Cora Collection Band 36

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UNTER DER SONNE AFRIKAS von ANNE FRASER

"Ich komme mit nach Afrika!" Spontan unterstützt Lady Alice Granville auf einem Ball das Wohltätigkeitsprojekt von Dr. Dante Corsi. Kann sie dem faszinierenden Arzt damit beweisen, dass sie kein verwöhntes Partygirl ist - und endlich sein Herz gewinnen?

LIEBESSTERN ÜBER AFRIKA von LIZ FIELDING

Fußballstar heiratet Supermodel in der Leopard Tree Lodge in Afrika! Vom Gelingen der Riesenparty der beiden hängt Josies Karriere als Hochzeitsplanerin ab. Zum Glück steht ihr Gideon McGrath, der attraktive Besitzer des Luxus-Camps, tatkräftig zur Seite. In seiner Nähe hat sie keine Angst vor wilden Tieren. Oder Gefühlen, die sie immer unterdrückt hat …

HEISS WIE DIE SONNE AFRIKAS von NINA HARRINGTON

Überraschend trifft Kate ihren Ex-Freund Simon in Afrika wieder. Nie hat sie ihn vergessen, obwohl sie einfach nicht zusammenpassten. Aber warum glaubt hier bloß jeder, dass sie beide zusammengehören?


  • Erscheinungstag 12.02.2021
  • Bandnummer 36
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502139
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Fraser, Liz Fielding, Nina Harrington

CORA COLLECTION BAND 36

PROLOG

Alice griff nach dem Bleistift und warf noch ein paar Striche auf den Zeichenblock. Irgendwie ähnelte ihr David mehr dem Unglaublichen Hulk als Michelangelos Meisterwerk.

Da die berühmte Piazza della Signoria nur am frühen Morgen nicht von Touristenmassen überschwemmt wurde, war Alice beim ersten Tageslicht aufgestanden. Kein Wunder, dass Florenz ein so beliebtes Reiseziel war, schließlich war es der Traum aller Kunstliebhaber. Überall gab es beeindruckende Architektur, Statuen und andere Kunstwerke zu bestaunen. Erst gestern hatte sie Michelangelos David im Original in der Galleria dell’Accademia gesehen, fasziniert von so viel männlicher Schönheit. Und nun saß sie hier auf der Piazza und versuchte, die Kopie zu zeichnen.

Es war zwar erst acht Uhr, aber schon jetzt füllte sich der Platz mit Busladungen von Urlaubern. Sie beschloss, nur noch eine Stunde zu bleiben.

Alice seufzte wohlig, als die warmen Sonnenstrahlen ihr Gesicht streichelten. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sie sich noch nie so wohlgefühlt. Hier in Florenz kannte sie niemand, es interessierte keinen Menschen, wer sie war, und das war wundervoll. Keine Paparazzi, die ihr auflauerten und deren Fotos am nächsten Morgen die ersten Seiten der Klatschpresse zierten. Keine Galadinners, keine Bälle oder andere Anlässe, die ihre Anwesenheit erforderten. In diesen, wenn auch allzu kurzen drei Wochen war sie einfach nur Alice Granville.

Sie hielt den Block etwas von sich ab und betrachtete ihr Werk kritisch. Ihre zeichnerischen Fähigkeiten waren eher mäßig, und sie würde nie eine große Künstlerin werden, aber sie hatte sich in der Villa gelangweilt und wollte einige von den wunderbaren Dingen, die sie gesehen hatte, irgendwie festhalten.

Nach ihrer Zeichenstunde hatte sie vor, sich wie jeden Morgen in einem der Cafés einen Kaffee und etwas Süßes zu gönnen. Leider aß sie für ihr Leben gern und konnte an keiner pasticceria vorbeigehen, ohne nicht zumindest verlangend auf die köstlichen Kuchen zu blicken. Und hier in Florenz gab es an fast jeder Straßenecke eine kleine Konditorei mit neuen, unbekannten dolci, die sie unbedingt probieren musste.

Allerdings schien nur ein einziger Blick darauf zu genügen, und schon hatte sie das Gefühl, dass ihre Hüften anschwollen. Nicht dass sie übergewichtig war, aber etwas weniger üppige Rundungen wünschte sie sich schon.

Sie wollte gerade ihre Sachen einpacken, da fiel ihr Blick auf den Mann, der gegenüber auf einer Bank saß.

Er trug eine eng anliegende ausgeblichene Jeans und ein weißes T-Shirt, das sich um einen muskulösen Brustkorb schmiegte. Den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen, genoss der Mann sichtlich die warmen Sonnenstrahlen. Als er sich gleich darauf das T-Shirt auszog, spielten die kräftigen Armmuskeln unter der olivfarbenen Haut. Alice atmete tief durch. Er war perfekt, wie Michelangelos David. Sein athletischer Oberkörper war von der Sonne gebräunt, und feine dunkle Härchen zogen sich hinunter bis zum Knopf seiner Jeans.

Spontan begann Alice, sein Gesicht zu zeichnen. Er hatte dunkle, fast schwarze Haare, eine schmale, klassisch römische Nase und ein energisches Kinn.

Ihr Blick heftete sich auf seinen Mund. Volle Lippen, die Mundwinkel leicht nach oben gezogen, verrieten, dass er oft und gern lachte. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, lächelte er, reckte sich und schlug die Augen auf … Augen, die Alice an dunklen Bernstein erinnerten. Seine Zähne waren ebenmäßig und strahlend weiß. Zweifellos war er der schönste Mann, den sie je gesehen hatte – und das hieß schon etwas.

Ihr Mund war plötzlich ganz trocken. Hastig trank Alice einen Schluck Wasser aus ihrer Flasche. Es schmeckte warm und abgestanden, aber das war ihr egal.

Sie konzentrierte sich auf seine Brust, ihr Stift flog nur so übers Papier, und dann entdeckte sie, dass er doch nicht ganz perfekt war: Eine lange Narbe zog sich von der Schulter zum Bauch.

Der Mann griff nach seinem T-Shirt und zog es sich wieder über, was Alice erneut einen Blick auf seinen beeindruckenden Bizeps erlaubte. Sie riss ein Blatt von ihrem Block ab und fächelte sich Luft zu. Es war wirklich heiß heute.

Zehn Tage noch, dann würde sie in London wieder ihr gewohntes Leben führen. Sie seufzte, weil sie schon bei dem Gedanken daran Beklemmungen bekam. Warum nur? Andere Frauen würden sonst was dafür geben, um so leben zu können wie sie. Alice hingegen kam ihr Leben sinnlos und leer vor. Und es war schon merkwürdig – seit sie in Italien war, hatte sie das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. Dabei sprach sie nur ein paar Worte Italienisch und hatte, soweit sie wusste, auch keine italienischen Vorfahren. Vielleicht lag es daran, dass sie hier einfach Alice Granville war und nicht Lady Alice Granville, die Tochter eines der reichsten Männer Londons.

Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie einfach sie selbst sein. Und sie war entschlossen, jeden einzelnen Moment zu genießen.

Allerdings hatte sie Peter versprochen, über seinen Heiratsantrag nachzudenken. Peter war in jeder Hinsicht der geeignete Mann für sie. Adlig, reich und gebildet, stand ihm eine steile Karriere im Unternehmen ihres Vaters bevor. Aber Peter ließ ihr Herz nicht schneller schlagen. Wenn sie ehrlich war, langweilte er sie sogar. Sie war nach Florenz gekommen, um sich zu entscheiden, wusste aber bereits jetzt schon, dass sie ihn niemals heiraten könnte. Es würde schwierig werden, es ihm ins Gesicht zu sagen, aber sie würde es tun, sobald sie zurück war.

Die vergangenen eineinhalb Wochen hatte Alice sich dem Tagtraum hingegeben, Italienerin zu sein, eine ganz normale Frau mit einem normalen Leben, und es hatte ihr gefallen. Ihren restlichen Urlaub wollte sie nur Alice Granville sein, Studentin der Kunstgeschichte, die sogar ein Sandwich auf ihre Stadttour mitnahm, um Geld zu sparen. Dass dieses Sandwich vom Küchenchef der Villa, die einem Freund ihres Vaters gehörte, zubereitet worden war, vergaß sie schnell wieder.

Quietschende Bremsen, ein schriller Angstschrei und ein lautes Krachen rissen sie aus ihren Gedanken. Dann herrschte für einen Moment Totenstille. Alice sprang auf.

Im ersten Moment sah sie nur zerbeultes Blech und Kleider am Boden. Ein Stand mit Lederhandtaschen war umgekippt. Daneben ein verzogenes Moped, dessen Räder sich noch drehten, und auf der Straße stand ein Auto quer. Ein Mann mühte sich heraus und stützte sich schwer auf der Motorhaube ab.

„Dio mio“, keuchte er sichtlich benommen. „Dio mio …“

Schockiert starrte Alice auf das kleine Mädchen, das bewegungslos dalag. Ein paar Schritte entfernt versuchte eine Frau vergeblich, sich aufzurichten. Stöhnend sank sie wieder zurück.

Der Mann, den sie gezeichnet hatte, lief mit langen Schritten zur Unfallstelle, und Alice folgte ihm.

„Chiamate un’ ambulanza!“ rief er den Umstehenden zu, während er sich neben dem verletzten Kind niederkniete. Eine junge Frau zog ihr Handy heraus und tippte eine Nummer ein. Alle anderen starrten in stummem Entsetzen auf die Szene. Einige Zuschauer gingen zögernd weiter.

„Kann ich helfen?“, bot Alice an und ließ sich neben dem Mann auf die Knie nieder.

„Gehen Sie zu der Frau“, erwiderte er auf Englisch, mit deutlichem Akzent. „Sorgen Sie dafür, dass sie liegen bleibt und niemand sie bewegt, bis ich sie untersucht habe. Zuerst muss ich mich um das Kind kümmern.“ Als Alice zögerte, fügte er eindringlich hinzu: „Prego! Gehen Sie! Ich bin Arzt. Ich komme hin, sobald ich kann.“

Mit hämmerndem Herzen eilte Alice hinüber zu der Frau. In der Schule hatte sie zwar einen Erste-Hilfe-Kurs mitgemacht, aber das war vier Jahre her. Als sie beruhigend auf die grauhaarige Verletzte einsprach, wünschte sie, sie könnte richtig Italienisch. Die Frau murmelte etwas, das sie nicht verstand.

Zum Glück übersetzte die junge Frau, die den Krankenwagen gerufen hatte. „Sie fragt, ob es ihrer Enkelin gut geht.“

„Sagen Sie ihr, ein Arzt kümmert sich um sie.“

Die Großmutter des Mädchens wollte sich erheben, aber Alice hielt sie sanft, aber energisch davon ab. „Nein, nein, Sie dürfen sich nicht bewegen, bis der Arzt Sie untersucht hat.“ Voller Mitgefühl sah sie, dass die Frau sich wahrscheinlich den Knöchel gebrochen hatte. „Der Krankenwagen ist unterwegs.“

Die ältere Frau starrte angestrengt hinüber zu ihrer Enkelin, die halb durch den knienden Arzt verdeckt war, und murmelte leise etwas vor sich hin.

„Sie betet für ihre Enkeltochter“, erklärte die junge Passantin.

Alice erhob sich, um nachzusehen, ob sie dem Fahrer des Wagens helfen konnte.

Er blutete aus der Stirnwunde, aber Alice hatte irgendwo gelesen, dass Wunden am Kopf meistens gefährlicher aussahen, als sie waren. Abgesehen von der Platzwunde und der Benommenheit schien er unverletzt zu sein.

„Ich habe sie nicht gesehen, weil ich telefoniert habe“, stammelte er schuldbewusst.

„Es hat schon jemand einen Krankenwagen gerufen“, beruhigte sie ihn. „Er wird bald hier sein.“

„Könnten Sie bei der alten Dame und dem Fahrer bleiben?“, bat Alice die junge Frau. „Ich bin gleich wieder da. Ich will nur fragen, ob der Arzt Hilfe braucht.“

Mit wild klopfendem Herzen eilte sie zu ihm. Er hatte das Kind in die stabile Seitenlage gebracht. Es war beunruhigend blass, aber schlimmer noch war das Metallstück, das unterhalb des Schlüsselbeins aus der Haut ragte. Alice schnappte unwillkürlich nach Luft. Der Mann hatte sein T-Shirt ausgezogen und zusammengerollt, um es als Kompresse zu benutzen.

„Wie geht es den anderen beiden?“, erkundigte er sich, ohne aufzublicken.

„Der Fahrer scheint okay zu sein, aber die Großmutter hat sich wohl den Knöchel gebrochen.“

„Wie heißen Sie?“

„Alice.“

„Ich bin Dante. Alice, ich brauche Ihre Hilfe, damit ich mich um die anderen Verletzten kümmern kann“, sagte er, nahm ihre Hand und führte sie zu der blutenden Wunde. „Pressen Sie hier, so fest Sie können. Und nicht aufhören, egal was passiert.“

Vorsichtig, weil sie der Kleinen nicht wehtun wollte, drückte Alice das T-Shirt gegen die Wunde. Sofort floss mehr Blut nach.

Ungeduldig legte er seine Hand auf ihre und verstärkte den Druck. „Dio mio, ‚fest‘ habe ich gesagt!“, knurrte er. „Wir wollen die Blutung stoppen, nicht das Blut aufsaugen.“

„Okay, ja, natürlich.“

Dunkle Augen hielten ihren Blick einen Moment lang fest. Dann ließ der Mann ihre Hand los, erhob sich und lief zu der Großmutter.

„Nonna?“, flüsterte das Kind.

„Der Doktor schaut gerade nach deiner Nonna. Wie heißt du?“

„Sofia.“

„Okay, Sofia. Verstehst du Englisch?“

„Ein bisschen. Habe ich in der Schule.“

„Es wird alles wieder gut. Gleich kommt der Krankenwagen und bringt dich ins Krankenhaus. Aber bis dahin musst du ganz still liegen bleiben. Kannst du das?“ Alice lächelte das Kind an, um es zu beruhigen.

Sofia nickte, verzog aber gleich darauf das Gesicht. „Es tut weh“, jammerte sie. „Ich will zu meiner mamma!“

Alice sah, dass das Kind in Panik zu geraten drohte. Sie musste mit ihm reden, es irgendwie ablenken. Behutsam legte sie ihm die Hand auf die Schulter. „Wo ist deine mamma?“

„Zu Hause. Nonna und ich wollten einkaufen.“

„Wo wohnst du denn, Sofia?“, versuchte Alice sie weiter abzulenken.

„In den Bergen, die Straße hoch. Ich helfe meiner nonna beim Einkaufen.“

„Bestimmt ist deine mamma stolz auf dich. Und sie wird erst recht stolz sein, wenn sie hört, wie tapfer du warst.“ Zu ihrer großen Erleichterung ertönten in der Ferne die Sirenen des Krankenwagens. Alice warf einen Blick über die Schulter. Dante war immer noch mit der Großmutter der Kleinen beschäftigt, aber als würde er ihren Blick spüren, sah er auf und zog fragend die Augenbrauen hoch. Alice nickte beruhigend.

„Kommst du mit, wenn ich ins Krankenhaus fahre?“, bat Sofia.

Alice drückte ihr die Hand. „Aber natürlich. Wenn du möchtest, bleibe ich bei dir, bis deine mamma und dein papà kommen.“

Dante tauchte neben ihnen auf. „Wie geht es ihr?“

„Ganz gut, angesichts der Umstände. Sie ist bei Bewusstsein und redet.“

Dante zog sein Handy aus der Tasche und sagte etwas auf Italienisch zu Sofia.

Das Kind nannte eine Nummer, Dante wählte und wandte sich ein wenig ab, behielt aber das Mädchen dabei im Blick. Wahrscheinlich rief er die Eltern an, und Alice beneidete ihn nicht um diese Aufgabe.

Noch während er sprach, kam endlich der Krankenwagen. Zwei Sanitäter sprangen heraus. Der eine rannte auf sie zu, während sich der andere um den Unfallfahrer kümmerte. Alice hielt Sofia die Hand, als der Mann einen Venenzugang legte, um das Mädchen mit Infusionsflüssigkeit zu versorgen.

Gleich darauf wurde Sofia in den Wagen geschoben. Alice verstand genug, um zu wissen, dass noch ein zweiter auf dem Weg hierher war, um die Großmutter abzuholen.

„Ich fahre mit Sofia“, erklärte sie Dante. „Das habe ich ihr versprochen.“

Dante nickte und half ihr beim Einsteigen. „Bene. Wenn sie ein bekanntes Gesicht sieht, wird sie weniger Angst haben. Ich komme auch mit.“ Er senkte die Stimme. „Es kann immer noch sein, dass sie kollabiert. Sie hat eine Menge Blut verloren.“

Dante folgte im Krankenhaus den anderen Ärzten, als Sofia eilig hinter Schwingtüren verschwand. Alice setzte sich auf einen der Stühle. Sie wollte erst gehen, wenn sie sicher war, dass es dem Mädchen gut ging.

Nach einer Stunde stand Dante auf einmal neben ihr. In ihre Gedanken verloren, hatte sie ihn gar nicht kommen hören. Er trug blaue OP-Kleidung, und der dünne Baumwollstoff betonte seine breite Brust und die muskulösen Schenkel. In Krankenhauskleidung strahlte er eine überlegene Selbstsicherheit aus.

„Sofia wird wieder gesund. Die Chirurgen haben das Metallstück aus ihrer Schulter entfernt. Glücklicherweise hat es kein großes Blutgefäß beschädigt, sodass sie wohl in ein, zwei Tagen nach Hause kann.“ Er lächelte. „Sie haben gute Arbeit geleistet, Alice.“ Sie mochte es, wie er ihren Namen aussprach. Der samtweiche Akzent verlieh ihm einen interessanten, fast exotischen Klang.

„Zuerst hatte ich fürchterliche Angst“, gestand sie. „Aber das sollte Sofia nicht merken. Ich bin froh, dass sie wieder gesund wird.“ Alice konnte ein Frösteln nicht unterdrücken.

Dante nahm eine Decke von einer der Bänke und legte sie ihr um die Schultern. „Es war bestimmt ein Schock für Sie.“ Er setzte sich neben sie. „Ich warte noch, bis Sofias Eltern hier sind, aber Sie können gern zu Ihrem Hotel zurückfahren. Soll ich Ihnen ein Taxi bestellen?“

„Nein, danke, es geht schon wieder“, wehrte Alice ab. „Ich brauche nur einen Moment Ruhe.“

Jetzt, nachdem der Adrenalinschub abgeklungen war, fühlte sie sich wie ausgelaugt. Sie legte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Gleichzeitig war sie sich Dantes Nähe deutlich bewusst. Wo seine Fingerspitzen ihren Oberarm gestreift hatten, prickelte die Haut, und sie spürte die Wärme seines kraftvollen Körpers. Und sie wollte gern mehr über diesen Mann wissen.

An der Unfallstelle war sie erleichtert gewesen, dass er Arzt war, obwohl sie nie damit gerechnet hatte. Profi-Fußballer oder Model, das hätte eher gepasst.

„Was für ein Arzt sind Sie denn?“, fragte sie.

„Ich bin Kinderarzt. Und Sie?“ Er sah ihr in die Augen. „Sie haben auf dem Platz gezeichnet, sind Sie Künstlerin?“

„Wenn Sie meine Zeichnungen sehen würden, wüssten Sie, dass ich keine bin.“ Alice fühlte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Hatte er gemerkt, dass sie ihn skizziert hatte? Hoffentlich nicht.

„Ist das Ihr Zeichenblock?“ Er deutete auf ihre Handtasche, aus dem der Block ein Stückchen herausragte. „Darf ich einmal sehen?“ Bevor sie ihn davon abhalten konnte, zog er ihn heraus. Alice unterdrückte den Impuls, ihm den Block wieder aus den Händen zu reißen, und nickte stumm.

Verlegen saß sie da, während er die Skizzenblätter eins nach dem anderen umschlug. Mit ein wenig Glück würde er sich selbst nicht erkennen, denn die Zeichnung hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Mann neben ihr. Und schmeichelhaft war sie auch nicht.

Aber als er beim letzten Blatt innehielt und grinste, lösten sich ihre schwachen Hoffnungen in Nichts auf.

„Ich wusste gar nicht, dass ich so aussehe“, sagte er mit gespieltem Ernst, aber das Lachen dahinter war deutlich zu hören.

„Das ist nicht sehr gelungen. Sie sehen viel besser …“ Sie bremste sich gerade noch rechtzeitig. „Ich meine, ich bin nicht gut im Zeichnen“, fuhr sie hastig fort. „Es ist nur ein Hobby von mir.“ Sie entwand ihm den Block, um ihn schnell wieder in ihrer Handtasche zu verstauen.

„Und was machen Sie, wenn Sie nicht zeichnen?“

Was sollte sie antworten? Dass sie als persönliche Sekretärin für ihren Vater tätig war und die Gastgeberin bei exklusiven Essenseinladungen spielte, wenn er ausnahmsweise gerade keine Freundin hatte? Dass sie, abgesehen vom Studium, ihren Pflichten als Hausherrin von Granville House und zahlreichen gesellschaftlichen Auftritten nichts tat? Mit links war das alles allerdings auch nicht zu leisten. Und außerdem hatte sie sich vorgenommen, hier in Florenz einfach nur Alice zu sein. Weshalb sollte sie dann einem wildfremden Mann erzählen, wer sie wirklich war?

„Ich studiere Kunstgeschichte, in London.“ Das konnte sie ihm ruhig erzählen.

„Dann sind Sie also Gast in meiner Stadt. Gefällt sie Ihnen?“ Er lächelte sie an, und ihr Herz machte einen kleinen Satz.

„Ich liebe Florenz. Seine Geschichte, die Kunstschätze …“ Die Konditoreien ließ sie unerwähnt. „… und die unbeschwerte südliche Lebensart. Glauben Sie mir, wenn man diesen schrecklich nassen Sommer in England durchlitten hat, sehnt man sich nach Sonne.“

„Was haben Sie sich angesehen?“

„Praktisch alles, was im Reiseführer steht – die Ponte Vecchio, die Uffizien, Santa Maria Novella. Ich bin gelaufen, bis mir die Füße wehtaten.“

Dante schlug die langen Beine übereinander und lehnte sich zurück. „Was macht man mit einem Abschluss in Kunstgeschichte?“

Gute Frage. Von jemandem in ihrer gesellschaftlichen Position erwartete man in England nicht, dass er wirklich arbeitete. Soziales Engagement, das Organisieren von Spendengalas, das war noch akzeptabel, diente aber eigentlich nur dazu, die Zeit bis zur Hochzeit zu überbrücken. Danach hieß es, die Rolle als Ehefrau, Mutter und Gastgeberin perfekt auszufüllen und all die Verpflichtungen zu übernehmen, die mit ihrem Titel verbunden waren.

Ihr wurde klar, dass Dante immer noch auf eine Antwort wartete.

„Als kleines Mädchen habe ich davon geträumt, Lehrerin zu werden.“

„Und, warum sind Sie es nicht geworden?“

Ja, warum nicht? Weil sie immer gewusst hatte, dass ihr Lebensweg mehr oder weniger vorgezeichnet war und in eine völlig andere Richtung gehen würde.

„Es war ein kindischer Traum. Mehr nicht.“

Er suchte ihren Blick. „Es ist doch gut, Träume zu haben.“ Ein verwunderter Ausdruck lag in seinen braunen Augen.

Nein, nicht für sie. Es machte ihr nur das Leben schwer.

„Aber leben müssen wir in der Realität, oder?“, meinte sie leichthin.

„Haben Sie sich schon die Umgebung angesehen?“

Erleichtert, dass er das Thema wechselte, schüttelte sie den Kopf. Florenz hatte so viel zu bieten, und sie war vollauf damit beschäftigt gewesen, die Stadt zu erkunden.

„Dann haben Sie keine Ahnung, wie schön die Toskana ist. Ich kann sie Ihnen zeigen.“

Alice wischte sich die plötzlich feuchten Hände an der Hose ab. Sicher war er nur höflich. Sobald sie gegangen war, würde er sie vergessen.

„Arbeiten Sie hier in Florenz?“, fragte sie.

„Ja, am Krankenhaus, aber mein Haus liegt fünfundvierzig Kilometer entfernt in den Bergen, nicht weit von Sofias Wohnort.“ Er blickte sie an. „Wie lange bleiben Sie noch in Italien?“

„Zehn Tage. Der Abschied wird mir schwerfallen.“

„Und Sie wohnen in Florenz?“

Alice nickte. „Ein Freund meines Vaters besitzt hier ein Haus. Ich darf dort wohnen.“

„Sind Sie allein hier?“

„Ja, aber das macht mir nichts aus. Es gefällt mir sogar.“

Seiner Miene nach zu urteilen, schien er das kaum glauben zu können. „Haben Sie Lust, sich morgen mit mir auf der Piazza della Signoria zu treffen?“, fragte er. „Sie können nicht abreisen, ohne die Toskana wirklich gesehen zu haben. Ich würde sie Ihnen gern zeigen.“

Unruhig richtete sie sich auf. Einerseits wollte sie gern Zeit mit Dante verbringen, andererseits war allein die Vorstellung völlig verrückt!

„Ich weiß nicht … Ich halte es für keine gute Idee.“

Sein Blick ließ ihr Herz schneller schlagen. „Ich finde sie sehr gut.“

Eins war sicher, so leicht gab er nicht auf.

„Ich war früher einmal bei einer Londoner Familie zu Gast“, fuhr er fort. „Sie war sehr gastfreundlich, und ich möchte etwas davon zurückgeben. Außerdem haben Sie Sofia geholfen, obwohl Sie es nicht mussten. Sie hätten einfach weitergehen können, so wie die meisten anderen.“

Alice errötete. Gegen ihren Willen war sie enttäuscht, dass sein Angebot nur aus Pflichtgefühl heraus entstanden war.

Aber was auch immer sein Motiv sein mochte, es war zu riskant, ihn wiederzusehen. Noch nie hatte sie einen Mann kennengelernt, bei dem ihr Herz raste, wenn sie ihn nur anblickte. Eine Urlaubsromanze war das Letzte, was sie wollte. Insgeheim musste sie über sich lächeln. Was waren das für Gedanken? Ein atemberaubender Mann wie Dante war bestimmt nicht ungebunden, auch wenn er keinen Verlobungs- oder Ehering trug.

Die Stationstüren öffneten sich, und ein Ehepaar stürzte herein. Instinktiv wusste Alice, dass es Sofias Eltern waren, nicht zuletzt, weil das Mädchen seiner Mutter auffallend ähnlich sah.

Dante sprang auf. „Bitte kommen Sie morgen um drei Uhr auf den Platz. Ich arbeite bis zwei“, sagte er, schon auf dem Weg zu den Eltern. Nachdem er sich kurz mit ihnen unterhalten hatte, verschwanden die drei im Fahrstuhl. Alice starrte ihm nach. Was für ein arroganter Kerl, er hatte nicht einmal ihre Antwort abgewartet!

Am nächsten Nachmittag um drei war Alice das reinste Nervenbündel. Sie trug ihr Haar, das unter der italienischen Sonne weizenblond geworden war, zu einem Zopf geflochten. Bewusst hatte sie eine schlichte weiße Bluse und eine leichte Hose angezogen und auf Make-up, von einem dezenten Lippenstift abgesehen, verzichtet. Und zum hundertsten Mal fragte sie sich, ob Dante überhaupt kommen würde. Wahrscheinlich hatte er sie längst vergessen.

Aber er wartete an den Treppenstufen, wo Alice gestern gesessen hatte.

Ciao, Alice.“ Er küsste sie auf beide Wangen. „Ich dachte, wir machen ein kleines Picknick am Ufer des Arno, und danach zeige ich Ihnen noch ein bisschen mehr von Florenz. Einverstanden?“

Alice nickte, und sie setzten sich am Ufer ins Gras. Dante zeigte auf eine Ruderin mitten im Fluss. „Ich rudere auch gern. Hätten Sie Lust, morgen mit mir Boot zu fahren?“

Alices Herz setzte einen Schlag lang aus. Er plante bereits das nächste Date!

Sie betrachtete das Picknick, das Dante mitgebracht hatte: ein runder Käselaib, verschiedene Sorten Bratenaufschnitt, toskanisches Brot und Oliven, dazu frischer Salat. Das war kein Picknick, sondern ein Festmahl!

„Der Salat und die Oliven stammen von unserem eigenen Land, und das Brot hat meine Mutter selbst gebacken. Aber wir könnten auch in eine Trattoria gehen, es ist nicht weit von hier.“

Alice schüttelte den Kopf. Sie hatte genug von Restaurants, seien sie nun nobel oder volkstümlich. Hier in der Sonne würde es viel besser schmecken.

Bene, dann essen wir hier, und danach biete ich Ihnen eine kleine Führung.“

Das Essen schmeckte so gut, dass Alice ordentlich zulangte. Als sie es bemerkte, entschuldigte sie sich verlegen. „Tut mir leid, aber es schmeckt einfach köstlich.“

„Man sollte sich nie entschuldigen, wenn es einem geschmeckt hat.“ Er stützte sich auf den Ellbogen ab und sah Alice prüfend an. „Die meisten Frauen sind furchtbar dünn und sehen halb verhungert aus. Alle Männer, die ich kenne, bevorzugen Frauen mit Rundungen. So wie bei der Venus von Botticelli.“ Er grinste sie an. „Haben Sie irgendwo in Florenz weibliche Statuen entdeckt, die wie Männer aussehen? Bestimmt nicht.“

Der Ausdruck in seinen Augen löste in ihrem Bauch ein erregendes Kribbeln aus. Hastig schob sie sich eine Gabel Salat in den Mund, verschluckte sich und musste husten.

Dante setzte sich aufrecht hin und sah sie besorgt an. „Alles okay?“

Mein Gott, bin ich sexy, dachte Alice wütend. Spucke ihm fast das Hemd mit Salatstückchen voll.

Da hob Dante die Hand und wischte sanft etwas von ihrem Mundwinkel. Vor Scham wäre Alice am liebsten im Boden versunken.

„So ist es besser.“ Er lachte sie an, und Alice hätte am liebsten das Picknick Picknick sein lassen und wäre zurück zur Villa geflüchtet. Zum ersten Mal in ihrem Leben kam sie sich wie ein Trampel vor. Sonst versteckte sie ihre Schüchternheit hinter Designermode und exklusivem Schmuck.

Er stand auf. „Also, Sie haben bereits den David, die Uffizien und die Kirche Santa Maria Novella gesehen. Waren Sie schon oben am Duomo? Man hat dort einen herrlichen Ausblick auf die Stadt.“

Alice schüttelte den Kopf. „Ich hatte keine Lust, bei der Hitze stundenlang Schlange zu stehen.“

Er hielt ihr seine Hand hin. „Aber das müssen Sie gesehen haben. Kommen Sie, es sind zwar eine Menge Stufen, doch es lohnt sich. Ein Cousin von mir arbeitet dort, er lässt uns bestimmt vor.“

„Das wäre nicht fair. Wir sollten wie alle anderen warten, bis wir an der Reihe sind.“

Dante runzelte die Stirn. „Wir sind hier in Italien, da läuft manches anders als bei Ihnen. Aber wenn Sie nicht möchten, fahren wir woandershin. In der Nähe kenne ich einen Platz, wo man auch einen fantastischen Blick auf die Stadt hat. Mein Motorrad steht nicht weit von hier, wenn Sie wollen, können wir jetzt hinfahren.“

Alice nickte, und zu ihrer Überraschung nahm er wie selbstverständlich ihre Hand. Aufgeregt ließ sie sich von ihm durch die engen Gassen führen, bis sie einen kleinen Platz erreichten, auf dem eine Reihe Motorräder abgestellt waren. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er wie viele junge Leute in Florenz ein Mofa fahren würde, aber Dante steuerte auf eine beeindruckende Kawasaki zu.

Alice musterte sie skeptisch. „Sie fahren doch hoffentlich nicht zu schnell?“

Er lachte. „Das ist doch gerade der Spaß dabei. Aber keine Angst, bei mir sind Sie sicher.“

Gleich darauf saß sie auf dem Rücksitz der schweren Maschine, die Dante geschickt und sicher durch den dichten Verkehr lenkte. Nicht nur einmal fürchtete Alice, dass es einen Zusammenstoß geben würde. Aber Dante fand auch im letzten Moment immer noch eine Lücke, in die er einscheren konnte.

Die Arme fest um seinen Oberkörper geschlungen, presste Alice das Gesicht an seinen Rücken. Sein Duft nach Oliven und Männerseife stieg ihr in die Nase, und durch die Kleidung hindurch spürte sie seine Wärme. Und überall, wo sie ihn berührte, schien ihr Körper zu summen.

Als Dante beschleunigte, hielt sie die Augen fest geschlossen. Wenn sie schon sterben sollte, dann wenigstens nicht sehenden Auges. Bis ihr auffiel, dass sie auch von der Landschaft nichts mitbekam. Also öffnete sie sie wieder, entspannte sich langsam und empfand zunehmend ein neues, berauschendes Gefühl der Freiheit.

Dante hatte recht, der Ausblick vom Hügel war wirklich grandios. Unter ihnen breiteten sich die terrakottafarbenen Ziegeldächer von Florenz aus, von der untergehenden Sonne in ein warmes Rot getaucht.

Sie setzten sich auf eine niedrige Steinmauer, und Dante machte Alice auf die berühmten architektonischen Sehenswürdigkeiten der Stadt aufmerksam – den Campanile, Santa Croce, den Turm des Palazzo Vecchio. Er war stolz auf seine Heimatstadt, es war nicht zu überhören.

Während sie sich unterhielten, sank die Sonne tiefer, und nach und nach glommen Lichter unter ihnen auf. Eine kühle Brise strich über ihren Nacken, und Alice erschauerte unwillkürlich. Aber sie wollte noch nicht gehen.

„Ist dir kalt, cara?“ Wie selbstverständlich duzte er sie, während er den Arm um ihre Schultern legte und Alice an sich zog.

Sie ließ es geschehen und legte ihm die Hand auf die Brust. Plötzlich schien die Luft zwischen ihnen elektrisch geladen, und Alice hob den Kopf. Ihre Blicke verfingen sich, und Dante strich ihr zärtlich über die Wange. Ein sinnliches Prickeln überlief Alice. Da drückte er ihr sanft das Kinn hoch, sah ihr lange in die Augen und küsste sie.

Der Kuss war wundervoll und aufregend. Noch nie war Alice so geküsst worden, so zärtlich und verlangend zugleich. Als Dante aufhörte, hatte sie das Gefühl, kaum noch Luft zu bekommen.

Sie kannte diesen Mann so gut wie gar nicht, doch sie wusste schon jetzt, dass etwas Besonderes mit ihr geschah.

Am späten Abend, nachdem er Alice zur Villa gebracht hatte, machte sich Dante auf den Heimweg. Rasant fuhr er die Bergstraße hinauf, überholte Autos, wo immer es möglich war, und genoss den rauschenden Fahrtwind im Gesicht.

Alice ging ihm nicht aus dem Sinn. Dio, war sie sexy mit ihren seidigen blonden Haaren und den wunderschönen Augen, die ihn an das sanfte Grün toskanischer Hügel erinnerten. Ihre weiblichen Rundungen konnten einen Mann schwach machen, ihre Lippen schmeckten nach reifen Birnen und Honig. Dazu hatte sie etwas Unschuldiges, als wäre ihr nicht bewusst, wie sie auf Männer wirkte. Dante fragte sich, ob sie überhaupt schon mit einem Mann geschlafen hatte. Sie war so ganz anders als die Frauen, die er kannte. Das genaue Gegenteil von Natalia.

Schon bei dem Gedanken an Natalia bekam er schlechte Laune. Sie waren zusammen aufgewachsen, und alle hatten damit gerechnet, dass sie eines Tages heiraten würden. Aber als er sich dann entschloss, Arzt zu werden, gab es Streit. Natalia wollte, dass er in die Firma ihres Vaters eintrat. Es würde ihm und ihr ein gutes Leben ermöglichen, ein Leben in Reichtum hatte sie damit gemeint.

Natürlich hatte er abgelehnt. Nichts würde ihn davon abbringen, Medizin zu studieren. Da hatte sie ihn verlassen und einen anderen geheiratet. Seitdem lebte Dante zwar nicht wie ein Mönch, aber gefühlsmäßig ließ er sich auf keine Frau mehr ein.

Alice hatte ihn vom ersten Augenblick an fasziniert. Spontan hatte er sich mit ihr verabredet, und es hatte ihm erstaunlich viel Spaß gemacht, mit ihr zusammen zu sein. Es störte ihn nicht, wenn eine Frau sich nur für Mode und ihr Aussehen interessierte, aber sie langweilte ihn schnell. Er mochte Frauen, die gern lachten und die die schlichten Dinge des Lebens liebten. So wie Alice. Sie würde ihm nie etwas vorspielen, davon war er überzeugt.

Vor ihm zuckelte ein Lkw dahin, und Dante gab Gas. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, vor dem entgegenkommenden Wagen wieder auf seine Fahrbahn einzuscheren. Er lachte laut, als ihn der Adrenalinkick durchzuckte. Dio, das war knapp!

Zehn Tage blieben ihm, bis Alice nach England zurückflog, und Dante war entschlossen, jede Minute auszukosten.

Die nächsten Tage waren herrlich, die schönsten ihres Lebens. Jeden Nachmittag, sobald sein Dienst beendet war, traf Alice sich mit Dante. Er zeigte ihr eine Seite von Italien, die sie ohne ihn nie kennengelernt hätte, und dabei verliebte sie sich mit jedem Tag mehr in ihn. Sie wusste, dass sie ihm eigentlich sagen sollte, wer sie in Wirklichkeit war, aber sie konnte es nicht. Sie wollte noch nicht aus diesem wundervollen Traum erwachen. Wenn ihr Leben doch für immer so bleiben könnte …

Am Samstag war ihr vorletzter Tag in Italien. Dante hatte frei und holte sie schon morgens mit dem Motorrad ab. Er drückte ihr einen Helm in die Hand und half ihr, die Gurte straff zu ziehen. Dabei berührten seine warmen schlanken Finger ihren Hals, und Alice erbebte leicht.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie schnell, um das wohlige Schauern zu überspielen.

Ein glutvoller Ausdruck lag in seinen dunklen Augen, als Dante auf sie herunterblickte. „Ich möchte dir zeigen, wo ich wohne. Kommst du mit?“

Alice schlug das Herz im Hals. Sie ahnte, dass er noch mehr wollte.

Weil ihr Mund ganz trocken war, nickte sie nur stumm.

Dante fuhr wie der Teufel, nutzte jede noch so kleine Lücke, um zu überholen. Nach dramatischen, aber berauschenden vierzig Minuten bogen sie auf einen Feldweg ein und hielten bei einem Olivenhain.

Mit wackeligen Beinen stieg Alice unsicher vom Motorrad, und Dante zog sie an sich. Sie lehnte sich gegen ihn, genoss die Wärme seines Körpers.

„Hier bin ich groß geworden“, sagte er und deutete auf die knorrigen alten Bäume, deren Blätter im Sonnenlicht silbrig schimmerten. „Dahinter liegt das Haus meiner Mutter, und etwas weiter wohne ich. Früher war es eine Schäferhütte, aber jetzt ist es mein Zuhause.“

Sie drehte sich in seinen Armen um. Sein Griff wurde fester, und sie fühlte sich wundervoll geborgen und beschützt. Nie war sie glücklicher gewesen. Und nie trauriger. Schon morgen würde ihre Zeit mit Dante zu Ende sein, viel zu schnell. Deutlich fühlte sie unter seinem dünnen T-Shirt sein Herz, das im gleichen schnellen Takt schlug wie ihr eigenes.

„Möchtest du mit ins Haus kommen?“, fragte er, und seine Stimme hatte einen rauen Klang.

Ihr Herz machte einen Satz. Sie wusste, was er sie eigentlich fragte. „Ja“, antwortete sie leise, während sie ihm in die Augen blickte.

„Via“, sagte er heiser und lächelte nicht mehr. Er nahm ihre Hand und führte sie auf einem schmalen Pfad durch den Olivenhain.

Kaum waren sie von der Straße her nicht mehr zu sehen, riss er sie in die Arme. Lange Sekunden sahen sie sich in die Augen, dann küsste er sie leidenschaftlich. Eine Hitzewelle breitete sich von ihrem Bauch über ihren ganzen Körper aus, und Alice hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Sie lächelte.

Dante hob den Kopf, ohne sie loszulassen. „Was ist so komisch?“ Er lächelte zwar, doch seine Augen blitzten herausfordernd.

„Nichts. Alles. Ich bin einfach glücklich.“

Amore, ich kenne niemand, der so aufrichtig ist wie du. Das gefällt mir“, sagte er und eroberte erneut ihre Lippen mit einem verführerischen Kuss.

Alice war noch nie so geküsst worden. Und noch nie hatte sie das Gefühl gehabt, buchstäblich dahinzuschmelzen.

Dante drängte sie sanft gegen einen Baumstamm, nahm ihre Hände und hielt sie über ihrem Kopf fest. Als seine Lippen über ihren Hals glitten, hämmerte ihr Herz wie verrückt. Mit der anderen Hand knöpfte er ihr die Bluse auf. Nur noch gedämpft nahm Alice die Geräusche der nahen Straße wahr, weil die Welt um sie herum versank.

„Tesoro mio“, flüsterte er und strich mit warmen Lippen über ihren Hals.

Sie bog den Kopf zurück und schob die Hände in sein dichtes dunkles Haar. Bei jedem seiner Küsse durchfuhr es sie heiß, fast unerträglich, aber seine Worte waren wie ein Schock gewesen. Sie war nicht aufrichtig. Sie musste ihm endlich die Wahrheit erzählen.

Alice schaffte es nicht. Zu sehr war sie in dem Zauber gefangen, der sie umgab. Flirrende Hitze streichelte ihre Haut, die Zikaden sirrten, und sie lag in den Armen des atemberaubendsten Mannes, dem sie je begegnet war.

Dante schob ihre Bluse auseinander und liebkoste ihre Brüste. Ihre Knospen wurden hart, als er sie mit der Zunge reizte, und heiße Wellen der Lust überfluteten Alice.

Plötzlich hörte er auf. Sie protestierte leise und versuchte, ihn wieder an sich zu ziehen, aber Dante schüttelte den Kopf, während er zögernd ihre Hände freigab. Dunkles Verlangen stand in seinen Augen.

Er knöpfte ihr die Bluse zu, und wie benommen konnte sie nur zusehen.

„Nicht hier“, sagte er rau.

Sie wusste, was er damit meinte, und hatte nicht die Kraft, zu widerstehen. In zwei Tagen würde sie in London und wieder Lady Alice sein. In diesem Moment wollte sie nur seine starken Arme spüren und die lustvollen Gefühle genießen, die er in ihr weckte. Natürlich würde sie ihm noch die Wahrheit sagen. Wenn das, was sie miteinander verband, eine Zukunft hatte, musste sie aufrichtig sein, so wie er es von ihr erwartete.

Schwer hing der Geruch nach sonnenwarmen Oliven in der Luft, als Dante Alice unter den Bäumen entlangführte. Bald erreichten sie ein kleines, weiß gekalktes Haus mit rotem Ziegeldach, das inmitten einer grasbewachsenen Lichtung stand.

Mit der freien Hand öffnete er die Haustür und zog Alice mit sich hinein. Nur kurz konnte sie einen Blick auf das Doppelbett werfen, da riss Dante sie schon an sich und verwöhnte sie mit einem verzehrenden Kuss.

Später, sehr viel später, lag Alice da, den Kopf an Dantes Brust geschmiegt. Er streichelte ihr Haar und murmelte etwas auf Italienisch.

Mit dem Finger strich sie über die Narbe an seiner Schulter. „Wie ist das passiert?“, fragte sie.

„Ein Motorradunfall. Vor zwei Jahren. In einer Kurve kam mir auf der falschen Seite ein Lkw entgegen. Ich musste in den Graben lenken, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.“

„Du hättest tot sein können!“, rief Alice entsetzt.

„War ich aber nicht, nur verletzt. Ich musste ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, aber es war nicht so schlimm. Meine damalige Freundin hat allerdings einen ganz schönen Schrecken bekommen.“

„Hattest du viele Freundinnen?“, fragte sie spontan und bereute es sofort. Was für eine dumme Frage, natürlich hatte er Frauen gehabt. Er war ein erfahrener, leidenschaftlicher Liebhaber mit einem unglaublich sinnlichen Gespür dafür, wie er ihr Lust bereiten konnte.

Er hatte mit ihrem Haar gespielt und hielt inne. „Ein paar“, antwortete er. „Aber sie waren nicht wichtig … Jemand wie dich habe ich noch nicht kennengelernt.“

Das wundervolle warme Glücksgefühl verstärkte sich, doch ein Hauch von Unsicherheit blieb. Was würde er von ihr denken, wenn er die Wahrheit erfuhr?

Als er sanft mit den Fingern ihren Nacken streichelte, jagte ihr ein lustvoller Schauer über den Rücken und vertrieb die Gedanken. Wie konnte eine einzige Berührung derart wildes Verlangen wecken?

„Du bist so anders als andere Frauen“, fuhr er da fort, und es klang verbittert. „Dir sind materielle Dinge egal. Kleidung. Geld. Was andere über dich denken.“

Alice war zumute, als drücke eine riesige Faust ihr Herz zusammen. Sie stützte sich auf den Ellbogen und sagte leise: „Du kennst mich nicht, Dante.“

„Ich kenne dich gut genug, und es gibt noch viel mehr kennenzulernen, denke ich.“ Mit verlangendem Blick betrachtete er ihren Körper, und Alice wurde heiß. „Du könntest eine Weile in Florenz bleiben“, murmelte er, drückte sie sanft aufs Bett und biss zärtlich in ihr Ohrläppchen. „Hast du nicht noch Zeit, ehe das neue Semester beginnt?“

Alice sank das Herz. War das alles, was er von ihr wollte? Eine Urlaubsromanze um ein paar Tage verlängern?

Als hätte er ihre Gedanken lesen, stützte er sich auf seinen starken Armen ab und sah auf sie hinunter. „Oder du bleibst noch länger … wohnst bei mir.“

Ein eisiger Schauer überlief sie. Dante konnte nicht wissen, dass er um etwas Unmögliches bat. Wenn er herausfand, wer sie in Wirklichkeit war, würde er sie verachten, und das könnte sie nicht ertragen. Schon jetzt verliebte sie sich immer mehr in ihn, und je länger sie blieb, umso schlimmer würde die Trennung sein. Auch wenn sie sich nichts mehr wünschte, als bei ihm bleiben zu können, gab es doch keine gemeinsame Zukunft für sie. Ihr Vater brauchte sie. Sie hatte ihr eigenes Leben, und mochte es auch noch so oberflächlich sein, ein anderes kannte sie nicht.

Sie ließ die Finger über seine breite Brust wandern und hörte, wie Dante scharf einatmete, als ihre Hand tiefer glitt.

„Amore mio“, flüsterte er rau, während er die Innenseiten ihrer Schenkel streichelte. „Ich kann nicht denken, wenn du so etwas mit mir machst.“ Er setzte seine sinnliche Erkundung fort, bis Alice vor Lust bebte. „Wir reden morgen weiter.“

Aber Alice wusste, dass es für sie kein Morgen geben würde, und die Gewissheit zerriss ihr das Herz. Ihnen blieben nur noch wenige Stunden. Sie wollte jede einzelne Sekunde davon genießen.

1. KAPITEL

Alice stand vor dem großen Spiegel und betrachtete sich. Das silbrig schimmernde Kleid schmiegte sich wie ein Handschuh an ihren Körper. Inzwischen konnte sie hautenge Kleider tragen und musste sich keine Sorgen mehr um Rundungen machen, die verrieten, wie gern sie aß. Das hatte sich von selbst gegeben. Sie aß wie ein Spatz.

Gleich nach ihrer Rückkehr aus Italien hatte sie mit Peter Schluss gemacht, zur großen Enttäuschung ihres Vaters. Aber Peter war nicht Dante. Alice wollte keinen Mann heiraten, für den sie nicht wenigstens solche Gefühle empfand wie für Dante. Selbst wenn es bedeutete, dass sie den Rest ihres Leben allein bleiben musste.

Während sie sich mit einem dunkelroten Lippenstift die Lippen nachzog, versuchte sie das Gefühl der Leere zu vertreiben, das sie auch jetzt wieder beschlich. Gut, sie hatte sich ein anderes Leben erträumt, aber sie war zufrieden – wenn auch nicht so berauschend glücklich wie in Italien –, und ihre Tage waren ausgefüllt.

Sie engagierte sich aktiver als vorher für wohltätige Zwecke und sammelte erfolgreich Spenden für Flüchtlingslager in Afrika. Und kannten nicht auch andere Leute diese Leere? Sollte sie nicht dankbar sein für das, was sie hatte? Für das, was auf sie wartete? Bald würde sie für eine der Hilfsorganisationen nach Afrika gehen. Dort würde sie vielleicht endlich das Gefühl bekommen, etwas wirklich Sinnvolles zu tun.

Sie verbannte eine vorwitzige Locke wieder in die Hochsteckfrisur und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Bald musste sie gehen.

Beim Anblick ihres Spiegelbilds seufzte sie leise. Ein blasses Gesicht mit dunklen Schatten unter den Augen starrte sie an. War es wirklich schon ein Jahr her, dass sie Dante zuletzt gesehen hatte? Heute Abend sollte ein Dr. Salvatore über die Hilfsorganisation sprechen. Zufällig arbeitete er am selben Florentiner Krankenhaus wie Dante. Als Alice seinen Namen auf dem Programm gelesen hatte, hatte sie sich vorgenommen, ihn unauffällig nach Dante zu fragen.

Natürlich war es reine Selbstquälerei, besonders falls sich herausstellen sollte, dass Dante verlobt oder – schlimmer – sogar verheiratet war. Als sie damals zurückgeflogen war, ohne sich von Dante zu verabschieden, hatte sie sich eingeredet, es wäre das Beste für sie beide. Aber wieso sehnte sich dann ihr Herz immer noch nach ihm?

Nein, sie durfte nicht an ihn denken. Nicht heute Abend. Auch wenn eigentlich kein Tag verging, an dem sie nicht seine dunkelbraunen Augen vor sich sah oder sein draufgängerisches Lächeln. Das war Vergangenheit. Sie lebte das Leben, das ihr bestimmt war, und Italien war ein Traum gewesen. Ein wundervoller Traum. Jetzt hieß es, nach vorn zu blicken.

Im Ballsaal standen dicht gedrängt die Gäste. Jeder von ihnen hatte Tausende von Pfund für einen Abend bezahlt, der einem guten Zweck diente. Alice sah ihren Vater, der sich gerade angeregt mit jemandem unterhielt. Es konnte nur um Geschäfte gehen. Er nutzte jede Gelegenheit dazu.

Funkelnd brach sich das Licht in den riesigen Kronleuchtern. Die Tische waren mit edlem Porzellan und Kristallgläsern eingedeckt, und an jedem Platz lag ein kleines Swarovski-Souvenir als Erinnerung an den Abend. Die hochstieligen Lilien in den schlanken Vasen verströmten einen schweren Duft. In einer Ecke des Saals spielte ein Streichorchester leise klassische Musik. Als Überraschung des Abends würde eine bekannte Opernsängerin auftreten, die ihr Vater eigens für den Abend engagiert hatte.

Dem Anlass entsprechend trugen die Damen Abendroben und die Herren Smoking. Teurer Brillantschmuck glitzerte an Händen, Armen und Dekolletés. Dem Stimmengewirr und gelegentlichem Gelächter nach zu urteilen, amüsierten sich die Anwesenden bereits prächtig.

Als Alice durch die Menge auf ihren Vater zuschritt, machte man ihr aufmerksam Platz. Ein Kellner bot ihr ein Tablett mit Champagner an, und sie nahm sich ein Glas. Auf einmal ging ein Raunen durch die Gästeschar, und aller Augen wandten sich dem Eingang zu.

Dort stand ein hochgewachsener dunkelhaariger Mann. Unter seiner Lederjacke trug er ein malvenfarbenes Hemd und eine schwarze Hose. Aber nicht wegen seiner Kleidung folgten ihm die Blicke, sondern es war seine Haltung – natürliche Eleganz gepaart mit einer leichten Arroganz, die sich in seiner selbstbewussten Haltung zeigte, in seinem schwachen Lächeln und dem amüsierten Blick, mit dem er sich umschaute.

Alice blieb wie angewurzelt stehen. Sein Haar war jetzt kürzer, sehr viel kürzer, ein paar feine Fältchen zeigten sich um seine Augen, aber es gab keinen Zweifel: Es war Dante, und er ging direkt auf ihren Vater zu.

Sie bekam weiche Knie. Was tat er hier? Wo war Dr. Salvatore?

Sie blickte sich um, überlegte, zur Toilette zu verschwinden, aber da rief ihr Vater ihren Namen und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen. Wenn sie jetzt die Flucht ergriff, würde sie sich und ihn lächerlich machen. Also holte sie tief Luft, straffte die Schultern und zwang sich zu einem Lächeln. Hatte sie nicht gelernt, mit den schwierigsten Situationen umzugehen? Und diese bekam auf der Richterskala für schwierige Situationen die höchste Stufe – zehn.

„Alice, mein Kind, ich möchte dir Dr. Dante Corsi vorstellen. Er ist einer der Vorsitzenden von Menschen in Not. Dr. Corsi, dies ist meine Tochter Lady Alice.“

Als Alice in die braunen Augen blickte, wurde alles um sie herum bedeutungslos. Wie im Zeitraffer schrumpfte ein Jahr zusammen, und sie war wieder in Florenz, in Dantes Bett … in seinen Armen. Schlagartig kehrten all diese Erinnerungen zurück … Erinnerungen, die ihr so viel bedeuteten und die sie verzweifelt hatte vergessen wollen.

Einmal mehr halfen ihr ihre Erziehung und die jahrelange Übung darin, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen.

Dafür sah sie in Dantes dunklen Augen einen schockierten Ausdruck, als er sie erkannte. Aber nur kurz, dann hatte er sich wieder in der Gewalt, und sein Blick wurde ausdruckslos.

„Dr. Corsi und ich kennen uns bereits.“ Anmutig hielt sie Dante die Wange hin, und als er sie küsste, stieg ihr der vertraute Duft seines Aftershaves in die Nase.

„Ach, ja?“ Ihr Vater wirkte für eine Sekunde sichtlich irritiert, dann aber glättete sich seine Stirn wieder. „Natürlich, Italien. Aber wo und wie?“

„Ihre Tochter hat sich dort in der Kunst des Zeichnens versucht. Dann passierte ein Unfall, und sie hat sich mit mir zusammen um die Opfer gekümmert. Das ist aber schon lange her.“ Er sprach sachlich, mit unbewegter Miene, doch seine Augen sagten etwas anderes. Etwas, das sie nicht hören wollte, zum Beispiel: Warum bist du einfach verschwunden, verdammt noch mal!

Alices Vater kniff leicht die Augen zusammen und blickte von Dante zu ihr und wieder zurück. Sie hörte förmlich, wie sein scharfer analytischer Verstand arbeitete.

„Dr. Corsi ist hier, um die Arbeit seiner Hilfsorganisation vorzustellen, für die wir heute Abend Spenden sammeln“, sagte er dann.

„Du sammelst Spenden für gemeinnützige Zwecke?“ Alice bemühte sich, ruhig zu sprechen. Aber das war schwierig, weil ihr Herz wie verrückt hämmerte. „Ich dachte, du bist immer noch Kinderarzt in Florenz.“

Kaum hatte sie es gesagt, bemerkte sie ihren Fehler. Nun wusste er, dass sie sich über ihn informiert hatte. Dass er auch für internationale Hilfsorganisationen arbeitete, war ihr allerdings nicht bekannt gewesen.

Dantes Augen waren dunkel wie die Nacht draußen. „Und du? Hast du deinen Abschluss gemacht?“ Es klang gelangweilt, wie Small Talk.

„Ja, habe ich“, erwiderte sie angriffslustiger, als sie wollte. „Und im Moment arbeite ich im Fundraising für die Hilfsorganisation, die mein Vater unterstützt.“

Wieder sah ihr Vater von ihr zu Dante und zurück, immer noch Verwunderung im Gesicht. Da winkte ihn ein Gast zu sich.

„Würdet ihr mich bitte einen Augenblick entschuldigen?“, sagte er. „Da ist jemand, den ich sprechen muss.“

Geh nicht, Dad! wollte Alice rufen. Lass mich nicht allein mit diesem Mann. Aber sie musste auch jetzt die Contenance wahren. Mit einem schwachen Lächeln überspielte sie ihre Panik.

Lady Alice …“ Der sarkastische Unterton war nicht zu überhören. „Nun verstehe ich, warum du mich Hals über Kopf verlassen hast.“

„Nicht hier, Dante, nicht jetzt“, murmelte sie. Unter den neugierigen Blicken der Gäste konnte sie unmöglich mit ihm darüber reden.

Unerwartet packte er sie am Arm und zog sie mit sich in Richtung der weit geöffneten Terrassentüren. Sie versuchte sich zu befreien, aber sein Griff war stahlhart. Da sie eine Szene vermeiden wollte, ließ sie es zu, dass er sie auf die Dachterrasse schob.

Obwohl hier draußen bequeme Sessel standen, hielten sich die meisten Gäste im Ballsaal auf. Eine Fontäne versprühte Wasser, und unter ihnen breitete sich das schimmernde Lichtermeer von London aus. Alice war froh über die leichte Sommerbrise, die ihre brennenden Wangen kühlte.

Dante wandte sich ihr zu. „Da ich dich endlich gefunden habe, kannst du mir ja verraten, warum du mir nicht die Wahrheit gesagt hast.“

Ihr Mund war trocken, und ihr Herz klopfte so rasend, dass sie fürchtete, ohnmächtig zu werden. „Du hast nach mir gesucht?“, brachte sie mühsam heraus.

„Ich habe an der Piazza auf dich gewartet, und als du dann nicht kamst, dachte ich, dir wäre etwas passiert.“ Ein Muskel zuckte an seinem Kinn. „Dio, ich dachte, du hast einen Unfall gehabt und liegst in irgendeinem Krankenhaus. Ich fuhr zur Villa, aber es war nur die Haushälterin da. Sie erzählte mir, dass du abgereist warst, wollte mir aber deine Adresse nicht geben. Später erhielt ich dann den Brief, den du im Krankenhaus hinterlegt hattest.“ Er lächelte humorlos. „Immerhin wusste ich, dass dir nichts passiert war.“

„Ich …“ Alice atmete tief durch. „Es tut mir leid.“

Mit einer heftigen Bewegung schob er die Hände tief in die Hosentaschen, wie um sich davon abzuhalten, Alice zu schütteln. „Ach, wirklich, es tut dir leid?“ Doch dann fügte er achselzuckend hinzu: „Es spielt keine Rolle mehr. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich dachte, du wärst anders, und ich habe mich geirrt.“

Seine lässige Antwort machte Alice wütend. Okay, sie hätte ihm sagen sollen, dass sie abreisen würde, aber er hatte mit keinem Wort angedeutet, dass es mehr sein könnte als eine Urlaubsromanze.

„Du hast kein Recht, mich zu verurteilen, Dante. Du weißt nicht das Geringste über mein Leben hier.“

„Weil du es vorgezogen hast, ein Geheimnis daraus zu machen“, konterte er verächtlich. „Du hättest nicht lügen müssen.“

„Ich habe nicht gelogen“, erwiderte sie hitzig. Als er spöttisch eine Augenbraue hochzog, fügte sie hastig hinzu: „Ich habe dir nur nicht die Wahrheit erzählt.“

„Was praktisch aufs Gleiche hinauskommt. Du hättest Vertrauen zu mir haben sollen. Stattdessen hast du mir etwas vorgespielt.“

„Da bist du ja“, durchbrach Peters Stimme die spannungsgeladene Stimmung. „Ich habe dich überall gesucht.“ Auch wenn sie nicht mehr verlobt waren, so waren sie doch immer noch Freunde.

Dante blickte Peter an, und seine Augen wurden dunkler.

„Peter, dies ist Dr. Corsi. Er stellt heute Abend eine Hilfsorganisation vor.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Corsi“, sagte Peter. „Ich habe gerade erfahren, dass das Personal bereit steht, Ihnen beim Aufbau Ihrer Präsentation zu helfen.“

„Pronto.“ Dante nickte knapp, drehte sich um und ließ Alice und Peter allein.

„Du bist ja ganz blass. Als hättest du einen Geist gesehen. Ist alles in Ordnung?“ Peter sah sie besorgt an.

In Ordnung? Nein, absolut nicht. Und ja, sie hatte einen Geist gesehen.

Alice atmete tief durch und straffte die Schultern. Irgendwie musste sie diesen Abend überstehen. „Mir geht’s gut. Drinnen war es so heiß, da hat Dr. Corsi vorgeschlagen, ein wenig an die frische Luft zu gehen. Komm, bringen wir’s hinter uns.“

Für Alice zog sich das Dinner endlos hin. Das Essen war von einem Londoner Starkoch zubereitet worden, aber man hätte ihr auch Sägespäne vorsetzen können, sie hätte keinen Unterschied gemerkt. Ab und an, wenn sie vom Teller aufschaute, fing sie Dantes dunklen Blick auf. Dann zwang sie sich zur Unterhaltung mit ihrem Tischnachbarn, obwohl ihr immer wieder die gleichen Fragen durch den Kopf gingen. Dante hatte nach ihr gesucht. Warum war er gekommen und nicht Dr. Salvatore? Hatte er ihren Namen gesehen und sich entschlossen, herzufliegen und ihr die Meinung zu sagen?

Nein, das mochte sie nicht glauben.

Nach dem Essen stand Dante auf und begab sich auf das Podest im vorderen Bereich des Raums.

Seine Präsentation griff allen Anwesenden ans Herz. Er zeigte einen Film über das Lager, das von der Hilfsorganisation betreut wurde. Magere Mütter mit erbärmlich dürren Kindern waren zu sehen. Die Kamera fokussierte auf ein winziges Kind mit großen braunen Augen.

„Was glauben Sie, wie alt das Kind ist?“, fragte Dante ins Publikum. „Zwei Jahre? Drei?“ Er machte eine Pause. „Nein, dieses kleine Mädchen ist tatsächlich sieben Jahre alt!“

Die Zuschauer reagierten hörbar betroffen.

„Auch in diesem Jahr herrscht wieder eine große Dürre im Land. Wir wissen, dass zwei Drittel der Bevölkerung in Dörfern lebt, die keinerlei internationale Hilfe erhalten. In ihrer Verzweiflung verlassen viele Menschen auf der Suche nach Nahrung und medizinischer Versorgung ihre Heimat. Sie erreichen unser Lager erst nach tagelangen Fußmärschen. Falls sie es überhaupt erreichen.“

Die Kamera streifte über das Lager, zeigte eingefallene Gesichter, die tiefe Hoffnungslosigkeit ausdrückten. „Allein in diesem Lager leben einhundertdreißigtausend Flüchtlinge, es ist eins der größten der Welt. Unser Lager ist sehr viel kleiner, aber es wird wachsen, und deswegen benötigen wir als Allererstes mehr und bessere Brunnen und medizinische Versorgung.“

Dante sprach leidenschaftlich, man sah, es war ihm eine Herzensangelegenheit. Er wirkte verändert. Was war aus dem lebenslustigen, unbeschwerten Mann geworden, den Alice in Italien kennengelernt hatte? Sein Englisch war inzwischen perfekt, auch wenn der Akzent geblieben war.

Während sie auf die Leinwand blickte, breitete sich ein erwartungsvolles Gefühl in ihr aus. Bald würde sie auch in Afrika sein. Nicht in diesem Lager, aber in einem ähnlichen. Würde ihr Einsatz etwas zum Guten verändern? Und würde er die Leere in ihr ausfüllen?

Dante erhielt langen Applaus, als er seinen Vortrag beendete. Dann übernahm ein professioneller Auktionator das Mikrofon, und nun wurde auf Urlaubswochen auf einer exklusiven Insel oder einer Luxusjacht geboten. Schnell waren Zehntausende von Pfund zusammengekommen. Dante hatte es verstanden, an das Mitgefühl der Gäste zu appellieren, deswegen boten sie großzügig.

Schließlich begann die Band zu spielen, und bald darauf bewegten sich die ersten Paare auf der Tanzfläche. Alice, die durch die Menge geschlendert war, stand plötzlich unerwartet neben ihrem Vater und Dante.

„Dr. Corsi hat mir gerade das Lager genannt, das er in einigen Wochen aufsuchen wird. Es ist dasselbe, wo du dich verpflichtet hast, Liebling. Ihr werdet zur selben Zeit dort sein.“

Dante ging in dasselbe Lager? Alice bekam weiche Knie.

„Du auch?“ Dante zog die Stirn kraus. „Das wusste ich nicht.“

„Alice ist erst später auf die Liste gekommen“, erklärte ihr Vater. „Wegen anderer Verpflichtungen konnte sie nicht am Wochenendtraining teilnehmen, aber die Organisation versicherte mir, das sei kein Problem.“

Alice wurde rot. Natürlich hätte niemand gewagt, die Tochter des größten Sponsors abzuweisen. Sie wusste, wie das sich für Dante anhören musste. So, als würde es für sie ein nettes Spiel bedeuten, eine Abwechslung.

„Die Helfer in den Lagern müssen körperlich fit und seelisch stabil sein, die Arbeit ist kein Zuckerschlecken. Die Lebensbedingungen dort sind hart, es wird hundertprozentiger Einsatz erwartet.“ Dante blickte ihr direkt ins Gesicht. „Man muss fest entschlossen sein, etwas verändern zu wollen.“

„Das bin ich“, versicherte Alice. „Ich organisiere jeden Monat wenigstens eine Spendengala oder ein Dinner zum selben Zweck.“ Mein Gott, dachte sie im nächsten Moment, wie hört sich das denn an … Sie machte alles nur noch schlimmer.

Ihr Vater lachte. „Ich hatte Ihnen ja erzählt, dass ich versucht habe, sie von ihrem Plan abzubringen, aber meine Tochter hat ihren eigenen Kopf.“ Er wandte sich ihr zu. „Alice, mein liebes Kind, du kannst nicht einmal kochen. Wie willst du unter den primitiven Bedingungen, die uns Dr. Corsi gezeigt hat, zurechtkommen? Außerdem hast du panische Angst vor Insekten.“

Sehr zu ihrem Unmut wechselten die beiden Männer einen vielsagenden Blick. Woher nahm ihr Vater das Recht, sich in ihr Leben einzumischen? Aber hat er das nicht immer getan? meldete sich eine feine Stimme in ihrem Kopf. Weil du nur darauf bedacht warst, ja nicht anzuecken?

„Es tut mir leid, Lord Granville, aber wir können keine Passagiere mitnehmen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Jeder im Lager muss bereit sein, Entbehrungen hinzunehmen und hart zu arbeiten.“ Er blickte Alice an. „Lascia fare. Überlassen Sie das mir – ich bin sicher, die Organisation wird schnell Ersatz für dich finden.“

Was für eine Unverschämtheit! „Kommt überhaupt nicht infrage“, erwiderte sie bestimmt. Sie würde sich auf keinen Fall hinausdrängen lassen. Schließlich war sie dank regelmäßiger Besuche im Fitnessstudio körperlich fit, und sie konnte – was ebenso wichtig war – hervorragend organisieren.

Ihr Vater schüttelte nur den Kopf, entdeckte wieder jemanden, den er kannte, und entschuldigte sich.

„Du willst also mit nach Afrika?“ Dantes Stimme war sanft, aber sein Blick bohrte sich förmlich in ihre Augen. „Warum, damit du dich besser fühlst?“ Er deutete zu den blitzenden Kristalllüstern hinauf. „Mit dem Geld für eine dieser Lampen könnte man ein Jahr lang einen Arzt bezahlen.“ Seine schlanken Finger umschlossen ihr Handgelenk, an dem die Diamanten ihres Lieblingsarmbands funkelten. „Und dies hier? Wer weiß, wie viele Medikamente oder Spezialnahrung man damit kaufen könnte?“

Alice entriss ihm die Hand. „Du hast kein Recht, mich zu verurteilen!“

„Nein, sicher nicht. Wir bedeuten einander nichts, nicht wahr?“ Sein Blick wurde weicher. „Wo ist die Frau geblieben, die ich in Italien kennengelernt habe? Wer ist diese Frau, die jetzt vor mir steht … strahlend schön, aber so kalt, als hätte sie kein Herz?“

Autor

Nina Harrington
Nina Harrington wuchs in der Grafschaft Northumberland in England auf. Im Alter von 11 Jahren hatte sie zuerst den Wunsch Bibliothekarin zu werden – einfach um so viel und so oft sie wollte lesen zu können.
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