Das 1 x 1 der Leidenschaft

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Justice St. John beschließt, die perfekte Ehefrau zu finden: per Computerprogramm! Doch keine Kandidatin gefällt dem Forscher. Stattdessen lenkt die aufregende Daisy seine Wünsche in gänzlich unwissenschaftliche Bahnen die einzige Frau, die er nicht lieben sollte.


  • Erscheinungstag 06.02.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536783
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Können Sie mich hören, Sir? Wie heißen Sie?“

Alles tat ihm weh. Sein Kopf, seine Arme und seine Brust. Irgendetwas war mit ihm geschehen, aber was? Um sich herum hörte er Stimmen. Außerdem eine Sirene. Was, zum Teufel, war passiert? War er etwa in einem Krankenwagen?

„Sir? Wie heißen Sie?“, fragte ein Mann, „Ihr Name!“

„St. John. Jus… Jus…“ Aus irgendeinem Grund konnte er seinen Vornamen nicht aussprechen. Seine Zunge fühlte sich taub an.

„Sie hatten einen Autounfall“, erwiderte der Mann. „Ich bin Sanitäter. Wir bringen Sie gerade ins Krankenhaus, wo Ihre Verletzungen behandelt werden.“

„Moment“, sagte jemand. Eine Frau diesmal. Eine sehr beruhigende Stimme. „Hat er gerade St. John gesagt? Justice St. John?“

„Kennst du den Mann?“

„Ich habe von ihm gehört. Berühmter Erfinder. Roboter. Er leitet eine Firma namens Sinjin, die Milliarden wert ist.“

Der Sanitäter fluchte. „Das bedeutet: Wenn er es nicht schafft, schiebt man uns den Schwarzen Peter zu. Am besten rufen wir unsere Einsatzleiterin an und sagen ihr, dass wir einen VIP haben. Sie kann sich dann gerne um den Presserummel kümmern.“

Wieder stellte jemand Justice eine Frage. Warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe?

„Haben Sie Allergien?“, fragte der Sanitäter. „Mr St. John, gibt es etwas, das wir über ihren allgemeinen Gesundheitszustand wissen sollten?“

„Ich kann mich nicht bewegen“, antwortete Justice mit schmerverzerrtem Gesicht.

„Wir haben Sie aus Sicherheitsgründen festgeschnallt.“

„Sein Blutdruck sinkt, wir müssen ihn stabilisieren“, sagte die Frau zu dem Sanitäter und wandte sich dann an Justice. „Mr St. John, wissen Sie, wie es zu dem Unfall gekommen ist?“

Natürlich erinnerte er sich daran. Irgend so ein Idiot hatte beim Fahren telefoniert, die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war dann in Justice hineingefahren. Plötzlich wurde er durch eine helle Lampe geblendet.

„Verdammt!“, stieß er hervor.

„Pupillen reagieren“, stellte der Sanitäter fest. „Sag der Einsatzleiterin, dass wir einen Neurologen brauchen. Nur zur Sicherheit. Sie soll Forrest anfragen. Er ist der Beste auf diesem Gebiet. Mr St. John, können Sie mich hören?“

Erneut fluchte Justice. „Schreien Sie nicht so!“

„Wir bringen Sie ins Lost-Valley-Memorial-Krankenhaus. Sollen wir einen Angehörigen kontaktieren?“

Sofort dachte Justice an seinen Onkel Pretorius. Im Geiste sah er den bulligen Mann vor sich, wie er am Computer saß – was er meistens tat. Doch im Moment fiel Justice die Telefonnummer seines Onkels nicht ein. Das musste am Schock liegen.

Er wollte den Sanitätern erklären, worin sein Problem bestand. Allerdings ließ er es sein, da er sicher war, dass Pretorius eh nicht kommen würde. Auch wenn er es wollte. Das war nicht das Problem. Aber genauso, wie Justice sich nicht erklären konnte, warum ihm die Telefonnummer nicht einfiel, wusste sein Onkel nicht, woher die Angst kam, das Haus zu verlassen.

In diesem Moment begriff Justice, dass er niemanden hatte. Niemanden interessierte es, ob er am Leben war oder starb. Niemand würde sich um seinen Onkel kümmern, wenn Justice tot war. All sein Wissen würde er mit ins Grab nehmen.

Er fragte sich, wie es so weit hatte kommen können. Wann hatte er begonnen, sich von der Außenwelt abzuschotten?

In den letzten Jahren hatte er in fast vollständiger Isolation gelebt. Emotionale Bindungen waren ihm in dieser Zeit fremd gewesen. Jetzt würde er einsam sterben. Kein Angehöriger oder Freund würde ihn betrauern. Das hatte er nun davon, dass er vor der Realität geflüchtet war. Der Preis dafür war hoch.

Vor langer Zeit einmal hatte er eine Frau sehr nah an sich herangelassen. Frau? Eher ein junges Mädchen. Obwohl er versucht hatte, sie aus seiner Erinnerung zu löschen, konnte er ihren Namen bis heute nicht vergessen.

Daisy.

Sie hatte ihn gelehrt, dass es zu riskant war, einem Menschen seine Gefühle zu offenbaren. Die Erfahrung mit ihr war so einschneidend gewesen, dass er sich geschworen hatte, nie wieder einem Menschen bedingungslos zu vertrauen. Und was war nun aus ihm geworden?

„Mr St. John?“, fragte der Sanitäter. „Sollen wir jemanden kontaktieren?“

„Nein“, erwiderte Justice seufzend. Er hatte niemanden. Wenige Sekunden später verlor er das Bewusstsein.

1. KAPITEL

„Wie ist das Ergebnis des letzten Durchlaufs?“, erkundigte sich Justice.

Pretorius starrte auf den Bildschirm des Computers und verzog das Gesicht. „Basierend auf den Daten, die du mir gegeben hast, zähle ich zwölf Treffer, die eine Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent oder höher aufweisen.“

„Das ist alles?“

„Wenn man deine unzähligen Wünsche betrachtet, wundert es mich, dass der Computer überhaupt so viele Frauen gefunden hat. Ich frage mich noch immer, warum du Schwarzhaarige ausgeschlossen hast.“

Justice dachte gar nicht daran, sich zu rechtfertigen. „Wenn am Ende nur sechs Frauen zur Wahl stehen, muss ich mich eben damit begnügen.“

„Begnügen?“ Pretorius drehte sich mit seinem Stuhl zu Justice um und sah ihn verwundert an. „Bist du verrückt geworden? Immerhin geht es hier um deine Zukunft – und um die deiner Firma.“

Justice winkte ab. „Mach dir keine Sorgen.“

„Bist du sicher, dass du das durchziehen möchtest?“

„Ja.“

„Irgendwie bist du seit dem Unfall anders. Er hat nicht nur dein Gedächtnis geschädigt, er hat auch deinen Charakter verändert. Deine Ziele sind ganz andere als früher.“

Schnell sah Justice zu Boden. Er wollte nicht darüber sprechen. Es war ihm unangenehm.

Schweigend durchquerte er den Computerraum und nahm eine silberne, aus mehreren Teilen bestehende Kugel in die Hand. In jedem Teil war ein mathematisches Symbol eingraviert. Es handelte sich dabei um eine seiner Erfindungen, die er noch nicht veröffentlich hatte. Er nannte sie Problemator, weil er immer damit spielte, wenn er ein Problem lösen musste – was die meiste Zeit der Fall war.

Seufzend stand Pretorius auf. „Du kannst dich nicht ewig um dieses Thema drücken. Wenn wir deinen Plan in die Tat umsetzen wollen, musst du ehrlich zu mir sein.“

„Ich weiß.“ Geschickt bewegte Justice die Teile der Kugel, bis sie einen Zylinder ergaben. Doch leider hatte er es seit einem Jahr nicht mehr geschafft, einen gleichmäßigen Zylinder zu formen. Sein Unfall war nicht schuld daran. Der lag erst ein halbes Jahr zurück.

Schnell wechselte er das Thema. „Werden all diese Frauen am Symposium ‚Technik des nächsten Jahrtausends‘ teilnehmen?“

„Was für ein lächerlicher Titel“, brummte Pretorius.

„Du hast recht. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Werden sie anwesend sein?“

„Dafür habe ich gesorgt. Zwei wollten nicht kommen, aber ich …“ Sein Onkel zögerte. „Sagen wir, ich habe ihre Meinung geändert.“

Justice konnte sich vorstellen, wie sein Onkel das geschafft hatte. „Großartig.“

„Warum sagst du mir nicht, warum du das alles tust?“

Seufzend schüttelte Justice den Kopf. Er wusste es selbst nicht genau. Verzweifelt versuchte er, den Zylinder zu einer Spirale zu formen. Es war ihm ein Rätsel, wie sein Leben so leer hatte werden können. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann er das letzte Mal so etwas wie Gefühle wahrgenommen hatte.

Mit jedem Tag war die Leere in ihm größer geworden. Sein Ehrgeiz, neue Dinge zu erfinden, war kaum mehr vorhanden. Er lebte nur noch in den Tag hinein. Frustriert legte er den Problemator beiseite. Er brachte sowieso nichts zustande.

„Du musst es einfach akzeptieren“, erwiderte er schließlich. „Tu es für mich.“

„Sag das Symposium ab – bevor wir beide es bereuen.“

„Das kann ich nicht. Ich bin der Hauptredner.“

Sein Onkel schüttelte den Kopf. „Was, zur Hölle, willst du denn über die Technik des nächsten Jahrtausends erzählen? Man weiß nicht einmal, ob in tausend Jahren überhaupt noch jemand auf der Erde leben wird.“

„Ich dachte, dir macht es mehr Sorgen, dass ich ständig fluche.“

„Was soll ich sagen? Das ist eine deiner Macken. Du hast seit fünf Ewigkeiten keine Rede mehr gehalten. Ich weiß nicht, ob du es schaffst, dich zusammenzureißen.“

„Ich habe nur so lange keine Rede mehr gehalten, weil ich nichts zu sagen hatte. Das bedeutet aber nicht, dass dieses läppische Symposium ein Problem für mich darstellt.“

„Da dein Name im Spiel ist, wird die Presse sich auf die Veranstaltung stürzen. Nachdem du dich so lange nicht in der Öffentlichkeit gezeigt hast, werden alle gespannt sein, was du zu sagen hast. Ich glaube allerdings nicht, dass es etwas Bedeutendes sein wird.“

Justice winkte ab. „Mach dir keine Sorgen. Ich lasse mir etwas einfallen. Das Ironische an der Sache ist: Wenn ich eine Theorie aufstelle, greift irgendein Irrer sie auf und setzt sie in die Tat um. Ich kann nicht verlieren.“

„Nenn mir nur einen guten Grund, warum du das machst.“

Seufzend legte Justice seinem Onkel eine Hand auf die Schulter. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde, Pretorius von seiner Idee zu überzeugen. Doch er musste etwas an seinem Leben ändern, bevor es zu spät war. „Seit einem Jahr habe ich nichts mehr erfunden.“

„Du hast eine Kreativitätsblockade. Es gibt andere Wege, dieses Problem zu lösen.“

„Das kann nicht sein. Ich besitze nämlich gar keine Kreativität. Ich bin Ingenieur.“

Pretorius stieß einen tiefen Seufzer hervor. „Erfinder sind kreative Menschen, Justice.“

„Das ist eine Lüge. Und das weißt du auch.“

„Ich verstehe, dass du eine Frau brauchst. Geh aus und lern auf normalem Weg eine kennen.“

„So simpel ist das nicht. Ich brauche …“ Es war wirklich nicht so leicht zu erklären. Seit dem Unfall vor sechs Monaten sehnte er sich nach einer dauerhaften Beziehung. Er brauchte eine Frau, mit der er durch dick und dünn gehen konnte. Eine Frau, die er anrufen konnte, wenn …

Mr St. John, sollen wir jemanden kontaktieren?

Diese Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Jeden Tag musste er an die Antwort denken, die er damals gegeben hatte.

Nein. Es gab niemanden.

„Schränk die Auswahl ein, verflucht noch mal“, flüsterte er.

Sein Onkel starrte ihn an und nickte schließlich. Er schien zu verstehen, was Justice meinte – obwohl er nicht bereit war, dessen Vorhaben gutzuheißen. „Du wirst aufhören müssen, so viel zu fluchen. Es wird dir bei der Frauensuche helfen.“

„Ich arbeite daran.“

„Wenn eine Frau bei uns einzieht, gibt es wenigstens anständiges Essen. Und das Haus ist sauber.“

„Ich glaube nicht, dass die Frau, die ich heirate, hier die Haushälterin spielen wird.“ Justice beugte sich nach vorn und schaltete den Drucker ein, der sofort eine Seite nach der anderen ausspuckte. „Das erinnert mich an meine größte Sorge: Wenn ich heirate, musst auch du mit meiner Frau zurechtkommen. Du hast die Informationen über die Damen gelesen. Könntest du mit einer von denen zusammenleben?“

Pretorius runzelte die Stirn. „Hast du deshalb bisher nicht geheiratet? Weil du Angst davor hattest, wie ich auf die Invasion deiner Auserwählten reagieren könnte?“

Invasion? Justice beherrschte sich. Das würde ein harter Brocken werden. „Nein. Ich habe bisher nicht geheiratet, weil ich es mit keiner Frau länger ausgehalten habe als eine Woche.“

Sein Onkel nickte verdrießlich. „Und an diesem Punkt kommt mein Computerprogramm ins Spiel, richtig? Es hat mich viel Arbeit gekostet, es an deine Bedürfnisse anzupassen. Eigentlich wird es bei der Personalauswahl in Firmen genutzt. Aber die unterscheidet sich gar nicht so sehr von der Suche nach der perfekten Frau.“

„Genau. Man muss nur andere Daten eingeben.“ Er zählte seine Anforderungen auf: „Ingenieurin – demnach rational. Intelligent – ich kann keine Frauen leiden, die schwer von Begriff sind. Gutes Aussehen wäre ein Bonus. Hauptsache, sie denkt logisch und ist einigermaßen nett. Ich will keine Frau, die mir Probleme bereitet. Außerdem sollte sie nicht klammern und sich allein beschäftigen können.“

„Ich dachte, wir reden von einer Frau.“

„Wenn sie Ingenieurin ist, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie diese Eigenschaften besitzt.“

„In Ordnung.“ Pretorius streckte seine Gliedmaßen von sich. „Wenn du das wirklich durchziehen möchtest, sollten wir es so professionell wie möglich angehen. Ich habe die Auswahl auf sechs Frauen beschränkt. Sie alle werden am Symposium teilnehmen.“

„Dank deines Einsatzes.“

„Das war der leichte Teil“, erwiderte Pretorius missmutig. Er nahm das Papier aus dem Drucker und blätterte die Seiten durch.

Justice erkannte darauf Tabellen, Grafiken und Fotos – und Berichte, die von einem Privatdetektiv zu stammen schienen. Eines konnte man seinem Onkel nicht nachsagen: dass er nicht sorgfältig war.

„Und was ist der schwere Teil?“, wollte Justice wissen.

„Frauen sind unberechenbar. Sie tendieren dazu, abweisend zu reagieren, wenn man sie zu einem Kaffee einlädt und ihnen im selben Atemzug erzählt, dass man eine Frau zum Heiraten sucht.“

„Meinst du?“

„Du könntest dir eine Geschichte einfallen lassen. Bestimmt kauft jede Frau sie dir ab. Immerhin bist du der berühmte Justice St. John. Das behaupten jedenfalls die Wissenschaftsmagazine.“

„Ich …“

„Dabei habe ich dich längst durchschaut. Du suchst keine Frau, sondern so etwas wie eine kumpelhafte Geliebte.“

Sein Onkel überraschte ihn. Wie kam er bloß darauf? „Ich brauche keine Geliebte.“

„Doch. Das wirst du der Frau jedenfalls erzählen. Es ist die einzige Möglichkeit, mit der du sie überzeugen kannst. Nach einem Monat bringst du sie dazu, dass sie sich in dich verliebt. Danach heiratest du sie. Wenn du es so machst, denkt sie nicht, dass du verrückt bist. Und falls sie es doch merkt, ist es mit Glück schon zu spät. Sie heiratet dich und wird schwanger. Vielleicht kocht und putzt sie sogar für dich. Manche Frauen machen das sehr gern für ihren Mann.“

Pretorius reichte ihm die Blätter. „In der Zwischenzeit solltest du das lesen. Das Symposium dauert drei Tage. Das heißt, du kannst zwei Frauen pro Tag treffen. Mehr Zeit hast du nicht, um eine Frau oder eine Geliebte zu finden, mit der wir beide leben können.“

„Und wenn es nicht klappt?“

Sein Onkel verschränkte die Arme vor der Brust. „Das wollen wir nicht hoffen. Obwohl ich nicht möchte, dass eine Fremde durchs Haus läuft, habe ich etwas begriffen.“

„Was denn?“

Im nächsten Moment deutete Pretorius mit einem Finger auf ihn. „Dein Wissen und Talent werden verloren gehen, wenn du sie mit niemandem teilst. Du hast eine Verpflichtung. Selbst wenn du nicht die perfekte Frau findest, ist es von großer Bedeutung, dass du dein Wissen weitergibst – oder vielleicht sogar deine Gene.“

„So kann man es auch sehen.“

„Vergiss nicht, dass es deine Idee war. Außerdem sollte dir bewusst sein, dass man dem Universum etwas schuldet, wenn man ein Genie ist.“

„Hat das Universum schon eine Rechnung geschickt?“, zog Justice ihn auf.

„Du hast sie bisher jedenfalls nicht bezahlt. Deshalb hast du die Blockade. Anstatt dein Wissen weiterzugeben, hast du es für dich behalten. Falls es mit der Frau nicht klappt, kannst du wenigstens deine Schuld begleichen, indem du dein Wissen mit ihr teilst.“

„Und was ist, wenn sie sich in mich verliebt?“

Pretorius kniff die Augen zusammen. „Willst du dich etwa nicht in sie verlieben?“

Justice bezweifelte, dass er in der Lage war, intensiv für jemanden zu empfinden. „Ich glaube nicht.“

„In diesem Fall kann das Abendessen um achtzehn Uhr serviert werden.“

Justice St. John.

Als Daisy Marcellus den vertrauten Namen auf dem Plakat im Coronation Hotel las, blieb sie überrascht stehen. Der Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto sah unglaublich gut aus. So gut, dass sie ihre Tasche fallen ließ und alle ihre Sachen herausfielen.

Er musste es sein.

Natürlich hatte er sich verändert. Immerhin hatte sie ihn das letzte Mal vor beinahe zwölf Jahren gesehen. Aber seine Augen waren unverwechselbar. Früher hatte er immer einen argwöhnischen Blick gehabt. Auf dem Foto machte er allerdings eher einen arroganten Eindruck.

Sie musterte das Bild und versuchte, weitere Veränderungen zu finden. Natürlich hatte die Zeit ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Irgendwie wirkte er unnahbar und humorlos. Doch vielleicht lag das nur am Foto.

Trotz dieser Veränderungen freute sie sich auf das Wiedersehen. Nach all der Zeit hatten sie sich wiedergefunden. Na ja, eigentlich hatte sie ihn gefunden. Aber das war nicht so wichtig.

Sie fragte sich, ob er sich auch freuen würde, sie wiederzusehen. Würde er sich überhaupt an sie erinnern? Sie selbst würde niemals die drei leidenschaftlichen Monate vergessen, die sie damals zusammen verbracht hatten.

Rasch sammelte sie ihre Sachen ein und warf sie in die Tasche. Anschließend las sie den Text, der unter dem Foto stand. Aha! Er hatte sich also einen Namen als Ingenieur und Erfinder gemacht. Schön für ihn. Er war sogar der Hauptredner der Veranstaltung. In fünf Minuten begann seine Rede. Wunderbar! Daisy hatte an diesem Nachmittag noch nichts vor. Bestimmt würde es niemanden stören, wenn sie sich die Rede anhörte. Immerhin waren Justice und sie alte Freunde – sogar mehr als das.

Um ehrlich zu sein, war er nicht nur ihr erster, sondern auch ihr bester Liebhaber gewesen. In all den Jahren hatte sie immer wieder an ihn denken müssen. Nie wieder hatte sie eine so erfüllende Beziehung mit einem Mann gehabt. Justice war großzügig, geduldig und höflich gewesen. Er hatte das Beste aus seinem Leben gemacht – und das trotz seiner Vergangenheit.

Sie konnte es wirklich kaum erwarten, ihn wiederzusehen.

Vor dem Konferenzsaal standen zwei Männer, die die Besucherausweise kontrollierten. Daisy wartete den richtigen Moment ab und huschte an den Männern vorbei, als sie abgelenkt waren. Der Raum war bereits so voll, dass viele Gäste stehen mussten. Nach kurzem Suchen fand Daisy allerdings noch einen Platz in der zweiten Reihe. Zwar wollte sie nicht so weit vorn sitzen, aber es war besser als ein Stehplatz.

Sie merkte schnell, dass sie hier so gar nicht hineinpasste. Eigentlich war sie wegen einer Buchlesung hier und trug deshalb im Gegensatz zu den sonstigen Teilnehmern keine Business-Kleidung. Sie musste wie eine Außerirdische auf die anderen wirken.

Bisher hatte sie kein Wort von dem verstanden, was sie von den Gesprächen um sich herum aufgeschnappt hatte. Diese Wissenschaftssprache war ihr fremd – obwohl Justice damals versucht hatte, sie ihr beizubringen.

Das Schlimmste jedoch war, dass sich hier so gut wie keine andere Frau befand. Der Raum war voller Testosteron. Nicht, dass Daisy etwas gegen Männer hatte. Aber die Überzahl, die hier herrschte, gab ihr das Gefühl, eine Maus in einem Käfig voller Katzen zu sein.

Als sie Platz nahm, lächelte sie die Männer neben sich an. Anstatt zurückzulächeln, sahen sie Daisy nur verdutzt an. Es schien, als wäre sie eine mathematische Gleichung, die sie nicht lösen konnten.

Gerade als sie Reißaus nehmen wollte, wurde das Licht gedimmt, und ein Mann betrat das Podium. Er kam gleich zur Sache und kündigte Justice St. John an. Ausführlich listete er dessen Referenzen und Erfindungen auf. Zwischendurch ließ er immer wieder Bemerkungen fallen, die wohl humorvoll gemeint waren. Jedenfalls kicherten viele im Raum – obwohl Daisy keinen Grund dafür erkennen konnte. Vielleicht war das wieder so eine Wissenschaftlersache.

Schließlich beendete der Mann seine Laudatio und sah zur linken Seite des Raums.

Schweigend warteten alle auf den Auftritt des Hauptredners. Als Justice endlich das Podium betrat, tat er es so anmutig, dass er Daisy sofort an den Mann erinnerte, in den sie sich damals verliebt hatte.

Sie musste an den Tag denken, an dem sie ihn kennengelernt hatte. Und an die aufregende Nacht am See. Damals hatte Daisy ihre Unschuld verloren und war von ihm in die Kunst der Liebe eingeweiht worden.

Justice sah gelangweilt in die Menge und begann seine Rede, die mit unzähligen Fachausdrücken gespickt war. Obwohl Daisy kaum einen Satz verstand, fesselte seine Stimme sie ebenso wie jeden anderen im Raum.

Justice hatte sich sehr verändert. Wahrscheinlich hätte sie ihn nicht erkannt, wenn er auf der Straße an ihr vorbeigelaufen wäre.

Sie runzelte die Stirn. Wenn sie aber ganz genau hinsah, sah sie den Mann von damals.

„Warum ist mir das nicht selbst eingefallen?“, murmelte der Mann neben ihr.

„Was meinen Sie?“, fragte Daisy.

Missmutig sah er sie durch seine dicken Brillengläser an. „Seine Idee für diese Erfindung. Haben Sie nicht zugehört?“

„Nein“, gab sie zu. „Ich war abgelenkt.“

Hinter ihr kicherte jemand.

„Ich sage Ihnen, wenn es um Sensoren für Roboter geht, schlägt keiner St. John“, flüsterte ihr jemand aus der ersten Reihe zu.

„Vor allem, wenn es um Roboter geht, die mit Menschen interagieren“, fügte jemand hinter Daisy begeistert hinzu.

Interessant. Daisy wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Justice zu. Obwohl sie nicht verstand, worüber alle redeten, beeindruckte sie, dass er offensichtlich einen guten Ruf genoss. Doch was war der Preis dafür? Sorgfältig musterte sie ihn.

Seine Gesichtszüge waren viel strenger als früher. Seine goldbraunen Augen funkelten fast gefährlich. Sein schwarzes Haar war genauso lang wie damals. Anstelle eines Anzugs trug er eine Stoffhose und ein schwarzes Hemd.

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