Geheimnisvoll wie der Orient

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Die Wüste übt eine magische Faszination auf Molly aus - genau wie Tair Al Sharif. Wenn er sie anschaut, verspürt Molly wohlige Schauer. Dabei scheint er sie nicht einmal zu mögen. Was sie nicht weiß: Tair glaubt, dass sie eine Affäre mit seinem verheirateten Cousin hat. Und um die zu beenden, will er Molly selbst verführen …


  • Erscheinungstag 07.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724429
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tair Al Sharif galt als geschickter Diplomat, dem schon in einigen schwierigen Beratungsrunden die Rolle des Verhandlungsführers zugefallen war. Heute Abend wurde er seinem Ruf jedoch keineswegs gerecht. Im Gegenteil, er war drauf und dran, völlig undiplomatisch vorzugehen.

Seit einer Weile schon beobachtete er, wie die Blicke seines Cousins immer wieder zu der jungen Engländerin schweiften, die ihm an der Festtafel gegenübersaß. Am liebsten hätte er den jungen Mann gepackt und geschüttelt. Was wurde da gespielt?

„Wie geht es deinem Vater, Tair?“

Die leise Tischunterhaltung brach ab, und Tair, dessen Aufmerksamkeit bis dahin ganz von seinem Cousin, dem Kronprinzen von Zarhat, in Anspruch genommen war, wandte sich nun dem Herrscher des Landes zu.

„Hassans Tod war ein schwerer Schock für ihn.“

König Hakim von Zarhat seufzte und schüttelte den Kopf. „Es gibt nichts Schlimmeres, als in das Grab der eigenen Kinder zu blicken. Das entspricht nicht dem natürlichen Lauf der Welt. Immerhin bist du ihm geblieben. Das ist sicher ein großer Trost für ihn.“

Wenn dem so war, dann verbarg sein Vater seine Gefühle ausgezeichnet.

Tairs blaue Augen blitzten kurz auf, als er sich an das letzte Gespräch mit ihm erinnerte …

„Ich habe dir vertraut. Und was ist dabei herausgekommen?“ Mit vor Erregung gerötetem Gesicht ließ König Malik, der Herrscher von Zabrania, seine Faust auf den Tisch donnern, sodass die Gläser klirrten.

Als kleiner Junge hatte Tair immer versucht, sich seine Angst vor den unberechenbaren Ausbrüchen seines Vaters nicht anmerken zu lassen. Inzwischen empfand er diese Wutanfälle nicht mehr als bedrohlich. Sie waren ihm nur noch peinlich.

„Ich komme nicht darüber hinweg, dass dein Bruder bei diesem Unfall sterben musste. Er ist mir immer mit Respekt und Loyalität begegnet und hat stets in meinem Interesse gehandelt. Du hingegen hast meinen Schmerz ausgenutzt, um deine eigenen Geschäfte einzufädeln.“

„Ich habe mehrfach versucht, dich in Paris zu erreichen.“

Die Trauer um seinen ältesten Sohn hatte Tairs Vater nicht davon abgehalten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

König Malik wedelte nur ungeduldig mit der Hand, an der schwere Goldringe blitzten. Seine Miene verriet allergrößten Unmut.

„Leider hat man mir mitgeteilt, dass du unter keinen Umständen gestört werden möchtest.“ Tair war klar gewesen, was das bedeutete: Sein Vater steckte mitten in einem Pokerspiel, und er spielte um hohe Einsätze.

Malik kniff die Augen zusammen und blickte seinen Sohn ohne das geringste Zeichen von Zuneigung an.

„Weißt du, was dein Problem ist? Du hast keine Visionen. Du denkst nicht in großen Dimensionen. Eine Meerwasserentsalzungsanlage, wenn ich das schon höre!“, presste er hervor. „Du hast die Bohrrechte vergeben. Und was ist für uns dabei herausgesprungen? Eine Entsalzungsanlage statt einer neuen Jacht!“

„Mehr als das. Für das Unternehmen werden einheimische Arbeiter eingestellt und ausgebildet. Darüber hinaus erhalten sie fünfzig Prozent des Gewinns, sobald die Anlage profitabel ist.“

Die Manager der international tätigen Firma waren nicht gerade glücklich über seine Forderungen gewesen. Man war davon ausgegangen, dass Tair in Vertretung seines Vaters die Verträge unbesehen unterschreiben würde. Mit gemischten Gefühlen, aber voller Respekt hatten die ausländischen Vertreter schließlich den Verhandlungstisch verlassen.

Natürlich habe ich sie überrumpelt, dachte Tair, darauf waren sie nicht gefasst. Beim nächsten Mal – und der Reaktion seines Vaters nach zu schließen, würde dieser Tag in ferner Zukunft liegen – besäße er diesen Vorteil nicht mehr.

Dann lasse ich mir etwas anderes einfallen, ging es ihm durch den Kopf. Herausforderungen hatten ihn noch nie abgeschreckt.

„Sobald die Anlage profitabel ist!“ Sein Vater schnippte mit geschwollenen Fingern. Sein ausschweifender Lebensstil hatte seinem einst sportlichen Körper zugesetzt. „Und wann wird das sein? Die Jacht hätte ich in einem Monat bekommen!“

Tairs Bemerkung, an dem Schiff vom vergangenen Jahr sei eigentlich nichts auszusetzen, war nicht sehr wohlwollend aufgenommen worden. Und obwohl er nicht gerade ein Lob für seinen eigenmächtigen Geschäftsabschluss erwartet hatte, so waren die Vorwürfe seines Vaters doch schwer zu verdauen gewesen.

Den mahnend erhobenen Zeigefinger seines Onkels hingegen konnte er leichter verkraften. Schließlich wusste Tair, dass König Hakim nur sein Bestes wollte. Anders als sein Vater hatte der Onkel stets das Wohl seines Volkes über seine eigene Bequemlichkeit gestellt. Er zeigte Verständnis für Tairs Motive, denn er setzte sich ebenso sehr für die Interessen der Bevölkerung ein.

„Wenn du das nächste Mal allein durch einen Sandsturm fliegst, denkst du vielleicht daran, dass dein Vater jetzt nur noch dich hat.“

Schwer zu sagen, was seinen Onkel mehr aufbrachte: der gefährliche Flug oder die Tatsache, dass sein Neffe allein und ohne die seiner Stellung angemessene Begleitung unterwegs gewesen war.

„Als Kronprinz hat man sich an gewisse Regeln zu halten.“

Tair neigte kurz den Kopf, zum Zeichen, dass er die Zurechtweisung akzeptierte. „Die Rolle ist noch neu für mich. Es ist unvermeidlich, dass ich am Anfang einige Fehler mache.“

Von dem Moment an, als der Tod seines Bruders Tair zum Thronerben gemacht hatte, stand er im Rampenlicht. Er hatte sich mit der öffentlichen Aufmerksamkeit arrangiert, gestattete sich aber hin und wieder kleine Fluchten. Orte, an denen er zu sich selbst fand, und Menschen, die ihn so nahmen, wie er war. Diese Momente halfen ihm, sein inneres Gleichgewicht zu halten.

„Mich täuschst du nicht“, fuhr sein Onkel fort. „Glaubst du etwa, ich weiß nicht, dass du jetzt nickst und lächelst, aber im nächsten Augenblick wieder deinen eigenen Kopf durchsetzt? Aber mir ist auch bewusst, dass du trotz deiner Eskapaden ein verantwortungsbewusster Mensch bist. Und das ist mehr, als man von deinem Bruder sagen konnte. Man soll nicht schlecht von den Toten reden, doch ich habe das alles auch schon zu seinen Lebzeiten gesagt. Dein Vater hätte die Skandale und zwielichtigen Geschäfte deines Bruders nie decken dürfen.“ König Hakim schnalzte abschätzig mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Ich war immer der Ansicht, dass es deinem Land besser getan hätte, wenn du der Ältere gewesen wärst.“

Es kam nicht oft vor, dass Tair keine passende Erwiderung einfiel. Kritik war er gewohnt, doch das unerwartete Lob seines Onkels machte ihn für einen Moment sprachlos.

Beatrice brach schließlich das Schweigen, das über der Gesellschaft lag. „Ich möchte auch eines Tages den Flugschein machen.“ Mit dieser Bemerkung gelang es der hochschwangeren Prinzessin, die Aufmerksamkeit ihres Schwiegervaters von Tair abzulenken und auf sich zu ziehen. Ein geschickter Schachzug, fand Tair, denn daraufhin entbrannte unter den jüngeren Leuten am Tisch ein gutmütiges Geplänkel darüber, ob Männer oder Frauen die besseren Piloten seien.

Alle, bis auf die unscheinbare junge Engländerin beteiligten sich an der Diskussion. Sie hatte sich während des ganzen Essen nur dann geäußert, wenn sie angesprochen wurde. Entweder ist sie schüchtern oder völlig ungeübt in höflicher Konversation, dachte Tair. Vermutlich Letzteres.

Tariq hatte ebenfalls die ganze Zeit über geschwiegen.

Tairs Verdacht erhärtete sich mit jeder Minute, und er war mit seiner Geduld bald am Ende. Unauffällig beobachtete er die beiden, die azurblauen Augen unter halb gesenkten Lidern verborgen.

Das Schicksal hatte es gut mit Tariq gemeint. Es fehlte ihm an nichts, seine Frau liebte ihn über alles und erwartete gerade ihr erstes Kind.

Tairs angespannte Gesichtszüge wurden weicher, als sein Blick kurz zum anderen Ende des Tisches ging, wo Beatrice Al Kamal saß. Eine Prinzessin durch und durch, auch wenn sie ihm jetzt, unbemerkt von ihrem Schwiegervater, schelmisch zuzwinkerte.

Sein Lächeln erstarb, als er Tariqs Blick bemerkte, der unablässig auf der englischen grauen Maus ruhte.

Tair fühlte kalte Wut in sich hochsteigen. Er mochte seinen Cousin und hatte ihn immer für einen in sich ruhenden, überlegt handelnden Mann gehalten. Als Tariq sich in die attraktive rothaarige Beatrice verliebt und sie nach einer stürmischen Romanze geheiratet hatte, war Tair von ganzem Herzen froh gewesen.

Wenn zwei Menschen füreinander geschaffen sind, dann Beatrice und Tariq. Die warme Zuneigung, mit der sie einander begegnen, geht selbst an einem Zyniker wie mir nicht spurlos vorüber, dachte Tair. Und in den seltenen Momenten, in denen er sich seinen Träumen überließ, stellte er sich vor, ebenfalls eine solche Gefährtin zu finden. Auch wenn er wusste, dass die Realität ganz anders aussah.

Seine Zukunft war unauflöslich mit der des Staates verbunden, den er eines Tages regieren würde. Und nach Jahren des Raubbaus durch seinen Vater und seinen Bruder Hassan, für die ihr Land nichts weiter als eine persönliche Geldquelle gewesen war, brauchte seine Heimat dringend politische und finanzielle Stabilität. Es war daher seine Pflicht, eine Ehe einzugehen, die diesen Interessen diente. Bessere Verkehrsverbindungen und medizinischer Fortschritt waren für sein Land von größerer Bedeutung als eine Liebesheirat.

Nach einem weiteren Blick auf seinen Cousin, der die Augen nicht von dem englischen Mauerblümchen abwandte, war er mit seiner Geduld am Ende. Hatte sein Cousin völlig den Verstand verloren und vergessen, dass er eine wundbare Frau hatte?

Selbst wenn Tariq vor einem Seitensprung zurückschrecken sollte, so war in Tairs Augen die Grenze zwischen einer tatsächlichen und einer in der Fantasie begangenen Untreue fließend. Anscheinend war sein Cousin töricht genug, die Gefühle seiner Frau zu verletzen, indem er eine andere unverhohlen anhimmelte.

Man musste nicht besonders intelligent sein, um die Signale zu erkennen, die er dieser Frau zusandte. Und Beatrice war alles andere als dumm.

Wie kann er seine Frau nur so respektlos und beleidigend behandeln? fragte sich Tair. Ist diese Engländerin das wirklich wert?

Eine steile Zornesfalte erschien auf seiner Stirn, als Tair erneut zu der Besucherin hinübersah, die mit Sicherheit nicht so unschuldig war, wie sie sich gab. Ohne eine gewisse Ermutigung würde Tariq sich nicht so verhalten. Was findet er nur an diesem Mauerblümchen?

Im Gegensatz zur rothaarigen, äußerst attraktiven Beatrice würde sich nach dieser Frau niemand umdrehen. Klein und zierlich, mit braunem, im Nacken zusammengebundenem Haar wirkte sie völlig unauffällig. Gleichwohl registrierte er nun ihre graziöse Haltung und ihre makellose Haut.

Er versuchte sich vorzustellen, wie sie ohne das viel zu große Brillengestell aussehen mochte, und kam zu dem Schluss, dass eine Investition in ein Paar Kontaktlinsen zu einem durchaus vielversprechenden Ergebnis führen könnte. Zumindest käme dann ihre Nase mit dem kleinen, frechen Aufwärtsschwung besser zur Geltung.

Dennoch würde auch diese Veränderung nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ein unmögliches sackförmiges Kleid von unbestimmbarer Farbe trug, das keine einzige attraktive Rundung erkennen ließ.

Seine Augen verengten sich, als er beobachtete, wie die Engländerin den Kopf hob und Tariqs Blick erwiderte. Für einen Moment blickten die beiden einander an und schienen den Rest der Welt vergessen zu haben. Tair spürte, wie sich ihm vor Wut die Kehle zusammenschnürte.

Dann lächelte die Engländerin. Dabei senkte sie ihre langen, geschwungenen Wimpern, und ihr Gesicht mit den leicht geröteten Wangen wirkte plötzlich weich und feminin. Mir ist noch gar nicht aufgefallen, wie sinnlich ihre Lippen sind, schoss es Tair durch den Kopf.

Das leichte Unbehagen angesichts des untypischen Verhaltens seines Cousins verwandelte sich nun in echte Besorgnis. Bisher hatte er geglaubt, er müsste Tariq nur daran erinnern, was er seiner Frau und seinem guten Ruf schuldig war. Sollte es dafür schon zu spät sein, waren allerdings drastischere Mittel erforderlich.

Als er das verführerische Lächeln sah, kam ihm zum ersten Mal der Verdacht, das Verhältnis zwischen den beiden könnte das Stadium des harmlosen Flirts bereits überschritten haben.

Tairs Knöchel wurden weiß, so fest umfasste er sein Glas. Familienmitglieder und Gäste unterhielten sich lebhaft in dem prachtvollen Speisesaal des Königspalastes. Keiner schien zu bemerken, was sich zwischen dem Kronprinzen von Zarhat und der perfekt getarnten Verführerin abspielte. Waren die anderen denn alle blind?

Einen nach dem anderen unterzog er die Anwesenden einer kurzen Musterung. Er bemerkte, dass Beatrice die Blicke zwischen ihrem Ehemann und ihrer Freundin nicht entgingen. Bewundernd stellte er fest, dass sie trotz der Unruhe, die sie empfinden musste, entspannt lächelte und freundlich auf eine Bemerkung ihres Schwagers Khalid antwortete.

Beatrice hatte eben Stil. Was man von ihrer Freundin nicht behaupten konnte. Immerhin wusste er jetzt, dass diese Engländerin alles andere als harmlos war und sich Tariq als Beute ausgewählt hatte.

Kurz erwog Tair die Möglichkeit, seinen Cousin direkt auf sein Verhalten anzusprechen. Doch er verwarf den Gedanken. Tariq war ihm keine Rechenschaft schuldig. Es würde zum Streit oder Schlimmerem kommen. Weder auf persönlicher noch auf politischer Ebene war das wünschenswert. Nein, lieber würde er mit der Verführerin reden. Das erschien ihm vielversprechender.

Ich werde dieser Frau klipp und klar mitteilen, dass ich nicht mit ansehe, wie sie die Ehe meiner Freunde zerstört. Und wenn sie nicht zur Einsicht gelangt, dann greife ich eben ein. Er hatte zwar bislang keine genaue Vorstellung davon, welche Schritte er unternehmen wollte, doch war ihm noch in jeder brenzligen Situation eine Lösung eingefallen. Schließlich war er bekannt dafür, den Dingen nicht aus dem Weg zu gehen und notfalls auch selbst die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

Während er den sinnlichen Mund der Engländerin betrachtete, fragte er sich, ob er wohl so weit gehen musste, diese Lippen zu küssen, um seinen Cousin vor weiterem Unheil zu bewahren. Sicher ließ es sich so einrichten, dass Tariq ihn dabei beobachtete. Damit wäre das Problem aus der Welt, denn sein Cousin war bestimmt nicht bereit, seine Geliebte mit einem anderen zu teilen.

Während er nun offen auf ihre Lippen starrte, dachte er, sie ist ganz anders als alle Frauen, die ich bisher geküsst habe. Überhaupt nicht attraktiv, bis auf diesen wirklich sehr erotischen Mund. Er hatte schon unangenehmere Dinge auf sich genommen, um einem Freund zu helfen.

Als spürte sie seine Gedanken, wandte sie plötzlich die Augen von ihrem Gegenüber ab und begegnete direkt Tairs feindseligem Blick.

Kühl und emotionslos beobachtete er, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, und als sie sich unangenehm berührt wegdrehte, verzog er verächtlich die Lippen. Zumindest wusste sie nun, dass sie ihn nicht hinters Licht führen konnte.

Tariq hatte seine Krawatte gelockert, trug aber noch immer den dunklen Anzug, den er zum Dinner gewählt hatte.

Molly schloss die Tür und deutete auf einen Stuhl. Sie selbst setzte sich auf das große Himmelbett und schlug die Beine unter. In meinem schlichten Baumwollschlafanzug passe ich überhaupt nicht zu dem Luxus in diesem beeindruckenden Palast, dachte sie.

Ihre anfängliche Schüchternheit gegenüber Tariq hatte sich in den zwei Wochen seit ihrer Ankunft etwas gelegt. Völlig entspannt fühlte sie sich aber noch immer nicht in seiner Gegenwart.

Auch er schien in ihrer Anwesenheit verunsichert, was bei der Kürze ihrer Bekanntschaft nicht verwunderlich war. Glücklicherweise war sein Bruder Khalid wesentlich forscher, sodass Molly mit ihm viel ungehemmter umging.

Tariq griff nach einem Stuhl, drehte ihn herum und nahm, die Arme auf die Lehne gestützt, in Kutscherstellung Platz. Molly erinnerte sich an Beatrice’ Worte, ihr Mann neige nicht dazu, Gesprächspausen mit Floskeln zu füllen. Und so wartete sie ungeduldig darauf, dass er ihr den Grund seines ungewöhnlichen abendlichen Besuchs mitteilen würde.

„Störe ich? Hast du schon geschlafen?“

Sie schüttelte den Kopf. Erneut folgte ein längeres Schweigen. Was kann er nur wollen?

„Khalid befürchtet, deine Gefühle verletzt zu haben.“

Molly war verwirrt. „Wie kommt er darauf?“

„Er hat dich Tair gegenüber als Freundin von Beatrice vorgestellt.“ Ausnahmsweise war Tariq heute über das unerwartete Erscheinen seines Cousins alles andere als erfreut gewesen. „Khalid hat Angst, du könntest gekränkt sein, weil er verschwiegen hat, dass wir verwandt sind.“

Sie hatte wieder den großen Mann mit den strahlend blauen Augen vor sich, der unangemeldet zum Abendessen erschienen war. Staubig, aber bemerkenswert attraktiv war er nach einer Notlandung im Palast aufgetaucht. Er war mit seinem Flugzeug in einen Sandsturm geraten und auf einem aufgelassenen Flugplatz in der Nähe der Stadt gelandet.

„Unsere Familien sind eng miteinander verbunden. Er ist ein Cousin meines Mannes und der Thronerbe unseres Nachbarlandes Zabrania“, hatte Beatrice ihr zugeraunt, während die Männer sich in einer verwirrenden Mischung aus Arabisch, Französisch und Englisch unterhalten hatten.

„Er hat tiefblaue Augen!“ Azur wie das Meer. Nie hatte sie Augen von einem so intensiven Blau gesehen.

„Das ist dir aufgefallen?“

Es war nicht zu übersehen!

„Etliche Familienmitglieder der Al Sharifs haben diese leuchtend blauen Augen wie Tair. Es gibt dazu auch eine hübsche Geschichte. Ich weiß nicht, ob sie stimmt, aber man sagt, dass sich vor ewigen Zeiten ein Wikinger hierher verirrt hat. Anscheinend verstand er sich ein bisschen zu gut mit der Königstochter. Jedenfalls kommt seitdem immer mal wieder ein Mitglied des Königshauses mit blauen Augen zur Welt. Tair sieht fantastisch aus, was meinst du?“

„Findest du?“ Sie hatte sich bemüht, gleichgültig zu klingen. „Ist mir gar nicht aufgefallen.“

Sehr überzeugend konnte sie nicht gewirkt haben, denn Beatrice hatte laut aufgelacht.

Unauffällig hatte Molly den Neuankömmling gemustert. Seit er den Kinderschuhen entwachsen war, musste dieser Mann die Blicke aller Frauen auf sich gezogen haben: hohe Wangenknochen, leicht gebräunte Haut, makellos, bis auf eine kaum sichtbare Narbe, die quer über die Wange lief, neben dem Mundwinkel endete und seine vollen, sinnlichen Lippen nur zu betonen schien.

Überhaupt hatte sein Mund sie auf völlig abwegige Gedanken gebracht!

Dann die Augenbrauen, leicht geschwungen und rabenschwarz wie sein Haar, das den Kragen seines Hemds berührte.

Zum Glück scheint es niemandem aufzufallen, dass ich die Augen nicht von ihm abwenden kann, hatte sie gedacht und fasziniert seine kantigen Gesichtszüge betrachtet. Nein, Tair Al Sharif war keine Hollywoodschönheit. Von ihm ging eine viel primitivere Attraktion aus.

Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

Außerdem kommt es nicht allein auf das Aussehen an, hatte sich ihre innere Stimme gemeldet.

Wie oft hatte Molly diese Worte von ihrem Vater zu hören bekommen. Sie waren tröstlich gemeint, denn sie war mit zwei liebenswerten und äußerst attraktiven Stiefschwestern aufgewachsen. Manchmal wäre es vielleicht einfacher für mich gewesen, wenn sie gemein zu mir gewesen wären, dachte sie. Böse Stiefschwestern entsprachen nun mal viel besser dem Klischee als zwei reizende junge Mädchen, die sie verwöhnten und immer wieder betonten, es komme auf die innere Schönheit an.

Erst im vergangenen Monat, als sie Rosie gestand, dass sie sich nach einer totalen Veränderung sehnte und die Rolle des intelligenten, aber unattraktiven Mauerblümchens ein für alle Mal satthabe, hatte Rosie ihr angeboten, sie zur Kosmetikerin und zum Einkaufen zu begleiten.

Molly riss sich gewaltsam aus ihren Erinnerungen und wandte ihre Aufmerksamkeit erneut Tariq zu. „Ich kann Khalid gut verstehen. Er braucht sich meinetwegen keine Sorgen zu machen. Allerdings …“, sie unterbrach sich kurz „… allerdings habe ich den Eindruck, dein Cousin mag mich nicht besonders.“

„Tair?“ Tariq schüttelte den Kopf. „Da täuschst du dich sicher. Er kennt dich doch gar nicht. Was sollte er gegen dich haben?“

Gute Frage. Doch sie war sich völlig sicher, dass sie den Ausdruck in den blitzenden azurblauen Augen nicht falsch gedeutet hatte.

Gut aussehende Männer hatten sich nie besonders für sie interessiert – anscheinend hatten sie keine Antennen für ihre innere Schönheit. Die offene Verachtung, mit der Tair ihr begegnet war, hatte sie jedoch aus der Fassung gebracht.

„Das bildest du dir sicher nur ein.“

„Vermutlich“, lenkte sie ein, obschon sie nicht überzeugt war. Tair Al Sharif kann mich nicht ausstehen.

Diese Erkenntnis sollte ihr nicht den Schlaf rauben. Ihr erster Eindruck von ihm war auch nicht gerade vorteilhaft gewesen.

„Wenn dir etwas daran liegt, dann erkläre ich ihm sofort, dass du meine Halbschwester bist.“

„Das ist nicht nötig.“ Hatte ihr Tariq für den Bruchteil einer Sekunde erleichtert gewirkt? Sie sollte Verständnis dafür aufbringen, aber ein kleiner Stachel blieb dennoch. „Ehrlich gesagt ist es mir lieber, wenn du es ihm nicht sagst.“

Die Tatsache, dass sie die englische Halbschwester von Tariq und Khalid war, würde nichts an der unerklärlichen Abneigung ändern, die der gut aussehende Tair ihr gegenüber verspürte.

Als ob mir etwas an seiner Meinung liegen würde!

Sie zählte sich seine Schwächen auf. Er war arrogant, humorlos und selbstverliebt. Letzteres war eine Vermutung, denn sie nahm an, dass jemand mit Tairs Aussehen gar nicht anders konnte, als eingebildet zu sein.

„Wie du willst. Du sollst nur wissen, dass wir grundsätzlich kein Geheimnis aus unserer Verwandtschaft machen. Es ist nur …“ Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Eine öffentliche Bekanntgabe wäre …“

„… sicher sehr schwierig für deinen Vater“, beendete sie den Satz.

Dankbar blickte Tariq sie an. „Er hat eine schlimme Zeit durchgemacht, als deine Mutter ihn verließ. Er ist ein stolzer Mann, und eine Scheidung ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Skandal.“

Auch für Tariq war es nicht einfach gewesen, so viel wusste Molly mittlerweile.

„Dein Vater verhält sich mir gegenüber äußerst zuvorkommend. Ich möchte ihm auf keinen Fall Probleme bereiten. Von mir erfährt niemand etwas. Für alle, die Näheres über mich wissen wollen, bin ich Beas Freundin.“

Die Zusage fiel ihr nicht schwer, hatte doch die außergewöhnliche Gastfreundschaft König Hakims sie tief berührt. Es konnte für ihn nicht einfach sein, die Tochter seiner Exfrau als seinen Gast zu begrüßen.

Nach allem, was sie über das Leben in Zarhat wusste, hatte Tariq eher untertrieben, als er von den Auswirkungen der Scheidung sprach. Und dennoch hatte der König sie mit großer Freundlichkeit in seinem Palast aufgenommen. Ich würde es sogar verstehen, wenn er nichts von mir wissen wollte, dachte sie.

Der Ernst, mit dem sie Tariq versprach, niemandem ihre wahre Identität zu verraten, zauberte ein warmes Lächeln auf dessen Gesicht. „Dafür bin ich dir wirklich dankbar. Du sollst aber auch wissen, dass Khalid und ich stolz gewesen wären, dich heute Abend als unsere Schwester vorzustellen.“

Tränen schimmerten in Mollys Augen, und sie verspürte einen Kloß im Hals. „Wirklich?“

„Wie kannst du daran zweifeln?“, fragte er. Und nach einer kurzen Pause: „Aber du hast recht, schließlich habe ich die letzten vierundzwanzig Jahre nicht mit dir geredet. Ich hätte es verdient, von dir zum Teufel gejagt zu werden.“

Molly musste grinsen, und sie schob sich eine Strähne ihres hüftlangen Haares hinter das Ohr. „Wenn ich mich recht erinnere, habe ich genau das Gleiche getan.“

Die Erinnerung an ihre erste Begegnung zauberte ein reuiges Lächeln auf Tariqs Gesicht.

„Ich wäre heute nicht hier, wenn mich Beatrice nicht nach unserem verunglückten Treffen aufgesucht hätte.“

Das stimmte. Als ihr Halbbruder, der sich nie zuvor bei ihr gemeldet hatte, sie plötzlich sehen wollte, hatte Molly ihn kurzerhand abgewiesen. Wozu brauchte sie einen Bruder? Ihre Mutter hatte unglaublich darunter gelitten, dass ihr Sohn nach ihrer zweiten Heirat jeden Kontakt zu ihr abgebrochen hatte.

Sie waren Fremde, und Molly hatte nicht vor, daran etwas zu ändern. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben.

Warum auch?

Schließlich war sie ihm nichts schuldig. Er hatte den Kontakt abgebrochen. Darüber hinaus hatte er seinen jüngeren Bruder gegen sie aufgebracht. Sie hatte den kleinen Khalid vor dem viel zu frühen Tod ihrer Mutter öfter gesehen und sehr geliebt.

Erst als Beatrice sie aufsuchte und die Einladung nachdrücklich und von Herzen wiederholte, war Molly bereit gewesen, sie anzunehmen.

Obwohl sie überaus skeptisch in Zarhat ankam, konnte sie schon nach der ersten, etwas befangenen Begegnung feststellen, dass sie Tariq mochte.

„Bist du inzwischen froh, gekommen zu sein?“

Sie setzte sich aufrecht hin und betrachtete das schmale gebräunte Gesicht ihres Halbbruders, das ihr noch immer recht fremd erschien. „Sehr froh“, gab sie freimütig zu.

Tariq lächelte und erhob sich. „Dann belassen wir es dabei. Du bist die Freundin von Beatrice.“

„Dabei bleibt es“, versicherte sie ihm und begleitete ihn zur Tür.

„Tariq!“

Er blieb an der offenen Tür stehen.

„Ich kann dich jetzt besser verstehen. Und ich kann auch nachempfinden, warum du Mum nie besucht hast.“

Das war früher anders gewesen. Als sie klein war, hatte sie nur den Schmerz in den Augen ihrer Mutter gesehen, wenn ihr ältester Sohn, den sie nach ihrer Scheidung in Zarhat zurücklassen musste, seinen kleinen Bruder in den Ferien nicht nach England begleitete.

Molly war damals nicht klar gewesen, dass Tariq tief verletzt war. Hatte seine Mutter doch ihre Freiheit über die Liebe zu ihren Söhnen gestellt.

„Als Dad erfuhr, dass ich zu euch reise, erzählte er mir, Mum habe ihre Schuldgefühle nie überwunden. Sie hat euch verlassen, aber sie wusste auch, dass es euch gut gehen würde und euer Zuhause hier ist.“

„Und ihres war in England.“

Er sagte es ohne die geringste Spur eines Vorwurfs. Trotzdem fühlte sich Molly genötigt, ihre Mutter in Schutz zu nehmen.

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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