Es sollte doch ein Abschied sein

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Eine letzte Nacht will Molly in Jordans zärtlicher Umarmung verbringen. Dann soll mit der Scheidung endlich der Abschied folgen. So hat sie es sich vorgestellt - und nicht damit gerechnet, ausgerechnet jetzt schwanger zu werden! Von Jordan, der längst eine Andere hat …


  • Erscheinungstag 07.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736033
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jordan Larabee ging ungeduldig auf dem dicken Teppich vor Ian Houghtons Schreibtisch auf und ab. „Wo, zum Teufel, ist sie?“

„Ich nehme an, du meinst Molly.“ Sein Schwiegervater konnte ein richtiger Nervtöter sein, wenn er wollte, und offenbar hatte er das seit ihrem letzten Zusammentreffen zur hohen Kunst erhoben. „Ich darf dich daran erinnern, dass Molly deine Frau ist.“

„Und sie ist deine Tochter“, gab Jordan zurück. „Als sie mich verließ, ist sie zu dir gegangen.“

Ian lehnte sich entspannt in dem Ledersessel zurück und amüsierte sich sichtlich. „Meinem Wissen nach habt ihr euch einvernehmlich getrennt.“

Jordan lachte kurz auf. „Als sie wegging, war zwischen uns gar nichts mehr einvernehmlich. Wir hatten schon tagelang nicht mehr miteinander gesprochen.“

Die Kommunikation zwischen Jordan und Molly war zusammen mit ihrem sechs Monate alten Sohn gestorben. An jenem Vormittag im Herbst hatten sie mit Jeffs kleinem Sarg auch ihre Ehe begraben. Acht Monate hatten sie noch an ihrem gemeinsamen Leben festgehalten. Dann hatten Trauer und Schuldgefühle endgültig alles zerstört.

Ian stand auf, trat ans Fenster und sah ins Freie, als würde ihn der Ausblick faszinieren. Er wirkte älter, als Jordan ihn in Erinnerung hatte. „Wieso willst du das gerade jetzt wissen?“

„Es sind drei Jahre vergangen“, erinnerte Jordan ihn.

„Das ist mir auch klar.“ Ian verschränkte die Hände hinter seinem Rücken.

„Es wird Zeit, dass ich mit meinem Leben weitermache“, erklärte Jordan kühl. „Ich will die Scheidung.“

„Die Scheidung.“ Ian ließ die Schultern hängen.

„Erzähl mir nicht, dass das für dich ein Schock ist. Ich hätte sie schon vor Jahren einreichen sollen.“

Ian wandte sich von dem Fenster ab und betrachtete das Foto auf seinem Schreibtisch. Jordan kannte es gut. Es war kurz nach Jeffs Geburt aufgenommen worden. Da hatten sie noch nicht geahnt, dass ihre Freude sich bald in tiefsten Kummer verwandeln würde.

„Ich habe immer gehofft, es würde sich bei euch alles wieder einrenken“, meinte Ian traurig.

Jordan presste die Lippen aufeinander. Früher wäre eine Versöhnung möglich gewesen, aber jetzt nicht mehr. Je schneller Ian das akzeptierte, desto besser. „Ich habe eine andere kennengelernt.“

Ian nickte. „Das habe ich mir schon gedacht. Aber du kannst einem alten Mann das Wunschdenken nicht verübeln.“

„Wo ist Molly?“

„In Manukua.“

Jordan hob abrupt den Kopf. „In Afrika?“

Ian nickte. „Sie hat sich freiwillig einer kirchlichen Gruppe angeschlossen. Das Land braucht dringend Leute mit medizinischer Erfahrung, und die Arbeit als Krankenschwester dort scheint ihr geholfen zu haben.“

„Wie lange ist sie schon da?“

„Über zwei Jahre.“

„Zwei Jahre?“ Jordan ließ sich in einen Sessel sinken. Es sah Molly ähnlich, so etwas zu tun. Das Fernsehen berichtete fast jeden Abend in den Nachrichten von Aufständen, Dürre und Krankheiten, die dort herrschten.

„Ich habe alles versucht, um sie zur Heimkehr zu bewegen.“ Ian setzte sich ebenfalls. „Aber sie hört nicht auf mich.“

„Was ist los mit ihr?“

„Wahrscheinlich das Gleiche wie mit dir. Du hast dich in deine Arbeit vergraben, und sie will die Welt retten.“

„Jeder Narr weiß, dass es in Manukua nicht sicher ist.“

„Sie behauptet das Gegenteil. Zwei Wochen pro Monat arbeitet sie in einem Krankenhaus in Makua, der Hauptstadt. Die anderen zwei Wochen verbringt sie in einer Krankenstation im Hinterland.“

„Ist sie verrückt, dass sie die Hauptstadt verlässt?“ Er sprang auf.

„Ich bin völlig deiner Meinung. Jemand müsste etwas unternehmen.“ Ian griff lächelnd nach einer kubanischen Zigarre. „Meiner Meinung nach bist du der richtige Mann dafür.“

„Ich? Was kann ich denn machen?“

„Was du machen kannst?“, wiederholte Ian. „Nun, Jordan, du könntest sie holen.“

Die Abende, wenn alle in der Krankenstation schliefen und die Nacht still und kühl anbrach, liebte Molly am meisten. Sie saß auf der Veranda. Die Nachrichten aus dem Hauptquartier in Makua waren schlecht. Das waren sie stets.

An diesem Abend war es nicht anders gewesen. Es gab politischen Unruhen in der Hauptstadt, und vor einem Angriff der Rebellen wurde gewarnt. Das Hauptquartier verlangte, dass sie jederzeit zur Evakuierung bereitstanden.

Die Nacht war erfüllt von gedämpften Geräuschen von dem Wasserloch vor den Mauern der Station. Die Savanne war ein Zufluchtsort für die Wildtiere, unter denen die Dürre genauso viele Opfer gefordert hatte wie unter der einheimischen Bevölkerung.

Molly lehnte sich zurück und blickte zum Himmel, an dem die Sterne einen unbeschreiblichen Anblick boten. Allerdings hätte sie alles für eine Regenwolke gegeben.

Molly konnte nie in die Nacht hinausblicken, ohne ein wenig traurig zu werden. Irgendwo in einer Welt, die weit von ihrem jetzigen Leben entfernt war, hatte sie ihren Ehemann zurückgelassen und ihren Sohn begraben.

Sie versuchte, an keinen von beiden zu denken, um dem dumpfen Schmerz auszuweichen. Drei Jahre war sie davor weggelaufen.

Vertraute Schritte erklangen hinter ihr.

„Guten Abend“, begrüßte Molly ihren Kollegen. Dr. Richard Morton war klein, kahl und liebenswert. Er war über das Ruhestandsalter hinaus, aber er konnte nicht aufhören zu arbeiten, solange die Not so groß war. Molly war schlank und fast einen Kopf größer. Mit ihrem kurzen blonden Haar und den tiefblauen Augen erregte sie bei den afrikanischen Kindern stets Aufsehen.

„Warum schläfst du nicht?“, fragte sie ihren Freund.

„Weiß nicht.“ Der Arzt setzte sich neben sie. „Es liegt etwas in der Luft. Ich habe das im Gefühl.“

„Meinst du, wir sollten von hier verschwinden?“

Richard strich sich über das Gesicht. „Ich weiß es nicht, aber diesmal steckt mehr hinter den Warnungen.“

In der letzten Woche hatten sie wegen einer Grippeepidemie manchmal achtzehn Stunden am Tag gearbeitet. Molly suchte nach einer plausiblen Erklärung für seine Bedenken. „Du bist übermüdet.“

„Das sind wir beide.“ Richard tätschelte ihre Hand. „Geh schlafen. Morgen reden wir weiter.“

Molly folgte seinem Rat, machte aber noch einen Umweg durch die Kinderstation. Die diensthabende Schwester lächelte ihr zu, während sie sich davon überzeugte, dass jedes Kind atmete. Seit dem Krippentod ihres Sohnes verließ die Angst sie nie, dass ein Kind auf diese Weise sterben könnte.

Sobald sie sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, ging sie in ihr kleines Zimmer, ohne das Licht einzuschalten. Sie zog sich aus und glitt zwischen die kühlen Laken, schloss die Augen und träumte davon, Jeff wäre noch am Leben.

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme.“ Jordan küsste Lesley auf die Wange und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Bei jedem Zusammentreffen mit der erfolgreichen Architektin war er von ihrem Charme und ihrer Schönheit beeindruckt. Er griff nach der Speisekarte und traf rasch seine Wahl.

„Spann mich nicht auf die Folter“, bat Lesley. „Wie lief das Treffen mit Ian?“

Jordan fand es peinlich, über seine Ehefrau mit der Frau zu sprechen, die er heiraten wollte. „Gut.“ Er studierte die Weinkarte.

„Du willst nicht darüber sprechen?“

„Nicht besonders gern.“

„Na schön, ich verstehe das.“ Trotz ihrer Enttäuschung verfolgte sie dieses Thema nicht weiter.

Im letzten Jahr hatten sie gemeinsam an einem großen Bauprojekt auf der East Side von Chicago gearbeitet. Sie war die Architektin, er der Bauunternehmer. Der Himmel wusste, dass er keine neue Beziehung gesucht hatte. Es stimmte, wenn Ian behauptete, er habe sich nach Jeffs Tod in Arbeit vergraben.

„Es ist schwierig für dich“, sagte Lesley mit ihrer sanften Stimme. „Aber du musst auch verstehen, in was für eine unangenehme Situation mich das bringt. Ich treffe mich mit einem verheirateten Mann.“

„Ich verstehe das.“

„Ich will dich allerdings auch nicht zu einer Scheidung zwingen.“

„Diese Ehe ist längst tot.“

„Das hast du mir auch am Anfang gesagt“, erinnerte sie ihn. „Wir sehen uns aber nun schon seit sechs Monaten, und in dieser Zeit hast du kein einziges Mal erwähnt, dass du dich von Molly scheiden lässt.“ Es klang wie ein leichter Vorwurf.

„Ich hätte die Scheidung schon vor Jahren einreichen sollen.“

„Du hast es nicht getan. Weißt du auch, warum?“

„Ich war zu beschäftigt. Außerdem habe ich angenommen, dass Molly das machen wird.“

„Sie hat aber die Scheidung auch nicht eingereicht“, zeigte Lesley auf. „Hast du einmal darüber nachgedacht?“

Er nickte, gab dem Kellner einen Wink, bestellte und hoffte, Lesley würde das Thema Scheidung fallen lassen.

„Du liebst sie noch immer, nicht wahr?“ Sie wurde selten zornig auf ihn, anders als Molly. Lesley war verhalten und sehr besorgt, aber ihre Methoden wirkten Wunder bei ihm. „Das ist völlig verständlich.“

„Dass ich Molly liebe?“

„Ja. Ihr beide habt eine Tragödie erlitten.“

Er spürte einen schmerzlichen Stich in der Brust. „Sie gab sich selbst die Schuld.“ Er umspannte das Weinglas fester als nötig. „Sie meinte, mit ihrer medizinischen Ausbildung hätte sie ihn retten müssen.“

Er hatte Molly damals immer widersprochen. Als er an jenem Tag das Haus verließ, hatten Molly und Jeff noch geschlafen. Jeff war unruhig und schrie einmal, aber es war sehr früh. Molly dachte, sie könnte noch eine Weile schlafen, und ignorierte den einzelnen Schrei. Es war der letzte Laut, den ihr Sohn von sich gegeben hatte. Als Molly eine Stunde später erwachte, war Jeff tot.

Jordan wollte nie wieder einen solchen Schmerz riskieren. Lesley wünschte sich auch keine Kinder. Sie waren wie füreinander geschaffen.

„Ich möchte dich mit diesen unangenehmen Fragen nicht unter Druck setzen“, fuhr Lesley sanft und besorgt fort.

„Das tust du nicht.“

Der Kellner brachte den Salat. Lesley erahnte Jordans Stimmung und ließ ihn in Ruhe.

Irgendwann im Verlauf des Abends musste er ihr eröffnen, dass er zu Molly nach Manukua reisen würde. Es war keine leichte Aufgabe.

„Molly ist in Manukua“, erklärte er ohne Einleitung.

„Manukua!“, stieß sie hervor. „Um Himmels willen, was macht sie denn dort?“

„Sie hat sich freiwillig einem Hilfstrupp angeschlossen.“

„Ist ihr nicht klar, wie gefährlich das ist?“ Lesley griff nach ihrem Weinglas.

„Ich hole sie.“

„Du!“ Sie riss die Augen auf. „Jordan, das ist unsinnig! Wieso ausgerechnet du? Wenn sie in Gefahr ist, muss man das Außenministerium verständigen.“

„Ian ist in den letzten drei Jahren beträchtlich gealtert. Seine Gesundheit ist für eine so anstrengende Reise zu angegriffen. Aber es muss bald etwas unternommen werden, bevor Molly etwas passiert.“

„Es könnte doch sicher jemand anderer reisen.“

„Molly würde auf keinen anderen hören.“

„Was ist mit den nötigen Papieren? Lieber Himmel, niemand kommt im Moment nach Manukua hinein oder aus Manukua heraus! Die Zeitungen schreiben, dass es jederzeit zu einer Katastrophe kommen kann.“

„Ian arrangiert alles für mich. Eigentlich wollte er gegen den Rat der Ärzte selbst fahren. Lesley, ich möchte nicht gern verreisen. Wenn ich mir schon eine Woche freinehme, wäre Manukua der letzte Ort, den ich mir für eine Reise aussuchen würde.“

„Ich verstehe schon, Jordan.“ Sie tastete nach seiner Hand. „Du musst das tun. Wann reist du ab?“ Ihre Stimme bebte leicht.

„Anfang der Woche.“

„So bald?“

„Je schneller, desto besser, meinst du nicht auch?“

Sie nickte und senkte den Blick. „Versprich mir nur eines.“

„Was du willst.“

„Sei bitte vorsichtig, denn ich liebe dich, Jordan Larabee.“

Molly erwachte von fernen Schüssen, setzte sich im Bett auf und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Sie schlug die dünne Decke zurück, stieg aus dem Bett und zog sich rasch an.

Die Morgendämmerung war angebrochen. Menschen liefen planlos durcheinander.

„Was ist los?“ Sie hielt einen Pfleger fest.

Er starrte sie mit großen Augen an. „Die Rebellen kommen! Sie müssen weg! Sofort!“

„Haben Sie Dr. Morton gesehen?“

Er schüttelte heftig den Kopf, riss sich los und lief zu den geparkten Fahrzeugen.

„Richard!“, rief Molly. Sie konnte nicht ohne ihren Freund fort. Er war auf der anderen Seite der Station untergebracht, aber es war nahezu unmöglich, den freien Platz zu überqueren. Menschen schrien in zahlreichen Sprachen durcheinander.

„Molly! Molly!“

Sie wirbelte herum und entdeckte Richard Morton, der hektisch in der Menge nach ihr suchte.

„Hier!“, schrie sie und winkte. Sie musste sich den Weg zu ihm erkämpfen. Für einen Moment klammerten sie sich aneinander.

„Wir müssen sofort weg. Mwanda hat einen Lastwagen für uns.“

Molly nickte und packte Richards Hand. „Was ist mit den Kranken?“, drängte sie. Richard war links von ihr, der fast zwei Meter große Mwanda rechts.

„Wir kümmern uns um sie“, versprach Mwanda. „Aber zuerst müssen Sie fort.“

Richard und Molly wurden im wahrsten Sinn des Wortes auf die Ladefläche des Lastwagens geworfen. Sie drückten sich in eine Ecke und warteten auf die Abfahrt, obwohl der Himmel allein wusste, was unterwegs auf sie wartete.

Der Motor sprang dröhnend an. Ein hochgewachsener hagerer Junge lief auf den Lastwagen zu und rief hastig etwas in seiner Muttersprache. Molly hatte in den letzten zwei Jahren so viel gelernt, dass sie von Angst gepackt wurde, als sie die Worte halbwegs übersetzte.

Sie sah Dr. Morton an. Offenbar hatte auch er die Nachricht verstanden.

Sie konnten jetzt nicht fort. Es war zu spät. Überall schwärmten hasserfüllte und rachedurstige Rebellentruppen herum. Viele Unschuldige waren bereits ermordet worden.

Richard und Molly waren in der Krankenstation gefangen.

Mwanda schaltete den Motor ab und kletterte aus dem Lastwagen. Er blickte starr vor sich hin, als er den beiden beim Aussteigen half.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Molly.

Richard zuckte die Schultern. „Warten.“

Worauf, fragte sie sich. Auf den Tod? Sollten sie darum beten, dass er gnädig kam? Sie wagte nicht, sich vorzustellen, was mit ihr als Frau passierte, wenn sie in Gefangenschaft geriet.

Überraschenderweise hatte sie keine Angst. Stattdessen empfand sie eine unglaubliche Ruhe. Falls die Rebellen die Station stürmten, würde sie nicht in einer Ecke kauern, sondern ihrer täglichen Arbeit nachgehen und ihren Patienten helfen.

„Ich werde meine Runde machen.“ Richards Stimme schwankte leicht.

„Ich begleite dich“, entschied sie.

Mwanda zuckte resigniert die Schultern und entfernte sich. „Ich gehe in die Küche zurück“, verkündete er mit einem tapferen Lächeln.

Die Schüsse kamen allmählich näher. Der Funkkontakt mit Makua war zusammengebrochen, sodass sie nicht wussten, was in der Hauptstadt vor sich ging. Womöglich war bereits das ganze Land gefallen.

Nichts zu wissen, war am schlimmsten. Etliche Patienten verließen die Station und versuchten, ihre Familien zu erreichen. Richard kümmerte sich um die Kranken, die nicht fliehen konnten. Einige Leute wollten Molly und Richard überreden, mit ihnen zu gehen, doch die beiden lehnten ab. Sie gehörten hierher.

Minuten später stellte Molly betroffen fest, dass nur noch eine Handvoll Einheimischer hier war. Molly betete für ihre Sicherheit, doch niemand konnte vorhersagen, wie lange sie hinter den Mauern der Station geschützt waren.

Sie hörte einen Hubschrauber über der Krankenstation. Er kreiste, trug jedoch keine Markierungen, sodass man nicht feststellen konnte, ob es sich um Freund oder Feind handelte.

Der Helikopter ging langsam tiefer. Der Lärm war ohrenbetäubend, und der Wind wirbelte eine dicke rote Staubschicht auf, bis fast nichts mehr zu sehen war.

Molly erhaschte einen Blick auf Soldaten, die in voller Kampfausrüstung aus dem Hubschrauber sprangen. Vermutlich Guerillas.

Sie blieb in dem mittlerweile leeren Krankensaal der Kinderstation. Die Tür flog auf. Vor ihr stand ein Soldat mit einer Maschinenpistole. Der Guerilla stockte, als er sie sah, und rief etwas über seine Schulter zurück. Sie wappnete sich.

Fast im selben Moment stürmte ein anderer Mann in den Raum und riss in seiner Eile fast die Tür aus den Angeln. Molly hielt sich an einem der Kinderbetten fest und blickte in haselnussbraune Augen, die ihr unglaublich bekannt waren.

„Jordan?“, flüsterte sie. „Was machst du hier?“

2. KAPITEL

„Wir verschwinden auf der Stelle von hier!“ Jordan hatte aus der Luft gesehen, dass die Rebellen höchstens noch fünf Kilometer von der Krankenstation entfernt waren und rasch vorankamen. Sie konnten jeden Moment auftauchen.

„Was ist mit Richard?“, rief Molly.

„Wer ist das?“ Jordan packte sie am Arm und zerrte sie zur Tür. Zane und die Männer, die der mit ihm befreundete Söldner angeheuert hatte, umringten mit schussbereiten Maschinenpistolen den Hubschrauber.

„Dr. Morton!“ Molly schrie, um sich über dem Pfeifen der Rotorblätter verständlich zu machen. „Ich kann ohne Richard nicht weg.“

„Wir haben keine Zeit mehr“, widersprach Jordan.

Sie riss sich überraschend kraftvoll los und sah ihn zornig an. „Ich gehe nicht ohne ihn.“

„Verdammt schlechter Zeitpunkt, um sich wegen deines Geliebten Sorgen zumachen, meinst du nicht?“, fauchte Jordan wütend.

„Ich hole ihn.“ Sie schob sich an ihrem Mann vorbei, bevor er sie zurückhalten konnte.

Außerhalb der Station ertönte ein bedrohliches Rattern. Jordans Erfahrungen lagen auf dem Gebiet des Baus von Apartmenthochhäusern und Bürogebäuden. Mit Guerillakriegen hatte er eindeutig nichts zu schaffen. Genau aus diesem Grund hatte er sich mit Zane Halquist in Verbindung gesetzt.

„Molly!“, schrie er. „Es ist keine Zeit mehr!“

Sie konnte oder wollte ihn nicht hören. Er hätte ohne sie starten sollen. Diese Frau war noch sein Untergang. Er hatte sich nie für einen Feigling gehalten, fühlte sich jetzt aber ganz sicher wie einer.

Eine Explosion erschütterte den Boden. Jordan taumelte ein paar Schritte, bevor er sich fing. Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Es half nichts.

Zane schrie ihm etwas zu, aber es dröhnte so in seinen Ohren, dass er es nicht verstand. Er winkte, um Zane das klarzumachen, doch das war nicht mehr nötig. Der Mann, dem er vertrauensvoll ein paar Tausend Dollar übergeben hatte, rannte mit zwei oder drei der Soldaten zum Helikopter.

Jordans Herz hämmerte schwer, als er begriff, was da geschah. Sie ließen ihn, Molly und etliche Söldner zurück. Er fluchte ausgiebig, als er Molly auf der anderen Seite der Anlage mit einem älteren Mann sah. Sie hielt die Hand zum Schutz gegen den Staub vor die Augen und stand wie erstarrt da, während der Hubschrauber abhob.

Der Mann, der Molly im Krankensaal entdeckt hatte, packte Jordan am Arm. „Nehmen Sie die Frau und verstecken Sie sich!“, befahl er rau.

„Ich helfe euch“, widersprach Jordan.

„Verstecken Sie zuerst die Frau!“

Jordan nickte und rannte auf Molly zu, die ihm entgegenkam. Er fing sie auf, als sie stolperte. Sie klammerte sich an ihn, und er schob seine Finger in ihr Haar und presste sie an sich.

Er war noch nie in seinem Leben auf jemanden so wütend gewesen. Gleichzeitig war er so dankbar, dass sie lebte, dass ihm beinahe die Tränen gekommen wären.

„Wo kann ich dich verstecken?“

Sie blickte verstört zu ihm hoch. „Ich … ich weiß es nicht. Im Vorratsgebäude, aber sehen sie da nicht zuerst nach?“

Das stimmte. „Gibt es keinen Keller?“

„Nein.“

„Dann bringe ich dich und Dr. Morton ins Vorratsgebäude.“

„Was ist mit dir?“ Sie klammerte sich an ihn, als wäre er ihr Rettungsanker.

„Ich komme später nach.“

Sie legte die Hände an seine Wangen und sah ihn durch Tränen hindurch an. „Sei vorsichtig! Bitte, sei vorsichtig!“

Er nickte. Er hatte nicht die Absicht, sein Leben zu opfern. Hand in Hand liefen sie zum Vorratsgebäude. Die Männer kümmerten sich um Dr. Morton und brachten den Arzt in ein anderes Versteck.

Die Hütte für die Vorräte war verschlossen, aber Molly hatte den Schlüssel. Jordan fragte sich, welchen Schutz das heruntergekommene Gebäude bot. Wenn die Rebellen auf das Gebiet der Station vordrangen, musste er Molly verteidigen.

„Versteck dich!“, befahl er. „Ich hole dich so schnell wie möglich.“

Sie war blass und verängstigt. Er sah wahrscheinlich nicht viel besser aus. Als er sie verließ, war sein letzter Gedanke, dass jeder, der Molly etwas antun wollte, zuerst ihn umbringen musste.

Entsetzen packte Molly bei jedem Feuerstoß aus den automatischen Waffen. Sie kauerte in einer Ecke, drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und zog die Knie bis unter das Kinn an. Die Hände presste sie gegen die Ohren und nagte an ihrer Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. Es war dunkel im Raum. Nur unter der Tür schimmerte ein Lichtstreifen.

Jemand lief an dem Vorratsgebäude vorbei. Molly hielt den Atem an aus Angst, die Rebellen wären bereits eingedrungen. Das Schlimmste war das Alleinsein. Sie hätte bei Weitem nicht so viel Angst gehabt, wäre Dr. Morton bei ihr gewesen. Oder Jordan.

Nichts hätte ihr einen größeren Schock versetzen können als ihr Ehemann, der mit einem Gewehr in den Krankensaal stürmte, gekleidet, als würde er den Special Forces angehören.

Es wäre ihr lieber gewesen, er wäre in Chicago geblieben. Er war wütend auf sie. Es war nicht immer so gewesen. Am Beginn ihrer Ehe waren sie so ineinander verliebt gewesen, dass nichts sie trennen konnte.

Der Tod hatte es geschafft.

Molly hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als die Tür aufflog. Voll Panik starrte sie in die Helligkeit und entspannte sich, als sie Jordan erkannte.

„Was ist los?“, rief sie ängstlich.

„Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß.“ Er zog die Tür hart hinter sich zu. Es wurde wieder dunkel im Raum, bis Jordan ein Streichholz anriss. Er lehnte das Gewehr an die Wand und sank schwer atmend neben ihr auf den Lehmboden. „Wie ich Zane kenne, wird er alles tun, um uns zu holen, aber dafür gibt es keine Garantie.“

„Wer ist Zane?“

„Ein alter Freund, den du nicht kennst. Wir haben uns vor Jahren beim Militär kennengelernt.“

Sie fühlte den Druck seiner Schulter, und Entsetzen und Einsamkeit schwanden. „Was ist mit den Rebellen?“

„Zane und die anderen konnten sie offenbar aufhalten. Im Moment ist es ruhig, aber ich rechne nicht damit, dass es lange so bleibt.“

„Was machst du hier in Manukua?“ Die Frage lag ihr auf der Zunge, seit er in die Krankenstation gestürmt war.

„Jemand musste dich von hier wegholen. Ian ist krank vor Sorge. Sollte dir etwas zustoßen, würde er das nie verwinden.“

„Ich habe ganz sicher nicht damit gerechnet, dass es hier so schlimm kommt“, fauchte sie abwehrend.

„Du hättest dich nicht unbedingt für Manukua melden müssen“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Warum warst du nicht damit zufrieden, Schulkindern etwas zu verschreiben? Aber nein, das wäre ja zu einfach gewesen. Du musstest dir natürlich den gefährlichsten Unruheherd der Welt aussuchen.“

Drei Jahre waren sie getrennt gewesen, und nach fünf Minuten stritten sie bereits wieder. Es schmerzte. „Tut mir leid, dass du hineingezogen wurdest.“ Ihre Stimme klang erstickt.

„Es ist nicht deine Schuld, dass ich hier bin. Ich habe mich freiwillig angeboten.“ Auch er war nicht mehr wütend.

„Wie … wie ist es dir ergangen?“, fragte sie leise.

„Ich hatte viel zu tun.“

„Arbeitest du immer noch zwölf Stunden am Tag?“

„Ja.“

Das hatte sie sich gedacht. Jordan hatte sich nie erlaubt, offen um Jeff zu trauern. Er hatte sich in seiner Arbeit vergraben und sich gegen sie und das Leben abgeschottet. Nach dem Begräbnis war sie immer lethargischer geworden, während er die Geschäftswelt im Sturm eroberte. Innerhalb von acht Monaten war er Chicagos ‚Golden Boy‘ geworden und hatte seine Finger in drei gewaltigen Bauprojekten stecken. Sie dagegen hatte kaum mehr die Energie gefunden, um morgens aus dem Bett zu steigen.

Ein Schuss krachte, als wäre eine Kanone abgefeuert worden. Molly zuckte zusammen.

„Entspann dich“, sagte Jordan. „Alles unter Kontrolle.“

Er konnte das zwar nicht wissen, aber sie war ihm dankbar dafür, dass er sie beruhigte. „Ich komme mir so albern vor“, gestand sie und presste die Stirn gegen die Knie.

Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie fest an sich. Es war schwer zu begreifen, wie zwei Menschen, die einander so geliebt hatten, sich dermaßen entfremden konnten.

Die Worte blieben ihr fast im Hals stecken. „Falls … falls es zum Schlimmsten kommt, sollst du wissen, dass ich dich immer lieben werde, Jordan.“

Er verhielt sich eine Weile so still, als wüsste er nicht, was er mit ihrem Geständnis anfangen sollte. „Ich habe versucht, dich nicht zu lieben“, räumte er widerstrebend ein. „Aber irgendwie ist es mir nicht ganz gelungen.“

Wieder krachte ein Schuss, und Molly presste sich instinktiv fester an Jordan. Sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals und fühlte seine Wärme. Er sagte nichts, aber er hielt sie im Arm und streichelte sanft ihren Rücken.

Es war lange her, dass sie in den Armen ihres Mannes gelegen und sich geliebt und beschützt gefühlt hatte. Vielleicht kam diese Gelegenheit nie wieder. Tränen stiegen ihr in die Augen und liefen über ihre Wangen.

Autor

Debbie Macomber

Debbie Macomber...

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