Emmas süßes Geheimnis

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Ein Schatten liegt über Emmas Leben: Leidet sie an einer gefährlichen Erbkrankheit? Nur ein Test kann Gewissheit schaffen. Und so lange darf sie nicht schwanger werden – eigentlich, denn genau das passiert, als der italienische Arzt Gianni Bonmarito sie erobert!


  • Erscheinungstag 17.09.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520263
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Gianni Bonmarito stand allein und unnahbar in einer Ecke des Gartens und beobachtete das ausgelassene Treiben von Neds Angehörigen und Freunden. Obwohl ihn die lebhafte Stimmung irritierte – immerhin befanden sie sich auf einer Beerdigung –, nahm er nicht ohne Neid die Herzlichkeit und Wärme zur Kenntnis, die von der Gesellschaft ausging. Nun, auf der anderen Seite waren die Leute hier in Australien immer und überall fröhlich.

Die gleißende Sonne von Queensland brannte ihm auf den Kopf, als wollte sie seine düsteren Gedanken verscheuchen. Kleinkinder tobten auf dem Rasen, während einige Teenager und Erwachsene weiter hinten Cricket spielten. Er hörte Frauen lachen. Benahm man sich so auf einer Beerdigung?

Lyrebird Lake. Was war das für ein merkwürdiger Ort? Ein kleines Nest im Hinterland, das man einige Autostunden von Brisbane entfernt rund um einen spiegelglatten, von Bäumen umstandenen See erbaut hatte. Eine eingeschworene kleine Gemeinschaft, in der man sich grundsätzlich mit dem Vornamen ansprach.

Es war wirklich eine eigenwillige Totenwache, die hier vor dem in traditioneller Holzbauweise errichteten Arzthaus stattfand, direkt gegenüber der kleinen Klinik. Auch die ebenso engagierte wie disharmonische Dudelsackeinlage, die sein Freund Angus soeben zum Besten gab, war ein Teil der bizarren Zeremonie.

„Sie sind Gianni, nicht wahr?“ Die schlanke Blondine, die an seiner Seite aufgetaucht war, reichte ihm höchstens bis zur Schulter. Ihre Bewegungen waren schwungvoll, und sie strahlte eine unverhohlene Lebensfreude aus.

Lebensfreude. Er wusste, dass er dieses Gefühl einmal gekannt hatte, konnte sich aber kaum noch daran erinnern. Die fremde Frau sah ihn mit einem herausfordernden Lächeln an, das ihn auf seltsame Weise berührte. Es war, als fiele ein Sonnenstrahl direkt in sein Herz. Als würden die dunklen Gedanken aus seinem Kopf hinaus in den Himmel schweben, so wie die mit Helium gefüllten Ballons, die die Familie des Verstorbenen nach der Beisetzung hatte aufsteigen lassen. Gleichzeitig fühlte er sich auf eindeutig körperliche Weise von ihr angezogen. Er riss sich zusammen. Er würde sich keine Blöße geben.

Si. Ich bin Gianni.“

Er sah, wie sich ihre Mundwinkel nach oben kräuselten, vermutlich wegen seines italienischen Akzents. Was für eine Figur, dachte Gianni und versuchte, nicht zu offensichtlich auf ihren festen Busen und ihre Taille zu starren, die so schmal war, dass er sie mit seinen Händen leicht hätte umfassen können. Vor langer Zeit hatte er beschlossen, keiner Frau mehr zu vertrauen. Und doch nahm ihn der Anblick dieser schönen Unbekannten auf eine Art und Weise gefangen, die ihn erschreckte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Was geschah hier?

Verstohlen suchte er in ihrem Gesicht nach einem Anzeichen von Hochmut oder Falschheit, doch davon keine Spur.

Ihr pinkfarbenes Lipgloss schimmerte in der Sonne. Es war ein satter, lebendiger Farbton. Eine ungewöhnliche Wahl für eine Beerdigung.

Mit ihren strahlend blauen Augen musterte sie ihn mit einer Unverfrorenheit, die seiner in nichts nachstand. Gianni spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Was war das für ein seltsames Gefühl? Er ließ sich doch nicht von den Blicken einer – wenngleich äußerst attraktiven – Frau aus der Ruhe bringen! Das war absurd.

„Verzeihen Sie.“ Es klang weniger höflich, als er beabsichtigt hatte. „Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt wurden, jedenfalls erinnere ich mich nicht daran.“

„Emma Rose.“ Sie lächelte. „Ich bin eine Freundin der Familie und Hebamme auf der Geburtsstation.“

Jetzt erst bemerkte er das blonde Mädchen, das neben ihr stand. Sie war fast genauso groß wie sie, und ihre Gesichtszüge verrieten, dass einmal eine Schönheit aus ihr werden würde, obwohl sie wahrscheinlich noch keine zehn Jahre alt war. „Ihre Tochter?“ Wenn es so war, musste sie eine sehr junge Mutter sein.

Emma sah die Kleine mit unverhohlenem Stolz an. „Ja, das ist meine Tochter Grace. Und das hier ist ein Freund von Dr. Angus aus Italien. Dr. …?“ Sie sah ihn fragend an.

„Bonmarito“, ergänzte Gianni.

„Hallo, Dr. Bon-ma-ri-to“, sagte Grace mit ernster Miene, bemüht, den fremden Namen richtig auszusprechen. Sie streckte ihm ihre kleine Hand entgegen, und Gianni ergriff sie unbeholfen. Kleine Mädchen wirkten auf ihn so zart und zerbrechlich und führten ihm stets vor Augen, wie wenig Ahnung er von Kindern hatte. Und sie erinnerten ihn unweigerlich an seine eigene Frau, die schwanger gewesen war, als sie starb.

„Wenn ich groß bin, werde ich Hebamme, wie meine Mummy“, informierte ihn Grace mit leiser, entschlossener Stimme.

Gianni blinzelte. Das Mädchen besaß offensichtlich ein gesundes Selbstbewusstsein. Genau wie ihre Mutter.

Als Junge in ihrem Alter hatte Gianni sich vor allem für Raumschiffe, Mondlandungen und Autorennen interessiert. Bis zum frühen Tod seiner Eltern hatte er ein unbeschwertes Leben geführt. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte Gianni nicht schon im Sandkasten geplant, später einmal Arzt zu werden. Damals hatte er so wenig über das Leben gewusst, geschweige denn über den Tod. Und er hatte Angus noch nicht gekannt.

Feierlich schüttelte er Grace die Hand. Dabei achtete er darauf, nicht zu steif zu wirken, denn das hatte man ihm im Umgang mit Kindern schon mehrfach bescheinigt. Aber wie hätte er es lernen sollen? Das einzige Kind, für das er jemals Vatergefühle entwickelt hatte, war das eines anderen Mannes gewesen und zusammen mit seiner Frau gestorben.

Er schluckte die aufsteigende Bitterkeit herunter und zwang sich zu einem Lächeln. „Hallo, Grace. Du kannst mich Gianni nennen, schließlich reden sich hier alle mit dem Vornamen an.“

Die Kleine zog ihre Hand zurück, und er bemerkte, dass sie das gleiche Lipgloss aufgelegt hatte wie ihre Mutter. Ob sich die beiden zusammen vor dem Spiegel geschminkt hatten? Die Vorstellung befremdete ihn angesichts des traurigen Anlasses, aber offenbar verhielten sich die Menschen hier anders, als er es gewohnt war.

„Dein Lippenstift passt ja genau zu dem deiner Mutter.“ Er sah wieder zu Emma, und sein Herz begann unvermittelt schneller zu schlagen.

Sie sah ihn prüfend an, und ihr Blick wurde weich. Er hatte das Gefühl, in ihren blauen Augen zu versinken.

„Ned hat ihr das Lipgloss zu Weihnachten geschenkt. Wir haben es sozusagen ihm zu Ehren aufgelegt.“

Offensichtlich habe ich sie falsch eingeschätzt, dachte Gianni beschämt. Auf jeden Fall übte diese Frau eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn aus. Ihre Augen verrieten Mitgefühl und Wärme, und es war, als könne sie bis auf den Grund seiner Seele sehen und seinen Schmerz spüren.

Aber solche lächerlichen Gefühlsregungen durfte er sich nicht erlauben. Schnell wandte er sich wieder ihrer Tochter zu.

„Musst du heute gar nicht in die Schule, Grace?“

Grace sah zu Boden, als fiele ihr in diesem Augenblick wieder ein, zu welchem traurigen Anlass sie zusammengekommen waren. Gianni ärgerte sich über seine unbedachte und taktlose Frage. Woran lag es bloß, dass er Kindern gegenüber regelmäßig sein schlechtestes Benehmen an den Tag legte? Er wäre am liebsten im Boden versunken.

Die Kleine lächelte tapfer. „Es ist Neds Tag. Die Schule hat heute geschlossen, weil wir alle seine Beerdigung feiern“, erklärte sie.

Emma legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter. „Wir haben Ned alle sehr gerne gehabt, Grace. Aber in jedem Land gehen die Menschen anders mit ihrer Trauer um. Eine Beerdigung kann ein fröhlicher, aber auch ein sehr trauriger Anlass sein.“ Sie schenkte Gianni ein verlegenes Lächeln. „Ned hat immer gesagt, man soll das Leben genießen, solange es geht, anstatt sich über seine Endlichkeit zu grämen. Deswegen sind die Kinder dabei. Und deswegen lassen wir auf seiner Beerdigung Ballons steigen und spielen Cricket.“ Sie nickte zu den Teenagern hinüber.

Gianni sah zu Angus, Neds Sohn und sein bester Freund. Er war es gewesen, der ihn nach dem verheerenden Erdbeben damals aus den Trümmern geborgen hatte, als alle anderen die Suche schon eingestellt hatten. Dank Angus war aus dem gedankenlosen Playboy mit einem Hang zur Selbstzerstörung, der er damals gewesen war, ein engagierter Arzt geworden.

Trotzdem konnte er nicht verstehen, wie Angus unmittelbar nach dem Tod seines Vaters so fröhlich sein konnte. Andererseits freute er sich darüber, seinen Freund in guter Stimmung zu sehen. Lachend kämpfte er mit seinem Dudelsack, den er noch nicht richtig zu beherrschen schien.

Offenbar hielt man in Lyrebird Lake nichts von schwermütigen Zeremonien. Gianni wünschte sich, er hätte den alten Arzt noch persönlich kennengelernt, der selbst nach seinem Tod so viel Wärme und Lebensfreude in anderen Menschen hervorrief. Vielleicht hätte er selbst einen Ort wie diesen gebraucht, um mit seiner Trauer fertigzuwerden.

Emma folgte seinem Blick. „Angus erzählte mir, dass Sie Ihre Frau verloren haben.“ Ihre Bemerkung versetzte Gianni einen Stich ins Herz. Da beugte sich Emma unvermittelt zu ihm und küsste ihn leicht auf die Wange. „Das tut mir leid.“

Er konnte das Erdbeeraroma ihres Lipgloss’ riechen und verspürte einen kühlen Luftzug an der Stelle, die eben noch ihre warmen Lippen berührt hatten.

Zukünftig würde er beim Duft von Erdbeeren immer an diesen Kuss denken. Warum hatte sie das getan? Und doch war an diesem Kuss nichts Ungehöriges gewesen. Im Gegenteil, es hatte sich gut und richtig angefühlt.

„Also sind Sie hierhergekommen, um Ihrem Freund Angus beizustehen“, nahm Emma das Gespräch wieder auf. „Das ist sehr freundlich von Ihnen. Er wird Ned sehr vermissen.“

Gianni versuchte ihren Worten zu folgen. Eigentlich war er ein durch und durch rationaler Mensch, aber Emma Rose hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. „Danke. Ich bedaure es sehr, dass ich Dr. Campbell nicht mehr kennenlernen konnte.“

„Er war ebenfalls ein freundlicher Mensch.“ Mit einer Hand wischte sie einen Rest Lipgloss von seiner Wange. „Verzeihung.“

„Riecht gut“, sagte er und schielte verstohlen auf ihren Mund. Ob ihre Lippen wohl ebenso gut schmecken würden? Sofort begann seine Fantasie Purzelbäume zu schlagen. Schluss damit! befahl er sich selbst. Er wandte sich wieder Emma zu. „Möchten Sie mir nicht Ihren Mann vorstellen?“

Sie legte den Kopf schief und schien zu zögern, bevor sie ihm antwortete. „Ich habe keinen Mann.“

„Also sind Sie Witwe – oder geschieden?“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem leicht spöttischen Lächeln. Sie sah wirklich zum Anbeißen aus.

Sie musste ihre Tochter sehr früh bekommen haben. Vermutlich in einem Alter, in dem sie selbst noch ein halbes Kind gewesen war. Warum war sie allein geblieben?

„Weder noch.“ Sie führte ihre Antwort nicht weiter aus. Es war, als wäre eine Tür zugefallen. Ihr Gesichtsausdruck blieb zwar freundlich, wirkte aber entschlossener als zuvor, fast herausfordernd. Was für eine faszinierende Frau. Zu schade, dass er morgen schon wieder abreisen würde.

Trotzdem ließ er nicht locker. „Sind Ihre Eltern auch hier?“

„Meine Eltern wohnen nicht mehr in Lyrebird Lake.“ Sie reckte das Kinn. „Haben Sie Kinder?“, wollte sie im Gegenzug wissen.

Jedenfalls keine leiblichen. Und er würde auch niemals welche haben. „Nein.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. Dieses Gesprächsthema war offensichtlich erschöpft.

Vom Gartentor winkte ihnen ein dunkelhaariges Mädchen zu, das ungefähr in Graces Alter war. Emma nickte ihrer Tochter kurz zu. „Da ist Dawn. Geh ruhig zu ihr.“

Sie wandte sich wieder Gianni zu. „Dawns Vater, Andy, ist der ärztliche Direktor unserer Klinik. Seine Frau, Montana, hat die Geburtsstation mit aufgebaut. Mittlerweile sind wir sieben Hebammen und haben ein wunderbares Team. Die Leute kommen von weit her, um ihre Kinder bei uns zur Welt zu bringen.“

Emma bemühte sich, das Gespräch in Gang zu halten. Das war sonst eigentlich nicht ihre Art. Wahrscheinlich interessierte ihn das alles überhaupt nicht. Aus den Augenwinkeln sah sie ihrer Tochter hinterher, die über das Gras zu ihrer Freundin rannte. Sie würde versuchen, diesen verschlossenen, aber unverschämt gut aussehenden Italiener aus der Reserve zu locken. Angus hatte ab und an von ihm gesprochen, sodass in Emmas Kopf ein Bild von Gianni Bonmarito entstanden war, ohne dass sie ihm je begegnet war. Der Ausdruck von Melancholie und Verzweiflung, den sie in seinen Augen zu lesen glaubte, bestätigte dieses Bild.

Jedenfalls hatte er etwas an sich, das sie zutiefst berührte. Irgendetwas schien ihn zu quälen. Am liebsten würde sie ihn in die Arme nehmen und ihm beruhigend über den Kopf streicheln, sein Gesicht mit zarten Küssen bedecken und ihn trösten wie ein kleines Kind.

Emma spürte eine Hitze in sich aufsteigen, die nichts mit dem warmen Wetter zu tun hatte. Sie sollte Gianni besser nicht mehr anschauen. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Wohnhaus. „Ich werde versuchen, Louisa aus der Küche zu locken. Schließlich ist sie Angus’ Stiefmutter. Sie sollte hier draußen bei uns sein.“ Und ich brauche dringend etwas Abstand von diesem Mann, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Ich komme mit.“ Schon war er neben ihr, und obwohl der Verstand ihr sagte, dass sie seine Begleitung besser ablehnen sollte, verspürte sie in seiner Gegenwart ein Kribbeln, als wäre ein ganzer Schwarm von Mücken auf ihr gelandet. Es war ein ungewohntes Gefühl, und sie wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte.

Während sie zum Haus gingen, bemühte sie sich um einen leichten Plauderton. „Sind Sie eigentlich ein guter Koch?“ Bei der Vorstellung musste sie unwillkürlich grinsen. Er wirkte nicht gerade wie ein Mann, der viel Zeit in der Küche verbrachte.

„Ja, ich koche sehr gerne. Zu Hause in Italien hatten wir eine wunderbare Haushälterin, die mir einiges beigebracht hat. Essen hat für mich eine äußerst sinnliche Komponente.“ Gianni zwinkerte ihr verschwörerisch zu, und die Zweideutigkeit seiner Worte ließ sie erröten. Sie sollte sich besser nicht allein mit ihm in einer Küche aufhalten. Hastig kehrte sie zu dem unverfänglichen Thema von vorhin zurück. „Eben habe ich schon versucht, Louisa zu holen, aber sie wollte lieber allein sein und sich um das Essen kümmern.“

Er antwortete nicht und zeigte auch seinerseits kein Bemühen, das Gespräch in Gang zu halten. Es lag eine knisternde Spannung in der Luft, und ihre Schritte glichen sich wie von selbst einander an. Als sie endlich die breite Holztreppe zur Veranda erreichten, war Emma fix und fertig. Niemals zuvor war ihr ein Mann wie dieser begegnet.

Höflich ließ Gianni ihr den Vortritt. Er wusste, dass er etwas zu ihr sagen sollte, aber er konnte an nichts anderes denken als an ihre geschmeidigen Bewegungen und den sanften Schwung ihrer Hüften. Er spürte die Wärme ihres Körpers, als sie an ihm vorbeiging, ohne ihn zu berühren. Ein wohliger Schauer durchlief ihn. Ihr Anblick war eine einzige Verführung. Es ist nur die Hitze, die meine Gedanken verwirrt.

Die Campbells wohnten in einem großen Landhaus mit mehreren Giebeln und einer in Bleiglas gefassten Eingangstür, die in einen angenehm kühlen, dämmrigen Flur führte. Gianni atmete tief ein. Der Geruch von Möbelpolitur und Eukalyptus beruhigte ihn.

Zu beiden Seiten des Flurs lagen mehrere Schlafzimmer mit hohen Decken und antiken Möbeln. Sie wirkten gemütlich und einladend wie alles in diesem Haus.

Emma bemerkte seine verstohlenen Blicke. „Das Sprechzimmer und die Behandlungsräume liegen im hinteren Teil des Hauses und haben einen separaten Eingang“, erklärte sie. „Hier vorne sind manchmal auswärtige Ärzte und Pflegepersonal untergebracht. Louisa kocht dann für die ganze Mannschaft.“ Sie waren am Ende des Flurs angelangt. „Und das hier ist das Herz des Hauses – Louisas Küche.“

Louisa war eine kleine, rundliche Frau. Alles an ihr schien weich und mütterlich zu sein. Im Moment stand sie unbeweglich an einem alten Steinspülbecken, in der Hand einen Lappen und eine Tasse, und starrte aus dem Fenster.

Gianni kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut, denn er begegnete ihm in seinem Beruf täglich. Es war die Trauer um einen geliebten Menschen. Bei seinem letzten Einsatz nach einem Tsunami in Samoa hatte die Trauer der Hinterbliebenen ihn bis in seine Träume verfolgt und dafür gesorgt, dass sein eigener Schmerz wach und frisch blieb.

Emma ging zu Louisa, nahm ihr vorsichtig die Tasse aus der Hand und legte ihr einen Arm um die Taille.

„Bist du in Ordnung?“ Ihre Stimme klang weich und fürsorglich und drang tief in sein Herz. Sachte umarmte sie die ältere Frau, und Louisa vergrub ihr von Kummer gezeichnetes Gesicht an Emmas Schulter. Gianni beobachtete die Szene aus einiger Entfernung. Wie brachte Emma es fertig, einer Frau, die ihre eigene Großmutter sein könnte, geradezu mütterlichen Trost zu spenden? Welches Schicksal mochte sie selbst erlitten haben, dass sie zu solchem Mitgefühl fähig war? In diesem Augenblick wäre er selbst gerne an Louisas Stelle gewesen.

Besser nicht. Er sollte ihr lieber nicht zu nahe kommen, sonst würde er ganz und gar den Verstand verlieren. Lange Zeit war er für die Reize der Frauen nicht empfänglich gewesen. Er würde auch jetzt standhaft bleiben.

„Es geht schon wieder“, schluchzte Louisa und zwang sich zu einem Lächeln. Gianni konnte sehen, welche Mühe sie das kostete. „Ich danke Gott für die letzten fünf Jahre, die ich mit Ned erleben durfte, und dazu für die zwanzig Jahre unserer Freundschaft. Er war ein wunderbarer Mensch.“

Emma drückte noch einmal ihre Schulter. „Das war er. Und er hat dich sehr geliebt. So wie wir alle. Können wir irgendetwas für dich tun?“, fragte sie mit einem Seitenblick zu Gianni, der ihn seine guten Vorsätze beinahe wieder vergessen ließ.

Emma lebte in einer gänzlich anderen Welt als er, das durfte er keinesfalls vergessen. Schon morgen würde er diesen Kontinent wieder verlassen.

„Nein, aber ich danke euch beiden, dass ihr gekommen seid.“ Louisa kam langsam wieder zu sich und verfiel prompt in einen breiten Yorkshire-Akzent. „Jetzt werde ich mit euch in den Garten hinausgehen und mir ein schattiges Plätzchen suchen. Es ist schön, dass Neds ganze Familie und alle seine Freunde gekommen sind.“

„Es sind auch deine Familie und deine Freunde“, korrigierte Emma.

„Ja, natürlich.“ Louisa seufzte tief.

Zusammen gingen sie hinaus. Emma und Gianni hatten die ältere Frau links und rechts untergehakt und führten sie zu einem Liegestuhl im Schatten eines Baumes.

Sofort war sie von Menschen umringt. Eine Frau setzte ihr ein Baby auf den Schoß, das Louisas ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Aus den Augenwinkeln sah Gianni, wie Emma zufrieden nickte.

Es gefiel ihm, dass sie so stark am Schicksal anderer Menschen Anteil nahm. Überhaupt erinnerte ihn die Atmosphäre auf dieser Trauerfeier an die Sommertage seiner Kindheit, als er und sein Bruder sich regelmäßig aus dem Haus geschlichen hatten, um mit den Kindern im Dorf zu spielen. Dort hatte er eine Fröhlichkeit und einen Zusammenhalt erfahren, die ihn für einige Stunden die Erwartungen und die Verantwortung vergessen ließen, die auf ihm selbst als Sohn einer einflussreichen Familie lasteten. Unbekümmert. Das war das richtige Wort dafür, wie er sich in Emmas Nähe fühlte. Er sollte sich wirklich zusammenreißen. Gar nicht erst darüber nachdenken, wie gut sich die zarte Haut ihrer Wangen unter seinen Fingern anfühlen mochte. „Haben Sie Lust auf ein Glas Bowle, Emma?“ Er deutete auf einen der gedeckten Tische unter den Bäumen.

„Ja, ich komme mit Ihnen.“ Emma warf noch einen Blick auf Louisa, die mit dem Baby schmuste. „Louisa ist ja für den Moment versorgt.“

„Das mit dem Baby war eine gute Idee“, sagte er anerkennend, während sie zu den Getränken hinübergingen. „Kinder sind so zarte, unschuldige Wesen. Sie können uns die schlimmsten Sorgen für einen Moment vergessen lassen.“

„Genau so ist es.“ Interessiert blickte Emma zu ihm auf. „Erleben Sie das oft in Ihrem Beruf?“

Gianni wusste selbst nicht, warum er auf einmal dieses Thema angeschnitten hatte. Er zuckte nur mit den Schultern und goss ihr ein Glas Bowle ein. Während sie trank, beeilte er sich weiterzureden, um nicht wie hypnotisiert auf ihren Mund zu starren. „Ich habe viel Leid und Elend gesehen. Aber selbst in Familien, die schreckliche Verluste erlitten hatten, konnte die Geburt eines Kindes neue Hoffnung und Lebensmut wecken.“

„Angus hat mir erzählt, dass Sie kurz nach ihm Ihren Dienst beim medizinischen Rettungsdienst begonnen haben.“

„Ohne Angus würde ich heute nicht hier stehen. Hat er Ihnen auch erzählt, wie er mich aus den Trümmern eines Erdbebens gerettet hat? Zwei Tage war ich lebendig begraben, und man hatte die Suche nach mir schon aufgegeben.“ Und hat er Ihnen außerdem erzählt, dass ich damals auf dem besten Weg war, mich endgültig zugrunde zu richten?

Emma betrachtete ihn aufmerksam und lächelte. „Ja, das hat er, aber nur die Kurzversion. Oder glauben Sie, dass er mir gegenüber gesprächiger ist als sonst?“

Gianni lachte trocken auf. „Nein, ganz bestimmt nicht. Wir reden beide nicht gerne über unsere Erlebnisse bei diesen Einsätzen. Angus sogar noch weniger als ich.“

„Zu viele schlechte Erinnerungen können einen Menschen auf Dauer erdrücken“, sagte sie ernst und rührte damit abermals an etwas, das er vergessen wollte. „Zwei Tagen waren Sie verschüttet? Da hatten Sie viel Zeit zum Nachdenken.“

„Nun ja.“ Jedenfalls viel Zeit, um die Vergangenheit zu bereuen. Er hatte geglaubt, seine schmerzhaften Erinnerungen überwunden zu haben. In Wahrheit waren sie vielleicht nur von neuen, ebenso traumatischen Erlebnissen verdrängt worden.

Emma legte den Kopf schief und musterte ihn unverwandt. Er empfand ihr Interesse nicht als Neugier, sondern seltsamerweise als tröstlich. „Wissen Sie, ich glaube, dass alles im Leben zu etwas gut ist. Selbst unsere schlimmsten Erfahrungen können uns voranbringen. Was hat zum Beispiel dieses Erdbeben in Ihnen ausgelöst, Gianni?“

Er genoss es, wie weich sie seinen Namen aussprach, die Vokale im Mund rollte, als wollte sie ihrem fremden Klang nachspüren. Natürlich musste ein „Gianni Bonmarito“ in einem Land voller Jacks, Johns und Joes auffallen.

Normalerweise hätte er eine derart forsche Frage ignoriert, doch zu seinem eigenen Erstaunen dachte er darüber nach, wie er sie möglichst ehrlich beantworten könnte. „Das ist alles lange her. Aber dieses Erlebnis hat mein Leben in der Tat verändert. Es hat mich dazu gebracht, etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anzufangen. Angus war mein großes Vorbild. Er hat mir damals mein Leben zurückgegeben, und ich habe beschlossen, es nicht länger zu vergeuden.“

„Haben Sie denn vorher ein so nutzloses Leben geführt?“

Autor

Fiona McArthur

Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.

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