Die sinnliche Rache des Prinzen

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Barfrau Briony stockt der Atem, als ihr mysteriöser Stammgast Cass ihr eröffnet, dass er ein Prinz ist – und sie eine verschollene Prinzessin! Seine Mission: Briony zu einer arrangierten Ehe zur Rettung ihres Landes zu überreden. Gegen jede Vernunft lässt sie sich vom verführerischen Charme des Prinzen von Tulay einfangen und verliert ihr Herz an ihn. Doch ihr unverhofftes Liebesglück endet jäh. Verletzt muss Briony entdecken, dass die Heirat in Wirklichkeit zu einem heimlichen Racheplan gehört …


  • Erscheinungstag 29.11.2022
  • Bandnummer 2573
  • ISBN / Artikelnummer 0800222573
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Er sah sündhaft gut aus.

Briony Smith beobachtete, wie Cass Morgan sich einen Weg durch die grölende Menge aus Cowboys, Rancharbeitern und Touristen bahnte, die aus vollem Hals mit der Band mitsangen. An solchen Abenden war es so laut, dass man kaum sein eigenes Wort verstand.

Doch als Cass ihr ein strahlend weißes Lächeln zuwarf, hörte sie nur noch das Blut in ihren Ohren rauschen. Jedes Mal, wenn er sie mit seinen karamellfarbenen Augen ansah, bekam sie eine Gänsehaut.

Cass hatte das Ledge vor einer Woche zum ersten Mal betreten. Seitdem kämpfte Briony gegen die sinnlichen Gefühle und die bislang unbekannte Sehnsucht an, die er in ihr weckte. Jahrelang hatte ihre Mutter ihr eingetrichtert, dass man keinen Mann brauche, um durchs Leben zu kommen. Das hieß aber nicht, dass man nicht auch mal seinen Spaß haben konnte.

„Wie sind die Verhandlungen gelaufen?“, fragte Briony, als Cass sich an die Theke lehnte. Sein tiefschwarzes Haar kräuselte sich über seinem Nacken. Briony widerstand dem Impuls, die Hand auszustrecken und durch seine dichten, weichen Locken zu fahren.

Cass verzog das Gesicht. Bei seinem ersten Besuch im Ledge hatte er etwas von einem Deal erzählt, der ihn nach Kansas verschlagen hatte. Brionys Kollegen stellten bereits die wildesten Spekulationen darüber an.

Briony warf ihm aus dem Augenwinkel einen flüchtigen Blick zu. Das schwarze Poloshirt schmiegte sich perfekt um seinen muskulösen Oberkörper, und mit der lässigen braunen Hose und seiner selbstsicheren Ausstrahlung fiel er unter den Einheimischen mit ihren staubigen Stiefeln, den zerrissenen Jeans und karierten Hemden kaum auf.

„Es lief.“

Briony hob fragend eine Augenbraue.

„Also einen Doppelten heute?“

Erneut breitete sich dieses Lächeln auf seinem Gesicht aus und ließ Hitze durch ihre Adern strömen.

„Nur einen Einfachen.“

Sie schenkte ihm ein Glas des teuren schottischen Whiskys ein, gab einen großen Eiswürfel hinzu und reichte es ihm. Als sich ihre Finger berührten, hielt sie den Atem an. Dem teuflischen Schimmer in seinen Augen nach zu urteilen, wusste er genau, welche Wirkung er auf sie hatte.

„Wie war dein Tag?“

Im Nu war der Zauber des Augenblicks verflogen. Ihr Tag war so wie jeder andere. Sie war früh aufgestanden, um Frühstück zu machen und ihre Stiefschwestern aus dem Bett zu holen. Die bezaubernden kleinen Zwillinge von einst hatten sich in mürrische Teenager verwandelt, die gern ihre schmutzige Wäsche liegen ließen und auf Brionys Fragen nach der Schule mit einem Murren antworteten.

Ihre Stiefmutter, die die beiden wie ihre eigenen Kinder geliebt hatte, war vor sechs Monaten an Krebs gestorben. Ihr Vater war depressiv und verbrachte seine Tage mit einem Bier in der Hand vor dem Fernseher.

„Briony?“

Cass’ Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Ihr gefiel, wie er ihren Namen aussprach.

„Tut mir leid.“ Sie lächelte ihn kurz an. „Mein Tag war in Ordnung.“

Die meisten Menschen akzeptierten diese Antwort und stellten aus Höflichkeit oder Desinteresse keine weiteren Fragen. Cass hingegen musterte sie mit forschendem Blick, sodass sie nervös auf den Füßen auf und ab zu wippen begann.

„Was ist?“

„Du bist ein offenes Buch.“

Sie runzelte die Stirn. „Ach ja?“

Er lehnte sich über die Theke zu ihr herüber und legte ihr einen Finger an die Stelle am Hals, an der ihr Puls pochte. Erstaunlich, was eine leichte Berührung mit der Fingerspitze bewirken konnte, dachte Briony unwillkürlich, während Hitze in ihr aufstieg. Es war das erste Mal, dass Cass sie berührte, und sie musste sich zusammenreißen, um keine weichen Knie zu bekommen.

„Dein Puls geht schnell. Und du fährst dir dauernd mit der Zunge über die Lippen.“ Sein Blick wanderte hinunter zu ihrem Mund. Briony spürte eine heftige Versuchung in sich aufsteigen, und sie taumelte nach vorn, bevor ihr Verstand sie wieder zur Vernunft brachte. Hatte sie gerade beinahe einen Gast geküsst? Einen offensichtlich wohlhabenden und gut aussehenden Gast, der demnächst abreisen würde?

Nervös trat sie von der Theke zurück, griff nach einem abgewaschenen Glas und begann es mit dem Handtuch abzutrocknen.

„Ist irgendetwas mit deinen Stiefschwestern oder deinem Stiefvater?“

Briony presste die Lippen zusammen. Cass hatte gestern ihr Telefongespräch mitgehört, in dem Trey ihr von einer weiteren Rechnung erzählt hatte. Irgendwie würde Briony das Geld aufbringen müssen, damit ihnen der Strom nicht abgestellt wurde.

„Das ist wohl die höfliche Version von ‚Ich hatte einen harten Tag, will aber nicht darüber reden.‘“

Als sie zu ihm aufblickte, bemerkte sie den mitleidigen Ausdruck in seinen Augen. Ihr wurde flau im Magen. Jeder in Nowhere kannte ihre Geschichte und sah sie immer mit diesem bedauernden Blick an. Erst neulich hatte sie ihren Stiefvater sturzbetrunken aus dem Ledge zerren müssen, während er immer wieder den Namen ihrer Mutter geschluchzt hatte.

Für Briony war das alles nicht leicht, denn sie musste nun drei Menschen versorgen. Zwar versuchte sie, vor Trey und den Mädchen eine heitere Fassade aufrechtzuerhalten, entfernte sich emotional jedoch immer weiter von ihnen. Nachdem ihre Mutter Trey geheiratet hatte, war Briony außen vor gewesen. Das distanzierte Verhältnis zu ihrem Stiefvater hatte sie ihrer Mutter zuliebe jedoch überspielt. Manchmal, wenn sie sich besonders anstrengte, hatte sie tatsächlich das Gefühl, dass sie alle eine Familie waren.

Jetzt wollte sie am liebsten gar nicht mehr dazugehören.

Briony wandte den Blick von Cass ab. Sie wollte kein Mitleid, schon gar nicht von ihm. Alles, was sie wollte, war ein kleiner Flirt, eine kurze Ablenkung von dem Albtraum, in den sich ihr Leben verwandelt hatte.

„Du kannst mir alles sagen, Briony.“

Seine Worte hingen in der Luft, gesprochen mit dieser verführerisch sanften Stimme. Sie öffnete die Lippen und fragte sich, wie es wohl wäre, sich jemandem wie Cass anzuvertrauen. Ihr schien, als sehe er, wer sie wirklich war, und nicht nur die Person, die sie nach außen hin zu sein vorgab.

Ein paar Gäste kamen an die Theke, um Getränke zu bestellen. Briony nickte Cass zu.

„Bin gleich wieder da.“

Als sie sich umdrehte, spürte sie seinen Blick im Rücken. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Beinahe wäre sie schwach geworden und hätte sich ihm anvertraut, und das machte ihr Sorgen.

Vielleicht war sie nur erschöpft. Und einsam. Sonst würde sie sich nicht so verhalten.

Denn mal ehrlich, dachte sie mit einem kurzen Blick auf sein dunkles Profil, was wusste sie eigentlich über ihn?

Cassius Morgan Adama, Prinz von Tulay, beobachtete, wie seine zukünftige Ehefrau zwei Gläser mit Bier füllte. Das Schicksal gab ihm hier die Möglichkeit, das Unrecht, das seiner Familie und seinem Heimatland widerfahren war, endlich wiedergutzumachen.

Keines der Fotos, die er von ihr gesehen hatte, wurde ihrer Schönheit gerecht. Mit ihren feuerroten Locken, den leuchtend grünen Augen und den hohen Wangenknochen wirkte Briony geradezu elfenhaft. Gleichzeitig strahlte sie aber auch Stärke aus, während sie Tabletts und Getränkekisten durch die Bar schleppte.

Doch am meisten beeindruckte Cass ihr Lächeln. Bei seinem ersten Besuch dieser Bar hatte sich Briony zu ihm umgedreht, ihm ein strahlendes Lächeln geschenkt und freundlich, aber bestimmt gesagt: „Tut mir leid, Sir, wir öffnen erst um vier. Kommen Sie doch später wieder.“

Wann hatte ihn jemand das letzte Mal nicht erkannt? Nachdem der kurze Anflug von Irritation verschwunden war, hatte Cass eine unerwartete Aufregung und Vorfreude verspürt. Er wollte Briony nicht sofort offenbaren, wer er war. Es tat überraschend gut, eine Weile lang ein Niemand zu sein.

Briony war nicht nur attraktiv, sondern hatte auch eine kecke Art, die ihm gefiel. Sie ging souverän mit den teilweise betrunkenen und vorlauten Touristen um. Offenbar wusste sie sich vor den Leuten zu behaupten.

Ein Gefühl von Zufriedenheit breitete sich in Cass aus. Briony würde eine ausgezeichnete Ehefrau und Prinzessin abgeben. Sie war die Art von Frau, zu der sein Volk aufschauen konnte.

Dem süffisanten Gesichtsausdruck mancher Männer nach zu urteilen, war Cass jedoch nicht der einzige Mann, der sich zu ihr hingezogen fühlte.

Ganz ruhig. Er war hier in Amerika, nicht in Tulay. Ihn ärgerte der Anblick der anderen Kerle, die Brionys perfekt geformten Hintern begafften. Doch so tief sinken wie sein zukünftiger Schwiegervater, der König von Linnaea, würde er bestimmt nicht. Der Mann war ein Tyrann. Und auch der Sohn von König Daxon, Alaric Van Ambrose, Prinz von Linnaea und rechtmäßiger Thronfolger, hatte ein Herz aus Eis.

Was würde Briony wohl denken, wenn sie ihren Halbbruder und ihren Vater zum ersten Mal traf? Zwei Männer, die ihr in jeder Hinsicht nicht unähnlicher sein könnten. Dem König zufolge wusste Briony nicht, dass er ihr Vater war. Ihre Mutter hatte ihr wohl ihre königliche Abstammung verschwiegen.

Cass tat, als merke er nicht, wie Briony ihn anstarrte, während sie Bier von der Theke wischte. Jetzt, da er Briony gefunden hatte, kannte er nur ein Ziel: Er wollte Briony heiraten. Denn diese Frau würde ihm sowohl Rache als auch Erlösung bringen. Sie war sein Schicksal.

Jetzt musste er nur noch herausfinden, ob Briony ihr Schicksal akzeptierte.

2. KAPITEL

Die letzten Gäste waren gegangen. Erleichtert seufzte Briony auf und warf einen Blick auf ihr Handy.

Fast Mitternacht. Und sie musste die Zwillinge um sechs Uhr wecken.

„Du bist netter als ich.“

Briony wirbelte herum und hob den Arm. Cass reagierte sofort. Blitzschnell umschlang er ihre Taille und packte ihr Handgelenk, um den Schlag abzuwehren.

„Der Empfang ist aber nicht sehr nett“, sagte er mit einem amüsierten Grinsen.

„Warum schleichst du dich an mich ran?“, fragte Briony. Sie wollte möglichst streng klingen. Stattdessen klang sie atemlos und heiser. Aus Angst war in Sekundenschnelle Erregung geworden. Sie spürte die harten Muskeln seines Oberkörpers, die sich gegen ihre Brust drückten. Sie atmete scharf ein, und sein herber Duft nahm ihr die Sinne.

„Ich dachte, du hast mich gesehen. Ich saß hinten in der Ecke.“

Sie blickte zu der dunklen Nische, auf die er deutete, und Misstrauen flackerte in ihr auf. Hatte er sich absichtlich dorthin gesetzt, damit sie ihn nicht bemerkte, bis der letzte Gast gegangen war?

Sie schüttelte ihr mulmiges Gefühl ab. Es war schon spät, und ihre Fantasie spielte verrückt.

„Nein, ich habe dich nicht gesehen.“

Tatsächlich war sie enttäuscht gewesen, als sie vorhin gesehen hatte, dass Cass’ Barhocker leer war. Krampfhaft hatte sie versucht, nicht an seine funkelnden, karamellfarbenen Augen zu denken, die ein solch angenehm warmes Gefühl in ihr hervorriefen.

Langsam löste Cass seinen Griff und trat zurück, um ihr etwas Raum zu geben. Briony taumelte ein Stück nach vorn, ehe sie sich wieder fing. Was war nur los mit ihr? So hatte sie noch nie auf einen Mann reagiert.

„Du bist als Einzige noch hier.“ Es klang beinahe vorwurfsvoll. Der Gedanke berührte sie und erfüllte sie wieder mit dieser wohligen Wärme. Wer hatte sich zuletzt so um sie gesorgt?

„Gus, der Besitzer, ist normalerweise noch da“, sagte sie und schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. „Aber seine Frau ist gerade Mutter geworden. Ich habe ihm gesagt, er soll heute früher Feierabend machen.“ Sie wies durch das Fenster auf die schneebedeckte Landschaft. „Außerdem ist diese Stadt nicht gefährlich.“

„Man weiß nie, wo Gefahr lauert.“ So wie Cass sie ansah, beschlich sie das Gefühl, dass die größte Bedrohung direkt vor ihr stand. Zwar glaubte sie nicht, dass er ihr etwas antun würde. Aber dieser Mann brachte sie womöglich dazu, ihre Hemmungen abzulegen und ihren Instinkten zu folgen.

„Ich dachte“, fuhr er fort, „du brauchst vielleicht Hilfe.“

Sie starrte ihn einen Moment lang an. „Wie bitte?“

Er deutete auf die schmutzigen Gläser auf der Theke und auf die Müllsäcke neben der Tür.

„Ich kann mit anpacken.“

Briony hielt kurz inne und fragte sich, warum um alles in der Welt ein reicher Geschäftsmann einer einfachen Kellnerin Hilfe anbot.

Doch bevor sie etwas erwidern konnte, machte er einen Schritt auf sie zu. Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen, sodass Briony nach Luft schnappte.

„Offenbar kümmerst du dich hervorragend um andere.“ Er hauchte einen flüchtigen Kuss auf ihren Handrücken, und sie fragte sich, ob er ihr Zittern spürte. „Trotzdem würde ich dir gerne helfen, Briony.“

Die Art und Weise, wie er ihren Namen sagte, ließ ihren Widerstand schnell schwinden. Sie sollte lieber hinterfragen, warum er ihr so viel Aufmerksamkeit schenkte.

Aber noch nicht jetzt.

Sie wollte die Vorstellung genießen, dass er ihr diese Aufmerksamkeit und Sorge schenkte, und sei es nur für einen Abend. Morgen würde früh genug kommen, und dann begann der Kreislauf aus Arbeit und Herzschmerz von Neuem. Heute Abend jedoch sah ihre Welt etwas rosiger aus, denn Cass lächelte sie so herzerwärmend an, dass sie am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam.

„Sind Sie immer so überzeugend, Mr. Morgan?“

Seine Augen funkelten verheißungsvoll. „Wenn ich etwas will, kann mich nichts davon abbringen.“

Briony blinzelte, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Wollte er sie? Ein Mann mit seinem Aussehen und Reichtum konnte jede haben. Doch die Art und Weise, wie er sie mit seinen warmen, braunen Augen ansah, sprach für sich.

Sollte sie sich auf eine Affäre mit ihm einlassen? Ihr rasender Puls und das Rauschen in ihren Ohren waren Antwort genug. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass die Anziehung, die sie für diesen Mann empfand, nicht nur körperlich war. Er hatte noch etwas anderes in ihr ausgelöst. Gefühle, die sie, obwohl sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte, bei Cass nur schwer glaubte unterdrücken zu können.

„Okay.“ Langsam zog sie ihre Hand aus seiner und konzentrierte sich auf Unverfänglicheres. „Du kannst die Stühle auf die Tische stellen. Der Müll kommt in die Mülltonnen da hinten.“

Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. Offenbar kaschierte ihr herrischer Tonfall nur unvollständig die Wirkung, die er auf sie ausübte.

„Ja, Ma’am.“

Zu zweit machten sie sich ans Aufräumen und Putzen. Im Radio lief leise Jazzmusik. Nach einer halben Stunde war die Bar blitzblank. Zufrieden betrachtete Briony die frisch gewischten Böden und die polierten Gläser.

„Unglaublich, wie schnell wir das geschafft haben.“

„Wir sind ein gutes Team.“

Sie legte den Kopf schief, um ihre aufsteigende Röte zu verbergen. Doch noch bevor sie etwas erwidern konnte, erklangen die sanften Töne von Streichern aus den Lautsprechern. Briony lächelte.

„Ich liebe dieses Lied.“

Cass hob eine Augenbraue. „Geigen?“

Die rauchige Stimme einer Frau, die von Sehnsucht und Liebe sang, erfüllte die Bar.

Mit funkelnden Augen ging Cass langsam einen Schritt auf Briony zu. Sie sollte besser weglaufen. Sonst tat sie noch etwas Dummes, ließ sich etwa von ihm berühren und gab dem Verlangen nach, das sie durchströmte. Sollte sie für diesen Traum ihr Herz riskieren? Ihr Herz, das eh schon so zerbrechlich war?

Sie lief nicht weg, als Cass ihr erneut den Arm um die Taille schlang. Wie von selbst schmiegte sich ihr Körper an seine muskulöse Brust. Als Cass ihre Hand nahm und seine Finger mit ihren verschränkte, raubte ihr die intime Berührung den Atem.

Sie begannen sich im Takt zu wiegen. Briony spürte die Wärme von Cass’ Handfläche durch den Stoff ihrer Bluse. Als er den Kopf herabbeugte und seine Stirn an ihre legte, wurde ihr ganz schwindelig. Mit der Hand fuhr er ihre Wirbelsäule entlang, und Briony drückte sich noch enger an ihn. Als er zitternd Luft holte, wusste sie, dass auch er das Knistern zwischen ihnen spürte. Davon ermutigt ließ sie ihre Hand über seine Schulter hinauf zu seinem kräftigen Nacken gleiten, der sich unter ihrer Berührung anspannte.

Während sie sich zur Musik bewegten, fielen Briony langsam die Augenlider zu. Ihr Verlangen wurde immer größer und verdrängte ihre Sorgen und Ängste. Nie hätte sie gedacht, dass ein Mann, den sie kaum kannte, eine flüchtige Affäre, ihr erster Liebhaber sein würde. Sie hatte immer davon geträumt, mit einem Mann zusammen zu sein, den sie liebte und der sie ebenso sehr liebte.

Was, wenn Cass sie bat, ihn heute Abend ins Hotel zu begleiten? Sollte sie ihm einen Korb geben und an ihrem Traum von der großen Liebe festhalten?

Als die letzten Töne des Liedes verklungen waren, öffnete Briony die Augen. Die Wärme, die Cass ausstrahlte, und sein sinnlicher Blick ließen tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch aufflattern.

Bitte küss mich.

Hitze knisterte zwischen ihnen. Cass’ Augen funkelten, und ein leises Lächeln umspielte seine vollen Lippen.

„Darf ich dich auf einen Drink einladen?“

Briony lachte. „Die Bar ist geschlossen, Sir.“

Er löste sich von ihr, umrundete den Tresen und ging an Brionys Platz hinter der Theke. Dort nahm er sich ein Geschirrhandtuch und warf es sich über die Schulter. Sie beobachtete, wie er die Flaschen im Regal inspizierte, und spürte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen.

Neugierig trat sie näher.

„Was machst du da?“

„Das wird eine Überraschung.“

Als er schließlich fertig war, stellte er ein Glas vor ihr ab. Sie nahm es und schnupperte an dem Getränk, das angenehm nach Brandy und Muskatnuss roch.

„Ich habe seit Ewigkeiten keinen Cocktail mehr getrunken.“ Briony nahm einen Schluck und stöhnte genüsslich auf, als das sahnige Getränk auf ihrer Zunge zerging. „Was ist das?“

„Ein Brandy Alexander.“

„Danke, Cass.“ Sie sog den Duft der frisch geriebenen Muskatnuss auf dem Schaum des Getränks ein.

Warme Fingerspitzen strichen ihr über die Wange. Sie hob den Kopf, als Cass ihr eine Haarsträhne hinters Ohr schob. Eine zärtliche Geste, die sie geschehen ließ.

„Du scheinst eine Frau zu sein, die sich um alle kümmert“, flüsterte er. Dabei lehnte er sich so nah an sie, dass seine Lippen nur einen Atemzug von ihren entfernt waren. „Aber wer kümmert sich um dich?“

Ich selbst.

Im Bruchteil einer Sekunde fand Briony sich zwischen zwei Welten gefangen. Hoffnungslose Einsamkeit und sehnsuchtsvoller Schmerz.

Grimmig sah sie in Cass’ hübsches Gesicht.

„Das habe ich mir gedacht.“

Sie zuckte zurück und nippte dann an ihrem Drink.

„Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen“, sagte sie mit einer betonten Leichtigkeit, die sie gar nicht spürte.

„Ja, das kannst du.“

Cass blickte sie eindringlich an, wie ein Raubtier, das seine Beute im Visier hatte.

Briony wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Und das lag nicht nur an ihrem angeknacksten Selbstwertgefühl. Was tat ein Mann wie Cass in Nowhere, Kansas? Warum interessierte er sich für sie? Und was wusste sie eigentlich über ihn, außer dass er aus irgendeinem Land im Mittelmeerraum stammte und teuren Likör mochte?

Cass beugte sich noch näher zu ihr vor, so nah, dass sie ihm tief in die Augen sehen konnte. Es war erotisch und nervenaufreibend zugleich.

„Was, wenn ich dir helfen kann, Briony?“

„Wie meinst du das?“, stotterte sie.

„Und nicht nur dir“, fuhr er unbeirrt fort, „sondern auch deinem Stiefvater und deinen Stiefschwestern.“

Langsam setzte sie ihren Drink ab, um ihm den Inhalt nicht ins Gesicht zu schütten.

„Und was erwartest du als Gegenleistung?“, fragte sie kühl. „Das klingt nämlich, als wolltest du mich zu deiner Geliebten machen.“

Cass spannte sich an, und seine Augen funkelten wütend.

„Das würde ich niemals tun.“

Brionys Wut verflog so schnell, wie sie gekommen war.

„Was weißt du über deinen Vater?“

Der plötzliche Themenwechsel machte sie stutzig.

„Meinen Vater?“

„Ja.“

Eine Erinnerung stieg in ihr auf, lebhaft und bitter. Sie war zehn Jahre alt und hatte für ein Schulprojekt nach ihrem Vater gefragt.

Da gibt es nichts zu erzählen, hatte ihre Mutter mit einem übertrieben fröhlichen, aufgesetzten Lächeln geantwortet.

Aber …

Lass gut sein, Briony. Er war nie Teil unseres Lebens und wird es auch nie sein.

Damals hatte Briony gedacht, Wut in der Stimme ihrer Mutter zu hören, doch jetzt wurde ihr bewusst, dass es Angst war.

Plötzlich war Briony in Alarmbereitschaft.

„Was hat mein leiblicher Vater mit der Sache zu tun?“

Erneut ließ Cass ein Lächeln aufblitzen, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

„Dein Vater ist der Grund für das, was ich dir jetzt vorschlage.“ Er griff nach einer schwarzen Aktentasche, die auf der Theke lag, holte eine Mappe hervor und schob sie Briony zu. Auf der Mappe prangte in großen Buchstaben der Name „Van Ambrose“.

Briony schluckte. Intuitiv wusste sie, dass der Inhalt dieser Mappe ihr Leben verändern konnte. Ihre Mutter hatte sich immer bemüht, die Identität ihres Vaters geheim zu halten.

Doch dass Briony nichts über ihren leiblichen Vater wusste, hatte eine Leere in ihr hinterlassen. Diese Leere hatte Briony umso mehr gespürt, als ihre Mutter Trey heiratete und dieser seine Töchter Stacy und Ella in die Familie brachte. Trey war zwar nett zu ihr, aber sie hatte sich seine Zuneigung hart erkämpfen müssen.

Ihr Verhältnis zu den Zwillingen war da besser. Früher hatten sie zu dritt Pyjamapartys gefeiert und Shoppingtouren gemacht. Als Briony nach dem Studium nach Kansas zurückkehrte, um ihre Mutter zu pflegen, hatten sich die Mädchen sehr gefreut, sie wiederzusehen.

Doch jetzt wollte Briony nichts mehr, als die wahre Identität ihres Vaters herauszufinden.

Sie schlug die Mappe auf, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob Cass ihre zitternden Finger bemerkte oder ihren bebenden Atem hörte. Sie zog einen Stapel Fotos hervor. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Mutter auf den Bildern erkannte.

Tränen schossen ihr in die Augen. Den langen roten Haaren und dem jung wirkenden Gesicht ihrer Mutter nach zu urteilen, mussten die Fotos mindestens zwanzig Jahre alt sein. Auf den Fotos war sie in Begleitung eines Mannes zu sehen, der etwa Mitte vierzig sein musste. Der Mann war schlank und trug teure Anzüge, hatte graue Haare und kantige Gesichtszüge und ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen.

Briony betrachtete den Mann genauer. Seine Augen waren grün. Ein helles, fast unnatürliches Smaragdgrün. Dieser Mann war zweifellos ihr Vater.

Das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie strich mit dem Finger über sein Gesicht und freute sich, dass sie endlich das fehlende Puzzleteil gefunden hatte.

Doch die anfängliche Freude verflog bald. Wieso wusste Cass, ein völlig Fremder, mehr über ihre Vergangenheit als sie selbst?

Sie schob die Fotos beiseite und zog einen Stapel Papiere aus der Mappe: eine Patientenakte aus dem Krankenhaus, die Brionys Geburt dokumentierte, die Zeugnisse und Arbeitsverträge ihrer Mutter, die Heiratsurkunde von ihr und Trey.

Das letzte Dokument trieb Briony Tränen in die Augen. Die Sterbeurkunde ihrer Mutter. Hatte ihr Vater seine ehemalige Geliebte finden wollen, um alles wiedergutzumachen? Nur um dann zu erfahren, dass es schon zu spät war?

Langsam blickte Briony zu Cass auf. „Woher hast du das alles? Wer bist du?“

„Diese Mappe hat dein Halbbruder zusammengestellt. Er und dein Vater haben sie mir gegeben.“

Brionys Finger verkrampften sich um das Foto, das sie gerade in den Händen hielt. „Du kennst sie?“

„Ja.“

„Wie heißt mein Halbbruder?“, flüsterte sie.

„Alaric Van Ambrose.“

„Alaric.“ Sie ließ die Dokumente fallen, griff nach dem Cocktail und kippte die Hälfte hinunter. Der wärmende Geschmack von Likör und Sahne linderte das Gefühlschaos, das in ihr tobte. Sie hatte einen Bruder und einen Vater. Eine Familie. Warum hatten sie sich niemals getroffen? Hatte ihr Vater sie nicht gewollt? Und hatte ihre Mutter von ihrem Halbbruder gewusst?

„Seit wann wissen die beiden von mir?“

„Dein Vater hat erst vor einem Monat von dir erfahren. Dein Halbbruder hat es wohl schon etwas länger gewusst. Er hat Nachforschungen angestellt.“

Erleichterung stieg in ihr auf. Hätte ihr Vater die ganze Zeit über von ihr gewusst, aber nicht nach ihr gesucht, wäre der Schmerz unerträglich.

„Wo sind sie?“

„In Linnaea.“

Sie runzelte die Stirn. „Davon habe ich noch nie gehört.“

„Linnaea ist ein kleines Land an der Nordseeküste zwischen Belgien und den Niederlanden.“

Stolz schwang in seiner Stimme mit.

„Da kommst du also her.“

Cass blinzelte überrascht, bevor seine Gesichtszüge zu einer ausdruckslosen Maske erstarrten. „Ursprünglich schon. Aber mit acht Jahren bin ich nach Tulay gezogen.“

„Von Tulay habe ich auch noch nie gehört.“

„Das ist ein Fürstentum am Mittelmeer zwischen Spanien und Frankreich.“

Cass griff nach Brionys Hand. Zunächst waren ihre Finger steif, doch als sie die Fotos und Dokumente auf der Theke betrachtete, entspannte sie sich ein wenig und ließ sich von ihm trösten.

Sie stieß den Atem aus. „Du hast diese Fotos und Dokumente also von meinem Vater bekommen.“

Autor

Emmy Grayson
Emmys Begeisterung für Romances begann, als sie die legendären Nancy Drew Krimiromane las, in denen die gleichnamige Heldin allerhand mysteriösen Fällen auf die Spur ging. Dabei blätterte Emmy beim Lesen immer wieder zu den romantischen Kapiteln mit Ned Nickerson zurück. Mehr als 20 Jahre später machte Harlequin Presents ihren Traum...
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