Die Rückkehr des stolzen Kriegers

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Kara kann ihre große Liebe Ash nicht vergessen. Die Leidenschaft, die der stolze Krieger in ihr weckte. Die Wut, dass er unbedingt kurz nach ihrer Hochzeit in den Kampf ziehen musste. Die Trauer, dass er nie von dort zurückkehrte. Trotzdem heiratet sie jetzt einen anderen, um ihrem Sohn das Erbe zu sichern. Doch gerade als sie vor den Altar tritt, ruft jemand hinter ihr: "Kara ist meine Ehefrau!" Ihr stockt der Atem, als sie sich umdreht … Aber so gern sie sich sofort in Ashs Küssen verlieren möchte, ist sie hin- und hergerissen. Sie braucht keinen Helden, sondern einen Mann, auf den man sich verlassen kann! Ist Ash noch der Richtige für sie?
  • Erscheinungstag 19.03.2024
  • Bandnummer 326
  • ISBN / Artikelnummer 9783963691980
  • Laufzeit 07:41:00
  • Audio Format mp3-Download
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Leseprobe

1. KAPITEL

Frühherbst, 793 n. Chr., Sand in Raumerike, südöstliches Norwegen

Sieben Jahre waren vergangen, doch Ash Hringson weigerte sich, darüber nachzudenken, wie viele Tausend Meilen er zurückgelegt hatte, seit er das letzte Mal in Sand gewesen war, der Hauptstadt von Raumerike. Viel lieber wäre er sofort nach Jaarlshiem weitergereist, wo er zu Hause war. Aber die Pflicht verlangte von ihm, dem König von seinen Reisen zu berichten und ihn in seine Zukunftspläne einzuweihen.

Ash rieb sich mit einer Hand übers Kinn, seine Finger strichen über die kleine sichelförmige Narbe. Seit er aufgebrochen war, hatte er über dreißig Kämpfe und kleinere Scharmützel miterlebt. Zwar wies sein Gesicht nur kleinste Narben auf, doch wenn er ging, war das Humpeln nicht zu übersehen. Das war ein Überbleibsel aus einer Schlacht, die drei Jahre her war und durch die sich eine Verletzung verschlimmert hatte, die ihm in einem fränkischen Verlies zugefügt worden war. Er wusste, er war nicht mehr jener sorglose junge Mann, der aus Raumerike voller Abenteuerlust und in der Überzeugung aufgebrochen war, dass eine glorreiche Zukunft auf ihn wartete. In seiner Vorstellung war Raumerike immer noch so wie an dem Tag, an dem er das Land verlassen hatte.

Völlig unerwartet überkam ihn das Gefühl, wieder dort zu sein, wo er hingehörte. Er war zurück in der Heimat, an jenem Ort, an dem er für niemanden ein Fremder war.

Er lächelte spöttisch. Was er geschafft hatte, musste genügen, um zumindest ein gewisses Maß an Respekt von seinem Vater zurückzugewinnen. Es war nicht länger seine Bestimmung, mit gesenktem Haupt im Schatten des Lebens zu wandeln. Er war zu einem Anführer geworden, er hatte nichts mehr von einem Feigling, der andere in einer Feuerhölle sterben ließ.

In den sieben Jahren seiner Abwesenheit hatte es in der Stadt einige Veränderungen gegeben. Sie war ein wenig größer geworden, aber die Straßen verliefen noch alle so, wie er es in Erinnerung hatte. Ein anderer Schmied pries jetzt seine Dienste an, und es sah so aus, als wäre die Halle des Königs neu aufgebaut worden. Der Markt entlang der Kaimauer war ausladender als früher, und es wurden mehr Stoffe und Felle angeboten. Die Fischhändler hatten ihre Stände immer noch in der rechten Ecke, wo sie frischen Hering und mehr verkauften.

Mehrere Kaufleute warfen ihm einen Seitenblick zu, wurden bleich und wandten sich ab, sobald er näher kam. Dann schlossen sie hastig die Läden an ihren Ständen. Unwillkürlich hielt Ash das Heft seines Schwerts fester umschlossen, zwang sich aber sogleich zur Ruhe.

Wussten sie noch von der Schmach, die er über seinen Vater und über das Land gebracht hatte? Erinnerten sie sich an die Brüder, Freunde und Cousins, die in jener schicksalhaften Nacht durch seine Gedankenlosigkeit den Tod gefunden hatten? Sahen sie ihn deshalb wie jemanden an, der von den Toten auferstanden war? Oder war es nur das für Raumerike typische Misstrauen gegenüber jedem Fremden?

Zugegeben, er trug die Kleidung der Viken, doch sein Herz schlug für Raumerike. Er hatte nie vergessen, woher er kam. Und deshalb war er auch zurückgekehrt – um mit seinem Vater Frieden zu schließen, wenn das möglich war, und um den jungen Kriegern von Raumerike zu zeigen, wie sie ihren Mann stehen konnten, anstatt auf der feindseligen See vom Tod ereilt zu werden.

Er fühlte sich versucht, den Neugierigen, Zweiflern und Neinsagern zuzurufen, dass nicht länger die Worte Schande und Feigling auf seiner Stirn standen. Der Jugendliche, der in einem Sturm sein Schiff auf Grund gesetzt hatte, nur weil er zu versessen auf Reichtum gewesen war, hatte seine Lektion gelernt. Das Leben eines Mannes war wertvoller als irgendwelche teuren Gegenstände und kostbarer als Gold.

Aber er schwieg und ging in Ruhe weiter.

Mit entschlossener Miene lenkte er seine Schritte in Richtung der Halle des Königs. Zuerst zum König, dann zu seinem Vater und schließlich zu seiner Frau. Er kannte die angemessene Reihenfolge. Jetzt kannte er sie.

Kara würde das verstehen. Er war sich sicher, dass sie es verstehen würde. Wobei ihm sein Gedächtnis die Erinnerung an die genaue Tonlage ihrer sanften Stimme verweigerte, und genauso wollte ihm nicht einfallen, welchen Farbton genau ihre goldblonden Haare hatten. Seit ihrer ersten Begegnung im Kindesalter und seit dem Tag, an dem sie seinem Falken den gebrochenen Flügel verbunden hatte, war sie von allen diejenige gewesen, die stets treu zu ihm gestanden hatte. Das letzte Bild, das er noch vor sich sah, zeigte sie mit stolz erhobenem Kopf, während ihr eine Träne über die Wange lief und sie ihn anflehte, er möge als Held zurückkehren.

Ash verdrängte die Gedanken an Kara, so wie er es in den letzten sieben Jahren immer wieder gemacht hatte. Schon bald würde er sich an alles erinnern können, was sie anbetraf. Doch zuerst musste er seiner Pflicht gegenüber dem König und dem Land nachkommen.

„Warum wandelst du inmitten der Lebenden, Geist?“, rief ihm eine ältlich klingende weibliche Stimme zu, die von einem Marktstand herüberschallte, an dem Kochtöpfe verkauft wurden. „Und warum ausgerechnet heute?“

Ash zuckte zusammen, als er durch den Zuruf irritiert verkehrt auftrat und sein in Mitleidenschaft gezogenes Bein mit seinem ganzen Gewicht belastete. Er zwang sich dazu, sich den Tod jedes ihrer Söhne ins Gedächtnis zu rufen, ehe er antworten würde. Die beiden ältesten waren im Sturm ums Leben gekommen, der jüngste hatte mit ihm zusammen die Gefangenschaft erduldet und ihn mit seinen Geschichten von lange zurückliegenden Heldentaten am Leben erhalten. Ash hatte geweint, als sein letzter Freund gestorben war.

Einen Tag und eine Nacht hatte er an der Seite des Leichnams in diesem Drecksloch zugebracht, dann war es ihm endlich gelungen, den fränkischen Wachmann zu überwältigen, der geschickt worden war, um nach den beiden zu sehen. Danach hatte er die Flucht durch den schmalen, stinkenden Abfluss angetreten. Auch jetzt, sechs Jahre später, konnte er noch immer nicht in einem geschlossenen Raum schlafen, und er konnte auch keine unterirdischen Räume betreten.

Zum ersten Mal auf dieser verfluchten Reise waren die Götter ihm gnädig gewesen. Nachdem er dem Abfluss entstiegen war, hatte er im Hafen ein Viken-Schiff entdeckt, sofort angeheuert und sich fortan als Söldner verdingt.

„Ich bin kein wandelnder Geist, ich bin ich selbst, Hildi, Mutter von Kriegern und eine Perle unter den Frauen.“ Ash nannte die Namen ihrer drei Söhne, die mit ihm gesegelt waren und die alle ihr Leben verloren hatten. „Ich bin gekommen, um dir Tribut für das Leben deiner tapferen Söhne zu zahlen. Alle drei tafeln jetzt mit Odin. Fass meine Hand an, ich bin wirklich hier.“

Mit einem knochigen Finger stieß sie ihn an. „Pah! Deine Zunge ist noch immer genauso wortgewandt, Ash Hringson. Hoffentlich steckt dieses Mal in deinen Worten mehr Wahrheit. Lebendig, nicht ertrunken. Das ist wahrhaftig etwas Neues.“

„Ich habe überlebt, aber ich werde ihren Tod wiedergutmachen. Das verspreche ich dir, Hildi, so wie ich es allen versprochen habe, die mir gefolgt waren.“ Er sah Hildi in die Augen. „Deine Söhne sind jetzt in Walhalla, sie teilen sich nicht die Tiefen mit Ran. Was könntest du Besseres für sie wollen?“

„Daran habe ich nie gezweifelt.“ Die Frau bellte eine Anweisung und kam um den Marktstand herum zu ihm.

Sie wirkte etwas gebeugter und etwas faltiger, aber im Wesentlichen war sie immer noch die gleiche Frau, die sich unter Tränen von ihren Söhnen verabschiedet hatte. Die drei waren mit Ash zusammen zu einer Reise aufgebrochen, um etwas zu erledigen, das dafür hatte sorgen sollen, dass ihre Mutter nicht länger auf dem Markt arbeiten und Fisch verkaufen müsste. Ash ließ den Kopf nach vorn sinken.

Der allzu vertraute Geschmack nach Bedauern machte sich in seiner Kehle breit. Er wusste längst nicht mehr, wie oft er sich gewünscht hatte, dass er ums Leben gekommen wäre, nicht aber so viel würdigere Männer wie Hildis Söhne. Im Geiste erhöhte er die Summe, die er ihr schuldete. Natürlich würde das ihre Kinder nicht wieder lebendig machen, aber ihr Leben würde zumindest ein wenig erleichtert werden.

„Der König ist immer noch der König?“, fragte er, als er darauf vertrauen konnte, dass seine Stimme ihm nicht versagte.

„Aye. König Eystienn klammert sich am Thron fest. Sein Augenlicht lässt nach, sein Schwertarm ist nicht mehr so stark, aber sein Geist ist noch immer hellwach. Es bleibt abzuwarten, ob er im Bett oder mit dem Schwert in der Hand sterben wird.“

„Er sollte zuerst meine Geschichte hören, bevor ich dir den Tribut zahle. Ich möchte nicht, dass das jemand infrage stellt. Ist er heute auf seinem Thron, oder ist er auf der Jagd?“

Sie sah ihn verwundert an und lachte spöttisch. „Weder noch. Heute ist er bei der Hochzeit.“

„Wessen Hochzeit?“

Die ältere Frau schaute über ihre Schulter und zog ihr Tuch enger um sich. „Die Hochzeit deiner Frau. Sie heiratet wieder, und der gesamte Hof ist anwesend.“

„Kara Olofdottar ist meine Frau“, erklärte er entschlossen. „Es gab keine Scheidung, und es wird auch keine Scheidung geben. Sie gehört mir, und was mir gehört, das behalte ich. Das ist der Wahlspruch meines Vaters und damit auch meiner.“

„Dann solltest du wohl besser deinen Anspruch auf sie anmelden, Ash Hringson.“ Die alte Dame hielt inne und lächelte ihn zahnlos an. „Bevor es ein anderer macht. Beim nächsten Mal solltest du früher zurückkehren, wenn du die Dinge behalten willst, die rechtmäßig dir gehören.“

Kara Olofdottar nahm ein plötzliches Unbehagen wahr, das ihr als eindringliches Kribbeln über den Rücken lief. Sie wünschte, sie wäre nicht auf Valdars Bitte eingegangen, hier in Sand zu heiraten, wo sie vor den Augen aller ihre ernsten Ehegelübde vor Vars Hohepriester sprechen mussten. Das Leben wäre viel einfacher gewesen, wenn er ihren Vorschlag angenommen hätte, in Jaarlshiem unter den ausladenden Ästen des tuntreet zu heiraten. Sie liebte diesen alten Baum, diesen knorrigen Wächter des Anwesens, der dafür sorgte, dass alles sicher war und aufblühte.

Dem Vorbild ihres verstorbenen Schwiegervaters entsprechend erzählte Kara dem Baum alle Neuigkeiten, und das ausnahmslos, weil sie so dafür sorgte, dass alle Unternehmungen zum Nutzen des Anwesens ausfielen. Ihr verstorbener Ehemann hatte dem Baum nicht erzählt, dass er sich auf diese schicksalhafte Expedition hatte begeben wollen, von der er nicht mehr zurückgekommen war. Sie war davon überzeugt, dass es etwas ausgemacht hätte, wäre dem Baum dieses Vorhaben anvertraut worden.

Ihr war klar, warum Valdar ihre Heirat in aller Öffentlichkeit vollziehen wollte, dennoch hatte sie größere Menschenmengen noch nie ausstehen können.

„Ist alles in Ordnung, Kara?“, fragte Auda, eine ihrer engsten Freundinnen, die sie aufmerksam beobachtete. Sie hatten sich kennengelernt, als Auda erstmals an den Hof gekommen war, kurz nachdem Ash seine unheilvolle Reise angetreten hatte. Audas ältester Sohn war ungefähr genauso alt wie der von Kara. Ihr Ehemann war letzten Frühling an einem Fieber gestorben, kurz nach der Beisetzung von Karas Schwiegervater. „Du scheinst in deiner eigenen Welt versunken zu sein. Denkst du immer noch über das Pferd nach, das mein Onkel dir zur Untersuchung aufgedrängt hat? Das wird sich wieder erholen. Das scheinen alle Pferde zu tun, nachdem du sie untersucht hast. Du hast eine besondere Begabung.“

„Ich muss ja bloß vor den Augen einer Menschenmenge heiraten, die aus dem gesamten Königreich zu bestehen scheint.“ Kara strich sich die blonden Haare von der Schulter. So lange hatte sie sie schon nicht mehr offen getragen, dass ihr ganz entfallen war, wie lästig das sein konnte. Immer verhedderten sich ihre Haare oder wurden ihr vor die Augen geweht.

„Alle interessieren sich eben dafür, was mit der hübschen Witwe aus Jaarlshiem geschieht. Mir gibt das die Hoffnung, dass ich eines Tages auch wieder einen Mann finden werde.“ Auda schnippte mit den Fingern. „Du und dein Brautkleid werden bis zur Julzeit das wichtigste Gesprächsthema sein. Niemand wird sich gegen diese Ehe aussprechen oder behaupten, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, falls es das ist, was dir Sorgen bereitet.“

Kara benetzte ihre Lippen. „Warum sollte sich jemand gegen diese Ehe aussprechen? Wir können beide heiraten. Oder ist dir etwas über Valdar bekannt, wovon ich nichts weiß?“

„Mein Schwager war nie verheiratet, bis du in sein Leben getreten bist.“ Auda musste lachen. „Wenn mir jemand Sorgen macht, dann ist es Harald Haraldson, dein angeheirateter Onkel. Er spielt einem mehr Streiche als Loki, wie mein Mann immer gesagt hat. Er hat Harald nie verziehen, dass der ihm bei einem Tauschhandel ein krankes Schaf untergeschoben hatte.“

„Harald Haraldson besitzt nicht die Macht, um diese Ehe zu verhindern!“ Kara zwang sich, ihre Hand auf ihrem Schoß liegen zu lassen und sich nicht wieder eine Haarsträhne hinters Ohr zu stecken. Ihre Haare sollten zur Hochzeit wunderschön sein, nicht herunterhängen, als wäre sie eine Hexe. „Der König stimmt dieser Ehe zu, weshalb ich darauf hoffe, dass er meinen Sohn als den rechtmäßigen jaarl von Jaarlshiem bestätigen wird, wenn er erst einmal sieht, dass Valdar Ruriks Interessen beschützt.“

„Wie kann ich dir helfen, deine Vorbereitungen zum Abschluss zu bringen? Es wäre nicht gut, deinen neuen Ehemann warten zu lassen. Diese Nerisons können sehr ungeduldig werden, wenn sie etwas wollen.“

Im Augenblick wollte Kara nur nach Jaarlshiem zurückeilen, wo sie sich sicher fühlte. Und sie wollte, dass die Übelkeit und die beklemmende Angst aufhörten. Sie war nicht mehr die sechzehn Jahre alte, gutgläubige Braut, sondern eine dreiundzwanzig Jahre alte Witwe. Sie konnte sich nicht länger den Luxus erlauben, unverheiratet zu sein. Diese öffentliche Heirat sollte dem ganzen Königreich und zugleich allen Nordländern demonstrieren, dass sie einen starken Krieger ausgewählt hatte, der das Gehöft bewachen würde, bis ihr Sohn alt genug war.

Als ihr Schwiegervater noch gelebt hatte, war nie die Notwendigkeit aufgekommen, wieder zu heiraten, weil er den Respekt aller in Raumerike genossen hatte. Aber jetzt, da er tot war, wusste sie, sie würde ohne fremde Hilfe seine Ländereien nicht halten können. Sie musste wieder heiraten, da sie sonst Gefahr lief, alles zu verlieren, wofür sie in den letzten Jahren so hart gearbeitet hatte. Eine andere Wahl blieb ihr nicht. Sie hatte sich am Sterbebett ihres Schwiegervaters selbst das Versprechen gegeben, nicht den Fall eintreten zu lassen, den er mit seinem letzten Atemzug prophezeit hatte – dass ihr als unverheiratete Frau alles entgleiten und für Rurik nichts mehr vorhanden sein würde, was er erben konnte, wenn er alt genug war. Sie würde das schaffen und ihren Schwiegervater widerlegen.

„Pack die Brautkrone meiner Mutter aus. Ich weiß, das hätte ich längst tun sollen, aber ich musste mir dieses Pferd ansehen, und dann waren da noch die letzten Vorbereitungen für das Festmahl und …“

„Alte Kronen sind das Beste, was es gibt. Als ich geheiratet habe, musste ich mich mit einem einfachen Blumenkranz begnügen.“ Auda klatschte in die Hände. „In wenigen Tagen wirst du dich fragen, wieso du je gezögert hast, Kara. Valdar hatte erwähnt, wie oft er dich gebeten hat, ihn zu heiraten. Was war es noch gewesen? Fünfzehnmal? Zwanzigmal?“

„Siebzehnmal. Aber nicht, dass ich mitgezählt hätte.“

Es sprach nichts gegen diese Heirat. Valdar war gütig, beständig und zuverlässig. Er trug sich nicht mit der Absicht, zum Wikinger zu werden, und er wollte sich auch nicht auf lange, weite Reisen begeben, um mit irgendwem Handel zu treiben. Ihr Schwiegervater hatte erklärt, Valdar sei unter einem fixen Stern geboren, Ash dagegen unter einem wandernden Stern. Er würde der richtige Vater für Rurik sein – geduldig und fürsorglich und immer in der Nähe des Jungen, anstatt weit entfernt sein Leben zu riskieren. Ein Mann, der einem Halt gab.

„Zu schade, dass Rurik nicht hier ist.“ Auda befestigte den weißen Umhang an Karas Schultern. „Es hätte ihm bestimmt gefallen, seine Mutter zu erleben, wie sie wie eine Göttin aussieht. Und es wäre seine erste Gelegenheit gewesen, die Hauptstadt zu besuchen.“

„In Jaarlshiem ist er besser aufgehoben. Da bieten sich nicht so viele Gelegenheiten, um etwas anzustellen. Ich bin auch so schon aufgeregt genug, da kann ich nicht auch noch auf ihn aufpassen.“ Mehr sagte Kara dazu nicht, und vor allem ging sie über Audas Bemerkung über ihr Aussehen hinweg.

Wäre sie mehr Frau gewesen, hätte Ash sich nicht auf seine Reise begeben. Er wäre bei ihr geblieben, um alles zu tun, damit es seinem Erben gut geht. Die verbitterten Worte ihres Schwiegervaters, gleich nachdem er von Ashs tragischem Tod erfahren hatte, verletzten sie jetzt noch. Sie schüttelte abwehrend den Kopf. Ihr verstorbener Ehemann war der Letzte, über den sie ausgerechnet heute nachdenken wollte, an dem Tag, an dem sie heiraten würde.

Ein Neuanfang, ein neues Kapitel, um dafür zu sorgen, dass Rurik frei von Angst aufwachsen konnte. Jaarlshiem hatte schon viel zu lange ohne einen starken Krieger auskommen müssen, der den Kurs vorgab. Ash Hringson gehörte der Vergangenheit an und zu dem Mädchen, das sie einmal gewesen war. Wäre sie gestorben, hätte die Zeit kaum gereicht, um ihre Asche auf den Wurzeln des tuntreet zu verteilen, da hätte Ash bereits eine andere Frau gehabt, die ihm das Bett warm hielt.

„Was treibt Rurik denn alles?“ Auda lächelte nachsichtig. „Bestimmt hat er doch etwas daraus gelernt, nachdem er erwischt wurde, als er bei diesem Unwetter mit einem Pferd unterwegs war, das er kaum beherrschen konnte.“

„Glaub mir, das willst du lieber nicht wissen.“ Dabei hob Kara abwehrend eine Hand. „Aber er verehrt Valdar. Ich hoffe, er hat auf Rurik einen beruhigenden Einfluss.“

Sie wollte nicht darüber nachdenken, in welch brenzlige Situationen sich ihr Sohn in letzter Zeit gebracht hatte. Der Zwischenfall mit dem Pferd hätte eigentlich reichen sollen, aber er war inzwischen dazu übergegangen, sich ihr bei jeder Gelegenheit zu widersetzen. Ihn bei Ashs altem Kindermädchen Gudrun zu lassen war ihrer Meinung nach das Beste, was sie hatte tun können. Gudrun war ein solches Verhalten gewöhnt. Oft betonte sie, wie sehr Rurik seinem Vater ähnelte, vor allem rund um die Ohren und die Nase.

Ashs zahlreiche Kratzer und Schrammen waren legendär. Kennengelernt hatten sie sich, als er bei dem Versuch gestürzt war, seinen Falken wieder einzufangen. Der hatte sich den Flügel verletzt, und Ash war mit dem Tier zu ihrer Mutter gegangen, anstatt ihm den Hals umzudrehen, wie sein Vater es ihm geraten hatte.

Die Kenntnisse ihrer Mutter als Heilerin waren wirklich einzigartig. Es war das erste Mal, dass Kara die Erlaubnis bekommen hatte, dem Vogel einen Verband anzulegen, während sich ihre Mutter um Ashs verdrehten Knöchel kümmerte. Fünf Monate darauf kam ihre Mutter bei einem Unfall ums Leben. Bei der Beerdigung hatte Ash mit Kara geredet und sich später die Zeit genommen, um ihr Versteck hinter der eisernen Truhe aufzuspüren und ihr Süßes zu bringen. Dafür hatte sie ihn bewundert, und als er sie schließlich bat, ihn zu heiraten, wurden all ihre mädchenhafte Träume wahr.

Der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht so viel für sie empfand wie sie für ihn, kam ihr erst viel zu spät. Dumm, wie sie war, hatte sie nicht früh genug gemerkt, dass ihr Held gar kein Gott, sondern ein selbstsüchtiger Mann war.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Rurik mochte Ash noch so ähnlich sehen, sie war diejenige, die ihn großzog. Sie würde nicht den Fehler wiederholen, den Ashs Vater bei Ash gemacht hatte, indem er ihn in den Himmel gelobt hatte, wenn er kriegerisches Geschick bewies oder etwas anderes tat, was dem Vater gefiel. Oder indem er ihn immer dann seinem Schicksal überlassen hatte, wenn die Herausforderung zu groß erschien, um bewältigt zu werden.

„Kara, du bist so schweigsam geworden.“

„Ich bin immer schweigsam, Auda.“

„Nur, wenn du unter Menschen bist, die dich nicht kennen, oder wenn du dich über etwas aufregst. Wenn du dich wohlfühlst, redest du immer.“

„Ich versuche, meinen Lidstrich zu ziehen. Warum ich den tragen muss, verstehe ich nicht.“

„Eine Braut muss darauf achten, dass sie gut geschminkt ist. Das weiß doch jeder. Du willst dir nicht Freyas Ärger zuziehen. Oder willst du etwa nicht den Segen der Göttin für diesen Bund?“ Damit kam Auda auf verschiedene Hochzeiten der letzten Zeit zu sprechen und erzählte fast ohne Pause, wie die jeweilige Braut ausgesehen hatte und ob Freya zufrieden gewesen war oder nicht. „Du hast den Lidstrich verschmiert. Fang noch einmal an und bleib immer ganz am Rand des Lides.“

Kara griff nach dem kleinen Pinsel und begann von vorn. Diesmal würde sie eine Braut sein, die von den anderen bewundert wurde, anstatt ausgelacht oder bemitleidet zu werden. Sie schauderte, als sie daran zurückdachte, wie die Farbe ihr bei der letzten Hochzeit vom Auge bis über die Wange gelaufen war. Ash hatte die Farbe mit einem Tuch weggewischt und sie dabei nachsichtig angelächelt.

Auda hielt ihr die glänzende Krone hin, die noch scheußlicher aussah, als Kara sie in Erinnerung hatte. Beim letzten Mal hatte sie sie noch voller Stolz getragen, da sie dachte, Ash wollte, dass sie strahlend und wunderschön aussah. Aber sie hatte die Leute flüstern hören, wie sie sie hinter vorgehaltener Hand als Hexenkind bezeichnet hatten.

„Findest du nicht auch, Kara?“

Sie stutzte und begriff, dass sie auf irgendetwas antworten sollte. „Ich habe gerade nicht hingehört, Auda.“

„Ich sprach nur davon, dass die Frauen dich diesmal um einiges mehr beneiden dürfen – um eine wunderschöne Brautkrone und um einen gut aussehenden Krieger in deinem Bett.“

„Wer sollte mich darum beneiden?“ Sie zwang sich zu einem Lachen. Der Gedanke, mit Valdar das Bett zu teilen, ließ sie völlig kalt. Sie würde ihre Pflicht erfüllen, doch seit sie die Wahrheit über ihre Ehe mit Ash herausgefunden hatte, fühlte sie sich wie in einem Eisblock eingeschlossen. So gut Valdar auch aussah, begann ihr bei seinen Küssen zu frösteln. Dagegen hatte Ash sie nur leicht berühren müssen, und sie war in Flammen aufgegangen, damals in diesem Frühling, der so lange zurücklag.

„Du wirst dich noch wundern. Es kursieren Gerüchte über Valdars außergewöhnliche Fertigkeiten im Bett. Viele Frauen haben darauf gehofft, ihn für sich zu gewinnen, aber bislang gab es immer nur eine, die er zu seiner Ehefrau nehmen wollte – nämlich dich.“

„Diese Gerüchte haben es aber nicht bis nach Jaarlshiem geschafft.“ Kara saß da, den Rücken starr durchgedrückt. Sie wusste, Valdar hätte unter vielen Frauen wählen können, aber er hatte sich für sie entschieden. In seinen zahlreichen Heiratsanträgen hatte er die wachsende Freundschaft mit Rurik, die geringe Entfernung zwischen seinem und ihrem Anwesen und die Tatsache betont, dass sie beide sich vom Wesen her gut ergänzten. Von ihrem goldblonden Haar oder vom Schwung ihrer Unterlippe war anders als bei Ash keine Rede gewesen. „Im Bett wird es so sein, wie es mit einem Mann eben ist.“

„Du müsstest dein Gesicht sehen, Kara. Du glühst. Wer dich sieht, könnte dich für ein Mädchen von sechzehn halten, aber nicht für eine Witwe.“ Auda tippte mit dem Finger gegen die Krone. „Ist es im Bett mit Valdar nicht so, wie es dir gefällt? Du wirst dir doch sicher eine Kostprobe erlaubt haben, bevor du dieser Heirat zugestimmt hast.“

„Auda, hör auf damit. Wann sollte ich Zeit gehabt haben, um mich an Valdar zu erfreuen? Ich bin Mutter, und ich führe Jaarlshiem. Valdar und ich haben ja kaum einmal eine Stunde für uns gehabt, seit wir uns wegen der Heirat einig geworden sind.“ Kara griff nach der Krone und setzte sie sich auf den Kopf.

Es war ihr Bestreben gewesen, nicht das von Valdar. Sie hatte das Gefühl gehabt, Ash zu hintergehen und zu entehren. Wenn die Hochzeit erst einmal hinter ihr lag und sie nicht länger zu Ash gehörte, würde das alles anders aussehen.

Als sie die zutiefst besorgte Miene ihrer Freundin sah, fügte sie besänftigend an: „Ich will nur diese Zeremonie hinter mich bringen. Diesen ganzen Tag, wenn du es genau wissen willst.“

„Du siehst großartig aus, weißt du das, Kara?“ Auda tätschelte ihr freundschaftlich die Schulter. „Jeder, der dich so zu sehen bekommt, wird sofort verstehen, warum einer der besten Krieger des Landes dich zu seiner Braut auserkoren und dir sein Herz zu Füßen gelegt hat. Du musst nur einmal darauf achten, wie sich seine Miene aufhellt, sobald sein Blick auf dich fällt.“

„Liebe Auda.“ Kara gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Ich kenne meine Grenzen. Sollen wir die Zeremonie hinter uns bringen? Bevor Valdar dahinterkommt, was für eine Art von Frau er heiraten wird, und es sich anders überlegt.“

„Das wird er nicht machen. Wenn mein Schwager erst einmal einen Entschluss gefasst hat, rückt er davon nicht wieder ab. Er ist ausgesprochen starrsinnig.“

„Beständig ist er, ich weiß. Das hast du mir gesagt.“ Kara warf einen letzten verzweifelten Blick in den kleinen Spiegel. Sie wiederholte die Worte, die sie sich seit einigen Wochen einredete. „Und er ist genau der richtige Mann für mich. Sieben Jahre lang verheiratet und davon sechs Jahre als Witwe. Ich verdiene einen Mann in meinem Leben.“

„Das ist die Kara, die ich kenne und liebe.“

Vorsichtig balancierend, damit ihr die ungewohnte Krone nicht vom Kopf rutschte, machte sich Kara auf den Weg zum Tempel. Am Eingang zum Tempelgelände blieb sie wie angewurzelt stehen, als sie die Menschenmenge erblickte, die sich dort versammelt hatte. Irgendjemand bemerkte sie, und sofort erfüllten Jubel und lautes Trampeln die Luft.

Sie widerstand der Versuchung, auf der Stelle kehrtzumachen und davonzulaufen. Ihr war nicht klar gewesen, dass in ganz Raumerike so viele Menschen lebten, von der Hauptstadt ganz zu schweigen. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, mit dieser Heirat den größten Fehler ihres Lebens zu begehen. Eine Ehe sollte mehr sein als ein simples Zweckbündnis, so hatte es ihre Mutter vor langer Zeit einmal gesagt.

Sie presste die Lippen zusammen. Ihr größter Fehler war es gewesen, Ash in dem Glauben zu heiraten, dass sich all ihre sehnsüchtigen Träume erfüllen würden. Diese Ehe hier versprach anders zu werden, geprägt von gegenseitigem Respekt, aber nicht von falschen Erwartungen.

Mitten im Tempel entdeckte sie Ashs Onkel Harald Haraldson, der wie eine Spinne mitten in seinem Netz saß und lauerte. Kara wusste, warum diese Heirat in aller Öffentlichkeit stattfinden musste. Alles an ihm strahlte Hass und Arroganz aus. Nur sie und Rurik standen ihm im Weg, um all das zu erben, was ihr Schwiegervater an Vermögen zusammengetragen hatte. Die Gesetzgebung über die Erbfolge in Raumerike war eindeutig: Wenn ein Mann starb, ohne einen Erben zu hinterlassen, ging das Erbe auf seine Mutter über, danach auf deren Ehemann und erst dann auf die restlichen Verwandten. Und ein Jaarltum konnte nur dann bestätigt werden, wenn sich der Krieger als würdig erwiesen hatte.

Er bemerkte ihren Blick und verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln, wie es ein Jäger zeigte, bevor er sich auf seine nichts ahnende Beute stürzte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

So lange und so verbissen hatte sie für Ruriks Leben gekämpft, als der noch ein Säugling gewesen war, dass sie jetzt nicht damit aufhören würde. Und sie würde sich auch nicht zu einer Ehe zwingen lassen, in der zuerst Ruriks und danach ihr eigenes Leben verwirkt wäre. Valdar würde sie beide bis zum letzten Atemzug verteidigen.

Sie konnte diese Zeremonie über sich ergehen lassen, weil sie in wenigen Tagen nach Jaarlshiem zurückkehren würde. Ihrem Sohn hatte sie versprochen, für ihn einen neuen Vater mitzubringen.

Die letzten Schritte auf dem Weg zu Valdar fielen ihr viel leichter als die ersten. Auda hatte recht, er war wirklich ein gut aussehender Krieger, der es mit jedem Gegner aufnehmen konnte. Mit der Zeit würde sie ihn in ihrem Bett willkommen heißen, und dort würde sie die Rolle spielen, die von ihr verlangt wurde.

Wie schwierig konnte es schon sein, Leidenschaft vorzutäuschen? Andere machten das auch. Selbst Ash hatte das ihr gegenüber getan, und sie war einfältig genug gewesen, nichts davon zu merken.

Kara streckte ihm die Hand entgegen, er umschloss sie leicht mit seinen Fingern. Diese schlichte Berührung genügte, um sie zu beruhigen.

Der Priester begann, die Götter anzurufen, und wandte sich an Freya, Odin und Var, damit sie Zeuge dieses Bundes wurden.

Diese Ehe würde besser werden als ihre letzte, nahm sie sich insgeheim vor. Sie würde einem guten Mann eine gute Ehefrau sein.

Der Priester fragte die versammelten Anwesenden, ob einer von ihnen einen Grund vorzubringen habe, wieso die Götter dieser Ehe nicht ihren Segen geben sollten, dann ließ er eine lange, bedeutungsvolle Pause folgen.

Kara ließ ganz leicht die Schultern kreisen, um das Gefühl eines bevorstehenden Unheils abzuschütteln, das sie befallen hatte.

Sie nickte dem Priester zu, damit er fortfuhr und diese Tortur bald ein Ende haben würde. Der Mann räusperte sich und nickte.

„Ich erhebe Einspruch! Diese Frau ist nicht frei, um zu heiraten! Diese Zeremonie ist nicht rechtens!“, schallte eine dröhnende Stimme aus dem hinteren Teil des Tempels an Karas Ohren.

Der Priester erstarrte mitten in der Bewegung, während Kara der Atem stockte. Ash! Ashs Stimme aus dem Grab?

Unmöglich! Ash war tot, beigesetzt in einem nassen Grab. Jemand anders hatte diese Worte gerufen, und es musste am Widerhall von den Wänden liegen, dass sich die Stimme wie die von Ash anhörte. Wut stieg in ihr auf. Wer wagte es, diese Hochzeit zu stören und zu entehren? Sie würde denjenigen dafür teuer bezahlen lassen.

„Beendet sofort diese Zeremonie! Hört auf meine Worte, diese Frau ist nicht frei!“

Valdar sah sie fragend an, sie rang sich zu einem minimalen Schulterzucken durch, während es in ihrem Kopf zu pochen anfing. Eine Unterbrechung, weiter nichts. Sie gehörte keinem Mann, doch wer auch immer sich zu diesem Einwurf entschlossen hatte, er kannte ganz genau ihre Schwachstelle.

Kara legte sich eine Hand auf den Bauch. Sie durfte nicht länger Geister hören. Dieser Einwand war bedeutungslos, er war haltlos. Aber es änderte nichts daran, dass man den Mann anhören würde.

Ihrem Temperament freien Lauf zu lassen führte nur selten zu etwas. Oft wurde dadurch sogar alles bloß noch schlimmer. In den letzten Jahren hatte sie gelernt, wie wertvoll es war, äußerlich ruhig und gefasst zu erscheinen, auch wenn sie innerlich kochte.

Wenn sie diese kleine Verzögerung geduldig über sich ergehen ließ, ersparte sie es sich, für den Rest ihres Lebens von Anspielungen und falschen Behauptungen begleitet zu werden. Mit diesem Vorsatz versuchte sie, tief durchzuatmen.

„Sprich“, sagte der Priester zu dem Mann. „Leg deinen Beweis vor, denn diese Frau behauptet, frei zu sein.“

Die Menge teilte sich, ein Mann kam zum Vorschein, der unübersehbar humpelte. Sein edler Mantel schwang bei jedem Schritt hin und her, er unterstrich, wie breit die Schultern des Mannes waren und wie sehr sich sein Körper zu den Hüften hin verjüngte. Das tiefe Blau seiner Kleidung betonte sein rötlich-goldenes Haar auf perfekte Weise. Etwas an der Art, wie er sich bewegte, machte Kara stutzig. Ihr Magen begann zu rebellieren, da der Geruch des Weihrauchs zu intensiv wurde.

Kara schüttelte ungläubig den Kopf und wünschte, die Krone wäre etwas leichter und der Geistliche in der Ecke würde endlich aufhören, die Weihrauchschale zu schwenken.

Was ihre Augen erblickten, war schlichtweg unmöglich. Sie bohrte sich die Fingernägel in die Handflächen. Das war völlig unmöglich.

Tote konnten nicht ins Leben zurückkehren, und Ash war nun einmal tot. Das Schiff war untergegangen, niemand hatte überlebt.

Ashs Onkel hatte den kunstvoll geschnitzten Achtersteven von Ashs Schiff mitgebracht, der von einem Feuer verkohlt war, und ihn ihrem Schwiegervater hingelegt. Dieser Tag hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Ihr Schwiegervater hatte einen beängstigenden Laut von sich gegeben und war zusammengebrochen. Sie hatte ihn daraufhin erst einmal gesund pflegen müssen, ebenso Rurik, der zu der Zeit unter einer von seinen schrecklichen Erkältungen gelitten hatte. Es war keine Gelegenheit geblieben, um erst einmal durchzuatmen und um den Mann zu trauern, der ihr Ein und Alles gewesen war.

Tagelang hatten ihr Schwiegervater und Rurik mit dem Tod gerungen, während Ashs Onkel umherstolziert war, Befehle erteilt und allen verkündet hatte, ihm werde bald alles gehören. Schließlich hatte sie ihn aufgefordert, das Anwesen zu verlassen, was er dann auch gemacht hatte, allerdings nicht, ohne ihr zu versichern, dass er sich bitter rächen werde.

War das hier ein grausiger Traum, aus dem sie gleich aufwachen würde, um sich in ihrem Bett mit Rurik in der Nähe wiederzufinden? Nein, denn sie wusste, sie war wach, da die Kopfschmerzen sich genauso wie ihre Übelkeit noch gesteigert hatten.

Ein Zaubertrick? Eine Erscheinung?

Ein Raunen ging durch den Saal, das an Lautstärke allmählich zunahm. Ash. Wider jede Vernunft konnte es nur so sein, dass er es war. Aber das konnte einfach nicht wahr sein. Es musste eine Finte sein, ein Weg, um Unfrieden zu stiften und die Heirat zu verhindern. Das musste das Werk von Harald Haraldson sein. Sie weigerte sich, ihn mit einem so jämmerlichen Versuch durchkommen zu lassen. Diesmal war Harald zu weit gegangen. Wenn sie erst einmal mit ihm fertig war, würde er das hier noch bitter bereuen. Aber zuvor musste sie den Krieger heiraten, der ihr Land verteidigen würde.

Kara kniff die Augen zu, aber als sie sie wieder aufschlug, stand der Mann immer noch da – mitten im Saal, nur ein paar Meter von ihr entfernt, breitschultrig und mit rötlich-goldenem Haar. Seine Kleidung war von guter Machart, ihre Herkunft war eher aus Viken als aus Raumerike.

Der Mann hob die Arme, während Kara durch die Schwaden aus Weihrauch hindurch versuchte, sein Gesicht zu erkennen. Sie verspürte Angst und Wut und eine unbändige Hoffnung, aber das alles war zweitrangig, da es ihr so vorkam, als befände sie sich weit entfernt und würde von dort aus beobachten, was sich hier abspielte.

„Hört mich an, ihr Leute, und hört mir gut zu. Kara Olofdottar ist meine Ehefrau.“ Der Mann wandte sich zu den zahlreichen Gästen um. „Ich fordere jeden heraus, mir zu widersprechen. Ich habe ursprünglichen Anspruch auf sie, und diesen Anspruch werde ich notfalls mit meinem Schwert verteidigen. Ich, Ash Hringson, erkläre, dass Kara Olofdottar meine rechtmäßige Ehefrau ist!“

2. KAPITEL

Die Worte des Fremden wurden von den Tempelwänden zurückgeworfen, während alle gebannt den Atem anhielten und darauf warteten, was Kara sagen würde. Sie wusste, sie musste irgendetwas unternehmen, sie musste dieser Behauptung widersprechen, aber sie war wie gelähmt.

Sie konnte nur den Mann anstarren und nach einem Hinweis darauf suchen, dass er die Wahrheit sprach. Das konnte aber unmöglich der Fall sein, denn Ash war ertrunken. Jeder in Raumerike wusste von dieser Tragödie, und jedes Jahr wurde an Ashs Todestag jenes Klagelied gesungen, das ihr Schwiegervater hatte komponieren lassen.

Aus dem Augenwinkel blickte sie zu Valdar, der mit versteinerter Miene dastand und den Priester ansah. Ihr Magen verkrampfte sich, als ihr klar wurde, dass er nicht einschreiten würde. Einmal mehr musste sie für sich selbst eintreten. Zum Glück wusste sie, was sie zu tun hatte.

„Du glaubst, du hast einen Anspruch auf diese Frau?“, fragte der Priester unüberhörbar skeptisch.

„Ich weiß, dass es so ist“, antwortete der Mann gelassen. „Gemäß den Gesetzen von Raumerike muss ein solcher Anspruch geprüft werden, bevor die Hochzeitszeremonie fortgesetzt werden kann. Oder ist es inzwischen in Raumerike erlaubt, dass eine Frau zwei Ehemänner hat?“

„Der Anspruch wird geprüft werden, wenn er in angemessener Form vorgetragen wird“, gab der Priester zurück. „Komm her und zeig dein Gesicht. Jeder soll dich sehen können, wenn du deine Behauptung aussprichst.“

Valdar drückte zwar kurz Karas Hand, wich aber dann vor ihr zurück, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Insgeheim schwor sie sich, dass Harald Haraldson für diesen schäbigen Winkelzug noch lange würde bezahlen müssen.

„Bist du taub? Lass mich sehen, wer du bist“, rief der Priester, als der Mann sich nicht rührte.

„Kara Olofdottar sieht blass aus. Ich bitte Euch, diese Angelegenheit unter vier Augen zu besprechen“, entgegnete der. „Am Tag unserer Hochzeit fiel sie auch in Ohnmacht. Ich konnte sie gerade noch auffangen, als sie zusammenbrach. Es ist der Weihrauch, der ihr so zusetzt.“

Entweder war der Mann ein guter Schauspieler oder … ein Hauch von Unsicherheit vermischte sich mit einem Aufflackern stürmischer Begeisterung und verdrängte ihre Zweifel. Je länger sie ihn reden hörte, umso mehr klang er nach Ash. Kara ballte die Hände zu Fäusten und ermahnte sich, Vernunft anstelle von Spekulationen walten zu lassen. Sie verhielt sich ja fast schon wie Rurik, der darauf beharrte, alle Sagen seien wirklich geschehen und nicht bloß Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählte. Außerdem war sie schon lange nicht mehr ohnmächtig geworden.

„In Raumerike ist es üblich, solche Dinge öffentlich zu regeln“, sagte der Priester unnachgiebig.

„Ich möchte ihr nur die Verlegenheit ersparen“, fuhr der Mann fort. „Meine Frau mag keine großen Menschenansammlungen. Ein Ehemann weiß solche Dinge.“

Kara klammerte sich an den winzigen Rest Logik, der ihr noch blieb. Der Betrug würde bald enthüllt werden. Niemand konnte so ein Schauspiel unendlich lange fortsetzen. Sie musste nur abwarten, bis ihm ein Fehler unterlief und andere sich einmischen würden, um den Betrüger zum Schweigen zu bringen.

„Ich muss dich warnen“, sprach der Priester. „Der Ehemann von Kara Olofdottar kam vor vielen Jahren bei einem Unglück auf See ums Leben. Das weiß jeder hier.“

„Ash Hringson, Sohn von Hring dem Kühnen und Nauma“, erklärte der Mann mit fester Stimme. Er streckte die Arme aus, die Ärmel seines Waffenrocks rutschten hoch und gaben den Blick frei auf vernarbte Handgelenke. Am rechten Handgelenk trug er ein purpurfarbenes Muttermal in der Form einer zusammengerollten Schlange. „Ich bin noch sehr lebendig. Meldungen über meinen Tod waren im besten Fall ein Irrtum, im schlimmsten Fall eine schändliche Lüge.“

Eine Fülle von Gefühlen stürmte auf Kara ein: Fassungslosigkeit angesichts der Tatsache, dass er doch überlebt hatte; Ratlosigkeit, wieso es so lange Zeit gedauert hatte, um ihr diese Neuigkeit mitzuteilen; eine tief sitzende Wut darüber, dass es erst zu dieser demütigenden Szene hatte kommen müssen, um die Wahrheit zu enthüllen; vor allem aber maßlose Freude darüber, dass er lebte, dass sie beide eine zweite Chance bekommen würden und dass sein Sohn seinen richtigen Vater um sich haben würde.

Ihr stockte der Atem, als ihr einfiel, es war mehr nötig, als dass sie diesen Mann beim Wort nahm. Zwölf Mitglieder des Stortings von Raumerike mussten das ebenfalls tun und zudem mit ihrer Ehre bürgen. Wer das Storting zu täuschen versuchte, den erwartete die Todesstrafe oder die lebenslange Verbannung.

Kara konzentrierte sich darauf, keinen Fehler zu machen. Wenn sie diesen Mann als Ash anerkannte, dann verlor sie damit Valdar, der für ihre und Ruriks Sicherheit unverzichtbar war. Dennoch musste sie den Mund aufmachen und einem Toten das Leben zurückgeben.

„Ash Hringson“, begann sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wo bist du gewesen? Wir hielten dich für tot, umgekommen vor sechs Jahren bei einem Schiffsunglück vor der fränkischen Küste. Interessant, dass du ausgerechnet jetzt wieder auftauchst.“

„Berichte über meinen Tod entsprachen nicht der Wahrheit, auch wenn das mit dem Schiffswrack stimmt. Ich würde sagen, ich bin gerade rechtzeitig zurückgekehrt.“ Seine eisblauen Augen musterten sie von der Spitze ihrer Brautkrone bis zu den Schuhsohlen, als würde er sie im Geiste ausziehen, sodass sie völlig nackt vor den Leuten dastand. „Ich habe ein Feuerinferno auf hoher See und den Aufenthalt in einem fränkischen Gefängnis überlebt. Ich bin hergekommen, um meine Schulden zu begleichen. Ich bin heimgekehrt.“

„Bist du das wirklich?“

„Du siehst immer noch so reizend aus wie in meiner Erinnerung, Kara.“ Er lächelte. „Ich erinnere mich auch noch an die Blumengirlande, die du in deinem Haar getragen hast, als wir am ersten Morgen unserer Ehe noch einmal unsere Gelübde gesprochen haben. Die Sonne hatte deine Haare in pures Gold verwandelt und deine Haut cremefarben leuchten lassen. Die Blumen standen dir viel besser als die Brautkrone deiner Mutter. Die hat mir schon am Tag unserer Heirat nicht gefallen, und jetzt kann ich sie sogar noch weniger leiden.“

Warum musste er sich an die Blumengirlande und an ihre Gelübde erinnern? Aber Ash war schon immer gut darin gewesen, sich Kleinigkeiten zu merken, die scheinbar ohne Bedeutung waren. Das machte ihn ja so gefährlich.

Sie durfte solche Gedanken nicht zulassen. Sieben Jahre! Warum hatte er sieben Jahre gebraucht, um zu ihr zurückzukehren, wenn er sie für so reizend hielt?

„Bist du dir sicher, dass dieser Mann Ash Hringson ist, Kara? Andere können auch ein solches Muttermal haben“, sagte Valdar und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Bist du bereit, deinen Ruf aufs Spiel zu setzen, indem du vor allen Anwesenden für ihn bürgst?“

Kara dachte an ihren Sohn, der Nacht für Nacht zu den Göttern betete, ihm einen Vater zu schicken. Der Mann, der ihr Rurik geschenkt hatte, verdiente ihre Loyalität. Wortlos verabschiedete sie sich von einem unbeschwerten Leben an Valdars Seite. Die wohlbehütete Zukunft, von der sie noch heute Morgen geträumt hatte, war jetzt nicht länger möglich, und diese Erkenntnis schmerzte. Doch sie wusste, ihr Bauchgefühl trog sie nicht. Sie war es dem leichtgläubigen Mädchen schuldig, das sie einmal gewesen war, dass sie jetzt für Ash kämpfte. Sie schüttelte Valdars Hand ab.

„Ich bin mir völlig sicher, Valdar. Dieser Mann ist Ash Hringson. Es kann kein anderer sein, nur er. Er ist offenbar versehentlich für tot erklärt worden.“

Ihre Worte hallten durch den Saal, während sie darauf wartete, dass andere ihr zustimmten. Ashs Onkel war der Erste, der sich erhob.

„Kann eine Frau für die Identität eines Mannes bürgen?“, fragte er donnernd und stieß mit seinem Stock energisch auf den Boden. „Unsere Tradition besagt, dass Männer das tun können, aber eine Frau? Das hat es noch nie gegeben. Frauen und Sklaven lassen sich nur allzu leicht an der Nase herumführen, und ihr Urteil ist eher zweifelhaft. In Raumerike müssen zwölf Männer für die Identität eines Mannes bürgen, aber bis jetzt habe ich noch nicht einen einzigen Mann etwas zugunsten dieses … dieses Viken sagen hören.“

Gemurmel setzte ein und griff schnell um sich. Kara erstarrte vor Unglauben. Warum zweifelte Harald Haraldson an Ashs Identität?

„Wir reden hier vom Leben meines Ehemanns, der dein geliebter Neffe ist!“, rief Kara, bevor Harald Haraldson noch mehr Zuspruch bekam. „Willst du, dass ich meinen Ehemann verleugne?“

„Ich will, dass du den Richtigen zu deinem Ehemann erklärst, angeheiratete Nichte“, erwiderte er und grinste gehässig, als die Menge auf seine Bemerkung hin zu lachen begann.

„Dieser Mann ist mein Ehemann.“ Sie ließ sich nicht beirren. „Berichte über seinen Tod gründeten anscheinend auf einem Irrtum.“

„Dafür haben wir nur dein Wort, Kara Olofdottar.“ Ashs Onkel schürzte die schmalen Lippen. „Uns allen ist von seinem Vater berichtet worden, dass Ash Hringson auf hoher See umgekommen ist. Kann ein Toter wieder lebendig werden? Oder ist dieser Mann ein Betrüger, der einer verletzlichen Frau auflauert? Wir kennen alle die Probleme, mit denen deine Mutter zu kämpfen hatte.“

„An meinem Verstand ist noch nie gezweifelt worden, und es wurden zu allen Zeiten fälschlich Todesnachrichten verbreitet“, machte Kara ihm klar, während Übelkeit in ihr aufstieg. Nein, so hatte sie sich diesen Tag nun wirklich nicht vorgestellt.

„Wohl wahr, aber ich will dich davor bewahren, einen folgenschweren Fehler zu begehen.“ Harald Haraldson spreizte seine knorrigen Hände. „Wir müssen uns Zeit lassen und uns Gewissheit verschaffen. Wir werden diese Behauptung daher in aller Ruhe und mit größter Sorgfalt prüfen.“

Autor

Michelle Styles
Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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