Der Landarzt, der ein Playboy war

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Um feste Beziehungen hat Landarzt Tom Blake bisher einen großen Bogen gemacht. Dass er ein Playboy ist, weiß auch die hinreißende Tasha. Wie soll er sie je davon überzeugen, dass seine Gefühle für sie echt sind?


  • Erscheinungstag 02.10.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512893
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Meer vor dem Fenster lockte ihn wie der Gesang einer Sirene. Die Sonne schien auf die regelmäßigen, perfekten Wellen, und Dr. Tom Blake sah sehnsüchtig aus dem Fenster, bevor er den nächsten Patienten hereinrief.

Zum Glück war der Nachmittag kurz. Cray Point war ein kleiner, versteckter Ort auf einer Halbinsel der australischen Südostküste, und die meisten Einwohner liebten das Surfen genauso wie Tom. An einem Tag wie heute wurden alle Wehwehchen auf später verschoben, und nur die ernsten Fälle sprachen bei ihm vor.

Endlich konnte auch er sich ins Meer stürzen.

„Das war’s!“, rief er seiner Sprechstundenhilfe zu, als er die letzte Patientenakte schloss. „Schluss für heute.“

„Eine Patientin haben wir noch“, rief Rhonda. „Mrs. Tasha Raymond. Hat sich ganz kurzfristig einen Termin gemacht.“

Eine Touristin? Hoffentlich war es etwas Einfaches. Er trat aus seinem Sprechzimmer, um sie zu sich zu rufen.

Und hielt inne.

Die Frau saß am anderen Ende des Wartezimmers. Sie war um die dreißig, schätzte er, und hochschwanger. Sie sah erschöpft aus mit dunklen Ringen unter den Augen. So sahen oft Schwangere aus, die zu viel um die Ohren hatten – Kleinkinder zu Hause, eine zu anstrengende Arbeit, oder sie waren unglücklich über die Schwangerschaft.

Tasha Raymond war recht klein, vielleicht eins sechzig oder eins fünfundsechzig, hatte helle Haut und dunkle Locken, die sie in einem unordentlichen Dutt zusammengefasst hatte. Sie trug Schwangerschaftsjeans und eine riesige Windjacke. Offensichtlich hatte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen.

Er kannte sie. Er hatte sie als Tasha Blake kennengelernt.

„Tasha“, begrüßte er sie. Sie lächelte und stand schwerfällig auf.

„Tom, hallo. Ich hätte nicht gedacht, dass du mich noch erkennst.“

Das konnte er ihr nicht verdenken. Tasha war die Witwe seines Halbbruders, und sie hatten sich nur einmal getroffen – auf Pauls Beerdigung.

Seine Stiefmutter Deidre hatte ihm damals klargemacht, dass sie es bevorzugen würde, wenn er wegbliebe. Aber er hatte das Gefühl, hingehen zu müssen. Er hatte sich im Hintergrund gehalten, bis einer von Pauls Kletterfreunden, der die Familiengeschichte kannte, eingegriffen und ihn vorgestellt hatte.

„Tom, wahrscheinlich kennst du Tasha gar nicht. Tasha und Paul waren verheiratet.“

Die Nachricht, dass Paul versucht hatte, den Mount Everest zu besteigen, hatte Tom nicht besonders überrascht. Er hatte ein Abenteuer an das nächste gereiht und immer größere Risiken in Kauf genommen. Dass er zwischendurch geheiratet hatte, war da viel verblüffender.

Die schmale Frau, die von Pauls Kletterfreunden umringt gewesen war, hatte auf ihn gewirkt wie ein Geist. Er hatte ihr sein Beileid ausgesprochen, aber nach wenigen Worten hatte sich seine Stiefmutter dazwischengedrängt. Jemand hatte der blassen Tasha einen großen Mantel um die Schultern gehängt, um sie vor dem eisigen Friedhofswind zu schützen – aber vielleicht auch vor ihrer Schwiegermutter.

Es hatte wenig Sinn gemacht, diese Bekanntschaft zu vertiefen. Also hatte er noch einmal gesagt, wie leid es ihm tat, und war verschwunden.

Das war jetzt vier Jahre her. Warum erinnerte er sich da so gut an ihr Gesicht? Warum musste er nicht einmal nachdenken, wer sie war?

Rhonda sah neugierig zwischen Tom und Tasha hin und her. Rhonda war die größte Klatschtante der ganzen Welt – abgesehen von ihrer Zwillingsschwester. Beide arbeiteten für Tom: Rhonda als Sprechstundenhilfe und Hilda als Haushälterin. Die verwitweten, mittelalten Schwestern erledigten ihre Arbeit vorbildlich, aber sie steckten ihre Nase in alles, was sie anging und nicht anging.

„Ich komme jetzt allein zurecht, Rhonda“, sagte er und nickte Tasha lächelnd zu in der Hoffnung, professionell zu wirken. „Sie können gehen.“

„Oh, aber Mrs. Raymond …“

„Mrs. Raymond ist die Witwe meines verstorbenen Halbbruders“, sagte er. Warum sollte er es nicht gleich erzählen? Tasha musste ohnehin ein Patientenformular ausfüllen, und Rhonda hätte die Verbindung schnell gefunden. „Wahrscheinlich ist es ein privater Besuch. Sie müssen nicht bleiben.“

Widerstrebend nahm Rhonda ihre Tasche und ging.

Tasha war mit Tom allein. Ihr war übel. Was machte sie hier eigentlich?

Aber das wusste sie nur zu gut: Sie war verzweifelt. Sie brauchte Hilfe.

Ich komme allein zurecht. Das war schon ihr Mantra gewesen, als ihre Eltern in Afghanistan von einer Bombe am Straßenrand getötet worden waren. Dabei war sie damals erst ein Teenager gewesen. Es war auch ihr Mantra geblieben, als Paul auf dem Everest gestorben war.

Aber seit zwei Tagen war alles anders.

Dieser Mann hier war Pauls Halbbruder, und sie kannte ihn kaum. Sein Haar war vom gleichen Dunkelbraun wie Pauls, aber an den Spitzen war es sonnengebleicht. Wahrscheinlich verbrachte er viel Zeit auf dem Surfbrett. Von seinem Praxisfenster aus konnte man direkt den Strand sehen. Er war größer als Paul, fast eins neunzig, um seine blauen Augen sammelten sich Falten, und seine Haut war gebräunt. Er war schlank und muskulös. Ob er auch gern seine Grenzen austestete? Warum dachten Männer nur, dass es so viel Spaß machte, Risiken einzugehen?

Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter.

Sie war hier, weil sie ihn brauchte. Das war ein Gedanke, der ihr nicht gefiel. Noch ein Blake?

„Tasha“, sagte er sanft und sah sie aufmerksam an. „Wie kann ich dir helfen?“

Immer noch schweiften ihre Gedanken ab. Dass Tom zu Pauls Beerdigung gekommen war, hatte sie überrascht. Die beiden hatten niemals die Möglichkeit gehabt, wirklich Brüder zu sein. „Meine Mutter würde mich enterben, wenn sie mich dabei erwischen würde, wie ich mit dieser Seite der Familie spreche“, hatte Paul ihr einmal gesagt. „Als ich noch klein war, ist mein Vater mit mir in Urlaub gefahren. Mum hat er gesagt, Vater und Sohn müssten einmal Zeit miteinander verbringen. Aber er hatte auch meinen Halbbruder eingeladen. Tom ist vier Jahre älter als ich, und ich fand ihn cool. Und nett, wenn man bedenkt, dass ich als kleiner Stöpsel hinter ihm hergerannt bin. Aber Mum hat es natürlich rausgefunden und ist ausgeflippt. Deswegen habe ich Tom als Kind nie wieder getroffen. Später ein paarmal, bei Dad, aber irgendwann haben wir den Kontakt ganz verloren. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass ich einen Bruder hatte, auf den ich mich verlassen kann. Ich glaube, Tasha, wenn mir mal was passieren sollte, kannst du auf ihn zählen.“

Wenn ihm etwas passieren sollte. Zum Beispiel, wenn er auf dem Everest von Tonnen aus Eis und Schnee erschlagen werden sollte.

Damals hatte sie Tom jedoch nicht gebraucht. Sie hatte sich schon früh selbst das Versprechen gegeben, niemals irgendjemanden mehr zu brauchen. Außerdem hatte Paul ihre Welt ohnehin schon zum Einsturz gebracht, bevor er gestorben war.

Was tat sie also hier? Warum wollte sie einen anderen Blake um Hilfe bitten? Paul und sein Vater waren beide charmante Frauenhelden gewesen, auf die man sich nicht verlassen konnte. Warum sollte dieser Blake hier anders sein?

„Tasha?“ Tom klang immer noch sanft und freundlich wie ein besorgter Hausarzt. Vielleicht sollte sie die Sache so angehen, von Arzt zu Arzt. Nur fühlte sie sich gerade gar nicht professionell. Sie fühlte sich wie eine verängstigte Mutter ohne Familie, die gerade die schlimmste aller Nachrichten bekommen hatte.

„Tee“, sagte Tom knapp. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, sodass sie sich wieder hinsetzte. „Du siehst erschöpft aus. Ich mache dir einen Tee mit viel Zucker, und dann kannst du mir ganz in Ruhe erzählen, was los ist.“

„Ich hätte einen extralangen Termin machen sollen“, sagte sie schließlich scherzhaft. „Jetzt kriegst du nicht einmal den erhöhten Satz für mich.“

„Das rechne ich nicht ab“, erwiderte er und klang plötzlich angespannt. Er stand mit dem Rücken zu ihr und stellte den Wasserkocher hinter Rhondas Schreibtisch an. „Das ist eine Familiensache.“

Familie. Sie starrte auf seinen breiten Rücken und die gebräunten, starken Arme, die aus dem schneeweißen Kurzarmhemd ragten. Aus seiner hinteren Tasche baumelte ein Stethoskop. Er strotzte nur so vor Kompetenz. Und Fürsorge.

Er war praktischer Arzt und kümmerte sich um ganze Familien. Aber das war sein Beruf, und es gab wirklich keinen Grund für die Tränen, die ihr in die Augen stiegen, und ihren Wunsch, sich in seine Arme zu flüchten, um dort ausführlich zu weinen, nur weil er „Familie“ gesagt hatte.

Also blieb sie ruhig sitzen und versuchte, ihre Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

Tom nahm sich Zeit, den Tee zu machen. Er fragte, ob sie Milch oder Zucker wolle, und rührte ausführlich um, als ob er merkte, dass sie Zeit für sich brauchte. Als er ihr die Tasse in die Hände drückte und sich einen Stuhl heranzog, waren ihre Tränen wieder verschwunden. Sie war gefasst – so gefasst, wie sie sein konnte.

„Also.“ Tom lächelte sie an, ein kompetentes, professionelles Lächeln für Patienten, das sie selbst vor dem Spiegel geübt hatte, als sie zu arbeiten angefangen hatte. Auf einem Beistelltisch stand eine Box mit Taschentüchern, und er schob sie ihr wie nebensächlich hin. Sie musste lächeln.

„Ich werde schon nicht losheulen.“

„Du kannst so viel heulen, wie du willst. Du hättest auch vor vier Jahren heulen können. Aber da haben wir uns nur so kurz gesehen, und dann bist du …“

„Nach England gegangen“, erklärte sie. „Ich konnte nicht hierbleiben. Pauls Mutter hat mir die Schuld gegeben, dass …“

„Pauls Mutter ist eine boshafte Kuh“, sagte er bestimmt. Besser hätte Tasha Deidre auch nicht beschreiben können.

„Sie meinte, dass ich Paul vom Klettern hätte abhalten können.“

„Niemand hätte Paul davon abhalten können. Nicht, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.“

„Kanntest du ihn so gut?“

„Nein. Meine Mum hatte nichts gegen eine Bekanntschaft, aber seine. Als Dad sich dann auch von Deidre getrennt hat, wurde alles noch komplizierter. Meine Mum ist gut zurechtgekommen, sie hat ihr Leben weitergelebt. Aber Deidre war verbittert. Sie hat dagegen angekämpft, dass Dad Paul überhaupt sehen dürfte. Als wir älter waren, haben wir ein paarmal zusammen mit Dad ein Bier getrunken, aber als Dad gestorben ist, war das vorbei. Tasha, du musst was trinken.“

„Wie bitte?“

Er legte seine Hände um ihre, mit denen sie noch immer die Tasse hielt. Er hob sie an.

„Tee. Trink was.“

Sie nahm einen Schluck und war überrascht, wie gut er schmeckte. Wann hatte sie zuletzt Tee getrunken?

„Jetzt sag mal, warum du hier bist?“

Sie saß vor ihm, aber sie konnte es ihm nicht erzählen. Konnte es niemandem erzählen. Denn dadurch wurde es Wirklichkeit. Dabei musste es ein Albtraum sein.

„Tasha, los jetzt“, sagte Tom mit seiner sanften Stimme, die sie tief innen berührte. Irgendwie schaffte er es, dass sich ihr hämmerndes Herz beruhigte, wenn auch nur für einen Moment. Vor einigen Sachen konnte man nicht davonlaufen.

„Mein Baby …“, begann sie. Tom blickte auf ihren Bauch.

„Es ist bald so weit?“

„Nächste Woche.“

Er nickte, als ob es vollkommen logisch wäre, dass eine Schwangere, die kurz vor der Geburt stand, nach Cray Point fuhr, um ihn zu sehen.

Sie konnte nicht weitersprechen.

„Hast du einen Partner?“, fragte er vorsichtig, als sie still blieb. „Ist der Vater des Babys im Bilde?“

Es war schwer, aber schließlich gelang es ihr, zu sagen: „Der Vater des Babys ist Paul.“

„Paul?“

„Er hatte sein Sperma eingefroren“, sagte sie und musste sich noch einmal sammeln. „Dieser letzte Aufstieg … Ich war so sauer auf ihn. Kurz vorher hatte es auf dem Everest zwei riesige Bergrutsche gegeben. Die Sherpas wollten die Saison für beendet erklären, und die meisten anderen Bergsteiger waren einverstanden. Aber Paul wollte trotzdem noch los. Am letzten Abend, bevor er abreisen wollte, kam er zu mir und sagte: ‚Ich hab alles geregelt, Süße. Ich war in dieser Fruchtbarkeitsklinik und hab mein Sperma einfrieren lassen. Ist alles bezahlt und wird viele Jahre aufbewahrt. Wenn wirklich was passiert, kannst du dir einen kleinen Paul einpflanzen lassen.‘“

Sie hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. „Ich glaube, es war ein Scherz. Vielleicht aber auch nicht. Das werde ich nie mehr herausfinden. Als ich mich am nächsten Tag von ihm verabschiedet habe, wusste ich irgendwie, dass ich ihn nie wieder sehen würde.“

Sie legte den Kopf schief und sah Tom an. „Ich war fast zu wütend, um zu seiner Beerdigung zu gehen. Der Unfall war so unnötig, so überflüssig. Und dann Deidre, die mir die Schuld gab und mich am Telefon anbrüllte. Einmal ist sie sogar bei meiner Arbeit aufgetaucht. Deshalb bin ich nach England gegangen. Weißt du eigentlich, dass ich auch Ärztin bin? Ich habe dann in London in der Notaufnahme eines guten Krankenhauses gearbeitet und mich entschieden, Paul zu vergessen. Nur … dass das nicht funktionierte.“

Tasha zuckte mit den Schultern. Wie sollte sie erklären, welch riesige Verzweiflung sie überfallen hatte? Sie hatte doch gewusst, dass ihre Ehe mit Paul eine Farce gewesen war. Sie erinnerte sich noch, wie sie eines Morgens aufgewacht war und gedacht hatte, dass sie nie mehr jemandem vertrauen könne. Das bedeutete auch, dass sie nie eine richtige Familie haben könnte, nie ein Baby. Fast wäre sie nicht mehr aufgestanden.

„Und da hast du dich entschieden, Pauls Sperma zu benutzen“, sagte Tom, als ob er ihre Gedanken lesen könnte.

Die Wut, die in ihr aufstieg, galt ihr selbst. Ihrer Naivität.

„Warum auch nicht?“, blaffte sie. „Paul hat es mir in seinem Testament hinterlassen. Wenn ich weiß, dass das Kind von Paul ist statt von einem unbekannten Spender, ist das doch viel sicherer.“

Sie legte ihre Arme um ihren runden Bauch, und nun konnte sie die Tränen doch nicht mehr zurückhalten.

„Ich hab dieses Baby so gewollt“, flüsterte sie. „Ich hab sie so gewollt.“

Es war wie ein Messer im Herzen, als sie hörte, dass sie es selbst in der Vergangenheit formuliert hatte. Schnell berichtigte sie sich.

„Ich will sie“, sagte sie und schluchzte. Aber die Scans, die sie gesehen hatte, waren eindeutig.

Tom beugte sich vor und legte seine Hände auf ihre. Nun lagen vier Hände auf ihrem Bauch.

„Ist dein Baby gestorben, Tasha?“

Er hatte es ausgesprochen. Nun war es heraus. Aber es durfte nicht die Wirklichkeit sein.

„Noch nicht“, sagte sie leise, und sein Griff um ihre Hände wurde fester. Ob er all seine Patienten so behandelt, fragte sie sich und wunderte sich dann, dass in ihren Gedanken Platz für so etwas war. Er war gut. Er war intuitiv, empathisch, besorgt. Er war bestimmt ein guter Hausarzt.

Ein guter Freund?

Ich glaube, Tasha, wenn mir mal was passieren sollte, kannst du auf ihn zählen.

Paul hatte recht gehabt. Nur einmal in seinem Leben hatte Paul recht gehabt.

Aber konnte sie Tom wirklich damit belasten?

„Erzähl es mir“, sagte er, und es war ein Befehl, ruhig und sicher. Also atmete sie tief ein. Deswegen war sie ja hergekommen.

„Mein Baby ist ein Mädchen“, flüsterte sie. „Emily. Ich habe sie schon nach meiner Oma benannt. Also, ich musste zurück nach Australien, um auf Pauls Sperma zugreifen zu können. Ich bin Australierin und hier krankenversichert, sodass ich während der Schwangerschaft geblieben bin. Habe hier und da als Aushilfsärztin gearbeitet. Alles war in Ordnung, bis zum letzten Ultraschall. Da kam es raus. Sie hat das Linksherzhypoplasie-Syndrom. Das … das ist schon schlimm genug, aber ich habe nachgelesen, und für solche Fälle gibt es Hoffnung. In Melbourne arbeiten Ärzte, die sich damit auskennen. Hast du von der Norwood-Methode gehört? Die Chancen stehen gut, dass ein Kind damit überlebt. Aber dann war ich vorgestern beim Kardiologen für die letzte Untersuchung vor der Geburt. Und jetzt zeigt der Ultraschall auch noch einen Atriumseptumdefekt. Und noch anderes. Nichts stimmt bei ihr. In utero braucht sie ihr Herz noch nicht, um die Lungen am Leben zu halten, also geht es ihr gut. Aber sobald sie geboren ist …“

Tasha atmete tief ein. „Sobald sie geboren ist, geht es los mit den Problemen. Der Kardiologe sagt, ich soll solange wie möglich warten, damit sie kräftig genug ist, um eine Operation zu überstehen. Aber ich soll nicht mit einem Wunder rechnen. Er sagt, dass sie wahrscheinlich nur ein paar Tage leben wird, vielleicht sogar nur Stunden. Der Defekt ist so groß …“

Seltsam, dass sie all das erzählen konnte. Seltsam, dass ihre Stimme funktionierte. Offensichtlich sprach die Ärztin in ihr, um den Schmerz nicht zu nah an sich heranzulassen.

Toms Gesicht zeigte keine Regung mehr. Er nahm es auf wie ein guter Arzt, nahm sich Zeit, alles zu überdenken. Wahrscheinlich überlegte er, was er sagen konnte – was ihr am meisten helfen würde.

Aber es gab nichts zu sagen. Nichts.

Linskherzhypoplasie-Syndrom …

Selbst hatte er noch nie so einen Fall gehabt. Er hatte von der radikalen Norwood-Methode gelesen, mit der Babys gerettet wurden. Aber mit einem Atriumseptumdefekt …

Er hielt noch immer Tashas Hände umklammert. Sie lagen auf dem runden Bauch, und er spürte eine leichte Bewegung. Einen Tritt.

In Fällen wie diesem gab es während der Schwangerschaft meist keine äußeren Anzeichen. Ein Fötus brauchte nur ein Ventrikel. Er brauchte seine Lungen noch nicht, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Aber wenn die Fachleute recht hatten, trug Tasha ein nur scheinbar gesundes Baby in sich, das nach der Geburt lediglich wenige Tage zu leben hatte.

Tasha war Ärztin. Sie hatte bestimmt schon in alle Richtungen überlegt. Ihr Gesichtsausdruck sagte ihm, dass sie überall vor Mauern gelaufen war.

„Eine Transplantation?“, fragte er. Ohne weitere Recherche klang es für ihn erst einmal wie die einzige Hoffnung.

Er hielt weiter Tashas Hände. Für sich selbst vielleicht genauso wie für sie. Kurz sah er seinen Halbbruder als Kind vor sich. Schon damals war er ein wilder Junge mit immer unordentlichen Haaren gewesen, der jeden Tag ein aufgeschürftes Knie oder ähnliche Wunden mit nach Hause brachte. Später hatte Paul dann auch Medizin studiert, wie schon ihr Vater. Aber sobald Paul seinen Abschluss hatte, war er in fremde Länder gereist und hatte in den abgelegensten Dörfern gearbeitet. Er war schon immer risikofreudig gewesen.

Sein Baby hatte das größte Risiko noch vor sich: geboren zu werden.

„Du weißt doch, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, ein Spenderherz zu finden“, sagte Tasha monoton.

Ja, das wusste er. Sie müssten Tashas Baby am Leben halten, bis sie jemanden fänden, und dann war es immer noch nicht sicher, dass das Kleine mit einem neuen Herzen überleben würde.

Er blickte in Tashas verzweifeltes Gesicht. Wo sind deine Freunde? Deine Familie. Warum bist du allein hier?

Er spürte ein Ziehen.

Seit zehn Jahren war er inzwischen Hausarzt. Er liebte seine Arbeit. Er liebte diese kleine Gemeinde, und wenn es seinen Patienten schlecht ging, fühlte er sich immer gleich persönlich getroffen.

Aber mit dieser Frau war es noch einmal anders.

Ihre Geschichte brach ihm das Herz, und dass sie Teil derselben Familie waren, machte es nicht einfacher.

Doch da war noch etwas. Etwas, das ihn wünschen ließ, ihre Hände loszulassen, Tasha an sich zu ziehen und in den Armen zu halten.

Fast war es wie ein Urinstinkt. Der unbedingte Wille, sie zu schützen.

Ihr den Schmerz zu nehmen – wenn er bloß wüsste, wie.

Doch all das hinderte ihn nur daran, ihr tatsächlich zu helfen. Er sollte ihr nützlich sein – deshalb war sie schließlich hier. Sie wollte nicht irgendeine seltsame emotionale Reaktion von ihm, die er selbst nicht verstand.

„Wie kann ich dir helfen, Tasha?“, fragte er und zwang sich, seine Stimme ruhig zu halten. „Sag mir einfach, was ich tun kann.“

Sie setzte sich aufrechter. Er sah, wie sie versuchte, ihre Gefühle zu unterdrücken und die praktische Frau zum Vorschein kommen zu lassen, die sie ganz offensichtlich war.

Sie ließ seine Hände los und lehnte sich zurück. Er setzte sich ebenfalls auf, um das Persönliche aus ihrem Gespräch zu verdrängen.

„Ich brauche einen Fürsprecher“, sagte sie. „Nein. Emily braucht einen Fürsprecher.“

„Was heißt das?“

„Ich bin nur halb Australierin“, sagte sie. „Meine Mum kommt von hier, Dad war aus Großbritannien. Ich bin zwar hier geboren, aber meine Eltern waren beide beim Militär, und wir hatten nie ein dauerhaftes Zuhause. Mum und Dad sind gestorben, als ich fünfzehn war. Da bin ich zu meiner Tante nach England gezogen. Dort habe ich auch studiert, danach habe ich für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet, war überall auf der Welt. So habe ich auch Paul kennengelernt. Paul hatte damals eine Wohnung hier, sodass Australien zu unserer Homebase geworden ist, auch wenn wir immer noch viel unterwegs waren. Ich war nie lang genug hier, um Wurzeln zu schlagen und richtige Freunde zu finden. Deshalb kenne ich mich auch in der Stadt kaum aus. Ich werde Emily per Kaiserschnitt entbinden, und direkt nach der Geburt muss ich einige schwere Entscheidungen treffen.“

Kurz schien sie nicht weitersprechen zu können, aber sie riss sich zusammen. „Zum Beispiel … ob ich die Maschinen abstellen will“, flüsterte sie. „Ich muss entscheiden, was möglich ist oder nicht. Ich muss mich selbst überzeugen, dass bestimmte Eingriffe einfach nur sinnlos sind.“

Sie sah ihn an. „Tom, ich traue mir selbst nicht. Aber Paul hat mal gesagt, dass ich dir trauen kann. Er hat immer gut von dir gesprochen. Deswegen bist du der Einzige, an den ich mich wenden kann.“

Was sollte er dazu sagen? Es gab nur eine Antwort.

„Dann bin ich gern Emilys Fürsprecher“, sagte er. „Ich unterstütze dich, Tasha, was immer du von mir brauchst.“

„Aber du kanntest Paul doch kaum.“

„Aber wir waren eine Familie, und du gehörst auch dazu“, sagte er und nahm erneut ihre Hände. „Das ist alles, was zählt.“

„Hilda?“

Hilda Brakenwort, Toms Haushälterin und Rhondas Zwillingsschwester, hatte das Telefon mit nervöser Unruhe abgenommen. Sie war gerade mit ihrem Bœuf Stroganoff fertig geworden und überlegte, was sie alles für ein Zitronensoufflé brauchte.

„Mach was Schönes“, hatte Tom ihr gesagt, bevor er zur Arbeit gegangen war. „Alice kommt um acht, genau richtig zum Sonnenuntergang. Kannst du den Tisch auf der Veranda decken? Kerzen, Blumen, du weißt schon.“

Das wusste sie nur allzu gut. Toms Vorstellung eines romantischen Abends änderte sich nie. Aber sie kannte seine Prioritäten. Die Medizin war das Wichtigste, dann das Surfen. Sein Liebesleben nahm einen traurigen dritten Platz ein, und deswegen würde auch dieser Anruf wie einer der vielen Anrufe in der Vergangenheit sein. „Planänderung“, würde er sagen, und ihr Abendessen würde im Tiefkühler oder im Abfall landen.

„Ja?“, sagte sie seufzend und trauerte dem noch nicht zubereiteten Zitronensoufflé hinterher.

„Planänderung. Ich habe gerade einen Gast eingeladen.“

Das war neu. „Also ein romantisches Dinner für drei?“

Er lachte, aber Hilda kannte ihn lange genug, um die Anspannung in seiner Stimme zu bemerken. Normalerweise klang er so, wenn er zu viele Patienten zu versorgen hatte.

Konnte ein Gast so viel Stress verursachen? Sie musste sofort Rhonda anrufen.

„Ich sage Alice ab“, sagte er. „Das versteht sie bestimmt.“

Garantiert nicht, dachte Hilda. Alice war wunderschön, aber nicht einfach zu handhaben. Doch sie sagte nichts dazu.

„Soll ich das Gästezimmer herrichten?“

„Ja, bitte. Und könntest du Blumen reinstellen?“

„Der Gast ist eine Frau?“

„Sie heißt Tasha.“ Er zögerte, bevor er weitersprach. „Sie ist die Witwe meines Halbbruders, und sie hat Probleme. Sie bleibt hoffentlich so lange, wie sie uns braucht.“

Cray Point war ein offenbar von der Außenwelt vergessenes Nest auf einem Stück Land, das in die Port Philip Bay ragte.

„Wenn die Flut etwas stärker wäre, säßen wir auf einer Insel. Aber der Heli aus Melbourne ist in einer halben Stunde hier“, hatte Tom erklärt. „Dein Kaiserschnitt ist für nächste Woche geplant, und eigentlich hast du noch zwei Wochen Zeit. Außerdem bemerken wir als Ärzte bestimmt die ersten Anzeichen für Wehen und können dich dann schnell in die Stadt bringen.“

Also saß Tasha nun auf der Veranda und versuchte, das köstliche Essen zu genießen, das Toms Haushälterin gemacht hatte.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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