Happy End auf Korfu (Julia)
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„Es ist mir völlig egal, ob er gerade in einer Telefonkonferenz steckt. Es ist dringend!“
Die Stimme vor Alekos Zagorakis’ Büro gehörte seinem Anwalt und Freund Dimitri. Alekos schaute überrascht auf, als plötzlich die Tür aufschwang.
Dimitri stand im Türrahmen, in der Hand hielt er einen Stapel Papiere.
„Ich rufe später wieder an“, sagte Alekos und beendete die Telefonkonferenz mit seinem Team in New York und London. „Da ich dich noch nie so aufgeregt gesehen habe, nehme ich an, dass du schlechte Nachrichten bringst. Ist ein Tanker gesunken?“
„Schnell.“ Der sonst so ruhige Dimitri sprintete durch das geräumige Büro, stieß dabei so heftig gegen den Schreibtisch, dass sämtliche Papiere auf den Boden glitten. „Schalte den Computer an.“
„Er ist schon an.“ Neugierig richtete Alekos den Blick auf den Computerbildschirm. „Was soll ich mir ansehen?“
„Gehe auf eBay“, sagte Dimitri mit gepresster Stimme. „Uns bleiben noch drei Minuten, um ein Gebot abzugeben.“
Alekos verschwendete keine Zeit, Dimitri darauf hinzuweisen, dass es eigentlich nicht zu seinem Berufsalltag gehörte, Dinge bei einem Internetauktionshaus zu ersteigern. Stattdessen flog er mit den Fingern über die Tastatur und rief die gewünschte Seite auf.
„Diamant“, krächzte Dimitri. „Gib ein: ‚großer weißer Diamant‘.“
Mit einer bösen Vorahnung hackte Alekos auf die Tastatur ein. Nein: Das hatte sie nicht getan.
Als sich die Seite auf dem Bildschirm öffnete, fluchte er leise auf Griechisch. Dimitri glitt auf den nächsten Stuhl. „Habe ich recht? Der Zagorakis-Diamant? Bei eBay angeboten?“
Alekos starrte das Foto des Edelsteins an und spürte, wie sich tief in seinem Inneren etwas regte. Beim Anblick des Rings musste er sofort wieder an sie denken. Und der Gedanke löste eine Reihe von Empfindungen aus, deren Heftigkeit ihn überraschte. Obwohl wir uns seit vier Jahren nicht mehr gesehen haben, übt sie immer noch diese Wirkung auf mich aus, dachte er mit grimmiger Miene. „Es ist der Diamant. Bist du sicher, dass sie ihn verkauft?“
„Es sieht ganz so aus. Wenn der Stein schon vorher auf dem Markt gewesen wäre, hätten wir es erfahren. Ich habe ein ganzes Team angesetzt, um herauszubekommen, wer der Verkäufer ist. Aber uns läuft die Zeit davon. Warum bei eBay?“ Dimitri bückte sich, um die Papiere vom Boden aufzusammeln. „Warum nicht bei Christie’s oder bei Sotheby’s oder einem anderen angesehen Auktionshaus? Was für eine abwegige Idee.“
„Gar nicht so abwegig.“ Alekos lachte auf. „Das passt zu ihr. Sie würde nie zu Christie’s oder Sotheby’s gehen.“ Ihre einfache Art hatte er damals so erfrischend gefunden. Sie war bescheiden, und diese Eigenschaft kam in der fadenscheinigen Welt des Glitz & Glamour, in der er zu Hause war, äußerst selten vor.
„Sei es drum.“ Dimitri zerrte an seiner Krawatte, als würde er ersticken. „Da die Gebote schon bei einer Million Dollar stehen, muss wohl auch ein anderer Wind davon bekommen haben, dass es sich um den Zagorakis-Diamanten handelt. Wir müssen sie aufhalten! Warum verkauft sie ihn gerade jetzt? Warum nicht schon vor vier Jahren? Damals hatte sie Grund genug, dich zu hassen.“
Alekos lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Mit leiser Stimme sagte er: „Sie hat die Fotos gesehen.“
„Von dir und Marianna beim Wohltätigkeitsball? Glaubst du, sie hat die Gerüchte gehört, dass die Beziehung ernst ist?“
Alekos starrte auf das Schmuckstück, das ihn vom Bildschirm aus zu verspotten schien. „Ja.“
Der Ring sagte alles. Sie hatte ihn bei eBay eingestellt, als wollte sie sagen: So viel halte ich von dem, was zwischen uns war. Sie hätte ihn genauso gut in einen Fluss werfen können, aber das hier hatte eine weit stärkere Wirkung. Sie verkaufte ihn vor aller Augen an den Meistbietenden. Die Botschaft war klar: Dieser Ring bedeutet mir nichts.
Unsere Beziehung hat mir nichts bedeutet.
Sie musste vor Wut rasen.
Seine eigene Wut traf ihn wie ein Faustschlag. Er stand plötzlich auf; ihr Verhalten schien zu bestätigen, dass er mit Marianna die richtige Wahl getroffen hatte. Marianna Konstantin würde nie etwas so Geschmackloses tun und einen Ring bei eBay versteigern. Marianna war viel zu gut erzogen, um ein Geschenk zu verkaufen. Ihr Benehmen war immer tadellos; sie war ruhig und zurückhaltend und geizte mit ihren Gefühlen. Aber das Wichtigste war: Sie wollte ihn nicht heiraten.
Alekos starrte den Ring auf dem Bildschirm an. Er ahnte, wie tief der Hass sein musste, der sie zu dem Verkauf bewogen hatte. Die Frau, die den Ring verkaufte, machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube.
Als er daran dachte, wie freigebig sie mit ihren Gefühlen war, wurde sein Gesichtsausdruck hart. Es wäre eine gute Idee, wenn er dieses letzte Bindeglied endlich aus der Welt schaffte. Die Zeit war reif.
Alekos traf eine spontane Entscheidung. „Biete auf den Ring, Dimitri.“
Der Anwalt stotterte. „Bieten? Wie denn? Man benötigt ein Konto bei eBay, und uns bleibt nicht genug Zeit, eins einzurichten.“
„Wir brauchen jemanden, der oft bei eBay einkauft.“ Schnell und bestimmt drückte Alekos eine Taste auf dem Telefon. „Schicken Sie Eleni, unsere Auszubildende, herein. Sofort.“
Einen Augenblick später betrat Alekos’ jüngste Sekretärin nervös das Büro. „Sie wollten mich sprechen, Mr Zagorakis?“
„Haben Sie ein Konto bei eBay?“
Das Mädchen schluckte sichtlich erstaunt. „Ja, Sir.“
„Sie müssen für mich ein Gebot abgeben.“ Alekos sah, dass die Uhr herunterzählte: zwei Minuten. Er hatte noch zwei Minuten, um sich etwas zurückzuholen, das er nie hätte verschenken dürfen. „Loggen Sie sich ein, oder was auch immer Sie machen müssen, um ein Gebot für diesen Diamanten abzugeben.“
„Ja, Sir. Sofort.“ Die Auszubildende lief zu seinem Schreibtisch und gab ihren Benutzernamen und das Passwort ein. Sie zitterte so stark, dass sie sich beim Passwort vertippte.
„Lassen Sie sich Zeit“, beruhigte Alekos sie. Er warf Dimitri einen warnenden Blick zu.
Endlich hatte sie das richtige Passwort eingegeben und sah ihn ängstlich an. „Wie viel soll ich für Sie bieten?“
Alekos entschied: „Zwei Millionen Dollar.“
Das Mädchen holte geräuschvoll Luft. „Wie viel?“
„Zwei Millionen.“ Alekos sah auf die Uhr: Ihm blieben noch sechzig Sekunden, um sich ein Familienerbstück zurückzuerobern, das er niemals aus der Hand hätte geben dürfen. Sechzig Sekunden, um endgültig eine Beziehung zu beenden, auf die er sich niemals hätte einlassen dürfen. „Beeilen Sie sich.“
„Aber“, stammelte das Mädchen, „das kann ich mir nicht leisten.“
„Aber ich kann es.“ Mit einem Stirnrunzeln betrachtete Alekos das aschfahle Gesicht des Mädchens. „Fallen Sie jetzt bloß nicht in Ohnmacht. Sonst kann ich kein Gebot für diesen Ring abgeben. Dimitri ist der Leiter meiner Rechtsabteilung. Er kann bezeugen, dass ich für mein Wort einstehen werde. Uns bleiben nur noch dreißig Sekunden. Es ist für mich ungemein wichtig, dass Sie jetzt bieten. Bitte.“
„Natürlich. Ich – es tut mir leid.“ Mit zitternden Händen gab Eleni den Betrag ein, dann zögerte sie kurz und drückte ‚Enter‘. „Ich – ich bin – ich meine, Sie sind momentan der Meistbietende“, sagte sie schwach. Alekos zog eine Augenbraue hoch.
„Gekauft?“
„Solange kein anderer in letzter Sekunde mehr bietet.“
Alekos legte seine Hände über die des Mädchens und gab vier Millionen Dollar ein.
Fünf Sekunden später gehörte der Ring ihm, und er goss dem zitternden Mädchen ein Glas Wasser ein.
„Ich bin beeindruckt. Sie haben unter Stress sehr gut reagiert. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Und jetzt“, er ließ seine Stimme ganz beiläufig klingen, „muss ich wissen, wem ich das Geld überweisen soll. Hinterlässt der Verkäufer seinen Namen und die Adresse?“
Alekos beachtete Dimitris erschrockenen Blick nicht, sondern griff zu Papier und Stift.
Er musste entscheiden, ob er sich selbst darum kümmern wollte oder die ganze Angelegenheit seinen Anwälten übergab.
Nimm lieber die Anwälte, riet ihm die Stimme der Vernunft. Immerhin hast du vier Jahre lang nicht nach ihr gesucht.
„Sie können alle möglichen Fragen per E-Mail stellen“, sagte Eleni leise. Ihre Augen waren auf den Diamanten auf dem Bildschirm gerichtet. „Was für ein wunderschöner Ring. Die Glückliche, die ihn tragen wird. Wie romantisch.“ Sie sah Alekos mit großen Augen an, und er brachte es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen.
War er jemals romantisch gewesen? Wenn es romantisch war, sich Hals über Kopf in eine stürmische Affäre zu stürzen, ja, dann war er romantisch gewesen. Oder vielleicht würde der Ausdruck „blind vor Leidenschaft“ den Zustand besser beschreiben. Zum Glück war er rechtzeitig wieder zur Vernunft gekommen. Mit einem zynischen Grinsen überlegte Alekos, dass es weitaus klüger war, wenn man eine Beziehung wie eine Geschäftsbeziehung anging. So hielt er es mit Marianna. Er verspürte keinen großen Wunsch, sie zu verstehen, und sie zeigte auch kein Interesse, ihn verstehen zu wollen.
Eine Zweckgemeinschaft. War das nicht besser als die Verbindung zu einer Frau, die ihm bis in die Seele blicken konnte und ihn mit leidenschaftlichem Sex verführte?
Alekos spürte, wie sich seine Schultern verspannten. Er sah aus dem Fenster, während Dimitri die Auszubildende hastig aus dem Zimmer schob.
Der Anwalt schloss die Tür und drehte sich zu Alekos. „Ich lasse den Ring abholen.“
„Nein.“ Alekos griff zu seinem Jackett. „Ich möchte nicht, dass der Ring in fremde Hände gerät. Ich hole ihn selbst ab.“
„Du selbst? Alekos, du hast das Mädchen seit vier Jahren nicht gesehen. Du hieltest es für besser, keinen Kontakt zu ihr aufzunehmen. Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“
„Ich habe nur gute Ideen“, entgegnete Alekos. Ich muss endlich einen Schlussstrich ziehen, dachte er grimmig. Gib ihr das Geld, nimm den Ring und vergiss sie endlich.
„Tief durchatmen. Steck den Kopf zwischen die Knie – so ist es gut. Du fällst nicht in Ohnmacht. Jetzt erzählst du mir alles noch einmal ganz langsam von vorn.“
Kelly öffnete den Mund. Es kam kein Ton heraus. Sie fragte sich, ob man durch einen Schock die Stimme verlieren könnte.
Ihre Freundin starrte sie erschrocken an. „Kel, ich gebe dir noch dreißig Sekunden. Dann kippe ich dir einen Eimer Wasser über den Kopf.“
Kelly holte tief Luft und versuchte es erneut. „Verkauft …“
Vivien nickte ihr aufmunternd zu. „Du hast etwas verkauft, gut. Was hast du verkauft?“
„Verkauft.“ Kelly schluckte. „Ring.“
„Okay, du hast also einen Ring verkauft. Welchen Ring?“ Plötzlich riss Viv die Augen auf. „Himmel, nicht den Ring?“
Kelly nickte. Sie hatte das Gefühl, als wäre im Zimmer kein Sauerstoff mehr. „Ring verkauft – eBay.“
Sie fühlte sich ganz benommen und war sich sicher, dass sie ohnmächtig auf den Boden gesunken wäre, wenn sie nicht ohnehin schon gesessen hätte.
„Nun denn, also gut.“ Viviens Gesichtsausdruck wurde ernst. „Jetzt verstehe ich die ganze Aufregung. Du hast den Ring vier Jahre lang um den Hals getragen. Das waren vier Jahre zu viel, wenn man bedenkt, dass der Schuft, der ihn dir geschenkt hat, einfach nicht zu eurer Hochzeit erschienen ist. Aber jetzt bist du endlich zur Vernunft gekommen und hast ihn verkauft. Kein Grund, dass du ohnmächtig wirst.“ Sie sah Kelly prüfend an. „Du bist weiß wie die Wand. Und ich bin für Erste Hilfe nicht zu gebrauchen. Ich habe in den Kursen immer die Augen zugemacht, weil ich die schrecklichen Fotos nicht ertragen konnte. Muss ich dir jetzt einen Klaps geben? Oder soll ich deine Beine hochhalten, damit das Blut besser fließen kann? Ich weiß ja, dass dich die Geschichte traumatisiert hat, aber das ist jetzt vier Jahre her, Himmel!“
Kelly schluckte und griff zur Hand ihrer Freundin. „Verkauft!“
„Ja, ich weiß! Du hast den Ring verkauft! Jetzt beruhige dich! Du kannst endlich ein neues Leben beginnen. Geh heute Abend aus und lach dir zur Feier des Tages einen Mann an. Es wird Zeit, dass du begreifst, dass dein griechischer Gott nicht der Einzige auf der Welt ist!“
„Für vier Millionen Dollar.“
„Wir könnten auch einfach eine Flasche Champagner – bitte? Wie viel?“ Viviens Stimme überschlug sich, und sie sank mit offenem Mund zu Boden. „Für einen Augenblick habe ich geglaubt, du hättest vier Millionen gesagt.“
„Habe ich auch. Vivien, mir geht es gar nicht gut.“
„Mir auch nicht.“ Vivien fächelte sich mit einer Hand Luft zu. „Wir dürfen jetzt nicht beide umkippen. Wir könnten mit dem Kopf aufschlagen, und dann würde man unsere Leichen erst Wochen später finden. Aber wahrscheinlich findet uns eh niemand, weil es bei dir immer so schrecklich unaufgeräumt ist. Ich möchte wetten, du hast noch nicht einmal ein Testament gemacht. Ich besitze ja nur einen Haufen schmutziger Wäsche und ein paar offene Rechnungen, aber du hast vier Millionen Dollar. Mein Gott, ich hatte noch nie reiche Freunde. Gleich fange ich auch an zu hyperventilieren.“ Sie griff nach einer Papiertüte, schüttete zwei Äpfel heraus und hielt sich die Tüte vor Mund und Nase.
Kelly starrte auf ihre Hände. Sie fragte sich, ob sie wohl zu zittern aufhören würden, wenn sie sich daraufsetzte. „Ich … Ich muss mich zusammenreißen, ich habe noch zu arbeiten. Bis morgen muss ich dreißig Klassenhefte korrigieren.“
Vivien zog die Tüte vom Gesicht. „Sei nicht albern. Du musst nie wieder kleine Kinder unterrichten. Du kannst dich ganz dem Vergnügen hingeben. Du kannst morgen bei unserem Direktor die Kündigung einreichen und einen Wellness-Tag einlegen. Oder gleich ein Wellness-Jahr!“
„Das könnte ich nicht.“ Erschrocken sah Kelly ihre Freundin an; langsam wurde ihr klar, was das Geld für Auswirkungen haben würde. „Ich unterrichte gern. Ich bin die Einzige, die sich nicht auf die Sommerferien freut. Ich liebe die Kinder. Sie sind für mich wie die Familie, die ich wohl niemals haben werde.“
„Himmel, Kel. Du bist dreiundzwanzig, keine neunzig. Und außerdem bist du jetzt reich. Du kannst jeden Mann haben, den du willst. Sie werden Schlange stehen, um dir ein Kind zu machen.“
Kelly erschauerte. „Das Wort ‚Romantik‘ kennst du wohl gar nicht, oder?“
„Ich bin eben Realistin. Ich weiß doch, dass du Kinder liebst. Schon komisch, aber ich möchte ihnen meistens nur die Ohren langziehen. Vielleicht solltest du einfach mir das Geld geben, und ich reiche meine Kündigung ein. Vier Millionen Dollar. Wieso hast du eigentlich nicht gewusst, dass er so viel wert ist?“
„Ich habe nicht gefragt“, murmelte Kelly. „Der Ring erschien mir als etwas Besonderes, weil er ihn mir geschenkt hat, nicht weil er wertvoll war. Das hat mich gar nicht interessiert.“
„Du solltest nicht immer nur auf die romantischen, sondern auch auf die praktischen Seiten achten. Er war vielleicht ein Schuft, aber immerhin kein Geizhals.“ Vivien nahm einen der Äpfel, die vor ihr auf dem Boden lagen. „Als du mir erzählt hast, dass er Grieche ist, habe ich ihn für einen Kellner gehalten.“
Kelly errötete. Sie sprach nicht gern darüber, weil es sie daran erinnerte, wie naiv sie gewesen war. „Er war kein Kellner.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich mag nicht darüber nachdenken. Wie konnte ich jemals denken, dass es funktionieren würde? Er ist supercool, superintelligent und superreich. Ich bin in nichts super.“
„Doch, bist du“, sagte Vivien treuherzig. „Du bist, ähem, superunordentlich, superchaotisch und …“
„Hör auf! Ich brauche nicht noch mehr Gründe, warum es nicht funktioniert hat.“ Kelly fragte sich, warum etwas nach vier Jahren noch so wehtun konnte. „Wenn mir doch nur ein einziger Grund einfallen würde, warum es vielleicht doch hätte funktionieren können.“
Vivien biss herzhaft in den Apfel und kaute nachdenklich. „Du hast supergroße Brüste?“
Kelly bedeckte die Brust mit den Armen. „Danke“, murmelte sie. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
„Gern geschehen. Aber, womit hat Mister Superreich eigentlich sein Geld verdient?“
„Mit Schiffen. Ihm gehört eine Reederei. Er hat eine Menge Schiffe.“
„Lass mich raten … Supertanker? Warum hast du mir nie davon erzählt?“ Vivien schüttelte ungläubig den Kopf. „Der Typ ist Multimillionär, oder?“
Kelly schob den Fuß über den abgewetzten Teppich ihres winzigen Apartments. „Ich habe irgendwo gelesen, dass er Milliardär ist.“
„Ach so. Was sind schon ein paar Millionen mehr oder weniger unter Freunden? Verstehe mich bitte nicht falsch, aber wie hast du ihn kennengelernt? Ich habe noch nie einen Millionär kennengelernt, ganz zu schweigen von einem Milliardär. Ich könnte ein paar Tipps gebrauchen.“
„Es war in dem Jahr nach der Schule. Ich bin aus Versehen an seinem Privatstrand gewesen. Ich wusste nicht, dass er privat war; ich hatte meinen Reiseführer vergessen. Ich war in Gedanken versunken, habe die Aussicht genossen und die Schilder nicht gelesen.“ Plötzlich fühlte sie sich elend. „Können wir bitte das Thema wechseln?“
„Klar. Wir können darüber reden, was du mit dem ganzen Geld machen willst.“
„Keine Ahnung.“ Kelly zuckte hilflos die Schultern. „Das Geld für einen Psychiater ausgeben, damit er mich wegen des Schocks behandelt?“
„Wer hat den Ring ersteigert?“
Kelly sah sie ausdruckslos an. „Jemand mit viel Geld?“
Vivien warf ihr einen verzweifelten Blick zu. „Und wann übergibst du ihn?“
„Eine Frau hat mir geschrieben, dass ihn morgen jemand abholt. Ich habe ihr die Adresse der Schule geschickt, falls die hier ihr nicht ganz geheuer ist.“ Sie fuhr mit der Hand zum Ring, den sie an einer Kette unter der Bluse trug. Vivien seufzte.
„Du legst ihn nie ab. Du behältst ihn sogar zum Schlafen um.“
„Das mache ich nur, weil ich gewisse Schwierigkeiten mit meiner Ordnung habe“, erwiderte Kelly schwach. „Ich habe Angst, dass ich ihn verliere.“
„Wenn du dich jetzt dahinter verstecken willst, dass du ach so unordentlich bist, vergiss es. Ich weiß, dass du unordentlich bist, aber du trägst den Ring, weil du immer noch an diesem Typen hängst. Warum hast du dich eigentlich so plötzlich dazu durchgerungen, ihn zu verkaufen?“
Kelly schluckte schwer. „Ich habe Fotos von ihm und einer anderen Frau gesehen“, sagte sie finster. „Blond, spindeldürr – du kennst die Sorte. So eine, bei deren Anblick man sofort mit dem Essen aufhören möchte. Doch dann merkt man, dass man nicht einmal, wenn man nie wieder etwas essen würde, so aussehen könnte.“ Sie schniefte. „Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich nie ein neues Leben führen kann, wenn ich den Ring behalte. Es ist verrückt. Ich bin verrückt.“
„Nein, das ist jetzt vorbei. Du bist endlich wieder normal.“ Vivien sprang auf. „Du weißt, was das bedeutet?“
„Ich muss ihn endlich vergessen?“
„Es bedeutet, keine Nudeln mit billiger Fertigsoße mehr. Heute Abend lassen wir uns eine Pizza mit allen Schikanen nach Hause liefern, und du bezahlst. Jaaa!“ Vivien griff zum Telefon. „Auf ein Leben in Luxus!“
Alekos Zagorakis stieg aus seinem schwarzen Ferrari und sah zu dem alten Gebäude hinüber, das vor ihm lag.
Die Grundschule von Hampton Park.
Natürlich hatte sie sich eine Arbeit mit Kindern ausgesucht.
Er hatte sie an dem Tag sitzen lassen, als er in der Zeitung gelesen hatte, dass sie vier Kinder wollte.
Mit einem grimmigen Lächeln sah er sich um und erkannte sofort, was alles gemacht werden musste. Der Zaun war löchrig, und eine Plastikplane bedeckte einen Teil des Daches; wahrscheinlich regnete es sonst hinein.
Eine Klingel ertönte, und kurz darauf strömten die Kinder drängelnd auf den Schulhof. Eine junge Frau ging hinter ihnen her. Sie beantwortete Fragen, schlichtete einen Streit und rügte sanft, als die Dinge kurz aus dem Ruder zu laufen schienen. Sie trug einen schlichten schwarzen Rock, flache Schuhe und eine unauffällige Bluse. Alekos beachtete sie nicht weiter. Er suchte Kelly.
Aufmerksam betrachtete er das alte Gebäude. Seine Informationen mussten falsch sein. Warum sollte sich Kelly an einem solchen Ort verstecken?
Er wollte gerade wieder zu seinem Auto gehen, als er ein vertrautes Lachen hörte. Sein Blick wanderte in Richtung des Geräusches …
Die junge Frau in dem schwarzen Rock hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem sorglosen Teenager, den er am Strand von Korfu getroffen hatte. Er dachte schon, er hätte sich geirrt, als sie den Kopf nach hinten warf.
Alekos starrte auf das Haar, das von einer Spange streng am Hinterkopf gehalten wurde. Wenn sie das Haar offen tragen würde … Er begann sich in Gedanken auszumalen, wie die Frau unter der unscheinbaren Kleidung aussehen mochte.
Plötzlich lächelte sie, und er sog die Luft scharf ein. Dieses Lächeln war unvergesslich. Es war warm und einladend. Alekos löste den Blick von ihrem Mund und betrachtete noch einmal den Rock. Er erkannte jetzt die endlos langen Beine wieder. Beine, die dazu geschaffen waren, einem Mann den Verstand zu rauben. Beine, die sich einst um seine Hüften geschlungen hatten.
Aufgeregte Schreie rissen ihn aus seinen Gedanken. Ein paar Jungen hatten sein Auto entdeckt, und sofort bereute er, dass er nicht außer Sichtweite geparkt hatte. Als die Jungen über den Schulhof zu dem löchrigen Zaun gelaufen kamen, starrte Alekos sie an wie Raubtiere.
Drei kleine Köpfe sahen erst zu ihm, dann zum Auto.
„Uiih – cooles Auto.“
„Ist das ein Porsche? Mein Dad sagt, ein Porsche ist das beste Auto der Welt.“
„Wenn ich groß bin, fahre ich auch so einen.“
Alekos wusste nicht, was er zu ihnen sagen sollte. Die Kinder rüttelten am Zaun, während sie sein Auto bewunderten.
Er sah, dass Kelly sich ängstlich nach ihren Schützlingen umschaute. Natürlich bemerkte sie es instinktiv, wenn sich ein Kind von der sicheren Herde entfernte. So war sie eben. Sie war chaotisch, verträumt, lebhaft und fürsorglich. Und sie wäre nie wortlos an einer Schar Kinder vorbeigegangen.
Zuerst bemerkte sie das Auto, und Alekos beobachtete, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Ihre Blässe betonte das ungewöhnliche Saphirblau ihrer Augen.
Offenbar kennt sie keinen anderen Mann mit einem Ferrari, dachte Alekos grimmig. Seine Wut wurde noch stärker, weil sein Anblick sie so sehr erschütterte.
Was hatte sie gedacht? Dass er zusehen würde, wie sie den Ring – den er an ihren Finger gesteckt hatte – an den Meistbietenden verkaufte?