Julia Collection Band 211

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Im beschaulichen Crandall Lake in Texas finden Herzen zueinander! Tauchen Sie ein in drei bezaubernde Liebesgeschichten.

Miniserie von Patricia Kay

VERLASS MICH NICHT, SOPHIE

Klar wird Sophie ihrer schwangeren, minderjährigen Schwester helfen! Auch wenn sie dann wieder Kontakt zu Dillon Burke hat. Dem Mann, der ihr Herz gebrochen hat. Und dessen Neffe der Vater des Babys ist. Sophie muss sich ihren nie erloschenen tiefen Gefühlen für Dillon stellen …

IM GLEICHKLANG UNSERER HERZEN

Vor zwölf Jahren musste Eve ihrer großen Liebe Adam Lebewohl sagen. Jetzt ist er zurück – umwerfender als je zuvor! Sofort flammen Eves Gefühle für den erfolgreichen Musiker wieder auf. Doch ihr spätes Glück steht auf tönernen Füßen. Eve hat Adam etwas Wichtiges verschwiegen!

… UND DOCH WILL ICH NUR DICH

Matt ist Olivias heimlicher Traummann. Längst empfindet sie für den Bruder ihres verstorbenen Mannes mehr als nur Dankbarkeit, weil er sich so rührend um sie und ihre Tochter kümmert. Aber eine Liebesbeziehung ist unmöglich! Dafür müsste Matt mit seiner Familie brechen. Was nun?


  • Erscheinungstag 24.05.2025
  • Bandnummer 211
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533782
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Patricia Kay

JULIA COLLECTION BAND 211

Patricia Kay

1. KAPITEL

Crandall Lake, Texas, Anfang Oktober

Sophie Marlowe warf einen verstohlenen Blick zur Wanduhr: fünf nach halb zwölf, noch fünfundzwanzig Minuten bis zur Mittagspause. Sie unterdrückte ein Seufzen und wandte sich wieder der kreuzunglücklichen jungen Frau zu, die vor ihrem Schreibtisch saß. „Und wie willst du jetzt damit umgehen, Kaitlyn?“

Die Oberstufenschülerin zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht …“

„Irgendwann musst du es ihnen ja sagen. Also warum nicht jetzt gleich? Jetzt stehen dir noch verschiedene Möglichkeiten offen.“

Das Mädchen nickte, aber ihr Blick wirkte leer. „Die drehen mir bestimmt den Hals um.“

Sophie lächelte schief. „Das glaube ich nicht. Deine Eltern sind doch ganz liebe, vernünftige Menschen.“

„Sie sind bestimmt schrecklich enttäuscht von mir“, murmelte Kaitlyn.

„Das mag sein, aber sie lieben dich doch. Da kommen sie schon damit zurecht.“ Aber noch während Sophie die Worte aussprach, wurde ihr klar, dass das nicht unbedingt auf alle Eltern zutraf. Da hatte man eine intelligente Tochter, die immer gute Schulnoten nach Hause brachte und ein Studium an einer der besten Universitäten in ganz Texas aufnehmen sollte … und dann stellte sich heraus, dass sie sich in einer Sache doch nicht so intelligent angestellt hatte und inzwischen seit einigen Monaten schwanger war.

„Ich wünschte …“, begann Kaitlyn.

„Ich weiß. Du wünschtest, das wäre nicht passiert.“

Dicke Tränen liefen der Schülerin über die Wangen. „Und Billy ist so gemein zu mir.“

Jetzt musste Sophie doch laut seufzen. Dass der Vater des Kindes nicht gerade begeistert reagiert hatte, war nicht weiter verwunderlich. Aber was dachten sich diese Jugendlichen eigentlich immer? Wahrscheinlich war genau das das Problem: dass sie überhaupt nicht nachdachten – oder erst dann damit anfingen, wenn es schon zu spät war. „Wäre es dir lieber, wenn ich bei dem Gespräch mit deinen Eltern dabei bin?“, schlug Sophie vor. Als Beratungslehrerin an der Crandall Lake High School hatte sie zwar nur die Aufgabe, den Teenagern aufmerksam zuzuhören und sie an die zuständigen Stellen weiterzuverweisen, aber sie hatte Mitgefühl mit Kaitlyn Macpherson. Sie war eine gute, verständige Schülerin – und Sophie hätte nie für möglich gehalten, dass sie mal in so eine Situation geraten würde.

„Würden Sie das wirklich für mich tun?“, hakte Kaitlyn nach.

Als Sophie die blanke Angst in den blauen Augen der jungen Frau erkannte, wurde ihr wieder bewusst, dass sie ja erst siebzehn war. Damit war sie bloß ein Jahr älter als Joy, Sophies jüngere Halbschwester. Für Joy hatte Sophie das Sorgerecht übernommen, als deren Eltern vor zwei Jahren gestorben waren. Wenn statt Kaitlyn jetzt Joy hier sitzen würde, würde Sophie sich auch wünschen, dass ihr jemand beistand. „Ja“, erwiderte sie also mit sanfter Stimme. „Ich komme gern mit.“

„Vielen, vielen Dank, Miss Marlowe! W-wann wollen wir es ihnen denn sagen?“

An diesem Abend hatte Sophie schon ihren Literaturkreis, aber der nächste Tag war noch nicht verplant. „Soll ich morgen Abend vorbeikommen? Gegen halb acht vielleicht, seid ihr dann schon mit dem Abendessen fertig?“

Kaitlyn nickte.

Als Sophie später im Lehrerzimmer ihren Mittagssnack aß, dachte sie darüber nach, wie schwer Teenager es oft hatten. Zum Glück hatte ihre Halbschwester Joy nicht mit solchen Problemen oder überhaupt mit irgendwelchen Problemen zu kämpfen: Das Mädchen wurde seinem Namen Joy, „Freude“, mehr als gerecht.

In diesem Moment kamen zwei Kolleginnen ins Zimmer: die Chemielehrerin Ann McPherson und Cindy Bloom, die Informatik unterrichtete.

„Ach, du meine Güte“, seufzte Cindy lautstark und fächelte sich mit der Hand Luft zu. „Ich werd nicht mehr!“

„Ja, ist er nicht toll?“, stimmte Ann ihr zu. „Aber das weiß er bestimmt selbst schon längst.“

„Natürlich.“ Cindy lachte. „Wo er doch mit den schönsten Frauen der Welt zusammen war.“

Sophie gab sich ungerührt. Ihr war sofort klar, um wen es gerade ging: Dillon Burke, den ehemaligen Quarterback der Footballmannschaft Los Angeles Lions. Erst im Juni war er in seine Heimatstadt Crandall Lake zurückgezogen und hatte hier eine Stellung als Trainer für die Schulmannschaft der Highschool angenommen. Und genau in diesen Dillon Burke war sie früher mal unsterblich verliebt gewesen.

Jetzt wollte sie ihm allerdings um jeden Preis aus dem Weg gehen.

Es ist schon so ewig her, dass wir etwas miteinander hatten, rief sie sich wieder einmal ins Gedächtnis. Der Typ interessiert dich doch längst nicht mehr. Außerdem hatte er seitdem keinerlei Anstalten gemacht, mit ihr in Kontakt zu treten.

Dummerweise schienen sich aber alle anderen in der Kleinstadt sehr wohl für ihn zu interessieren. Außerdem sah er inzwischen sogar noch besser aus als damals an der Highschool. Mit seinem tiefschwarzen Haar, den leuchtend blauen Augen und der großen, durchtrainierten Statur hatte der Mann in den letzten dreizehn Jahren bestimmt einige Frauen um den Verstand gebracht.

Ich bin allerdings nicht gefährdet, dachte Sophie. Für mich ist das Thema durch.

Zum Glück wussten die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht, dass sie und Dillon einmal etwas miteinander gehabt hatten. Und diejenigen, die doch davon wussten, sahen die Sache bestimmt genauso wie sie: als Teenager-Romanze, die inzwischen in Vergessenheit geraten war. Ein flüchtiges Verhältnis zwischen einer Sechzehnjährigen und dem Oberstufenschüler Dillon, dem Star-Quarterback der Highschool-Mannschaft.

„Hier wird das bestimmt nicht anders“, sagte Ann gerade. „Auf dem Basar am Samstag hat Nicole sich ganz schön an ihn rangeschmissen.“

Cindy verzog das Gesicht. „Die Frau macht mich wahnsinnig.“

Offenbar ging es gerade um die Französischlehrerin Nicole Blanchard. Sie war dieses Jahr neu an die Schule gekommen, und vom ersten Tag an hatte die umwerfend aussehende, langbeinige Blondine für wilde Spekulationen gesorgt. Alle Männer waren sofort hin und weg von ihr gewesen, und wahrscheinlich würde Dillon keine Ausnahme bilden – davon ging Sophie jedenfalls aus.

„Scheint ihn aber nicht gestört zu haben“, bemerkte Ann, dann fiel ihr Blick auf Sophie. „Hey, Sophie, wie geht’s dir so?“

„Ich hänge noch etwas im Wochenende fest und bin ziemlich müde. Sonst ist aber alles bestens.“

Es folgte ein kurzer Small Talk über dies und das, dann stand Sophie auf und warf ihr Apfel-Kerngehäuse in den Müll. „Ich gehe jetzt eine Runde spazieren. Bis später!“

Heute sollte es noch mal richtig warm werden – fast dreißig Grad – und das Anfang Oktober! Sophie wohnte zwar schon ihr ganzes Leben in Texas, aber an die Hitze hier hatte sie sich noch immer nicht gewöhnt. Vielleicht lag das auch daran, dass sie rote Haare und eine ziemlich helle Haut hatte? Jedenfalls fühlte sie sich hier nur im Winter richtig wohl. Eine ganze Zeit lang hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich in einen der nördlicheren US-Staaten versetzen zu lassen. Vielleicht hätte sie in einer Großstadt auch bessere Chancen, einen netten Mann kennenzulernen.

Aber dann waren ihre Mutter und deren Lebensgefährte Josh – Joys Vater und Sophies Stiefvater – bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Sophie hatte das Sorgerecht für Joy übernommen, und damit lag das Thema mit der Versetzung in den Norden zunächst auf Eis. Zuallererst wollte Sophie dafür sorgen, dass sich in Joys Leben erst mal so wenig wie möglich änderte – bis sie aufs College kam und selbst darüber entscheiden konnte, wie es für sie weiterging.

Sophie bog um die Ecke, um die Schule durch den Seiteneingang wieder zu betreten. Immer noch war sie tief in ihre Gedanken versunken und bemerkte dabei gar nicht, dass ihr jemand entgegenkam – bis sie mit ihm zusammenstieß.

„Oh, Entschuldigung“, sagte sie und blickte zu dem Mann hoch.

Der wiederum schaute zu ihr herunter. „Sorry.“

Einen atemlosen Moment lang trafen sich ihre Blicke, und Sophie versank in seinen tiefblauen Augen.

„Na, so was.“ Ein Lächeln umspielte Dillon Burkes Mund. „Wenn das nicht Sophie Marlowe ist. Und ich dachte schon, ich hätte mir dich nur eingebildet.“

Jetzt überschlug sich ihr verräterisches Herz doch auf beunruhigende Weise. Verzweifelt suchte sie nach einer schlagfertigen Antwort, aber sie brachte gerade mal die Worte „Hallo, Dillon“ heraus.

Er grinste. „Hallo, Sophie.“

„Ich … ähm … wollte gerade wieder in mein Büro gehen.“ Na, toll. Einfallsreicher ging es kaum.

„Das dachte ich mir.“ Immer noch betrachtete er sie lächelnd, dann musterte er sie von oben bis unten. Diese unglaublich blauen Augen!

„Ich h-habe schon gehört, dass du wieder in der Stadt bist.“ Ach, was! Er musste ja denken, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte …

Er zog eine Grimasse. „Da bist du nicht die Einzige. Das ist wohl gerade in ganz Texas Thema.“

„So ist das eben, wenn man berühmt ist.“

„Berühmt!“ Er sprach das Wort aus, als wäre es ein Fluch.

„Früher hat dich der ganze Rummel noch nicht gestört.“

„Ganz genau: früher. Das hast du schon richtig formuliert.“

Demonstrativ schaute Sophie auf ihre Armbanduhr. „Tja, war schön, dich mal wiederzusehen. Aber jetzt muss ich weiterarbeiten.“

Mit einer leichten Verbeugung und einem sexy Lächeln verabschiedete er sich von ihr: „Ich fand’s auch sehr schön, dich wiederzusehen, Sophie“, sagte er gedehnt und mit betont texanischem Akzent. „Du siehst übrigens richtig gut aus.“ Er ließ den Blick auf ihrem Hintern ruhen. „Knackig, deine Jeans. War so was nicht früher sogar verboten?“

Sophie merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss … und als sie durch den Seiteneingang ins Schulgebäude schlüpfte, spürte sie immer noch, dass er sie intensiv beobachtete.

Wow, Sophie war wirklich unheimlich sexy! Dillon kam gar nicht mehr darüber hinweg, wie toll sie aussah … und was das mit ihm machte. Zwar hatte er sie eben nicht zum ersten Mal seit seiner Rückkehr gesehen, aber so direkt waren sie sich bisher noch nicht begegnet. Zumindest hatte er zum ersten Mal wieder aus der Nähe ihre wunderschönen haselnussbraunen Augen mit den Goldsprenkeln betrachten können, ihre sommersprossige Nase und Wangen und ihre vollen, sehr sinnlichen Lippen …

Verdammt. Darüber sollte er jetzt lieber nicht genauer nachdenken.

Schließlich war Sophie ihm bisher merkbar aus dem Weg gegangen – und er ihr auch. Dabei hatte er sich ihretwegen nichts vorzuwerfen. Damals hatte er ihr keine falschen Versprechungen gemacht, sondern ihr von Anfang an zu verstehen gegeben, dass er nach der Highschool sofort wegziehen und aufs College gehen wollte.

Genau das hatte er auch getan, mehr oder weniger ohne zu zögern. Natürlich war sie ihm danach nicht so schnell wieder aus dem Kopf gegangen. Immerhin waren sie fast ein Jahr lang ziemlich fest zusammen gewesen, und er hatte sich heftig in sie verliebt. Monatelang, vielleicht sogar jahrelang, hatte er immer noch alle Frauen, die er kennengelernt hatte, mit ihr verglichen. Und wenn er ganz ehrlich war, tat er das immer noch. Irgendwie hatte er bei jedem Date Sophie im Hinterkopf – als obersten Maßstab.

Hatte den eigentlich je eine andere Frau erreicht?

Tessa vielleicht … zumindest vorübergehend. Aber dann hatte sie sich von ihrer habgierigen Seite gezeigt. Damit war Tessa für ihn Geschichte gewesen. Überhaupt hatte er von Models genug.

Inzwischen war er sich nicht mehr so sicher, ob er sich überhaupt noch auf irgendeine Frau einlassen sollte. Schließlich hielt ihn der achtzehnjährige junge Mann, für den er die Verantwortung übernommen hatte, gerade ganz schön auf Trab. Unwillkürlich musste Dillon seufzen, als er an seinen Neffen Aidan dachte. Dessen Vater, Dillons ältester Bruder, war Elitesoldat bei den US Marines gewesen und vor fünf Jahren in Afghanistan ums Leben gekommen. Seit Aidans Mutter im Januar dieses Jahres an Darmkrebs gestorben war, lebte Aidan bei seinem Onkel Dillon.

Eigentlich hatte Dillon ihn bis dahin als freundlichen, vernünftigen Jungen erlebt. Aber die schlimmen Veränderungen in seinem Leben hatten Aidan schwer mitgenommen. Und dann hatte er auch noch so kurz vor seinem Highschool-Abschluss Tausende Kilometer weiter zu seinem Onkel ziehen müssen, den er in den letzten zehn Jahren kaum zu Gesicht bekommen hatte.

Dillon wusste nicht, ob sie sich überhaupt noch zusammenraufen würden. Aidan ignorierte grundsätzlich alle seine Ansagen. Wenn Dillon von ihm verlangte, spätestens um Mitternacht wieder zu Hause zu sein, trudelte der junge Mann erst um eins bei ihm ein … oder später.

Da halfen auch keine Strafmaßnahmen: Dillon hatte Aidan schon den Geldhahn zugedreht, ihm den Autoschlüssel abgenommen und ihm sogar eine Ausgangssperre auferlegt, aber sein Neffe hatte sich von nichts beeindrucken lassen.

Dillon wünschte, er könnte sich mit dem Thema jemandem anvertrauen und hatte sogar darüber nachgedacht, sich deswegen an Sophie zu wenden. Schließlich war sie Beratungslehrerin. Aber immer, wenn er sich gerade bei ihr anmelden wollte, hatte er kalte Füße bekommen. Und das, obwohl es ihm noch nie schwergefallen war, auf Frauen zuzugehen.

Joy Ferrelli gähnte, dann schaute sie sehnsüchtig aus dem Fenster. Am liebsten hätte sie heute die Schule geschwänzt – so, wie Aidan ihr das vorgeschlagen hatte. Alle ihre Freundinnen wären damit problemlos durchgekommen, aber die hatten auch keine ältere Schwester, die hier an der Highschool unterrichtete. Wenn Joy also einfach wegbliebe, würde Sophie sofort davon erfahren.

Überhaupt würde Sophie einen Rappel kriegen, wenn sie von der Sache mit Aidan Wind bekäme. Das war der Hauptgrund, warum Joy ihre Beziehung geheim hielt, wenn auch nicht der einzige. Das, was sie gerade mit Aidan erlebte, wollte sie grundsätzlich mit niemandem teilen, auch nicht mit ihren Freundinnen. Womöglich würden die sich noch über sie lustig machen, ihr Löcher in den Bauch fragen oder ihr irgendwelche klugen Ratschläge geben – und das konnte Joy nicht gebrauchen.

Immer wieder musste sie an das denken, was gestern Nacht zwischen ihr und Aidan passiert war … wie sie sich aus ihrem Zimmer geschlichen hatte, nachdem Sophie schlafen gegangen war. Aidan hatte an der Straßenecke gewartet, dann waren sie direkt zum See gefahren, um sich dort leidenschaftlich zu lieben. Und ja, für Joy war es wirklich Liebe, ein anderes Wort kam für sie nicht infrage.

Sie seufzte.

„Miss Ferrelli, würde es Ihnen wohl etwas ausmachen, meine Frage zu beantworten?“

Joy blinzelte. „Äh – wie bitte?“

„Ja, genau das habe ich auch gerade gedacht.“ Mr. Gardner runzelte die Stirn. „Sie haben die Frage ja nicht mal mitbekommen“, fuhr er empört fort. „Wenn mein Unterricht Sie so langweilt, warum suchen Sie sich dann nicht etwas anderes, das Sie mehr interessiert?“

Joy schluckte. In der Oberstufe war Geschichte ein Pflichtfach, das sie nicht einfach so abwählen konnte, und das wusste der alte Miesepeter auch. „Entschuldigen Sie bitte, Mr. Gardner. Ich … Ich habe gestern Nacht leider ziemlich schlecht geschlafen. So etwas passiert mir nicht noch mal, das verspreche ich Ihnen.“

„Hm … das will ich hoffen.“ Er musterte sie mit seinem typischen glasigen Blick. „Sonst müssen Sie leider nachsitzen.“

In den nächsten Minuten zwang Joy sich, zuzuhören, obwohl sie viel lieber noch weiter von der letzten Nacht geträumt hätte. Wo Aidan jetzt wohl steckte? Ob er heute die Schule schwänzte und zum See gefahren war? Vielleicht saß er ja gerade in der Sonne und rauchte einen Joint?

Noch so eine Sache, bei der Sophie sofort einen Rappel kriegen würde: Wenn Joys Schwester auch nur ahnte, dass auch Joy hin und wieder mal kiffte, dann würde sie … Ach, das wollte sich Joy nicht mal vorstellen. Wahrscheinlich hätte sie dann für den Rest des Lebens Stubenarrest. Außerdem wäre Sophie tief enttäuscht von ihr. Und obwohl Joy nicht verstand, was daran so schlimm sein sollte, wollte sie ihre Schwester nicht unnötig beunruhigen. Weil sie nicht nur Aidan, sondern auch Sophie sehr liebte.

Dann rauch das Zeug doch nicht mehr, sagte sie sich. Sag Aidan einfach die Wahrheit: dass du dabei nicht mehr mitmachen willst.

„Miss Ferrelli! Habe ich Ihnen nicht eben gesagt, dass Sie bitte den Kurs wechseln sollen, wenn ich Sie so langweile? Ich gebe jetzt der Schulleitung Bescheid, und Sie melden sich sofort bei Mrs. Woodson.“

Joy blieb fast das Herz stehen. Unfassbar, dass sie eben schon wieder abgedriftet war! Schnell packte sie ihre Bücher zusammen. „Sorry, Mr. Gardner. Tut mir wirklich leid.“

„Ja, das haben Sie eben schon gesagt.“ Unbeirrt tippte er weiter die Nachricht an die Schulleitung in sein Smartphone.

Joy schluckte. So ein Mist. Jetzt bekam sie richtig Ärger. Zunächst mal würde sie auf jeden Fall nachsitzen müssen, und dann würde Sophie sie auch noch bestrafen. Und das ausgerechnet jetzt, wo am Freitag doch das große Schulfest stattfand. Eigentlich hatte Joy ihrer Schwester erzählen wollen, dass Aidan sie gefragt hatte, ob sie mit ihm hingehen würde. Einfach um mal zu testen, wie Sophie darauf reagierte. Und jetzt sah es aus, als könnte Joy froh sein, wenn sie am Wochenende überhaupt noch aus dem Haus durfte.

2. KAPITEL

„Du musstest … was?“ Fassungslos starrte Sophie ihre jüngere Halbschwester an.

Joy verzog das Gesicht. „Ich musste zur Schulleitung, weil ich in Geschichte nicht aufgepasst habe.“

„Das kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen. Ich dachte, das wäre eins deiner Lieblingsfächer.“

„Ist es auch. Leider ist dieser alte Miesmuffel Mr. Gardner nicht gerade mein Lieblingslehrer.“

„So was will ich nicht mehr von dir hören, das ist respektlos.“ Sophie bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, obwohl sie für Philip Gardner schon viel schlimmere Ausdrücke parat gehabt hatte. Der Mann war nämlich nicht nur ein alter Miesmuffel, sondern dazu ein ziemlich unangenehmer Typ.

„Tut mir leid“, sagte Joy. „Er ist aber so gemein.“

„Jetzt versuch nicht, dich rauszureden. Du hast in seinem Unterricht nicht aufgepasst, da hatte er jedes Recht, dich zur Schulleitung zu schicken. Wie ist die Sache denn weitergegangen?“

„Mrs. Woodson lässt mich eine Woche lang nachsitzen.“

„Sehr gut.“ Connie Woodson war die stellvertretende Schulleiterin.

Joy senkte den Kopf. „Das tut mir wirklich leid, Sophie. Es soll auch nicht wieder vorkommen.“

Sophie musste sich ein Lächeln verkneifen. Ihr war sehr wohl bewusst, warum Joy sich gerade so überschwänglich entschuldigte. „Da kannst du noch so oft um Verzeihung bitte, das hat für mich trotzdem Konsequenzen.“

Joy biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte die gleichen hellblauen Augen, wie ihre gemeinsame Mutter sie gehabt hatte. Wenn sie Sophie damit so anblickte, weckte sie ganz automatisch Sophies Mitgefühl – sosehr sie auch dagegen ankämpfte.

„Eigentlich hast du dafür eine Ausgangssperre verdient“, sagte Sophie.

„Bitte nicht ausgerechnet jetzt!“

Sophie wusste genau, warum ausgerechnet jetzt so ein besonders schlechter Zeitpunkt dafür war: Am Samstagabend sollte die große Schulfeier stattfinden, an der auch Joys gesamter Freundeskreis teilnahm. Da fiel es auch Sophie schwer, hart zu bleiben. „Also gut, wenn du mir fest versprichst …“

„Ja! Auf jeden Fall! Ich passe von jetzt an überall so gut auf, dass ich nur noch lauter Einsen schreibe.“

Darüber musste Sophie lachen. „Mach lieber keine leeren Versprechungen, sondern streng dich einfach an, okay? Diesmal gibt es noch keine Ausgangssperre, aber das kann sich ganz schnell ändern, wenn so etwas noch einmal passiert.“

„Auf gar keinen Fall.“

„Hast du denn schon ein Date für die Schulfeier? Willst du deswegen unbedingt hin?“ Sophie nahm die Post von dem Tischchen neben der Tür.

„Hm, irgendwie ja …“

„Und wer ist es?“

„Ähm … Aidan Burke.“

Sophie kniff die Augen zusammen. Aidan Burke? Etwa Dillon Burkes Neffe? Das brachte bei ihr sämtliche Alarmglocken zum Schrillen. „Nur über meine Leiche“, hätte sie am liebsten gesagt. Aber das hätte sie anschließend genauer begründen müssen, bloß wie?

Ich will nicht, dass du dich mit jemandem triffst, der auch nur irgendetwas mit Dillon Burke zu tun hat. Mit den Männern aus der Familie hat man nämlich nur Ärger.

So etwas konnte sie ihrer Schwester schlecht sagen. Sie begegnete ihrem hoffnungsvollen Blick. „Wie alt ist denn dieser Aidan Burke?“

Joy zögerte. „Na ja, er ist im Abschlussjahrgang“, erwiderte sie dann leise.

„Das hatte ich mir schon gedacht.“ Sollte Joy jetzt etwa das gleiche Drama mit Aidan erleben wie Sophie damals mit Dillon? „Ich finde es nicht so gut, wenn du dich mit jemandem triffst, der gleich ein paar Jahre älter ist als du.“

„Aber warum denn nicht? Aidan ist total nett, du würdest dich bestimmt super mit ihm verstehen.“

Sophie hatte Dillons Neffen schon ein paarmal von Weitem gesehen. Er war ein gut aussehender junger Mann, der sie stark an Dillon erinnerte, als er im gleichen Alter gewesen war. „Weil du zu jung für ihn bist. Wie habt ihr euch überhaupt kennengelernt?“

„Im Freibad. Diesen Sommer.“

„Verstehe.“ Sie musterte Joy, aber die wich ihrem Blick aus. „Habt ihr euch etwa schon mal allein getroffen?“ Zunächst war Sophie sich nicht sicher, ob Joy ihr die Frage überhaupt beantworten würde, dann sah ihre jüngere Schwester zu ihr hoch. „Also … ein richtiges Date hatten wir noch nicht.“

Die Antwort kam Sophie irgendwie komisch vor. Aber Joy würde sie doch nicht anlügen?

„Du musst ihn einfach mal kennenlernen, Sophie …“

„Es tut mir wirklich leid, aber ich habe mich gerade entschieden: Ich will nicht, dass ihr zusammen zum Schulfest geht. Wenn er dich auffordert, darfst du gern mal mit ihm tanzen, aber dass er dich abholt oder zurückbringt, kommt überhaupt nicht infrage.“

Joys Miene verdüsterte sich. „Das ist ungerecht! Du … du kennst ihn ja gar nicht!“

„Joy“, erwiderte Sophie ruhig und mit fester Stimme. „Du wusstest von Anfang an, dass ich so reagieren würde.“ Als Joy sie einfach nur schweigend anstarrte, fuhr sie fort: „Letztes Jahr haben wir doch schon darüber gesprochen, dass du dich bei deinen ersten Dates an Jungen in deinem Alter halten sollst.“

„Schon, aber da kannte ich Aidan noch nicht. Bitte, Sophie, gib ihm eine Chance. Darf er nicht mal vorbeikommen, damit du ihn kennenlernst? Dann überlegst du es dir bestimmt anders.“

Sophie schüttelte den Kopf. Wenn Aidan auch nur einen Bruchteil so charmant war wie sein Onkel damals, dann würde er sie sofort um den Finger wickeln. „Nein, mein Schatz, auf keinen Fall. Wenn du erst ein paar Jahre älter bist und aufs College gehst, dann kannst du selbst entscheiden, mit wem du dich verabredest. Aber solange du noch hier bei mir wohnst, lege ich die Regeln fest.“

Joy warf ihr einen letzten flehenden Blick zu, dann zog sie sich deprimiert zurück.

Sophie seufzte. Bitte, lass mich das Mädchen heil durch die Highschool bringen, sagte sie sich.

Als sie ihre Schwester später zum Essen rufen wollte, war Joy nicht in ihrem Zimmer, auch nicht nebenan im Badezimmer. Auch ihr Smartphone, das sie sonst immer ans Ladegerät anschloss, wenn sie sich im Haus befand, war verschwunden.

Offenbar hatte Joy sich heimlich aus dem Staub gemacht.

Sophies Herzschlag beschleunigte sich. Unglaublich, dass Joy es wagte, sich ihr so zu widersetzen! Außerdem hatte Sophie keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Schließlich war sie selbst erst neunundzwanzig und wusste deswegen noch ganz genau, wie es war, sich in einen umwerfend attraktiven älteren Jungen zu verlieben … und fest davon überzeugt zu sein, sterben zu müssen, wenn man sich nicht mit ihm treffen durfte. Vielleicht hatte sie mit ihrem Verbot einen schweren Fehler begangen und das Mädchen direkt in Aidans Arme getrieben?

Sie lief wieder nach unten, suchte ihr eigenes Smartphone und schickte Joy eine Textnachricht:

Wo bist du? Komm zurück, lass uns reden.

Zehn Minuten später hatte sie immer noch keine Reaktion – also hatte Joy entweder das Telefon ausgeschaltet oder ignorierte sie mit Absicht. Jetzt blieb Sophie nichts anderes übrig, als auf ihre Schwester zu warten und sich in der Zwischenzeit zu überlegen, wie sie mit der Situation umgehen wollte.

Als Aidan Joy zu Hause absetzte, brannte dort schon kein Licht mehr. Allerdings ging Sophies Schlafzimmer nach hinten raus, also war sie vielleicht doch noch wach.

So leise wie möglich schloss Joy die Haustür auf. Warum war sie eigentlich abgehauen? Das konnte sie immer noch nicht genau sagen. Aber als Sophie sich wegen der Schulfeier und Aidan quergestellt hatte, war Joy fuchsteufelswütend geworden und hatte ihrer Schwester beweisen wollen, dass sie nicht über ihr ganzes Leben bestimmen konnte.

Und jetzt? Jetzt hatte sie alles vermasselt und durfte wahrscheinlich überhaupt nicht mehr zum Schulfest gehen.

Langsam schlich Joy die Treppe in den ersten Stock hoch. Dabei war sie so tief in ihre finsteren Gedanken versunken, dass sie zusammenzuckte, als sie Sophie im Flur erblickte.

„Wo warst du?“, wollte ihre ältere Schwester wissen.

Joy schluckte. „I-ich war so aufgewühlt … da musste ich erst mal raus … um nachzudenken.“

„Um nachzudenken also.“

„Genau.“ Joy richtete sich auf. Angeschmiert war sie sowieso schon, jetzt wollte sie nicht auch noch klein beigeben.

Sophie seufzte schwer. „Joy …“

„Ich weiß. Du bist sauer auf mich, und das kann ich sogar nachvollziehen.“

„Ich bin nicht nur sauer, es ist noch viel schlimmer: Ich bin enttäuscht von dir. Ich habe mir die ganze Zeit solche Sorgen um dich gemacht und hätte sogar fast die Polizei gerufen. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass du mit diesem … jungen Mann unterwegs warst. Warum hast du nicht wenigstens meine Textnachricht beantwortet? Dann hätte ich immerhin gewusst, dass dir nichts passiert ist. So ein Verhalten habe ich nicht verdient, finde ich. Du etwa?“

In diesem Moment löste sich Joys Bockigkeit in Luft auf. Jetzt fühlte sie sich einfach nur noch mies. Sophie hatte recht, so etwas hatte sie wirklich nicht verdient. Sie war eine tolle Schwester und hatte sich Joy gegenüber immer sehr liebevoll und fair verhalten. Und was hätte sie nach dem Tod ihrer Eltern bloß ohne sie gemacht? Ihr schossen die Tränen in die Augen. „Nein“, brachte sie leise hervor.

„Aber warum hast du es dann getan?“

Joy zuckte mit den Schultern, und eine Träne lief ihr über die Wange. „Ich … weiß nicht. Es tut mir so leid, Sophie, wirklich. Ich habe wirklich eine Strafe verdient.“

Sophie legte ihrer Schwester die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. „Komm, wir sind beide gerade ziemlich aufgewühlt und müde und müssen morgen früh aufstehen. Lass uns erst mal schlafen gehen und morgen Abend weiterreden, okay?“

„Okay.“ Und obwohl Joy erleichtert war, dass noch kein Urteil ausgesprochen war, war ihr gleichzeitig klar, dass Sophie sie nicht so leicht davonkommen lassen würde.

Endlich Freitag, dachte Sophie auf der Fahrt zur Schule. Die Woche war der Horror für sie gewesen, besonders der Mittwoch, an dem Joy so plötzlich verschwunden war, und der letzte Abend, an dem sie und Kaitlyn mit den Eltern der schwangeren Schülerin gesprochen hatten. Einfach war es nicht gewesen, aber Sophie hoffte, dass sie Kaitlyn dabei wenigstens etwas hatte unterstützen können.

Wie genau es mit der jungen Frau weitergehen sollte, war noch nicht klar. Und zum Glück musste Sophie diese Entscheidung nicht treffen. Dafür hatte sie noch vor dem Besuch bei den Macphersons eine andere schwierige Entscheidung getroffen, die ihr jetzt gehörig Bauchschmerzen bereitete: Sie war schließlich weich geworden und hatte Joy doch erlaubt, zum Schulfest zu gehen – nachdem die ihr versprochen hatte, gemeinsam mit ihren besten Freundinnen Megan, Jenna und Bethany hinzugehen. Die drei wollten ebenfalls ohne männliche Begleitung zur Feier. „Du lässt dich auch nicht von Aidan Burke nach Haus bringen, ist das klar?“

Hoffentlich war diese Entscheidung kein Fehler gewesen … aber jetzt konnte Sophie ohnehin nichts mehr daran ändern. Und falls Joy sich wieder nicht an die Vorgabe hielt, dann wäre es dann eben endgültig vorbei: Dann würde sie ihr nie wieder vertrauen.

Als Sophie auf den Lehrerparkplatz fuhr, stieg dort gerade ein großer, dunkelhaariger Mann aus einem schwarzen Pick-up: Dillon. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie parkte so weit wie möglich von seinem Wagen entfernt und wartete, bis er auf dem Weg zum Schuleingang war. Dann erst stieg sie aus ihrem Kleinwagen. Heute war sie auch so schon aufgewühlt genug, da brauchte sie nicht noch ein Zusammentreffen mit Dillon.

Sobald sie ihr Beraterbüro im Schulgebäude betrat, erblickte sie auch schon den Umschlag auf ihrer Tastatur. Die Handschrift war unverkennbar die des Schuldirektors Gordon Pearson.

„Na, toll“, murmelte sie. „Was kommt denn jetzt bitte noch?“

Sie zog einen Zettel heraus, auf dem allerdings bloß stand, dass Gordon sie „am besten noch vorgestern“ sprechen wollte. Sie seufzte, stellte ihre Schultertasche ab und zog sich die im Lagenlook übereinandergezogenen Shirts zurecht. Dann warf sie noch einen Blick in den Spiegel und machte sich auf dem Weg zum Schulleiter.

Kaum hatte sie sein Büro betreten, kam er auch schon zum Punkt: „Hallo, Sophie. Ich hoffe, du hast morgen Abend noch nichts vor. Da brauchen wir dich nämlich dringend als Aufsichtsperson für den Ball auf dem großen Schulfest, als Vertretung für Jackie Farrow. Ihrer Mutter geht es gerade ziemlich schlecht, darum fliegt sie heute Nachmittag nach Denver.“

Jackie unterrichtete Mathematik in der untersten Jahrgangsstufe und war diesmal mit drei anderen Lehrkräften als Aufsichtsperson eingeteilt worden. Und wenn Sophie nicht alles täuschte, gehörte Dillon Burke auch dazu. Du liebe Güte! Wahrscheinlich würden auch noch alle Aufsichtspersonen zusammen an einem Tisch sitzen, jedenfalls kannte sie das von ihren bisherigen Schulfeiern so.

Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie sich damit herausreden sollte, dass sie am nächsten Abend doch schon fest verplant war. Aber so, wie sie den Direktor kannte, würde er dann genauer nachfragen, und sie war eine schlechte Lügnerin. Also nahm sie sich zusammen und bot an, am nächsten Abend für Jackie einzuspringen.

Dann kann ich wenigstens Joy bei der Feier im Auge behalten, sagte sie sich auf dem Rückweg zu ihrem Büro. Und wenn sie schon mit Dillon an einem Tisch sitzen musste, konnte sie ihn wenigstens ein bisschen über seinen Neffen ausfragen.

Jetzt hatte sie also nur noch ein ernstes Problem: Was sollte sie morgen Abend bloß anziehen?

Nach dem Football-Spiel duschte Dillon schnell und zog sich die Sachen an, die er für den Schulball herausgelegt hatte. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust darauf, bei der Feier Aufsicht zu führen, aber der Direktor hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er ebenso dazu verpflichtet war wie alle anderen Lehrer auch.

„Wenn ich dich als Einzigen davon befreien würde, wäre das nicht fair von mir“, hatte Gordon Pearson gesagt. „Das würde ja so aussehen, als hättest du bei mir eine Art Prominenten-Bonus.“

Da stimmte Dillon ihm sogar zu. In seinem Footballteam verfolgte er das gleiche Prinzip: Niemand wurde bevorzugt behandelt, und wenn er auch noch so talentiert war.

Weil er noch hatte duschen und sich umziehen müssen, kam er mit leichter Verspätung in den großen Festsaal. Dort saßen die anderen drei Aufsichtspersonen bereits zusammen am Lehrertisch.

Verdammt! Dass Nicole Blanchard heute auch dabei sein würde, hatte Dillon nicht gewusst. Schon seit Beginn des Schuljahres trieb ihn die Frau an den Rand des Wahnsinns. Sie verfolgte ihn, flirtete ihn schamlos an und schien auch noch davon auszugehen, dass ihm das gefiel. Da konnte er sagen oder tun, was er wollte – sie verstand einfach nicht, dass er kein Interesse an ihr hatte. Normalerweise ging er ihr, so gut es ging, aus dem Weg, aber das wurde heute Abend wohl schwierig …

Jetzt erst fiel ihm auf, wer da gegenüber von Nicole am Lehrertisch saß.

Sophie.

Ihre Blicke begegneten sich, und einen kurzen Moment lang sah er ihr tief in die Augen. Dann stand sie abrupt auf, sagte kurz etwas zu den anderen und entfernte sich vom Tisch.

Er konnte nicht anders, er musste ihr einfach hinterherschauen. Sie sah umwerfend aus in ihrem kurzen, schwarzen, figurbetont geschnittenen Kleid, das ihren knackigen Po eng umschmiegte. Und dann diese Beine! Zusammen mit den Stilettos war das eine Kombination, die eigentlich verboten gehörte, so heiß sah Sophie darin aus.

Inzwischen war Dillon dankbar dafür, dass er heute Aufsicht führen durfte.

Sophie wusste nur zu gut, dass sie sich gerade ziemlich feige verhielt: Kaum hatte sie Dillon auf ihren Tisch zukommen sehen, war sie aufgestanden, um sich mit einer kurzen Entschuldigung zurückzuziehen. Jetzt musste sie erst mal ihre Gefühle und vor allem ihre Hormone einigermaßen unter Kontrolle bringen.

Auf der Damentoilette kämmte sie sich noch mal das offene Haar, zog den Lippenstift nach und redete sich gut zu.

Komm schon, du bist doch eine erwachsene Frau und außerdem Beratungslehrerin. Wenn du mit mehreren Hundert Teenagern klarkommst, dann kannst du dich auch mit einem einzigen Mann namens Dillon Burke arrangieren. Und so unwiderstehlich ist er nun auch wieder nicht.

Trotzdem beschloss sie, noch nicht sofort zum Tisch zurückzugehen, sondern erst mal in einer Toilettenkabine zu verschwinden. Kaum hatte sie den Riegel vorgeschoben, kam eine Gruppe von Schülerinnen kichernd in den Waschraum.

„Er ist richtig sexy, oder?“, bemerkte eine von ihnen.

„Aber davon haben wir ja leider nichts“, erwiderte eine andere.

„Was hat diese Joy Ferrelli eigentlich, das wir nicht haben?“, fragte jetzt wieder die erste. Seit Aidan hier ist, hat er sich für kein anderes Mädchen interessiert. Sophie erstarrte. Keine der Stimmen kam ihr bekannt vor.

„Eben. Seit er sie im Sommer im Freibad kennengelernt hat. Der schläft doch bestimmt mit ihr.“

„Na, wenn das ihre große Schwester mitkriegt. Dann ist aber die Hölle los.“

Wie bitte? Aidan schlief mit Joy? War das nur dummes Teenagergerede, oder waren die beiden wirklich schon so weit gegangen? Das konnte doch nicht sein, schließlich wusste Sophie erst seit ein paar Tagen, dass sich die beiden überhaupt füreinander interessierten. Warum hatte Joy ihr eigentlich nicht schon vorher von Dillons Neffen erzählt?

Weil sie genau gewusst hat, wie ich darauf reagieren würde. Und wenn sie nicht heute mit ihm zur Feier hätte gehen wollen, hätte ich wahrscheinlich immer noch nichts davon erfahren.

Es dauerte noch eine halbe Ewigkeit, bis die Schülerinnen im Waschraum fertig waren. Sophie schlüpfte aus der engen Kabine, wusch sich die Hände und versuchte sich einigermaßen zu beruhigen, bevor sie wieder zu den anderen Lehrkräften an den Tisch ging.

Bitte mach, dass das eben wirklich nur dummes Gerede war. Joy ist doch erst sechzehn!

Auf dem Weg zum Lehrertisch ließ sie den Blick durch den Saal schweifen und hielt nach ihrer Schwester Ausschau. Leicht war es nicht, sie zu finden: Der DJ hatte gerade einen beliebten Song aufgelegt, sodass ganze Horden von Jugendlichen auf der Tanzfläche vor sich hinzuckten. Endlich entdeckte Sophie Joy in einer Ecke, so weit wie möglich vom Lehrertisch entfernt. Sie tanzte nicht, sondern stand dort mit Aidan. Die beiden waren eng aneinandergeschmiegt und sahen sich tief in die Augen.

Sophie zog sich das Herz zusammen. So, wie die beiden dort standen, musste sie sofort an sich und Dillon damals denken. Wahrscheinlich hatten die Schülerinnen im Waschraum vorhin recht gehabt mit ihrer Vermutung, dass sie miteinander schliefen.

Hilfe! dachte Sophie. Was mache ich denn jetzt?

3. KAPITEL

„Wir dachten schon, du wärst ins Klo gefallen“, bemerkte Nicole Blanchard, als Sophie sich wieder an den Lehrertisch setzte.

Der Mathematiklehrer Kevin Rafferty, der ebenfalls mit ihnen Aufsicht hatte, grinste zu Sophie herüber.

Sie lächelte zurück. Auf keinen Fall wollte sie sich heute Abend von Nicole nervös machen lassen – ein großes Vorhaben, zumal die Frau selbst in völlig entspannten Situationen schwer zu ertragen war. Weil sie einfach nichts merkte. Ihre vermeintlich witzigen Sprüche waren nur peinlich, und ein dezenter Hinweis reichte nicht aus, um sie zu stoppen. Dillon hatte sich inzwischen auf den freien Stuhl zwischen sie und Sophie gesetzt, und sofort war ihm Nicole nicht gerade dezent auf die Pelle gerückt.

„Ach, hast du mich etwa vermisst?“, entgegnete Sophie betont freundlich und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Irgendjemand hatte ihr ein Getränk hingestellt. „Was ist das?“ Sie hob den Plastikbecher an die Nase und roch daran.

„Limonade“, erwiderte Dillon. „Es gibt hier nur Softdrinks.“

„Leider.“ Kevin seufzte. „Im Moment könnte ich ein Bier gut vertragen.“

Sophie selbst sehnte sich nach einer Margarita, aber auf Schulveranstaltungen waren alle Suchtmittel grundsätzlich untersagt – und das schloss Alkohol mit ein.

„Danke.“ Jetzt schaute Sophie doch zu Dillon hinüber, und ihr dämliches Herz überschlug sich fast, als er ihr erneut in die Augen sah. Was hatte dieser Mann bloß an sich? Ein einziger Blick von ihm genügte, und schon wurden ihr die Knie weich. Natürlich war er umwerfend und ausgesprochen sexy … Und in seinem weißen Hemd, dem dunklen Sakko und der kakifarbenen Hose sah er heute auch noch besonders gut aus. Außerdem gefiel Sophie die leicht holzige Note seines Aftershaves. Trotzdem fragte sie sich, warum sie ausgerechnet auf ihn so stark reagierte, immerhin gab es viele andere gut aussehende und gut angezogene Männer, die sie allesamt ziemlich kaltließen.

Sophie wandte sich Nicole zu. „Du siehst übrigens toll aus in deinem Kleid.“

„Danke“, sagte die Lehrerin und lächelte kokett zu Dillon hinüber. Jede andere Frau hätte Sophies Kompliment erwidert, aber Nicole war eben nicht wie die anderen Frauen.

Dillon ignorierte sie immerhin und musterte stattdessen Sophie ausführlich. „Ich sehe hier übrigens noch eine Frau am Tisch, die umwerfend aussieht.“

Zum Glück war es im Ballsaal so dunkel, dass er wahrscheinlich nicht mitbekam, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Danke“, brachte sie hervor. „Ich finde uns übrigens alle sehr schick.“

In diesem Moment legte der DJ eine langsame, romantische Ballade auf. Sofort forderte Kevin Nicole auf. Sobald die beiden auf der Tanzfläche waren, wandte sich Dillon an Sophie. „Das ist dann wohl unser Zeichen.“ Er stand auf und streckte die Hand nach ihr aus.

„Ich glaube nicht …“

„Wenn du mir einen Korb gibst, ist das extrem unhöflich.“ Ein sexy Lächeln umspielte seine Lippen. „Hat dir deine Mutter das nicht beigebracht?“

Sophie seufzte. Auf keinen Fall wollte sie mit Dillon tanzen. Es fiel ihr ja so schon schwer genug, desinteressiert zu tun. Wenn sie sich auch in seinen Armen zu einem langsamen, romantischen Song bewegen musste, würde sie sich sofort verraten. Ihr schlug jetzt schon das Herz bis zum Hals, und er hatte ihr bisher nur die Hand gereicht.

Als er sie an sich zog, versteifte sie sich und versuchte, so viel Abstand wie möglich zu ihm zu halten.

„Komm, entspann dich“, murmelte er und legte den Arm noch fester um sie. „Ich beiße auch nicht.“

„Ich weiß. Ich … Ich wollte aber eigentlich nicht tanzen, sondern mich mit dir unterhalten.“

„Worüber denn?“

„Über deinen Neffen.“

„Aidan?“ Er runzelte die Stirn. „Was ist denn mit ihm?“

„Offenbar trifft er sich mit meiner Schwester Joy.“

„Ist das etwa schlimm?“

„Ich finde schon.“

„Aber warum denn?“ Dillon stutzte, dann fügte er hinzu. „Aidan ist eigentlich ganz vernünftig.“

Besonders überzeugt klang das nicht, also hatte er wohl auch gewisse Vorbehalte. „Das mag ja sein“, gab sie zögernd zurück. „Aber Aidan ist schon achtzehn und Joy erst sechzehn. Ich finde, er ist zu alt für sie.“

Dillon zog sie ein winziges Stück enger an sich. „So, wie ich damals zu alt für dich war?“, raunte er ihr ins Ohr.

Sie erschauerte am ganzen Körper. Sofort wich sie zurück, damit er bloß nichts davon mitbekam. Am liebsten hätte sie ihn einfach auf der Tanzfläche stehen lassen, aber damit hätte sie nur alle anderen auf sich aufmerksam gemacht. „Das warst du damals auch, ja, aber darum geht es hier nicht. Joy ist gerade sehr verletzlich, sie hat erst vor Kurzem beide Eltern verloren. Es ist nicht gut für sie, wenn sie bald auch noch von einem Mann im Stich gelassen wird.“

„Für Aidan gilt genau das Gleiche“, gab Dillon zurück. „Auch er hat beide Eltern verloren, außerdem tut er sich schwer damit, sich hier in Crandall Lake einzuleben. Joy konnte ja wenigstens in ihrer Heimatstadt bleiben, aber Aidan musste dazu noch sein ganzes Umfeld in Ohio zurücklassen. Jetzt sei mal nicht so hart zu ihm.“

Im Grunde hatte Sophie sogar sehr viel Mitgefühl mit dem Jungen, aber es ging ja nicht nur darum. „Ich bin nun mal für Joy verantwortlich, und es ist mir sehr wichtig, dass es ihr gut geht. Da ist es mir lieber, wenn sich die beiden nicht allein treffen.“

„Kann es sein, dass du deswegen so besorgt bist, weil du damals mit mir so schlechte Erfahrungen gemacht hast?“

Sophie spannte sich innerlich an. Ja, das traf den Nagel auf den Kopf. Natürlich musste sie dabei an ihre eigenen Fehler von damals denken. Trotzdem stritt sie das Dillon gegenüber ab: „Was zwischen uns passiert ist, hat überhaupt nichts mit den Entscheidungen zu tun, die ich für Joy treffe. Wir hatten von Anfang an vereinbart, dass sie sich erst nach der Highschool mit älteren Jungen verabredet.“

„Schon gut, alles klar. Ich will auch gar nicht mit dir streiten.“ Er zog sie noch fester an sich. „Ich habe schon immer gern mit dir getanzt“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Zum Glück war genau in diesem Moment das Lied zu Ende. Eine gute Gelegenheit für Sophie, sich von Dillon zu lösen und zu ihrem Platz zurückzugehen. Da bemerkte sie, dass Joy und Aidan gerade auf sie zukamen.

„Hey, Sophie, warte doch mal!“, rief Joy ihr zu.

Sophie blieb stehen, Dillon auch. Und obwohl ihr eigentlich gerade ganz andere Dinge durch den Kopf schossen, war sie gleichzeitig unheimlich stolz auf ihre wunderhübsche Schwester, die in ihrem blauen Kleid und mit dem Anstecksträußchen in den Schulfarben Blau und Gold einfach zuckersüß aussah. Und sosehr Sophie auch dagegen war, dass Joy etwas mit dem älteren Aidan anfing, so musste sie insgeheim doch zugeben, dass die beiden wirklich ein schönes Paar abgaben. Genau wie sein Onkel war Aidan groß gewachsen, er hatte auch die gleichen faszinierenden blauen Augen. Dafür hatte er helleres Haar, wahrscheinlich hatte er den goldenen Braunton von seiner Mutter geerbt.

Als die beiden Teenager näher kamen, bemerkte Sophie, wie verunsichert Aidan wirkte, und hatte wider Willen Mitgefühl für den jungen Mann.

„Sophie? Ich möchte dir gern Aidan vorstellen“, sagte Joy und lächelte Dillon schüchtern zu, dann schob sie Aidan sanft vor.

Als Sophie ihm die Hand schüttelte, spürte sie deutlich Dillons Nähe und Nicole Blanchards missbilligenden Blick. Vor allem aber nahm sie Joys tiefe Sehnsucht und Aidans innere Anspannung wahr.

In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten: dass Joy und Aidan sich schon sehr viel nähergekommen waren, als Joy ihr zu verstehen gegeben hatte. Jetzt stellte sich nur noch die Frage, wie nah genau. Und inwiefern Sophie noch etwas unternehmen konnte.

Joy hatte Aidan erst überreden müssen, ihn ihrer Schwester Sophie vorzustellen. Jetzt standen sie vor ihr, und Joy versuchte ihr mit ihrem Blick zu vermitteln, wie viel ihr der Oberstufenschüler bedeutete. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, falls Sophie ihr weiter den Kontakt zu ihm verbot. Ein Leben ohne Aidan konnte sie sich nicht vorstellen. Sie liebte ihn, so einfach war das. Und eines Tages wollte sie ihn auch heiraten.

„Ich habe dich heute Abend noch gar nicht auf der Tanzfläche gesehen“, sagte Dillon gerade zu ihm.

Aidan zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein besonders guter Tänzer.“

„Ich auch nicht. Aber das hält mich trotzdem nicht vom Tanzen ab. Manchmal muss man eben mal etwas ausprobieren.“

Joy wünschte, Aidans Onkel würde ihn nicht immer wieder kritisieren. Offenbar bildete er sich ein, alles über das Leben zu wissen, bloß weil er mal ein Football-Star gewesen war – das hatte Aidan ihr jedenfalls erzählt. Der zuckte gerade erneut mit den Schultern und wandte sich Sophie zu. „Hat mich gefreut, Miss Marlowe“, sagte er. Ohne seinen Onkel zu beachten, fügte er hinzu: „Komm, Joy, wir holen uns etwas zu trinken.“

Joy warf Sophie einen Blick zu. In ihrer Miene erkannte sie Mitgefühl, aber auch noch etwas anderes: Sie wirkte besorgt. Sofort war Joy klar, dass Sophie sich die Sache mit Aidan nicht anders überlegt hatte. Bei dem Gedanken zog sich ihr das Herz zusammen, aber sie zwang sich trotzdem zu einem Lächeln. „Bis später dann“, sagte sie und ging mit Aidan weiter.

„Ich hasse meinen Onkel“, murmelte er.

„So was darfst du nicht sagen!“

„Warum nicht? Wenn es doch stimmt? Ich wünschte …“ Abrupt brach er ab.

Joy seufzte. Ihr war völlig klar, was er sich wünschte: Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen und seine Eltern wieder lebendig machen. Dann hätte er auch nicht in eine Stadt ziehen müssen, in der er niemanden kannte und in der er sich nicht zu Hause fühlte. Gleichzeitig wusste Joy, dass sie ihm sehr wohl etwas bedeutete und dass er glücklich war, wenn sie Zeit miteinander verbrachten. Sie drückte sanft seine Hand, um ihm zu vermitteln, wie gut sie ihn verstand.

Er lächelte ihr verlegen zu. „Entschuldige bitte. Damit wollte ich nicht sagen …“

„Ich weiß.“

Und während er ihnen Getränke holte, schwor Joy sich, dass sie sich durch nichts davon abhalten lassen wollte, sich weiter mit ihm zu treffen: nicht von Sophie und ihren Regeln und auch von niemand sonst.

Dillon blickte den beiden Teenagern hinterher. Verdammt! Dass zwischen den beiden schon mehr passiert war als ein bisschen Händchenhalten und ein paar Küsse, brauchte ihm niemand zu erklären. Allein an ihrer Körpersprache hatte er gleich erkannt, dass sie in jederlei Hinsicht zusammen waren und wahrscheinlich jede Gelegenheit nutzten, sich körperlich nah zu sein – so wie er und Sophie früher. Er unterdrückte ein Seufzen. Sophie … Wenn sie ihn nicht vorhin genau auf das Thema angesprochen hätte, wäre es ihm jetzt herzlich egal, was die beiden miteinander anstellten. Wahrscheinlich hätte er sich sogar für Aidan gefreut, zumal es ihm mit der hübschen Joy an seiner Seite bestimmt viel leichter fiel, sich in Crandall Lake einzuleben.

Jetzt konnte Dillon sich allerdings schlecht freuen. Wie auch, wenn die Sache Sophie offensichtlich so mitnahm? Er sah sie an und bemerkte, dass sie Aidan und Joy mit besorgter Miene hinterherschaute.

Dillon beugte sich zu ihr hinüber und griff unter dem Tisch nach ihrer Hand. „Keine Angst“, raunte er ihr zu. „Ich spreche noch mal mit Aidan, vielleicht kann ich ja etwas bewirken.“

Sie erwiderte seinen Blick. „Danke.“

Wenn sie doch nur allein am Tisch wären! Wenn er ihr bloß offen und ehrlich erzählen könnte, wie seine Beziehung zu Aidan wirklich aussah! Und dass er sich von dem Gespräch mit seinem Neffen nicht allzu viel versprach. Andererseits war er sich gar nicht sicher, ob er wirklich zugeben wollte, wie wenig er als Aidans Ersatzvater taugte.

Inzwischen war ihm nämlich eines klar: Was auch immer ihn schon als Teenager an Sophie fasziniert hatte – als erwachsener Mann war die Wirkung sogar noch intensiver. Nach wie vor war er ihrer Anziehungskraft hilflos ausgeliefert.

Als Sophie endlich eingeschlafen war, träumte sie von Dillon. Das erste Mal hatte er sie kurz vor einem Football-Spiel gegen die Mannschaft von Eagle Hills angesprochen. Damals war sie Cheerleaderin gewesen und hatte die entsprechende Uniform getragen. Auf dem Weg zum Umkleideraum hatte er ihr zugegrinst.

„Schick siehst du aus, Marlowe“, hatte er gesagt: fünf Wörter nur, aber daran hatte sie erkannt, dass sie ihm erstens aufgefallen war und er zweitens sogar ihren Nachnamen kannte. Und während sie ihm hinterhersah, vollführte ihr Herz mehrere Doppel- und Dreifachsaltos. Denn Dillon Burke war der süßeste und tollste Junge, den sie je kennengelernt hatte – und dazu noch unglaublich sexy.

Noch am selben Abend forderte er sie im Gemeindehaus bei der Jugenddisko zum Tanzen auf. Fast wäre sie ohnmächtig geworden, als er die Hand nach ihr ausstreckte und sie auf die Tanzfläche zog. Und als er ihr auch noch ins Ohr flüsterte, dass er sie gern nach Hause fahren würde, waren ihre Knie weich wie Pudding.

Nach dem Tanzen fuhren sie an den See. Hier fuhren alle Teenager hin, um ein bisschen ungestört zu sein. Als Dillon sie küsste, kam es Sophie vor, als würde ihr Kopf gleich explodieren. Und als er die Hand langsam von ihrer Taille zur Brust hochschob, hätte sie wirklich fast das Bewusstsein verloren. Es war ihr so vorgekommen, als würde sie jeden einzelnen Nerv in ihrem Körper spüren. Von diesem Moment an war sie Dillon verfallen gewesen.

Am Morgen nach dem Schulfest mit Joy und Aidan steckte Sophie immer noch halb in dem wunderschönen Traum von ihrer Teenagerzeit. Dabei wurde ihr bewusst, dass ihre Schwester nicht als Einzige Gefahr lief, einen Riesenfehler zu machen. Und dass sie dringend noch mal mit Joy sprechen musste. So ungern sie das tat.

Seufzend stand sie vom Küchentisch auf. Inzwischen war es zehn Uhr, aber Joy schlief immer noch. Gestern musste sie gegen ein Uhr nachts nach Hause gekommen sein, da hatte Sophie sie jedenfalls gehört.

Sie beschloss, dass Joy jetzt genug geschlafen hatte, ging in den ersten Stock und klopfte leise an ihre Zimmertür. Als keine Reaktion kam, klopfte sie noch mal kräftiger. Auch darauf erhielt sie keine Antwort. Also öffnete sie die Tür und steckte den Kopf in den Raum. „Joy? Aufstehen!“

„Huch? Wie? W-wie spät ist es denn?“

„Schon zehn Uhr durch.“

„M-muss das jetzt wirklich sofort sein?“ Joy zog sich die Bettdecke über den Kopf.

Normalerweise hätte Sophie sie jetzt am Wochenende noch ein bisschen weiterschlafen lassen, zumal ihre Schwester wochentags immer sehr pünktlich aus den Federn kam und Sophie sie kaum antreiben musste. Aber heute war eben kein normaler Wochenendtag, jedenfalls nicht für Sophie.

„Wir müssen uns noch mal unterhalten“, verkündete sie mit fester Stimme und setzte sich zu Joy auf die Bettkante. „Mach dich schnell fertig, und komm bitte gleich runter zum Frühstück, dann reden wir in Ruhe miteinander. Okay?“

Darauf blickte Joy sie einfach nur schweigend an. Ihrer Miene war deutlich anzusehen, dass sie sehr wohl wusste, worum es bei diesem Gespräch gehen würde. Schließlich seufzte sie. „In Ordnung.“

Sophie betrachtete ihre jüngere Halbschwester, die sie so sehr liebte, und schmolz ein bisschen dahin. Joy war fast wie eine Tochter für sie. Trotzdem – oder genau deswegen – durfte sie jetzt nicht weich werden. Es ist nur zu ihrem Besten, sagte sie sich. Eines Tages wird sie mir dafür danken.

Eine Viertelstunde später saßen sie gemeinsam unten am Küchentisch. Dass Joy nicht nachfragen würde, worüber Sophie so dringend mit ihr sprechen wollte, war völlig klar. Also wartete Sophie erst mal ab, bis beide ein paar Pfannkuchen gegessen hatten, dann schnitt sie das Thema ihrerseits an. „Ich habe mich übrigens sehr gefreut, Aidan gestern mal kennenzulernen.“

Bis jetzt hatte Joy noch in sich zusammengesunken über ihrem Teller gesessen, jetzt blickte sie abrupt auf, und in ihren Augen leuchtete ein Funken Hoffnung auf. Sophie spürte einen Stich in der Herzgegend.

„Ich hab dir doch gesagt, dass er richtig nett ist“, sagte Joy.

„Er macht wirklich einen freundlichen Eindruck.“

„Dann darf ich mich auch allein mit ihm treffen, oder?“

„Das habe ich eben nicht gesagt.“ Sophie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.

„Aber warum denn nicht?“

Sophie seufzte. „Das weißt du genau. Weil er zu alt für dich ist. Und daran hat sich nichts geändert, nur weil ich ihn inzwischen kennengelernt habe und er einen guten Eindruck auf mich gemacht hat. Aber er ist immer noch zwei Jahre älter als du.“ Und außerdem hat er einige Probleme.

Joys Gesichtsausdruck spiegelte die unterschiedlichsten Gefühle wider. „Das ist ungerecht!“

Sophie sah die Tränen in ihren Augen und kämpfte gegen den Drang an, nachzugeben und sie zu trösten, damit sie wieder g...

Autor