Die Stanislaskis - Teil 4-6

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HEIßKALTE SEHNSUCHT

Die junge Autorin Bess begibt sich in große Gefahr, als sie im New Yorker Prostituiertenmilieu recherchiert: Ein bestialischer Mörder treibt dort sein Unwesen. Doch nicht einmal der attraktive Detective Alexej kann Bess von ihrem Vorhaben abbringen ...

DER LANGE TRAUM VOM GLÜCK

Die Liebe ihres Lebens ̶ das ist der smarte Komponist Nick für die junge Frederica. Doch sie weiß nichts von seiner dunklen Vergangenheit, die eine gemeinsame Zukunft unmöglich erscheinen lässt.
Schon als Kind hat Frederica sich zu dem jungen Nick hingezogen gefühlt. Und jetzt als erwachsene Frau spürt sie, dass sie den eigenwilligen Komponisten nicht vergessen kann. Obwohl sie merkt, dass sie dem attraktiven Mann nicht gleichgültig ist, scheint doch eine unüberwindbare Kluft zwischen ihnen zu bestehen. Als Frederica schließlich die Wahrheit über Nicks Vergangenheit herausfindet, bricht für sie eine Welt zusammen ...

TANZ DER LIEBENDEN

Welten trennen die junge Primaballerina Kate und den kühlen Bauunternehmer Brody. Doch Kate will nicht glauben, dass es keinen gemeinsamen Weg ins Glück für sie gibt.

Für die schöne Primaballerina Kate ist es vom ersten Augenblick an die große Liebe. Doch der zurückhaltende Bauunternehmer Brody scheint in ihr nur eine Affäre zu sehen, die er so schnell wie möglich wieder vergessen will. Denn er möchte sich ganz seinem kleinen Sohn widmen, den er durch die schwere Krankheit seiner ersten Frau früher viel zu sehr vernachlässigt hat. Obwohl sein abweisendes Verhalten sie tief kränkt, gibt Kate nicht auf. Denn sie spürt, dass Brody sich verzweifelt danach sehnt, endlich wieder lieben zu können ..


  • Erscheinungstag 24.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783745752113
  • Seitenanzahl 788
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Nora Roberts

Die Stanislaskis - Teil 4-6

MIRA® TASCHENBUCH

 

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Jürgen Welte

Copyright dieser Ausgabe © 2019 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

 

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Convincing Alex

Copyright © 1994 Nora Roberts

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam

Coverabbildung: Thinkstock

 

ISBN 9783745751482

www.harpercollins.de
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1. KAPITEL

Die kurvige Blondine im pinkfarbenen Minirock stöckelte auf hohen Schuhen den Straßenstrich hinunter. Ihr Lidstrich schimmerte in allen Farben des Regenbogens, und sie musterte mit scharfem Blick ihre Kolleginnen, diese schillernden Schatten der Nacht. Die Luft hallte wider vom Lachen der Mädchen, denn schließlich war es jetzt Frühling in New York. Aber neben dem Lachen war auch ein Gefühl großer Langeweile zu spüren, die weder der Glitter noch der Sex überdecken konnten.

Für diese Damen war Geschäft vor allem Geschäft.

Nachdem sie sich einen weiteren Kaugummi in den Mund gesteckt hatte, rückte die blonde junge Frau ihre große Leinentasche zurecht, die sie über der Schulter trug. Wie gut, dass es einigermaßen warm ist, dachte sie. Es wäre schrecklich gewesen, bei Regen in diesem halb bekleideten Zustand die Straße hinunterflanieren zu müssen.

Eine umwerfend gut aussehende schwarze Frau in einem roten Lederoutfit, das ihren knackigen Körper nur notdürftig bedeckte, zündete sich eine Zigarette an und warf sich herausfordernd in Pose. „Komm schon, Baby“, sagte sie wie zu sich selbst. Ihre Stimme war tief und sexy, sie klang nach dem Rauch, den sie ausatmete. „Wie wär’s mit ein bisschen Spaß?“

Einige Männer scheinen nicht abgeneigt zu sein, dachte Bess, die den Strich begutachtete. Insgesamt lief das Geschäft nicht schlecht an diesem lauen Frühlingsabend. Sie hatte verschiedene Verhandlungsgespräche zwischen den Prostituierten und ihren Freiern beobachtet. Nur schade, dass die Langeweile sich auch durch keine aufgesetzte Munterkeit zu vertreiben lassen schien. Die Langeweile und dann auch so etwas wie ein Gefühl großer allgemeiner Hoffnungslosigkeit.

„Führst du Selbstgespräche, Schätzchen?“

„Äh?“ Bess zuckte zusammen und sah sich plötzlich der schwarzen Göttin im roten Leder gegenüber, die zu ihr herübergeschlendert war. „Wie bitte?“

„Bist du neu hier?“ Während sie rauchte, unterwarf sie Bess einer genauen Prüfung. „Wer ist dein Lude?“

„Mein … ich habe keinen.“

„Du hast keinen?“ Die Prostituierte zog die Brauen hoch und lächelte spöttisch. „Kleine, ohne einen Mann bist du auf diesem Strich nichts wert.“

„Das glaube ich schon.“ Da sie keine Zigarette hatte, blies Bess ihren Kaugummi auf und ließ ihn mit lautem Knall zerplatzen.

„Wenn Bobby oder Big Ed das rauskriegen, bekommst du eine Menge Ärger.“ Dann zuckte die Schwarze mit den Schultern. Schließlich war das ja nicht ihr Problem.

„Wir leben in einem freien Land.“

„Schätzchen, frei ist hier nur der Tod.“ Mit einem rauen Lachen fuhr sich die andere über ihre lederbekleidete Hüfte. „Sonst gar nichts.“ Sie warf die Zigarette in den Rinnstein, wo sie vom Hinterrad eines Autos zerdrückt wurde.

Viele hundert Fragen gingen Bess durch den Kopf. Es lag in ihrer Natur, sie auch zu stellen, aber sie erinnerte sich gerade noch daran, dass sie nichts überstürzen durfte. „Gut, also wer ist dein Zuhälter?“

„Bobby.“ Mit skeptischem Blick besah sich die Frau Bess von oben bis unten. „Kann schon sein, dass er dich aufnehmen würde. Du bist zwar unten rum ein bisschen mager, aber das macht nichts. Auf jeden Fall brauchst du jemanden, der dich beschützt, wenn du hier arbeiten willst.“ Sie wusste, dass sie von Bobby einen hübschen Batzen Geld erwarten durfte, wenn sie ihm eine Neue brachte.

„Niemand hat die beiden Mädchen beschützt, die hier letzten Monat ermordet wurden.“

Die Schwarze zuckte zusammen. Bess wusste, dass sie gut in Gesichtern lesen konnte, und sie sah Trauer, Bedauern und Schmerz in den Augen der anderen, bevor der Blick sich wieder verhärtete. „Bist du etwa von den Bullen?“

Bess starrte sie mit offenem Mund an, bevor sie laut auflachte. Das ist wirklich ein Witz, dachte sie. Irgendwie aber auch schmeichelhaft.

„Nein, ich bin nicht von den Bullen. Ich versuche nur, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Kanntest du eine von den beiden, die getötet wurden?“

„Wir mögen es hier nicht so gern, wenn man zu viele Fragen stellt.“ Die Frau warf den Kopf zurück. „Wenn du dir wirklich deinen Lebensunterhalt verdienen willst, kriegst du gleich Gelegenheit dazu.“

Bess wurde plötzlich nervös. Ihr fiel auf, dass die Frau nicht nur gut aussah, sie war auch ausgesprochen massiv. Und sie war misstrauisch. Beides würde es schwierig machen, das zu tun, weshalb sie hergekommen war – sich im Hintergrund zu halten und die Szene zu beobachten. Aber schließlich war sie gewitzt und zudem noch eine gute Menschenkennerin. Und außerdem hatte auch sie hier etwas zu erledigen.

„Na klar!“ Sie drehte sich um und schlenderte die Straße entlang. Ihre Hüften – und sie hatte nicht eine Minute lang daran geglaubt, dass ihr Po zu mager wäre – bewegten sich dabei verführerisch.

Vielleicht war ihre Kehle plötzlich ein wenig trocken. Vielleicht schlug ihr Herz mit einem Mal auch ein bisschen schneller als gewöhnlich. Aber Bess McNee ließ sich durch nichts so schnell umwerfen.

Plötzlich sah sie zwei Männer, die noch etwa einen halben Block entfernt waren. Der eine von ihnen, der Schwarzhaarige, machte einen sehr vielversprechenden Eindruck.

„Hör zu, du Frischling, wir nehmen uns jetzt eine heraus, vielleicht auch zwei.“ Alex besah sich den Strich mit prüfendem Blick. Nutten, Fixer und die bedauernswerten Menschen, die durch dieses armselige Viertel nach Hause mussten, bevölkerten die Straße. „Meine Nase sagt mir, dass die große Schwarze dort –sie heißt Rosalie – beide Opfer kannte.“

„Und warum schnappen wir sie uns dann nicht einfach und nehmen sie mit zum Verhör?“ Judd Malloy zuckte es in allen Fingern, etwas zu unternehmen. Seine Polizeimarke war erst achtundvierzig Stunden alt. Und er arbeitete mit Alex Stanislaski, einem Profi, der den Ruf hatte, schnell zu handeln und exzellente Arbeit zu leisten. „Oder noch besser, warum greifen wir uns nicht ihren Zuhälter?“

Ach, diese Neulinge, dachte Alex bei sich. Warum gaben sie ihm immer diese Anfänger, die er dann einarbeiten durfte? „Weil wir wollen, dass sie mit uns zusammenarbeitet. Wir werden sie uns schnappen unter dem Vorwand, dass sie illegal anschafft. Und dann unterhalten wir uns mit ihr, wie echte Gentlemen, bevor ihr Bobby auftauchen kann und ihr sagt, dass sie die Klappe halten soll.“

„Wenn meine Frau rausbekommt, dass ich die halbe Nacht damit verbracht habe, Nutten anzuquatschen …“

„Ein guter Polizist erzählt seiner Familie nie mehr als das, was sie unbedingt wissen muss. Und das ist nie sehr viel.“ Alex sah seinen neuen Partner unbewegt an. „Das ist die Stanislaski-Regel Nummer eins.“

Plötzlich sah er die Blondine. Sie starrte ihn an. Alex starrte zurück. Ein merkwürdiges Gesicht, dachte er. Scharf geschnitten und sehr sexy, trotz der Tonnen von Make-up, die sie aufgetragen hatte. Unter der dicken Lidschattenschicht konnte er ihre Augen ausmachen, sie waren hellgrün. Ihre Nase hatte eine leichte Krümmung, als wäre sie einmal gebrochen gewesen. Wahrscheinlich das Werk irgendeines Kunden oder Zuhälters, dachte Alex, während sein Blick auf ihren Mund fiel.

Volle, sehr sinnliche Lippen, die in einem leuchtenden Rot geschminkt waren. Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass etwas in ihm darauf reagierte. So als wäre es völlig egal, wer sie war und was sie tat. Ihr Kinn war eher spitz als rund, und zusammen mit den hohen Wangenknochen gab es dem Ganzen eine dreieckige Form, die Alex entfernt an den Kopf eines Fuchses erinnerte.

Das hautenge, schulterfreie Top und der Stretchmini ließen jede Kurve ihres durchtrainierten Körpers erkennen. Er hatte schon immer den athletischen Typ bevorzugt – doch gerade noch rechtzeitig fiel Alex ein, durch welche Form von körperlichem Training sie wohl eine so gute Figur bekommen hatte.

Wie dem auch sei, sie war nicht die Prostituierte, um die es ihm hier ging.

Jetzt oder nie, dachte Bess bei sich. Allzu genau spürte sie den prüfenden Blick, den ihre neue Kollegin ihr zuwarf.

„He, Baby …“ Obwohl sie nicht mehr geraucht hatte, seit sie fünfzehn war, war ihre Stimme stets ein wenig heiser. Während sie innerlich ein leises Stoßgebet zum Himmel schickte, machte sie sich an Alex heran. „Willst du dich amüsieren?“

„Kann schon sein.“ Er zog sie am Ausschnitt ihres Tops zu sich heran und bemerkte verblüfft, dass sie zusammenzuckte. „Aber irgendwie wollte ich was anderes als dich, Schätzchen.“

„Oh!“ Und nun? Wie ging es wohl weiter? Bess beschloss, sich ganz auf ihre Intuition zu verlassen. Sie warf den Kopf zurück und schmiegte sich an ihn. Sofort hatte sie das Gefühl, als stieße sie auf Stahl –hart, unnachgiebig und sehr kalt. „Und an was hattest du da gedacht?“

Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr, als setze ihr Verstand aus. Der Blick, mit dem er sie ansah, ja durchbohrte, ging ihr bis ins Mark. Die dunklen Augen hielten sie gefangen. Seine Knöchel pressten gegen ihre Haut, genau da, wo ihr Ausschnitt begann. Sie spürte die Hitze, die in diesem Griff lag, spürte seine Hitze. Während sie ihm weiter wie gebannt in die Augen sah, überkam sie plötzlich ein Bild. Sie sah, wie er und sie sich auf einem großen Bett in einem verdunkelten Zimmer wälzten, wie ihre Körper miteinander rangen.

Und das hatte überhaupt nichts mehr mit Arbeit zu tun.

Es war das erste Mal, dass Alex eine Nutte erröten sah. Es warf ihn um, und er hatte plötzlich den absurden Wunsch, sich zu entschuldigen – sich zu entschuldigen für die Vorstellung, die ihm vor ein paar Sekunden durch den Kopf gegangen war. Aber dann erinnerte er sich wieder an die Umstände.

„Ich stehe einfach auf einen anderen Typ, Baby.“

Mit ihren hohen Stöckelschuhen war sie beinahe so groß wie er. Alex hätte am liebsten all das Make-up und den Puder von ihrem Gesicht abgewischt, um zu entdecken, wer sich darunter verbarg.

„Ich bin ein anderer Typ“, entgegnete Bess. Sie war sehr froh über diese schlagfertige Antwort.

„He, Schwester!“ Plötzlich war Rosalie da. Vertraulich legte sie Bess den Arm um die Schulter. „Du willst doch wohl nicht beide allein für dich haben, oder?“

„Ich …“

Hau ab, dachte Alex bei sich und wandte sich widerstrebend Rosalie zu. „Seid ihr beide ein Team?“

„Heute Abend schon.“ Sie sah erst Alex an, dann Judd. „Na, wie wär’s mit uns beiden, Jungs?“

Judd hatte plötzlich das Gefühl, als hätte ihn seine Stimme im Stich gelassen. Er hätte sich lieber einem Dutzend bewaffneter Männer in einer dunklen Gasse gegenübergesehen. Es war ihm völlig unmöglich, auf die große schwarze Frau zuzugehen, ohne dass die ganze Zeit ein Bild seiner eigenen Frau, die ihm völlig vertraute, wie ein Warnsignal in seinem Kopf aufgeleuchtete.

„Na gut, warum nicht.“ Schließlich konnte er doch sprechen, und es gelang ihm sogar, fast so überzeugend wie Alex zu klingen.

Rosalie warf den Kopf zurück und lachte laut, dann machte sie einen Schritt auf Judd zu und hakte sich bei ihm unter. Instinktiv trat er zurück, und eine verräterische Röte überzog seinen Hals.

„Ich habe den Eindruck, du machst so etwas zum ersten Mal, Kleiner. Warum überlässt du Rosalie nicht alles?“

Weil sein Partner plötzlich stumm zu sein schien, übernahm Alex wieder das Kommando.

„Wie viel?“

„Na ja …“ Rosalie wartete gar nicht erst auf Bess, die totenbleich geworden war. „Heute Abend machen wir euch einen Sonderpreis. Ihr kriegt uns beide für einen Hunderter. Das gilt aber nur für die erste Stunde.“ Sie lehnte sich vor und flüsterte Judd etwas ins Ohr. Die Röte auf seinem Hals vertiefte sich noch.

„Danach“, fuhr Rosalie fort, „ist es Verhandlungssache.“

„Aber ich kann ni…“ Bess fing an zu stottern und hielt dann mitten im Satz inne, als sie Rosalies Finger spürte, die sich wie scharfe Klauen in ihre bloßen Schultern gebohrt hatten.

„Ich glaube, das reicht“, sagte Alex und zog seine Dienstmarke hervor. „Meine Damen, Sie sind vorläufig festgenommen.“

Polizisten! Ein großes Gefühl der Erleichterung durchfuhr Bess.

Während Rosalie einen saftigen Fluch ausstieß, musste sie sich die größte Mühe geben, um nicht laut herauszulachen.

Absolut perfekt, dachte Bess, als man sie auf die Wache brachte. Sie war wegen illegaler Prostitution festgenommen worden, und das Leben hätte nicht schöner sein können.

Begierig sah sie sich in dem Zimmer um, damit ihr auch nicht die geringste Kleinigkeit entging. Dabei war es nicht das erste Mal, dass sie sich in einer solchen Umgebung befand. Wie sie immer zu sagen pflegte, nahm Bess ihre Arbeit sehr ernst. Neu war für sie allein die Gegend. Sie kam nicht sehr oft in die ärmeren Viertel der Stadt.

Der Raum war ausgesprochen schäbig – heruntergekommen. In Gedanken machte sie sich Notizen. Über allem lag eine dicke, malerische Staubschicht.

Und der Geruch war auch nicht schlecht. Sie sog ihn tief ein und versuchte sich die faszinierende Mischung aus Schweiß, bitterem schwarzen Kaffee und beißendem Putzmittel gut einzuprägen.

Außerdem war es sehr laut. Mit ihren hellwachen Sinnen unterschied Bess nach und nach den Lärm von ständig klingelnden Telefonen, ärgerlichen Flüchen, Weinen und dem Hämmern der Schreibmaschinen.

Oh Mann, dachte sie insgeheim begeistert. Heute schien wirklich ihr Glückstag zu sein!

„Du bist hier nicht auf Urlaub, Schätzchen“, wurde sie plötzlich von Alex erinnert. Er stieß ihr leicht in die Rippen.

„Oh, Verzeihung.“

Der schimmernde Glanz in ihren Augen, der von Aufgeregtheit zeugte, schien ihm so fehl am Platz zu sein, dass er sie wieder nur anstarren konnte. Dann holte er kopfschüttelnd einen Stuhl für sie heran. Rosalie hatte er Judd überlassen. Der Neuling mochte ruhig sein Glück versuchen, etwas Wichtiges aus ihr herauszuholen. Danach würde er dann den Fall übernehmen. Alex standen verschiedene Methoden zur Verfügung, um Leute zum Reden zu bringen.

Ob er ihr nun schmeicheln oder drohen musste, er würde es schon schaffen, ihr alles zu entlocken, was sie über ihre beiden ermordeten Kolleginnen wusste.

„Also gut.“ Er nahm hinter dem schäbigen, überfüllten Schreibtisch Platz. „Du weißt ja, wie das hier läuft.“

Bess hatte die ganze Zeit zu einem jungen Mann in einer zerrissenen Jeansjacke hinübergesehen, dessen Gesicht voller Blutergüsse war. „Wie bitte?“

Alex seufzte nur tief, während er einen Bogen in seine Schreibmaschine spannte. „Der Name?“

„Oh, ich bin Bess.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, und die Geste kam so natürlich, dass er sie fast ergriffen hätte.

Stattdessen stieß er einen leisen Fluch aus. „Bess, und weiter?“

„McNee. Und Sie?“

„Ich bin im Dienst. Geburtsdatum?“

„Warum?“

Er sah auf, ihre Augen trafen sich. „Warum was?“

„Warum wollen Sie das wissen?“

Geduld war noch nie Alex’ starke Seite gewesen, und mit einem Mal gingen ihm die Nerven durch. Drohend wies er auf den Bogen Papier. „Weil ich nun einmal dieses verdammte Formular ausfüllen muss!“

„Okay, ich bin achtundzwanzig. Zwilling. Ich bin am ersten Juni geboren.“

Alex rechnete kurz nach und tippte dann die Daten. „Wohnsitz?“

Neugierig wie sie war, hatte Bess sich an den Papieren auf seinem Schreibtisch zu schaffen gemacht, bis er ihr auf die Finger klopfte.

„Warum sind Sie eigentlich so nervös?“ fragte sie ihn. „Macht es Ihnen etwas aus, als Spitzel zu arbeiten?“

Dieses unverschämte Lächeln, dachte er erbittert. Es war herausfordernd, sexy und alles andere als dumm. Zusammen mit ihren intelligenten grünen Augen hätte man fast denken können, dass sie etwas anderes wäre als eine Prostituierte. Aber sie sah wie eine Nutte aus, und sie roch auch wie eine Nutte. Deshalb …

„Hör zu, Schätzchen, die Sache funktioniert so. Ich stelle hier die Fragen, und du antwortest. Ist das klar?“

„Knallhart, zynisch und abgebrüht.“

Er zog die Brauen hoch. „Wie bitte?“

„So schätze ich Sie ein. Sie wollen also meine Adresse, ja?“ Bess nannte ihm ein Viertel und eine Straße.

Alex sah sie ungläubig an. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Nein, keineswegs.“ Brav legte Bess die Hände in den Schoß.

„Deine Adresse“, wiederholte er.

„Ich habe sie Ihnen gerade gegeben.“

„Ich weiß ganz genau, wie im Moment die Mietpreise liegen. Kann schon sein, dass du Klasse hast.“ Er warf ihr noch einmal einen prüfenden Blick zu. „Vielleicht hast du sogar mehr Klasse, als man dir zutrauen würde. Aber eins steht fest – mit dem, was du tust, kannst du dir auf gar keinen Fall eine solche Miete leisten.“

Das saß, und es tat weh. Bess fühlte sich vor allem getroffen, weil sie über eine Stunde damit verbracht hatte, sich aufs Sorgfältigste zu schminken. Und sie wusste, dass sie eine fabelhafte Figur hatte. Schließlich ging sie dreimal in der Woche ins Fitness-Studio, um in Form zu bleiben. „Aber das ist nun mal meine Adresse, Bulle!“ Wütend leerte Bess den Inhalt ihrer großen Leinentasche auf seinem Schreibtisch aus. Sie würde sich von ihm keine Beleidigung gefallen lassen!

Alex beobachtete sie fasziniert, während sie den Inhalt durchwühlte. Allein mit den Kosmetika hätte man eine mittelgroße Parfümerie füllen können. Und es waren nicht gerade Billigprodukte. Sechs Lippenstifte, zwei Kompaktpuderdosen, verschiedene Mascarabürsten und mehrere Döschen mit Lidschatten. Dazu noch Eyelinerstifte in allen Farben des Regenbogens. Zwischen all dem befanden sich zwei Schlüsselbunde, Rechnungen über Kreditkartenbeträge, bunte Gummibänder, Büroklammern, zwölf – Alex hatte sie genau gezählt –, Kugelschreiber, einige zerbrochene Bleistifte, ein Schreibblock, zwei Taschenbücher, Streichhölzer, ein ledernes Notizbuch mit den Initialen ELM, ein Tacker – er fragte sich nicht einmal mehr, warum Bess so etwas mit sich herumschleppte –, Taschentücher sowie einige zerknüllte Blätter, ein Aufnahmegerät mit Mikrokassetten. Und eine Pistole.

Alex griff sich die Waffe aus dem Stapel heraus und sah sie sich genauer an. Es war eine Wasserpistole!

„Passen Sie damit auf“, warnte sie ihn, als sie endlich ihre Brieftasche fand. „Die ist voller Ammoniak.“

„Ammoniak?“

„Ja, früher habe ich Gas benutzt, aber das hier tut’s genauso gut. So, sehen Sie sich das an!“ Triumphierend hielt sie ihm die Brieftasche unter die Nase.

Dem Foto nach zu urteilen schien es sich um dieselbe Person zu handeln. Das Haar war kurz und lockig, es sah nach einem teuren Schnitt aus. Aber die Farbe stimmte nicht – ein dunkles Kastanienrot anstatt blond. Unverwechselbar hingegen die Nase, das Kinn. Und vor allem die Augen! Alex runzelte die Stirn, als er sich den Führerschein besah. Tatsächlich, die Adresse stimmte!

„Sie haben ein Auto?“

Bess zuckte die Achseln und begann die Sachen wieder in ihre Tasche zu stopfen. „Na und?“

„Bei Frauen aus Ihrem Gewerbe ist das nicht sehr häufig der Fall.“

Da hatte er Recht. Bess zögerte einen Moment. „Ich habe einen Führerschein. Das muss aber nicht unbedingt heißen, dass ich auch ein Auto habe, oder?“

„Nein.“ Er sicherte sich die Brieftasche. „Und jetzt nehmen Sie die Perücke ab.“

Ironisch blickte Bess ihn an. „Und warum?“

Ohne zu zögern beugte sich Alex über den Schreibtisch und riss sie ihr eigenhändig vom Kopf. Bess funkelte ihn wütend an, während sie sich mit dem Finger durch die kurzen rotbraunen Locken fuhr. „Die brauche ich aber zurück. Sie ist nur geborgt.“

„Na klar!“ Er warf die Perücke auf den Schreibtisch und lehnte sich in seinem knarrenden Stuhl zurück, um Bess noch einmal einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Wenn diese Lady eine Nutte war, war er Superman! „Was, zum Teufel, sind Sie eigentlich?“

Dies war der Zeitpunkt, um reinen Tisch zu machen. So viel war Bess klar. Aber irgendetwas an ihm reizte sie, das Spiel mit ihm weiterzuspielen. „Ich bin nur eine Frau, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen muss, Officer.“ Genauso würde auch Jade sich verhalten, da war Bess ganz sicher. Und da sie Jade schließlich erfunden hatte, durfte sie sie jetzt auch nicht blamieren.

Alex öffnete die Brieftasche und zählte die Scheine, die sich darin befanden. Die Summe betrug mehr, als er in zwei Wochen verdiente. „Ich verstehe.“

„Dürfen Sie das eigentlich überhaupt?“ fragte sie ihn mehr neugierig als verärgert. „Dürfen Sie so ohne weiteres meine persönlichen Unterlagen durchwühlen?“

„Ich werde Sie schon noch früh genug über meine Kompetenzen aufklären, keine Angst.“ Alex stieß in der Brieftasche auch auf ein paar Fotos. Es waren Schnappschüsse von Leuten. Auf manchen war auch Bess zu sehen, auf anderen nicht. Die Dame schien zudem einer Menge Klubs und Vereine anzugehören. Er fand Mitgliedskarten von Greenpeace, der World Wildlife Federation, Amnesty International und dem Schriftstellerverband. Bei der letzten Karte fiel ihm wieder der Kassettenrekorder ein. Als er sich das Ding genauer ansah, stellte er fest, dass er angestellt war.

„So, ich will jetzt endlich wissen, woran ich bin, Lady.“

Du meine Güte, war er nicht süß? Bess musste unwillkürlich lächeln, als sie ihn ansah. „Wie meinen Sie das?“

„Ich will wissen, was Sie auf dem Straßenstrich zu suchen hatten, zwischen Rosalie und all den anderen Mädchen.“

„Das ist mein Job.“ Seine Augen funkelten drohend. Bess musste sich eingestehen, dass sie ihn unwiderstehlich fand. Er war ungeduldig, vielleicht auch ein wenig gemein, und hielt sein Temperament nur schwer unter Kontrolle.

War er nicht fantastisch?

„Doch, bitte glauben Sie mir.“ Bess lehnte sich eindringlich nach vorn. „Sehen Sie, all dies hängt zusammen mit Jade. Jade besitzt eine schizophrene Persönlichkeit. Am Tag ist sie eine sehr erfolgreiche Anwältin – Sie wissen schon, die ganz knallharte Sorte –, doch bei Nacht geht sie auf den Strich. Sie versucht dabei das zu verdrängen, was zwischen ihr und Brock passiert ist. Doch da sich gleichzeitig auch noch ein Kindheitstrauma bei ihr bemerkbar macht, droht sie an der Belastung zu zerbrechen. Auf jeden Fall ist sie sehr selbstzerstörerisch.“

Seine Augen hatten sich verdunkelt, sie wirkten jetzt fast schwarz. „Und wer, zum Teufel, ist Jade?“

„Jade Sullivan Carstairs. Sehen Sie nachmittags denn nie Fernsehen?“

Alex drehte sich der Kopf. „Nein.“

„Dann verpassen Sie wirklich etwas. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie die Dreiecksgeschichte zwischen Jade, Storm und Brock wirklich interessieren würde. Storm ist Polizist, wissen Sie, und er hat sich in Jade verliebt. Aber ihre psychischen Probleme und die Macht, die Brock noch immer über sie hat, komplizieren die Sache. Dazu kommt noch, dass Jade eine Fehlgeburt hatte und gekidnappt wurde. Aber Storm hat natürlich auch genügend eigene Probleme.“

„Natürlich. Und was haben Sie mit der ganzen Sache zu tun?“

„Oh, Entschuldigung, das habe ich ja ganz vergessen. Ich schreibe für, Heimliche Sünden‘. Die bekannte Fernsehserie.“

„Sie schreiben Seifenopern fürs Fernsehen?“

„Allerdings.“ Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen hatte Bess überhaupt nichts dagegen, wenn man die Serie so bezeichnete. „Und ich versuche natürlich, alles so lebensecht wie möglich zu beschreiben. Das heißt, ich versuche mich bis ins kleinste Detail in meine Figuren hineinzuversetzen. Und da mir Jade ganz besonders am Herzen liegt, wollte ich …“

„Sind Sie eigentlich noch ganz bei Trost?“ Alex beugte sich nach vorn und starrte ihr ins Gesicht. „Wissen Sie überhaupt, worauf Sie sich da eingelassen haben?“

Bess sah ihn amüsiert an, sie war sich keiner Schuld bewusst. „Ich würde das einfach Recherche nennen.“

Alex stieß einen saftigen Fluch aus. Fasziniert sah Bess ihm dabei zu, wie er mit den Fingern durch das dichte schwarze Haar fuhr. „Und wie weit hatten Sie vor, Ihre so genannte Recherche zu betreiben, Lady?“

„Wie ich …? Oh!“ Unwillkürlich musste sie lachen. „Nun, jedenfalls nicht so weit, wie Sie denken, Officer.“

„Und was hätten Sie wohl getan, wenn ich kein Polizist gewesen wäre?“

„Ach, dann wäre mir schon etwas eingefallen.“ Das Lächeln hielt sich noch eine Weile auf ihrem Gesicht. Er sah wirklich umwerfend aus – gebräunte Haut mit einem leichten Goldschimmer, dunkle Augen und eine sehr markante Knochenstruktur. Am anziehendsten jedoch war der Mund mit vollen, sinnlichen Lippen. Auch wenn er so finster blickte wie jetzt, war er immer noch hinreißend.

„Mir fällt eigentlich immer etwas ein. Und als ich Sie sah, wusste ich gleich, dass mir nichts passieren würde. Damit will ich sagen, Sie schienen mir einfach nicht die Sorte Mann zu sein, die …“, wie kann man so etwas nur gut ausdrücken? fragte sich Bess, „… die es nötig hat, für ihr Vergnügen zu bezahlen.“

Alex war so wütend, dass er sie am liebsten übers Knie gelegt hätte. Die Vorstellung, ihrem süßen kleinen Hinterteil einige nette Klapse verabreichen zu können, erschien ihm äußerst aufregend. „Und was wäre passiert, wenn Sie sich geirrt hätten?“

„Aber ich habe mich nicht geirrt“, entgegnete Bess. „Einen Moment lang war ich etwas beunruhigt, aber dann hat sich ja glücklicherweise alles aufgeklärt. Und es wurde sogar noch aufregender, als ich mir vorgestellt hatte, denn ich durfte zum ersten Mal in meinem Leben in einer – nennen Sie sie eigentlich immer noch grüne Minnas? – in einer grünen Minna fahren!“

Alex war sich so sicher gewesen, dass er bereits alles Mögliche gesehen und gehört hatte. Nur mit äußerster Willenskraft sprach er mit zusammengebissenen Zähnen: „Zwei Prostituierte wurden ermordet. Und zwar ganz in der Nähe des Strichs.“

„Ja, das ist mir klar.“ Bess’ Antwort kam sehr schnell, so, als würde sie damit alles erklären. „Das war ja auch einer der Gründe, warum ich mir diese Gegend ausgesucht hatte. Und zwar stelle ich mir vor, dass Jade …“

„Ich spreche gerade von Ihnen!“ Seine Stimme war schneidend kalt. „Irgendeine gottverdammte Journalistin, die glaubt, dass es nur einen Minirock und drei Pfund Make-up braucht, um eine fremde Welt verstehen zu können. Bildeten Sie sich allen Ernstes ein, dass Sie danach einfach in Ihre hübsche vornehme Gegend zurückfahren könnten, die Schminke abwaschen und der Fall damit geregelt gewesen wäre?“

„Journalistin?“ Das war das einzige Wort, das Bess wirklich gegen den Strich ging. „Hören Sie zu, Mann …“

„Nein, Sie hören mir zu! Bleiben Sie dort, wo Sie hergekommen sind, und ziehen Sie endlich diese verdammte Nuttenkleidung aus! Und in Zukunft recherchieren Sie um Gottes willen aus Büchern!“

Bess sah ihn mit funkelnden Augen an. „Ich kann überallhin gehen, und ich kann auch tragen, was ich will!“

„Ach ja, sind Sie sicher?“ Es gab nur einen Weg, um ihr eine Lektion zu erteilen. Ein äußerst bewährter Weg. „Na gut!“ Er erhob sich, nahm ihr die Tasche aus der Hand und ergriff dann fest ihren Arm. „Also los!“

„Was soll das?“

„Ich bringe Sie jetzt in Untersuchungshaft, Lady. Sie sind schließlich festgenommen, oder haben Sie das schon wieder vergessen?“

Bess wäre in den hohen Schuhen fast gestolpert. Laut protestierte sie: „Aber ich habe Ihnen doch gerade erklärt, dass ich …“

„Ich höre jeden Tag mindestens zehn Lügengeschichten, die besser klingen.“

„Sie werden mich nicht in eine Zelle einsperren!“ Bess war sich ihrer Sache ganz sicher.

Bis zu dem Moment, als die Zellentür hinter ihr mit lautem Knall ins Schloss fiel.

Es dauerte etwa zehn Minuten, bis der Schock sich wieder gelegt hatte. Als dies dann geschah, entschied Bess sich, die Sache nicht allzu schwer zu nehmen. Natürlich war sie weiterhin wütend auf den Polizisten – wer auch immer er war –, aber andererseits hatte er ihr zu einer Gelegenheit verholfen, die sicher nicht so schnell wiederkehren würde. Sie befand sich in einer Untersuchungszelle zusammen mit einigen anderen Frauen. Bess beschloss, die Atmosphäre genau zu studieren. Außerdem wollte sie sich mit den Frauen unterhalten.

Als eine ihrer Zellengenossinnen ihr mitteilte, dass sie einen Anruf machen dürfe, meldete sie dies sofort an. Erfreut über den Fortschritt, den sie langsam machte, lehnte Bess sich dann zurück, um mehr von ihren Leidensgenossinnen zu erfahren.

Dreißig hochinteressante Minuten später sah sie auf und erblickte ihre Freundin und Co-Autorin Lori Banes, die neben einem uniformierten Polizisten stand.

„Bess, du scheinst dich ja hier wie zu Hause zu fühlen!“

Grinsend stand Bess auf, während der Wachmann die Zelle aufschloss.

„Es war wirklich toll hier!“

„He“, rief eine der Zellengenossinnen ihr nach, „ich sage Ihnen, diese Vicky ist eine Hexe. Jeffrey sollte sie besser loswerden. Amelia ist genau die richtige Frau für ihn!“

Bess winkte ihr noch einmal zu. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Adieu, Mädels!“

Lori hatte sich eigentlich immer für tolerant gehalten. Sie war auch bestimmt nicht besonders prüde oder voreingenommen. Und genau das sagte sie Bess, während die beiden die langen Gänge hinunter, die Treppen hinauf und schließlich wieder in den Empfangsraum der Polizeiwache gingen.

„Aber“, fügte sie hinzu und rieb sich die schmerzenden Augen, „irgendwie finde ich es nicht besonders witzig, um zwei Uhr nachts aus dem Bett geworfen zu werden, um dich aus dem Gefängnis auszulösen.“

„Tut mir wirklich sehr Leid, doch es war ganz fantastisch! Warte nur ab, bis ich dir alles erzähle.“

„Weißt du eigentlich auch, wie du aussiehst, meine Liebe?“

„Natürlich.“ Neugierig spähte Bess nach Alex aus, aber der Stuhl hinter seinem Schreibtisch war nicht besetzt. „Ich wusste ja gar nicht, dass sich die Mädchen, die anschaffen, unsere Sendung anschauen. Andererseits ist das klar, sie arbeiten ja meist nachts. Entschuldige einen Moment, Lori …“ Bess wandte sich an einen der Polizisten, der gerade an ihnen vorbeiging. „Wo ist Ihr Kollege, der an diesem Schreibtisch sitzt?“

Der Beamte verschluckte sich fast an dem Salami-Sandwich, in das er gerade hatte beißen wollen. „Stanislaski?“

„Wow! Was für ein Name! Ist er irgendwo in der Nähe?“

„Er verhört gerade jemanden.“

„Oh. Vielen Dank.“

„Komm schon, Bess, wir müssen jetzt deine Sachen holen.“

Bess unterzeichnete ein Formular, und man händigte ihr wieder ihre Börse mitsamt Inhalt aus. Dabei sah sie sich die ganze Zeit nach Alex um, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. „Stanislaski“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Das ist doch ein polnischer Name, glaubst du nicht?“

„Woher soll ich das wissen?“ Lori begann langsam die Geduld zu verlieren. Energisch bugsierte sie Bess zum Ausgang. „Also los, lass uns von hier verschwinden. Es wimmelt hier ja nur so von Kriminellen.“

„Ja, ich weiß. Ist das nicht fantastisch?“ Lachend hakte Bess sich bei Lori unter. „Ich glaube, ich habe heute Nacht genug Einfälle für die nächsten drei Jahre gesammelt. Wenn wir uns entschließen, Elana verhaften zu lassen, weil sie Reed umgebracht hat …“

„Aber wir wissen doch noch gar nicht, ob sie ihn umgebracht hat.“

Seufzend sah Bess sich nach einem Taxi um. „Lori, wir wissen doch beide, dass Jim seinen Vertrag nicht verlängern lassen will. Er will nur noch als Filmschauspieler arbeiten. Wenn wir seine Rolle eliminieren, gewinnt dafür Elanas Geschichte viel mehr Spannung. Und das wäre sicher gut für die Story.“

„Kann schon sein.“

Bess spielte ihre letzte Karte aus. „, Unser Leben, unsere Lieben‘ ist letzte Woche in der Quotenrechnung um zwei Punkte höher gestiegen.“

Lori blieb ihr darauf die Antwort schuldig.

„Außerdem habe ich gehört, dass Dr. Amanda Jamison Zwillinge bekommen soll.“

„Zwillinge?“ Gequält schloss Lori die Augen. Der weibliche Star der Konkurrenzserie, die Schauspielerin Ariel Kirkwood, die eine neurotische Psychiaterin spielte, lag ganz vorn in der Gunst der Zuschauer. „Warum müssen es denn ausgerechnet Zwillinge sein?“ seufzte Lori. „Also gut. Reed wird sterben.“

Bess lächelte kurz im Bewusstsein ihres Sieges, dann verließen sie schnell die Wache.

„Wie dem auch sei, als ich in der Zelle saß, stellte ich mir die elegante, durch nichts aus der Ruhe zu bringende Dr. Elana Warfield Stafford Carstairs im Gefängnis vor. Fabelhaft, Lori, einfach fabelhaft! Nur schade, dass du den Polizisten nicht gesehen hast.“

Sie waren bis zur Ecke gegangen, doch weit und breit ließ sich kein Taxi blicken. „Welcher Polizist?“

„Der mich verhaftet hat. Er war unglaublich sexy.“

Lori besaß nur noch die Energie, um tief zu seufzen. „Das ist wieder einmal typisch für dich. Wenn dich schon mal ein Polizist verhaftet, ist er auch noch gleich sexy.“

„Nein, wirklich! Er hatte wunderschönes, dichtes schwarzes Haar. Und seine Augen waren auch fast schwarz. Jedenfalls sehr intensiv. Mit den hohen Backenknochen sah sein Gesicht irgendwie slawisch aus, und dann dieser traumhafte Mund. Außerdem hatte er eine tolle Figur. Ganz schön durchtrainiert, so etwa wie ein Boxer.“

„Tu mir den Gefallen und hör jetzt auf, Bess.“

„Nein, wieso denn? Ich kann doch einen Mann attraktiv finden, ohne dass ich mich gleich in ihn verlieben muss.“

Lori sah sie nur an. „Bist du sicher?“

„Oh ja, seit dem letzten Mal bin ich mir ganz sicher.“ Plötzlich erblickte Bess ein Taxi. „Ich interessiere mich nur aus beruflichen Gründen für diesen jungen Mann.“

„Natürlich.“ Achselzuckend stieg Lori in den Wagen ein.

„Ich schwöre es.“ Bess erhob die Hand zum Schwur. „Außerdem kann er uns dabei behilflich sein, Storms Geschichte mit Hintergrund zu füllen.“ Sie gab dem Fahrer die beiden Adressen an. „Nachdem Jade von dem Millbrook Maniac angefallen wird, erkennt Storm endlich, wie seine Gefühle für sie aussehen. Aber wir müssen unbedingt mehr über ihn wissen. Zum Beispiel den Zwiespalt, in den er gerät, wenn er zwischen seiner professionellen Ethik und der Loyalität seiner Familie gegenüber abwägen muss. Und wenn er dann auf Brock stößt …“

„He!“ An einer roten Ampel wandte sich der Taxifahrer zu ihnen um. „Geht’s da etwa um, Heimliche Sünden‘?“

„Allerdings.“ Bess sah ihn neugierig an. „Kennen Sie die Serie?“

„Meine Frau sieht sie jeden Tag. Aber Ihre Gesichter kenne ich nicht.“

„Nein, wir spielen auch nicht mit“, erklärte Bess schmunzelnd. „Wir sind die Autorinnen.“

„Ah, verstehe.“ Zufrieden gab er Gas, als die Ampel wieder auf Grün schaltete. „Ich würde Ihnen gern sagen, was ich von dieser falschen Schlange Vicky halte.“

Nachdem er seine Meinung kundgetan hatte, begann Bess eine hitzige Debatte mit ihm. Lori lehnte sich derweil ermüdet zurück und versuchte noch ein wenig von dem verlorenen Schlaf nachzuholen.

2. KAPITEL

„Meine Frau konnte es nicht fassen!“ Judd Malloy biss in ein Kirschtörtchen, während Alex durch den dichten Verkehr steuerte. „Sie liebt diese Serie, ist vollkommen verrückt danach. Sie verpasst keine Folge.“

„Interessant.“ Alex versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren.

„Diese Frau ist wirklich so etwas wie ein Star. Und so etwas sitzt bei uns auf der Wache.“

„Stars haben es aber nicht nötig, faule Tricks anzuwenden.“

„Ach, kommen Sie schon, Alex!“ Judd trank noch einen Schluck Kaffee mit viel Zucker. „Sie hat schließlich nichts verbrochen. Sonst wäre sie ja auch nicht freigelassen worden.“

„Nichts verbrochen? Nein, aber sie war verdammt leichtsinnig. Eine Wasserpistole mit sich herumzutragen! Als ob das irgendjemanden davon abhalten würde, ihr etwas anzutun. Und außerdem haben wir schließlich Besseres zu tun, als uns um verkleidete Autorinnen zu kümmern.“ Verärgert schüttelte Alex den Kopf. Er hatte das Zusammentreffen mit Bess in keiner guten Erinnerung.

„Jedenfalls haben wir einiges aus Rosalie herausholen können“, beharrte sein Partner. „Es war also keine verlorene Zeit.“

„Es gibt überhaupt keine verlorene Zeit, Malloy“, erwiderte Alex grimmig. „Das ist die Stanislaski-Regel Nummer vier.“ Alex hatte sein Ziel erreicht und parkte den Wagen vor einem hohen Gebäude.

„Wir wollen einmal sehen, ob Rosalie versucht hat, uns auf den Arm zu nehmen, oder ob sie es ernst gemeint hat. Jedenfalls bin ich gespannt auf diesen Domingo.“

Für ein Haus in dieser Gegend war es in relativ gutem Zustand. Keine Graffiti, keine zerbrochenen Scheiben. Hier wohnte die untere Mittelklasse. Alex trat durch die Eingangstür und studierte die Reihe der Briefkästen.

„J. Domingo, 212.“ Die beiden Polizisten stiegen in den Fahrstuhl und fuhren in den zweiten Stock. Judd war ein wenig bleich, Alex hingegen sehr gefasst. Er betrat als Erster den Gang und klopfte an die Tür von 212. Ein lauter Fluch war die Antwort.

Nachdem Alex noch ein zweites Mal energisch geklopft hatte, wurde geöffnet.

„Was zum Teufel wollen Sie von mir?“

Er passt recht gut auf Rosalies Beschreibung, dachte Alex. Bis hin zu dem Clark-Gable-Schnurrbart und der dicken Goldkette. „Wir wollen uns mit Ihnen unterhalten, Domingo.“

„Ich unterhalte mich mit niemandem um diese Zeit!“

Als er die Tür zuschlagen wollte, schob Alex schnell den Fuß dazwischen, dann zeigte er ihm seine Polizeimarke. „Aber, aber, wer wird denn so unhöflich sein? Wollen Sie uns nicht hereinbitten?“

Saftige spanische Flüche prasselten auf die beiden herab. „Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“

„Den kann ich besorgen. Aber vielleicht reden Sie doch lieber erst mit uns beiden, bevor ich Ihnen meine anderen Kollegen auf den Hals hetze.“

Widerstrebend gab Jesus Domingo die Tür frei. Er war ein kleiner untersetzter Mann, der nur zerknitterte Boxershorts trug. „Ich habe nichts verbrochen, das schwöre ich.“

„Hat ja auch keiner behauptet, oder, Judd?“

„Richtig, Alex.“ Als Judd den Raum betrat, machte er große Augen. Im Gegensatz zu dem eher bescheidenen Gebäude war Domingos Apartment ein kleiner Hightech-Palast. Er hatte eine erstklassige Stereoanlage, einen teuren Fernseher und einen Videorekorder von allerbester Qualität im Zimmer stehen.

„Nicht schlecht“, meinte Alex. „Es erstaunt mich immer wieder, wie gut manche Leute von Arbeitslosenunterstützung leben können.“

„Oh, ich konnte schon immer gut sparen.“ Domingo grinste und zündete sich eine Zigarette an. „Und was wollen Sie von mir?“

„Ich will mit Ihnen über Angie Horowitz reden.“

Domingo blies einen Rauchkringel in die Luft. „Nie gehört.“

„Ach, nein? Ich weiß aber zufällig, dass Sie zu ihren regelmäßigen Freiern gehört haben.“

„Da muss Ihnen aber jemand was Falsches erzählt haben.“

„Moment mal, ich habe hier etwas für Sie.“ Aus der Tasche seiner Lederjacke zog Alex einen Umschlag hervor, dem er ein Foto entnahm. „Wollen Sie sich das hier nicht mal ansehen?“

Der Mann verfärbte sich bei dem Anblick der grausam zugerichteten Leiche. Die Hand, mit der er die Zigarette hielt, zitterte. „Oh Mann, das ist ja furchtbar!“

„Ja, das sieht nicht besonders hübsch aus, was?“ entgegnete Alex grimmig. „Aber so ist das nun einmal, wenn jemand vierzigmal auf eine Frau schießt. Die arme Angie hat leider …“

Alex brach mitten im Satz ab. Domingo stürzte ins Badezimmer, die Hand vor dem Mund.

„Sie sind wirklich kaltblütig, Stanislaski“, sagte Judd bewundernd.

„Ja, ich weiß schon, wie man sie kriegt.“ Aus dem Badezimmer waren starke Würge- und Brechgeräusche zu hören. Alex klopfte an die Tür. Ein ersticktes Stöhnen war die Antwort.

„Tut mir wirklich Leid, Domingo. Lassen Sie sich ruhig Zeit, Mann.“

Auf leisen Sohlen ging Alex in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Die zwei Kilo Kokain befanden sich genau an dem Platz, den Rosalie ihnen bezeichnet hatte. Alex nahm eines von den beiden Paketen heraus. Hinter ihm stürzte Domingo ins Zimmer.

„Dazu haben Sie kein Recht! Sie haben nicht einmal einen Durchsuchungsbefehl!“

„Ich wollte Ihnen nur etwas Eis gegen Ihre Kopfschmerzen besorgen“, erwiderte Alex harmlos. „Aber nun sehen Sie einmal, was ich hier gefunden habe.“

„Sie gottverdammter Hurensohn!“ schrie Domingo. Der Schweiß lief ihm in dicken Perlen übers Gesicht. „Sie verstoßen gegen das Gesetz! Gnade Ihnen Gott, wenn ich wieder auf freiem Fuß bin!“

„Na klar.“ Ungerührt packte Alex die beiden Pakete in eine Plastiktüte. „Malloy, bitte lesen Sie unserem Freund hier seine Rechte vor. Und dann ziehen Sie sich endlich etwas Anständiges an, Domingo.“

„Stanislaski!“ Der Dienst habende Beamte sprach Alex an, der gerade Domingo in die Zelle verfrachtet hatte. „Sie haben Besuch.“

Alex blickte erstaunt in Richtung seines Schreibtisches. Um den Tisch waren mehrere seiner Kollegen versammelt, die sich anscheinend köstlich zu amüsieren schienen. Lachen und Scherzworte flogen durch die Luft, sie schwebten wie Fremdkörper über der sonst eher muffigen Büroatmosphäre. Als Alex genauer hinsah, bemerkte er die Beine. Beine, an die er sich nur allzu gut erinnern konnte. Im Gegensatz zum letzten Mal schauten sie heute unter einem züchtigen gelben Kostümrock hervor.

Heute war Bess in einen Blazer und eine Bluse mit rundem Ausschnitt gekleidet, die Bluse hatte dieselbe Farbe wie der Rock. Während sie lachte, klimperten ihre goldenen Ohrringe. Sie sieht viel besser aus als bei unserer letzten Begegnung, musste Alex widerstrebend zugeben. Ohne den rot geschminkten Mund fand er sie viel sexier. So kamen ihre vollen Lippen noch besser zur Geltung. Zum ersten Mal bemerkte er auch die vielen Sommersprossen und ihre großen grünen Augen. Bess’ Haar war von einem tiefen Mahagonirot, das Alex an eine Skulptur erinnerte, die sein Bruder vor vielen Jahren einmal für ihn geschnitzt hatte.

„Und dann habe ich dem Bürgermeister vorgeschlagen, in einer unserer Serien eine kleine Gastrolle zu spielen. Was soll ich Ihnen sagen, es wurde ein durchschlagender Erfolg!“ Mit einem Mal erblickte Bess Alex. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben und sah sie stirnrunzelnd an. „Oh, Officer Stanislaski!“

„Miss McNee.“ Alex nickte kurz. „Darf ich fragen, was Sie an meinem Schreibtisch zu suchen haben?“

„Ich habe mir nur erlaubt, Ihre Kollegen ein wenig zu unterhalten. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.“

„Also, was kann ich für Sie tun?“

Bess erhob sich langsam. Ohne die hochhackigen Schuhe war sie fast einen Kopf kleiner als Alex. Er musste insgeheim zugeben, dass es ihm so wesentlich lieber war. „Ich wollte mich eigentlich nur bei Ihnen bedanken. Sie haben schließlich dafür gesorgt, dass ich nicht allzu lange in Polizeigewahrsam verbringen musste.“

„Keine Ursache. Dafür werde ich ja auch bezahlt.“ Alex’ Ton war kurz und knapp. Dennoch schenkte Bess ihm ein strahlendes Lächeln.

„Nein, wirklich, ich bin Ihnen sehr dankbar. Die Sache hätte sehr unangenehm für mich werden können. Um ein Haar hätte mir meine Produzentin wegen der Sache nämlich großen Ärger gemacht.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Alex zog die Lederjacke aus und hängte sie über seinen Stuhl. „Sie ist es bestimmt nicht gewöhnt, dass ihre Autorinnen nebenberuflich auf der dreiundzwanzigsten Straße und Eleventh Avenue anschaffen gehen.“

„Recherchieren gehen“, korrigierte Bess ungerührt. „Ach, übrigens … haben Sie auch einen Vornamen, oder werden Sie immer mit Officer angesprochen?“

„Detective ist die genaue Bezeichnung für meinen Berufsstand.“

„Und Ihr Vorname?“

Es war offensichtlich, dass Bess nicht locker lassen würde. Seufzend gab er nach. „Alex.“

„Ihr Name gefällt mir.“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch, Alex, aber ich habe mir überlegt, ob ich Sie vielleicht ab und zu benutzen dürfte.“

„Benutzen dürfte?“

„Na ja, was mich betrifft, so sind Sie einfach perfekt.“ Sie sah ihn von oben bis unten an, etwa so wie eine Frau, die ein Kleid in einem Schaufenster entdeckt, das ihr ganz besonders gut gefällt.

Alex hatte schon viel erlebt, aber das hier ging einfach über seinen Verstand. „Ich würde wirklich gern wissen, was Sie damit sagen wollen, Miss McNee.“

Ihre Augen waren von einem satten Grün. Kein Schimmer von Grau oder Blau, keinerlei Goldflecken. Neben ihrem Mund befand sich ein kleines Grübchen. Nur eines – nichts an diesem Gesicht war symmetrisch, aber gerade dies verlieh ihm etwas Einmaliges. Gegen seinen Willen musste Alex sich eingestehen, dass er Bess unwiderstehlich sexy fand.

„Ich würde gern ein wenig Ihrer Zeit beanspruchen. Nicht sehr viel, versteht sich, etwa eine Stunde am Tag, schätze ich.“

„Eine Stunde? Hören Sie, ich …“

„Sie sind doch nicht verheiratet, oder?“

„Verheiratet? Nein, aber …“

„Sehr gut, das vereinfacht die Sache. Natürlich werde ich Sie für Ihre Zeit und all Ihre Ausgaben entschädigen.“

Großer Gott, die Frau machte ihn eindeutig nervös! „Ich will jetzt endlich wissen, wovon Sie sprechen, McNee!“

Bess sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an. „Also, es geht um Folgendes: Ich habe nämlich dieses Problem mit Matthew.“

„Matthew? Wer zum Teufel ist Matthew?“

„Sein richtiger Name ist Storm, um genau zu sein. Lieutenant Storm Warfield, er kommt aus Millbrook, P. D.“

Alex fühlte, wie er langsam Kopfschmerzen bekam. „Millbrook?“

„Ja, Millbrook ist natürlich nur eine fiktive Stadt, irgendwo im Mittelwesten. Dort spielt unsere Serie, und Storm ist Polizist. Sein Privatleben ist leider ein einziges Chaos, aber beruflich gehört er zur ersten Garde. In dieser neuen Folge, an der ich gerade arbeite, geht es vor allem um das professionelle Milieu – das Leben eines Polizisten, die Routine, der tägliche Ärger, aber auch die Highlights.“

Langsam kam Licht in das Dunkel. „Und Sie wollen, dass ich Ihnen diese Details liefere?“

„Ja, genau. Ich versuche immer so lebensecht wie möglich zu recherchieren. Das gibt den Figuren dann mehr Farbe.“

Alex stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Sie sind wirklich ein Kaliber, McNee!“

„Sie müssen sich ja nicht sofort entscheiden“, gab Bess ungerührt zurück. „Nehmen Sie sich Zeit, überlegen Sie es sich genau. Ach, übrigens, ich gebe heute Abend eine kleine Party. Vielleicht haben Sie ja Lust zu kommen. Sie und Ihr Partner, wenn Sie wollen. Er scheint sehr nett zu sein.“

„Reizend“, erwiderte Alex grimmig.

„Alexej!“

Bess wandte überrascht den Kopf. Alexej. Ja, das klang sehr gut, sehr exotisch, nicht so förmlich wie Alex.

Eine Frau kam auf sie zu, deren Anblick man nicht so schnell vergessen würde. Sie war äußerst attraktiv, sehr selbstsicher und vor allem hochschwanger. Alex erhob sich seufzend.

„Hallo, Rachel.“

„Ich hätte Sie gern eine Sekunde gesprochen, Detective.“ Ihre Stimme klang ausgesprochen autoritär.

„Ist das etwa Ihre Schwester?“

Alex sah Bess überrascht an. „Woher wissen Sie das?“

„Na, das sieht man doch. Sie haben denselben Mund, die gleichen hohen Wangenknochen, dieselbe Haarfarbe.“

„Stimmt.“ Obwohl Rachel sehr gern gewusst hätte, was dieser Rotschopf mit ihrem Bruder zu tun hatte, ging ihr doch ihr Anliegen vor. Schließlich war sie eine sehr gute Verteidigerin. „Ich will mit dir über Jesus Domingo sprechen, Alexej. Du hattest kein Recht, ohne einen Durchsuchungsbefehl in seiner Wohnung herumzustöbern.“

„Nein, das war auch nicht nötig“, gab Alex ungerührt zurück. „Er hat uns ganz zivilisiert hereingebeten, und als ich ihm dann die Fotos von dem Mordopfer zeigte, wurde ihm plötzlich schlecht. Ich habe mich erboten, ihm etwas Eis zu holen, und fand dann das Kokain im Kühlschrank – zwei Kilo, säuberlich verpackt. Aber das kannst du alles in meinem Bericht nachlesen.“

„Ach komm, Alex, das glaubt dir doch kein Mensch!“

„Wir werden sehen.“

„Also, ich finde …“ Rachel hielt mitten im Satz inne, weil ihr übel geworden war. Das Baby wurde zwar erst in zwei Monaten erwartet, aber solche Anfälle waren in letzter Zeit öfters vorgekommen. Alex sah sie besorgt an.

„Willst du dich nicht setzen?“

„Nein, mir geht’s gut.“ Rachel wandte sich Bess zu und hielt ihr die Hand hin. „Da mein Bruder anscheinend nicht vorhat, uns einander vorzustellen, möchte ich das hiermit tun. Ich bin Rachel Muldoon.“

„Bess McNee. Sind Sie Anwältin?“

„Ja, allerdings. Ich arbeite als Pflichtverteidigerin.“

„Oh, das ist ja sehr interessant. Vielleicht können Sie mir sagen, wie …“

Alex hob gebieterisch die Hand. „Nein, nicht jetzt, Miss McNee. Du musst dich vor ihr vorsehen, Rachel. Bevor du weißt, wie dir geschieht, hat sie dir schon ein Loch in den Bauch gefragt. Sie werden uns jetzt sicher entschuldigen, Miss McNee. Wie Sie sehen, haben wir zu arbeiten.“

„Oh ja, natürlich, ich verstehe.“ Bess griff nach ihrer Tasche. „Wir sehen uns dann ja hoffentlich heute Abend noch. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen, Mrs. Muldoon.“

„Ja, ganz meinerseits.“ Rachel und Alex sahen Bess hinterher, die zielsicher dem Ausgang zustrebte. „Mann, du warst ganz schön grob zu ihr.“

„So muss man sie behandeln, sonst kommt man bei ihr nicht durch, glaub mir.“

„Irgendwie interessant, das Mädchen. Woher kennst du sie eigentlich?“

„Frag mich lieber nicht!“ Alex ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Plötzlich fiel ihm ein neuartiger Geruch auf – Sex und Sonnenschein lagen mit einem Mal in der Luft. Das war der Duft, den Bess hinterlassen hatte, und er gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Ich kann nicht glauben, dass wir wirklich dorthin gehen!“ Holly, Judds hübsche junge Frau, war völlig aus dem Häuschen vor Aufregung. „Was meinst du, wie mich morgen das ganze Lehrerkollegium beneiden wird, wenn ich ihnen davon erzähle!“

„Ach komm, nimm das Ganze doch nicht so ernst.“ Unbehaglich zupfte Judd an seiner Krawatte. Normalerweise trug er keine, aber Holly hatte darauf bestanden. „Es ist doch nur eine Party.“

„Nur eine Party?“ Nervös strich Holly sich das dunkelbraune Haar zurecht. „Ich weiß ja nicht, wie es euch beiden geht, aber ich werde nun einmal nicht jeden Tag bei prominenten Leuten zum Essen eingeladen.“

Alex entgegnete darauf nichts. Er sah verschlossen aus. Im Stillen fragte er sich, was ihn wohl dazu bewogen haben mochte, Bess’ Einladung anzunehmen. Es war bestimmt auch ein Fehler gewesen, Judd davon zu erzählen. Judd hatte nämlich nichts Besseres zu tun gehabt, als sofort seine Frau anzurufen, und Holly war natürlich Feuer und Flamme gewesen.

Alex hatte keine andere Wahl gehabt, als sich den beiden anzuschließen.

Aber er würde nicht lange bleiben, so viel stand fest. Er würde ein Bier trinken, vielleicht ein paar Cracker essen und dann verschwinden. Prominente waren noch nie sein Fall gewesen.

„Oh wow!“ Als sich die Türen des Fahrstuhls öffneten, stieß Holly einen kleinen bewundernden Schrei aus.

Die Wände des Foyers des großräumigen Apartments, das sie betraten, waren mit einem abstrakten Plan der großen Straßen und Plätze New Yorks bemalt. Times Square, Rockefeller Center, Harlem, Little Italy, die Bronx und der Broadway breiteten sich vor den Besuchern aus. Die Menschen schwärmten durch die Räume, und es schien, als würde das Leben in der Stadt hier noch einmal nachgespielt, auf einer privateren, intensiveren Ebene.

Die große Flügeltür in den Hauptraum stand weit offen. Musik und Lachen erfüllte die Luft, zusammen mit dem köstlichen Geruch heißen Essens und dem Wachs der vielen Kerzen in den Kerzenständern.

„Oh Mann!“ Genauso hatte Holly es sich vorgestellt. Ungeduldig zog sie ihren Mann hinter sich her. Danach betrat Alex das Foyer. Der Raum war voller Menschen. Sie trugen Designer-Klamotten oder teure Maßanzüge, manche waren sogar in Abendkleidung gekommen. Dicht gedrängt standen sie auf dem blank gebohnerten Parkett und unterhielten sich angeregt. Andere hatten es sich zwischen den seidenen Sitzkissen auf der großen Couch gemütlich gemacht, die sich in Hufeisenform an der Empore entlangzog. Von dort aus führte eine kleine Wendeltreppe in den Studiobereich.

Der große Mittelraum wurde von zwei Panoramafenstern flankiert, die einen atemberaubenden Blick auf die Stadt boten. Mit ihren Tellern und Gläsern hatten sich einige der Gäste dorthin zurückgezogen. Auch hier luden kleine Sofas zum Sitzen ein.

Besonders auffällig waren die Bilder. Bess hatte offensichtlich einen sehr modernen Geschmack. Abstrakte, vor allem surrealistische Kunst gab es hier zu sehen, und die lebhaften, fast grellen Farben fielen sofort auf.

Inmitten all dieser Farben und der vielen Leute sah Alex plötzlich Bess. Sie tanzte und schmiegte sich eng an einen vornehm aussehenden älteren Herrn im grauen Nadelstreifenanzug.

Ihr Kleid war ein atemberaubender Traum in Dunkelblau, der Farbe von dunklen Trauben. Es ließ den Rücken frei, war in der Taille schmal geschnitten und hatte einen schwingenden Rock. Zwei dünne Spaghettiträger hielten die Kreation. Dazu trug Bess lange bernsteinfarbene Ohrringe und goldene Sandaletten.

Noch nie, so musste Alex widerstrebend zugeben, hatte sie so gut ausgesehen. Am liebsten hätte er sie sofort aus den Armen des älteren Mannes entführt, dorthin, wo er mit ihr allein sein konnte.

„Oh, sieh mal, dort ist Jade! Und Storm und Vicky! Oh, und auch Dr. Carstairs!“ Holly war außer sich vor Begeisterung. Endlich sah sie ihre Helden aus dem Fernsehen in Lebensgröße vor sich.

„Ja, und weißt du, wen ich sehe?“ Auch Judd musste sich eingestehen, dass er beeindruckt war. „Dort drüben steht L.D. Strater, der Topmanager von General Motors. Und hinten in der Ecke unterhält sich unser Bürgermeister gerade mit Hannah Loy, der großen alten Dame vom Broadway. Mann, ich habe wirklich den Eindruck, die ganze New Yorker Prominenz hat sich hier versammelt.“

Alex hörte den beiden zwar zu, aber in Gedanken war er nur bei Bess. Als hätte sie dies gespürt, drehte sie sich plötzlich um und erblickte die Neuankömmlinge. Sie hörte auf zu tanzen, verabschiedete sich von ihrem Partner mit einem Wangenkuss und ging dann auf sie zu.

„Wie schön, dass Sie kommen konnten“, sagte sie warm und hielt Holly die Hand hin. „Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen.“

„Oh, die Freude ist ganz auf meiner Seite!“ Vor lauter Aufregung errötete Holly leicht.

„Wie wär’s mit einer Erfrischung?“ Einladend wies Bess auf das große Buffet. Zu Alex’ Überraschung gab es keine Lachs- und Kaviarhäppchen, wie er im Stillen befürchtet hatte, sondern äußerst anständig aussehende Spaghetti mit verschiedenen Soßen, dazu Knoblauchbrot, Rotwein und alle möglichen interessanten Vorspeisen.

„Wir feiern heute auf Italienisch“, erklärte Bess fröhlich. „Wie wär’s, Holly, hätten Sie Lust, einige unserer Stars kennen zu lernen?“

Holly nickte stumm. Bess sagte den beiden Männern noch, sie sollten sich ganz wie zu Hause fühlen, dann entschwand sie mit Judds Frau in der Menge.

Alex hatte noch immer nicht vor, lange zu bleiben. Aber er sah auch nicht ein, dass er sich nicht amüsieren sollte, wenn er schon einmal da war. Außerdem war das Essen wirklich ausgezeichnet. Und mit Sicherheit bot diese Party eine Abwechslung nach all dem Ärger und den unerfreulichen Umständen, mit denen er sich normalerweise in seinem Berufsalltag auseinander setzen musste.

Schließlich ließ er sich zufrieden mit einem Glas Wein auf einem der Fenstersitze nieder. Es dauerte nicht lange, und Bess erschien. Sie setzte sich neben ihn und stieß mit ihm an.

„Sie haben ja hier einen richtigen Logenplatz.“

„Ja, vielen Dank nochmal für die Einladung.“

„Ich hoffe, dass es Ihnen gefallen wird.“ Bess lächelte ihn an. „Ich weiß schon, Sie zerbrechen sich wahrscheinlich gerade den Kopf darüber, was alle diese Menschen hierher treibt, nicht wahr?“

„Ich zerbreche mir vor allem darüber den Kopf, was mich hierher treibt! Ach, übrigens …“ Er wischte einen kleinen Sahneklecks von ihrem Mund. „Sie erlauben doch?“

Für eine Sekunde erschien es Bess, als setze ihr Herzschlag aus. Auch ihr Mund fühlte sich plötzlich sonderbar trocken an. „Äh, ja, natürlich … danke. Nun, ich nehme an, Sie waren einfach neugierig, wie es auf solchen Veranstaltungen zugeht. Wie ist es, soll ich Ihnen etwas über die Gäste erzählen?“

„Wenn Sie wollen.“ Alex genoss Bess’ Gesellschaft mehr, als ihm lieb war.

„Sehen Sie diesen attraktiven Mann dort hinten, den mit der großen Blondine neben sich?“

Alex verrenkte sich den Hals. „Ja, ich finde ihn allerdings nicht besonders attraktiv.“

Bess lachte. „Sie sind ja auch keine Frau! Das ist mein Detektiv, Storm Warfield, das schwarze Schaf des Warfield-Clans. Sie sollen mein Vorbild für ihn sein.“

Alex schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich finde aber nicht, dass wir uns ähnlich sehen.“

Bess lachte. „Darum geht es auch nicht. Ich brauche Ihre Erfahrung, um die Figur lebensnah beschreiben zu können. Selbstverständlich ist meine Produzentin bereit, Sie für alle entstehenden Unkosten zu entschädigen. Aber für uns ist diese Sache ungeheuer wichtig. Wir sind seit neun Monaten an erster Stelle in der Gunst der Zuschauer, und diesen Platz wollen wir unbedingt behalten.“ Plötzlich rief jemand Bess’ Namen, und sie winkte dem Gast zu. „Hören Sie, Alex … ich glaube nicht, dass die Party heute sehr lange dauern wird. Wenn Sie Lust hätten, noch ein wenig zu bleiben, würde ich mich freuen. Danach könnten wir uns dann ein wenig unterhalten.“

Alex nickte, und Bess erhob sich, um sich um die anderen Gäste zu kümmern.

Während der nächsten Stunde ließ sie ihn nie ganz aus den Augen. Dabei entging ihr seine Wirkung auf die anwesenden Frauen keineswegs. Es überraschte sie auch nicht, dass er sich ausgezeichnet aufs Flirten verstand. Selbst Lori, ihre Kollegin, blieb von seinem Charme nicht unberührt.

„Das ist also der Mann, der dich verhaftet hat?“ fragte sie Bess neugierig.

„Ja, das ist er. Was hältst du von ihm?“

An Stelle einer Antwort schnalzte Lori genießerisch mit der Zunge, was wohl so viel wie „erste Sahne“ bedeuten sollte. Und das wollte viel heißen, denn schließlich war auch Steven Marshall alias Brock Carstairs im Raum, der Mann, mit dem Lori gerade durch eine äußerst schmerzhafte Trennung ging.

„Ja, ich kann verstehen, dass er dir gefällt“, meinte sie beifällig zu Bess. „Aber ich möchte dich auch daran erinnern, dass zwei deiner ehemaligen Verlobten anwesend sind.“

„Ach komm, hier sind doch auch noch ganz andere Leute. Außerdem muss ich dir widersprechen. Ich war mit Lawrence nicht verlobt.“

„Nein, er hat dir nur einen Ring geschenkt, der ungefähr zwanzigtausend Dollar wert gewesen sein muss.“

„Er schätzt mich eben sehr“, erwiderte Bess achselzuckend. „Aber ich habe nie versprochen, ihn zu heiraten. Und Charlie und ich …“ Sie winkte Charles Stutman, dem bekannten Dramaturgen, zu. „Wir waren nur für ein paar Monate verlobt. Danach fanden wir beide, dass Gabrielle viel besser zu ihm passt, und lösten die Verlobung in gegenseitigem Einverständnis.“

„Ja, das ist das erste Mal, dass eine ehemalige Verlobte bei der Hochzeit ihres Exverlobten Trauzeugin war“, meinte Lori. „Ich weiß wirklich nicht, wie du das machst, Bess. Du scheinst dich nie sonderlich zu grämen, wenn deine Verbindungen in die Brüche gehen, und meist endet ihr auch noch als die allerbesten Freunde.“

„Ja, das ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht“, lachte Bess.

„Ich frage mich, wie es dir wohl mit diesem Polizisten gehen würde. Irgendwie habe ich nicht den Eindruck, als wäre er so leicht abzuschütteln, wenn er erst einmal Feuer gefangen hat.“

„Darüber nachzudenken ist ja wohl noch ein wenig zu früh“, erwiderte Bess abweisend.

„Na, mal sehen. Ich weiß doch, wie sehr du die Herausforderung liebst. Wie dem auch sei, ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns dann am Montag.“

„Ja, gut. Bis Montag also!“ Zufällig erhaschte Bess noch den Blick, den Steven Marshall Lori hinterherwarf, als sie den Raum verließ. Es war ein Blick voller Trauer und Bedauern.

Die meisten Leute leiden wirklich schrecklich unter der Liebe, dachte Bess seufzend. Dieses Schicksal schien ihr bisher erspart geblieben zu sein. Die meisten ihrer Verbindungen waren tatsächlich in freundschaftlichem Einverständnis aufgelöst worden. Sie hoffte, dass dies auch in Zukunft so bleiben würde.

Mit einem Mal bemerkte Bess, dass Alex sie ansah. In seinem Blick lag etwas, das ihr durch und durch ging. Doch bevor sie noch allzu lange darüber nachdenken konnte, wurde sie schon von einem Mann zum Tanzen aufgefordert und schwebte mit ihm davon.

3. KAPITEL

„Und wie oft geben Sie solche Partys?“ fragte Alex, der Bess’ Angebot auf einen letzten Cappuccino angenommen hatte und nun mit ihr in dem zwar leeren, aber scheinbar völlig verwüsteten Apartment saß.

„Immer dann, wenn mir danach ist.“ Das furchtbare Chaos störte Bess nicht besonders. Sie hatte eine Reinigungstruppe bestellt und wusste, dass sie gemeinsam mit der Unordnung schon fertig werden würden.

Außerdem genoss sie dieses herrliche Durcheinander sehr, sogar den Rauch und die zerbrochenen Gläser. Für sie bedeutete es einfach, dass ihre Gäste sich gut amüsiert hatten.

„Wie wär’s mit ein paar kalten Spaghetti?“ fragte sie Alex munter.

„Nein, danke.“

„Ich schon, ich habe einen Riesenhunger!“ Sie ging hinüber zum Buffet und füllte sich einen Teller. „Als Gastgeberin kommt man irgendwie nie richtig zum Essen.“ Mit einem behaglichen Seufzer streckte sie sich anschließend neben Alex auf dem Sofa aus. „Und wie hat Ihnen Bonnie gefallen?“

Alex sah sie verständnislos an. „Wer?“

„Bonnie! Die attraktive junge Frau, mit der Sie die ganze Zeit getanzt haben. Die Ihnen dann ihre Telefonnummer zugesteckt hat.“

„Ach ja, Bonnie.“ Alex nickte und griff in seine Tasche. „Jetzt erinnere ich mich. Wirklich ein nettes Mädchen.“

„Das finde ich auch.“ Genüsslich machte Bess sich über die Pasta her und legte die Füße auf den Kaffeetisch. Im Hintergrund erklang leise Musik aus der Stereoanlage. „Reizend von Ihnen, dass Sie noch geblieben sind, Alex.“

„Kein Problem. Ich hatte sowieso nichts anderes vor.“

„Gut! Ich wollte Ihnen nämlich ein wenig über unsere Serie erzählen, damit Sie auch wissen, was ich von Ihnen will.“

Alex sah sie aufmerksam an. „Schießen Sie los.“

„Also, Jade, die Frau, in die unser Detektiv verliebt ist, hat eine schizophrene Persönlichkeitsstruktur. Das hängt mit einem Kindheitstrauma zusammen, auf das ich im Moment aber nicht eingehen möchte.“

„Gott sei Dank!“

Bess lachte. „Jades Alter Ego, Josie, ist eine Nutte. Mit diesem Doppelleben hat Storm natürlich enorme Schwierigkeiten. Er ist vollkommen verrückt nach Jade, muss seine Leidenschaft für sie aber im Moment ein wenig zügeln, weil sie durch eine schwierige Phase geht.“

„Und zwar wegen Brock.“

Bess sah ihn begeistert an. „Ja, genau! Sie kapieren schnell. Wie dem auch sei, Storm ist also einerseits rasend verliebt und andererseits vollkommen frustriert. Und als wäre das noch nicht genug, muss er auch noch einen Fall lösen. Den Fall des Irren von Millbrook.“

„Des Irren von …“ Alex schüttelte den Kopf. „Oh Mann!“

„Entschuldigen Sie, das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Die Presse gibt Kriminellen nun einmal all diese Namen, sie meinen, das fördere die Auflage. Dieser Irre amüsiert sich jedenfalls damit, Frauen reihenweise mit einem pinkfarbenen Schal zu erdrosseln. Auch das ist ein Symbol, aber das sparen wir uns für später auf.“

„Dafür bin ich Ihnen wirklich sehr dankbar.“

An Stelle einer Antwort reichte Bess ihm eine Gabel mit Nudeln. Alex zögerte einen Moment, dann lehnte er sich hinüber zu ihr und nahm an.

„Genau wie im richtigen Leben beginnen die Zeitungsleute bald, auf Storm herumzuhacken“, fuhr Bess fort. „Sie können sich vorstellen, wie es in ihm aussieht. Die Presse ist ihm auf den Fersen, von seinen Vorgesetzten bekommt er Druck, und sein Privatleben ist ein einziges Chaos. Aber vor allem quält ihn immer wieder die Frage nach den Opfern. Wie kann er dem Mörder auf die Spur kommen? Welche Verbindung besteht zwischen den drei Todesfällen? Dazu kommt noch, dass ihm plötzlich klar wird, dass auch Jade in Gefahr ist. Und das heißt für ihn, er muss es irgendwie schaffen, seine persönlichen Gefühle von seinem beruflichen Auftrag zu trennen.“

„Aha, und von mir wollen Sie also wissen, wie so etwas in der Realität läuft.“

„So ist es.“

„Gut, hören Sie zu.“ Alex legte die Füße neben Bess’ auf den kleinen Tisch. „Also, zunächst trennt man diese Dinge nicht, so wie Sie eben gesagt haben. Das heißt im Klartext, in dem Moment, wo Sie beruflich unterwegs sind, zählt nichts anderes mehr. Ab da gibt es kein Privatleben. Das heißt, bis zu dem Moment, wo Sie wieder außer Dienst sind.“

„Sekunde mal.“ Bess stellte den Teller beiseite und stand auf. Aus ihrem Schreibtisch holte sie einen Notizblock und Kugelschreiber, dann machte sie es sich wieder neben Alex gemütlich. „Noch einmal“, sagte sie und begann zu schreiben. „Sie sagen mir also, ab dem Augenblick, wo Sie im Dienst sind, ist für alles andere kein Platz mehr?“

„Ja, und dafür gibt es auch einen guten Grund.“

„Und der wäre?“

„Ganz einfach – diese Grundregel zu beherrschen ist wichtig fürs Überleben. Außerdem möchte ich Ihnen gleich einige von Ihren Illusionen nehmen: Im Gegensatz zu dem, was man immer im Fernsehen sieht, besteht die meiste Arbeit eines Polizisten einfach aus Routine. Das Problem ist nur, man muss diese Routine unbedingt ernst nehmen, obwohl es natürlich oft sehr langweilig ist. Aber jeder Fehler, den man macht, kann einem schnell das Genick brechen.“

„Und wie sieht es dann aus, wenn Sie auf Patrouille gehen?“

„Eigentlich genauso. Auch dies ist ein Teil der täglichen Routine, aber dafür gilt genau das, was ich eben gesagt habe. Sie müssen diesen Job bitterernst nehmen, und zwar ohne Unterbrechung. Sie können es sich einfach nicht leisten, über Ihre letzte Mieterhöhung oder den Streit mit Ihrer Frau nachzudenken, denn wenn Sie nur für einige Minuten abgelenkt sind, kann Sie das gegebenenfalls schon das Leben kosten.“

Bess sah ihn erstaunt an. Die Worte klangen fast melodramatisch, aber sie erkannte, dass dies für Alex nur Alltagsrealität war – ein Umstand, mit dem er Tag für Tag umgehen musste. „Haben Sie denn gar keine Angst?“

Alex lachte. „Dafür bleibt oft einfach keine Zeit. Alles kommt auf Ihre schnellen Reaktionen an.“

„Aber was ist mit der Angst, die Sie um andere haben könnten, zum Beispiel Menschen, die Sie lieben?“

„Es mag Sie zwar schockieren, doch ich kann mich nur wiederholen. In unserem Beruf gibt es keinen Platz für private Rücksichtnahmen. Wenn Sie zu sehr in Ihren privaten Sorgen verstrickt sind, könnten Sie auch für Ihren Partner eine Gefährdung darstellen.“

„Ich kann mir das nur schwer vorstellen“, entgegnete Bess stirnrunzelnd. „Meiner Meinung nach muss es für jeden Menschen, ob Polizist oder nicht, eine Möglichkeit geben, Dampf abzulassen. Und auch bei Ihnen wird das nicht anders sein, denn sonst würden Sie mit dieser enormen Spannung ja gar nicht fertig werden können. Was tun Sie, um Dampf abzulassen, Alex?“

Er brauchte einen Moment, bevor er antworten konnte. Er hatte Bess fasziniert beobachtet, die Art, wie sie gestikulierte, wie sie auf ihrem Stuhl hin und her rutschte, wenn sie etwas Wichtiges zu sagen hatte. Diese Frau konnte einfach nicht still sitzen! „Äh, wie? Ich habe die Frage nicht ganz verstanden.“

Geduldig wiederholte Bess ihre Frage.

„Oh, ich trete jeden Morgen ein paar kleine Hunde, die mir über den Weg laufen.“

Bess verstand sofort, was er ihr damit sagen wollte.

„Die Frage war Ihnen wohl zu persönlich, stimmt’s? Na gut, wir werden später darauf zurückkommen.“

Alex schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Ich habe nichts dagegen, Ihre Frage zu beantworten. Und natürlich haben Sie Recht, jeder braucht ein Ventil. Für mich ist es mein Fitness-Studio. Ich gehe dort mehrmals die Woche hin und reagiere mich an einem Punchingball ab. Oder ich mache Gewichtheben. Oder ich schwitze den Frust einfach nur aus.“

„Aha, verstehe.“ Lächelnd streckte Bess die Hand aus und befühlte seinen Bizeps. „Nicht schlecht“, meinte sie anerkennend. Dann bog sie selbst den Arm und lud ihn ein, ihre Muskeln zu testen.

„Ich trainiere auch mehrmals wöchentlich“, gestand sie. „Um ehrlich zu sein, ich bin geradezu süchtig danach. Aber irgendwie schaffe ich es nicht, meinen Trizeps aufzubauen.“

Alex überzeugte sich selbst davon. Es war das erste Mal, dass er sie berührte. „Ich finde, Ihr Trizeps ist schon sehr ausgeprägt.“

„Vielen Dank für das Kompliment.“ Bess konnte nicht verhindern, dass sie errötete. Am liebsten hätte sie ihren Arm wieder zurückgezogen, aber Alex wollte sie nicht loslassen. „Was soll das werden, Detective – ein kleiner Ringkampf?“

Ihre Haut ist so zart wie Blütenblätter, dachte Alex bei sich. Langsam fuhr er ihr über den Ellenbogen und dann den Unterarm entlang bis zum Handgelenk. Bess lächelte noch immer, aber er spürte, wie ihr Puls raste. In diesem Moment erkannte er, dass er im Begriff war, sich auf gefährliches Gebiet zu wagen. Um der Versuchung zu widerstehen, erhob er sich. Die unkomplizierte Bonnie war nun wirklich eher sein Fall als diese wissbegierige junge Dame.

„Tut mir Leid, ich muss jetzt gehen.“

Der Bann war gebrochen. Bess wusste nicht, ob sie deswegen traurig oder erleichtert sein sollte. Während sie Alex zur Tür brachte, fragte sie möglichst beifällig: „Stanislaski – ist das nun polnisch oder russisch?“

„Wir kommen aus der Ukraine.“

„Ach, wirklich? In der Ukraine liegen doch auch die Karpaten, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt.“ Durch dieses Gebirge war seine Familie geflohen. Alex war damals erst ein Baby, und dennoch konnte er die Verbindung zu seiner fernen Heimat deutlich spüren. „Waren Sie etwa dort?“

„Nein, leider noch nicht. Aber ich habe viel darüber gelesen. Geografie war mein Lieblingsfach in der Schule.“ Bess reichte ihm seine Lederjacke. Sie standen nahe beieinander, und als sie erneut in seine dunklen Augen blickte, zog sich ihr Herz zusammen. „Werden Sie sich denn noch einmal Zeit für mich nehmen?“

Es verlangte Alex sehr danach, sie noch einmal zu berühren, aber er riss sich zusammen. „Sie wissen, wie Sie mich erreichen können“, erwiderte er. „Sobald es mir möglich ist, können wir uns wieder unterhalten.“

„Wunderbar, vielen Dank!“ Bess stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Es war ein formeller Kuss, so wie er auch zwischen Fremden ausgetauscht wurde. Aber das stand in keinem Verhältnis zu dem, was Alex dabei empfand.

Auch Bess war von dieser Geste mehr berührt, als sie erwartet hatte. Alex roch sehr männlich – nach Leder, Wein und einem undefinierbaren Gewürz, das sie sehr exotisch fand.

„Gute Nacht, Alexej.“

Er nickte. Die Kehle war ihm plötzlich wie zugeschnürt, deshalb verzichtete er darauf, etwas zu entgegnen. Als er vor dem Fahrstuhl angekommen war, blickte er sich noch einmal um. Bess stand in der Tür, sie winkte ihm ein letztes Mal zu, dann wollte sie die Tür schließen.

Zu ihrer beider Überraschung überlegte es sich Alex mit einem Mal anders. Er ging schnell zurück und stellte einen Fuß in die Tür. Es kam so plötzlich, dass Bess automatisch einen Schritt zurücktrat. Was sie in seinen Augen sah, ließ sie frösteln, aber nach außen hin blieb sie gefasst.

„Haben Sie etwas vergessen, Detective?“

„Ja, allerdings.“ Langsam und gleichzeitig sehr entschieden legte er den Arm um ihre Hüfte und zog sie zu sich heran. „Ich bin es gewöhnt, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.“

Bess hatte keine Zeit, über seine Worte nachzudenken. Die plötzliche Nähe zu ihm und das Gefühl von Hitze, das sie überkam, raubten ihr den Atem. Alex zog sie immer näher zu sich, bis seine Lippen nur noch wenige Zentimeter von ihrem Mund entfernt waren.

Bess’ Augen weiteten sich, sie hielt den Atem an. Immer näher kamen seine Lippen, dann berührten sie die ihren in einem langen, tiefen Kuss, der sie alles um sich herum vergessen ließ.

Sie hörte nur noch das Blut in den Adern rauschen und ihren eigenen wilden Herzschlag. Dann stieß sie unwillkürlich einen kleinen Seufzer aus. Alex’ Zungenspitze bewegte sich aufreizend zwischen ihren Lippen, als wolle er sie verführen.

Das Ganze geschah wie in Zeitlupe, aber das machte es nur umso erregender, und sie spürte ihre Knie weich werden. Eng an Alex gepresst, fühlte sie, wie die Flamme der Leidenschaft durch ihre Körper schoss.

Dabei kam ihr nicht eine Sekunde lang der Gedanke, sich zu wehren. Die Art, wie Alex sie küsste, langsam, genüsslich, als ließe er eine Maraschino-Kirsche auf den Lippen zergehen, hypnotisierte sie bis zur Willenlosigkeit.

Insgeheim war Alex über sich selbst erstaunt. Er hatte dies nicht geplant, obwohl er seit Stunden an nichts anderes hatte denken können. Aber trotz des Vergnügens, das er empfand, als er Bess jetzt in seinen Armen hielt, trotz der enormen erotischen Spannung, die er zwischen ihnen spürte, wusste er, dass er einen großen Fehler gemacht hatte.

Bess war überhaupt nicht sein Typ, das stand fest. Wenn er jetzt nicht aufpasste, würde es kein Zurück mehr geben.

Es kostete ihn alle ihm zur Verfügung stehende Willenskraft, um sich von Bess zu lösen. Er hielt sie noch einen kleinen Moment lang in den Armen, unwillig und fast auch unfähig, den Kontakt abzubrechen, dann machte er sich langsam von ihr los.

Bess hatte die Augen geschlossen gehabt. Jetzt öffnete sie sie langsam, wie aus einem Traum erwachend.

„Sie, äh …“ Wo war auf einmal ihre Schlagfertigkeit? Nach diesem Angriff auf all ihre Sinne war Bess mit einem Mal völlig sprachlos.

Alex verzichtete auf eine Antwort, er lächelte nur und ging dann schnell auf den Fahrstuhl zu. Obwohl er nach außen hin durchaus entspannt wirkte, betete er doch, dass der Fahrstuhl schnell kommen möge, bevor er es sich anders überlegen und noch einmal zurückkehren musste.

Bess stand noch immer in der Tür, sie hatte sich nicht bewegt.

„Also, bis dann, Miss McNee“, winkte Alex ihr zu, dann war er aus ihrem Blickfeld verschwunden.

„Ja, bis dann.“ Bis ins Mark erschüttert, starrte sie den Gang hinunter. „Bis zum nächsten Mal, Detective Stanislaski.“

„Holly kann über nichts anderes mehr als über die Party reden“, sagte Judd zu Alex. Die beiden machten gerade ihre Routinefahrt über den belebten Broadway. „Mit einem Mal ist sie dadurch zur beliebtesten Lehrerin im Kollegium geworden.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen.“ Alex’ Ton lud nicht gerade zum Plaudern ein. Er hatte keine Lust, über Bess’ Party nachzudenken, und schon gar nicht über das, was danach geschehen war. Die Arbeit war das Einzige, was ihn wirklich interessieren sollte. Und Arbeit bedeutete im Moment, dass er und Judd versuchten, den spärlichen Hinweisen nachzugehen, die sie aus Domingo hatten herauslocken können.

„Laut Domingos Aussage hatte Angie Horowitz ihm etwas von einem neuen Freier erzählt, den sie getroffen hatte. Er hatte sie an zwei aufeinander folgenden Mittwochen gebucht, sah anscheinend fabelhaft aus und gab außerdem noch ein hohes Trinkgeld.“

Judd nickte. „Ja, und an einem Mittwoch ist sie auch ermordet worden. Genau wie Rita Shaw. Aber das will ja noch nicht sehr viel heißen.“

„Wer weiß.“ Alex hatte allerdings leider auch nicht das Gefühl, viel weiterzukommen. Gemeinsam mit seinem Kollegen hatten sie eine Menge Zeit damit verschwendet, die Portiers der jeweiligen Stundenhotels in der Gegend zu befragen. Aber keiner hatte etwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört. Das Gleiche galt auch für die Prostituierten, die sie interviewt hatten. Eine Hure spuckte nun einmal einem Polizisten gegenüber nichts aus, das gehörte zur Berufsehre.

„Morgen ist übrigens Mittwoch“, bemerkte Judd hoffnungsvoll.

„Ja, ich weiß, dass morgen Mittwoch ist. Haben Sie denn nie …“ Alex brach mitten im Satz ab und stieß einen saftigen Fluch aus. Sie waren an einem Restaurant vorbeigekommen, und ein Gesicht hatte ihn gefangen genommen. Er kannte nur eine Person, die diese Haarfarbe besaß. Wie unter einem inneren Zwang stehend, hielt er nach einem Parkplatz Ausschau.

„Arbeiten Sie wirklich fürs Fernsehen?“ fragte Rosalie gespannt.

Bess rührte gerade den dritten Löffel Zucker in ihren Kaffee. „Ja, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.“

„Ich hätte nie gedacht, dass sich jemand wie Sie für unseren Beruf interessieren würde.“ Genüsslich blies Rosalie Rauchkringel in die Luft. Sie dachte an die fünfzig Dollar, die Bess ihr gezahlt hatte, um sie für ihre Zeit zu entschädigen. Das hier war wirklich einmal etwas anderes, als Männern zu Willen zu sein, so viel stand fest. „Sie wollen also wissen, wie es ist, eine Hure zu sein.“

„Ich will nur das wissen, was Sie mir auch erzählen wollen“, entgegnete Bess stirnrunzelnd. Sie schob die Kaffeetasse von sich, ohne probiert zu haben. „Eines möchte ich hier klarstellen, Rosalie. Ich will Sie weder verurteilen noch zum Beichten zwingen. Was mich interessiert, ist Ihre Geschichte, Ihre ganz persönliche Geschichte. Und wenn Ihnen das zu intim sein sollte, reicht es auch, wenn Sie mir etwas über die Szene erzählen.“

„Ja, kein Problem. Mich hat nur gewundert, wie Sie an die Sache rangehen. Oder glauben Sie wirklich, es würde genügen, eine Perücke aufzusetzen und hohe Stöckel zu tragen, um zu wissen, was es heißt, anschaffen zu gehen?“

„Oh, über diesen Weg habe ich aber eine Menge herausgefunden“, erwiderte Bess lächelnd. „Ich weiß jetzt, dass es verdammt harte Arbeit ist, auf diesen hohen Schuhen stundenlang auf der Straße herumzustehen. Dazu kommt, dass man sich als Frau selbst verleugnen muss, wenn man in diesem Geschäft erfolgreich sein will. Außerdem ist mir aufgefallen, dass sich Ihre Kolleginnen nie die Gesichter der Freier ansehen. Darum geht es auch nicht. Nicht der Mensch zählt, sondern allein das Geld. Das Allerwichtigste allerdings scheint mir zu sein, dass es überhaupt nicht um Intimität geht, nicht einmal um Sex – sondern einzig und allein um Kontrolle.“ Jetzt trank sie doch einen Schluck Kaffee. „Habe ich Recht?“

Einen Moment lang blieb Rosalie stumm. „Sie sind wirklich nicht so blöd, wie Sie aussehen“, sagte sie dann.

„Vielen Dank für das Kompliment. Ja, das höre ich immer wieder – ganz besonders von Männern!“

„Verstehe.“ Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs lächelte Rosalie. Unter der dicken Schminke und trotz der Falten, die das Leben bereits in ihr Gesicht gegraben hatte, war sie doch eine sehr attraktive Frau von noch nicht einmal dreißig Jahren. „Eins will ich dir sagen, Schwester, die Freier, die kommen und mich kaufen wollen, sehen nur einen Körper. Etwas anderes interessiert sie nicht. Aber ich habe auch einen schlauen Kopf, und ich habe einen Plan. Ich mache diesen Job jetzt bereits seit fünf Jahren. Ich mache das nicht nochmal fünf Jahre.“

„Und was haben Sie sich vorgenommen? Was wollen Sie tun, wenn Sie nicht mehr anschaffen gehen?“

„Sobald ich genug gespart habe, gehe ich Richtung Süden. Ich werde mir einen dieser kleinen Caravans in Florida kaufen und mir dann einen ordentlichen Job besorgen. Vielleicht in irgendeiner Boutique. Sie glauben es vielleicht nicht, aber ich sehe in teuren Klamotten wirklich gut aus.“ Sie machte ihre Zigarette aus und zündete sich dann gleich eine neue an. „Viele der Mädchen haben solche Pläne, allerdings nur die wenigsten schaffen es auch. Ich werde es schaffen. Ich bin nämlich sauber.“ Rosalie hob die Arme hoch und zeigte sie Bess. Es dauerte einen Moment, bis Bess begriff, was sie ihr damit sagen wollte. Rosalie war nicht drogenabhängig.

„Noch ein Jahr, und dann bin ich weg. Vielleicht geht’s auch schneller, wenn ich einen reichen Freier erwische. Einer, der es regelmäßig haben will, verstehen Sie? Angie hatte Glück. Sie hat so einen Typen getroffen.“

„Angie?“ Der Name kam Bess sehr vertraut vor. „Angie Horowitz? Ist das nicht die Frau, die ermordet wurde?“

„Ja, stimmt.“ Rosalie befeuchtete ihre Lippen, bevor sie den Rauch ausstieß. „Sie war nicht vorsichtig genug. Ich bin immer auf der Hut.“

„Und wie stellen Sie das an?“

„Man muss vor allem immer nüchtern bleiben“, erklärte Rosalie Bess. „Angie nahm zum Beispiel gerne einen zur Brust. Sie brachte die Typen dazu, ihr Drinks zu kaufen. Aber das ist nicht besonders schlau. Dieser Freier von ihr, der Mann mit der vielen Knete, er …“

„Was zum Teufel plapperst du hier herum?“

Rosalie und Bess sahen auf. Neben ihrem Tisch stand ein hoch gewachsener Mann mit schmalen Schultern. Er hatte eine Zigarre zwischen die Zähne geklemmt und trug am kleinen Finger einen Diamantring. Sein Gesicht war sehr bleich, die kalten blauen Augen funkelten vor Zorn. Sein Haar war bereits grau und hinten zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden.

„Ich trinke nur einen Kaffee mit einer Freundin, Bobby“, erwiderte Rosalie. Nach außen hin wirkte sie gefasst, aber Bess spürte genau, dass sie Angst hatte.

„Du scherst dich jetzt wieder zurück auf die Straße, wo du hingehörst!“

„Entschuldigen Sie bitte.“ Bess sprach ihn höflich an. „Bobby, heißen Sie so?“

Er blitzte sie an. „Willst du vielleicht auch für mich arbeiten, Süße? Dann will ich dir gleich mal was sagen – ich mag keine Mädels, die nur rumhängen und nichts tun.“

„Vielen Dank für das Angebot, aber ich brauche keinen Job. Rosalie war nur so nett, mir bei einem kleinen Problem zu helfen.“

„Damit das klar ist, Schwester – wenn überhaupt, löst sie nur meine Probleme.“ Er sah Rosalie an und bewegte den Kopf in Richtung Straße. „Also los, schieb ab!“

Bess hatte den Eindruck, als müsse sie andere Seiten aufziehen. „Hören Sie mal, es ist doch wohl nicht verboten, sich zu unterhalten, oder?“

Bobby ignorierte sie völlig. „Ich sage dir, mit wem du dich zu unterhalten hast, Baby, kapiert?“ Er stieß Rosalie vor sich her und schob sie unsanft in Richtung Tür.

Bess überlegte nicht lange, sie reagierte einfach. Wenn es etwas gab, das sie verabscheute, dann war es Brutalität.

„He, Sekunde!“ Sie lief hinter den beiden her und packte den Mann am Arm. Er schüttelte sie ab, doch als sie nicht loslassen wollte, erhob er die Hand zum Schlag. Die anderen Gäste machten sich bereits aus dem Staub, als Alex in den Raum gestürmt kam.

„Pass auf, Bobby“, sagte er kalt. „Eine falsche Bewegung, und du bist ein toter Mann!“

Bobby ließ den Arm sinken und zuckte mit den Schultern. „Ich wollte eigentlich nur ‘nen Kaffee trinken. Stimmt doch, Rosalie, oder?“

„Ja, stimmt.“ Schnell versteckte Rosalie die Karte, die Bess ihr gegeben hatte. „Wir wollten hier nur Kaffee trinken, das ist alles.“

Alex konnte die Augen nicht von Bess abwenden. Sie schien in keiner Weise eingeschüchtert zu sein. Ihre Augen blitzten, und ihre Wangen waren vor Zorn gerötet. „Möchten Sie vielleicht Anzeige erstatten?“

Bess schüttelte den Kopf. Unwillkürlich hatte sie die Hände zu Fäusten geballt, jetzt ließ sie sie langsam sinken.

„Nein, das ist nicht nötig. Wir haben uns nur nett unterhalten. Vielen Dank noch einmal, Rosalie.“

„Keine Ursache.“ Rosalie stöckelte hinaus und warf Alex dabei einen verächtlichen Blick zu. Wie ihre übrigen Kolleginnen hatte sie eine Abneigung gegen Polizisten.

Auch Bobby machte sich zum Gehen bereit. „Der Kaffee ist hier sowieso miserabel“, meinte er geringschätzig. „Also dann vielleicht bis zum nächsten Mal, Süße.“ Grinsend ging er hinter Rosalie her und verließ den Raum.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, trat Alex auf Bess zu und packte sie ohne ein weiteres Wort beim Arm. Bess sah ihn erstaunt an.

„Hören Sie, es war sehr nett von Ihnen, einzugreifen, aber es war auch überflüssig. Ich kann mir selbst helfen, das können Sie mir glauben.“

„Sie wissen ja überhaupt nicht, in welche Gefahr Sie sich begeben!“ Alex war wirklich aufgebracht.

„Aber ich …“

Ungeachtet ihres Widerstands zog Alex Bess hinter sich her und brachte sie zum Wagen.

„Was soll das, Alex? Ich kann mir ein Taxi nehmen! Oh, hallo, Judd.“

Mit einem kräftigen Fluch nahm Alex hinter dem Steuer Platz. Bess blieb gar nichts anderes übrig, als einzusteigen.

„Wie geht es Holly?“

„Sehr gut, danke.“ Selbst Judd entging die Spannung nicht, die auf einmal in der Luft stand. Und Alex’ finstere Miene ließ nichts Gutes ahnen. „Sie hat sich bei Ihnen auf der Party wirklich sehr gut amüsiert.“

„Das freut mich. Sie müssen unbedingt wiederkommen.“ Mit atemberaubender Geschwindigkeit bog Alex um die Ecke, sodass die Reifen quietschten. Bess schlug die Beine übereinander. „Darf ich fragen, wohin wir fahren, oder bin ich schon wieder verhaftet?“

„Ich sollte Sie wirklich auf die Wache bringen, nur um Ihnen eine Lektion zu erteilen“, entgegnete Alex grimmig. „Aber ich fahre Sie jetzt nach Hause.“

„Vielen Dank, zu liebenswürdig!“

Alex warf ihr einen Blick im Spiegel zu. Sie wirkte noch immer aufgebracht, aber er konnte keine Spur von Schuldbewusstsein bei ihr entdecken. Diese Frau war wirklich unglaublich!

„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie dumm sind, Miss McNee. Und wie die meisten dummen Leute macht Sie das leider auch sehr gefährlich.“

„Ach, ja?“ Bess lehnte sich nach vorn, zwischen die beiden Männer. „Und was bitte soll das heißen, Sie Besserwisser?“

„Das kann ich Ihnen sagen! Nicht genug damit, dass Sie sich einmal von mir in dieser Gegend wegen Prostitution verhaften lassen. Nein, es hat Ihnen dort anscheinend so gut gefallen, dass Sie unbedingt eines der Mädchen ansprechen und sich danach noch einen kleinen Streit mit ihrem Zuhälter leisten mussten. Ein Zuhälter, der es gewöhnt ist, seine Nutten zu schlagen.“

„Sie haben die Situation völlig falsch verstanden“, entgegnete Bess stirnrunzelnd. „Ich habe mich mit dem Mädchen unterhalten, ja, aber das ist doch wohl noch nicht strafbar, oder? Es rechtfertigt jedenfalls nicht Ihr Verhalten, einfach ins Restaurant zu stürmen und mir eine Szene zu machen. Wie ich schon gesagt habe, ich kann auf mich selbst aufpassen!“

„Wenn ich nicht gekommen wäre, lägen Sie jetzt vielleicht mit gebrochener Nase im Krankenhaus, ist Ihnen das klar?“

„He, Alex!“

„Was ist denn, Judd?“

„Ich will euch zwar nicht unterbrechen, aber sie haben gerade etwas durchgegeben. Ein Raubüberfall auf einen Getränkehandel.“

Alex ließ sich von der Zentrale die genaue Adresse geben, dann schalteten sie die Sirene an und fuhren mit heulendem Blaulicht in die entgegengesetzte Richtung. Bess saß auf dem Rücksitz des Wagens und beobachtete alles mit leuchtenden Augen.

Als sie am Ziel ankamen, wandte Alex sich drohend zu ihr um. „Sie bleiben im Wagen, verstanden? Wenn nicht, drehe ich Ihnen den Hals um!“

„Keine Angst, ich bleibe hier.“ Jetzt war es Bess doch etwas mulmig zu Mute. Sie hatte beobachtet, wie die beiden Männer ihre Waffen in Bereitschaft genommen hatten. Mit einem Mal schien es doch noch ernst zu werden.

Fasziniert beobachtete sie die Wandlung, die in Alex’ Gesicht vor sich ging. Ab dem Moment, als er von dem Raubüberfall gehört hatte, war sie für ihn nicht mehr existent gewesen. Er hatte seine Polizistenmiene aufgesetzt und war wieder in seine berufliche Identität geschlüpft. Jetzt gab es nichts anderes mehr für ihn als den Job, der vor ihm lag – ein möglicherweise sehr gefährlicher Job.

Und noch etwas anderes hatte Bess beobachten können. Es war ein Ausdruck in seinen Augen gewesen, den sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Leben und Tod waren darin und ein Potenzial für Gewalt, das sie erschauern ließ. Bess schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Hoffentlich ging alles glatt!

In einem Punkt hatte Bess sich geirrt – Alex hatte sie nicht vergessen. Es ärgerte ihn zwar, denn er war stolz auf seine Fähigkeit, völlig abschalten zu können, wenn die Arbeit es verlangte. Aber mit Bess schien ihm das irgendwie nicht zu gelingen. Doch je näher er kam, desto mehr wurde er von der Szene vor ihm gefangen genommen.

Angst – das war das Erste, was er roch. Unschuldige Menschen waren in diesem Laden, ein Mann und eine Frau, und sie hatten Angst.

Alex bedeutete Judd, dass sie jeder einen der Eingänge übernehmen sollten. Er hoffte nur, dass sein Partner sich nicht von der eigenen Furcht übermannen lassen würde. Dies war Judds erster Einsatz bei einem Raubüberfall, und man konnte nie vorher wissen, wie ein Mann reagieren würde.

Die 9-mm-Waffe fühlte sich sicher und Schutz gebend in seiner Hand an. Er hatte die beiden Kriminellen bereits von außen erspäht. Der eine trug ein Gewehr mit abgesägtem Lauf, der andere eine 45er Pistole. Jetzt vernahm Alex auch die Stimme der Frau. Sie flehte die beiden Männer an, sie nicht zu verletzen. Alex versuchte sich davon nicht beeinflussen zu lassen. Wenn es nötig wäre, würden sie auch auf Verstärkung warten.

Nun waren die beiden Polizisten an den Laden herangekommen. Sie konnten genau sehen, was sich im Innern abspielte. Eine Frau von etwa sechzig Jahren stand weinend und händeringend neben der Kasse. Ein etwa gleichaltriger Mann leerte mit zitternden Händen den Inhalt. Einer der beiden Täter nahm sich eine Flasche Whiskey vom Regal und öffnete sie. Dann nahm er einen tiefen Schluck, zerbrach den Hals der Flasche und hielt sie dem alten Mann drohend vors Gesicht.

Alex kannte diese Sorte. Es würde ihm nicht genügen, einfach nur Geld zu erbeuten. Typen wie dieser weideten sich an der Angst ihrer Mitmenschen. Dies verlieh ihnen ein Machtgefühl. Es blieb also nicht mehr viel Zeit.

„Wir gehen rein“, bedeutete Alex seinem Partner. „Sie nehmen sich den Rechten vor, ich den Typen an der Kasse.“

Judd war bleich bis an die Haarspitzen, aber er nickte. „Gut, sagen Sie nur, wann’s losgeht.“

„Mach ich, und noch eins: Schießen Sie nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Auf geht’s!“

Alex hielt die Luft an und stürmte in den Laden.

„Polizei!“

Sofort wirbelte einer der beiden Männer herum und legte sein Gewehr an.

„Lassen Sie die Waffe fallen!“ rief Alex, obwohl er wusste, dass es zwecklos sein würde.

Unter den entsetzten Schreien der Frau eröffneten die Ganoven das Feuer. Alex erwischte einen von ihnen, der Mann taumelte unter schepperndem Getöse zurück ins Regal. Im gleichen Moment zischte eine Kugel aus der 45er dicht über Alex’ Kopf hinweg, um ein Haar hätte sie ihn getroffen. Alkohol und Glas spritzten in die Luft, dann gab es noch einen Schuss, dann war Stille. Judd hatte seinen ersten Einsatz und damit seine Einstiegsprüfung bestanden.

Langsam erhob sich Alex aus der Hocke, in die er gegangen war, um der Kugel zu entgehen. Er sah sich besorgt seinen Partner an. Judd war nicht mehr bleich, sein Gesicht hatte eine grau-grüne Farbe angenommen.

„Alles in Ordnung?“

Der jüngere Mann nickte benommen, dann steckte er seine Waffe ein. Langsam löste sich der Klumpen in seinem Magen auf. „Es war das erste Mal für mich.“

„Ja, ist mir klar. Gehen Sie nach draußen und schnappen Sie frische Luft.“

„Nein, danke, es geht schon wieder.“

Alex schlug ihm auf die Schulter. „Gehen Sie trotzdem nach draußen. Und sobald die Verstärkung kommt, sagen Sie ihnen Bescheid. Wir brauchen eine Ambulanz.“ Dann setzte er noch hinzu: „Gut gemacht, Judd.“

Bess wartete neben dem Wagen auf ihn, als Alex etwa zwanzig Minuten später wiederkam. Er sieht eigentlich genauso aus wie vorher, dachte sie. Aber dann hob er den Kopf und sah sie an, und sie wusste, dass sie sich geirrt hatte.

Bevor er in den Laden gestürmt war, hatten seine Augen nicht diesen schrecklich müden Ausdruck gehabt. Dies war erst in den letzten zwanzig Minuten passiert.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen im Auto bleiben.“

„Ja, das habe ich doch auch gemacht.“

„Dann setzen Sie sich auch gefälligst wieder rein!“

Bess lächelte ihn freundlich an und legte die Hand auf seinen Arm. „Alex, ich habe Sie schon verstanden. Sie brauchen sich jetzt nicht weiter um mich zu kümmern. Ich werde mir ein Taxi nach Hause nehmen. Sie haben schließlich genug hier zu tun.“

„Was ich zu tun hatte, ist erledigt.“ Ohne ein weiteres Wort nahm er hinterm Steuer Platz. Seine Stimme klang fest, sie duldete keinen Widerspruch. „Und jetzt steigen Sie bitte ein.“

Achselzuckend fügte sich Bess. „Und was ist mit Judd?“

„Er fährt auf die Wache, um Bericht zu erstatten.“

„Oh.“

Danach war es erst einmal still im Wagen. Alex hatte schon viele Überfälle erlebt, und immer wieder war es das Gleiche. Auch noch lange danach wollte das flaue Gefühl im Magen einfach nicht verschwinden. Und von einem körperlichen Gefühl verwandelte es sich schließlich in Ärger, Ekel und Frustration. Aber davon hatte er seinem jungen Kollegen natürlich nichts erzählt.

„Na, und wo bleiben Ihre Fragen?“ wandte er sich schließlich an Bess. „Es kann doch nicht sein, dass Sie nichts von mir wissen wollen. Wie es sich angefühlt hat. Was ich dabei gedacht habe. Und so weiter und so weiter.“

„Nein.“ Bess schüttelte den Kopf. „Ich muss Sie nichts fragen, Alex. Ich habe Augen im Kopf. Und die sagen mir alles, was ich wissen will.“

Das passte Alex überhaupt nicht. Es gefiel ihm nicht, dass Bess die Verständnisvolle spielte und ihn mitleidsvoll ansah. Irgendwie machte das das Ganze nur noch schlimmer. „He, nun tun Sie doch nicht so sensibel.“

Er versucht mir wehzutun, dachte Bess, aber es störte sie komischerweise nicht weiter. Das kannte sie von sich selbst – um mit dem eigenen Schmerz fertig zu werden, musste man andere verletzen.

„Ich bin sicher, dass ich von den heutigen Geschehnissen etwas verwenden kann“, erwiderte sie diplomatisch.

Alex’ Hände umklammerten das Steuer fester. „Und eines wollte ich Ihnen noch sagen, Miss McNee – das nächste Mal, wenn ich Sie in dieser Gegend antreffe, werde ich Sie höchstpersönlich hinter Schloss und Riegel bringen, haben Sie mich verstanden?“

„Nun hören Sie schon auf, Detective!“ Auch Bess klang jetzt ärgerlich. „Sie hatten einen harten Tag, daher möchte ich mich jetzt nicht mit Ihnen anlegen. Aber ich mag es nicht, wenn man mir droht, kapiert? Am allerliebsten wäre es mir, wenn wir unsere Unterhaltung beenden würden.“

Alex erwiderte darauf nichts, doch sie konnte sehen, wie sehr ihn ihre Worte getroffen hatten. Als er schließlich vor Bess’ Haus hielt, war die Luft im Wagen zum Schneiden dick. Ihr war das in diesem Moment egal. Sie würde niemandem erlauben, in diesem Ton mit ihr zu reden, auch Alex nicht. Sie stieg entschlossen aus dem Auto aus und knallte die Tür hinter sich zu.

Sie stand bereits am Eingang, da war er schon aus dem Wagen gesprungen und stand plötzlich vor ihr.

„Komm her!“ sagte er mit rauer Stimme und zog sie an sich. In seinem Kuss lag alles, was an diesem Abend passiert war – die ganze Gewalt, sein ganzer Frust. Selbst wenn Bess es gewollt hätte, sie hätte sich nicht gegen seine Leidenschaft, gegen dieses alles verzehrende Feuer wehren können. Wie ein Feuerbrand schlug seine Lust über ihnen zusammen.

Aber so abrupt wie er gekommen war, ließ er auch wieder von ihr ab. Gott, er brauchte diese Frau, brauchte sie so sehr, wie er noch nie einen Menschen gebraucht hatte! Diese Erkenntnis ernüchterte Alex mit einem Schlag, und er trat einen Schritt zurück.

„Kommen Sie mir nicht mehr in die Quere, McNee!“ sagte er, dann stieg er wieder ins Auto.

4. KAPITEL

„Was seinen Tod angeht“, sinnierte Bess, „so bin ich persönlich für ein schönes, schnell wirkendes Gift. Am liebsten irgendetwas Exotisches.“

Lori schüttelte den Kopf. „Nein, ich finde, er sollte erschossen werden. Das macht sich auf dem Bildschirm immer besser.“

Bess überlegte weiter. „Denk einmal über die Szenerie nach, Lori. Er gibt also wieder einmal eine seiner berühmten Cocktailpartys. Alles, was Rang und Namen hat, all die Leute, die er über die Jahre ausgetrickst hat, sind an diesem Abend in seinem Haus versammelt.“

Lori nickte begeistert. Bei dieser Aussicht bekam sie ganz glänzende Augen.

„Zum Beispiel Jade, die Reed nie verziehen hat, was er ihrer Schwester angetan hat. Und Elana, die die ganze Zeit über nichts anderes nachdenkt, als dass Reed gedroht hat, die Informationen, die er über Max hat, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Lori spann diesen Faden weiter. „Und natürlich Brock, der genau weiß, dass Reed mit nur einem Anruf all seine Bemühungen, den Tyson-Deal zu bekommen und so ein Vermögen zu verdienen, zunichte machen kann. Oh, und dann dürfen wir auch Miriam nicht vergessen!“

„Stimmt, sie ist in letzter Zeit ein wenig zu kurz gekommen. Dabei ist sie schließlich Reeds Exfrau, ein schwieriger psychologischer Fall. Wenn es nach ihr ginge, wäre Reed sowieso schuld an all ihren Problemen.“

„Na, irgendwie stimmt das ja auch“, lachte Lori.

„Außerdem haben wir dann noch Vicky, deren Liebe er zurückgewiesen hat, und Jeffrey, ihren gehörnten Ehemann. Es dürfte also nicht schwer sein, einen Verdächtigen zu finden.“

„Gut, was ist dann mit dem Gift?“

„Ich finde, wir sollten uns diesmal etwas Besonderes ausdenken“, schlug Bess vor. „Wie ich schon sagte, vielleicht etwas Orientalisches.“ Sie machte sich eine Notiz, diesen Punkt zu recherchieren. „Jedenfalls haben sie alle ein Motiv, um ihn umzubringen. Selbst seine Haushälterin, denn schließlich hat Reed damals ihre junge, unschuldige Tochter verführt und sie dann wie eine Marionette fallen lassen, als er sie nicht mehr brauchte. Das heißt … wir sind mitten in der Party. Die Kamera fährt auf ein Glas Champagner zu. Der Raum liegt im Halbdunkel. Wir sehen eine Hand, die ein paar Tropfen in das Glas fallen lässt. Wir wissen nicht, was es ist, aber wir ahnen etwas.“

„Sehen wir denn, ob es sich um eine männliche oder weibliche Hand handelt?“

„Der Mörder trägt Handschuhe“, sagte Bess, doch dann fiel ihr auf, wie lächerlich es wäre, auf einer Cocktailparty Handschuhe anzuziehen. „Na gut, dann sehen wir die Szene nicht während der Party, sondern schon vorher. Da gibt es doch diese Schachtel, weißt du? Diese sehr schön geschnitzte hölzerne Schachtel.“

„Und die Hand mit dem Handschuh öffnet sie und nimmt eine kleine gläserne Phiole heraus.“

„Du hast es erfasst! Diese Einstellung zeigen wir ein paar Mal, und die Zuschauer werden wissen, dass sich etwas zusammenbraut.“

„Ja, und in der Zwischenzeit setzt Reed seine Machenschaften fort. Er spielt mit allen, als wären sie willenlose Marionetten, und um ihn herum werden der Ärger und der Druck immer stärker. Es wird dann niemanden mehr überraschen, dass es auf der Party zur Katastrophe kommt.“

„Ich kann mir das Ganze schon vorstellen!“ Genießerisch schloss Lori die Augen. „Reed genießt seine Macht, er ahnt nichts. Aber nach und nach machen sich die Symptome des Gifts bemerkbar, er wird müde, schwindlig, dann wird ihm schlecht und er übergibt sich. Ich bin eigentlich für ein schnelles Ende.“

„Ja, in Ordnung.“ Bess stimmte ihr zu.

„Wenn die Polizei eintrifft, gibt es keinerlei Spuren. Es wird wie das perfekte Verbrechen aussehen.“

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