Julia Herzensbrecher Band 40

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WILDE HERZEN IN LAS VEGAS von ANDREA BOLTER

Wild und rebellisch! Hotelerbin Audrey Girard lässt sich von Starkoch Shane Murphy nicht nur kulinarisch verwöhnen, in ihrer Fantasie küsst sie auch die sinnlichen Lippen des Bad Boys! Fatal, denn um ihr Unternehmen zu retten, soll sie eine Zweckehe mit Shanes Bruder eingehen …

DIE RÜCKKEHR DES VERFÜHRERS von KATHERINE GARBERA

Selfmade-Millionär Chris weiß genau, was er tun muss, damit Macy seinen Verführungskünsten erliegt. Und genau davor hat sie Angst! Denn wie wird Chris reagieren, wenn er die Narben sieht, die sie bei einem Unfall davongetragen hat?

WENN DIE LIEBE ZURÜCKKEHRT von CARA COLTER

Mac ist wieder da! Der Selfmade-Millionär ist zurückgekehrt, um seine geliebte Pflegemutter zu besuchen. Doch für Lucy, die in den Rebellen von einst verliebt war, wird das Wiedersehen mit Mac eine Reise in die Vergangenheit. Voller Schmerz – aber da ist noch etwas anderes. Hoffnung?


  • Erscheinungstag 27.01.2024
  • Bandnummer 40
  • ISBN / Artikelnummer 0824240040
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

ANDREA BOLTER, KATHERINE GARBERA, CARA COLTER

JULIA HERZENSBRECHER BAND 40

1. KAPITEL

„Hier kommt die Braut!“

Mit einem breiten Lächeln stand Daniel Girard von seinem Bürostuhl auf, um seine Tochter zu begrüßen. Audrey Girard ließ ihre Reisetasche auf einen Stuhl fallen und gab ihrem Dad eilig ein Küsschen auf die Wange. Sie war nicht nur die zukünftige Erbin der exklusiven Hotelkette Girard, sondern auch Chefin der PR-Abteilung. Vor der großen Eröffnung des ersten Hotels hier in Las Vegas hatte Audrey noch tausend Dinge zu erledigen. Von der Organisation ihrer Hochzeit ganz zu schweigen.

„Wann wird Reg eintreffen? Ich wette, du kennst den Zeitplan meines Verlobten besser als ich“, sagte sie. Dass Audrey und Reg heiraten sollten, war nämlich die Idee ihrer Väter gewesen. Connor Murphy, der Vater von Reg, war Besitzer der Restaurantkette Lolly’s, die den Hotels der Girards angeschlossen war. Seit mehr als einem Jahrzehnt waren die beiden Familien nun schon geschäftlich miteinander verbunden.

„Er kommt am Nachmittag aus L. A. an.“

Audreys Verlobter, Reginald Murphy, war für den geschäftlichen Teil der Murphy Brothers Restaurants zuständig. Sein jüngerer Bruder Shane war der Starkoch des Unternehmens, das die Brüder vor einigen Jahren gegründet hatten. Nachdem ihr Restaurant Shane’s Table in New York von Anfang an ein Erfolg gewesen war, hatten sie eine weitere Filiale in Los Angeles aufgemacht. Die Eröffnung eines dritten Restaurants in Las Vegas stand kurz bevor, und natürlich hofften sie, dass das Glück auch diesmal auf ihrer Seite war.

„Bitte erklär mir doch noch mal, warum das mit der Hochzeit plötzlich so eilt?“, fragte Audrey ihren Dad.

„Du hast doch unsere Bilanz gesehen. Wir brauchen eine große Eröffnung für dieses Hotel, und eine Hochzeit mit allem Drum und Dran ist dafür genau das Richtige.“

„Ich habe also wirklich nur einen Monat Zeit, um alles zu planen?“

„Ja, und wir werden eure Verlobung in zwei Wochen verkünden, um das Ganze schon einmal ein bisschen anzuheizen.“

Audrey zog die Stirn kraus. „Als ich vor ein paar Tagen mit Reg gesprochen habe, wirkte er nicht besonders begeistert von der Idee, das Ganze so zu beschleunigen.“

„Connor macht sich auch Sorgen um die Finanzen. Die Murphys brauchen dieses Hotel genauso sehr wie wir.“

„Na toll! Meine Zukunft wird von eurer Gewinn- und Verlustrechnung bestimmt.“

„Komm schon, du weißt doch, dass das nicht der einzige Grund ist. Schließlich bist du achtundzwanzig, und Reg ist sechsunddreißig, richtig?“

Audrey lachte. „Du hast recht, Dad. Im Prinzip bin ich eine alte Jungfer.“

„Du kannst zwei Vätern nicht übel nehmen, dass sie sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen. Wir wünschen euch ein langes und glückliches Leben miteinander. Ein paar Enkelkinder wären auch nicht schlecht, denn das wäre dann die nächste Generation von Hoteliers und Restaurantbetreibern.“

„Dad, darüber haben wir doch schon gesprochen. Es wird keine Kinder geben!“ Nicht nach dem, was Audrey in ihrer eigenen Kindheit durchgemacht hatte. Das war nicht verhandelbar.

„Man sollte niemals nie sagen.“

Sie gingen zum großzügigen Empfangsbereich der Büros und ließen sich in einer der modernen Sitzecken nieder. Durch die bodentiefen Fenster konnte man die anderen Hotels und Casinos des berühmten Las Vegas Strips sehen, und im Hintergrund erhoben sich die majestätischen roten Berge.

Das Hotel, das die Girards hier planten, war in den sechziger Jahren gebaut worden und hatte als typisches Automatencasino begonnen. Hier hatten früher die Touristen gewohnt, die sich die großen Hotelpaläste nicht leisten konnten. Die Küche hatte Frühstück für zwei Dollar angeboten und die Zimmer waren spottbillig gewesen. Doch irgendwann hatte sich das Hotel nicht mehr getragen und musste verkauft werden. Und da der Midcentury Style, in dem es gebaut worden war, gerade wieder in Mode kam, hatten die Girards es schließlich erworben, um mit ihm ihre erste Filiale hier in Las Vegas zu eröffnen.

Sie hatten es komplett renoviert und zu einem der eleganten Boutiquehotels gemacht, die ihr Markenzeichen waren. Anstelle des früheren Casinos gab es jetzt mehrere luxuriöse Suiten, einen Pool auf dem Dach, eine Rooftop Bar und mehrere Cocktail Lounges. Das Herzstück des Ganzen würde das Gourmetrestaurant Shane’s Table sein.

Leider gab es jedoch ein kleines Problem, denn die Kosten für die aufwendige Renovierung waren astronomisch in die Höhe geklettert, womit niemand gerechnet hatte.

Dabei hatte die Hotelkette der Girards sowieso schon Probleme. Drei Jahre zuvor war Audreys Mutter gestorben, ein Schicksalsschlag, der Spuren bei Daniel hinterlassen hatte. Lange Zeit hatte Audreys Vater seine Arbeit als Geschäftsführer nur mit halber Kraft verfolgen können, und das hatte sich nicht gut auf die Bilanzen ausgewirkt …

Sie brauchten jetzt tatsächlich eine spektakuläre Eröffnungsfeier, und die schon lange vereinbarte Hochzeit von Audrey und Reginald kam ihren Vätern deshalb gerade recht.

„Ihr beide werdet das Paar des Jahres sein“, erklärte Daniel begeistert. „Auf eine solche Romanze hat Vegas schon lange gewartet.“

Bis auf die Tatsache, dass es gar keine Romanze ist, dachte Audrey bei sich. Liebe war ein Spiel, auf das sie sich niemals einlassen würde. Denn zur Liebe gehörte Vertrauen, und das hatte sie schon vor langer Zeit verloren!

Deshalb hatte sie sich auch nie gegen die Hochzeitspläne gesträubt, die Daniel und Connor ausgeheckt hatten. Eine arrangierte Ehe war vielleicht etwas altertümlich, aber auch ziemlich praktisch. Audrey und Reg waren gute Freunde. Sie mochten sich sehr, aßen zusammen zu Mittag, wenn sie in derselben Stadt waren, und teilten das gemeinsame Interesse für ihre Arbeit. Reg war ein Workaholic, und Audrey stand ihm in nichts nach.

Beide waren sich darin einig, dass romantische Liebe nichts für sie war, und hatten beschlossen, eine partnerschaftliche Ehe zu führen. Audrey freute sich schon darauf, nach ihrer Hochzeit endlich keine Fragen mehr zu ihrem Liebesleben beantworten zu müssen.

Daher hatte sie auch gar nichts dagegen, dass Regs Sex-Appeal praktisch gegen null ging. Was sie mit Sicherheit nicht brauchte, war ein Mann wie Regs Bruder Shane, dem die Frauen in Scharen hinterherliefen! Bei Reg brauchte Audrey keine Angst zu haben, dass ihr Puls bei seinem Anblick zu rasen anfing. Shane hingegen hatte verbotene Wünsche in ihr ausgelöst, seit sie ihm das erste Mal begegnet war …

„Ist Shane mit seinem Kochbuch fertig?“, fragte sie ihren Dad.

„Also, soweit ich weiß, geht das ein bisschen langsamer voran als geplant.“

Audrey seufzte, obwohl sie die Information nicht wirklich überraschte. Es passte zu Shanes Ruf als Bad Boy. Viel stärker wog jedoch, dass seine Frau vor zwei Jahren überraschend gestorben war, was Shane noch nicht verwunden hatte. Nein, es war wahrlich kein Wunder, dass er im Zeitplan zurücklag.

„Ich werde mich darum kümmern“, sagte sie bestimmt. Shane Murphys erstes Kochbuch gehörte zu ihrem ausgeklügelten PR-Plan für die Hoteleröffnung in Las Vegas und musste daher unbedingt rechtzeitig fertig werden.

Ihr Vater nickte. „Shane wollte heute Abend für Reg und dich im Restaurant kochen. Dann könnt ihr ja darüber sprechen.“

Für Daniel war das Thema damit abgehakt, deswegen informierte er seine Tochter nun über die Renovierungsarbeiten ihres Hotels auf St. Thomas.

Bei der Erwähnung der Insel schweiften Audreys Gedanken sofort ab, denn dort hatten Shane und sie sich vor zehn Jahren zum ersten Mal getroffen. Nie würde sie diese Begegnung vergessen können …

Audrey war damals erst achtzehn gewesen, und als ihr Vater ihr die Murphy-Brüder vorstellte, hatte sie sich gewundert, wie verschieden die beiden waren.

Shane war mit vierundzwanzig Jahren bereits das Enfant terrible der Gastronomiewelt gewesen, ein richtiger Star, dessen erstes Restaurant in New York sofort ein Hit geworden war.

Der zwei Jahre ältere Reg hingegen wirkte mehr wie ein Buchhalter. Beide Brüder waren groß und schlank, doch während Reg mit Vorliebe Anzüge trug und immer einen peniblen, ordentlichen Eindruck machte, trug Shane sein Haar länger und sah eher wie ein Rockstar aus. Reg, der makellose Hotelprofi, und Shane, der Künstler mit der großen Seele, so waren sie Audrey damals erschienen. So gegensätzlich wie Tag und Nacht. Das Bild von Shane hatte sich ihr damals tief eingeprägt und auch heute noch nichts von seiner Strahlkraft verloren. Obwohl sie kaum persönlichen Kontakt zu Regs Bruder hatte …

Insgeheim fragte sie sich, was der Tod seiner Frau vor zwei Jahren wohl mit Shane gemacht hatte. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass der Verlust eines geliebten Menschen ein Leben für immer verändern konnte!

Audrey erhob sich, trat ans Fenster und sah hinaus auf den Strip, der wie immer voller Menschen war. Besonders ein junges Paar fiel ihr auf, das wahrscheinlich gerade geheiratet hatte. Die beiden hatten sich lachend untergehakt, und der Bräutigam hielt eine Flasche Champagner in der Hand, aus der sie abwechselnd tranken.

Las Vegas.

Die Stadt der Hoffnungen. Der Casinos. Des Glücks.

Die Stadt der Liebe.

Wie mochte es wohl sein, hierherzukommen, um den Menschen zu heiraten, den man liebte?

Doch für solche Gedanken hatte Audrey keine Zeit. Sie musste ihre eigene Hochzeit planen, eine Hochzeit, die aus rein pragmatischen Gründen stattfand.

Audrey verließ das Büro ihres Vaters und machte sich auf den Weg zu einem der Luxusbungalows hinter dem Hauptgebäude des Hotels. Während ihres Aufenthalts in Las Vegas würde sie dort wohnen.

Sie begrüßte einige Handwerker und Hotelmitarbeiter, die daran arbeiteten, das Hotel für die Eröffnung fertig zu machen. Bald würde sie sich mit jeder einzelnen Abteilung zusammensetzen und alles notieren, was sie für die Publicity nutzen konnte.

Doch jetzt wollte Audrey erst einmal ihr Gepäck unterbringen und ihre E-Mails checken. Und dann wollte sie so bald wie möglich mit Reg sprechen, der bei ihrem letzten Telefonat so zaghaft geklungen hatte.

Plötzlich erblickte sie etwas, das sie innehalten ließ. Sie war gerade an Shanes noch nicht eröffnetem Restaurant vorbeigegangen. Direkt davor stand der Starkoch persönlich – als lebensgroße Pappfigur!

Shane Murphy in voller Lebensgröße grinste sie an. Das war nicht zu fassen! Schließlich war sie die Chefin der Marketingabteilung, und als solche hätte sie nie einen solch vulgären Ausdruck für das männliche Ego zugelassen. Mal ganz abgesehen davon, dass ein solcher Werbeauftritt auch nicht zu der zurückhaltenden Eleganz passte, für die die Girard Hotels standen.

Audrey hatte keine Ahnung, wer hinter dieser amateurhaften Performance stecken konnte. Aber sie würde es herausfinden.

Verärgert betrachtete sie die Figur genauer, und wie stets verfehlte selbst diese Pappversion von Shane ihre Wirkung nicht auf sie.

Schwarze Locken umrahmten sein Gesicht, nur mühsam gezähmt durch ein blaues Haarband. Seine dunklen, fast schwarzen Augen mit den dichten Wimpern schienen Audrey anzustarren. Die gerade Nase, die vollen Lippen, der Dreitagebart … Es war fast unheimlich, wie lebensecht das Foto wirkte.

Sein Blick war so herausfordernd wie immer. Zu behaupten, dass dieser Mann gefährlich war, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Selbst eine Pappfigur konnte seinen Sex-Appeal nicht mindern! Audrey stieß einen tiefen Seufzer aus. Wie gut, dass sie den zuverlässigen Reg heiratete!

Trotzdem riskierte Audrey einen weiteren Blick auf Shanes lebensgroßes Abbild. Die weiße Jacke saß perfekt auf seinen breiten Schultern, und die hochgekrempelten Ärmel zeigten seine muskulösen Unterarme. Um eins seiner Handgelenke waren mehrere dünne Lederbänder gewickelt, in der anderen Hand hielt er ein großes Kochmesser.

Auf der kurzen weißen Jacke war in Brusthöhe das Logo seines Restaurants eingestickt: ein Tisch mit dem Schriftzug Shane darüber. Wie immer trug Shane lässige Jeans und schwarze Motorradstiefel.

Es ließ sich nicht leugnen – Shane Murphy war unglaublich sexy. Insgeheim war Audrey davon überzeugt, dass er seinen Erfolg nicht nur seinen Kochkünsten, sondern auch seinem guten Aussehen zu verdanken hatte.

Trotzdem: Eine solche Werbung passte nicht in ein exklusives Girard Hotel. Deshalb schnappte sie sich die Figur, klemmte sie unter den Arm und ging damit zu ihrem Bungalow. Dort stellte sie die Pappfigur achtlos in einer Ecke gegenüber von ihrem Bett ab.

Dann sah sie sich um und stellte befriedigt fest, dass das Video, das sie von der Renovierung gesehen hatte, tatsächlich von der Wirklichkeit noch übertroffen wurde. Die Suite wurde von einem Bogen in zwei Teile unterteilt. Im Schlafbereich stand ein Kingsizebett, an der Wand hing ein großer Flachbildschirm. Der Sessel neben dem Bett war wie das restliche Mobiliar in dezenten Creme- und Grüntönen gehalten.

Auf der anderen Seite gab es einen Tisch aus hellem Holz, an dem man essen oder arbeiten konnte. Abstrakte Bilder zierten die Wände, und die Sitzecke mit dem eleganten grauen Sofa und dem Kaffeetisch befand sich direkt vor den gläsernen Schiebetüren, die auf die Terrasse hinausführten. Dort standen zwei Loungesessel, und ein Raumteiler spendete Schatten gegen die glühend heiße Wüstensonne.

Es war perfekt gelungen, den Spirit der sechziger Jahre zu bewahren und mit modernen Annehmlichkeiten zu verbinden. Die Materialien waren edel, das Design mehr als gelungen.

Bis auf die dumme Pappfigur von Shane Murphy natürlich.

„Da ist er!“, rief Daniel und stieß seine Tochter an, die neben ihm in einer der Cocktail Lounges des Hotels saß.

Beide standen auf, als Reg Murphy auf sie zukam.

Audreys zukünftiger Mann war schlank und groß und hielt sich sehr aufrecht. In seinem dreiteiligen Nadelstreifenanzug, komplett mit Weste, wirkte er unglaublich konservativ.

Audrey hatte sich in Windeseile für den Abend umgezogen und trug nun ein konservatives graues Etuikleid zu eleganten schwarzen Sandalen.

„Schön, dich zu sehen“, sagte sie.

„Hallo, Audrey“, erwiderte Reg und streckte bereits die Hand aus, um ihre zu schütteln. Doch dann überlegte er es sich offensichtlich anders, ergriff ihren Handrücken und drückte einen Kuss darauf. Es wirkte recht linkisch und war Audrey ein bisschen peinlich.

„Wie war dein Flug?“, fragte Daniel und schüttelte die Hand seines zukünftigen Schwiegersohns.

„Gut, Sir.“

Audrey hatte Reg eigentlich selbstbewusster in Erinnerung. Machte ihn ihre bevorstehende Hochzeit nervös? Er zog ein blütenweißes Taschentuch aus seiner Tasche und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn.

„Wirst du bis zur Eröffnung in Vegas bleiben?“, fragte sie ihn.

„Mal sehen. Kann sein, dass ich zwischendurch noch nach New York muss. Und du?“

„Ja, ich bleibe hier. Schließlich muss ich unsere Hochzeit organisieren.“

„Natürlich“, erwiderte er und nickte, als ob ihm das jetzt erst klar würde. Dann sah er auf sein Handy und lächelte breit. „Bitte entschuldigt mich. Darauf muss ich kurz antworten.“ Ohne die Reaktion der beiden abzuwarten, tippte er eine SMS ein und grinste dabei die ganze Zeit.

„Gut“, meinte Daniel, „dann lasse ich euch beide jetzt mal allein. Wir sehen uns heute Abend.“

„Danke, Dad.“

Nachdem Audreys Vater gegangen war, ließen sich Audrey und Reg auf den Barhockern nieder. Auch die Bar war vom Design her den sechziger Jahren nachempfunden, mit viel Glas und Chrom. Leise Loungemusik spielte im Hintergrund.

„Also, für mich kam diese Sache mit der Hochzeit ziemlich überraschend“, erklärte Reg. „Dass es plötzlich so schnell gehen muss, meine ich.“

„Hast du damit ein Problem?“

Sie hatte das Gefühl, als wäre er meilenweit weg. Doch er schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht.“

„Es macht natürlich Sinn, das Ganze mit der Eröffnung zu verbinden. Du weißt schon, die Hochzeit, das Hotel, Shanes Kochbuch, euer Restaurant. Das ist ein richtiges Publicityfeuerwerk!“

Plötzlich wurde Audrey bewusst, dass sich die Girard Hotels noch längst nicht von der drei Jahre zurückliegenden Familientragödie erholt hatten. Als ihre Mutter im Sterben lag und ihr Vater sich nicht aufs Geschäft konzentrieren konnte, hatte sie nicht eine Minute gezögert, für ihren Vater einzuspringen. Die intensive Arbeit für die Hotelkette war für Audrey ein wahrer Segen gewesen, denn es hatte sie von ihrer Enttäuschung abgelenkt, dass ihre Mutter sie nicht an ihrem Krankenbett hatte haben wollen.

Man hatte schon immer von ihr erwartet, ins Familienunternehmen einzusteigen. Audrey war im Hotelgewerbe groß geworden, deshalb war es ihr auch nur natürlich erschienen, diesen Weg weiterzugehen. Sie liebte die Hotelmitarbeiter und diese liebten sie. Audrey würde alles tun, damit es der Belegschaft gut ging! Sogar heiraten …

Reg war eine gute Partie, und er passte in ihre Pläne. Sie mochte ihn, auch wenn sie ihn immer ein wenig langweilig gefunden hatte. Aber er war grundsolide, seine Manieren waren vorzüglich, und er hatte glücklicherweise nichts von der Wildheit seines Bruders geerbt.

„Sollen wir zum Dinner gehen?“, schlug sie vor. Reg kam ihr seltsam geistesabwesend vor, vielleicht würde ihm ein Ortswechsel dabei helfen, hier anzukommen.

„Ja, stimmt. Shane kocht für uns.“ Reg ergriff Audrey am Ellbogen und führte sie hinaus. „Wir sind die ersten Gäste bei Shane’s Table hier in Las Vegas.“

Auf dem Weg dorthin zog Reg sein Handy heraus, um auf eine weitere Nachricht zu antworten. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, während er tippte.

Doch als sie das Restaurant erreichten, blieb er stocksteif vor dem Eingang stehen. „Wo ist die Werbefigur geblieben, die eigentlich hier stehen sollte?“

„Meinst du etwa diese schreckliche Pappfigur von Shane?“

Reg warf Audrey einen verständnislosen Blick zu. „Es ist sehr wichtig, dass das Logo des Restaurants überall zu sehen ist.“

„Das verstehe ich, aber dieses Teil war einfach furchtbar. Viel zu vulgär, es passt überhaupt nicht zu dem Image, das die Girard Hotels verkörpern.“

„Soll das heißen, du hast meine Werbung entfernt?“

Audrey holte tief Luft. „Hör mal zu, Reg, ich bin die Chefin der Marketingabteilung. Ich entscheide gemeinsam mit meinem Team, was zu uns passt und …“

„Ja, aber ich habe Shane’s Table zu dem gemacht, was es heute ist.“

Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie war davon ausgegangen, dass Reg ihre berufliche Kompetenz respektieren würde. Doch offensichtlich hatte sie sich geirrt.

„Vielleicht sollten wir noch einmal klären, wo genau deine und meine Kompetenzen liegen, was das Restaurant angeht.“

„Ja, gute Idee. Ich werde meine Anwälte bitten, sich mit deinen gleich morgen früh in Verbindung zu setzen.“

Sie streichelte beruhigend seinen Arm. „Das ist eine gute Idee. Können wir das Thema jetzt erst mal vergessen und unser Dinner genießen? Ich kann es kaum erwarten, den fertigen Speisesaal zu sehen.“

Diese Strategie schien zu funktionieren, denn Reg zog eine Karte mit dem Zugangscode aus seiner Tasche und öffnete die Eingangstür zum Restaurant.

Rock-’n’-Roll-Musik drang aus dem hinteren Teil des Restaurants. Reg bedeutete Audrey, ihm durch den dunklen Speisesaal in die Küche zu folgen.

Der Mann in der Küche stand mit dem Rücken zu ihnen, aber Audrey erkannte ihn sofort an seinem langen lockigen Haar und den breiten Schultern. Die Musik war ohrenbetäubend, deshalb hatte er die beiden auch nicht bemerkt. Sein Kopf wippte rhythmisch zur Musik, während etwas vor ihm auf dem Herd brutzelte. Dann griff er nach einem Löffel und probierte aus der Pfanne.

„Mist“, erklärte er laut und warf den Löffel frustriert in die Spüle neben ihm.

Erst jetzt drehte er sich um und bemerkte die Besucher. Ein überraschter Ausdruck lag auf seinem ebenmäßigen Gesicht, während seine dunklen Augen wie gebannt auf Audrey gerichtet waren.

„Audrey“, rief Reg über die lärmende Musik hinweg, „du erinnerst dich vielleicht noch an meinen Bruder, Shane Murphy.“

2. KAPITEL

„Hi, Shane“, sagte Audrey laut und gab sich Mühe, ihr Herzklopfen zu verbergen. „Ist es nicht unglaublich, dass hier vor einem Jahr noch die Küche des alten Restaurants gewesen ist?“

Shane sagte nichts, sondern sah sie nur an. Sein Blick wanderte ruhig von ihrem blonden Haar über ihr Gesicht, über ihre Kurven in dem figurbetonten Kleid bis hin zu ihren langen Beinen und den orange lackierten Fußnägeln, die aus ihren Sandalen hervorblitzten.

Ohne jeden Gruß presste er kurz die Lippen zusammen und wandte sich dann an seinen Bruder. „Ich habe eine weiße Sangria gemixt. Die Karaffe steht auf der Bar. Warum gehst du nicht mit Audrey in den Speisesaal und schenkst euch ein, Reg?“

„Willst du nicht auch ein Glas mit uns trinken?“

Einen Augenblick sahen sich die Brüder nur an, als würden sie sich wortlos verständigen.

„Ich komme gleich und bringe ein paar Appetizer mit“, versprach Shane schließlich.

Reg nickte, geleitete Audrey aus der Küche und schaltete die Oberlichter an.

Das neu gestaltete Restaurant war atemberaubend. Eine Wand bestand nur aus Glas und ließ den Blick frei auf eine mit Sitzmöbeln ausgestattete Terrasse. Ein Holzkohleofen, ein großer Grill und zwei offene Feuerstellen luden zum Kochen im Freien ein. Der Außenbereich wurde von einer halbrunden Wand aus kleinen Steinen begrenzt. An drei Stellen regneten kleine Wasserfälle herunter. Es wirkte alles wie eine private Welt unter freiem Himmel, weit weg von den hellen Lichtern der Wüstenstadt.

Innen herrschte eine raffinierte Beleuchtung. Die hohen, olivgrün bezogenen Stühle passten perfekt zu den Tischen und Sitznischen aus Teakholz. Ein dicker Teppichboden mit dezentem Rautenmuster in Khaki und Rot sorgte für harmonische Farbakzente und würde später dazu beitragen, den Geräuschpegel eines voll besetzten Restaurants zu dämpfen. Die Ziegelwände verliehen dem Raum einen Landhaustouch, nobel und gemütlich zugleich.

Audrey ließ staunend ihren Blick schweifen. „Es ist fantastisch geworden!“

Reg nickte und führte sie an einen Tisch mitten im Raum, der bereits für sie gedeckt war.

„Ich hole die Sangria“, sagte er, während er ihr einen Stuhl zurechtrückte. Kurz danach kehrte er mit einer Karaffe aus der Bar wieder. „Shane hat einen Pinot Grigio von 2009 benutzt, von einem der örtlichen Weingüter, mit denen wir arbeiten.“ Er schenkte ihnen beiden ein Glas ein und reichte eines Audrey. Hauchdünne Scheiben von grünem Apfel und frischem Pfirsich schwammen in dem Drink, der wunderbar erfrischend duftete.

„Sehr schön“, sagte sie, nachdem sie einen winzigen Schluck genommen hatte. Mit Alkohol war Audrey extrem vorsichtig, schließlich hatte sie selbst miterleben müssen, welche Auswirkungen übermäßiger Alkoholkonsum haben konnte. „Du hast ein Apartment hier in Vegas?“

„Ja, etwas außerhalb, in Henderson. Doch ich nehme an, wenn du und ich erst einmal …“ Er brach ab und setzte hinzu: „Shane hat eine Wohnung ganz nah am Strip gemietet.“

„Wird er jetzt die meiste Zeit in Vegas sein?“

„Am Anfang bestimmt. Als wir die Filiale in Los Angeles eröffnet haben, hat es ein Jahr gedauert, bis die Abläufe geklappt haben.“

„Und bis sich das Personal eingespielt hatte?“

Reg nickte. „Ja. Wie du weißt, ist Shane ziemlich anspruchsvoll.“

Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht.

„Zehn Jahre sind eine lange Zeit“, sagte sie und spielte dabei auf die Zusammenarbeit mit den Murphy-Brüdern auf St. Thomas an. „Ich habe damals ja erst mit dem Studium angefangen und kann mich daher nicht sehr gut erinnern.“ Das war eine glatte Lüge. In Wahrheit erinnerte sie sich an jede Sekunde dieses Sommers.

Das vierundzwanzigjährige Wunderkind von einem Koch und seine Ansprüche in der Küche waren schon damals legendär gewesen. „Hat unser Streit nicht mit irgendwelchen Kräutern angefangen, die gefehlt haben?“

„Ich wüsste immer noch nicht, wie man eine gelbe Mojosauce ohne mexikanischen Blattpfeffer machen sollte.“ Shanes tiefe Stimme erfüllte den ganzen Raum. Die beiden hatten ihn gar nicht kommen sehen.

Audrey spürte, wie sie vor Aufregung ganz rot wurde.

„Aber euer idiotischer Souschef hat behauptet, Koriander würde es auch tun“, ergänzte Shane verächtlich.

Sie holte tief Luft. „Also, ich war damals erst achtzehn und eine unbedarfte Zuschauerin.“

„Wir waren auf einer winzigen Insel, Shane.“ Reg hob die Hände. „Und wir konnten dieses Kraut nicht einfach einfliegen lassen.“

Shane hielt ihnen zwei Teller hin. Sofort fiel Audreys Blick auf die Lederarmbänder um seine Handgelenke. Irgendwie hatten die Bänder etwas Rebellisches an sich. Sie wirkten ziemlich cool. Und ziemlich sexy! Fast so sehr wie Shanes Hände …

„Nevada scheint die Hauptader für alle Zutaten zu sein, die ich brauche“, informierte er sie. „Bitte sehr, meine Version von chiles en nogada: mit Hackfleisch, Birne und Mango gefüllte Poblano-Paprika an einer Walnusssahnesauce.“

Audrey betrachtete staunend das Arrangement auf ihrem Teller. Waren das nicht die Farben der mexikanischen Flagge? Shanes Kochkunst war ja schon immer von der lateinamerikanischen Küche inspiriert gewesen …

Vorsichtig probierte sie einen sorgfältig zusammengestellten Bissen. Perfekt! Dieses Gericht war einfach ein Gedicht.

„Fantastisch“, sagte sie, nachdem sie einen weiteren Bissen zu sich genommen hatte.

„Danke.“ Shane nickte, zog eine Gabel aus seiner Hosentasche und wandte sich Reg zu. „Es gibt ein Problem mit dem Besteck, das heute geliefert wurde. Bitte kümmere dich darum!“

Dann wandte er sich um und ging wieder in die Küche.

Audrey blickte auf die Gabel, die Shane beanstandet hatte. Nur wenn man ganz genau hinsah, fiel auf, dass eine der vier Zinken der Gabel ein wenig kleiner war als die anderen. Sie war ehrlich beeindruckt von dem Level an Professionalität, das sich durch die gesamte Arbeit der Murphy-Brüder zog.

Reg räusperte sich. „Audrey, ich muss mit dir reden …“

Innerlich seufzte Audrey. Sie waren erst bei den Vorspeisen, und sie fühlte sich bereits völlig abgelenkt durch Shanes Anwesenheit. „War Shane eigentlich schon immer so … heftig und entschlossen?“, fragt sie Reg, obwohl sie die Antwort schon ahnte.

„Ja, seit seiner Geburt“, erwiderte er. „Unsere Großmutter Lolly, die ihm auch das Kochen beigebracht hat, hat ihn immer Mr. Knallkörper genannt. Aber natürlich muss er sich seit Melinas Tod mit seinen eigenen Dämonen herumschlagen. Fehlerhafte Gabeln sind da das geringste Problem.“

Audrey wusste, dass Shanes Frau vor zwei Jahren bei einem Autounfall im Staat New York ums Leben gekommen war. Allerdings war sie damals beruflich so eingespannt gewesen, dass sie kaum Zeit für privaten Kontakt zur Familie Murphy gehabt hatte.

„Spricht er jemals mit dir darüber?“, erkundigte sie sich.

Reg sah sie stirnrunzelnd an. „Warum reden wir eigentlich so viel über Shane?“

Shane ließ in der Küche seine Frustration an der Minze aus, die er für den Salat zurechtzupfte. Nicht einmal die laute Rockmusik konnte ihn von seinen düsteren Gedanken ablenken.

Als er von dem Plan gehört hatte, dass Audrey Girard und sein Bruder heiraten sollten, hatte er es für eine sehr gute Idee gehalten. Reg verbrachte so viel Zeit über den Büchern und Bilanzen, da würde eine Frau ihn bestimmt auf andere Gedanken bringen.

Aber jetzt, da er Audrey wiedergesehen hatte, machte ihn diese Vorstellung regelrecht wütend. War sie nicht ein bisschen zu hübsch, zu sexy und vor allem zu unabhängig, um mit dem steifen Reg zusammen zu sein? Er liebte seinen Bruder und wollte nur das Beste für ihn. Aber musste sich ausgerechnet Audrey auf diese Vernunftehe einlassen?

Plötzlich musste er wieder an die Zeit auf St. Thomas denken. Damals war sie noch ein Teenager gewesen, und sie hatte schreckliche Angst vor ihm gehabt. Doch wer hätte ihr das verübeln können? Er hatte unglaublich hohe Standards gesetzt und seine Umgebung dadurch in Angst und Schrecken versetzt.

Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen, denn wenn er ehrlich war, musste er sagen, dass sich seitdem nicht viel verändert hatte.

Außer dass er inzwischen zwei sehr erfolgreiche Restaurants führte, die seinen Namen zu einer Marke gemacht hatten. Leider brachten sie längst nicht mehr den Profit ein wie am Anfang, doch das wusste keiner. Ob den Leuten aufgefallen war, dass Shane kaum noch zu Fernsehauftritten eingeladen wurde?

Er griff nach ein paar Tomaten, schnitt sie in perfekte Scheiben und rieb etwas Cojitakäse darüber. Ja, natürlich erinnerte er sich noch sehr gut an Audrey Girard und ihre Begegnung im dunklen Meer … Er streute die Minze über den Salat, goss ein wenig Olivenöl darüber und fügte noch ein paar Oliven hinzu. Diesen Salat hätte er im Schlaf zubereiten können.

Den ganzen Nachmittag stand er jetzt schon in der Küche und versuchte, ein neues Rezept für sein Kochbuch zu finden. Es wurde höchste Zeit, damit anzufangen!

Doch ihm war nichts wirklich Neues eingefallen, und das frustrierte ihn. Wo war nur seine Inspiration geblieben?

Er schnappte sich die beiden Teller mit dem Salat und ging damit ins Restaurant.

„Wie läufts eigentlich mit deinem Kochbuch?“, erkundigte sich sein Bruder.

„Ganz gut. Warum?“, gab Shane zurück, dem gleich Böses schwante.

„Ich dachte, wir machen für das Cover ein paar Fotos von dir auf der Terrasse. Du weißt schon, wie du neben dem Grill stehst und so.“

Shane nickte, hörte aber nicht recht zu. Stattdessen nahm er Audrey den Teller mit den Vorspeisen weg.

„Total köstlich“, sagte sie, obwohl sie nur die Hälfte gegessen hatte.

„Verstehe“, brummte Shane. Waren Audreys große Augen schon immer so hell gewesen? Sie hatten die Farbe von Honig …

Doch so leicht ließ Reg nicht locker. „Hast du überhaupt schon mit dem Schreiben angefangen, Bruderherz?“, erkundigte er sich.

„Lasst euch den Salat schmecken.“ Ohne auf Regs Frage einzugehen, ging Shane in die Küche zurück, wo er als Erstes die Musik lauter stellte.

Auch wenn es ihm nicht gefiel, war ihm doch klar, dass die Heirat von Reg und Audrey eine sehr gute Geschäftsidee war. Und das war wichtig, denn die Murphy Brothers Restaurants mussten einen großen Schritt nach vorn machen, wenn sie sich auf dem Markt halten wollten.

Shane griff nach den Shrimps und sang laut den nächsten Song mit.

Bestimmt würde es seinem Bruder sehr guttun, verheiratet zu sein. Reg war immer so ernst, er brauchte unbedingt eine Ablenkung von der Arbeit. Außerdem wünschten seine Eltern sich Enkelkinder, und in dieser Richtung war Reg ihre einzige Hoffnung, denn er, Shane, würde nie wieder heiraten.

Schließlich hatte seine spontan geschlossene Ehe in einem Desaster geendet.

Shane wusch sich die Hände und begann, Zwiebeln und Paprika zu dünsten.

Nein, von der Ehe hatte er für immer genug. Diesen Fehler musste er nicht wiederholen.

Grimmig löschte er das Gemüse mit Kokosmilch ab und fügte eine ausgeklügelte Auswahl an frischen Kräutern hinzu.

Wenn einer der Murphy-Brüder heiraten würde, war das eindeutig Reg.

Aber warum stellte er sich dann plötzlich vor, wie Audrey ihn mit ihren goldenen Augen anlächelte, während eine imaginäre Stimme von der Seite her fragte: „Shane Murphy, willst du diese Frau …?“

Er warf die Shrimps in die Sauce, fügte noch ein wenig Speck hinzu und ließ das Ganze einmal aufkochen. Dann füllte er Reis auf zwei Teller und goss den Inhalt der Pfanne darüber. Fertig war das Hauptgericht. Ein weiteres Rezept, das er mit geschlossenen Augen hätte zubereiten können.

Als er aus der Küche kam und an den Tisch trat, fiel ihm auf, dass Audrey ihren Salat kaum angerührt hatte. Was war nur los mit ihr?

„Hat er dir nicht geschmeckt?“, fragte er sie argwöhnisch.

„Oh doch, er war köstlich“, erwiderte sie schnell. „Ich bin nur einfach nicht sehr hungrig, das ist alles.“

„Komm, setz dich zu uns“, forderte Reg ihn auf und rückte seinem Bruder einen Stuhl zurecht. Dann schenkte er Sangria in ein Glas und reichte es ihm.

Auch wenn Shane seinem Bruder Reg gegenüber gewisse Vorbehalte hatte, musste er zugeben, dass er ihn mehr respektierte als jeden anderen Menschen. Und ihm war klar, dass er den Erfolg seines Ventures vor allem ihm zu verdanken hatte.

Reg hatte ihm beigebracht, wie man sich im Geschäftsleben verhielt, hatte ihn mit den richtigen Leuten bekanntgemacht. Ohne ihn wäre er nie so weit gekommen.

„Lass uns mal über dein Kochbuch reden“, schlug Reg vor. „Dir ist hoffentlich klar, dass es dafür eine Deadline vom Verleger gibt, oder? Eine Deadline, zu der wir uns schriftlich verpflichtet haben.“

Shane nickte stumm.

„Außerdem soll die Herausbringung des Buchs im Fernsehen übertragen werden“, setzte sein Bruder hinzu. „Millionen von Zuschauern werden dabei sein.“

„Aber wir werden dadurch nicht nur Kochbücher verkaufen, sondern gleichzeitig auch Werbung für Shane’s Table machen“, ergänzte Audrey. „Schließlich sollen möglichst viele Gäste dein neues Restaurant in Vegas besuchen!“

„Ich muss dir ja wohl nicht sagen, wie wichtig das für uns alle ist“, erklärte Reg.

Da Shane weiterhin stumm blieb, fügte er noch hinzu: „Hast du überhaupt schon damit angefangen?“

„Ja, natürlich. Und keine Angst, ich hab’s kapiert. Ich muss das Kochbuch abliefern!“ Shane sprang von seinem Stuhl auf und marschierte wütend in die Küche.

Hier beschäftigte er sich mit dem Anrichten des Nachtischs, den er schon vorbereitet hatte. Wenn er etwas hasste, dann so in die Zange genommen zu werden. Er mochte es einfach nicht, obwohl ihm natürlich klar war, dass das Trommeln zum Handwerk gehörte.

Und trotzdem … hing seine Wut nur damit zusammen, oder war es nicht vielmehr seine künftige Schwägerin Audrey, die ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte?

Er platzierte die weißen Törtchen auf kleine Dessertteller und ging damit zu den beiden zurück.

Als Audrey den Nachtisch sah, machte sie große Augen. Genießerisch probierte sie den ersten Bissen. Offensichtlich hatte er damit endlich ihren Geschmack getroffen. „Wow!“

„Das ist eine traditionelle Süßspeise aus Mexiko. Sie heißt tres leches, weil sie mit drei verschiedenen Sorten von Milch zubereitet wird“, erklärte er.

Im Gegensatz zu den Gängen davor schien es genau das Richtige für Audrey zu sein. Mit unverhohlenem Appetit genoss sie ihr üppiges Dessert, sodass es eine Freude war, ihr dabei zuzusehen.

Die drei plauderten noch eine Weile miteinander, wobei Shane auffiel, dass sein Bruder auffällig nervös wirkte. Ob das mit der bevorstehenden Hochzeit zu tun hatte? Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit einmal unter vier Augen mit ihm zu sprechen.

In diesem Moment sah Audrey zu seinem Bruder Reg und zeigte verlangend mit ihrer Gabel auf seinen Teller. „Isst du deinen Nachtisch nicht auf?“

Shane grinste zufrieden. Jetzt hatte er sie. „Sieht ganz so aus, als wärest du eine Süße, oder?“

Audrey zog die Schlüsselkarte zu ihrem Bungalow durch den Schlitz und öffnete die Tür. Das Erste, was ihr ins Auge fiel, war die riesige Pappfigur von Shane an der Wand vor ihrem Bett.

„Na, was starrst du mich so an?“, fragte sie herausfordernd.

Was ging hier in Las Vegas nur vor sich? Sie wusste, dass ihr Vater nur das Beste für sie wollte. Als er ihr die Sache mit der Heirat vorgeschlagen hatte, war sie darüber zunächst erleichtert gewesen. Mit einem Mann an ihrer Seite würde es ihr viel leichter fallen, das Vermächtnis der Girards fortzuführen.

Die Hochzeit mit der Eröffnung des Hotels zu kombinieren, war ein genialer Schachzug. Audrey hoffte, dass Reg das auch so sah, aber beim Essen hatten sie das nicht besprechen können. Was zum Teil auch daran lag, dass Reg für Audrey jedes Mal, wenn Shane zu ihnen an den Tisch kam, plötzlich vollkommen nebensächlich geworden war.

Das war ja auch kein Wunder, denn Shane war als Mann eine echte Naturgewalt! Ein düsterer, wolkenverhangener Himmel und peitschender Regen.

Vor lauter Aufregung über seine Nähe hatte sie kaum etwas essen können. Bis auf den fantastischen Nachtisch, über den sie sich wie wild hergemacht hatte. Was Shane nicht entgangen war…

Audrey schnappte sich ihren Koffer, warf ihn aufs Bett und fing endlich mit dem Auspacken an. Dabei dachte sie darüber nach, dass sie in weniger als einem Monat Regs Frau sein würde. Eigentlich sollte es ihr egal sein, was sein Bruder von ihr dachte. Doch leider war es nicht so.

Sie zog eine Tüte mit ihren Lieblingsplätzchen aus ihrem Koffer, ohne die sie nicht leben konnte.

„Ja, ich mag Süßes. Hast du damit ein Problem?“, fragte sie den Shane aus Pappe, der sie missbilligend anzuschauen schien. Sie musste diesen Aufsteller so schnell wie möglich aus ihrem Bungalow entfernen!

Doch wenn sie ehrlich war, mochte sie es, dass die Figur hier war. Denn Shanes tiefe dunkle Augen waren für sie wie Magneten, die sie geradezu magisch anzogen. Am liebsten wäre sie hineingetaucht, um die Komplexität, den Schmerz und die Geheimnisse zu ergründen, von denen sie wusste, dass sie darin verborgen waren.

Nachdem sie ihren Koffer ausgepackt hatte, schnappte sie sich einen Pyjama und ging damit ins Bad, damit der Shane aus Pappe sie nicht nackt sehen konnte, wenn sie sich umzog. Das war natürlich Unsinn, aber sie tat es trotzdem.

Doch als Audrey schließlich im Bett lag, merkte sie, dass sie überhaupt nicht müde war. Statt das Licht auszuschalten, studierte sie Shanes volle Lippen. Fragte sich, wie es wohl sein müsste, ihn zu küssen, trotz seines Dreitagebarts. Stellte sich vor, wie sie sein dichtes Haar durchwühlte und …

Nein! Sie musste jetzt endlich schlafen.

Doch sie konnte nicht aufhören, Shanes Standbild anzustarren …

Am nächsten Tag lehnte Shane mit dem Rücken gegen einen der Bögen im Hochzeitspavillon, einem Terrassenraum im Outdoorbereich, der halb im Schatten lag. Die späte Nachmittagssonne beleuchtete die fernen Berge. Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete das Naturspektakel. Der nervige Fotograf, der ihn in der letzten Stunde so gequält hatte, war jetzt mit Audrey und Reg beschäftigt.

Wie Bienen summten er und seine Assistentin um das Paar herum.

Shanes Blick fiel auf Audrey, und er dachte, dass sie gestern besser ausgesehen hatte. Aber vielleicht war ihr Outfit ja die Idee einer Stylistin gewesen, die sie unbedingt in eine Braut verwandeln wollte. Jedenfalls wirkte sie ziemlich bieder mit dem aufgesteckten Haar, dem Blümchenkleid und den pinkfarbenen Schuhen. Ja, natürlich sah sie hübsch aus, so wie immer. Doch das war einfach nicht Audrey. Am liebsten hätte er ihr den Lippenstift eigenhändig weggewischt.

Wenn Shane etwas zu sagen gehabt hätte, er hätte Audrey in ein verführerisches rotes Kleid gesteckt, das ihre tollen Kurven perfekt zur Geltung brachte. Ihr langes blondes Haar hätte er auf keinen Fall in einem biederen Knoten versteckt – und ihr bezauberndes Gesicht nicht hinter Make-up! Schließlich sollte nichts zwischen ihnen sein, wenn er ihre vollen Lippen küsste …

Schlagartig wurde ihm bewusst, was er gerade tat. Das waren völlig unangemessene Gedanken! Audrey würde demnächst seinen Bruder Reg heiraten, nicht ihn! Was ging es Shane überhaupt an, wie sie auf ihrem Verlobungsfoto aussehen würde? Das war ja geradezu lächerlich!

In diesem Augenblick erschien Daniel Girard im Pavillon, elegant gekleidet in einem beigen Anzug, während Shane natürlich wie immer seine Kochjacke trug.

„Daniel, Shane, wir brauchen euch für ein paar Aufnahmen“, rief der Fotograf.

Shane verdrehte die Augen, setzte sich jedoch in Bewegung. Denn schließlich waren die Girards Geschäftsfreunde der Murphy-Brüder, und bald würde Reg Murphy sogar mit einem Mitglied der Familie Girard verheiratet sein. Was bedeutete, er würde Audreys Schwager werden.

Er hatte die wenigen Fotos von sich und Melina verbrannt, die gemacht worden waren, als sie damals in New York auf dem Standesamt geheiratet hatten. Das war ziemlich schnell über die Bühne gegangen. Danach hatten sie mit Reg, Shanes Eltern und Melinas Mutter zu Mittag gegessen. Ihr Vater war nicht erschienen, denn er hatte sich von seiner Frau getrennt.

Im Nachhinein hätte Shane nicht erklären können, warum er Melina überhaupt geheiratet hatte. Wahrscheinlich, weil sie es sich so sehr gewünscht hatte. Und weil sie ihn für sich allein haben wollte! Schon früh hatte Shane zahlreiche weibliche Fans gehabt. Doch eigentlich hätte sich Melina deswegen keine Sorgen machen müssen. Er war mit seinen Restaurants viel zu beschäftigt und hätte gar keine Zeit für Affären gehabt.

Shane hatte Melina auf einer Vernissage getroffen. Sie war Sängerin in einer Rockband gewesen. Ihr ganzes Umfeld hatte ihm sehr zugesagt, denn es war viel wilder und ungezügelter als die reichen Leute, die in sein Restaurant kamen.

Nachdem sie eine Weile verheiratet waren, hatte Shane gemerkt, wie oberflächlich der ganze Rockzirkus war. Und dass sie sich nicht näherkamen, obwohl sie viel Zeit miteinander verbrachten. Ihr Apartment war kein richtiges Zuhause, und ihre Ehe eigentlich nur eine Farce.

Die vier Jahre, die er mit Melina zusammen gewesen war, wurden jedoch überschattet von den schrecklichen Bildern ihres Todes…

Shane schloss die Augen, dann blickte er wieder hinüber zu Audrey und seinem Bruder. Aus irgendwelchen Gründen konnte er sie sich als Paar einfach nicht vorstellen.

Und es war klar, dass Reg sich alles andere als wohlfühlte. Immer wieder bat er den Fotografen um eine Unterbrechung, weil er jemandem eine SMS schicken musste.

Aber irgendwann war das Ganze vorbei, und prompt erhielt Reg einen Anruf. Shane gefiel der alarmierte Ausdruck auf seinem Gesicht nicht.

„Das ist Rick aus New York“, informierte Reg seinen Bruder. „Shane, bitte geh mit Audrey in die Küche und zeig ihr, wie weit du mit dem Kochbuch bist.“

„Okay.“ Shane nickte, ergriff Audreys Hand und zog sie weg von der Terrasse.

In der Restaurantküche wühlte er eine Weile in einem unordentlichen Haufen von Unterlagen, bis er die Mappe gefunden hatte, nach der er gesucht hatte. Er schob die befleckte Papiermappe zu ihr hin.

„Schau mal, so arbeite ich“, erklärte er.

Rezepte waren auf Seiten notiert, die mit Fettflecken verziert waren. Manche hatte Shane auch auf Servietten geschrieben, die Schrift darauf war ziemlich verschmiert. Weitere Rezepte befanden sich auf der Rückseite von Rechnungen oder auf Pappstreifen, die er von einer Schachtel abgerissen hatte.

Audrey betrachtete staunend das Durcheinander.

„Verstehe“, sagte sie. „Dann erklär mir doch mal, was wir hier haben.“

Shane antwortete nicht, er betrachtete stirnrunzelnd ihr Blütenkleid. Oder vielmehr das, was sich darunter abzeichnete, nämlich ihre beachtenswerten Kurven.

Aber Audrey war die Verlobte seines Bruders, das durfte er nicht vergessen. Der einzige Trost lag für ihn darin, dass es sich dabei um eine arrangierte Ehe handelte. Nicht um zwei Menschen, die ineinander verliebt waren.

Trotzdem ging ihn das Ganze natürlich überhaupt nichts an.

Worauf er sich stattdessen konzentrieren sollte, waren diese Papiere vor ihm, aus denen eins jener schicken und teuren Kochbücher werden sollte, die die Leute gern auf ihren Kaffeetischen präsentierten. Kochbücher, die man haben musste, mit denen man aber nicht unbedingt kochen musste.

„Das hier sind meine Notizen“, erklärte er überflüssigerweise und nahm einen der Zettel in die Hand. „Feijoada ist ein brasilianischer Eintopf, der stundenlang köcheln muss.“

„Zeig mal her“, forderte Audrey ihn auf und beugte sich vor.

Sofort stieg ihm der frische Duft ihres Haars in die Nase.

„Es gibt gar keine Mengenangaben für die Zutaten“, sagte sie, nachdem sie das Rezept gelesen hatte.

„Ja, stimmt.“

„Wie willst du es dann für die Leser aufbereiten?“

„Keine Ahnung.“

„Wie sollen die Gerichte immer gleich schmecken, wenn du nicht die Mengen angibst?“

„Das ist Gefühlssache“, behauptete er.

„Gefühlssache“, wiederholte sie. „Schön und gut, aber wie sollen andere Leute das nachkochen können?“

„Gar nicht.“

Sie sah ihn beschwörend an. „Shane, du stehst doch nicht selbst hinter dem Herd deiner Restaurants. Wie kochen denn deine Angestellten das Essen?“

„Also, natürlich sind die Rezepte für die Restaurants ordentlich aufgeschrieben. Und für das neue Kochbuch werde ich auch ein paar von ihnen verwenden. Aber darüber hinaus soll es viele neue Sachen geben. Daran arbeite ich noch, und die Maßangaben für die Zutaten sind das geringste Problem.“

Audrey holte tief Luft und blickte ihn grübelnd an. Shane bemerkte einmal mehr, wie hinreißend sie aussah, wenn sie nachdachte.

„Ich möchte dir wirklich gern helfen“, sagte sie. „Bestimmt war es doch so, dass die Rezepte für das Restaurant erst nur Ideen in deinem Kopf waren. Wie hast du daraus dann die Rezepte entwickelt?“

„Ach, das ist schon so lange her.“ Das war gewesen, bevor Melina gestorben war. Bevor der Kummer und der Zorn ihn überwältigt hatten. Heutzutage war das meiste, was er tat, nur Routine. Aber genauso wollte er es. Das glaubte er jedenfalls.

Es gab nur noch wenige Dinge, die ihn mit Begeisterung erfüllten. Wie zum Beispiel das Kinderprojekt, das er in Downtown Vegas in einer alten Fabrik eröffnet hatte und wo er Kindern aus allen sozialen Schichten das Kochen beibrachte.

Daran dachte Shane gerade, als er einen Anruf von seinem Bruder bekam, der ihn unbedingt sprechen wollte.

„Tut mir leid, Süße, aber ich muss los“, sagte er zu Audrey, während er sein Handy wegpackte.

„Ich dachte, wir arbeiten zusammen an deinem Kochbuch“, protestierte sie.

„Ein anderes Mal, okay?“ Er wandte sich um und brach ein Stück Kruste von dem hellbraunen, kastenförmigen Gebäck ab, das er zum Auskühlen beiseitegestellt hatte. Und bei dessen Zubereitung er an Audrey gedacht hatte, wenn er ehrlich war. „Pan de dulce de leche“, erklärte er. „Karamellbrot.“

Und schon steckte er Audrey die noch warme Kostprobe in den reizenden Mund.

3. KAPITEL

„Es sieht schlecht aus“, sagte Reg im Swimmingpool zu seinem Bruder Shane, als sie das Ende der Bahn erreicht hatten. „Viel schlechter als wir gedacht haben.“

Shane schüttelte sich Wasser aus dem Haar.

Er wusste, dass ihre Restaurants in New York und Los Angeles in letzter Zeit nicht den gewünschten Profit abwarfen. Aber offensichtlich ging es hier noch um mehr.

„Lee hat gekündigt.“ Ihr Chefkoch in New York. Der Mann, auf den sie sich verlassen hatten, während sie den Laden in L. A. aufgebaut hatten.

Er sah seinen Bruder ungläubig an. „Aber warum denn?“

Schließlich waren sie Freunde gewesen.

„Weil er ein besseres Angebot bekommen hat. Eine Partnerschaft in einem koreanischen Restaurant in London.“

Shane seufzte. „Das hat er sich immer gewünscht.“

„Mit sofortiger Wirkung“, setzte Reg düster hinzu.

„Mit sofortiger Wirkung?“

„Ja, leider. Er hat sich hundertmal dafür entschuldigt und mir gesagt, er würde dich anrufen.“

„Das heißt, uns fehlt ein Koch in New York.“ Das waren desaströse Nachrichten, denn schließlich konnte Shane nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Er war davon ausgegangen, dass Lee immer ein Teil ihres Teams sein würde. Doch natürlich konnte er ihn auch verstehen, denn er hatte koreanische Wurzeln, und es war immer sein Traum gewesen, sich auf gehobene koreanische Küche zu spezialisieren.

„Leider ist das immer noch nicht alles.“

„Spuck’s aus!“

„Rick hat sich die Bücher angeschaut, und es haben sich große Unstimmigkeiten zwischen Einnahmen und Ausgaben ergeben.“

„Was bedeutet, dass …“

„Was bedeutet, dass jemand uns bestiehlt.“

Nein, nicht schon wieder. Das war schon mehrere Male passiert. Meist hing es damit zusammen, dass jemand sich aus den Trinkgeldern bediente, was nur schwer nachzuweisen war. Aber bisher hatte es sich dabei nie um große Summen gehandelt.

„Um wie viel geht es?“

Reg nannte eine Summe, die Shanes Puls in die Höhe schießen ließ.

Er kraulte zum Rand des Pools und stemmte sich heraus. Diese Seite des Geschäfts verabscheute er am meisten. Mit dem Personal, dem Geld und der ganzen Organisation wollte er eigentlich gar nichts zu tun haben. Er wollte einfach nur kochen und Reg den Rest überlassen. Aber so einfach war es natürlich nicht. Wenn er die Murphy-Brüder zum Erfolg bringen wollte, würde er wohl seine Komfortzone verlassen und sich selbst um diese Probleme kümmern müssen.

Offensichtlich hatten er und Reg zu viel Zeit in Vegas verbracht und die anderen Filialen dabei vernachlässigt!

„Was sollten wir deiner Meinung nach tun?“, fragte er seinen Bruder.

„Also, ich fürchte, wir haben keine andere Wahl. Ich muss zurück nach New York fliegen und mich selbst darum kümmern, dass wir möglichst bald einen neuen Koch finden.“

„Aber du kannst mich doch hier nicht mit dem ganzen Kram allein lassen“, protestierte Shane entsetzt.

Er musste es nicht extra erwähnen, denn schließlich wusste sein Bruder Bescheid. Shane hatte noch nie die Geduld besessen, sich um geschäftliche Details zu kümmern. Und seit Melinas Tod fiel es ihm sogar noch schwerer als früher, die nötige Konzentration für solche Dinge aufzubringen. Sonst wäre das Kochbuchprojekt auch nicht in einem so jämmerlichen Zustand gewesen.

„Rachel in L. A. bildet Enrique gerade zum Geschäftsführer aus. Wir werden ihn einfliegen lassen, dann kann er sich hier um die anstehenden Aufgaben kümmern.“

Das war keine schlechte Idee. Shane würde sich gleich besser fühlen, wenn er Enrique an seiner Seite hätte.

„Und ich werde ein paar Tagen vor der Eröffnung wieder zurück sein“, fuhr Reg fort. „Wir können jeden Tag telefonieren.“

Shanes Bruder war ein smarter Mann, der in allen Bereichen Karriere hätte machen können. Aber die Weichen waren schon früh gestellt worden. Die beiden Brüder waren in einem Diner in Brooklyn groß geworden, der ihrer Großmutter gehörte, und später hatten sie gemeinsam in der Restaurantkette Lolly’s gearbeitet.

Shane hatte sich schon sehr früh für alles interessiert, was mit dem Kochen zusammenhing. Seine Oma hatte ihm die deftigen irischen Rezepte beigebracht, die sie selbst von ihrer Mutter gelernt hatte, als diese aus Limerick in die Staaten gekommen war. Reg hingegen hatte sich von Anfang an um die Bücher und das Geld gekümmert. Die beiden ergänzten sich perfekt, was natürlich einer der Gründe für den Erfolg der Murphy-Brothers gewesen war.

Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als Melina gestorben war. Und neue Starköche das allgemeine Interesse geweckt hatten. Shane, der noch nie scharf auf Öffentlichkeit gewesen war, hatte sich immer mehr in sich zurückgezogen.

„Leider ist das immer noch nicht alles“, setzte Reg düster hinzu.

Shane sah ihn nur an. „Okay, lass es raus.“

„Es geht um Brittany.“

„Unsere zweite Barkeeperin in New York?“

„Ja.“

„Was ist mit ihr?“

Audrey kämpfte mit dem Reißverschluss des Blümchenkleids, das sie für die Verlobungsfotos getragen hatte. Besonders glücklich war sie nicht darüber gewesen, aber sie brauchten schließlich ein paar Bilder zu Werbezwecken. Daher hatte sie das Kleid auch den ganzen Tag anbehalten, aber nachdem sie es sich jetzt abgestreift hatte, pfefferte sie es quer durchs Zimmer, nur wenige Zentimeter an Shanes Standbild vorbei.

Sie war in Eile, denn sie musste ein Hochzeitskleid aussuchen. Da es nur noch einen Monat bis zur Hochzeit war, hatte sie keine Zeit, sich etwas schneidern zu lassen.

Obwohl sie nur einen weißen Spitzenslip trug, war es ihr in diesem Moment egal, was der Shane aus Pappe von ihr dachte. Jetzt fielen ihr auch wieder die Süßigkeiten ein, die sie aus Philadelphia mitgebracht hatte und die sie in diesem Moment dringend brauchen konnte.

Unwillkürlich musste sie dabei wieder an das unglaublich köstliche Stück Karamellbrot denken, mit dem Shane sie gefüttert hatte. Audrey seufzte. Sie war völlig hin und weg gewesen, so intim hatte sich die kurze Berührung seiner Finger an ihren Lippen angefühlt.

Wie gut es doch war, dass sie seinen Bruder heiraten würde und nicht ihn. Denn wenn Shane in ihrer Nähe war, konnte sie sich auf nichts konzentrieren.

Und auch die Schokoplätzchen schmeckten nicht mehr so gut, wie sie sie in Erinnerung hatte.

„Das ist allein deine Schuld“, sagte sie wütend in Richtung Shane. „Du mit deinem blöden Karamellbrot! Lass mich in Ruhe!“

Nachdem sie in ihre Jeans geschlüpft war und ein Baumwollhemd angezogen hatte, verließ sie den Bungalow und schlug den Weg zu dem erst halbfertigen Spa des Hotels ein, neben dem sich ein Salon befand. Dort hatte Natasha, die Managerin, ihr ein improvisiertes Ankleidezimmer eingerichtet. Jesse, einer ihrer Stylisten, hatte mehrere Hochzeitskleider besorgt, die er in diesem Moment auf einer Stange hereinschob.

„Wahrscheinlich ist das noch nicht das Gelbe vom Ei“, sagte er zur Audrey. „Aber wenigstens kannst du eine Idee bekommen, was ich mir für die Hochzeit vorstelle.“

Sie nickte und inspizierte die Roben.

Hochzeitskleider – sie war hier, um ein Hochzeitskleid auszusuchen. Im Grunde war ihr die Vorstellung noch immer fremd. Wenn es nicht um einen Marketinggag gegangen wäre, um die Hochzeit mit der Eröffnung des Hotels zu verbinden, hätte sie Reg wohl nur standesamtlich geheiratet.

Doch jetzt, da das Ganze unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden würde, ging es natürlich um eine ganz andere Größenordnung. Es sollte eine Märchenhochzeit werden, über die sämtliche Magazine berichten würden.

Als Erstes probierte sie ein langes enges Kleid an, das aber leider eher das Richtige für eine Meerjungfrau gewesen wäre. Denn während das Oberteil eng anlag, war der Rock ausgestellt und bauschte sich nach unten auf.

Kritisch betrachte sie sich darin in dem großen Spiegel, war von dem Look aber nicht überzeugt. Zu dieser Einschätzung schien auch Jesse zu kommen, nachdem er hier und da noch ein bisschen herumgezupft hatte.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es eindeutig nicht.“

Das nächste Kleid war aus Spitze, mit langen Ärmeln und einem weiten Rock. Die Spitze knisterte bei jedem Schritt, und Audrey wirkte darin viel rundlicher, als sie in Wirklichkeit war.

Auch dieses Modell kam nicht infrage.

Anders als das nächste Kleid, das an die wilden Sechziger erinnerte und ihr wie angegossen passte. Es war ein langes, trägerloses Seidenkleid ohne Ärmel, in dem Audreys Kurven perfekt zur Geltung kamen. Nicht nur die schimmernde cremefarbene Seide wirkte ungemein verführerisch, sondern auch der seitliche Schlitz. In diesem Kleid würde sie mühelos tanzen können und trotzdem noch elegant wirken.

Kein Zweifel, dieses Kleid war der Hit.

„Wie für dich gemacht“, bestätigte auch Jesse ihre Einschätzung.

„Wow“, rief Natasha, die gerade ein paar Sachen ins Regal packte.

Jesse strich ihr die Haare zurück, dann stieg Audrey in ein paar Pumps, die den Look komplett machten.

Ungläubig betrachtete sie sich im Spiegel. Kein Zweifel, sie sah wirklich toll aus. Und trotzdem … War sie wirklich in der Lage, einen Mann zu heiraten, auf den sie sich zwar hundertprozentig verlassen konnte, den sie aber nicht wirklich liebte?

„Shane hat mir seine halbgaren Notizen für das Kochbuch gezeigt“, sagte Audrey zu ihrem Vater, bevor die Murphys eintrafen. Sie hatte Daniel gleich nach der Anprobe aufgesucht, denn die Brüder hatten die beiden um ein Treffen gebeten.

„Halbgar im Sinne von unfertig?“ Daniel stöhnte, doch dann hatte er sich schon wieder unter Kontrolle. „Gut, dann müssen wir eben dafür sorgen, dass dieses Buch fertig gegart wird!“

Alles hing vom Erfolg ihres neuen Hotels ab. Sie hatten viel mehr Geld in die Renovierung stecken müssen als geplant. Mit dem Ergebnis, dass sie jetzt ziemlich verschuldet waren.

„Wir werden schon wieder aus dem Schlamassel herauskommen“, setzte er hinzu.

„Es ist meine Schuld“, sagte Audrey und biss sich auf die Unterlippe. „Als ich vor drei Jahren für dich eingesprungen bin, ging alles schief.“

„Nein, das war nicht deine Schuld. Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, wie gut du das Schiff gesteuert hast. Das Ganze war mein Fehler. Ich habe meine persönlichen Beziehungen zu einigen unserer Investoren vernachlässigt. Außerdem haben wir einen Teil unseres Fachpersonals verloren, weil ich mich nicht um ihre Belange gekümmert habe. Und dann haben wir mit diesem Projekt hier viel zu spät angefangen. Das hat sich alles summiert.“

Als seine Frau krank wurde, konnte Daniel sich plötzlich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. Er ließ Deadlines für wichtige Entscheidungen verstreichen und kümmerte sich nicht mehr intensiv genug um den Betrieb, um das hohe Qualitätsniveau der Hotels aufrechtzuerhalten.

Audrey hatte gesehen, was passierte, und war in die Bresche gesprungen. Sie hatte zeitweilig seine Aufgaben übernommen. War sogar in sein Büro im Hauptquartier der Firma in Philadelphia eingezogen und hatte von dort aus die Geschäfte geführt. So war es ihr gelungen, das Unternehmen über Wasser zu halten.

Das Ganze hatte ihr aber auch den perfekten Vorwand geboten, um sich noch mehr von ihrer sterbenden Mutter abzugrenzen, die von Anfang an klargemacht hatte, dass sie Audrey nicht um sich haben wollte.

„Ich möchte nicht, dass du mich so siehst“, hatte Jill zu ihr bei einem ihrer wenigen Treffen gesagt. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn schließlich hatte Audrey ihr ganzes Leben lang nie viel von ihrer Mutter zu Gesicht bekommen. Jill hatte den größten Teil ihres Lebens im obersten Stock ihres Stadthauses am Rittenberg Square verbracht, einem exklusiven Vorort von Philadelphia. Dort hatte sie sich hinter ihrem Schutzwall von Alkohol und Pillen versteckt …

Daniel hingegen sah seine Frau in einem ganz anderen Licht. Er hatte sie so sehr geliebt, dass er immer gehofft hatte, sie heilen zu können. Ihm war gar nicht klar, wie sehr sie Audrey das Gefühl gegeben hatte, nicht willkommen zu sein. Audrey hingegen hatte es ihr ganzes Leben lang gespürt, und es hatte sie zu der Person gemacht, die sie heute war. Ein Mensch, der nicht mehr an die Liebe glaubte und schon gar nicht daran, irgendwann einmal geliebt zu werden.

Nachdem Jill tot war, hatte sich Daniel ein paar Monate seiner Trauer hingegeben. Doch nach und nach war seine Begeisterung für das Hotelgewerbe zurückgekehrt …

„Gibt es eigentlich Dinge in deinem Leben, die du bereust?“, fragte Audrey ihren Dad.

„Nein, natürlich nicht. Du etwa?“

„Oh ja, sehr sogar.“

Dasselbe hatte sie gestern zu Shane gesagt, als sie sich noch bis tief in die Nacht unterhalten hatten. Na gut, es war die Pappversion von ihm gewesen. Und trotzdem hatte sie das Gefühl gehabt, dass er sie verstehen würde!

In diesem Moment trafen die Murphy-Brüder ein.

Reg kam sofort zur Sache und erzählte den beiden von ihren Schwierigkeiten mit den Restaurants und dass er nach New York fliegen musste.

Dann gestand er seine Gefühle für Brittany, der Barkeeperin in ihrem New Yorker Restaurant.

„Es tut mir wirklich leid, Audrey. Aber ich habe mich in sie verliebt.“

Sie sah ihn verwirrt an. Was? Wer ist Brittany? Reg bläst die Hochzeit ab?

Sie konnte es nicht fassen, das Blut begann in ihren Adern zu rauschen. Schließlich hatte sie sich gerade erst für ein Hochzeitskleid entschieden. Sie hatte in Philadelphia von morgens bis abends gearbeitet, damit sie ihre ganzen Aktivitäten nach Vegas verlagern konnte. Alles, um die rechtzeitige Eröffnung des Hotels, verbunden mit ihrer Hochzeit, zu garantieren. Und jetzt hatte Reg sich plötzlich in verliebt?

„Ich bin mit der festen Absicht hierhergekommen, den Plan mit dir durchzuziehen“, sagte er mit sichtlichem Unbehagen. „Aber ich schaffe es einfach nicht. Es wäre dir gegenüber nicht fair. Um ehrlich zu sein, war mir bis jetzt gar nicht klar, dass ich etwas sehr Wichtiges in meinem Leben vermisst habe. Etwas, wofür ich jetzt Raum schaffen möchte.“

„Liebe“, stammelte sie fassungslos. „Du willst … Liebe. Du hast dich verliebt.“

Shane rück...

Autor

Andrea Bolter
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Katherine Garbera

Katherine kann sich nichts Schöneres vorstellen, als zu schreiben. Jedes Buch gibt ihr die Gelegenheit, die unterschiedlichen Verhaltensmuster der Menschen hervorzuheben. Leidenschaftliche Liebesromane zu verfassen, bedeutet für sie die Verwirklichung eines Traumes.

Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann, den sie in "Fantasyland" kennenlernte, und den beiden gemeinsamen Kindern in Florida.

...
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Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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