach nicht warm werden. Sollte sie noch mehr anziehen?

Um sie herum herrschte tiefe Stille. Brad schlief offenbar fest. Sie nahm die Taschenlampe vom Boden, ging ins Schlafzimmer und zog noch ein T-Shirt und einen Pullover an. Im Schlafzimmer war es klirrend kalt.

Sie ging zurück und legte sich aufs Sofa, aber sie fror derart, dass sie bald mit den Zähnen klapperte. Verzweifelt probierte sie verschiedene Positionen aus und legte die Hände vors Gesicht, um den eigenen warmen Atem zu spüren.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte Brad.

„Nein, ich friere schrecklich! Ich habe noch mehr angezogen, aber es nützt nichts.“

„Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, schlug er nach einer Weile vor.

„Wir zersägen das Mobiliar und benutzen es als Brennholz für den Kamin.“

Er lachte leise. „Durch den Lack und die Farbe würde das genauso qualmen wie das feuchte Holz. Reines Kiefernholz wäre nützlicher.“

„Und die andere Möglichkeit?“

„Du könntest mit mir zusammen schlafen, dann wärmen wir uns gegenseitig.“

Bei dem Gedanken wurde Emily tatsächlich warm. „Das ist keine gute Idee.“

„Wir behalten natürlich unsere Sachen an, Emily. Es geht ums Überleben, nicht um Sex.“

War sie zu prüde? War der Gedanke, dass er vielleicht noch mal mit ihr schlafen wollte, so absurd? Sie war von dem Liebesakt mit ihm noch immer ziemlich durcheinander. Und sie war sich bewusst, dass sie auf dem besten Wege war, sich in Brad Vaughn zu verlieben!

Als sie nicht antwortete, sagte er in die Dunkelheit: „Denk zumindest drüber nach.“

Emily hörte, wie er sich umdrehte, als könnte er einfach weiterschlafen. Sie versuchte noch eine ganze Weile, eine Stellung zu finden, in der ihr weniger kalt war, aber nichts half. Wenn die Nacht doch erst vorüber wäre!

Gelegentlich hörte sie merkwürdige Geräusche. Gab es Bären in Montana? Heulte da ein Kojote? Oder ein Wolf? Schließlich gab sie es auf. „Brad?“

„Kannst du noch immer nicht schlafen?“

„Nein. Steht dein Angebot noch?“

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis er antwortete. „Na klar, komm zu mir. Auf dem Sofa ist es für uns beide zu eng.“ Dafür war Brad viel zu breitschultrig und kräftig.

Emily knipste die Taschenlampe an, um etwas sehen zu können.

Er stützte sich auf den Ellbogen. „Du solltest das T-Shirt und den Pulli lieber ausziehen.“

Auf ihren misstrauischen Blick hin wandte er ein: „Ich verlange nicht, dass du dich ausziehst, aber ohne die Sachen fühlst du dich bestimmt wohler.“

Zögernd befolgte sie seinen Rat. Dann versuchte sie, neben ihm Platz zu finden. Brad lag auf der dicken Tagesdecke und benutzte zwei Wolldecken als Zudecke.

„Brauchen wir meine Decke auch noch?“

„Wir versuchen es erst mal so.“

Emily knipste die Taschenlampe aus und überlegte, welche Position sie einnehmen sollte.

„Leg dich mit dem Gesicht zum Sofa hin“, schlug er vor. Aber ganz am Rand war ihr genauso kalt. Erst als Brad die Arme um sie legte und sie dicht an sich zog, wurde Emily warm. Bald jedoch spürte sie, dass ihn das erregte, und wollte von ihm wegrücken.

„Ich kann es nicht kontrollieren, aber ich werde nichts tun, was du nicht auch willst“, flüsterte er an ihrem Ohr.

Genau das war das Problem, denn seine Nähe und das Bewusstsein seines Körpers erregten sie genauso wie sie ihn! Noch ein zweites Mal wollte sie jedoch nicht mit ihm schlafen. Erstens, weil es ungeschützt zu riskant war, und außerdem, weil sie das Gefühl hatte, dass es für sie wirklich ein Akt der Liebe war, während es für ihn nichts als reiner Sex zu sein schien. Das war der wichtige Unterschied.

Sein warmer Atem war an ihrem Ohr spürbar. „Entspann dich, Emily, schlaf endlich. Morgen früh scheint vielleicht die Sonne, dann wird alles gut.“

Wirklich? Sie konnte nicht rückgängig machen, was sie getan hatte, konnte die Sache mit Suzette Brouchard nicht vergessen und konnte nicht leugnen, dass sie dabei war, sich in Brad zu verlieben!

Wie von ihm vorausgesagt, wurde ihr in seiner direkten Nähe bald warm. Doch kurz bevor der Schlaf sie überkam, quälte sie eine einzige Frage: War sie womöglich schwanger von Brad?

Als Brad Emily vorschlug, mit ihm das Lager zu teilen, ahnte er, dass es nicht besonders klug war. Er hatte nicht vor, noch ein zweites Mal mit ihr zu schlafen, das war zu riskant, denn sie interessierte ihn mehr, als ihm lieb war.

Als Emily ihn bei seiner Rückkehr so stürmisch begrüßte, hatte sie damit bei ihm ein richtiges Feuer entfacht. Er empfand sie als liebevoll, herzlich, ehrlich und direkt – und damit völlig anders als die Frauen, die er sonst kannte. Über das, was dann geschah – der Kuss, das Ausziehen, der explosive Sex –, hatte er nicht weiter nachgedacht.

Erst später wurde ihm die ganze Situation bewusst, und Schuldgefühle plagten ihn. Brad hatte bislang noch nie ungeschützten Verkehr gehabt! Das war verantwortungslos und unbegreiflich. Wieso hatte er sich dazu bloß hinreißen lassen?

Als Emily sich dann in der Nacht hin und her bewegte und im Schlaf sogar mal einen ihrer Schenkel über ihn legte, kostete es Brad große Beherrschung, die Situation nicht auszunutzen. Er wollte auf keinen Fall noch mal mit ihr schlafen. Sie passten einfach nicht zueinander. Durch Robin hatte er gelernt, dass es irgendwann unweigerlich zum Bruch kam, wenn man nicht den gleichen familiären Hintergrund hatte. Zu unterschiedlich waren Ziele und Bedürfnisse.

Andererseits hatten die meisten Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, den gleichen Hintergrund wie er gehabt. Und trotzdem gab es da nicht annähernd das starke Interesse, das ihn mit Emily verband. Merkwürdig.

Im Gegensatz zu Emily gefiel ihm der Aufenthalt in der Einsamkeit. Die Stille, die Luft, die herrliche Landschaft lenkten von vielem ab und vermittelten ein Gefühl des Friedens.

Als Emily in der Nacht irgendwann völlig unbewusst mit ihrer Hand über seine Brust strich, war ihm, als zöge sie eine heiße Spur über seinen Körper. Und als sie das Gesicht an seiner Schulter rieb, hatte er Mühe, nicht genussvoll aufzustöhnen! Er hoffte beinahe, dass sie bald aufwachen würde.

Plötzlich schlug sie die Augen auf. Ihre Gesichter waren dicht voreinander. Schnell rückte sie etwas von ihm weg. „Entschuldige, ich bin dir wohl etwas zu sehr auf die Pelle gerückt.“ Als sie sich jedoch aufsetzte, wurde ihr sofort wieder kalt, und sie rieb sich die Arme.

„Jetzt solltest du den Pullover wieder anziehen“, schlug Brad vor, schon um alle erotischen Gedanken zu vertreiben.

Emily stand auf. „Ich putze mir schnell die Zähne, dann mache ich mich ans Frühstück. Vielleicht wärmt uns das auf.“ Sie sprach hastig, als sei ihr die Erinnerung an das enge Zusammenliegen peinlich.

„Nimm dir Zeit, schließlich haben wir keinen Termin.“

Kurz darauf bereitete Brad auf dem Gaskocher heißes Wasser für Tee und Kaffee zu. Emily liebte Tee, er Kaffee – wieder ein Unterschied zwischen ihnen.

Sie schnitt eine Banane in Stücke, füllte Müsli in eine Schüssel und setzte sich an den Küchentisch.

Brad wurde bewusst, dass sie ziemlich still war. Dachte sie daran, dass sie womöglich schwanger war? Dann mussten sie ganz offen darüber reden.

Ein Sonnenstrahl erhellte ihr Gesicht, dessen feine Konturen durch die schlichte Pferdeschwanzfrisur betont wurden.

„Du sagtest, du hättest zwei Schwestern und einen Bruder. Was machen sie?“, fragte er, um ein neutrales Thema zu finden.

„Eric ist Geschichtslehrer.“

„Wie viel älter ist er als du?“

„Zwei Jahre. Gleich nach dem College heiratete er Sheila und wurde Vater.“

„Wohnen sie auch in Chicago?“

„Nein, in Lyle.“ Sobald Emily von ihren Geschwistern sprach, klang ihre Stimme ganz zärtlich. „Elaine ist dreiundzwanzig und Anwaltsgehilfin. Und Lizbeth beendet im Frühjahr ihr Studium.“

„Wieso hast du nicht gleich nach der Schule studiert?“

Emily schwieg kurz. „Anderes war wichtiger. Eric bekam ein Stipendium, das er natürlich abzahlen muss. Wenn ich auch studiert hätte, hätte ich Lizbeth und Elaine nicht unterstützen können. Deshalb besuchte ich ein Jahr lang die Handelsschule und ging gleich in eine Stellung. Sobald Lizbeth jedoch mit der Ausbildung fertig ist, werde ich mein Studium aufnehmen. Es wird noch eine Weile dauern, aber irgendwann bekomme auch ich hoffentlich meinen Abschluss.“

Emily hatte ihr eigenes Ziel also zurückgestellt, um ihren Geschwistern eine Ausbildung zu ermöglichen! Brad hatte noch nie jemanden getroffen, der so selbstlos war. Seine Achtung vor ihr stieg.

Als sie wieder schwieg, fragte er: „Emily, hast du Angst, dass du schwanger sein könntest?“

Sie stand auf, um sich noch etwas Tee einzuschenken. Schweigend schaute sie Brad an.

„Was geht dir durch den Kopf? Sag es mir“, bat er.

„Bevor ich bei Vaughn & Associates anfing“, erzählte sie nach einer Weile, „hatte ich eine feste Beziehung.“

„Ah, ja?“ Die Vorstellung, dass es da einen anderen Mann gegeben hatte, missfiel Brad irgendwie.

„Obgleich ich die Pille nahm und sorgfältig damit umging, wurde ich schwanger.“

„Du hast ein Kind?“ Brad war tief getroffen.

„Nein. Als Warner erfuhr, dass ich schwanger war, wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben. Er war Anwalt und ich nur eine einfache Sekretärin. In dem Moment begriff ich, dass ich für ihn nur ein Zeitvertreib gewesen war.“

„Und das Kind?“

„Wenige Wochen nach unserer Trennung hatte ich eine Fehlgeburt.“

„O Emily, das tut mir leid.“

Als Brad bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte, stand er auf und ging zu ihr.

„Es ist schon eine ganze Weile her“, sagte sie leise.

„Du hast es aber offenbar noch nicht verwunden.“

„Ich werde es nie vergessen. Ein Kind hätte mein Leben enorm schwierig gemacht, aber ich wollte es unbedingt haben!“

Brad nahm Emily in die Arme, und sie legte den Kopf an seine Schulter. So etwas tat sie bestimmt nicht oft. Meistens schien sie diejenige zu sein, die andere tröstete.

„Ich hätte dich niemals in diese Lage bringen dürfen“, murmelte er.

„Es ist auch meine Schuld.“

Plötzlich war draußen ein Brummen zu hören, das näher zu kommen schien.

„Was ist das?“

„Hört sich an wie ein Hubschrauber. Vielleicht hat Caleb den geschickt.“

Sie nahmen ihre Jacken und liefen nach draußen. Es war tatsächlich ein Hubschrauber, und er war gerade auf der Lichtung gelandet.

„Wir holen schnell unsere Taschen!“, rief Emily dem Piloten zu, der von Caleb beauftragt worden war.

Eilig räumten sie im Haus auf, packten ihre Sachen, und nach wenigen Minuten saßen sie in der Maschine und flogen davon.

Als Emily den Hubschrauber hatte landen sehen, war sie unendlich froh gewesen. Dann jedoch wurde ihr bewusst, dass die Zeit mit Brad etwas ganz Besonderes gewesen war. Zwar einerseits ziemlich abenteuerlich, aber sie hatte sich auch behütet und verstanden gefühlt wie nie zuvor. Würden sie ab jetzt wieder nur Chef und Sekretärin sein?

Brad schaute sie an. Zu gern hätte Emily gewusst, was in seinem Kopf vorging. Oder war es besser, das nicht zu erfahren? Wenn sie auch für ihn nur ein Zeitvertreib gewesen war, würde es ihr das Herz brechen!

Der Pilot rief ihnen zu, dass er sie zur Ranch von Caleb Douglas bringen würde. Als sie Thunder Canyon überflogen, genoss Emily die Vogelperspektive und dachte nicht mehr an das, was in der Hütte passiert war.

Das Brummen des Hubschraubers übertönend, rief Brad: „Das ganze Land da unten gehört Caleb Douglas. Sieh mal, dort ist der Eingang zur Mine!“ Man konnte sehen, dass drei Straßen dorthin führten. Brad wies auf den Haupteingang: „Da ist der Junge in die Grube gestürzt, in der seine Retter die Goldklumpen fanden.“

Die Douglas-Ranch war selbst von oben eindrucksvoll. Es war ein einstöckiges Haus, umgeben von riesigen Weideflächen, auf denen grasende Rinder liefen. In Thunder Canyon schien es im Gegensatz zum Gebirge nur wenig geschneit zu haben.

Nachdem der Pilot hinterm Haus gelandet war, nahm Brad die beiden Taschen.

Caleb Douglas empfing sie an der Eingangstür und bat sie herein. Sie betraten ein großes Kaminzimmer mit einem Billardtisch, mehreren Sofas und bequemen Sesseln.

Als Emily ihre Schuhe ausziehen wollte, um den feinen Teppich nicht zu verschmutzen, winkte Caleb ab. „Darum kümmert sich die Haushälterin.“ Er schaute beide an. „Tut mir leid, dass Sie so lange in der Hütte bleiben mussten. Ich ahnte, dass der Strom ausfallen würde. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, mir einen Generator zuzulegen, da ich mit dem Ski-Projekt zu sehr beschäftigt bin. Ich war schon auf dem Weg zu Ihnen, habe es aber nicht über die überflutete Brücke geschafft, und der Hubschrauber war erst heute verfügbar.“

„Nun, wir haben es überlebt.“

„Leider gibt es nach wie vor kein freies Hotelzimmer“, fuhr Caleb fort, „aber da die Familie meiner Frau gestern abgefahren ist, können Sie jetzt gern hier wohnen.“

„Oh, wir möchten Ihnen nicht zur Last fallen.“

„Kein Problem, das Haus ist groß genug. Übrigens habe ich einen Geländewagen für Sie gemietet, den ich in Bozeman fand. Sie können also problemlos herumfahren. Es sei denn, Sie wollen durch Hochwasser“, bemerkte er augenzwinkernd.

Autor

Karen Rose Smith
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