Julia Collection Band 104

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ALTE SEHNSUCHT, NEUES GLÜCK von WOOD, JOSS
Küsse ja, Beziehung nein! Noch einmal wird Maddie sich von ihrem Exfreund Cale nicht das Herz brechen lassen. Auch wenn sie sich nach seiner Liebe sehnt. Als ein Traumjob in New York winkt, gibt sie dem Glück eine letzte Chance. Wird Cale sie bitten, bei ihm in Kapstadt zu bleiben?

WEINGUT DER TRÄUME von WOOD, JOSS
"Ich weiß, wie Sie Ihr Weingut retten können! Sie müssen …" Weiter kommt die junge Marketingpraktikantin Jess nicht. Denn mit einem sinnlichen Kuss bringt ihr attraktiver Boss Luke Savage sie zum Schweigen - um sie gleich danach zu feuern! Aber man küsst sich immer zweimal …

DIE SÜßESTE VERSUCHUNG, SEIT ES MÄNNER GIBT von WOOD, JOSS
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  • Erscheinungstag 03.03.2017
  • Bandnummer 104
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709341
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Joss Wood

JULIA COLLECTION BAND 104

1. KAPITEL

„Hübsches Tattoo, Maddie.“

Trotz der enormen Lautstärke in der gut besuchten Bar waren die Worte klar und deutlich zu verstehen. Beim Klang der verführerischen tiefen Stimme jagten Maddie Shaw heiße Schauer über den Rücken.

Ein Blick zur Seite bestätigte ihre Vermutung: Es war tatsächlich Cale Grant, der lässig an die Theke gelehnt dastand, eine platinblonde Schönheit dicht neben sich, und er sah sogar noch besser aus als in ihrer Erinnerung. Das blonde Haar reichte ihm bis zum Hemdkragen, er war groß, glatt rasiert und wirkte durchtrainierter und kräftiger als früher.

Auch er betrachtete sie neugierig. Ihr ärmelloses T-Shirt mit dem Logo der Bar war ziemlich knapp und gab den Blick auf den winzigen roten Schmetterling auf ihrem Dekolleté frei, den sie sich kurz nach der Trennung von ihm in einem Anflug von Trotz hatte stechen lassen.

„Bist du es wirklich, Cale?“ Statt nervös an ihrem Top zu zerren, zwang Maddie sich, ihm in die blauen Augen zu sehen, die sie früher so geliebt hatte … „Was möchtest du trinken?“ Sie wies auf die im Regal hinter ihr aufgereihten Flaschen.

Zuvorkommend half er seiner Begleiterin auf einen Barhocker und erwiderte dann ihre Frage mit einer Gegenfrage. „Was tust du hier? Soweit ich mich erinnere, hast du vor zehn Jahren Marketing und Kommunikation studiert.“

„Ich jobbe gelegentlich hier. Was nimmst du?“

„Ein Glas Chardonnay und ein …“

„Hallo, Maddie!“, übertönte der durchdringende Ruf eines Neuankömmlings seine Worte.

„Hallo, Nat.“ Maddie beugte sich über den Tresen und küsste den großen, dünnen Mann auf die rauen Wangen. „Du hast mir gefehlt. Es war langweilig ohne dich.“

„Ich hab dir wahnsinnig viel zu erzählen. Johannesburg war toll … Wir sitzen dort hinten in der Ecke. Komm rüber, wenn du eine Pause hast.“ Er küsste sie flüchtig auf den Mund, ehe er sich zurückzog.

Maddie wandte sich wieder Cale zu, der sie mit gerunzelter Stirn beobachtete.

„Entschuldigung. Was wolltest du noch mal? Einen Chardonnay und …?“

„Ein Bier vom Fass. Du flirtest also immer noch so gern?“

Schulterzuckend griff sie nach einer Weinflasche. „Das habe ich vom Meister persönlich gelernt. Du warst mir ein leuchtendes Vorbild.“

„Ich …“, setzte er an, verstummte aber, als seine Begleiterin ihm eine mit Diamanten geschmückte Hand auf den Arm legte und ihm etwas ins Ohr raunte. Sie rutschte vom Stuhl und verschwand in Richtung Toiletten.

Gelassen entkorkte Maddie die Flasche und füllte ein Glas. „Du stehst immer noch auf Blondinen?“

„Sie ist nicht wirklich mein Typ, aber süß.“

„Was heißt hier nicht dein Typ? Du hast dich immer mit sonnengebräunten, langbeinigen Blondinen umgeben.“

Horden von schlanken, langhaarigen Mädchen hatten Cale, seinen Bruder Oliver und ihre sportbegeisterten Freunde umschwärmt. Auch heute noch hegte er eine Vorliebe für Blondinen, wenn man den Gerüchten glauben durfte, die die Presse über ihn in Umlauf brachte.

Lediglich einmal war er von seinem Beuteschema abgewichen und hatte sich mit einer Dunkelhaarigen eingelassen – mit ihr.

„Schon gut, ich glaube dir“, lenkte Maddie ein. „Allerdings frage ich mich, weshalb du dann mit ihr ausgehst.“

„Ich habe ihr gegenüber … eine Verpflichtung“, gestand er verlegen.

Neugierig sah sie ihn an. Er war kein Mensch, der bereitwillig Pflichten übernahm. „Hast du eine Wette verloren? Ist sie ein Blind Date? Tust du einem Freund einen Gefallen?“

„Haben wir nichts Interessanteres zu besprechen als mein Liebesleben, nachdem wir uns zehn Jahre nicht gesehen haben?“

„Stimmt, darüber wird ohnehin wöchentlich in den Boulevardblättern berichtet.“

„Dreimal in drei Monaten, um genau zu sein. Ich wünschte, sie würden mich in Ruhe lassen.“

„Das geschieht erst, wenn du dein hübsches Gesicht nicht mehr im Fernsehen zeigst.“ Sie tätschelte ihm tröstend die Hand. „Vielleicht genügt es auch schon, wenn du länger als einen Monat mit derselben Frau zusammenbleibst.“

„Bist du jetzt fertig?“, fragte er gereizt.

Äußerlich ungerührt hielt sie ein Bierglas unter den Zapfhahn und füllte es, gleichzeitig wurde ihr heiß unter seinen Blicken – selbst nach all den Jahren.

Nachdenklich nahm er das Bier entgegen. „Es ist lange her …“

Maddie nickte und wandte sich ab, um zwei angeheiterte Frauen zu bedienen. Wie meist freitagabends war die Bar gut gefüllt.

„Was führt dich in die Gegend? Bist du umgezogen?“, erkundigte sie sich, als sie wenig später wieder einen Moment Zeit für ihn fand.

„Das nicht. Ich habe von dieser Bar gehört und wollte sie ausprobieren. Kannst du keine Pause machen? Ich würde mich gern ungestört mit dir unterhalten.“

„Leider nicht. Hier wird es gleich richtig voll sein.“

Erstaunt sah er sich um. „Noch voller?“

„Das ist noch gar nichts“, rief sie gegen den Lärm an, den eine Gruppe von Studenten veranstaltete. Als der Geräuschpegel abschwoll, beugte sie sich über die Theke. „Es tut mir schrecklich leid wegen Oliver. Er war ein ganz besonderer Mensch.“

Cales Bruder war ihr immer ein wenig wie ein moderner Ikarus vorgekommen: ein wilder Freigeist, der sich zu nahe an die Sonne heranwagte. Sein früher Tod hatte sie nicht überrascht, umso mehr die Ursache, eine Krebserkrankung.

Cale richtete den Blick auf eine Stelle hinter ihren Schultern, an seinem Hals zuckte ein Muskel. „Danke.“

„Hey, Maddie!“, rief Dan, der andere Barkeeper. „Der Hauswein wird knapp. Kannst du die Stellung halten, während ich Nachschub besorge?“

Ein Gang zum Lager kam ihr gerade recht, um die Fassung wiederzuerlangen. Das Wiedersehen mit Cale hatte sie erschüttert. Immer noch zog er sie in seinen Bann, und das war ihr peinlich.

Betrachte es als gutes Zeichen, wenn du auf einen attraktiven Mann reagierst, tröstete sie sich gleich darauf. Seit fast vier Jahren lebte sie wie eine Nonne, sie hatte in der Zeit keinen Mann kennengelernt, der sie interessiert hätte.

Mit Cale hat das nichts zu tun, sagte sie sich. Was sie faszinierte, waren sein markantes Gesicht und Körper. Verliebt war sie längst nicht mehr in ihn.

„Ich hole den Wein und mache auch gleich einen Abstecher zur Toilette“, rief sie Dan zu und ging los. Sie durchquerte die Küche und bog nach links zu den Personaltoiletten ab. Dort holte Jim sie ein, ihr guter Freund und Besitzer der Laughing Queen oder LQ, wie die Bar von ihren Stammgästen liebevoll genannt wurde.

„Nicht so schnell. Wer ist der Mann?“, erkundigte er sich wie ein besorgter Vater.

„Du bist unmöglich! Und was auch geschieht, es ist deine Schuld. Nur dir zuliebe arbeite ich heute an der Bar.“

Rasch ging sie in die Damentoilette und schlug die Tür hinter sich zu. Gleich darauf wurde diese wieder aufgerissen, und Jim kam völlig ungeniert herein. Maddie warf einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken und stöhnte. Ihr Haar, das sie morgens aufwendig geglättet hatte, hatte sich in der schwülen Hitze der Bar in eine wilde Lockenmähne verwandelt, während ihr Make-up sich praktisch aufgelöst hatte.

„Der Typ ist heiß! Ist er zufällig schwul?“ Ein scharfer Blick genügte, und Jim ließ die Schultern sinken. „Okay, also nicht. Wer ist er?“

„Mein erster Liebhaber.“

„Der allererste? Oh! Schade, dass du so aussiehst …“ Er schauderte.

„Ich hätte es vorgezogen, ihm in einem sexy Kleid und High Heels zu begegnen und auf der anderen Seite der Bar zu stehen und Martinis zu trinken.“

Um Jim loszuwerden, gab sie ihm eine Kurzfassung ihrer Beziehung zu Cale. „Wir sind uns in meinem ersten Jahr an der Uni begegnet. Er hat Sportpsychologie studiert und nebenbei einige Kurse geleitet. Wir hatten eine kurze Affäre, ich hab ihm den Laufpass gegeben, das war’s. Jetzt verschwinde endlich.“

„Wenn das wirklich alles war, fresse ich einen Besen“, murrte er im Hinausgehen.

Maddie blieb zurück und sah nachdenklich in den Spiegel. Irgendwie war sie damals in Cales Freundeskreis geraten, eine Gruppe von älteren, aber nicht unbedingt klügeren Studenten. Es hatte sie fasziniert, mitzuerleben, wie er innerhalb kurzer Zeit einer Frau nach der anderen das Herz brach. Monatelang waren sie lediglich befreundet gewesen, dann hatte er eines Tages gemeint, es wäre an der Zeit, nicht mehr länger herumzualbern, sondern endlich zur Sache zu kommen. Es war schrecklich unromantisch gewesen.

Dennoch hatte sie sich von ihm verführen und in eine Beziehung drängen lassen. Seinem schlechten Ruf zum Trotz, hatte sie ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt. Hatte sie etwa geglaubt, ihn ändern zu können?

Nachdenklich entfernte sie die verschmierte Wimperntusche unter ihren Augen und spritzte sich Wasser ins Gesicht, dann zog sie einen Clip aus der Hosentasche und fasste ihr Haar zu einem lockeren Knoten zusammen. Die Vergangenheit ließ sich nicht ändern – und sie hatte einen Job zu erledigen.

Nachdem sie entschlossen durchgeatmet hatte, ging Maddie in den Lagerraum, holte einen Karton Wein und kehrte lächelnd in die Bar zurück.

Sie reichte Dan zwei Flaschen und verstaute die übrigen unter der Theke. Anschließend bediente sie einige Kunden, ehe sie sich wieder Cale zuwandte, der immer noch allein am Tresen stand.

„Nimmst du noch an Triathlons teil?“

„Gelegentlich. Ansonsten bevorzuge ich Adventure Racing.“

„Was ist das?“

„Eine verschärfte Form des Triathlons, eine Kombination aus Geländelauf, Radfahren, Paddeln, Orientierungslauf und manchmal sogar Klettern.“

Ein anderer Gast forderte ihre Aufmerksamkeit, und Cale blickte frustriert drein.

Als Maddie seine Begleiterin entdeckte, die sich ihren Weg zurück an die Bar bahnte, deutete sie in ihre Richtung.

„Es war nett, dich zu sehen“, verabschiedete sie sich.

„Können wir uns später auf einen Drink treffen, um uns das Neueste voneinander zu erzählen? Ich komme wieder, nachdem ich Bernice zu Hause abgesetzt habe.“

Wollte er ihr von seinem tollen Leben vorschwärmen und ihr klarmachen, was sie versäumt hatte? Dennoch willigte sie zögernd ein. „Ich bin allerdings erst gegen Mitternacht fertig.“

„Das macht nichts. Ich schlafe ohnehin nicht viel. Bis später also.“

Sie nickte und wandte sich zu Jim um, der zu ihr hinter den Tresen getreten war. Unvermittelt Halt suchend, lehnte sie sich an den großen, schwerfälligen Mann, der ihr zusammen mit seinem Partner zum besten Freund geworden war. Die beiden hatten ihr die Wohnung über ihrer eigenen vermietet und später verkauft, in einem Haus direkt hinter dem Parkplatz der Bar, die ihr inzwischen zur zweiten Heimat geworden war.

Liebevoll strich er ihr über den Arm, während er Cale argwöhnisch nachblickte.

„Schau nicht so skeptisch drein, Jim. Die Geschichte ist längst ausgestanden.“

Cale begleitete Bernice bis an die Wohnungstür und lehnte ihr als Einladung zum Kaffee getarntes Angebot, die Nacht mit ihr zu verbringen, höflich ab. Sex allein genügte ihm nicht mehr, er legte ebenso großen Wert auf anregende Gespräche.

Er kehrte zu seinem Wagen zurück, legte die Hände aufs Lenkrad und sah nachdenklich die leere Straße entlang.

Dass er Madison Shaw als Barkeeperin hinter dem Tresen einer beliebten Bar in Simon’s Town, einem malerischen Vorort im Süden von Kapstadt, begegnen würde, hatte er nicht erwartet.

Oliver hätte seine helle Freude an unserem Zusammentreffen, dachte er und griff aus alter Gewohnheit nach seinem Handy. Unvermittelt fuhr ihm der Schmerz wie ein Messer durchs Herz. Würde er jemals wirklich begreifen, dass sein Zwillingsbruder gestorben war?

Entschlossen atmete Cale durch und konzentrierte sich wieder auf Maddie. Trotz ihrer erst achtzehn Jahre hatte sie damals sehr erwachsen gewirkt. Ihr ausgeprägter, ein wenig boshafter Humor hatte ihm gefallen. Zwischen den langweiligen Mädchen, die ihn unverhohlen anhimmelten, hatte sie mit ihrer sarkastischen Art wie eine frische Brise gewirkt.

Monatelang hatte er gegen die Verlockung angekämpft. Sein Instinkt, geschärft durch das ständige Bemühen, Oliver aus Schwierigkeiten herauszuhalten, warnte ihn, dass sich auf Maddie – oder auf irgendeine andere Frau – einzulassen den direkten Weg ins Verderben bedeutete.

Dennoch setzte eines Tages sein Verstand aus, auf einer von Olivers legendären Partys, nach einigen Tequilas zu viel und dem atemberaubenden Anblick von Maddie in Jeansshorts. Er lockte das einen Meter fünfundsechzig kleine Energiebündel in sein Bett und verbrachte anschließend acht stürmische Wochen mit ihr, in denen sie sein Leben auf den Kopf stellte.

Bis zu jenem Tag hatte er in seinen zahlreichen Kurzzeitbeziehungen den Ton angegeben. Das änderte sich schlagartig, denn er wusste weder, wie er mit ihr, noch, wie er mit den seltsamen Empfindungen umgehen sollte, die sie in ihm auslöste. Gleichzeitig spürte er, dass sie mehr von ihm erwartete, als er geben konnte und wollte: Zeit, Aufmerksamkeit, seine Seele.

Den größten Teil des Tages widmete er seinem Studium und seiner Arbeit, seine Gedanken kreisten stets um Oliver. Sich einem anderen Menschen zu öffnen kam für ihn ohnehin nicht infrage.

Ihm war klar, dass er sie verlieren würde, noch ehe Maddie ihn mit einer vermeintlichen Schwangerschaft beinah zu Tode erschreckte. Die Aussicht, Vater zu werden, versetzte ihn in Panik, entsprechend heftig fiel seine Reaktion auf die Neuigkeit aus. Er stürmte aus dem Haus, um sich sinnlos zu betrinken – nicht gerade ein Zeichen seiner Reife.

Bei der nächsten Begegnung hielt sie ihm das Testergebnis unter die Nase: negativ. Anschließend zerriss sie ihn förmlich in der Luft und machte ihm klar, dass es zwischen ihnen unwiderruflich vorbei war. Zutiefst beleidigt, ignorierte er kurz darauf ihre wiederholten Versuche, ihn telefonisch zu erreichen.

Zwei Wochen später gewann die Sehnsucht nach ihr die Oberhand über seinen Stolz. Er wollte sie zurückgewinnen, doch Maddie war verschwunden. Sosehr er auch nach ihr suchte, es gab keine Spur von ihr.

So verdrängte er den Schmerz, konzentrierte sich auf seine Karriere und genoss das Leben als Single.

Jahre später hatte ihn der Tod seines Zwillingsbruders erneut aus der Bahn geworfen. Er war zunächst in Depressionen versunken, jeder neue Tag hatte für ihn eine Herausforderung bedeutet. Selbst heute, nach zwei Jahren, war der Trauerprozess noch nicht abgeschlossen, wie er als Psychologe nur zu gut wusste.

Jeder Tod brachte nicht aufgearbeitete Probleme ans Tageslicht, zahllose im Fall seines Bruders. Es würde noch lange dauern, bis er sie alle aufgearbeitet hatte.

Unter Depressionen litt er nicht mehr, dafür quälten ihn Schuldgefühle und die Angst, seiner Verantwortung für den Zwilling nicht gerecht geworden zu sein – Empfindungen, die ihm auch zu dessen Lebzeiten vertraut gewesen waren.

Oliver war ein nicht zu bändigender Freigeist und Rebell gewesen, vielleicht sogar eine Spur psychotisch veranlagt, wie Cale gelegentlich vermutet hatte.

Eine quälende Mischung aus Schuld, Reue und Verantwortungsgefühl machte ihm seit seinem Tod zu schaffen.

Seinen Patienten half er, indem er sie bewog, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Selbst fand er nicht die Energie dazu. Er zog es vor, ein oberflächliches Leben zu führen.

Das Wiedersehen mit Maddie weckte Erinnerungen an seine Jugend, an die goldene Zeit, als er sich für so intelligent gehalten hatte, sein Leben im Griff zu haben. Was war ich damals naiv, schoss es ihm durch den Kopf.

In aller Freundschaft ein Glas mit ihr zu leeren konnte nicht schaden. Sie würden einander berichten, was sie heute taten, über alte Geschichten lachen und als Freunde auseinandergehen.

Inzwischen war er alt und klug genug, um zu wissen, dass sein Leben aus der Bahn geriet, sobald er jemanden zu nahe an sich heranließ, egal, ob Bruder oder Geliebte. Heute war ihm nichts wichtiger, als die Kontrolle zu behalten.

Nach einem Leben an der Seite des verrückten Oliver bedurfte es mehr als einer schönen Frau, um sein Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen.

2. KAPITEL

Maddie stützte sich auf das Geländer, das angeheiterte Barbesucher vom Sturz in den angrenzenden Hafen abhalten sollte. Träge klatschte das dunkle Wasser gegen die Holzpfeiler unter ihr. Es roch nach Brackwasser und dem nahenden Herbst. Langsam ließ sie den Blick über die vor Anker liegenden Boote schweifen. Ein frisch eingetroffener Katamaran am Dock ihr gegenüber erregte ihre Aufmerksamkeit. Hat Cale nicht immer von einem solchen Boot geträumt? überlegte sie.

Sie zog den Clip aus ihrem Haar, und es fiel ihr in weichen Locken über die Schultern. Es war gegen Mitternacht, die meisten Barbesucher waren gegangen, daher hatte auch sie sich verabschiedet. Sie brauchte dringend Schlaf, aber die Begegnung mit Cale hatte lang verdrängte Erinnerungen zurückgebracht, die sie wach halten würden.

„Maddie.“

Halb im Schatten verborgen, mit vom Wind zerzaustem Haar, wirkte Cale wie sein jüngeres Selbst. Er saß an einem der Tische im Außenbereich der Bar, eine geöffnete Weinflasche und zwei leere Gläser vor sich. Sie deutete darauf.

Nachdem er eingeschenkt hatte, stand er auf und kam zu ihr. Dann reichte er ihr ein Glas und prostete ihr zu. „Bevor du fragst: Bernice hat bei einer Junggesellenauktion ein Dinner mit mir gewonnen. Glaub mir, die Stunden mit ihr waren die längsten meines Lebens.“

„Ach so. Sie ist ziemlich … sexy.“ Maddie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Sehr. Allerdings habe ich mich die ganze Zeit gefragt, was an ihr Natur und was Silikon ist.“ Er stützte sich neben ihr auf dem Geländer auf, und sein Duft stieg ihr in die Nase, eine aufregende Mischung aus seinem Aftershave und seinem ureigenen Duft.

Mit dem Glas in der Hand deutete er auf den Katamaran. „Tolles Boot!“

„Es hat erst heute hier angelegt. Bist du nicht auch einmal gesegelt?“

„Nach meiner Promotion. Oliver und ich waren das Lernen leid und haben einen Katamaran nach Sansibar überführt. Nie wieder war ich so müde oder hatte so viel Angst.“

„Was ist passiert?“

„Vor Mosambik sind wir in einen Wirbelsturm geraten – Wind und Wellen, der helle Wahnsinn …“

„Genau das Richtige für Oliver.“

„Absolut. Er hat den Sturm in vollen Zügen genossen. Ein Dutzend Mal standen wir kurz vor dem Kentern, an Schlaf war zwei Tage und Nächte nicht zu denken. Es war ein unglaublicher Adrenalinrausch.“

Seine Miene verriet Begeisterung und Schmerz. Maddie konnte nur erahnen, wie sehr ihn der Verlust seines Bruders getroffen hatte.

„Es tut mir so leid um Oliver …“ Bei der Erinnerung an den ungestümen, verrückten Jungen versagte ihr die Stimme.

„Ja, mir auch.“ Rasch trank er einen Schluck Wein und legte die Hand kurz auf ihre. „Wollen wir nicht lieber über etwas anderes sprechen?“

Maddie nickte und sah aufs Meer hinaus, bis Cale das Schweigen brach. „Du verdienst deinen Lebensunterhalt nicht wirklich als Barkeeperin, oder?“

„Nein, tagsüber verkaufe ich Rauschgift und mache Hütchenspiele.“

Als seine Mundwinkel zuckten, lächelte sie zufrieden. Er hatte ihren Sinn für Humor immer zu schätzen gewusst. „Ich habe nach unserer Trennung bis zum Ende meines Studiums hier gejobbt und helfe immer noch aus, wenn jemand ausfällt oder ich mich langweile. So spät wie heute wird es allerdings selten.“

„Es ist zu spät, um allein nach Hause zu fahren.“

„Ich fahre nicht, ich gehe.“

„Bist du verrückt? Das ist viel zu gefährlich!“

„Keine Sorge.“ Sie wies auf das dreistöckige Apartmenthaus direkt hinter dem hell erleuchteten Parkplatz. „Ich wohne dort drüben.“

„Wie bringst du die Miete für eine Wohnung in einem der teuersten Viertel der Stadt auf – abgesehen von deinen illegalen Aktivitäten?“

Er verschränkte die Arme, und Maddie überlegte unwillkürlich, wie er heute mit bloßem Oberkörper aussah. Seine muskulöse, glatte Brust und die breiten Schultern hatten es ihr früher angetan. Unauffällig senkte sie den Blick. Ja, er schien ausgezeichnet in Form zu sein – und zog sie immer noch ebenso stark an wie damals. Nervös fuhr sie sich durchs Haar und zählte bis zehn, um sich zu beruhigen. Es half nichts.

„Erde an Maddie!“ Cale zog an einer ihrer Locken, um sie auf sich aufmerksam zu machen. „Du warst ganz weit weg. Woran hast du gedacht?“

„An Liegestütze und Sit-ups“, schwindelte sie.

Überrascht zog er die Brauen hoch. „Ich hatte deinen Hang zu wirren Denkprozessen völlig vergessen.“

„Du hast immer behauptet, ich hätte den Verstand eines Grashüpfers. Es hat dich verrückt gemacht.“

„Nur zur Information: Alles an dir hat mich verrückt gemacht.“

Sie wollte gerade das Glas an die Lippen heben und hielt mitten in der Bewegung inne. War es ein Scherz oder sarkastisch gemeint? Sie hatte keine Ahnung.

Er ließ ihr keine Zeit für eine Entgegnung. „Wie geht es deinen Eltern?“

„Gut.“

„Und deinem Großvater?“

Entgeistert sah sie ihn an. Er wusste doch, dass Red gestorben war. Oder etwa nicht? „Hast du nichts davon gehört?“

„Dann hat er also tatsächlich eine Russin aus dem Katalog bestellt und geheiratet?“

Offensichtlich hatte er keine Ahnung. Sie lehnte sich gegen das Geländer und ignorierte den nagenden Schmerz in ihrer Brust. Es war schon zehn Jahre her, fühlte sich aber an wie zehn Tage.

„Red ist gestorben – an dem Tag, als wir uns getrennt haben.“

„Am selben Tag?“ In seinem Gesicht zeichneten sich Schock und aufrichtiges Mitgefühl ab. „Maddie, das tut mir leid. Was ist passiert? Wieso hast du mir nichts davon gesagt?“

„Er ist in seinem Haus die Treppe hinuntergestürzt und hat sich das Genick gebrochen“, erzählte Maddie emotionslos. „Am Morgen nach unserer Trennung bin ich zu ihm gefahren und habe ihn gefunden. Es war schrecklich. Ich habe bei dir angerufen, immer wieder, und dich um Hilfe gebeten. Mutter war damals nicht in der Stadt, wie so oft, und mein Vater konnte Red ohnehin nicht leiden. Du hättest für mich da sein sollen, nicht als Liebhaber.“ Einen Moment lang bebte ihre Stimme. „Aber du hast meine Anrufe ignoriert. Es gab so viele offene Fragen. Die Polizei war da … der Rechtsmediziner. Wo warst du? Mit wem hast du dich amüsiert?“

Erschüttert rieb Cale sich das Gesicht und fluchte. „Ich fasse es einfach nicht …“

Maddie zuckte matt die Schultern. „Mir ging es ziemlich schlecht.“

„Ich dachte, du wolltest …“

„Hast du geglaubt, ich würde dich um eine Versöhnung bitten, weil ich ohne dich nicht leben kann und mich nach deinem Körper verzehre? Dachtest du, deswegen hätte ich zwanzigmal angerufen? Wieso ist dir nie in den Sinn gekommen, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte?“ Zornig funkelte sie ihn an.

„Ich …“ Abwehrend hob er die Hände. „Es tut mir leid, das war dumm von mir.“

„Allerdings. Und grausam. Du hast mich im Stich gelassen.“

„Dafür gibt es wirklich keine Entschuldigung.“

Überrascht sah Maddie ihn an. Früher hätte er sich gerechtfertigt und Erklärungen für sein Verhalten vorgebracht. Dass er seinen Fehler eingestand, hätte sie nie für möglich gehalten.

„Ich habe mich geirrt.“

„Das hast du auch, als du mich für eine Barkeeperin gehalten hast. Dabei verdiene ich meinen Lebensunterhalt nach meinem Abschluss in Marketing und Kommunikation als Eventplanerin.“

Verlegen fuhr er sich durchs Haar und schwieg.

Hinter einem Fenster entdeckte Maddie ihre Freunde Jim und Ali, die mit einer Tasse Kaffee an einem Tisch saßen und sie nicht aus den Augen ließen.

„Das alles ist schon ein Jahrzehnt her, aber es kommt mir so vor, als wäre es gestern passiert. Ich war jung und ziemlich dumm, und du warst der mit Abstand schlimmste Lover der Welt.“

„Ich fürchte, du hast recht.“

„Du bist zu spät zu Verabredungen gekommen oder gar nicht, hast nicht angerufen …“ Erst jetzt begriff Maddie, was er gesagt hatte, und verstummte.

„Ich habe zu viel Zeit mit meinen Freunden verbracht und zu wenig mit dir“, ergänzte Cale. „Im Nachhinein wundert es mich, dass du mir nicht viel früher den Laufpass gegeben hast.“

„Immerhin hast du mich zum Lachen gebracht, und deine Ausflüchte und Erklärungen waren einmalig fantasievoll.“

„Ich dachte, meine Künste unter der Bettdecke hätten dich am meisten beeindruckt.“

„Träum weiter.“ Müde rieb sie sich die Augen. „Ich muss jetzt schlafen gehen. Es war schön, dich zu sehen.“

Als sie an ihm vorbeigehen wollte, hielt er sie am Arm fest. „Maddie …“

Das heiße Prickeln, das sie überlief, ließ sie innehalten. Es war unglaublich, dass Cale nach so vielen Jahren noch die Macht besaß, Begierde in ihr zu wecken.

„Nicht, Cale.“

Er ignorierte ihre Bitte und zog sie in seine Arme, was sofort alte Erinnerungen wachrief.

Sie sah ihm in die Augen. Das Feuer in seinem Blick verriet ihr, dass er ihre Gefühle teilte. Er ließ die Hände über ihren Rücken hinabgleiten, neigte den Kopf und küsste sie. Unwillkürlich erwiderte sie die vertrauten Zärtlichkeiten, woraufhin er seinen Griff verstärkte.

Instinktiv schob sie die Hand in sein Haar und schlang ihm den anderen Arm um die Hüften. Er fühlte sich wunderbar fest an, warm und männlich. Es war eine gefühlte Ewigkeit her, seit sie zum letzten Mal einen Mann umarmt und geküsst hatte.

„Verzeih mir“, raunte Cale ihr ins Ohr, und prompt kehrte sie wieder in die Realität zurück.

Sie war keine achtzehn mehr, auf Gedeih und Verderb ihren Hormonen und Gefühlen ausgeliefert. Dass Cale in ihr Leben zurückkehrte und weitermachte, wo er aufgehört hatte, kam nicht infrage.

Abrupt ließ Maddie ihn los, trat einen Schritt zurück und warf ihm einen kühlen Blick zu. „Du küsst immer noch fantastisch.“

„Hast du Lust auf mehr?“

„Nein danke. Es ist lange her, zu viel ist geschehen, um an Vergangenes anzuknüpfen.“

„Tut mir leid“, murmelte er frustriert.

Hatte er wirklich geglaubt, sie nach einer flüchtigen Entschuldigung wieder in seine Arme und sein Bett locken zu können?

„Was genau tut dir leid? Dass du mich im Stich gelassen hast? Oder bereust du den Kuss?“

„Ersteres. Der Kuss war das reine Vergnügen. Wohin gehen wir jetzt?“

Maddie glaubte, nicht recht zu hören. „Nirgendwohin. Das war’s. Du gehst wieder deiner Wege, genau wie ich.“

„So naiv bist du nicht.“

Sie zwang sich, einen Schritt auf ihn zu zu machen und ihm herablassend die Wange zu tätscheln. „Das war ich noch nie. Und wie ich heute bin, ahnst du nicht im Entferntesten.“

„Ich lasse Frauen, die ich küsse, nicht einfach so gehen.“

„Für alles gibt es ein erstes Mal. Auf Wiedersehen, Cale.“

„Wir sind noch nicht fertig.“

Schweigen erschien ihr in diesem Moment als die klügste Antwort, eine andere fiel ihr ohnehin nicht ein.

Ich liebe Sonntage, dachte Maddie, während sie den Neoprenanzug über ihren Bikini zog. Sie schnappte sich ihr Brett und fuhr an die Westküste, dem Surferparadies von Kapstadt, um sich in den Wellen auszutoben.

Hungrig und ausgepowert stärkte sie sich einige Stunden später in ihrem Lieblingscafé in Scarborough mit einem reichhaltigen Frühstück aus Speck und Spiegelei, Croissants und Erdbeermarmelade, als ein Mann quer durch den Raum auf ihren Tisch zukam. Es war Cale.

Neugierig beobachtete sie, wie er an einem anderen Tisch stehen blieb und kurz mit einem sportlich wirkenden Paar plauderte. Dass er Sportler kannte, wunderte sie nicht, schließlich war er selbst eine Sportskanone, ein renommierter Sportpsychologe, betreute die Nationalteams verschiedenster Disziplinen und arbeitete als Sportreporter und – kommentator fürs Fernsehen.

Sein gutes Aussehen, sein Reichtum und sein Status als Single machten ihn zum bevorzugten Objekt der Klatschpresse. Er galt als einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt, wenn er die Liste nicht sogar anführte.

Aber nicht in ihren Augen, denn sie beging prinzipiell keinen Fehler zweimal.

Schließlich erreichte er ihren Tisch und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Ganz selbstverständlich trank er einen Schluck Kaffee und nahm sich ein Croissant von ihrem Teller, als wären sie immer noch ein Paar.

„Bestell dir selbst etwas“, protestierte Maddie und schlug ihm auf die Finger, als er die Hand erneut nach ihrem Teller ausstreckte.

Zu ihrem Erstaunen gehorchte er und orderte einen Espresso und zwei Croissants. Neugierig betrachtete sie den Mann, der seit gut einer Woche wieder ihre Träume beherrschte. Im hellen Tageslicht entdeckte sie feine Lachfältchen um seine Augen, vereinzelte graue Haare an seinen Schläfen und eine kostspielige Uhr an seinem Handgelenk. Auch die Sonnenbrille stammte von einem teuren Designer.

„Wie hast du mich hier aufgespürt?“

„Dein Nachbar … Jim? … hat mir verraten, dass du vermutlich hier anzutreffen bist.“

„Du hättest mich anrufen können.“

„Leider hast du versäumt, mir deine Nummer zu geben.“ Cale zog sein Smartphone aus der Hosentasche und sah sie fragend an.

Seufzend nannte sie sie ihm und speicherte seine in ihrem Handy. „Dass ich jemals wieder mit dir Telefonnummern austausche, hätte ich nicht gedacht.“

„War ich so schlimm?“

„Katastrophal. Hast du dich gebessert?“

„Eher nicht.“ Er lehnte sich zurück, als die Kellnerin ihm Kaffee und Croissants brachte. „Was ist mit dir? Wie lange hast du um mich getrauert, ehe du dem nächsten Kerl den Kopf verdreht hast?“

„Zwei Sekunden. Genau so lange, wie du mich vermisst hast.“

„Wenn es nur so gewesen wäre!“

Maddie wollte gerade nachfragen, was er damit meinte, als sie von einer Gruppe kichernder junger Mädchen abgelenkt wurde, die das Café betraten. Alle trugen eng anliegende Tops und Shorts. Genauso gut könnten sie gleich in Unterwäsche hier aufkreuzen, dachte sie gereizt. Dann schalt sie sich, weil sie wie eine eifersüchtige alte Frau reagierte. Sie beschloss, sich kurz in den Waschraum zurückzuziehen, entschuldigte sich und ging.

Als sie an ihren Tisch zurückkehrte, stand eines der Mädchen bei Cale und ließ sich ein Autogramm auf einer Papierserviette geben.

Maddie setzte sich und wartete, bis sie ging. „Bye, und vergiss nicht, die Hausaufgaben zu machen“, murmelte sie, und Cale musste sich das Lachen verkneifen.

„Passiert dir das öfter? Mich würde es in den Wahnsinn treiben.“

„Man gewöhnt sich dran. Ich versuche, nicht zu vergessen, dass sie nur mein Fernseh-Ich kennen. Sie wissen nicht, dass ich nicht gern schlafe, schnarche, allergisch auf Erdnüsse reagiere und so weiter. Das beugt dem Größenwahn vor.“

„Daran hast du ohnehin schon immer gelitten“, neckte sie ihn. Einen Moment lang spielte sie mit ihrem Kaffeelöffel, ehe sie eine persönliche Frage riskierte. „Was hast du gegen Schlafen?“

Cale schwieg eine Weile, dann überraschte er sie mit Offenheit: „Im Bett verfolgen mich die Geister der Vergangenheit.“

Als sie ihn verständnislos ansah, erklärte er: „Üblicherweise gehe ich erst in den frühen Morgenstunden ins Bett, sonst läuft mein Geist gegen drei Uhr morgens zu Hochtouren auf. Es ist die schlimmste Zeit des Tages.“ Er zerkrümelte ein Croissant zwischen den Fingern. „Dass ich Psychologe bin, bedeutet nicht, dass ich nicht selbst von Dämonen verfolgt werde.“

Ein weiteres Mädchen kam auf ihren Tisch zu, ein Notizbuch in der Hand. Anscheinend veranstaltete die Gruppe einen Wettbewerb, wem es gelang, Cales Aufmerksamkeit zu erregen. Dass er mindestens fünfzehn Jahre älter war als sie, schien sie nicht zu stören, ebenso wenig schienen sie sie als Konkurrenz zu betrachten, was Maddie wiederum verärgerte.

Die kleine Rothaarige hielt ihm ihr Büchlein hin. „Entschuldigen Sie die Störung. Würden Sie wohl …?“

Maddie warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Wir unterhalten uns gerade.“

„Es dauert nur eine Sekunde“, tat die Kleine den Einwand ab.

Verärgert musterte Maddie den flachen Bauch des Mädchens, bemerkte ein winziges Medaillon, das an einem Ring von ihrem Bauchnabel baumelte, und sah erstaunt ein zweites Mal hin. „Hast du das Bild auf dem Anhänger gesehen?“, fragte sie Cale, als sie wieder allein waren.

„Aus Angst vor dir habe ich nicht gewagt, mehr zu tun, als meinen Namen zu schreiben.“

„Haha. Es war die Abbildung einer Sexstellung – einer sehr kreativen …“

„Das muss ich sehen. Ich rufe sie zurück.“

Maddie kniff ihm in die Hand. „Meine Mutter würde ihrer freizügigen Haltung Sex gegenüber applaudieren, aber ich finde es unangebracht.“

Cale schob seinen leeren Teller beiseite. „Wie geht es deinen Eltern?“

„Sie sind noch genauso verrückt wie früher. Mom ist Gastprofessorin in Edinburgh und lebt immer noch mit dem grässlichen Jeffrey zusammen, Dad unterrichtet weiterhin Englische Literatur, hört Verdi, trinkt billigen Rotwein aus Keramiktassen und verführt so viele Studentinnen wie möglich. Und ja, in ihren Augen bin und bleibe ich eine große Enttäuschung und eine Versagerin, weil ich keine akademische Laufbahn eingeschlagen habe.“

„Bei deinem hervorragenden Ruf als Eventplanerin?“

„Partys planen kann jeder, denken sie. Dass ihr einziges Kind etwas Profanes wie Marketing studiert hat, betrachten sie als Schande.“ Sie seufzte. „Es ist mir fast peinlich, aber ich sehne mich immer noch nach ihrer Liebe und Wertschätzung.“

„Das ist nur natürlich.“ Tröstend streichelte er ihr die Hand.

Cale war froh, dass er Maddie hierher gefolgt war. Ihre spitze Zunge und Kratzbürstigkeit amüsierten ihn, gleichzeitig rührte ihn ihre Verletzlichkeit, die sie nie ganz verbergen konnte. Obendrein sah sie fantastisch aus, denn sie hatte eine tolle Figur und warme braune Augen.

Seit ihrer Begegnung in der Bar hatte er immer wieder an sie gedacht und schließlich Erkundigungen über sie eingezogen, wie er es immer tat, wenn jemand sein Interesse weckte. Über Freunde und Bekannte hatte er in Erfahrung gebracht, dass sie in Fachkreisen geschätzt wurde und allgemein beliebt war.

Sie wirkte so anregend auf ihn wie lange nichts mehr in den letzten Jahren. Seit dem Tod seines Bruders lebte er mit der Trauer und den Selbstvorwürfen. Noch immer war er auf der Suche nach dem Mann, der er ohne seinen Zwilling war.

Oliver war ein brillanter Student gewesen, hatte aber über die Selbstbeherrschung eines Zweijährigen und die Zerstörungskraft einer Atombombe verfügt. Cale hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, ihn vor sich selbst zu schützen, war seine Stimme der Vernunft gewesen, sein Kompass, sein Navigationssystem. Als sein Bruder sterbenskrank und schwach gewesen war, hatte er allerdings versagt. Cale schluckte und atmete tief durch, um die aufsteigende Panik zu bezwingen.

Plötzlich traf ihn ein Schlag auf die Hand. „Was ist?“

„Du warst ganz weit weg – und hast mir dabei in den Ausschnitt gestarrt.“

Ich hatte zu lange keinen Sex, dachte er. Es war nichts Persönliches, über die Trennung von Maddie war er lange hinweg. Aber sie war eine schöne Frau und er nur ein Mann …

„Was macht deine Familie?“, erkundigte sich Maddie.

„Solide wie immer – meine Eltern, Megan, die Zwillinge …“

„Hoppla! Du hast Kinder?“

„Nein, es sind Olivers.“

„War er denn verheiratet?“, fragte sie entgeistert.

„Nur für kurze Zeit. Die Kinder sind das Ergebnis einer Affäre. Er wollte das Richtige tun. Die Ehe hielt etwa drei Monate. Sesshaftigkeit war nichts für ihn … Du kanntest ihn ja.“

„Hat er sich Zeit für die Kinder genommen?“

„Er war ein großartiger Vater.“ Wenn er an sie dachte, was nicht allzu häufig vorkam, fügte Cale im Geiste hinzu. Aber das konnte er ihr nicht verraten.

„Wie schön für ihn.“

Ihr trockener Ton ließ erkennen, dass sie ihm nicht glaubte. Das war nicht zu ändern. Zumindest hatte er sich an sein Prinzip gehalten, Oliver niemals anderen gegenüber zu kritisieren.

„Meinen Eltern geht es jedenfalls gut, danke der Nachfrage. Ich habe sie erst vor einigen Tagen bei einem Familienessen getroffen.“ Er stützte den Kopf in die Hand. „Sie haben davon gesprochen, eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Oliver abzuhalten.“

Interessiert horchte Maddie auf. „Woran denken sie?“

„Mom hat vorgeschlagen, in seinem Namen Geld für eine wohltätige Organisation zu sammeln.“ Die Vorstellung begeisterte ihn zwar nicht, er hatte aber nichts dagegen, wenn es seiner Mutter half, ihren Kummer zu verarbeiten.

„Das hört sich gut an. Hast du nicht während deines Studiums zusammen mit Oliver einen inoffiziellen Triathlon organisiert?“

„Stimmt. Wir haben unsere Freunde eingeladen und hatten eine Menge Spaß.“

„Mach es noch einmal – für Oliver und einen guten Zweck.“

„Das ist eine ausgezeichnete Idee.“ Wieder nahm er ihre Hand. „Würdest du mir dabei helfen?“

„Unmöglich. Mein Terminkalender ist randvoll. Außerdem halte ich es nicht für klug, mit dir zusammenzuarbeiten.“

„Warum?“

„Wir würden uns entweder gegenseitig ermorden oder im Bett landen.“

„Oder uns im Bett umbringen – was durchaus seinen Reiz haben könnte.“

„Nicht für mich. Lass dir meinen Vorschlag durch den Kopf gehen.“ Maddie stand auf, griff nach ihrer Handtasche und lächelte ihm frech zu, bevor sie den Mund über seine Wange gleiten ließ. „Danke fürs Frühstück.“ Mit einem Seitenblick auf die Mädchen wenige Tische weiter raunte sie ihm zu: „Wag es ja nicht, sie nach ihren Telefonnummern zu fragen. Sie sind viel zu jung und dumm – sogar für dich.“

Nachdem sie ihm spielerisch in die Lippe gebissen hatte, ging sie zufrieden davon. Ihrer Meinung nach sprach nichts dagegen, einem Mann Appetit auf etwas zu machen, das man nicht zu geben bereit war – schließlich war sie eine Frau.

3. KAPITEL

Samstags hatte Maddie nur selten frei, denn zumeist musste sie auf Geburtstagspartys, Verlobungsfeiern oder Hochzeiten für einen reibungslosen Ablauf sorgen.

Ehe sie sich an diesem Samstag in die Arbeit stürzte, gönnte sie sich ein fünfzehnminütiges Schaumbad in ihrer altmodischen Wanne. Anschließend trat sie, in ein kleines Badetuch gewickelt, ans Waschbecken. Dabei stieß sie gegen die geöffnete Tür, die mit einem Klick ins Schloss fiel. Ein Geräusch, als wäre etwas in der Mechanik zerbrochen, erklang. Vorsichtig betätigte sie den Türgriff. Die Klinke ließ sich bewegen, doch die Tür blieb geschlossen. Fünf Minuten lang zog und zerrte sie daran, dann gab sie auf und gestand sich ein, dass sie im eigenen Bad eingeschlossen war.

Fluchend griff sie nach ihrem Handy.

„Ich hab dich wirklich gern, Maddie, aber nicht um sechs Uhr morgens“, sagte Jim müde. „Und ganz besonders nicht an meinem freien Wochenende.“

„Es ist schon sieben, und ich habe ein Problem. Ich habe mich im Bad eingesperrt.“ In knappen Worten schilderte sie ihm ihre Lage.

Jim fluchte. „Süße, hast du vergessen, dass wir übers Wochenende weggefahren sind? Was ist mit Kate oder Nat?“

„Kate ist auch nicht da, und Nat hat das Handy ausgeschaltet.“

„Ich rate dir seit Langem, dir endlich einen nicht schwulen männlichen Freund zu suchen, jemanden, der die Reifen an deinem Auto flickt, Glühbirnen wechselt, Türen aufbricht … Auch in anderer Hinsicht könntest du von ihm profitieren …“

„Du warst mir eine große Hilfe“, schimpfte sie und legte auf.

Das Kippfenster im Bad ließ sich nicht mehr vollständig schließen, kalte Morgenluft drang in den Raum. Wen kann ich noch anrufen? überlegte Maddie fröstelnd. Cale? Seit dem gemeinsamen Frühstück hatte sie ihn weder gesehen noch einen seiner Anrufe entgegengenommen – sie wusste einfach nicht, wie sie mit ihm umgehen sollte.

Nein, ihn konnte sie unmöglich zu Hilfe rufen. Zudem war sie so gut wie nackt – die Gefahr, dass sie zu guter Letzt mit ihm im Bett landete, war zu groß.

Damals hatten sie kaum die Finger voneinander lassen können, sofern sie nicht gerade gestritten hatten. Dass sie ihm nach der langen Zeit noch immer starke Gefühle entgegenbrachte, hatte Maddie nicht erwartet.

Was ich für ihn empfinde, ist nur Lust, tröstete sie sich. Sie hatte seit einer gefühlten Ewigkeit keinen Sex mehr gehabt.

Beherzt griff sie erneut zum Handy und bat zunächst ihre Kollegin Thandi, das anstehende Event für sie zu übernehmen. Anschließend erkundigte sie sich bei der Auskunft nach Schlüsseldiensten in der näheren Umgebung. Als sie die erste Firma anrufen wollte, klingelte ihr Telefon. Auf dem Display erschien eine ihr unbekannte Festnetznummer. Skeptisch nahm sie den Anruf entgegen.

„Maddie, ich bin’s, Cale.“

„Hi …“

„Geht’s dir gut? Du klingst irgendwie sonderbar.“

„Doch, schon.“ Dass in ihrer Stimme ein hysterischer Unterton mitschwang, bemerkte sie jetzt selbst.

„Was ist los“, hakte er sofort nach.

„Ich bin im Bad eingesperrt. Das Schloss ist defekt.“

„Befinden sich die Türangeln bei dir im Bad?“

Du lachst doch nicht etwa? dachte Maddie wütend, weil ein seltsames Glucksen seine Frage begleitete. „Die Tür geht nach außen auf, also sind die Angeln auch dort.“

„Das ist gut. Ich bin in … zwanzig Minuten bei dir. Wie gelange ich in das Gebäude?“

„Mit einem Zahlencode: 6541. Die Wohnungstür ist nicht verschlossen.“ Sie atmete tief durch. „Aber ich kann ebenso gut einen Schlüsseldienst anrufen.“

„Kein Problem. Bis gleich.“

Nachdem Cale aufgelegt hatte, setzte sie sich auf den Wannenrand und weinte vor Erleichterung.

Fünfundzwanzig Minuten später parkte Cale auf einem der Besucherparkplätze vor dem Gebäude, in dem Maddie wohnte, stieg aus dem Auto und griff nach dem Werkzeugkasten. Er ging zur Haustür, entsperrte sie mit ihrem Code, trat ein und lief die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. Durch die unverschlossene Wohnungstür gelangte er in einen großen Raum, der geschickt in Wohn- und Küchenbereich unterteilt war. Eine gemütliche Sitzgruppe lud zum Verweilen ein, das breite, raumhohe Bücherregal war gut gefüllt. Lediglich die rot gestrichenen Wände entsprachen nicht seinem Geschmack.

Von hier aus führten zwei Türen in weitere Räume. Er öffnete die erste und blickte auf ein ungemachtes Bett. Über einem Stuhl hing ein grünes T-Shirt, auf der Decke lag ein rosa BH. Dunkelviolette Vorhänge und eine antike Kommode, auf der neben Körbchen voller Halsketten Parfümflakons, Lippenstifte, Haarklammern, Bürsten und Kleingeld lagen, verliehen dem Zimmer eine weibliche Note.

„Bist du das, Cale?“, hörte er Maddie rufen.

Durch eine weitere Tür gelangte Cale ins Ankleidezimmer, hinter dem das Bad lag. „Ja. Wie geht’s dir da drinnen?“

„Mir ist kalt.“

„Es dauert nicht mehr lange.“ Neugierig sah er sich um. „Meine Güte, so viele Klamotten! Wozu brauchst du die ganzen Schuhe?“ Im Weitergehen stieß er gegen eine halb geöffnete Schublade voller Dessous. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und zog einen pinkfarbenen Stringtanga heraus.

„Das verstehst du nicht, du bist keine Frau“, kam ihre Antwort. „Und lass die Finger von meiner Wäsche“, warnte sie.

Unwillkürlich ließ er den Slip fallen. „Die würde mir ohnehin nicht passen“, scherzte er und machte sich ans Werk.

„Haha. Kannst du dich beeilen? Ich erfriere allmählich.“

Nachdenklich betrachtete er die Tür. Die Angeln waren dick mit Farbe überstrichen, was das Abmontieren erschwerte. Er suchte nach einer Steckdose und stöpselte statt des Föns den Akkuschrauber ein. Dann zwängte er sich in eine Ecke zwischen Tür und Schrank, tastete mit der Hand nach den Schrauben und schaffte es innerhalb weniger Minuten, sie zu lösen.

Behutsam hob er das Türblatt an und stellte es beiseite. Mit nassem Haar, vor Kälte zitternd und nur mit einem kleinen Handtuch bedeckt, saß Maddie auf dem Wannenrand. Ungeschminkt sah sie unglaublich jung aus.

„Hier drinnen ist es eiskalt“, stellte Cale erschrocken fest.

Sie deutete auf das Kippfenster. „Der Verschlussmechanismus ist schon seit Langem defekt. Ich lasse es demnächst reparieren.“

„Zieh dich rasch an, sonst wirst du krank.“

Das Handtuch fest an sich gepresst, schlüpfte sie an ihm vorbei, raffte im Ankleidezimmer einige Sachen zusammen und verschwand damit im Schlafzimmer. Die Tür ließ sie offen stehen. Offenbar war ihr in der Eile entfallen, dass er sie im Spiegel über der Kommode im Ankleidezimmer sehen konnte.

Wie gebannt beobachtete er, wie sie das Handtuch fallen ließ und anmutig in einen knappen Slip schlüpfte. Ihr Bauch war straff, die Beine herrlich lang und schlank. Als sie in eine Hose stieg, einen hauchdünnen cremefarbenen BH anlegte und im Rücken schloss, wurde ihm ganz heiß. Am liebsten hätte er sie aufs Bett gelegt …

„Cale?“, riss sie ihn aus seinen Wunschträumen. Sie zog eine Bluse über und kam ins Ankleidezimmer. Gerade noch rechtzeitig sprang er einen Schritt zurück. „Danke für deine Hilfe.“

Gleichmütig zuckte er mit den Schultern und wies auf das defekte Fenster. „Wenn du das nicht schnellstens reparieren lässt, erfrierst du noch.“

„Geplant habe ich es schon lange, ich komme nur nie dazu. Es tut mir leid, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe – noch dazu an einem Samstagmorgen.“

„Kein Problem“, wehrte er schroff ab.

„Dann hast du auch keinen Grund, unfreundlich zu werden.“

Cale machte zwei Schritte auf sie zu und sah sie grimmig an. „Ich stehe hier mit einer hübschen, eben noch so gut wie nackten Frau in einem ausgesprochen weiblich eingerichteten Zimmer, umgeben von sexy Wäsche. Ist es da ein Wunder, wenn mir gewisse Gedanken kommen?“

Maddie errötete tief. „Oh …“ Schnell wich sie bis an die Kommode zurück.

Cale wollte an ihr vorbei aus dem Zimmer gehen, streifte sie dabei aber zufällig. Fluchend wandte er sich zu ihr um und umfasste ihr Gesicht. „Sieh mich an“, befahl er. „Es wäre so einfach …“ Er schlang die Arme fest um ihre Taille. „Tut mir leid, das muss jetzt sein“, entschuldigte er sich.

Aufstöhnend schmiegte sie sich an ihn, und er spürte ihren Herzschlag.

„Das ist keine gute Idee“, protestierte sie schwach, doch ihre Blicke verrieten ihm etwas anderes. Sie wollte von ihm ausgezogen werden, sie brauchte ihn ebenso sehr wie er sie.

„Dein Mund sagt das eine, dein Körper etwas anderes. Worauf soll ich hören?“

Maddie strich Cale durchs Haar. „Es ist zum Verzweifeln! Ein Blick von dir genügt, und ich sehne mich danach, dir die Sachen runterzureißen und alle Vorsicht in den Wind zu schlagen.“ Ihre Gefühle für ihn machten ihr Angst. In seinen Armen fühlte sie sich … vollkommen. Sie sehnte sich nach ihm, bei ihm war sie zu Hause. Doch das konnte kein gutes Ende nehmen!

Cale ließ sie wieder los und trat einen Schritt zurück. „Lass mich nicht betteln, Maddie.“ Er streckte die Hände aus, um langsam ihre Bluse aufzuknöpfen und sie ihr von den Schultern zu schieben. Bewundernd betrachtete er sie, zog sie dann wieder an sich und küsste sie, während er ihren Po umfasste.

Als sie ihm die Hände unters Hemd schob, hob er sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Dort setzte er sich mit ihr auf dem Schoß aufs Bett und biss ihr spielerisch in den Hals, ehe er sich kurz von ihr löste, um Autoschlüssel und Smartphone aus der Tasche zu ziehen und auf den Nachttisch zu legen. Gleich darauf strich er ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. „Bist du sicher, dass du das willst?“

„Ich sollte nicht, aber …“

Ein leidenschaftlicher Kuss unterband weitere Erklärungen. Maddie schmolz förmlich dahin, und … in diesem Moment klingelte sein Telefon.

Über seine Schulter hinweg konnte sie den Namen auf dem Display erkennen: Megan Adams.

Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Eifersucht ergriff sie, wie damals als Teenager. Die Frauen waren wie verrückt hinter ihm her gewesen und würden es immer sein, und er ließ sich bereitwillig einfangen …

„Das war Rettung in letzter Minute – vor meiner eigenen Dummheit“, schimpfte Maddie, rutschte von seinem Schoß auf die Bettkante und knöpfte ihre Bluse wieder zu.

Cale war klug genug, um das Telefonat nicht entgegenzunehmen. „Was ist los, Maddie?“

„Es ist schon spät. Ich muss los, und du solltest auch gehen.“

Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie am Hosenbund fest. „Ich gehe nirgendwohin, ehe du mir erklärt hast, was deinen ‚Aus‘-Schalter aktiviert hat.“

„Wenigstens habe ich einen, im Gegensatz zu dir.“ Deutlich mehr Probleme bereitete ihr die Tatsache, dass er in Sekundenschnelle ihren „Ein“-Schalter gefunden und ihren gesunden Menschenverstand außer Gefecht gesetzt hatte. „Nur damit das klar ist: Ich bin keine Frau, die herumsitzt und auf deine Anrufe wartet.“

„Davon war auch nie die Rede.“

Geschickt entzog Maddie sich seinem Griff, nahm sein Handy vom Nachttisch und hielt es ihm hin. „Und was ist mit dieser armen Frau?“

„Sie ruft mich häufig an“, meinte er verblüfft, und um seine Mundwinkel zuckte es leicht.

Wütend funkelte sie ihn an. „Sicher macht es ihr nichts aus, wenn du mit einer anderen schläfst?“

„Das ist okay für sie.“ Zusehends entspannt, lächelte er breit.

Er macht sich über mich lustig, dachte Maddie, kannte aber den Grund nicht. Das erzürnte sie noch mehr. „Ich finde das nicht komisch. Geh jetzt.“

„Du hast da etwas in den falschen Hals bekommen.“

„Ich erinnere mich an zahllose Anrufe von Mädchen, die sich nach dir verzehrt haben. Ständig musste ich mit ihnen um deine Aufmerksamkeit konkurrieren.“ Sie griff nach einem Kamm und zerrte ihn ungeduldig durch ihr feuchtes Haar. „So dumm, deinetwegen zu verzweifeln oder auf dich zu warten, bin ich nicht mehr.“

Cale stand auf, steckte Handy und Schlüsselbund ein, ging ins Ankleidezimmer und kehrte mit seinem Werkzeugkasten zurück. „Dafür bist du engstirnig, stur und kindisch.“

„Wie du meinst. Übrigens …“

An der Tür hielt er inne. „Was denn?“, fragte er ungehalten.

„Wo ist mein pinkfarbener Tanga? Hast du ihn eingesteckt?“

Der Slip lag da, wo er ihn hatte fallen lassen, hinter der ausgehängten Badezimmertür. Er hob ihn auf und warf ihn ihr zu.

„Ich hätte ihn dir für deine Sammlung überlassen, wenn es nicht ausgerechnet mein Lieblingsstück wäre“, rief sie ihm hinterher, als er aus ihrer Wohnung stürmte und die Tür hinter sich ins Schloss warf.

SMS: 16.15 Uhr.

Cale Grant: Nur damit du Bescheid weißt: Du bist die erste Frau seit drei Monaten, die ich gekillt habe.

Maddie Shaw: Sitze in der Kirche, sehe, wie die Braut einzieht, und fühle mich ziemlich lebendig.

Cale Grant: Geküsst – nicht gekillt. Komme mit dem neuen Telefon noch nicht klar. Wollte nur klarstellen, dass ich nicht der Gigolo bin, für den du mich hältst.

Maddie Shaw: Wirklich? Bedeutet nicht geküsst auch nicht …? Wie lange ist es her seit dem letzten Mal?

Cale Grant: Kein Kommentar.

Maddie Shaw: Erwartest du eine Entschuldigung?

Cale Grant: Bekomme ich eine? Wollte nur reinen Tisch machen. Gehe jetzt joggen, dann dusche ich kalt … falls dir nichts Besseres einfällt.

Maddie Shaw: Nein.

Cale Grant: Schade.

„Hallo, Maddie.“

Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, den Mund voller Stecknadeln, stand Maddie auf einer Leiter und dekorierte mit ihrem Team ein Festzelt. Als sie die Stimme erkannte, lächelte sie erfreut.

„Dennis King. Was darf es heute sein? Eine Eisskulptur? Ein Champagnerbrunnen oder lediglich ein guter Tipp?“

Obwohl sie Konkurrenten waren, pflegten sie eine freundschaftliche Beziehung – aus Sympathie, aber auch aus praktischen Erwägungen. Wer außer einem Eventplaner hatte notfalls ein cremefarbenes Zelt oder Stuhlhussen zu verleihen, wer wusste, wo blaue Rosen aufzutreiben waren?

„Ich bezweifle, dass du es schaffst, eine Eisskulptur bis nach New York zu schicken.“

„Was führt dich dorthin?“

„Ich arbeite jetzt bei Bower & Co.“

Beinah hätte sie eine Nadel verschluckt. Wie war er an einen Job bei einer der renommiertesten Eventagenturen der Welt gekommen? Wieso hatte sie nichts von der freien Stelle in New York gehört?

„Deswegen rufe ich an. Wir suchen einen weiteren Eventplaner, und da habe ich an dich gedacht.“

Hastig zog Maddie die Nadeln aus dem Mund.

„Wieso das?“

„Es wäre schön, wenigstens eine gute Freundin in der Stadt zu haben. Und du arbeitest ohnehin schon so viel, wie es hier üblich ist. Was meinst du?“

Verblüfft setzte sie sich auf die oberste Sprosse der Trittleiter. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Denk drüber nach, und schick mir deinen Lebenslauf. Bis dahin werde ich deinen Namen bei jeder Gelegenheit erwähnen.“

Nachdem Dennis aufgelegt hatte, betrachtete Maddie eine Weile das Handy.

Ein Job bei Bower & Co. in New York wäre ein enormer Karrieresprung. Die Firma richtete wichtige Sportereignisse aus, Premierenpartys in Hollywood, Bälle für Politiker und die High Society … Sie konnte es kaum erwarten, Cale davon zu erzählen.

Unwillig schüttelte sie den Kopf. Wieso ausgerechnet ihm? Er war erst kürzlich wieder in ihr Leben getreten, sie hatten lediglich einige Male miteinander gesprochen …

Leider dachte sie viel zu oft an ihn, öfter, als es für ihr seelisches und körperliches Wohlbefinden gut war. Entschlossen stand sie wieder auf und straffte die Schultern. Sie würde Dennis ihren Lebenslauf mailen und abwarten, wie es weiterging.

4. KAPITEL

Cale lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und trommelte nervös mit dem Kugelschreiber auf seinem Schreibtisch herum, während er auf den nächsten Patienten wartete. In Gedanken war er bei Maddie. Er brauchte sie – nein, er musste lediglich mit ihr schlafen, ansonsten war er unabhängig und wollte es nicht anders.

Leider quälte ihn nicht allein Verlangen. In diesem Fall hätte er nur eine seiner zahlreichen Bekannten anzurufen brauchen … Nein, er war auf Maddie fixiert.

Oliver hatte sie ebenfalls gemocht, war ihr aber mit Vorsicht begegnet. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die hinter sein attraktives Äußeres und charmantes Auftreten geblickt hatten. Seinen wahren Charakter hatte sie dennoch nie völlig erfasst, das war nur sehr wenigen Menschen gelungen, und Cale war sich nicht einmal sicher, ob er zu ihnen gehörte.

Aber die Vergangenheit ließ sich nicht ändern, man konnte bestenfalls aus ihr lernen. Seit dem Tod seines Bruders verlief sein Leben in wesentlich ruhigeren Bahnen. Dennoch würde er den Stress, den Oliver ständig verursacht hatte, liebend gern in Kauf nehmen, bekäme er diesen dadurch zurück.

Ihm war klar, dass Maddie Unruhe in sein Leben bringen würde. Dennoch begehrte er sie und war nicht bereit, auf sie zu verzichten. Er musste sie dazu bringen, sich auf eine lockere, rein sexuelle Beziehung einzulassen, dann konnte ihm nichts geschehen.

Missmutig stützte Cale den Kopf in die Hände, während er überlegte, auf welche Weise er sie in sein Bett locken konnte. Sollte er auf die sexuelle Spannung bauen, die zwischen ihnen herrschte, abwarten, bis er mit ihr allein war, und der Natur ihren Lauf lassen?

Geistesabwesend ging er die Notizen durch, die seine Sekretärin ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte: ein Vortrag … ein abgesagter Termin … ein Anruf seiner Mutter, die wissen wollte, ob er sich schon Gedanken über die Aktion zu Olivers Todestag gemacht hatte …

Nachdenklich betrachtete er das Blatt in seinen Händen, und ihm kam eine Idee, wie er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.

„Woran arbeitest du gerade?“, erkundigte sich Maddie am nächsten Morgen bei ihrer Kollegin Thandi.

„Am Pianistenfestival. Und du steckst immer noch bis über beide Ohren in Fisch?“

Sie rang sich ein müdes Lächeln ab. „Entweder hasst Harriet mich, oder ich muss für vergangene Sünden büßen.“ Ihre Vorgesetzte hatte ihr die Organisation des Hochseeanglerwettbewerbs aufgebürdet, ein Projekt, das ihr zutiefst zuwider war.

Thandi versprach, ihr zum Trost in der Frühstückspause eine Köstlichkeit aus der Bäckerei nebenan mitzubringen.

Maddie konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit, bis ihr Laptop den Eingang einer neuen E-Mail meldete:

An: Maddie Shaw (mshaw@mayhewwalsh.com)

Von: Cale Grant (Cale@calegrant.com)

Betreff: Wohltätigkeitstriathlon

Sehr geehrte Ms. Shaw,

im Gedenken an meinen Bruder Oliver Grant plane ich die Durchführung eines Triathlons zugunsten der Blutkrebsforschung (Details siehe Anhang). Er findet im August auf der Kap-Halbinsel statt.

Der Wettbewerb setzt sich zusammen aus einer Kajaktour über vier, einem Waldlauf über zwanzig und einer Mountainbiketour über achtzehn Kilometer.

Über Ihre ehrenamtliche Unterstützung als Eventplanerin würde ich mich sehr freuen. Ihnen würde u. a. die wichtige Aufgabe der Sponsorenwerbung zufallen, wozu nicht mehr als einige Briefe und Telefonate erforderlich sein dürften.

Weitere Informationen finden Sie unter www.sportshuntracing.com

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Cale Grant

Sekunden später erreichte sie eine SMS:

Hab es auf dem offiziellen Weg versucht. Mit Erfolg?

Bestimmt nicht! dachte Maddie wütend. Dennoch klickte sie neugierig auf den Link zu der angegebenen Website. Sie überflog die Seite, ignorierte bewusst sämtliche Fitnesstipps und klickte sich weiter bis zu einer Fotogalerie. Hier fanden sich neben zahlreichen Abbildungen von Oliver auch Bilder von Cale. Vor Schweiß glänzend, den Arm um seinen Bruder und einen weiteren, ebenfalls verschwitzten Mann gelegt, lachte er in die Kamera. Er strahlte Selbstvertrauen und Stolz über einen offenbar gerade errungenen Sieg aus. Kein Wunder, dass ich mich als Achtzehnjährige in ihn verliebt habe, dachte sie.

Ich war viel zu naiv und unsicher für ihn, erinnerte sie sich. Viel zu oft hatte sie ihm verziehen, wenn er sie wieder einmal versetzt hatte. Zudem hatte Eifersucht sie gequält auf die zahlreichen Mädchen, die ihn unverhohlen umschwärmten. Die zwei Monate mit ihm erschienen ihr im Rückblick wie ein einziges Drama.

Die katastrophale Ehe ihrer Eltern vor Augen, hatte sie bereits nach kurzer Zeit vage an eine Trennung gedacht, als sie feststellte, dass ihre Periode überfällig war. Aus Angst vor einer Schwangerschaft hatte sie zwei Nächte keinen Schlaf gefunden.

Zum Glück hatte sich ihr Verdacht nicht bestätigt, dafür hatte Cales egoistische Reaktion darauf ihr die Kraft verliehen, ihn zu verlassen.

Am nächsten Tag hatte sie ihren verstorbenen Großvater entdeckt und Cale um Unterstützung gebeten. Dass er ihre Nachrichten nicht abgehört hatte und nichts von Reds Tod wusste, war ihr nie in den Sinn gekommen. Für sie hatte es ausgesehen, als hätte er sie im Stich gelassen, als sie ihn am dringendsten brauchte.

Im Lauf der Jahre hatte sie einige weitere unselige Beziehungen durchlitten, bis sie schließlich den Entschluss gefasst hatte, ganz darauf zu verzichten. Das erschien ihr leichter, als immer wieder von Neuem einen Fehlschlag zu riskieren. Vielleicht hatte ihre Freundin Kate ja recht, die sie als emotional zurückgeblieben bezeichnete.

Stattdessen konzentrierte sie sich ganz auf ihre Karriere. Wer weiß, vielleicht verschlägt es mich bald schon nach New York? dachte Maddie zufrieden. Auf Beziehungsdramen und die damit verbundenen Enttäuschungen konnte sie jedenfalls gut verzichten.

Ihr Beruf bedeutete für sie Zuflucht, Leidenschaft und Erfüllung zugleich.

Und Sex? Den konnte man haben oder nicht, wobei auf sie Letzteres zutraf. Cale eingeschlossen, hatte sie es in den vergangenen zehn Jahren auf nicht mehr als drei Liebhaber gebracht.

Leider hatten seine Küsse ihr ins Bewusstsein gerufen, wie aufregend Sex sein konnte. Die Stunden in seiner Gesellschaft hatten ihren Spaß am Flirten wiedererweckt. Sie sehnte sich danach, begehrliche Blicke auf sich zu ziehen und sich attraktiv zu fühlen.

Unvermittelt wurde ihr heiß, und sie fächelte sich mit der Hand Luft zu, wütend, weil ihr allein der Gedanke an Cale dermaßen zusetzte. Gleichzeitig fragte sie sich, was sie mehr ärgerte – die Dreistigkeit, mit der er sich wieder in ihr Leben drängte, oder ihre heftige Reaktion auf ihn.

Rasch schloss Maddie die Seite auf ihrem Laptop. Dann rief sie ihr E-Mail-Programm auf und begann, eine Antwort zu verfassen.

Cale,

abgesehen davon, dass ich eine Zusammenarbeit mit dir prinzipiell ausschließe, erfordert es deutlich mehr Arbeit, Sponsoren zu gewinnen, als du dir vorstellst.

Außerdem arbeitet meine Firma generell nie umsonst.

Es wäre klüger, seine E-Mail zu ignorieren oder ihm eine kurze, höfliche Absage zu erteilen. Das kann gleich Lucy übernehmen, dachte sie. In der Absicht, die Mail nie abzuschicken, machte sie ihrer angestauten Wut Luft.

Ich bin mit Arbeit vollständig ausgelastet und hatte keinen Sex seit … vier Jahren. Kannst du dir das vorstellen? Unsere Begegnung hat die Erinnerung leider wieder geweckt, jetzt sehne ich mich danach. Zudem leide ich an PMS, Kopfschmerzen, und mir ist übel, weil ich zum Frühstück eine Tafel Schokolade gegessen habe …

Übrigens finde ich es ungerecht, dass du bis heute keine Glatze oder einen Bierbauch hast, sondern immer noch wahnsinnig sexy aussiehst. Wie gemein von dir!

Maddie las zufrieden den Text und schickte ihn in ihren Entwürfe-Ordner. Verflixt! Eigentlich hatte sie ihn löschen wollen …

„Hast du Ärger?“, erkundigte sich ihr Kollege Jake und warf ihr von seinem Schreibtisch aus einen neugierigen Blick zu. Er war ein Hai im Anzug, der auf dem Weg nach oben skrupellos die Ellenbogen einsetzte.

In diesem Moment rief Thandi von der Tür her: „Maddie? Harriet möchte dich sehen. Sofort. Sie ist auf hundertachtzig …“

Maddie stand auf, griff nach ihrem Notizbuch und machte sich auf den Weg zu ihrer Chefin. Im Vorübergehen wandte sie sich an Lucy, die Sekretärin, die sie sich mit ihren Kollegen teilte. „Kannst du mir einen Gefallen tun?“ Sie wies auf ihren Arbeitsplatz. „Im Eingangs-Ordner findest du eine Mail von Cale Grant, der um Unterstützung für ein Projekt bittet. Schick ihm bitte eine höfliche Absage mit dem offiziellen Briefkopf der Firma, und wünsch ihm viel Erfolg.“

„Beeil dich, bevor Harriet ausrastet“, drängte Thandi. „Sonst feuert sie dich zum dritten Mal in dieser Woche.“

„Bin schon unterwegs …“

Maddie lag in der bis zum Rand mit duftendem Schaumbad gefüllten Wanne, als ihr Handy klingelte. Ohne aufs Display zu achten, nahm sie den Anruf entgegen.

„Danke für deine E-Mail“, hörte sie Cales Stimme.

Überrascht setzte sie sich auf, Wasser und Schaum schwappten auf den Badezimmerboden. Offenbar hatte Lucy ihren Auftrag ausgeführt.

„Isst du tatsächlich eine ganze Tafel Schokolade zum Frühstück?“, erkundigte er sich neugierig.

Sie klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und griff nach dem Weinglas, das auf dem Wannenrand stand. „Rufst du um zweiundzwanzig Uhr an, nur um mich über meine Essgewohnheiten zu befragen?“ Verwirrt trank sie einen Schluck.

„Übrigens freut es mich, dass du mich noch sexy findest, und Mönchspfeffer soll gegen PMS helfen.“

Nun erstarrte sie förmlich. „Woher weißt du, dass ich darunter leide?“, fragte sie so gelassen wie möglich, während sie das Glas vorsichtig wieder abstellte.

Augenblicklich bestätigte sich ihre Befürchtung. „Das steht alles in der frechen halb fertigen E-Mail, die ich gerade lese.“

Das Blut stieg ihr ins Gesicht. „Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte. Ich wollte die Mail nicht abschicken, sondern nur Dampf ablassen, weil ich sauer war und … Ich hatte sie versehentlich gespeichert und wollte sie gerade löschen, als Harriet mich zu sich rief. Abgeschickt habe ich sie definitiv nicht.“ Ich bringe Lucy um! dachte sie, sich vor Verlegenheit windend.

„Hattest du wirklich seit vier Jahren keinen Sex?“

„Halt die Klappe!“

Cale lachte – und sie erschauerte. „Entspann dich, Maddie. Sag mal, liegst du gerade in der Wanne? Ich kann es geradezu vor mir sehen: Schaum und Kerzen …“

Das war mehr, als sie ertragen konnte. „Gute Nacht.“

Sie beendete die Verbindung und presste sich das Handy an die Stirn. Es war so peinlich … Aber wie war die E-Mail aus ihrem Entwürfe-Ordner zu ihm gelangt? Lucy hatte keine Veranlassung gehabt, sie abzuschicken.

Entschlossen leerte Maddie ihr Weinglas und wählte Lucys Nummer.

Als diese endlich abhob, ließ sie sie gar nicht erst zu Wort kommen. „Erinnerst du dich, dass ich dich gebeten habe, eine höfliche Absage an Cale Grant zu schicken?“

„Ja“, meinte Lucy schläfrig.

„Was genau hast du ihm geschrieben?“

„Gar nichts.“ Lucy gähnte. „Ich musste ganz dringend etwas für Jake raussuchen. In der Zeit hat er die Antwort für mich geschrieben.“

„Dieser widerliche Kerl!“, schimpfte Maddie, bevor sie sich abrupt aufsetzte und ein weiterer Schwall Wasser sich über den Fußboden ergoss. Dann legte sie auf und brach in Tränen aus.

Für eine Paddeltour auf dem Ozean oder einen ausgedehnten Strandlauf um fünf Uhr morgens aufzustehen machte ihm nichts aus, aber es missfiel Cale, an einem nebligen Frühherbstmorgen die gesamte Stadt zu durchqueren, nur um Maddie vor der Arbeit zu Hause abzufangen. Von ihrer Kollegin hatte er erfahren, dass sie meist noch vor sieben Uhr im Büro eintraf.

Er nahm die Papiertüte mit dem Gebäck vom Beifahrersitz und stieg vor ihrem Apartmenthaus aus dem Auto. Durch den Nebel sah er einen Jogger auf sich zukommen, der immer abwechselnd eine halbe Minute lief und ging. Als dieser näher kam, sah Cale, dass es sich um Maddie handelte, die schnaufend und schwitzend auf ihn zutorkelte, die Wangen von der Anstrengung gerötet.

„Arbeitest du auf einen Herzinfarkt hin?“, fragte er amüsiert, als sie nach Luft ringend vor ihm stehen blieb, die Hände auf die Knie gestützt.

Statt zu antworten, stöhnte sie nur.

Cale legte ihr die Hand in den Rücken und hielt ihr die Tüte, aus der es verlockend duftete, unter die Nase. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“

„Wegen solchem Teufelszeug liege ich jetzt nicht gemütlich in meinem warmen Bett. In letzter Zeit ernähre ich mich fast ausschließlich davon, und meine Sachen werden immer enger.“

Er lachte. „Wieso joggst du ausgerechnet? Ich dachte, du hasst Laufen.“

„Das trifft auf alle Sportarten zu, Surfen ausgenommen.“ Sie streckte sich, rieb sich die verschwitzte Stirn und schnitt ein Gesicht.

„Ich finde, du bist nicht die Spur dicker als mit achtzehn.“

„Ich wiege zehn Pfund mehr als noch vor drei Monaten.“ Als sie aufs Haus zuging, folgte er ihr. „Was tust du eigentlich zu so früher Stunde hier?“

„Du nimmst meine Anrufe nicht entgegen – wieder einmal.“

Verlegen wandte sie den Blick ab. „Das mit der E-Mail tut mir entsetzlich leid.“

Ihn hatte der Vorfall erheitert, doch da es ihr peinlich war, zog Cale sie nicht weiter damit auf. „Das ist vergeben und vergessen.“

An der Haustür tippte sie ihren Code ein, und er hielt ihr die Tür auf. Als sie an ihm vorbeiging, stieg ihm ihr Duft in die Nase, eine verführerische Mischung aus Seeluft und Blumen, die sein Blut in Wallung brachte.

So gelassen wie möglich schlug Cale vor: „Gebäck habe ich mitgebracht, kochst du Kaffee dazu? Und wann musst du auf der Arbeit sein?“

„Am späteren Vormittag. Willst du mich wieder mit dem Triathlon belästigen?“

„Erst nach dem Frühstück.“

5. KAPITEL

Ein rascher Blick in die Runde bestätigte Maddie, dass sich ihre Wohnung in einem präsentablen Zustand befand. Sie nahm an, dass Cale weder die roten Wände noch ihre cremefarbene Couch oder die rot-weiß karierten Sessel gefielen. Sein Haus mit dem traumhaften Blick aufs Meer hatte er damals nur minimal möbliert und ihren Vorschlag, es ein wenig wohnlicher zu gestalten, rundweg abgelehnt. Dabei hätten etwas Farbe, einige Stühle und Kissen einen enormen Unterschied bewirkt. Warum ein Mann von fünfundzwanzig Jahren sich mit einem schäbigen Sofa, einer Mikrowelle und einem unbequemen Doppelbett begnügte, hatte sie nie begriffen.

Maddie ging zur Küchenzeile und schaltete den Kaffeeautomaten ein. Dann nahm sie zwei Tassen aus dem Schrank und beobachtete dabei aus den Augenwinkeln, wie Cale ihr Bücherregal inspizierte.

„Wer ist die Blondine auf diesem Foto?“, erkundigte er sich.

„Kate, meine beste Freundin. Sie ist Rechtsanwältin.“ Sie schnupperte an dem Milchkarton aus dem Kühlschrank, verzog das Gesicht und kippte den Inhalt in den Ausguss. Der nächste Einkauf war überfällig! „Die Milch ist alle, wir müssen den Kaffee schwarz trinken.“

„Dieses Buch ist ausgezeichnet.“ Cale hielt einen dicken Wälzer in der Hand. Früher hatten sie häufig und ausgiebig über Bücher gesprochen.

„Dann muss ich es mir bald vornehmen. Auf diesem Bord befinden sich die Werke, die ich unbedingt lesen will, sobald ich die Zeit dazu finde.“

Autor

Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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