Liebe, Lust & Leidenschaft - Best of Baccara Collection 2022

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Baccara Collection Ausgaben aus 2022 - leidenschaftlich, aufregend und extravagant. Die etwas längere Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

Baccara Collection Band 445

KALTE SCHULTER, HEISSER FLIRT von JENNIFER LABRECQUE
Delphi reist nach Alaska, um nach einer schweren Enttäuschung zur Ruhe zu kommen. Nur wie, wenn sie schon auf dem Flug den gefährlich attraktiven Lars Reinhardt trifft? Als er sie mit erregenden Zärtlichkeiten überrascht, kann sie gegen jede Vernunft nicht widerstehen. Einmal ist keinmal, sagt sie sich – und weil Lars bald wieder abreist, riskiert sie nichts! Oder?

EIN SEXY COWBOY FÜR ASHLEY von DAIRE ST. DENIS
Fast hätte Colton das ehemalige Mauerblümchen Ashley nicht erkannt, drückt sie ihm doch beim Highschool-Jubiläum einen verführerischen Kuss auf die Lippen. Und dann flüstert sie ihm auch noch zu: „Tu so, als wärst du mein Freund, nur für heute Abend.“ Den Gefallen tut Colton ihr gern – aber bloß, wenn sie nicht aufhört, ihn zu küssen! Mit ungeahnten Folgen …

GIB DEM GLÜCK EINE LETZTE CHANCE! von ANDREA LAURENCE
Die Ehe von Mason und Scarlet ist an ihrem unerfüllten Kinderwunsch zerbrochen. Doch als er jetzt zusammen mit seiner Noch-Ehefrau für das Baby seines kranken Bruders sorgen muss, prickelt es mit jedem Tag erregender zwischen ihnen. Nach einer heißen Liebesnacht zweifelt Mason trotzdem: Will Scarlet wirklich ihn zurückhaben? Oder geht es ihr nur um das Baby?

Baccara Collection Band 443
DIESES WILDE FEUER von VICKI LEWIS THOMPSON
Sexy Cowboy Cade ist zurück auf der Thunder Mountain Ranch! Lexi gerät in einen wilden Strudel von Gefühlen. Denn sie begehrt ihn noch so heftig wie damals – bevor er sie verließ. Zu gern würde sie Cade erneut in ihrem Bett haben. Aber diesmal, ohne sich in ihn zu verlieben?

SINNLICHES VERLANGEN UNTER DEM NORDLICHT von JILLIAN BURNS
Was für ein faszinierender Mann: TV-Moderatorin Serena spürt eine magische Anziehungskraft, als sie auf dem Flughafen in Alaska den Piloten Max Taggert erblickt. Dunkle Geheimnisse ranken sich um den breitschultrigen Einzelgänger, und Serena will jedes einzelne lüften …

DREISSIG NÄCHTE UND EIN JA? von KATHIE DENOSKY
Einen Playboy heiraten? Bloß nicht! Jessie ist überzeugt, dass sich Nate niemals ändern wird. Eine Ehe mit ihm kommt für sie trotz ihrer Schwangerschaft nicht infrage. Aber nichts hat sie auf Nates verführerischen Vorschlag vorbereitet, den er ihr darauf macht …

Baccara Collection Band 444

HEISS, HEMMUNGSLOS – UND EIN FEHLER? von DAIRE ST. DENIS
Der heiße, hemmungslose One-Night-Stand mit Rodeoreiter Dillon Cross war ein Fehler! Davon ist Innenarchitektin Gloria überzeugt. Warum sonst ergreift sie am Morgen danach eine Panikattacke? Trotzdem prickelt es gefährlich sinnlich, als sie Dillon zufällig wiedertrifft …

AUF DER INSEL DES BEGEHRENS von ANDREA LAURENCE
Nach einem Flugzeugabsturz strandet Finn Steele auf einer einsamen Insel – direkt in den Armen der betörenden Einsiedlerin Willow. Obwohl er an Amnesie leidet, schwört er: Willow berührt sein Herz wie keine Frau zuvor! Da kommt seine skandalöse Vergangenheit ans Licht …

GIANNAS GEHEIMNIS von CHARLENE SANDS
Um seinen Ruf als Bad Boy loszuwerden, verlobt Country-Superstar Gage Tremaine sich mit seiner guten Freundin Gianna. Natürlich nur zum Schein – die kluge Professorin ist einfach nicht sein Typ! Doch ist das erotische Knistern zwischen ihnen wirklich nur gespielt?


  • Erscheinungstag 26.01.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521239
  • Seitenanzahl 1440
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer LaBrecque, Daire St. Denis, Andrea LaurenceAndrea Laurence

BACCARA COLLECTION BAND 445

IMPRESSUM

BACCARA COLLECTION erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA COLLECTION , Band 445 05/2022

© 2013 by Jennifer LaBrecque
Originaltitel: „Northern Rebel“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: BLAZE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

© 2017 by Dara Lee Snow
Originaltitel: „Wild Seduction“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: BLAZE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Christopher Bischoff

© 2017 by Andrea Laurence
Originaltitel: „The Baby Favor“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Victoria Werner

Abbildungen: LightField Studios / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751508292

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Delphi Reynolds warf sich ihre Handtasche über die Schulter und ging den Flur der jetzt stillen Arztpraxis hinunter. Sie wollte nach Hause, ihren Kasack ausziehen und die Füße hochlegen. Es war ein hektischer Tag gewesen.

In diesem Moment trat Dr. DeWitt Zellers durch die offene Tür seines Büros, ein freundliches Lächeln im Gesicht. Delphi war begeistert gewesen, als sie direkt nach der Krankenpflegeschule eine Stelle bei Dr. Zellers senior bekommen hatte. Er galt als einer der besten Chirurgen im Süden. Als er vor einem Jahr in den Ruhestand gegangen war, hatte sein Sohn DeWitt die Praxis übernommen. DeWitt Zellers war charmant, bezahlte seine Angestellten gut und genoss wie sein Vater ein hohes Ansehen. Im vergangenen Jahr hatten Delphi und er oft auch privat miteinander geplaudert.

Er hatte sich mit ihr über das Hochzeitstagsgeschenk für seine Frau beraten und Delphi zum dritten Geburtstag seiner Tochter eingeladen. Ebenso hatte er ihr Ratschläge in Bezug auf Verabredungen und Männer gegeben. Delphi mochte ihn und vertraute ihm. DeWitt war so etwas wie der große Bruder, den sie nie gehabt hatte.

„Hast du noch eine Minute, bevor du gehst?“, fragte er.

„Sicher.“

„Komm rein.“ Er winkte sie in sein Büro und schloss die Tür hinter ihr. Alle anderen waren bereits gegangen. „Ich wollte etwas mit dir besprechen.“

Er ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in seinen Ledersessel sinken.

Vor ein paar Monaten hatte er sich auf ihren Vorschlag für das Hochzeitstagsgeschenk für Macy eingelassen. Seine dunkelhaarige Frau war klein, leicht übergewichtig und nicht gerade das, was man eine klassische Schönheit nannte. Dass der gut aussehende Arzt so sehr in seine doch eher unscheinbare Frau verliebt war, brachte eine romantische Saite in Delphi zum Klingen. Sie mochte Macy, doch ihr Lebensstil unterschied sich sehr. Macy war der Schickeriatyp, Delphi dagegen ein Workaholic. Aber Macy hatte das Schmuckstück gefallen, das Delphi vorgeschlagen hatte, also gab es vielleicht doch ein paar Gemeinsamkeiten.

DeWitts Büro war sehr funktional ausgestattet. Seine Diplome, Zulassungen und Auszeichnungen füllten beinah die gesamte Wand über seiner Kredenz. Darauf standen neben seinen medizinischen Fachbüchern wunderschön gerahmte Fotos. Eins von ihm bei der Entgegennahme seines Diploms, flankiert von seiner Mutter und einer strahlenden Macy, dann noch eins von ihm, Macy und ihrer Tochter Chesney am Strand, ein lächelndes Trio umgeben von Dünen und Sand.

Das Büro spiegelte seinen beruflichen Erfolg und seinen ausgeprägten Familiensinn wider. Ein Blick auf diese Wand sagte alles – Dr. DeWitt Zellers war ein toller Typ.

Delphi stand hinter einem der Besucherstühle. Es war ein unglaublich anstrengender Tag gewesen, und sie wollte nur noch nach Hause und entspannen. DeWitt jedoch schien es nicht eilig zu haben. Er saß da, die Fingerspitzen vor dem Mund zusammengelegt. Die typische Geste für ihn, wenn er etwas Wichtiges herausgefunden oder eine Entscheidung getroffen hatte. Sie konnte es nicht genau benennen, aber irgendwie schien er in letzter Zeit verändert. Vielleicht war er nur gestresst. Sie hatte ihn nicht darauf angesprochen, denn früher oder später würde er es ihr vermutlich erklären. Jetzt jedoch bemerkte sie eine seltsame Stimmung bei ihm.

Er stand auf und stellte sich hinter sie, so dicht, dass sie seinen Atem im Nacken spüren konnte. Unbehaglich lachend machte Delphi einen Schritt nach rechts, da der Stuhl ihr den Weg nach vorn versperrte. Sie drehte sich um und lachte erneut. Überrascht und ein wenig nervös. „Was ist los?“

„Delphi, das macht mich noch wahnsinnig. Wir können nicht länger dagegen ankämpfen.“

Sie war völlig verwirrt. Was machte ihn wahnsinnig? „Ich verstehe nicht …?“

Er näherte sich ihr wieder. Sein Atem roch nach den Hotdogs, die Barb in der Mittagspause aus dem Laden an der Ecke geholt hatte, und nach Pfefferminzbonbons. Keine gute Kombination. „Du musst dich nicht zieren. Ich weiß, was du für mich empfindest, und ich empfinde dasselbe für dich.“ Er griff nach ihr, und sie wich ihm aus.

Verdammter Mist. Er führte sich … verrückt auf. „DeWitt … Dr. Zellers …“ Die förmliche Anrede schien im Moment passender zu sein. „Wir sind Freunde …“

„Wir wissen beide, dass es viel mehr ist als …“

Was? „Nein, das ist es nicht.“

„Baby, es gibt keinen Grund, es weiter zu verbergen. Gott, ich werde verrückt, wenn ich nur an dich denke. Ich will dich.“

„Aber Macy … Chesney …“

Er nahm Delphis Hand. „Ich kann sie nicht verlassen. Ihr Vater hat zu viel Einfluss. Meine Karriere könnte er vermutlich nicht ruinieren, aber sicher einigen Schaden anrichten.“ Delphi versuchte, seine Hand abzuschütteln, doch er hielt sie fest. Panik ergriff sie. „Außerdem würde Macy mir alles wegnehmen und mich für die nächsten fünfzehn Jahre auf Unterhaltszahlungen verklagen. Aber das heißt nicht, dass wir nicht zusammen sein können.“ Der vielsagende Glanz in seinen Augen war ebenso beunruhigend wie seine Worte. „Ich habe eine tolle Eigentumswohnung zwischen der Praxis und meinem Haus gefunden. Du wärst die Eigentümerin, aber ich würde die Raten übernehmen …“

Endlich fand sie ihre Stimme wieder. „Ich soll deine Geliebte sein?“

„Ich weiß, es ist nicht dasselbe wie eine Ehe, aber es wäre nur für ein paar Jahre. Bis ich fester etabliert bin und Chesney etwas älter ist.“

Dachte er, sie wäre wütend, weil er sie nicht heiraten wollte? „Du hast bereits eine Frau.“

„Ja, aber dafür finden wir eine Lösung.“

„Du verstehst nicht, worum es geht.“

„Ich weiß, die Wohnung ist nicht so groß wie die, in der Macy und ich leben. Aber sie ist viel größer und schöner als die, in der du jetzt …“

„Wirklich?“

Er reichte ihr eine Hochglanzbroschüre. „Ich denke, sie wird dir gefallen. Bewacht. Super Lage. Tolle Investition.“

Wie betäubt nahm sie die Broschüre und schaute hinein, während er davon schwärmte, wie sie gemeinsam Möbel kauften. Es war definitiv schöner als dort, wo sie jetzt lebte.

„DeWitt, ich …“

„Ich weiß.“ Bevor sie ihn stoppen konnte, hatte er sie schon an sich gezogen und küsste sie wild, wobei er die Zunge in ihren Mund schob.

Vor Schock war sie einen Moment wie gelähmt, dann stieß sie ihn mit aller Kraft von sich. „Stopp!“

Ihre Hände zitterten. Ihr Arbeitgeber und Freund hatte sich in jemanden verwandelt, den sie nicht kannte … und auch nicht kennen wollte.

Als er wieder nach ihr greifen wollte, sauste sie um den zweiten Gästestuhl herum und stellte ihn zwischen sie. „Delphi? Was ist los?“

Er wirkte verletzt und verwirrt, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst.

„DeWitt, ich dachte, wir sind Freunde. Wie kommst du auf die Idee, dass ich mehr will?“

„Delphi, wir müssen dieses Spielchen nicht spielen. Du musst dich nicht zieren.“ Ungeduld schwang in seiner Stimme mit.

„Ich bin nur ehrlich. Wir sind Freunde, mehr nicht. Du bist verheiratet.“

„Das sagte ich doch, Baby, Macy ist kein Problem. Du wirst sehen.“

Er verstand es einfach nicht. „Das Einzige, was ich sehe, ist, dass du nicht der Mann bist, für den ich dich gehalten habe.“

Er zuckte mit den Schultern. „Was ist daran so schlimm?“ Selbstgefällig sah er sie an. „Alle einflussreichen Männer haben eine Geliebte. Das gehört einfach dazu, und Macy weiß, dass sie sich glücklich schätzen kann, mich zu haben.“

Er meinte es ernst. Delphi wurde ganz schlecht. Es war eine Sache, wenn er die Welt so sah, aber dass er glaubte, sie würde genauso denken …

Er und seine Idee waren widerwärtig.

Am liebsten hätte sie ihm entgegengeschleudert, dass sein Vorschlag das Ignoranteste und Widerwärtigste war, was sie je aus dem Mund eines Mannes gehört hatte. Aber er war immer noch ihr Arbeitgeber. Also wählte sie ihre Worte mit Bedacht. „DeWitt, ich bin nicht auf diese Weise an dir interessiert. Und selbst wenn ich es wäre, würde ich mich nie zwischen Macy und dich stellen und eure Ehe zerstören.“

„Verstehst du eigentlich, was ich dir anbiete?“

„Ja, allerdings, und ich hoffe, dass du verstehst, was ich von deinem Angebot halte.“ Sie bewegte sich auf die Tür zu, ihr Herz pochte laut.

„Schlaf eine Nacht darüber.“

„Das muss ich nicht.“ Sie öffnete die Tür.

„Du machst einen Fehler.“

Sie war so aufgeregt, dass sie die Drohung in seinen Worten ignorierte. „Der einzige Fehler, den ich begangen habe, ist, dich für ehrlich und aufrichtig zu halten. Macy tut mir leid. Sie hat einen Besseren als dich verdient.“

Sie schloss die Tür hinter sich und eilte aus der Praxis.

Als Delphi am nächsten Morgen durch den Mitarbeitereingang trat, schlug ihr der vertraute Geruch von Antiseptika entgegen. Sie war müde, denn sie hatte kaum geschlafen, hatte sich im Bett hin und her gewälzt und die Sache von allen Seiten betrachtet. Hatte sie DeWitt unbeabsichtigt falsche Hoffnungen gemacht? Hatte sie ihre gestrige Unterhaltung falsch gedeutet? Egal, es gab nur eine Möglichkeit: Sie würde ihre Kündigung unter Einhaltung der zweimonatigen Kündigungsfrist einreichen. In dieser Zeitspanne sollte sie leicht einen neuen Job finden, und die Praxis hätte Zeit genug, einen Ersatz für sie einzuarbeiten, ohne dass der Praxisablauf gestört wurde. Sie würde das, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war, für sich behalten, auch wenn sie einen Moment lang überlegt hatte, Macy davon zu erzählen. Letztendlich hatte sie entschieden, dass es besser war, Stillschweigen zu bewahren.

Sie hatte ihre Handtasche noch nicht weggelegt, da steckte Debbie, die Rezeptionistin, den Kopf zur Tür herein. „Der Doc will dich in seinem Büro sehen. Sofort.“

Sie dachte zwar, sie hätte gestern Abend ihren Standpunkt deutlich klargemacht, aber okay. Dann würde sie ihre Kündigung eben mündlich ankündigen und morgen schriftlich nachreichen. Eine Freundschaft mit ihrem Chef kam nicht mehr in Frage, aber sie wollte auch nicht mit einem schlechten Gefühl gehen. Sie würde die Sache freundschaftlich beenden, und sie würden beide weitermachen, als hätte es den Kuss und den unmoralischen Vorschlag nie gegeben.

Delphi klopfte leise und öffnete dann die Tür. Sie stockte, ihre Gedanken rasten. Macy stand neben DeWitt, der hinter seinem Schreibtisch saß.

Langsam schloss sie die Tür. „Guten Morgen.“

„Setz dich, Delphi“, sagte DeWitt streng.

Sie hätte gern abgelehnt, aber ihre Beine zitterten so sehr, dass es besser war, Platz zu nehmen.

„Es fällt mir sehr schwer, aber du lässt mir keine Wahl“, sagte er wieder in diesem strengen Ton. „Hier sind deine Entlassungspapiere.“

„Du feuerst mich? Ich lasse dir keine Wahl …?“ Vergiss es, Macy zu schützen. „Du hast mich angemacht. Ich wollte heute Morgen ohnehin kündigen. Ich kann nicht mehr mit dir zusammenarbeiten.“

„Du hast gleich gesagt, dass sie versuchen wird, den Spieß umzudrehen“, stieß Macy hervor und legte die Hand auf DeWitts Schulter. Sofort ergriff er sie – ganz der hingebungsvolle, liebende Ehemann. „Deine Masche funktioniert nicht, Delphi. DeWitt hat mir gestern Abend alles erzählt. Du tust mir leid, uns beiden tust du leid, aber wir können dich einfach nicht damit durchkommen lassen.“

„Womit könnt ihr mich nicht durchkommen lassen?“

„Als er sich weigerte, mich für dich zu verlassen, hast du verlangt, dass er dir eine Wohnung kauft …“ Sie wedelte mit der Broschüre der Eigentumswohnung. „… Oder du würdest mit irgendwelchen Lügen zu mir kommen, damit wir uns trennen. Du bist krank, Delphi. Du brauchst Hilfe. Aber du hast dir das falsche Paar für deine Erpressung ausgesucht. Du entzweist unsere Familie nicht.“

Es war, als wäre Delphi mitten in einem Albtraum gefangen, aus dem sie nicht aufwachen konnte. Hatte sie sich da gerade verhört?

„Macy, ich kenne euch beide seit sieben Jahren. Glaubst du wirklich, so etwas würde ich tun?“

Für einen kurzen Moment sah sie die Freudlosigkeit in den Augen der anderen Frau. Wenn Delphi nicht die Böse war, dann musste es ihr Mann sein. Und wenn es ihr Mann war … „DeWitt würde mich nicht anlügen.“

Macy konnte das Grinsen nicht sehen, das die Lippen ihres Mannes umspielte. „Glaub, was du glauben willst“, gab Delphi zurück.

DeWitt nahm sein Telefon und drückte eine Taste. „Debbie, bitte rufen Sie die Security in mein Büro. Sie soll Miss Reynolds beim Einsammeln ihrer persönlichen Gegenstände beaufsichtigen und sie dann aus dem Gebäude begleiten.“

2. KAPITEL

Sechs Monate später …

„Warum kommst du nicht nach Good Riddance? Du warst noch nie hier. Außerdem suche ich verzweifelt eine Assistentin.“

Delphi lachte, was sie schon lange nicht mehr getan hatte. Ihre langjährige Collegefreundin, Dr. Skye Shanahan, stimmte am anderen Ende der Leitung in das Lachen ein. Delphi war in die Krankenpflege gegangen, während Skye Allgemeinmedizinerin geworden war. Delphi war ziemlich überrascht gewesen, als Skye vor zwei Jahren ihre florierende Praxis in Atlanta aufgegeben hatte, um in eine abgelegene Stadt in Alaska zu ziehen. Sie hatte einen Buschpiloten geheiratet und ihr Praxisschild in einem kleinen Ort namens Good Riddance aufgehängt. Jetzt wollte Skyes langjähriger Assistent ein Medizinstudium beginnen. „Ich bin wirklich verzweifelt. Und für dich wäre es in deiner jetzigen Situation eine tolle Möglichkeit.“

„Ich mag die Kälte nicht.“

Skye lachte erneut. „Ich weiß. Du hast immer davon geträumt, mal auf Jamaika zu leben.“

„Ja. Sonne und Sand, das ist meine Vorstellung vom Paradies.“

„Wir haben keine Sandstrände, aber sonnig ist es hier, und die Tage werden noch länger. Wenn du mir drei Monate aushelfen könntest, hätte ich Zeit, einen dauerhaften Ersatz zu finden. Es wird nicht gerade heiß sein, aber relativ warm und sehr lange hell. Ich verspreche, dass du keinen Schnee sehen wirst, während du hier bist.“

Ein stetiger Mairegen trommelte auf das Dach von Delphis Loft, als sie abwesend auf die Wolken über Atlantas Skyline schaute. „Die Person, die du für die Stelle vorgesehen hattest, hat in letzter Minute abgesagt?“ Vielleicht war Skyes Angebot genau das, was sie brauchte. Eine echte Veränderung.

„Leider, ja. Und Nelson geht in zwei Wochen, das steht fest. Überleg es dir. Ich brauche Hilfe und würde dich gern hierhaben, und du brauchst …“ Sie sprach nicht weiter. „Oder hast du schon was gefunden?“

Leider nein. Jede Bewerbung landete in einer Sackgasse, und ihre Ersparnisse waren auf einen dreistelligen Bereich zusammengeschrumpft. DeWitt Zellers war keine gute Referenz, und Macy Zellers hatte ihre Version der Wahrheit an alle Freundinnen weitergegeben.

Hinzu kam, dass die wenigen Ärzte in der Stadt, die vielleicht bereit wären, sie einzustellen, mehr als eine Krankenschwester suchten. In Atlanta standen ihre Chancen also schlecht.

„Nein, ich habe nichts gefunden.“ Sie lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. „Ich weiß, dass es viele Leute gibt, denen es schlechter geht als mir, aber das war unglaublich demoralisierend.“ Ganz zu schweigen vom finanziellen Desaster. Sie weigerte sich, ihre Altersvorsorge anzuzapfen.

„Delphi, es macht mich echt wütend, dass er dir das antun konnte. So ein Arsch.“

„Man sagt zwar, nichts ist so schlimm wie der Zorn einer verschmähten Frau. Aber Männer können mit einem Nein auch nicht gut umgehen.“

„DeWitt darf damit nicht durchkommen.“

„Leider sieht es aber so aus, als hätte er das bereits geschafft.“

„Also, warum kommst du nicht hierher und kehrst Atlanta für eine Weile den Rücken zu? Und wenn du wieder gehst, bekommst du eine glühende Empfehlung von deiner letzten Arbeitgeberin. Außerdem zahle ich gut. Und du bekommst freie Unterkunft.“ Skye nannte einen Betrag, der wesentlich höher war als das, was Delphi bisher verdient hatte.

Sie dachte nach. Alaska stand zwar nicht auf der Liste der Orte, die sie jemals besuchen wollte, aber für drei Monate von hier wegzukommen, war vielleicht das Beste, was sie tun konnte. „Ein Tapetenwechsel, ein Neuanfang …“

„Genau.“

Delphi hatte gar nicht bemerkt, dass sie laut gesprochen hatte, bis Skye antwortete. „Wie schnell kannst du hier sein? Nächste Woche Freitag ist Nelsons letzter Tag.“

Delphi überlegte kurz. Jetzt war Dienstagabend. „Ich könnte Donnerstagabend oder Freitagmorgen abreisen.“

„Ja, ja, ja! Du bist ein Geschenk des Himmels. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Vielen, vielen Dank, Delphi. Ich werde Merrilee – sie ist die Bürgermeisterin und betreibt den kleinen Flugplatz – Bescheid geben. Sie wird deine Flugreservierung vornehmen. Soll sie dir die Daten mailen?“

„Klar, gern.“

„Großartig. Ich rufe sie an. Sie wird sich direkt mit dir in Verbindung setzen.“

Sie verabschiedeten sich und legten auf.

Während sie und Skye sich unterhalten hatten, war die Nacht hereingebrochen, und sie sah ihr Spiegelbild in dem dunklen, regennassen Fenster.

Die Frau, die ihr entgegenblickte, wirkte immer noch vertrauensvoll und ziemlich unschuldig. Aber sie war nicht mehr diese Frau.

Ein anderer Ort, eine Veränderung …

Sie marschierte hinüber zum Küchenschrank und holte eine Schere aus der Schublade.

Im Badezimmer stellte sie sich vor den Spiegel und griff nach einem Büschel Haar. Schnipp. Und noch mal schnipp . Immer wieder, bis sie kurzes Stoppelhaar hatte.

Lars Reinhardt schulterte seinen Seesack und bahnte sich seinen Weg durch den Flughafen von Anchorage. Er hatte genug von Flugzeugen, denn er war schon fast zwei Tage unterwegs, um von Riad, Saudi-Arabien, nach Good Riddance, Alaska, zu kommen. Dies war jetzt die letzte Etappe – eine Propellermaschine in die kleine Stadt in Zentralalaska, wo sein Onkel, sein Cousin und sein fünf Minuten älterer Zwillingsbruder Liam lebten.

Liam war offensichtlich verrückt geworden. Das war die einzig vernünftige Erklärung für seinen Plan zu heiraten … noch einmal.

Lars hatte Natalie, Liams erste Frau, gemocht, und war sicher, dass auch Tansy nett war. Trotzdem begriff er diese ganze Heiratssache einfach nicht. Hatte Liam denn gar nichts gelernt? Wie zum Beispiel: Begeh nicht zweimal denselben Fehler. Lars hatte nur einmal unter gebrochenem Herzen leiden müssen, um zu lernen, und da war er noch nicht einmal verheiratet gewesen.

Er begriff schnell, und nachdem er das erste Mal sitzen gelassen worden war, wusste er, dass ihm das nicht noch einmal passieren würde. Von dem Tag an hatte er darauf geachtet, dass ihm keine Frau zu wichtig wurde. Und wenn es mal so aussah, als könnte eine Beziehung ernster werden, machte er schnell einen Rückzieher.

Er hoffte, dass die Dinge für seinen Bruder gut liefen. Ja, das hoffte er wirklich. Dennoch fragte er sich, ob Liam wieder so schnell heiraten würde, wenn er nicht bei den Marines entlassen worden wäre. Sie hatten gemailt, und Lars hatte ein gutes Gespür dafür, wo seinem Bruder der Kopf stand … oder wo nicht. Liam war völlig ratlos gewesen, was er mit sich und seinem Leben anfangen sollte. Zwar konnte Lars die Gedanken seines Bruders nicht lesen, war ihm aber so nah, wir nur Zwillinge es sein konnten. Er hatte gewusst , wie leer sein Bruder sich gefühlt hatte. Wollte Liam nur heiraten, um seinem Leben wieder einen Sinn zu geben? Er hoffte inständig, dass es nicht so war.

Eine Brünette, die ein Schild mit der Aufschrift Reinhardt hochhielt, fiel ihm auf.

„Ich bin Lars Reinhardt“, sagte er, als er auf sie zuging.

„Juliette Sorenson.“ Sie tauschten einen kurzen Händedruck. „Ich bin Ihre Pilotin.“

Eigentlich hatte er einen Mann erwartet, auch wenn er nicht wusste, warum, denn im Grunde war es ihm egal, wer das Flugzeug flog. Aber irgendwie dachte er, Buschpiloten wären Männer. „Okay, Juliette Sorenson, bringen wir’s hinter uns. Ich brauche eine heiße Mahlzeit und ein heißes Bad, wobei mir die Reihenfolge egal ist.“

Sie lachte. „In etwa einer Stunde sollten Sie beides bekommen. Ist das Ihr ganzes Gepäck?“ Sie nickte in Richtung des Seesacks, den er über die Schulter geworfen hatte.

„Ja, Ma’am. Ich reise mit leichtem Gepäck.“

Sie lächelte und drehte sich um. Lars folgte ihr durch den Flughafen von Anchorage. Gemeinsam traten sie auf das Rollfeld hinaus und gingen zu dem kleinen Flugzeug. Die Luft war frisch und kühl, obwohl Mai war – aber zumindest schien die Sonne. Er glaubte nicht, dass ihm die andauernde Dunkelheit im Winter gefallen würde, die im Spätherbst begann und erst zu Beginn des Frühjahrs endete.

Juliette öffnete die Tür zum Flieger und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, einzusteigen. Nach zwei Schritten ins Flugzeug erstarrte er. Eine Frau mit kurzem blonden Haar saß angeschnallt auf einem der Sitze. Er hatte nicht damit gerechnet, einen weiteren Passagier an Bord der Maschine anzutreffen, aber es war mehr als das. Wegen einer Frau blieb er normalerweise nicht stehen – nun, eigentlich nie.

Und es war auch nicht so, dass sie die schönste Frau war, die er je gesehen hatte, trotzdem hatte sie etwas an sich, das ihn innehalten ließ. Sie blickte in seine Richtung, dann schaute sie ganz bewusst wieder aus dem Fenster. Ganz offensichtlich ignorierte sie ihn.

Die Pilotin drängte sich an ihm vorbei und sagte: „Setzen Sie sich irgendwo hin. Ich sichere noch Ihr Gepäck, dann geht’s los.“

Geistesabwesend reichte er ihr seinen Seesack, immer noch wie erstarrt wegen der Frau, die im Flieger saß.

Vom Gepäckraum im hinteren Teil des Flugzeugs aus machte Juliette sie miteinander bekannt. „Delphi, das ist Sergeant Lars Reinhardt. Sergeant Reinhardt, Delphi Reynolds.“

„Hi“, sagte Lars.

Sie nickte kurz und wandte sich dann wieder ab, ohne etwas zu sagen. Da er Herausforderungen noch nie aus dem Weg gegangen und es vor allem nicht gewöhnt war, ignoriert zu werden, ließ er sich auf den Sitz direkt neben Delphi Reynolds plumpsen.

Er spürte, wie sie sich verkrampfte.

Die Müdigkeit, die er eben noch verspürt hatte, verschwand urplötzlich. Ihre abweisende Körpersprache wirkte auf ihn wie das rote Tuch, das vor einem Stier geschwenkt wurde.

Er könnte sie ignorieren, so wie sie ihn ignorierte. Aber das widerstrebte ihm. Vermutlich aus demselben Grund, der ihn dazu trieb, in der Zerstörungseinheit der US-Marines zu arbeiten. Es war der Reiz der Gefahr, der Herausforderung. Sie zu ignorieren, wäre, wie nicht explodierte Kampfmittel zu missachten – und das würde nicht geschehen. Außerdem wollte er mehr über sie wissen – mehr, als er eine heiße Mahlzeit und ein heißes Bad wollte … und das sollte etwas heißen.

Delphi wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Da der Typ nicht geistig minderbemittelt zu sein schien, versuchte er offensichtlich ganz bewusst, ihr ein Gespräch aufzudrängen, indem er sich direkt neben sie setzte. Er sah gut aus, und sie war sicher, dass er es nicht gewöhnt war, ignoriert zu werden. Ihre abweisende Haltung war nicht persönlich gemeint, was er natürlich nicht wissen konnte.

Sie fühlte sich innerlich immer noch leer und war wie gelähmt, ein Zustand, der ganz nützlich gewesen war. So hatte sie alle Vorbereitungen für die Abreise treffen und ihren Eltern erklären können, warum sie für drei Monate nach Alaska gehen würde. Hinzu kam, dass sie mit Tabletten gegen Reisekrankheit vollgestopft war, und so wollte sie wirklich für sich sein.

„Also, was führt Sie nach Good Riddance?“

Sie antwortete, ohne ihn dabei anzusehen. „Die Arbeit.“

Er wartete eine Sekunde, dann fragte er: „Die da wäre?“

„Ich bin Krankenschwester.“

Juliette sicherte die Tür, und Delphi entging nicht, dass die Pilotin offenbar verwundert war, dass Lars Reinhardt sich direkt neben sie gesetzt hatte, obwohl noch drei weitere Sitze frei waren. „Okay, wenn alle angeschnallt sind, geht’s los.“

„Wann bekommen wir die Erdnüsse und das Getränk unserer Wahl?“, fragte Lars.

Die Pilotin lachte. „Falsche Fluggesellschaft.“

Gegen ihren Willen lächelte Delphi, während sie unverwandt aus dem Fenster starrte. Der Spruch war irgendwie lustig, gestand sie sich widerstrebend ein. Nur dass sie nichts lustig finden wollte. Verdammt, sie hatte sich vorgenommen, miesepetrig zu sein. Nun, nicht direkt miesepetrig, aber unnahbar … ja, das war eine gute Wortwahl. Sie wollte nicht mit einem Fremden lachen oder Informationen austauschen.

Die Flugzeugmotoren dröhnten, und die Hündin, die vorn im Flugzeug gelegen hatte, kam in den hinteren Teil getrottet. Aufmerksam betrachtete sie sie mit einer Mischung aus Neugier und etwas, das Delphi als Mitleid interpretierte. Es war verrückt, aber es kam ihr vor, als spürte die Hündin ihre Stimmung und Emotionen.

„Wenn Baby Sie stört“, rief Juliette, während sie einen Instrumentencheck durchführte, „kann ich sie zurückrufen.“

„Schon okay“, rief Delphi zurück. Der Soldat jedoch … das war eine andere Geschichte. Vielleicht könnte Juliette ihn nach vorn rufen.

„Sie ist süß, nicht wahr?“, sagte er freundlich. „Haben Sie einen Hund?“

Sie wollte sich nicht von diesem Fremden verzaubern lassen – egal, wie nett und attraktiv er auch sein mochte. „Nein.“

„Sind Sie immer so gesprächig?“

Verdammt, sie wollte weder lachen noch sich verzaubern lassen. Sie hatte beschlossen, dass es das Beste war, sich nur um ihren eigenen Kram zu kümmern. Schließlich hätte sie bestimmt noch ihren alten Job, wenn sie klug genug gewesen wäre, nicht zu freundlich mit DeWitt zu plaudern. „Nein.“

Okay, Zeit, die Taktik zu ändern. Ihre einsilbigen Antworten brachten ihn offensichtlich nicht zum Schweigen.

Sie wandte sich ihm zu. Seine Augen hatten einen ungewöhnlichen Braunton – dunkel und gleichzeitig durchscheinend, wie Buntglas in der Sonne. „Okay, Sergeant, ich habe keine Ahnung, warum Sie sich direkt neben mich gesetzt haben, aber da Sie meine Aufmerksamkeit zu fordern scheinen, bitte, hier haben Sie sie. Also, schießen Sie los. Beeindrucken Sie mich mit Ihrer Lebensgeschichte.“

Er hielt einen Moment inne, dann lachte er. „Meine Lebensgeschichte ist nicht so interessant. Ich bin nur neugierig, warum Sie so ungesellig sind.“

„Ich bin nicht ungesellig. Ich will lediglich in Ruhe gelassen werden. Das ist doch nicht so schwierig, oder? Moment, für Sie offensichtlich schon. Sie halten wohl nichts von Höflichkeitsregeln.“

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“

„Sie sitzen praktisch auf meinem Schoß, obwohl Sie einen von drei anderen freien Sitzen hätten wählen können. Weil ich ein anständiger Mensch bin, sage ich Ihnen, dass ich unter Reisekrankheit leide. Ich habe ein Medikament dagegen genommen, aber da ich noch nie in einem so kleinen Flugzeug gereist bin, kann ich nicht dafür garantieren, dass ich mein Mittagessen bei mir behalte.“

In dem Moment sagte Juliette: „Wir haben die Freigabe zum Start. Sie müssen jetzt Ihre Headsets aufsetzen.“ Sie warf einen fragenden Blick in Delphis Richtung. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sind Sie bereit?“

Delphi hob die kleine Kotztüte auf, die Juliette ihr zuvor gegeben hatte. „Bereit.“

„Eine Sekunde bitte noch“, meldete Lars sich zu Wort, setzte sich auf die andere Seite des Gangs, schnallte sich wieder an und gab Juliette ein Daumen-hoch-Zeichen. „Danke“, sagte er zu Delphi.

„Ich danke Ihnen.“ Sie drehte sich wieder zum Fenster und schloss die Augen. Es war besser, wenn sie nicht auf die vorbeirauschende Landschaft schaute.

Eine gefühlte Ewigkeit später – in Wirklichkeit waren es nur ein paar Minuten – löste Delphi ihren Klammergriff um die Lehne. Zum Glück gab es Medikamente gegen Reiseübelkeit.

„Alles okay?“, fragte Juliette wieder. Ihre Stimme kam jetzt durch das Headset. Irgendwie seltsam.

„Ja, danke. Wenn ich erst mal in der Luft bin, ist es normalerweise okay. Starts und Landungen setzen mir zu.“

Mitfühlend sah Baby sie an. Delphi kannte sich mit Hunden nicht aus, aber dieser hier sah aus wie eine kleine Version dessen, was sie für einen Schlittenhund hielt.

„Ist das ein Malamute?“, fragte Lars und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie waren alle auf dieselbe Frequenz eingestellt, deshalb klang seine Stimme direkt in ihr Ohr.

„Ein Husky“, antwortete Juliette. „Sie ist meine Co-Pilotin. Sie fliegt mit mir, seit ich sie habe.“

Delphi könnte schwören, dass der Hund an dieser Stelle lächelte.

„So“, sagte Juliette, „da Sie jetzt hier sind, können wir endlich Hochzeit feiern.“

Delphi sollte sich zwar eigentlich um ihren eigenen Kram kümmern, aber sie musste zugeben, dass ihre Neugier geweckt war. Dieser Mann flog den ganzen Weg nach Alaska, um zu heiraten? Sie wusste nicht, warum sie das überraschte, abgesehen davon, dass sie vorhin gedacht hatte, er würde mit ihr flirten. Offensichtlich hatte sie sein Verhalten falsch interpretiert.

„Tansy ist unglaublich geduldig gewesen. Mein Urlaub ist einige Male verschoben worden“, erklärte er. Es war wirklich dumm, dass sie einen kleinen Stich verspürte, als sie ihn über seine Hochzeit mit dieser Tansy reden hörte. Er war nur ein weiterer Mann, der mit ihr flirten wollte, während seine Frau in den Startlöchern stand. Sie alle machten sie krank.

„Tatsächlich war die Hochzeitsplanung ein Albtraum. Aber jetzt bin ich hier. Und diese Fesselanlege-Zeremonie findet morgen statt. Ich bin irgendwie überrascht, dass sie nicht beschlossen hat, direkt hier, nach der Landung, zu heiraten.“

Fesselanlege-Zeremonie? Sie hatte eine Menge Mitleid mit der unbekannten Tansy, wenn er so über die Hochzeit dachte.

„Mein Bruder will seit fast einem Jahr heiraten“, erklärte er Delphi.

Ein unerklärliches Gefühl der Erleichterung durchströmte sie. Ah, okay, die Klotz-am-Bein-Bemerkung war nicht ganz so beleidigend, und die zukünftige Braut war keine bemitleidenswerte Frau mehr, zumindest nicht nach Delphis aktuellem Kenntnisstand.

„Wir sind Zwillinge, und ich bin der Trauzeuge“, fuhr er mit einem Lächeln fort, das ein Kribbeln durch Delphis Körper sandte. „Seine Verlobte glaubt vermutlich erst, wenn sie mich aus dem Flugzeug steigen sieht, daran, dass die Hochzeit tatsächlich stattfindet.“

„Sie weiß, dass Sie an Bord sind“, sagte Juliette und ersparte Delphi damit eine Antwort. Er kam also zur Hochzeit seines Bruders. Schön.

Delphi sah aus dem Fenster. Obwohl es Mitte Mai war, lag noch Schnee auf den Bergen. Die Aussicht in dieser Höhe war fantastisch. Dennoch, sie war nicht wegen der Landschaft gekommen. Sie sehnte sich nach etwas Einsamkeit, um ihr Leben in den Griff und einen Job zu bekommen. Als Merrilee Swenson sie wegen der Reisevorbereitungen kontaktiert hatte, hatte Delphi den Slogan der Stadt auf der Korrespondenz bemerkt – Good Riddance, die Stadt, in der man alle Sorgen hinter sich lassen kann. Das hörte sich sehr gut an.

„Gestern habe ich Ihre Mutter hergebracht“, sagte Juliette, sichtlich interessiert an den Details der Hochzeit.

„Sie tun mir leid“, erwiderte Lars, und wenn Delphi nicht so entschlossen gewesen wäre, sich nicht mit dem Soldaten zu befassen, dann hätte sie vermutlich gelächelt. Früher hätte sie sogar gelacht. So aber schaute sie einfach weiter aus dem Fenster.

„Was halten Sie davon, mich zu der Hochzeit zu begleiten?“

Jetzt baggerte der Mann schon die Pilotin an, wohl wissend, dass Delphi mithörte. Oh, Mann.

„He, Blondie, ich rede mit Ihnen.“

Delphi war so verdattert, dass sie den Kopf drehte. Blondie? Was, zum …? „Reden Sie mit mir ?“

Ein Lachanfall, den Juliette schnell mit einem künstlichen Husten zu überspielen versuchte, schallte durch das Headset.

„Natürlich spreche ich mit Ihnen. Sie sind die einzige Blondine an Bord, und ich habe Ihren Namen vergessen. Also, was sagen Sie? Begleiten Sie mich? Es ist eine großartige Gelegenheit, alle in der Stadt kennenzulernen, und außerdem sind Sie die einzige Frau, die ich je getroffen habe, die bissig genug ist, um mit meiner Mutter fertigzuwerden. Sie erschreckt die meisten Frauen zu Tode. Zum Teufel, sie erschreckt mich zu Tode.“ Er beäugte sie neugierig. „Aber ich glaube, Sie könnten es mit Janie aufnehmen. Also, was meinen Sie?“

Für einen Moment war sie sprachlos. Ihr Verstand jedoch arbeitete auf Hochtouren. Sie war bissig genug, um mit seiner Mutter fertigzuwerden? Auf keinen Fall würde sie ihn begleiten, egal wohin.

Sie blickte zu ihm hinüber. Wenn sie nicht so genervt von ihm wäre – und wenn die Umstände anders wären –, hätte sie sein forsches Auftreten vielleicht charmant gefunden. Aber es wäre ein großer Fehler, diesem Mann auch nur den Hauch einer Chance zu geben. Also sagte sie lediglich: „Nein, danke.“

Juliette erlitt einen weiteren „Hustenanfall“.

Delphi drehte den Kopf wieder zum Fenster. Hoffentlich ging dieser endlose Flug bald zu Ende. Und Nein zu sagen, war viel einfacher, wenn sie nicht in seine braunen, teuflisch funkelnden Augen blickte. Es schien fast unmöglich, in der Gesellschaft eines so unverschämten Mannes Trübsal zu blasen, geschweige denn, sich darin zu suhlen.

Er war einfach zu viel.

Sie wäre fast explodiert. Lars musste zugeben, dass Delphi Reynolds – natürlich erinnerte er sich an ihren Namen – die letzte Etappe seiner scheinbar endlosen Reise unglaublich belebte. Sie Blondie zu nennen, war ein Geniestreich gewesen.

Mit der Einladung zu der Hochzeit war es ihm jedoch ernst gewesen. Er hatte sich ausgerechnet, dass die Chancen fifty-fifty standen. Entweder würde sie akzeptieren, um ihn auf die Probe zu stellen, oder sie würde ihm sagen, er solle die Klappe halten. Ihr „Nein, danke“ war die verkürzte Version von Du-kannst-mich-mal.

Was er sich wünschen sollte, war eine warmherzige Frau mit einem einladenden Lächeln, das seine innere Anspannung vertrieb. Er war die letzten Monate im Einsatz gewesen, und der nächste Auftrag beinhaltete mit Sicherheit wieder heiße Sonne und Wüstensand. Aber wie es seiner starrköpfigen Natur entsprach, hatte er einen Blick auf die Blondine mit dem Stoppelhaar, dem kühlen Auftreten und der abweisenden Haltung geworfen … und er hatte sie gewollt. Sie stellte eine Herausforderung dar.

Seine Mutter jedoch … Er wusste, dass bei der Hochzeit etwas schiefgehen würde. Da die Trauung schon morgen stattfinden sollte, bestand die geringe Chance, dass die Kacke erst richtig am Dampfen wäre, wenn sich die Frischvermählten in die Flitterwochen verabschiedeten. Seine Mutter musste immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, deshalb konnte er sich nicht vorstellen, dass sie einen ganzen Tag, an dem es sich nur um Liam und Tansy drehte, durchstehen würde.

Sie würde entweder ausflippen und wütend davonstampfen oder eine Ohnmacht vortäuschen. In Anbetracht der vielen Leute wettete er auf eine Ohnmacht.

Das gleichmäßige Dröhnen der Motoren war beruhigend. Blondie war wild entschlossen, aus dem Fenster zu starren. Der Hund döste vor sich hin – definitiv die richtige Idee. Er könnte genauso gut ein Nickerchen machen, bevor sie landeten.

Er schloss die Augen, lehnte den Kopf gegen das Fenster und ließ sich vom Wiegenlied des Motors einlullen.

Dank jahrelangen Trainings wachte er sofort auf, als die Pilotin sich erneut zu Wort meldete. „Wir werden in fünf Minuten landen.“

Sein fünfundvierzigminütiges Nickerchen war buchstäblich wie im Flug vergangen. Er richtete sich auf und blickte hinaus.

Die Landschaft rauschte vorbei. Er schaute über den Gang. Delphi Reynolds verharrte in ihrer Position, die Schultern steif, den Blick auf die Szenerie draußen gerichtet.

Er betrachtete ihren schlanken Nacken, ihre anmutigen Schultern. Wenn – wenn, nicht falls – er mit ihr allein wäre, würde er erst mit den Fingerspitzen darüberstreichen, dann mit den Lippen. Sie hatte etwas an sich, das ihn faszinierte. Er würde sie haben. Und da er nur eine Woche blieb, besser früher als später.

Innerhalb weniger Minuten waren sie auf dem Boden. „Tolle Landung“, lobte er Juliette.

„Danke.“ Nachdem das Flugzeug zum Stehen gekommen war, schnallten sie sich ab, standen auf und streckten die Beine. Obwohl Lars der Tür am nächsten war, hielt er sich zurück. „Ladies first.“

„Danke.“ Delphi quetschte sich an ihm vorbei. Sie roch gut. Ihr Arm und ihre Schulter streiften seine Brust, und ihre Hüfte stieß an seine. „Entschuldigung.“

Die Berührung wirkte wie ein Niedervolt-Elektroschocker.

„Morgen“, sagte er. „Elf Uhr. Bis dann.“

Sie warf ihm einen kühlen Blick über die Schulter zu. „Auf Wiedersehen, Sergeant. Auf Nimmerwiedersehen.“

„Falsch, Blondie …“ Sie drehte sich nicht um, blieb aber kurz stehen. „Es wird ein Wiedersehen geben.“

3. KAPITEL

Delphi wich einer Gruppe von Menschen aus, die auf das Flugzeug zustürmte und dem Mann hinter ihr zuwinkte. Sie würde ihn vergessen oder ihn, seine funkelnden braunen Augen und sein charmantes Geplapper zumindest ignorieren, ebenso wie das erregende Prickeln, das ihren Körper erfasst hatte, als sie ihn berührte. Jetzt, da sie der Enge des Flugzeugs entkommen waren, konnten sie beide ihrer Wege gehen.

Sie blickte sich um, als sie über die Landebahn zu dem Flughafenbüro ging, und nahm die Umgebung in sich auf. Die Luft schien hier frischer und sauberer als in Atlanta. Der Himmel war blauer, die Wolken wirkten weißer. Sie schlug sich auf den Arm. Und verdammt, die Moskitos waren größer – viel größer.

Sie betrat das Büro. Der Duft von Holz, Kaffee und Keksen begrüßte sie, noch bevor die Person am Schreibtisch es tat. Die Frau erhob sich, ein herzliches Lächeln erhellte ihr Gesicht und ließ ihre Augen aufleuchten. Halblanges blond-graues Haar, blaue Augen, Mitte bis Ende fünfzig, Jeans und ein Flanellhemd mit Spitzenbesatz. Sie musste Merrilee Swenson sein, die Gründerin und Bürgermeisterin der Stadt. Skye hatte Delphi alles über Merrilee erzählt.

Merrilee gab Delphi die Hand. „Willkommen in Good Riddance, Delphi. Ich bin Merrilee. Skye hat alle Hände voll zu tun, deshalb konnte sie nicht selbst kommen, um Sie abzuholen. Aber wir bringen Sie in die Praxis, sobald wir Sie untergebracht haben.“

Das Lächeln dieser freundlichen Frau nicht zu erwidern, war unmöglich. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Also, Honey, ich möchte Sie nicht beunruhigen, aber es gibt ein kleines Problem bei der Fertigstellung Ihrer Hütte.“ Am Telefon hatte Merrilee ihr gesagt, dass sie sie in einem kleinen Blockhaus in der Nähe der Praxis unterbringen würden. „Das passiert hier schon mal, und wir müssen uns einfach damit abfinden. Nächste Woche sollte alles fertig sein. Bis dahin logieren Sie in einem der Zimmer oben.“ Zu diesem Zeitpunkt war es Delphi egal, wo sie wohnte. Solange sie ein Bett hatte und die Tür zur Welt für eine Weile schließen konnte, war sie glücklich. „Gleich nebenan, durch die Tür da …“, sie deutete auf eine Tür an der rechten Wand, „… sind Gus’ Restaurant und die Bar. Wir bezahlen Ihre Mahlzeiten, bis Sie in der eigenen Wohnung sind. Wir wissen es wirklich zu schätzen, dass Sie gekommen sind, um uns zu helfen.“

Merrilee Swenson hielt inne, um Luft zu holen, und Delphi kicherte – sie kicherte wirklich. Zum ersten Mal seit Monaten. „Klingt alles super. Ich bin froh, hier zu sein.“ Sie hatte gar nicht gemerkt, wie bereit sie für eine Veränderung gewesen war.

In dem Moment ging die Hintertür auf, und die Gruppe, an der sie vorbeigekommen war, stürmte in den Raum, Lars im Schlepptau.

Merrilee strahlte ihn an. „Lars, es ist so schön, dich wiederzusehen.“ Sie umarmten sich.

Dann drehte die Bürgermeisterin sich zu Delphi um. „Okay. Ich stelle Sie mal den anderen vor.“

„Leute, das ist Delphi Reynolds. Sie hilft für ein paar Monate aus, bis wir einen Ersatz für Nelson gefunden haben. Und was diese bunte Gruppe betrifft …“ Sie wandte sich an Delphi. „Lars haben Sie natürlich schon kennengelernt.“

Delphi lächelte und nickte, wich aber dem Blickkontakt aus. „Und das ist Liam, sein Zwillingsbruder.“ Sie berührte die Schulter eines Mannes, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Lars hatte, aber nicht ganz so groß und breitschultrig war. „Liam leitet ein Survival Camp nördlich von hier.“

„Ich bin der um fünf Minuten ältere Bruder“, sagte er mit einem Lächeln und einem festen Händedruck.

Delphi lachte. „Verstehe.“ Liam war nett, aber nicht so attraktiv – oder sexy – wie sein jüngerer Zwillingsbruder.

Merrilee deutete auf die Frau an Liams Seite. „Und das ist Tansy Wellington, die Braut. Tansy ist ein Liebesguru.“

Tansy war eine zierliche, kurvige Brünette mit fröhlichen Augen hinter einer schwarz umrandeten Brille.

„Liebesguru?“, fragte Delphi neugierig.

„Ich schreibe eine Kolumne, einen Blog, und mein erstes Buch ist gerade erschienen. Ein Beziehungsratgeber.“

So etwas hätte Delphi vor einem halben Jahr gebrauchen können. Liebe Tansy, mein Chef ist besessen von mir. Bitte gib mir einen Rat . Delphi behielt ihr Lächeln bei. „Wow, beeindruckend.“

„Ich weiß nicht, ob es das ist, aber es macht Spaß. Freut mich, dich kennenzulernen.“ Auch sie hatte einen festen Händedruck.

Nun deutete Merrilee auf eine Frau mit schulterlangem, leicht ergrautem Haar und Brille. Sie war noch kleiner als Tansy. „Das ist die Mutter des Bräutigams und meine Schwägerin, Janie Reinhardt.“

„Dr. Reinhardt, bitte. Ich bin Professorin für Soziologie.“ Sie schüttelte Delphis Hand, als wäre es eine lästige Pflicht. „Und ich bevorzuge Jane.“

„Entschuldige“, sagte Merrilee. „Ich bin nur so daran gewöhnt …“

„Ich weiß, mein Bruder benutzt immer diesen kindischen Namen.“

„Nett, Sie kennenzulernen“, sagte Delphi. Vielleicht hatte Lars gar nicht so unrecht in Bezug auf seine Mutter. Warmherzig war sie jedenfalls nicht.

„Und das ist Dirk Swenson, der Cousin der Jungs“, setzte Merrilee die Vorstellungsrunde fort. Delphi warf einen kurzen Blick auf Lars und schmunzelte darüber, dass Merrilee ihn als Jungen bezeichnete. Er grinste und zwinkerte ihr zu. Wirklich, dieser Mann … „Dirk ist Liams Stellvertreter im Camp.“

Lars und Liam waren beileibe nicht klein, aber Dirk war mindestens fünf Zentimeter größer und wog vermutlich fünfzehn Kilo mehr als Lars. „Freut mich, dich kennenzulernen.“

Dirk gab Delphi die Hand, achtete aber darauf, nicht zu fest zuzudrücken. Sie steckte ihn in die Schublade sanfter Riese .

„Freut mich auch“, erwiderte sie.

„Und zu guter Letzt ist da noch meine bessere Hälfte, Janies … ich meine, Janes Bruder und Onkel der Jungs, Bull Swenson.“

Bull hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Jane und – in geringerem Maße – mit Dirk. Obwohl er einen Kopf kleiner war als die anderen Männer der Gruppe, strahlte er eine ungeheure Präsenz aus.

„Hallo.“

Merrilee deutete auf die zwei älteren Männer, die an einem Tisch saßen und Schach spielten. „Das sind Dwight Simmons und Jefferson Monroe.“

Beide Männer nickten in ihre Richtung.

„Und jetzt bringe ich euch nach oben. Lars ist in Zimmer drei, und Delphi, Sie sind in Zimmer vier.“

„Danke“, antwortete Delphi automatisch, denn bei der Vorstellung, ihn im Zimmer neben sich zu haben, durchrieselte sie ein Schauer.

„Und natürlich bist du zur Hochzeit eingeladen“, sagte Tansy strahlend. „Die ganze Stadt wird da sein. Und da du jetzt ein Teil von Good Riddance bist, möchten wir natürlich, dass du auch kommst.“

„Absolut“, warf Merrilee ein. „Es ist eine großartige Möglichkeit für Sie, alle kennenzulernen. Sie werden sehr viel Spaß haben.“

Delphi wagte es nicht, Lars anzuschauen. Das musste sie auch gar nicht. Sie konnte sein Grinsen förmlich spüren. Es war eine Sache, ihm einen Korb zu geben, aber wie sagte man der Braut, dass man nicht zu ihrer Hochzeit erscheinen wollte?

Hektisch suchte sie nach einer Ausrede. Sie konnte ja schlecht vorgeben, etwas anderes vorzuhaben. Schließlich war sie die Neue und gerade erst angekommen.

Also entschied sie sich für die naheliegendste Entschuldigung und winkte lächelnd ab. „Ich habe nichts Passendes zum Anziehen und …“

„Keine Sorge!“, unterbrach Merrilee sie. „Da wird alles vertreten sein. Jeans, Kleider und alles dazwischen.“

Nun meldete sich Lars zu Wort. „Ich habe sie bereits eingeladen.“

Merrilee klatschte in die Hände. „Perfekt. Dann habt ihr beide eine Begleitung.“

Ich bringe sie um .

Es sah aus, als würde sie zu einer Hochzeit gehen – mit Lars Reinhardt –, es sei denn, sie bekäme Kopfschmerzen. Allein der Gedanke, in einem Zimmer neben seinem zu logieren, bereitete ihr Kopfschmerzen.

Und leider auch ein bisschen Nervenkitzel.

Lars stieg hinter Merrilee und Delphi die Treppe hinauf zu den Zimmern. Blondie hatte einen süßen, kleinen Hintern. Das war ihm schon aufgefallen, als sie vor ihm das Flugzeug verlassen hatte. Überhaupt fand er sie süß.

Und sie erinnerte ihn daran, dass er schon lange nicht mehr die Gesellschaft einer Frau genossen hatte. In dem Moment, als er sie gesehen hatte, hatte sie etwas in ihm ausgelöst und eine ungeheure Anziehungskraft auf ihn ausgeübt.

Sie hatte zur „Nichts anzuziehen“-Ausrede gegriffen, aber wenn sie wirklich nicht mit ihm hätte gehen wollen, dann hätte sie einen Freund daheim als Entschuldigung vorgebracht. Er kannte die Frauen gut genug, um zu wissen, dass sie nirgendwo mit einem Mann hingingen, wenn sie es nicht wollten.

Er trug Delphis Gepäck – ein Nein hatte er nicht akzeptiert – die Treppe hinauf und dann rechts einen kurzen Flur entlang.

„Bitte sehr, Lars.“ Merrilee öffnete eine Tür, und er trat ein. Sie senkte die Stimme. „Ich dachte, du schläfst besser, wenn du weißt, dass wir deine Mutter in der neuen Frühstückspension am anderen Ende der Stadt untergebracht haben. Außerdem kann Alyce das Geld gut gebrauchen.“

„Gute Entscheidung.“ Er nahm den Seesack von der Schulter und ließ ihn aufs Bett fallen.

Der Raum war noch genauso, wie er ihn aus der Zeit vor sechzehn Jahren – Moment, es waren eher siebzehn oder achtzehn – in Erinnerung hatte, als er im Sommer zu Besuch hier gewesen war. Altmodisch und gemütlich.

„Es ist immer noch schön hier.“

Merrilee lächelte. „Du bist ein Schatz.“ Sie ging eine Tür weiter, und er folgte mit dem Gepäck. „Und das ist Ihr Zimmer, Delphi. Ich hoffe, es gefällt Ihnen. Das Bad ist gegenüber.“

„Danke.“

Lars bemerkte eine Tür in der Wand. Sie war geschlossen, verriegelt und verband ihre Zimmer.

Perfekt.

Delphi tupfte ihr Gesicht trocken und frischte schnell ihr dezentes Make-up auf. Sie hatte ihre Reisekleidung gegen eine legere schwarze Hose und ein enges Oberteil getauscht. Vermutlich war sie ein wenig overdressed, aber sie wollte nicht in Jeans in der Praxis auftauchen, zumindest nicht beim ersten Mal.

Sehnsüchtig betrachtete sie die Badewanne mit Löwenfüßen. Die Wanne bettelte förmlich um ein langes Bad mit Badesalz und Seifenblasen, sie selbst an Lars’ Brust gelehnt, zwischen seinen Schenkeln sitzend, seine Küsse an ihrem Hals, seine Hände an ihren …

Nein, nein und nochmals nein. Er bedeutete nur Ärger. Sie hatte ihn im Flugzeug kennengelernt, er hatte ihre Koffer getragen … und schon träumte sie von einem erotischen Badeerlebnis mit ihm. Diese Art von Chemie hatte sie noch nie erlebt – die Hitze, die gespannte Erwartung, die sie in seiner Nähe verspürte.

Arbeit. Sie musste sich auf die Arbeit konzentrieren.

Schnell sammelte sie ihre Sachen zusammen und öffnete die Badezimmertür. Lars stand draußen, lässig an die Wand gelehnt, seinen Kulturbeutel unter den Arm geklemmt. Sie errötete, dabei konnte er nicht wissen, dass sie gerade an ein unanständiges Badeerlebnis mit ihm gedacht hatte.

„Oh“, sagte sie. „Das Bad gehört Ihnen.“

Sie trat in den schwach beleuchteten Durchgang und blieb stehen, als sie auf gleicher Höhe mit ihm war. Es gab keinen Grund, warum sie nicht einfach weiterging. Es war Platz genug. Ihr Zimmer war vier, vielleicht fünf Schritte entfernt. Ihr Verstand schrie: „Geh!“, aber ihr Körper befahl ihr: „Bleib!“

„Ich war mir nicht sicher, ob ich zuerst eine heiße Dusche oder eine heiße Mahlzeit haben will. Die Idee mit der Dusche hat sich durchgesetzt.“ Möchtest du mir den Rücken schrubben?

„Die Badewanne ist toll.“ Ich habe gerade an dich gedacht .

Sein Blick fiel auf ihre Lippen, und es war fast, als könnte sie spüren, wie er sie berührte, wie er die Konturen ihres Mundes nachzeichnete.

„Sie sehen gut aus“, sagte er. Seine tiefe Stimme war wie eine Liebkosung.

Mit den dunklen Bartstoppeln und den feinen Fältchen um seine Augen wirkte er sexy und gefährlich zugleich. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und stand da wie festgewurzelt. Sie musste müder sein als gedacht, wenn ein Kompliment sie derart durcheinanderbrachte. „Danke.“

Er stieß sich von der Wand ab. Ihr Herz pochte laut, und sie krallte die Nägel in ihre Handflächen. Anspannung, Vorfreude, Verlangen lagen in der Luft und durchströmten sie. Sie schwankte leicht.

Lars hob die Hand und griff nach ihr. Es war eine bewusste, kontrollierte Bewegung, die zu dem Blick in seinen Augen passte, teils fragend, teils herausfordernd. Er hatte seine Absicht signalisiert. Jetzt war sie am Zug. Er gab ihr Zeit, vorzurücken, sich zurückzuziehen oder ihre Frau zu stehen. Sie entschied sich für Letzteres.

Mit laut pochendem Herzen wartete sie auf seine Berührung. Seine Nähe wärmte ihre Wange, federleicht strichen seine Finger über ihre Haut. Die Berührung, so sanft, so leicht, ließ sie innerlich dahinschmelzen. Er legte den Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, dann streiften seine Lippen ihre. Es war so aufreizend, so süß, so entflammend. Sie lehnte sich an ihn und erwiderte seinen zärtlichen Kuss.

Er legte ihr die Hand in den Nacken, vertiefte den Kuss, und sie seufzte, genoss seine Liebkosungen.

Abrupt zog er sich zurück und ließ die Hand sinken. Magie schien in der Luft zu liegen, selbst als sie sich nicht mehr berührten. In diesem Moment fühlte Delphi sich, als würde sie schweben.

„Macht mal hinne.“ Die Stimme eines Mannes drang von unten zu ihnen herauf, was Delphi in die Realität zurückkatapultierte.

Sie machte einen Schritt in Richtung ihres Zimmers, und Lars bewegte sich Richtung Bad.

„Ich sehe dich später.“

Sie wusste, wie er das meinte, aber es klang wie eine Warnung, dass das, was zwischen ihnen passiert war, noch nicht zu Ende war. Es würde wieder aufgegriffen … und weitergeführt werden.

„Nicht wenn ich es verhindern kann.“

Lars drehte sich zu ihr, ein gefährliches Lächeln umspielte seine Lippen. „Blondie, mach dir nichts vor. Ich werde dich definitiv später noch sehen. Wir sind noch nicht fertig.“

„Und was, wenn ich das nicht will?“

Er lachte. „Du wirst es wollen.“

Arroganter Kerl! „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

Er lachte wieder, zwinkerte ihr zu und schloss die Badezimmertür.

Delphi marschierte in ihr Zimmer, hin- und hergerissen zwischen Verärgerung und Faszination. Sie schloss die Zimmertür und lehnte sich dagegen.

Sie hatte den Kuss nur erwidert, um ihre Neugier zu befriedigen. Mehr nicht. Ihre Neugier war jetzt befriedigt, aber war sie es auch? Sie wollte immer noch ihre Ruhe. Oder etwa nicht?

„Möchten Sie, dass Sie jemand in die Praxis begleitet?“, fragte Merrilee.

„Danke, aber ich gehe lieber allein und in meinem eigenen Tempo, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen.“ Delphi hatte ihre Sachen aufs Bett fallen lassen und war nach unten gelaufen, als sie Wasser in die Wanne mit den Löwenfüßen laufen hörte. Sie würde später alles wegräumen. Sie wollte nicht daran denken, wie Lars sich im Zimmer nebenan auszog, wollte sich nicht ausmalen, dass er nackt war … Aber es waren genau die Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, als sie nach unten eilte. In ihrer Fantasie sah sie breite Schultern, einen muskulösen Oberkörper mit dunklen Haaren, die sich auf einem flachen Bauch nach unten hin verjüngten und eine beeindruckende Männlichkeit. Wenn sie etwas Distanz zwischen ihn und sich brachte, könnte sie das Bild vielleicht aus dem Kopf bekommen. Und auch den Kuss. Aber dazu brauchte sie ein paar Minuten allein in der frischen Luft. Sie wollte jetzt mit niemandem Small Talk machen müssen.

„Verstehe.“ Merrilee nickte. „Durch die Vordertür raus und dann nach links. Sie können sie nicht verfehlen.“

Delphi trat hinaus in die milde Luft, lief den Bürgersteig entlang und bemerkte, dass die meisten Autos, die an ihr vorbeifuhren, Trucks oder SUVs älteren Jahrgangs waren. Alle staubbedeckt.

Skye hatte die Stadt als einen Ort beschrieben, der einfache Bedürfnisse erfüllte. Es gab kein Starbucks. Keine Reinigung. Keine Autohäuser. Eine einzige Straße führte durch das Zentrum der Stadt, mit Geschäften auf beiden Seiten der ungepflasterten Fahrbahn. Ein Schild am Schaufenster auf der anderen Straßenseite fiel ihr ins Auge – Curl’s Taxidermie/Barbershop/Bestattung. Wow, das nannte man wohl „alles aus einer Hand“.

Sie kam an einem Laden vorbei, der sich als Videothek/Vorführraum/Internetcafé bezeichnete. Außerdem gab es noch ein Kurzwarengeschäft, eine Bank, einen Laden mit Schneemobilen und anderen Maschinen, in dem auch Kleinmotoren repariert wurden, einen Eisenwarenhandel und in der Ferne ein großes Blockhaus, das Gemeindezentrum.

Ein paar Minuten später erreichte sie schließlich die Praxis. Durch das große Fenster sah sie das überfüllte Wartezimmer. Wie, um alles in der Welt, konnten so viele Menschen an einem so kleinen Ort krank sein? Skye hatte ihr gesagt, dass sie manchmal nur drei Leute an einem Tag behandelte. Jetzt schien es, als wäre die halbe Stadtbevölkerung in der Praxis eingepfercht.

War eine Epidemie ausgebrochen? Sie öffnete die Tür und trat ein. Über ihr bimmelte eine Glocke.

Als hätte jemand eine Stummtaste gedrückt, wurde es sofort still im Raum. Alle Augen richteten sich auf Delphi. Ein Mann, der sein langes schwarzes Haar zu einem Zopf zurückgebunden hatte, trat vor. Das musste Nelson sein, der Mann, der sein Medizinstudium begann. Ein heiteres Lächeln umspielte seine Lippen und ließ seine Augen leuchten. „Hi, ich bin Nelson Sisnuket, und Sie müssen Delphi sein.“

„Das bin ich. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

„Nicht annähernd so sehr, wie ich mich freue, Sie zu sehen. Es wurde langsam knapp.“

Ein Raunen ging durch den Raum, dann nahmen die Patienten ihre Gespräche wieder auf.

Delphi und Nelson gingen gemeinsam auf den Schreibtisch zu, der in der Nähe des kurzen Flurs stand. Es war die erste Praxis, die sie jemals betreten hatte, in der es keine Tür gab, die den Flur zu den Untersuchungsräumen und zum Büro des Arztes trennte.

„Bull baut nächste Woche eine Tür ein“, erklärte er.

„Oh, okay.“ Nelson konnte offensichtlich Gedanken lesen.

„Ich habe gesehen, wie Sie in den Flur geschaut haben“, sagte er lächelnd.

Delphi sah sich in dem überfüllten Wartezimmer um. „Ich nehme an, das ist nicht immer so.“

„Nein, das liegt daran, dass ich nur bis nächste Woche hier bin. Veränderungen, selbst gute, bringen die Leute durcheinander. Was halten Sie von einem kurzen Rundgang, bis Skye mit Norris fertig ist?“

„Gern.“

Zwei Untersuchungsräume, eine Abstellkammer, ein Bad und Skyes Büro waren im hinteren Teil untergebracht. Die Ausstattung war alt. Delphi hörte Skyes Stimme hinter der geschlossenen Tür des Untersuchungsraums.

„Möchten Sie hier warten, oder wollen Sie lieber wieder nach vorn? Ich muss weitermachen.“

„Ich komme wieder nach vorn, nachdem ich Skye gesehen habe, okay?“

„Okay.“

Sie setzte sich auf einen Holzstuhl und wartete. Es war schön, wieder in einer Arztpraxis zu sein, selbst wenn sie etwas altmodisch wirkte. Zurück in einer vertrauten Umgebung, schweiften ihre Gedanken ab.

Zu Lars. Seinem intensiven Blick, seinem Kuss, seiner Berührung. Der Gedanke daran, wie er nackt in diese Badewanne stieg, wie sie seinen Rücken wusch, wie er sie mitsamt den Kleidern zu sich hineinzog …

Sie versuchte, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, doch es gelang ihr nicht wirklich. Er war auf eine gefährliche Weise attraktiv und sexy. Die Art von Mann, die ihr Vater einen echten Kerl nennen würde.

Zum Glück betrat Skye in diesem Moment das Büro, was alle Fantasien über Lars vertrieb. Sie umarmten sich zur Begrüßung.

„Du siehst fantastisch aus!“, sagte Delphi und trat einen Schritt zurück, um ihre Freundin betrachten zu können. Good Riddance und die Ehe taten ihr offensichtlich gut.

„Danke. Es gefällt mir hier. Tatsächlich liebe ich es, hier zu leben. Ich bin glücklich mit dem, was ich tue, und mein Mann ist einfach wunderbar. Kein Grund zum Klagen also.“

Skye betrachtete Delphi. „Dein Haar sieht toll aus. Wann hast du’s abgeschnitten?“

„Als ich dein Angebot akzeptiert habe.“

„Es steht dir gut. Wie war deine Reise?“

„Lang, aber ereignislos.“ Nun, das stimmte nicht ganz. Schließlich hatte sie Lars getroffen. „Keine Probleme.“ Auch wenn er ein kleines Problem für ihren Seelenfrieden darstellte.

„Lass dich von den vielen Leuten im Wartezimmer nicht abschrecken. Alle sind hier, weil Nelson geht. Und ich mache jetzt besser weiter, sonst kommen wir heute nicht mehr raus. Hast du ein bisschen Zeit, um mit Nelson über organisatorische Dinge zu sprechen? Und wie wäre es mit Dinner heute Abend bei uns? Wir holen uns etwas bei Gus’ – das ist das Restaurant an der Landebahn. Wir könnten dort essen, aber die Menschen sind neugierig, und du bist sicherlich müde. Außerdem möchte ich dir gern unser Haus zeigen.“

„Klingt gut. Ich kann’s gar nicht erwarten, das Haus zu sehen.“

„Dalton und ich holen dich gegen Viertel vor sieben ab, wenn das okay ist.“

„Perfekt. Ich freue mich darauf, ihn kennenzulernen.“

„Ich bin froh, dass du da bist.“

Wieder schoss ihr Lars durch den Kopf. „Ich auch.“

Und merkwürdigerweise stimmte das.

4. KAPITEL

Dirk Swenson saß an der Bar im Gus’ und trank ein Bier. Er hatte es abgelehnt, mit Bull, Tansy, Liam und Aunt Janie mitzugehen – er wusste nicht einmal, wohin sie wollten. Aunt Janie nervte ihn, aber das ging den meisten so.

Ebenso gut könnte er seine Sorgen hier in einem Bier ertränken, obwohl es mehr als eins bräuchte, damit das gelang. Er hatte wirklich versucht, Liams Exfrau Natalie aus dem Kopf zu bekommen, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Es war alles so verworren, und er wusste nicht, wie er das jemals wieder in Ordnung bringen sollte.

Er war im Nachbarhaus von Natalies Eltern aufgewachsen. Verdammt, er war in sie verliebt, solange er denken konnte. Aber er hatte sich nie getraut, es ihr zu sagen. Im Vergleich zu den anderen Jungs war er immer riesig gewesen, seine Noten hatten zu wünschen übrig gelassen, und in der Gegenwart von Mädchen war er schüchtern, besonders in Natalies. Zu erfahren, dass sie seinen Cousin Liam heiraten würde, war schrecklich für ihn gewesen. Jahrelang war er sauer auf Liam, vor allem als sie sich scheiden ließen.

Er und Liam hatten sich vertragen – nachdem er ihm ins Gesicht geschlagen hatte –, und jetzt war es okay. Liam hatte Natalie nicht schlecht behandelt und war auch nicht untreu gewesen. Sie hatten nur verschiedene Dinge gewollt.

Dirk arbeitete im Survival Camp als Liams Stellvertreter. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, seinen Platz gefunden zu haben, seine Bestimmung. Nur die Sache mit Natalie machte ihm noch zu schaffen.

Er kippte sein Bier hinunter und stand auf. Eins war ihm mittlerweile klar: Er musste in dieser Angelegenheit endlich tun, wozu er bisher nicht in der Lage gewesen war – darüber reden.

Durch die Verbindungstür ging er zum Büro des Flugplatzes. Merrilee blickte von ihrem Papierkram auf. „Hi, Dirk. Was kann ich für dich tun?“

„Ist Lars oben?“

„Klar. Zimmer drei.“ Sie griff nach einer Box, die auf der Ecke ihres Schreibtisches stand. „Sein Essen ist gerade gekommen. Könntest du es bitte mit nach oben nehmen?“

„Sicher.“

Dirk ging die Treppe hinauf und klopfte an die Tür von Zimmer drei. Nichts. Dann hörte er ein Pfeifen im Bad. Das war definitiv Lars.

Dirk öffnete die Schlafzimmertür, trat ein und schloss die Tür hinter sich. Er würde warten. Wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte, dann zog er es auch durch.

Er stellte das Essen auf den Nachttisch und legte sich quer aufs Bett. Er war schon fast ins Reich der Träume abgedriftet, als die Tür aufging.

Lars, in Jeans und T-Shirt, blieb stehen. „Was, zum Teufel … Oh, hi, Dirk, fühl dich wie zu Hause.“

„Ich teste nur das Bett für dich.“ Grinsend richtete Dirk sich auf. „Es ist gemütlich.“

„Na, das sind ja gute Nachrichten.“ Lars schloss die Tür hinter sich und warf seine schmutzige Wäsche in die Ecke.

„Ich habe dir dein Essen gebracht.“

„Noch bessere Nachrichten.“ Er nahm die Box vom Nachttisch. „Also, was gibt’s?“

Dirk beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Knie. „Ich würde gern kurz mit dir sprechen.“

„Klar doch. Was hast du auf dem Herzen?“

„Natalie.“ Es machte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden.

„Natalie wer?“, fragte Lars mit vollem Mund.

„Kennen wir beide mehr als eine? Natalie Reinhardt.“

„Liams Exfrau?“ Dirk nickte. „Okay, was ist mit ihr?“

„Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Lars lauschte aufmerksam, als Dirk ihn aufklärte. „Also, wie komme ich über sie hinweg?“

„Du bist mit anderen Frauen ausgegangen, richtig?“

„Ja, mit ein paar.“

„Und das hat nicht funktioniert?“

„Wenn es funktioniert hätte, würde ich jetzt nicht hier sitzen und jammern.“

„Dann solltest du dir vielleicht überlegen, wie du sie bekommst , statt wie du über sie hinwegkommst . Mann, du hast sie noch nicht mal geküsst.“ Lars schüttelte den Kopf, als wäre Dirk ein hoffnungsloser Fall. „Vielleicht schläfst du mit ihr und stellst fest, dass sie dich nicht wirklich antörnt.“

„Pass auf, wie du über sie sprichst.“

„Immer mit der Ruhe, Dirk. Es ist überhaupt nichts Respektlo-ses an Sex. Ich mag Natalie, deshalb habe ich sie nie und würde sie auch nie respektlos behandeln.“

„Okay. Es ist nur, du weißt doch …“ Er verstummte.

Lars zuckte mit den Schultern. „Nein, weiß ich nicht. Ich habe noch nie so nach einer Frau geschmachtet.“

„Was ist mit Denise Palmer?“ Es war kein Geheimnis, dass Lars verrückt nach Denise gewesen und ziemlich fertig war, als sie sich von ihm getrennt hatte.

„Ich bin über sie hinweg und habe meine Lektion gelernt. Deshalb verstehe ich nicht wirklich, warum Liam Tansy heiraten muss.“ Er schüttelte den Kopf und zuckte erneut mit den Schultern. „Aber ich muss es ja nicht verstehen. Ich kann nur sagen, wenn du ohne sie unglücklich bist, dann überleg dir, wie du sie bekommen kannst. Lade sie hierher ein.“

„Und was, wenn sie Nein sagt?“

„Warum sollte sie?“

Bei Lars klang es so einfach. „Was, wenn sie kommt und mich nicht, du weißt schon, mag?“

„Dieses Risiko musst du schon eingehen. Und du weißt, es besteht die gleiche Chance, dass sie dich mag.“

„Aber ich bin nicht wie Liam. Ich bin groß und habe Ecken und Kanten. Und ich habe in meinem Leben nichts erreicht.“

„Du bist, was du bist, Dirk. Aber warum sagst du, du hättest nichts erreicht? Du verdienst deinen Lebensunterhalt und tust, was du tun willst. Daran ist nichts falsch. Und dass du nicht wie Liam bist … ist wahrscheinlich gut so, denn mit den beiden hat es ja nicht funktioniert.“

So hatte Dirk die Sache noch nie betrachtet und fühlte sich plötzlich so gut wie schon lange nicht mehr. Erleichtert stand er auf. Vielleicht hatte er doch eine Chance bei Natalie.

Lars war gerade damit fertig, seine Sachen wegzuräumen, als es an der Tür klopfte. Er öffnete sie und entdeckte Liam, der zwei Flaschen Bier in der Hand hielt.

„Danke“, sagte Lars und nahm eine der Flaschen, während er zur Seite trat, damit Liam eintreten konnte.

„Ich dachte, du könntest eins gebrauchen, bevor die Junggesellenparty losgeht.“

„Gute Idee.“ Er hob die Flasche in Liams Richtung. „Auf dich.“

Liam grinste und erwiderte die Geste. „Auf dich.“

Lars trank einen großen Schluck.

„Also, was hältst du von Tansy?“

„Ich mag sie. Sie hat Stil und ist couragiert.“ Lars grinste. „Sie bestimmt, wo’s langgeht.“

„Ja, das tut sie.“

Liam war glücklich. Lars hatte seinen Bruder noch nie so gesehen. Er konnte die Freude seines Bruders buchstäblich spüren .

„Dann ist ja alles gut“, sagte Lars. „Dein Geschäft scheint super zu laufen. Als ich mir deine Webseite angesehen habe, hätte ich mich am liebsten für eine Woche angemeldet.“

Liam lachte. „Du brauchst kein Überlebenstraining. Wie läuft’s bei dir?“

Lars informierte ihn über die beruflichen Dinge, die man nicht per E-Mail besprechen konnte. Aber es gab noch ein Thema, das ihn beschäftigte. Liams Entlassung bei den Marines. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen.

„Vermisst du es?“, fragte Lars. Es war nicht nötig, „es“ zu definieren.

Liam schüttelte den Kopf. „Am Anfang schon, aber mittlerweile … nein. Tatsächlich würde ich jetzt, nachdem einige Zeit vergangen ist, sagen, dass es das Beste war, was mir passieren konnte. Das Leben geht weiter. Ich leite das Survival Camp gern. Jede Gruppe stellt eine neue Herausforderung dar. Und Dirk macht einen verdammt guten Job als mein Stellvertreter. Und Tansy … sie ist einfach großartig.“ Er trank einen Schluck. „Du klingst, als wärst du immer noch glücklich bei der Truppe.“

Einen Moment lang war Lars enttäuscht. Das war es also? Offensichtlich, wenn sie schon wieder über ihn redeten. Und warum sollte er nicht mehr glücklich bei den Marines sein?

„Das bin ich. Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht.“

„Ich will nicht lügen.“ Liam schüttelte den Kopf. „Ich war wütend, als ich hierherkam. Bull hat mir über vieles hinweggeholfen und Tansy auch. Tansy hat die Idee mit dem Survival Camp gehabt. Sie wollte nicht, dass ich mich in Selbstmitleid suhle.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Das nächste Thema sprach Lars noch vorsichtiger an als das erste. Es war etwas, das von Mann zu Mann besprochen werden musste. „Da wir gerade von Tansy sprechen … Versteh mich nicht falsch, sie scheint eine tolle Frau zu sein. Aber Heirat? Ich meine, du hast es schon mal versucht, und es hat nicht wirklich funktioniert. Wenn du nicht mein Bruder wärst, würde ich meinen Mund halten, aber …“

„Wir hatten schon immer eine unterschiedliche Einstellung zur Ehe und zu Frauen. Du weißt schon, diese Sache mit dir und Denise. Du musst es hinter dir lassen.“

„Das habe ich schon lange. Aber ich werde denselben Fehler nicht noch einmal machen.“ Er wollte nicht darüber sprechen. Jetzt ging es um Liam. „Du machst einen glücklichen und zufriedenen Eindruck. Ich schätze, ich hatte nicht damit gerechnet, dich so vorzufinden.“

„Nein? Dachtest du, ich wäre kurz vor meiner Hochzeit unglücklich?“

Lars zuckte mit den Schultern.

„Was die Ehe betrifft“, fuhr Liam fort, „habe ich von Bull einen der besten Ratschläge überhaupt bekommen. Er sagte, wenn man eine gute Frau gefunden hat, sollte man sie festhalten.“

Ein Bild von Delphi schoss Lars durch den Kopf. Das Gespräch ging zu tief. Zeit, die Situation etwas aufzulockern. „Das tue ich, die ganze Nacht lang.“

„Okay.“ Liam lachte. „Ich werde mich einfach zurücklehnen und abwarten. Irgendwann ist es auch bei dir so weit.“

Und wieder dachte Lars an Delphi.

„Es ist wunderschön“, sagte Delphi zu Skye und Dalton, als sie sich in deren Haus umsah. Es hatte einen großzügigen Grundriss, helle Holzböden, hell gestrichene Wände und hätte langweilig sein können, war es aber nicht. Die verschiedenen Schattierungen der hellen Farben wirkten beruhigend. Gerahmte Drucke an der Wand sorgten für Farbtupfer. Delphi ging hinüber, um sie sich genauer anzusehen. „Die sind fantastisch.“

„Nur ein Hobby“, erklärte Dalton mit einem breiten Grinsen. Es hatte keine zwei Minuten gedauert, da wusste Delphi, dass Dalton und Skye das perfekte Paar waren. Good Riddance und Dalton waren für ihre Freundin das Beste, was ihr auf dieser Welt hatte passieren können.

„Wenn die Damen mich bitte entschuldigen würden. Ich habe draußen ein Projekt, das ich überprüfen muss. Ich lasse euch allein, damit ihr vor dem Abendessen noch ein wenig tratschen … ähm, ich meine, plaudern könnt.“ Er gab Skye einen sanften Kuss auf den Kopf und ging zur Hintertür. Diese zärtliche Geste erfüllte Delphi mit Sehnsucht. Sofort dachte sie an den Kuss, den sie und Lars geteilt hatten. Während Dalton jedoch irgendwie süß war, war Lars gefährlich sexy.

„Er ist ein netter Kerl“, sagte sie zu Skye, als sich die Tür hinter Dalton schloss.

Skye setzte Teewasser auf.

„Manchmal ist er eine echte Nervensäge, aber er ist wunderbar. Als ich ihn das erste Mal traf, habe ich ihn für den unausstehlichsten Mann auf dem Planeten gehalten.“

„Wieso das?“ Wieder musste sie an Lars denken.

„Grüner Tee?“

„Hört sich gut an.“

„Er war arrogant und frech und persönliche Grenzen … vergiss es.“

Ja, ja und ja . Skye lächelte.

„Und viel zu sexy.“

Noch mal ja. Skye könnte ebenso gut über Lars sprechen. Schnell verdrängte Delphi den Gedanken. „Ganz offensichtlich hast du deine Meinung geändert.“

Skye lachte. „Dalton kann sehr überzeugend sein.“

Das alles konnte Delphi durchaus nachvollziehen. „Wie kommt er mit deinen Eltern zurecht?“

„Ob du es glaubst oder nicht, sie mögen ihn.“ Skye lachte, als sie heißes Wasser in die Teetassen schenkte. „Ich weiß, meine Eltern sind Snobs.“ Ups, Delphis Gedanken spiegelten sich wohl auf ihrem Gesicht wider. „Am Anfang haben sie ihn nicht gemocht, aber das hat sich schnell geändert. Wie haben deine Eltern es aufgenommen, dass du drei Monate weg bist?“

„Ich habe ihnen nicht die ganze Geschichte mit DeWitt erzählt. Es wäre eine Katastrophe gewesen.“

„Dein Vater hätte ihn umgebracht.“

„Wahrscheinlich. Sie glauben, dass ich hier bin, um die schöne Wildnis Alaskas kennenzulernen.“

„Auf jeden Fall bist du hier genau richtig. Du kannst alles für eine Weile hinter dir lassen und dich neu sortieren. Aber mach dich auf den Ansturm von Männern gefasst, die kommen werden. Egal wie alt. Sie alle werden an deine Tür klopfen. Du wirst keinen Moment Ruhe haben, bis du jedem von ihnen unzählige Male einen Korb gegeben hast. Sobald du in der Praxis angefangen hast, werden sie angestürmt kommen, einfach weil du neu, hübsch und Single bist.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

„Doch. Eigentlich gut, dass du die erste Woche im Bed and Breakfast untergebracht bist. Das wird die Männer davon abhalten, durch die Fenster zu schauen.“

„Was?“

„Als Dalton und ich das erste Mal, du weißt schon, intim wurden, habe ich hochgeschaut und einen Möchtegernfreier am Fenster entdeckt. Das hat mich zu Tode erschreckt.“

Delphi lachte. Skye war immer so zurückhaltend gewesen, und die Vorstellung … oh, mein Gott. „Das hast du gar nicht erwähnt, als du mir von diesem Ort erzählt hast.“

„Hatte ich wohl irgendwie vergessen.“

„Wegen der Hochzeit morgen …“

„Wirklich tolles Timing. Liam ist der Neffe von Merrilee und Bull, und da Merrilee die Gründerin und Bürgermeisterin der Stadt ist, sind sie, nun ja, die Version der Good Riddance Royals. Jeder wird dort sein.“

„Ich habe nur ein sehr legeres Kleid.“

„Mehr brauchst du auch nicht. Du kannst alle kennenlernen und Gerichte probieren, die du dir nicht vorstellen kannst – geschmorten Elch, getrocknetes Fleisch vom Karibu, geräucherten Heilbutt. Doch jetzt lass uns essen. Du musst erschöpft sein von der Reise und der Zeitumstellung. Ich bringe dich gleich nach dem Essen zurück in die Stadt, damit du dich ausruhen kannst. Morgen ist ein großer Tag für dich.“

Offensichtlich. Denn Delphi würde zu der Hochzeit gehen.

5. KAPITEL

Delphi streckte sich, um besser sehen zu können.

Es war schon seltsam, auf einer Hochzeit von Leuten zu sein, die sie gerade erst kennengelernt hatte, umgeben von Menschen, die ihr größtenteils unbekannt waren. Was die Kleidung betraf, so gab es eine große Bandbreite – von Jeans und T-Shirts bis hin zu formellen Kleidern und Anzug und Krawatte.

Die Kirche erwies sich als sehr schlicht. Kein Buntglas zierte die Fenster. Es gab keine Chorempore oder Ornamente. An der Stirnseite befand sich eine hölzerne Kanzel. Rechts davon stand ein auf Hochglanz polierter Steinway-Flügel.

Sie lehnte sich zu Skye hinüber und murmelte: „Ein Steinway? Wirklich?“

„Der Flügel ist wunderschön, nicht wahr? Ein wohlhabender Tourist, der den letzten Sommer hier zum Fischen verbrachte, hat ihn gestiftet. Er übernimmt auch die Kosten für den Klavierstimmer.“

„Wow.“

„Ich weiß. Aber er wird viel genutzt. Jefferson gibt jeden Dienstagabend kostenlose Klavierstunden.“

Der Flügel fügte sich wunderbar in die Schlichtheit des Raumes ein. Es war, als wäre alles andere bewusst schmucklos, um die Eleganz des Instruments zu betonen.

Der Raum strahlte eine wohltuende Ruhe aus, die vielen Kirchen, die Delphi im Laufe der Jahre besucht hatte, fehlte. Alles wirkte so friedvoll.

Ein gut gekleideter Mann, den sie als einen der älteren Herren erkannte, die gestern im Büro des Flugplatzes Schach gespielt hatten, setzte sich an den Flügel.

Skye flüsterte in Delphis Ohr: „Jefferson ist ein ehemaliger Jazzspieler. Sein Lieblingsinstrument ist das Saxofon, aber er spielt auch Klavier und Cello.“

In Good Riddance schienen interessante Menschen zu leben. Jefferson blickte über die Schulter und lächelte alle an. Es wurde still, und er begann zu spielen. „Young at Heart“, ein Lied, in dem Sinatra über Märchen sang, die wahr wurden.

Und in Delphis Hinterkopf spukte wieder Lars herum. Seit sie in die Kirche gekommen war, wartete sie darauf, ihn zu sehen. Gestern Abend und heute Morgen hatte sie gehört, wie er in seinem Zimmer herumlief, aber erstaunlicherweise waren sie sich weder in der kleinen Pension noch in der Stadt begegnet. Sie hatte ihn gehört, aber seit dem Kuss gestern Abend nicht mehr gesehen.

Neben ihr flüsterte Skye: „Ach, ist das süß. In Tansys Buch geht es darum, die Traumromanze zu finden.“

„Passt ja.“

Eine sehr farbenfrohe Frau mit knallrotem Haar, türkisfarbenem Lidschatten und grellem Lippenstift ging nach vorn. Sie trug ein altrosa Satin-Abendkleid und einen dazu passenden Turban, dessen Vorderseite mit rosa- und orangefarbenen Federn geschmückt war. Sie legte die Hand auf den Flügel, wandte sich der Gruppe zu und lächelte. Ihr fehlten ein paar Zähne, sie war mindestens siebzig Jahre alt.

„Alberta ist eine Gipsy Queen, Wahrsagerin und Heiratsvermittlerin“, flüsterte Skye.

Gipsy Queen. Delphi nickte. Auch das passte.

Jetzt löste eine Frau mit stahlgrauem Haar und einem strengen grauen Kleid Jefferson am Steinway ab. Dieser nahm sein Saxofon und stellte sich links neben den Flügel.

Das Ensemble wartete, während ein dünner Mann mit eulenartiger Brille, gefolgt von Liam und Lars Reinhardt, nach vorn ging. Skye hatte ihr erzählt, dass Mack Darcy die meisten Beerdigungen und Hochzeiten vornahm.

Mack, Liam und Lars stellten sich vor die Gemeinde. Delphis Herz begann zu rasen. Sie hatte Lars schon vorher für äußerst attraktiv gehalten, aber in seinem blauen Anzug …

Mr. Darcy forderte alle auf, sich zu erheben. Die Musiker begannen zu spielen, und Delphi erkannte die ersten Töne von „It Had to Be You“, noch bevor die in Rosa gekleidete Gypsy Queen zu singen begann.

Beinah hätte Delphi die Frau mit offenem Mund angestarrt. Auf die sanften Töne, die aus Albertas grell geschminktem Mund kamen, war sie nicht gefasst gewesen.

Tansy schritt am Arm ihres Vaters zum Altar. In ihrem Brautkleid aus Tüll und Organza schien sie förmlich zu schweben. In der Hand hielt sie einen schlichten Strauß aus Vergissmeinnicht. Delphi hatte gelesen, dass es sich dabei um die Staatsblume handelte.

Tansy und Liam hatten nur Augen füreinander.

Gegen ihren Willen ließ Delphi den Blick zu Lars wandern. Er sah sie an. Und es schien, als gäbe es nur sie beide.

Die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, war unglaublich, der Moment irgendwie magisch – das Saxofon, die Worte, der Mann …

Das Lied endete. Sie schüttelte leicht den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Geschehen, statt einen Mann anzuschmachten, den sie begehrte, bei dem sie sich aber nicht sicher war, ob sie ihn wirklich mochte.

Okay, es war nicht surrealer, als bei einem der größten Anlässe im Leben von Menschen dabei zu sein, die sie nicht kannte. Warum also sollte sie nicht von einem Mann verzaubert sein, von dem sie nicht verzaubert sein wollte?

Tansys Vater übergab seine Tochter. Das Ehegelübde war kurz und schlicht, aber aufrichtig. An einer Stelle kamen Delphi fast die Tränen. Die Liebe in den Gesichtern von Braut und Bräutigam rührte sie. Es war ein Blick auf etwas Kostbares und Reines, aber Reales.

Delphi hatte nie zu denen gehört, die von ihrer Hochzeit träumten. Sie kannte viele Frauen, die das Kleid und den Ring schon ausgesucht hatten, lange bevor ein echter Bräutigam auf der Bildfläche erschien. Das hatte sie nie so ganz verstanden. Sie hatte sich auf ihre Karriere konzentriert und den Gedanken ans Heiraten auf die lange Bank geschoben … und dabei war es geblieben.

Doch diese Hochzeit war so, wie eine Hochzeit sein sollte – ein öffentliches Treuegelöbnis, das Teilen ihrer Liebe mit Freunden und Familie … und einer Fremden.

Mr. Darcy erklärte sie zu Mann und Frau, und Beifall brandete auf. Liam küsste Tansy, und wieder konnte Delphi den Blick nicht von Lars wenden.

Ein paar weitere Leute bahnten sich ihren Weg nach vorn, nahmen Instrumente in die Hand und versammelten sich vor dem Paar. Die Musiker brachten eine mitreißende Interpretation von „When the Saints Go Marching In“ dar, als sie vor dem Paar aus der Kirche marschierten. Alle standen auf und begannen zu tanzen. Nach kurzem Zögern machte Delphi mit. Es war eine seltsame Musikwahl, besonders für eine Hochzeit, aber es machte Spaß.

Und als sie mit der Menge in den strahlenden Sonnenschein tanzte, merkte sie, dass sie ganz vergessen hatte, dass sie sich elend fühlte.

Der Empfang hatte gerade begonnen, als Lars Delphi mit der Ärztin der Stadt und noch einigen anderen Frauen und Männern durch die Tür des Gemeindezentrums schreiten sah.

Sie sah ihn auch. Eine Sekunde lang schauten sie einander in die Augen, genau wie in der Kirche, dann blickte sie weg. Er stieß sich von der Wand ab und drängte sich durch die Menge hindurch auf die andere Seite des Raums. Er hätte schwören können, dass die ganze Stadt zum Empfang gekommen war.

„Hi, Blondie.“

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Hallo, Marine. Schöne Trauung.“

„Finde ich auch.“ Er grinste. „Besser Liam als ich.“

„Ich bin sicher, die Braut ist derselben Meinung“, erwiderte sie schlagfertig.

„Zweifelsohne. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.“

„Du scheinst kein Fan von der Ehe zu sein.“

„Tatsächlich reagiere ich allergisch darauf.“

„Allergien können den Körper schwächen“, sagte sie.

Sie roch gut. Er wünschte, sie wären allein. Er wollte herausfinden, ob dieser Fleck an ihrem Nacken so süß war, wie er aussah. So süß wie ihre Lippen.

„Du solltest dir Hilfe holen“, meinte sie.

„Das habe ich. Ich gehe ihr aus dem Weg. Das ist das Sicherste. Für eine Frau, die nichts anzuziehen hat, siehst du … nett aus.“ Er beugte sich näher zu ihr, wobei ihre Schulter seine streifte. Dann murmelte er so leise, dass nur sie es hören konnte: „Obwohl dieses Kleid etwas verrucht ist und zu nicht ganz so netten Gedanken führt.“

Auch wenn ihr grün-weißes Sommerkleid nicht offenkundig sexy war, schmiegte sich das enge Oberteil verführerisch an ihre Brüste. Die Farben waren frisch, so wie Gras im Frühling, ließen ihn aber an Hitze und die aufreizenden Stellen denken, die unter dem Stoff verborgen lagen.

Sie drehte den Kopf und flüsterte ihm ins Ohr: „Funktioniert dieser Spruch normalerweise?“

Ein Paar rempelte sie im Vorbeigehen an, und sie wurde kurz gegen ihn gedrückt. Er fing sie auf … und hielt sie fest. „Ich weiß nicht – ich habe ihn noch nie benutzt. Funktioniert er?“

Sie lächelte, als sie sich aus seinem Griff löste. „Wie schnell du doch vergisst“, murmelte sie. „Nur zur Erinnerung. Ich bin immun gegen dich.“

„Ach, ist das so?“ Er nickte in Richtung der tanzenden Paare in der Mitte des Raums. „Wir sollten tanzen. Wenn du weiter so dicht bei mir stehst, werden die Leute reden.“

Natürlich war es ihm egal, was die Leute dachten, aber es machte Spaß, sie zu necken und mit ihr zu flirten. Und Tanzen war eine gute Möglichkeit, sie eng an sich zu ziehen.

„Sorgst du dich um deinen Ruf?“

„Ich muss daran denken.“

Er verbeugte sich formell vor ihr und streckte die Hand aus. „Darf ich bitten?“

„Warum bin ich mir sicher, dass ich es bereuen werde?“ Trotzdem legte sie die Hand in seine.

Er lächelte nur.

Nelson war der DJ des Abends. Offensichtlich hatte Tansy eine Vorliebe für nostalgische Musik, denn es lief „All of Me“. Delphi lachte fröhlich, als Lars sie gekonnt auf der Tanzfläche herumwirbelte. Sie hatte noch nie zu dieser Art von Musik getanzt und nie zuvor einen Partner gehabt, der so souverän führte. Der Mann steckte voller Überraschungen. Er war ein hervorragender Tänzer, brachte Bomben zur Detonation und küsste verdammt gut.

Leicht atemlos brachte sie hervor: „Wo hast du gelernt, so zu tanzen?“

„Ich habe Unterricht in der Highschool genommen. Ich tanze gern.“

„Du bist gut.“

„Ich bin in vielen Dingen gut.“

„Ist das eine Tatsache oder eine Meinung?“

„Etwas von beidem.“

„Ich nehme dich beim Wort.“

„Ich könnte dir meine Zertifikate zeigen.“

„Oh, du bist zertifiziert. Beeindruckend.“

„Ich trage sie nicht mit mir herum, also muss ich dich wohl selbst entscheiden lassen.“

„Das ist okay. Ich glaube dir.“

„Ah. Du vertraust mir also.“ Die Musik wechselte zu einer langsameren Nummer. Er zog sie enger an sich.

Sie lachte unbekümmert. „Wohl kaum.“ Das Schöne war, was auch immer zwischen ihnen vorging, erforderte kein Vertrauen.

„Aua, das tut weh.“

„Nimm’s nicht persönlich.“

„Heißt das, dass du niemandem vertraust?“

„Nur wenigen Auserwählten.“

„Ah. Vorsichtig.“ Er legte sein Kinn auf ihr Haar und drückte sie an sich. Sie fühlte sich gleichermaßen sicher und verletzlich, was so beunruhigend war wie ihr Herzklopfen.

„Hart erkämpfte Lektion.“

„Verstehe.“

Das bezweifelte sie, aber warum sollte sie widersprechen? „Wenn du es sagst.“

Lächelnd sah er sie an. „Es ist nicht einfach, sich mit dir zu unterhalten.“

„Nein? Du scheinst viel zu sagen zu haben.“

„Genau das meine ich. Ich muss das Reden übernehmen.“

„Das ist leicht zu ändern. Such dir eine andere Gesprächspartnerin.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wusste sie, dass sie das nicht wirklich wollte.

„Ich möchte mich aber mit keiner anderen unterhalten. Nur mit dir.“

„Warum?“

„Du faszinierst mich.“

Sie lachte. „Nein, tue ich nicht.“

Sein Gesichtsausdruck sagte ihr, dass sie ihn überrumpelt hatte. „Hmm. Warum, denkst du, will ich dann mit dir zusammen sein?“

„Du willst nur mit mir reden, weil ich nicht daran interessiert bin. Ich bin weder von deinem guten Aussehen noch von deinem Charme beeindruckt.“ Okay, sie wussten beide, dass das nicht ganz stimmte.

„Bist du nicht? Verdammt.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich immun bin.“

„Also, lass uns reden. Dann werden wir sehen, ob ich immer noch interessiert bin.“

„Hmm.“ Sie tat, als würde sie darüber nachdenken.

„Angesichts dessen, wie gesprächig du bist, denke ich, du hast gerade gesagt: ‚Du hast recht, Lars. Ich denke, das ist ein spektakuläres Experiment. Lass es uns ausprobieren.‘“

Angesicht des Spaßes, den sie hatte, schienen sich all ihre Entschlossenheit und ihr gesunder Menschenverstand in Luft aufzulösen.

Sie lachte ihn an und wusste nicht, wer verrückter war – er mit seinem entwaffnenden Charme oder sie, weil sie so empfänglich dafür war.

6. KAPITEL

Es hatte als Lächeln begonnen, das einem herzhaften Lachen wich – ein bisschen so, als würde man morgens die Sonne über dem Horizont aufgehen sehen.

„Okay, dann tue ich mal so, als wäre ich an einem Gespräch mit dir interessiert.“

„Blondie, ich bin mir nicht sicher, ob ich mit diesen Schmeicheleien richtig umgehen kann“, sagte er und führte sie von der Tanzfläche.

„Und ich bin ganz sicher, du kannst es.“

Hier standen sie inmitten einer kleinen Schar, und Lars wollte Delphi wieder küssen. Das Bedürfnis war so groß, dass es ihn tatsächlich langsam zur Verzweiflung trieb. Er war jedoch sicher, dass er alle Fortschritte durch einen Kuss wieder zunichtemachen würde.

„Möchtest du gern etwas …“

Bevor er den Satz beenden konnte, endete die Musik, und der DJ sprach ins Mikrofon. „Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten darf, Liam und Tansy werden gleich den Kuchen anschneiden, und sie möchten, dass jeder ein Stück davon genießt.“ Er lächelte. „Und anschließend gehen alle Frauen bitte auf eine Seite des Raums und alle Männer auf die andere. Das Brautpaar wird dann den Brautstrauß und das Strumpfband werfen.“

„Ich bin erstaunt, dass Liam so lange durchgehalten hat“, sagte Lars zu Delphi. „Er ist nicht der Partytyp.“

Sie beugte sich näher zu ihm, und ihre Brust streifte seinen Arm, was erneut einen heißen Schauer durch seinen Körper sandte. „Na ja, er heiratet ja nicht jeden Tag.“ Ihr Atem strich warm über seine Wange.

„Er muss sie wirklich lieben.“

Delphi lachte. „Das hoffe ich doch.“

Beide blieben zurück, als sich alle nach vorn bewegten. Von dort, wo sie standen, hatten sie einen guten Blick auf Liam und Tansy. Sein Bruder und seine Schwägerin lachten und tauschten verliebte Blicke, als sie gemeinsam die Hochzeitstorte anschnitten.

„Hast du gesehen, wie sie sich bei der Trauung angesehen haben?“, fragte Delphi. Lag da ein Hauch von Wehmut in ihrer Stimme? Lars bezweifelte es.

„Ich konnte nur Tansy sehen.“

„Es war hinreißend.“

Delphi war auch hinreißend, selbst mit den seelischen Narben, die sie offensichtlich hatte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Liam und Tansy. „Liam sieht sie anders an, als er seine Exfrau angesehen hat.“

„Ich wusste gar nicht, dass er schon mal verheiratet war. Warst du jemals verheiratet?“

„Nein. Ich bin diesem speziellen Ruf der Pflicht nie gefolgt. Du?“

„Ruf der Pflicht. Denkst du immer in militärischen Begriffen?“

„Meistens.“ Wich sie der Frage aus? „Also, hast du irgendwo einen Ex rumlaufen?“

„Nein. Ich hatte andere Prioritäten.“

„Die da wären?“ Es war keine Herausforderung, eher Neugier. Nicht, dass jede Frau, mit der er ausgegangen war, erpicht aufs Heiraten gewesen wäre, aber Delphi war irgendwie anders. Sie schien einfach in keine Kategorie zu passen.

„Vergiss den Gedanken nicht. Ich hätte jetzt gern ein Stück Kuchen.“

„Bring mir doch ein Stück mit, und ich hole zwei Glas Punsch.“

„Abgemacht. Ich bin schon fast vertrocknet.“

Sie sah gar nicht vertrocknet aus, sondern großartig und lebendig: gerötete Wangen, funkelnde Augen, volle Lippen, wunderbares Dekolleté.

Lars gab der Versuchung nach und zog sie an sich. Dann küsste er sie hart und fordernd. Ihre Augen waren weit aufgerissen, als er sie losließ.

„Entschuldige, ich …“ Er verstummte, weil ihm ausnahmsweise die Worte fehlten.

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Keine Entschuldigung nötig, Marine.“

Er war kurz davor, vorzuschlagen, dass sie verschwinden und ihr eigenes Fest feiern sollten, als vorn im Raum ein Tumult entstand. Lars musste nicht einmal hinsehen, um zu wissen, was passiert war.

Ihn überraschte nur, wie lange es gedauert hatte.

Der Zusammenbruch schreckte Delphi aus dem Rausch der Begierde auf – nur so konnte man es beschreiben – und versetzte sie in Alarmbereitschaft. Sofort steuerte sie auf den Unglücksort zu.

Zum Glück besaßen die Leute genug Verstand, ihr aus dem Weg zu gehen. Janie Reinhardt lag zusammengekrümmt auf dem Boden, inmitten umgeworfener Stühle, einem zerknitterten Tischtuch und allem, was auf dem Tisch gestanden hatte. Schnell blickte Delphi sich nach Skye und Nelson um, konnte aber beide nicht entdecken.

Die Hautfarbe von Lars Mutter war gut, stellte Delphi fest, als sie sich hinunterbeugte. Normal, nicht klamm und verschwitzt.

Visuelle Reize? Delphi wedelte mit der Hand vor dem Gesicht der Frau. Keine Reaktion.

Akustische Reize? „Dr. Reinhardt? Jane? Können Sie mich hören?“ Keine Reaktion.

Delphi checkte den Puls. Er war etwas beschleunigt, aber nicht schlimm.

Im Raum war es unheimlich ruhig, trotz der vielen Menschen. Jane schien immer noch bewusstlos zu sein. Es gab nichts, was sie jetzt tun konnte – sie wollte sie nicht bewegen, für den Fall, dass sie sich am Kopf oder der Wirbelsäule verletzt hatte.

Schmerzreiz. Delphi legte die Fingerknöchel mittig auf Janes Brustbein und rieb.

Jane Reinhardt heulte fast auf, als sie auf Delphis Hand schlug. „Wollen Sie mich umbringen?“

Okay, die Patientin war nicht mehr bewusstlos. „Nein, Ma’am. Ich habe Ihre Reaktion auf Reize überprüft. Und wie ich sehe, sind Sie bei Bewusstsein.“

Verwirrt sah Jane sich um. „Was ist passiert?“

Ein Murmeln ging durch die Menge.

„Sie sind ohnmächtig geworden. Ist das schon mal passiert?“

„Oje. Ich nehme an, die Aufregung war einfach zu groß. Dann passiert es manchmal.“

Jane wollte sich aufsetzen, aber Delphi hielt sie sanft, aber bestimmt zurück. „Moment.“ Sie prüfte kurz, aber gründlich die Reflexe und visuellen Reaktionen der älteren Frau. Dann tastete sie Janes Kopf nach einer Schwellung ab. Blut war nirgendwo zu sehen. Alles schien in Ordnung zu sein, was Delphi angesichts des Sturzes überraschte. Die Lady hatte Glück gehabt.

„Ich denke, es ist alles in Ordnung. Haben Sie irgendwo Schmerzen? Sehen Sie verschwommen? Ist Ihnen schwindelig oder übel?“

„Natürlich habe ich Schmerzen“, gab Jane schnippisch zurück. „Ich bin gefallen.“

Delphi ließ den Kommentar an sich abprallen. Sie hatte reichlich Erfahrung mit schwierigen Patienten. „Wo genau tut’s denn weh?“

Delphi sah, dass Jane einen bissigen Kommentar hinunterschluckte und zuckersüß erwiderte: „Tut mir leid, es tut alles etwas weh.“ Sie warf einen Blick auf das Chaos um sich herum. „Aber ich bin wohl ziemlich hart gestürzt.“

Delphi setzte ein professionelles Lächeln auf, während sie Jane stützte und am Ellbogen festhielt. „Lassen Sie uns ganz langsam aufstehen.“

Jane versuchte es, und obwohl Delphi sie festhielt, sank sie zurück auf den Boden. Seltsamerweise übte sie tatsächlich Druck gegen Delphis Arm aus, um wieder auf dem Boden zu landen.

„Ich denke, ein paar Männer können mir vielleicht besser helfen. Ich möchte nicht noch mal fallen.“

Einige Männer traten gleichzeitig vor, bereit zu helfen.

Plötzlich fiel ihr Lars’ kryptische Bemerkung im Flugzeug ein, dass sie mit seiner Mutter fertigwerden könnte. Im selben Moment begriff sie. Sie lächelte die Männer an und schüttelte den Kopf. Zu Jane sagte sie: „Nein. Wir beide kommen schon zurecht. Arbeiten Sie diesmal genauso hart am Aufstehen, wie Sie gerade daran gearbeitet haben, wieder zu Boden zu sinken.“

Das brachte ihr einen bösen Blick ein, der sich schnell in einen leidenden verwandelte. „Also gut, ich versuche es noch mal.“

Beim zweiten Versuch schaffte Jane es, auch wenn sie schwankte, als sie wieder auf den Füßen stand und nach dem Arm einer der Männer griff. „Danke.“

Janes Dank war an den Mann gerichtet, nicht an Delphi. Doch das überraschte sie nicht im Geringsten. Sie hatte Jane ausgebremst, und das passierte Dr. Reinhardt sicherlich nicht oft.

Als sie den Raum kurz nach Nelson abgesucht hatte, war Delphi Lars’ harter Blick aufgefallen – definitiv ein Ausdruck, den sie noch nicht an ihm gesehen hatte. Jetzt wurde ihr bewusst, dass keiner von Janes Familie – Liam, Lars, Dirk oder Bull – zu Hilfe geeilt war, sondern sie einfach nur dastanden und zusahen. Merrilee und Tansy taten übrigens dasselbe. Hmm.

Erneut überprüfte sie Janes Vitalfunktionen, nachdem sie zu einem der Stühle begleitet worden war und Platz genommen hatte. Der Mutter des Bräutigams schien es gut zu gehen.

Und dann konzentrierten sich alle auf das Werfen des Brautstraußes und des Strumpfbandes und die anschließende Abreise des Brautpaares, doch der Zauber und die Magie schienen verflogen. Der Abschied von Tansy und Liam fühlte sich nach Janes Ohnmachtsanfall ziemlich enttäuschend an.

Lars trat an ihre Seite. Noch immer hatte er diesen harten Gesichtsausdruck. „Ich bin überrascht, dass es so lange gedauert hat. Während der ganzen Hochzeitsfeier habe ich den Atem angehalten. Aber es macht irgendwie Sinn, dass sie so lange gewartet hat.“

„Willst du damit sagen, dass dieser Ohnmachtsanfall nur vorgetäuscht war?“

Sie hatte es bereits vermutet, denn der Sturz hatte doch sehr inszeniert gewirkt.

„Hundertprozentig.“

„Okay …“ Delphi wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie befand sich hier auf unbekanntem Terrain.

„Hat sie sich etwas gebrochen? Hat sie eine Beule am Kopf? Natürlich nicht, denn sie ist nicht wirklich ohnmächtig geworden. Sie zieht diese Nummer ab, seit wir Kinder waren. Mom erträgt es nicht, nicht im Mittelpunkt zu stehen, also täuscht sie eine Ohnmacht vor, und siehe da, alle konzentrieren sich plötzlich auf sie.“

„Das ist …“

Er unterbrach sie, bevor sie sagen konnte, dass sie zu demselben Schluss gekommen war. „Narzisstisch? Selbstverliebt? Ja, genau. Am besten ist, es einfach zu ignorieren oder es zumindest runterzuspielen.“

„Deshalb hat keiner von euch geholfen?“ Es war teils eine Beobachtung, teils eine Frage, aber völlig wertfrei.

„Genau. Es mag allen gefühllos vorkommen, aber die Situation eskaliert, wenn einer von uns reagiert.“

„Verstehe.“

„Das tust du wirklich, nicht wahr?“

„Was ist daran nicht zu verstehen?“

„Es gab mal so eine Tussi … ich meine, Frau, die hat mir gesagt, dass ich meine Mom einfach nicht verstehe und dass ich mehr Mitgefühl haben soll. Sie hat mich für einen Mistkerl gehalten.“

All die unfairen, ungerechtfertigten Anschuldigungen und all die Lügen, die über sie verbreitet worden waren und die man geglaubt hatte, schossen ihr durch den Kopf. „Manche Menschen müssen zu allem ihren Senf dazugeben.“

Er warf ihr einen fragenden Blick zu.

Urplötzlich sehnte sie sich nach der Privatsphäre ihres Zimmers. „Es hat Spaß gemacht, aber ich werde mich jetzt zurückziehen.“

„Ich bringe dich zurück.“

„Das ist nicht nötig.“

„Ich möchte es aber gern.“

„Vielleicht möchte ich es nicht.“

„Vergiss es, Blondie. Mein Ruf wäre ruiniert, wenn ich mein Date allein nach Hause gehen lassen würde.“

Es lag ihr auf der Zunge, dass sein Ruf weder ihre Angelegenheit noch ihre Verantwortung war, aber mit Lars zu diskutieren, erwies sich als nutzlos. Er setzte sich charmant darüber hinweg oder brachte ein Argument hervor, das zwar unsinnig war, aber Sinn ergab, wenn es aus seinem sexy Mund kam.

„Okay.“

„Dann lass uns gehen.“ Galant bot er ihr den Arm, und in einem Anflug von Unbeschwertheit, wie sie sie schon lange nicht mehr erlebt hatte, hakte sie sich ein. „Oh, danke, Sir.“

„Verdammt, Blondie, du lässt nach. Du warst gerade nett zu mir.“

„Keine Sorge. Das war ein einmaliger Ausrutscher. Also gewöhn dich gar nicht erst daran.“

Und sie besser auch nicht.

„Danke, Dirk“, sagte Merrilee, als sie den letzten Tisch im Gemeindezentrum an seinen Platz zurückstellte.

„Kein Problem.“ Er hatte angeboten, nach der Feier zu bleiben und Merrilee beim Aufräumen zu helfen.

Wo hätte er sonst auch hingehen, was tun, wen treffen sollen? Liam und Tansy waren in die Flitterwochen an einen unbekannten Ort aufgebrochen. Lars und diese neue Krankenschwester, Delphi, hatten auf der Party geknutscht und waren dann gegangen. An Bull war es hängen geblieben, Aunt Janie in die neue Frühstückspension zurückzubringen. Und Dirk würde sich lieber eine Schlammschlacht mit einem Alligator liefern, als mit Aunt Janie herumzuhängen. Der Alligator war netter.

Am Montag würden Lars und er ins Camp fliegen. Lars würde einen Tag dort verbringen, um es zu erkunden. Den Rest der Woche wäre Dirk allein dort, was ihm ganz gut passte. Er musste einige Dinge für die nächste Trainingseinheit vorbereiten, die am Montag in der darauffolgenden Woche beginnen würde. Und da er sich die ganze Zeit allein fühlte , dachte er sich, er könnte genauso gut auch allein sein .

„Ich denke, das war’s“, sagte Merrilee und sah sich noch einmal um. „Es war eine schöne Hochzeit, nicht wahr? Liam und Tansy passen gut zusammen.“

„Besser als Natalie und er.“ Verdammt, das war ihm einfach so herausgerutscht. Aber es überraschte ihn nicht – Natalie spukte ständig in seinem Kopf herum.

Merrilee warf ihm einen fragenden Blick zu. „Ich habe Natalie nie kennengelernt. Wie ist sie denn so?“

„Nett. Und wirklich hübsch. Temperamentvoll. Sie ist Lehrerin. Wir sind zusammen aufgewachsen. Sie wohnte nebenan.“

„Ich nehme an, ihr seid Freunde geblieben und habt Kontakt?“

„Nicht wirklich, na ja, nicht so viel. Ich hatte schon seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen, bis Tansy und Liam zusammenkamen. Seitdem haben wir ein paar Mal gemailt.“

„Oh, verstehe.“ Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, und hoffte, dass Merrilee es nicht bemerkte. Ihr Tonfall und ihr Lächeln sagten, dass sie es tat. Sie ahnte, dass er unglücklich in Natalie verliebt war.

„Ich habe überlegt, sie zu einem Besuch hierher einzuladen“, meinte er und fügte dann schnell hinzu: „Lars hat gesagt, ich soll es tun. Es war seine Idee.“ Es konnte nicht schaden, die Meinung einer Frau zu dieser Idee einzuholen.

Sie zögerte nicht. „Sicher. Warum nicht? Es ist wunderschön hier, und da Liam und sie sich in aller Freundschaft getrennt haben, sollte es auch nicht peinlich sein. Lade sie ein, wenn du es gern möchtest.“

„Und zu wann?“, murmelte er.

Merrilee lächelte und tätschelte seinen Arm. „Es gibt keine bessere Zeit als die Gegenwart. Wenn sie Lehrerin ist, hat sie bald Sommerferien.“

„Das hatte ich ganz vergessen.“ Er hatte tatsächlich nur daran gedacht, dass sie Nein sagen könnte – falls er überhaupt den Mut aufbrachte, sie zu fragen. Er schob die Hände in die Taschen.

„Die Tage sind jetzt lang, das Wetter ist schön. Wir können sie entweder bei mir unterbringen oder bei Alyce. Einer von uns sollte ein Zimmer frei haben.“

Bei Merrilee und Lars klang alles so einfach. „Also, was soll ich sagen? Ich bin in diesen Dingen nicht besonders gut.“

„Hast du in deinen Mails schon mal einen Besuch erwähnt?“

„Nein. Nicht wirklich.“

„Was heißt ‚nicht wirklich‘?“

„Na ja, sie hat ein paar Mal geschrieben, dass es hier wirklich schön zu sein scheint.“

„Für mich hört sich das so an, als hätte sie darauf gewartet, dass du sie einlädst.“

„Meinst du? Ich dachte, sie ist einfach nur höflich.“

„Ich kenne sie nicht, deshalb ist das schwer zu sagen. Aber wenn sie es ein paar Mal angesprochen hat, ist sie vermutlich bereit für einen Besuch.“

„Hmm … okay.“

„Dirk, ich hoffe, du findest es nicht übergriffig, aber soll ich dir helfen, Natalie zu schreiben?“

Übergriffig? Im Gegenteil! „Wenn du es einfach für mich schreiben würdest, wäre es noch besser.“

Merrilee lachte. „Nein. Die Nachricht musst du schon selbst verfassen.“ Genau das war das Problem. Er war eine Niete im Umgang mit Worten. „Aber ich könnte dir dabei helfen.“

Es gab also noch Hoffnung.

„Okay.“

„Machen wir uns an die Arbeit.“

„Du meinst jetzt?“ Ihm wurde plötzlich übel.

Merrilee hakte sich bei ihm ein und zwinkerte ihm zu. „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“

Wenn sie das sagte.

7. KAPITEL

Lars blickte auf die Frau, die neben ihm ging, und sah sie plötzlich in einem anderen Licht – und das lag nicht nur daran, dass sie draußen in der Sonne waren.

Es war seltsam, definitiv unerwartet. Dieses eine Gespräch über seine Mutter hatte die Dinge verändert. Delphi verstand ihn auf eine Weise, wie es niemand außerhalb seiner Familie tat.

Fragend sah sie ihn an. „Alles okay mit dir?“

Sie waren bereits an der Pension vorbei, gingen aber weiter. Trotz der Menschen, die unterwegs waren, schien es, als wären Delphi und er allein.

„Natürlich. Alles okay.“ Es nervte, dass sie ihn so leicht zu durchschauen schien.

Sie wirkte nicht überzeugt, lächelte aber. „Du bist so still geworden. Das passt so gar nicht zu dir.“

„Ich hasse es einfach, wenn meine Mutter diese Show abzieht“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Es ist … ich weiß nicht …“ Er brach ab, ohne zu wissen, was er eigentlich zu sagen versuchte.

Delphi zögerte einen Moment. „Vielleicht liegt es daran, dass sie manipulativ ist. Ein Opfer von Manipulation zu sein, macht Menschen wütend. Und du hast jetzt ein schlechtes Gewissen, denn offensichtlich ist sie nicht in der Lage, einfach nur zu genießen und zuzulassen, dass andere Spaß haben.“

Lars dachte darüber nach. Genau das war es. „Ja. Das trifft es ziemlich genau. Also halten wir uns alle einfach raus.“

Sie erreichten das Ende des Bürgersteigs, überquerten die Straße und liefen den Weg zurück. „Was glaubst du, warum Liam nach Alaska gekommen ist?“

„Nicht, um das Survival Camp aufzubauen?“

„Nein. Er war nur wütend und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte, als er aus medizinischen Gründen beim Militär ausgemustert wurde. Er musste irgendwo hin und sich neu orientieren, deshalb kam er hierher.“

„Und jetzt bist du hier … vorübergehend“, sagte sie.

„Ja.“ Er öffnete die Tür zur Pension und wartete darauf, dass Delphi vor ihm eintrat. „Genau wie du.“

Sie gingen die Treppe hinauf und blieben vor ihrer Zimmertür stehen. Lars trat näher zu ihr. „Wir haben also etwas gemeinsam.“ Sie duftete nach Sonne und frischer Luft. „Wir sind beide nur kurz hier. Vielleicht vertraust du mir nicht – was ich nicht persönlich nehme, da du niemandem vertraust –, aber du musst mir auch nicht vertrauen. Ich mache keine Versprechen. Ich will nichts weiter als die Chance, die nächsten fünf Tage deine Gesellschaft zu genießen. Und ich biete nichts an, was über die fünf Tage hinausgeht.“

Sie lehnte sich gegen die Wand und sah zu ihm auf. Der Ausdruck in seinen Augen war in dem schwachen Licht nicht zu erkennen. „Und wenn ich nicht interessiert bin?“

Er wollte sie küssen, würde sie gern einfach hier an der Wand nehmen. Doch das war nicht der richtige Zeitpunkt.

Trotzdem zuckte er mit den Schultern. „Dann bist du eben nicht interessiert. Ich habe Urlaub, der aber nicht ganz so gut sein wird, wie er sein könnte, und dann kehre ich in den aktiven Dienst zurück.“

„Und was, wenn ich mehr will als die nächsten fünf Tage?“

Sie spielte eindeutig den Advocatus Diaboli.

„Delphi, mein Job und mein Leben hängen von der Fähigkeit ab, eine Situation einzuschätzen, das Risiko und den wahrscheinlichen Ausgang. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass du mehr willst als die nächsten fünf Tage – nicht weil wir uns nicht gut verstehen würden, aber ich glaube nicht, dass einer von uns was Festes sucht.“

Ihr feines Lächeln hatte etwas Erotisches. Diese Frau hatte es ihm wirklich angetan. „Ich glaube, das hast du schon mal gesagt.“

„Das gebe ich gern zu. Ich mag es, offen und ehrlich zu sein. Ich fühle mich zu Frauen hingezogen, die nicht darauf aus sind, sich zu verlieben. Du wirkst so auf mich. Das Letzte, was ich möchte, ist, jemandem das Herz zu brechen.“

„Und wenn ich Nein sage? Was dann? Manche Männer können nicht damit umgehen, einen Korb zu kriegen.“

Er dachte, das hätten sie gerade besprochen. Offenbar hatte irgendwann einmal – vermutlich sogar erst kürzlich – jemand ihre Ablehnung nicht gut verkraftet. „Dann bin ich enttäuscht, aber das war’s dann auch. Ich fühle mich zu dir hingezogen, aber ich bin nicht verzweifelt. Wenn du Nein sagst, muss ich das akzeptieren.“ Er trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen die Wand, um ihr mehr Raum zu geben.

Sie musterte ihn einen Moment lang. „Bist du eigentlich schon mal abgewiesen worden?“

„Natürlich.“ Er hielt kurz inne. „Ich würde dir gern etwas zeigen.“

Gespielt empört riss sie die Augen auf. „Na, das geht jetzt aber ein bisschen schnell …“

Er lachte wieder. Ja, definitiv würde er ihr das gern zeigen. „Ich möchte mit dir zum Mirror Lake. Das ist ein Thermalsee, der nie zufriert, und ein Paradies für Adler. Ich dachte an einen späten Abendausflug und ein Bad.“

„Ich habe keinen Badeanzug dabei.“

Er grinste. „Und ich keine Badehose. Neun Uhr?“

Sie zögerte so lange, dass er schon mit einem Korb rechnete. Schließlich sagte sie: „Neun Uhr passt.“

„Soll ich an deine Tür klopfen?“

„Wir treffen uns draußen.“

„Wie du meinst.“

Dieses Scharmützel hatte er für sich entschieden und damit Boden gutgemacht.

Delphi ließ sich auf das Bett fallen und starrte an die Decke. Offensichtlich waren ihr die Hochzeit und der Spaß auf dem Empfang zu Kopf gestiegen, denn sie hatte zugestimmt, mit Lars Reinhardt auszugehen. Und nachdem sie zugestimmt hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie sehr gern Ja gesagt hatte.

Was war aus ihrem Eindruck geworden, dass sie ihn dreist und nervig fand? Nun, er war ziemlich dreist, aber eigentlich gar nicht so nervig, wenn man sich erst einmal an ihn gewöhnt hatte. Sie hatte sich auf dem Empfang so gut amüsiert. Das Tanzen, das Flirten und dann dieser sexuelle Funke, der zwischen ihnen aufgesprüht war.

Nach dem Vorfall mit DeWitt war sie so wütend und wie betäubt gewesen, dass sie seitdem nicht das geringste sexuelle Verlangen verspürt hatte. Lars hatte das geändert. Sie fühlte sich definitiv nicht mehr wie betäubt. Und, so stellte sie erschrocken fest, sie war nicht mehr auch nur annähernd so wütend, wie sie es gewesen war. Seine Berührungen, sein Atem in ihrem Nacken, als sie getanzt und sich im Flur unterhalten hatten, seine pure Männlichkeit …

Der ganze Nachmittag war aufregend und romantisch gewesen, gewürzt mit einer Prise knisternder Erotik.

Trotzdem, Lars war ein Fremder, und sie hatte zugestimmt, mit ihm an einen See zu fahren.

Sie rief Skye auf dem Handy an und kam gleich zur Sache. „Also, ich habe den Verstand verloren und zugestimmt, heute Abend mit Lars Reinhardt an den Mirror Lake zu gehen. Weißt du etwas über ihn?“

Sie spürte Skyes Zögern am anderen Ende der Leitung. „Ich weiß nur, dass er Bulls Neffe ist. Jeden anderen Mann hier könnte ich einschätzen, aber Lars ist eine unbekannte Größe.“

„Ich will hier nicht mit demselben miesen Gefühl anfangen, mit dem ich in Atlanta aufgehört habe.“

„Ich wüsste nicht, wie das passieren könnte. Vielleicht helfen ein paar Verabredungen mit Lars, über diesen ganzen Mist mit DeWitt hinwegzukommen“, überlegte Skye. „Ich verstehe, dass du die Sache geheim halten willst. Aber er hätte es verdient, bei der Ärztekammer gemeldet zu werden.“

„Das hätte er, aber außer einer kleinen Ermahnung hätte er sicher nichts zu befürchten. Und ich bliebe weiter arbeitslos. Es klafft eine große Lücke zwischen der idealen und der realen Welt.“

„Ich weiß. Deshalb ist es vielleicht gut, für eine Weile mit einem attraktiven Mann in eine ideale Welt zu flüchten. Fühlst du dich zu ihm hingezogen?“

Ein Schauer durchlief Delphi bei der Erinnerung an seine Nähe. „Ist der Himmel heute blau?“ Sie lachte in sich hinein. „Gestern war ich mir nicht sicher, ob ich ihn mag, aber so langsam gefällt er mir.“

Skye lachte. „Das kommt mir bekannt vor.“ Mit Dalton hatte sie eine ähnliche Erfahrung gemacht. „Ich sage nur: Geh mit ihm, und genieße es. Selbst wenn Lars ein Flop ist, der Mirror Lake ist beeindruckend.“

„Okay. Ich werde gehen und Vorsicht walten lassen. Extreme Vorsicht. Übrigens, kann ich irgendwo in der Stadt einen Badeanzug kaufen?“

„Good Riddance ist nicht gerade voll von Modegeschäften.“ Delphi hatte Skyes trockenen Humor immer gemocht. „So etwas müsstest du bestellen.“ Skye zögerte. „Ich habe zwei, wenn du sie probieren willst. Sie sind gewaschen, und ich habe sie seit letztem Jahr nicht mehr getragen.“

„Sicher?“

„Absolut. Dalton fährt später zu Donnas, um Werkzeug zu holen. Er kann sie dir vorbeibringen, wenn das okay für dich ist.“

„Du bist eine Lebensretterin, Skye.“

„Das ist mein Job“, erwiderte ihre Freundin.

„Ha. Im Ernst, danke, dass du mich gebeten hast, herzukommen, und danke, dass du mir einen Badeanzug leihst. Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.“

„Ich freue mich, dass es dir hier gefällt. Hab Spaß heute Abend.“

„Das ist der Plan.“

Mit Volldampf voraus … fünf Tage lang. Und auch wenn Delphi ihrem eigenen Urteilsvermögen nicht mehr traute, Skye konnte sich nicht irren.

Lars rutschte auf seinem Stuhl hin und her und wartete ungeduldig darauf, dass das Abendessen vorbei war. Sie saßen am Küchentisch in Bulls und Merrilees Küche über dem Baumarkt. Merrilees Pasta mit Fleischsauce schmeckte unglaublich.

Trotz Merrilees Bemühungen hatte Dr. Jane Reinhardt das Gespräch gleich zu Beginn an sich gerissen. Eigentlich handelte es sich nicht um ein Gespräch, sondern um einen Monolog.

„Also habe ich dem Dekan sehr schnell gesagt, dass ich nicht mitmachen würde bei …“

Bla, bla, bla … wen interessierte das schon? Ihn nicht. Es war immer der gleiche Mist. Lars’ Gedanken schweiften zu seinen Plänen für den Abend ab – Mondschein, warmes Wasser und eine kühle Blondine, die sich in seinen Armen alles andere als kühl angefühlt hatte, als sie getanzt hatten.

„Lars, hörst du mir überhaupt zu?“, fragte seine Mutter in scharfem Ton.

Verdammt, wenn er nicht aufpasste, würde sie explodieren, und das wäre nicht schön.

„Mom, du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit.“ Er schob seinen Teller beiseite, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bitte, fahr fort.“

„Sarkasmus ist völlig unangebracht, mein Sohn. Aber wie ich schon sagte, habe ich meine Änderungen des Studieninhalts dem Dekan gebracht …“

„Wann reist du ab?“, unterbrach Lars seine Mutter, obwohl er die Antwort auf seine Frage bereits kannte.

Sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Morgen früh, was du natürlich weißt. Deshalb dieses Essen. Eine Gelegenheit, vor meiner Abreise etwas Zeit miteinander zu verbringen.“

Lars nickte. Es würde vermutlich nichts ändern, aber er würde sagen, was er sagen wollte. Die Konsequenzen waren ihm egal. „Weißt du, Mom, gestern Abend hast du über deine Gartenarbeit gesprochen, deine Reise nach Spanien, über das Buch, an dem du arbeiten wirst, und darüber, wie du das neue Mitglied deines Lehrkörpers zurechtweisen musstest.“

Sie wirkte irgendwie besänftigt. „Okay, du hast mir also zugehört.“

Er fuhr fort, auch wenn ihm bewusst war, dass ihr nicht gefallen würde, was er zu sagen hatte. „Nicht einmal hast du Liam oder Tansy nach ihrer Arbeit gefragt.“ Er wusste es – Liam und Tansy hatten es erwähnt. „Hast du dich nach Merrilees und Bulls Geschäften erkundigt? Hast du ihnen gesagt, dass du dich für sie freust?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin seit mehr als vierundzwanzig Stunden hier, und nicht ein einziges Mal hast du meinen Job erwähnt. Vielleicht sparst du dir das für den letzten Moment auf, aber es ist langsam etwas spät, so zu tun, als würdest du dich um irgendjemanden außer dich selbst scheren.“

Wütend sprang seine Mutter auf. „Das muss ich mir nicht anhören.“ Sie hielt sich an der Tischkante fest und schwankte.

„Was? Willst du wieder in Ohnmacht fallen? Pass auf, dass du nicht in die Fleischsauce fällst.“ Seine Mutter sank wieder auf den Stuhl, und Lars wandte sich an Merrilee: „Die übrigens hervorragend ist.“

„Danke. Es ist ein Rezept meiner Mutter.“ Merrilee blieb ganz ruhig.

Seine Mutter jedoch nicht. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?“ Ihre Stimme zitterte vor Empörung. „Ich halte nichts davon, mich in das Leben meiner Kinder oder anderer Menschen einzumischen, deshalb habe ich auch niemanden ausgehorcht.“

Unsinn. Sie hatte nicht gefragt, weil es sie nicht interessierte. „Mom, jemanden zu fragen, wie es ihm geht, ist kein Aushorchen.“

Tränen traten ihr in die Augen, die entweder künstlich oder echt oder ein bisschen von beidem sein konnten. „Wenn ich es tue, ist es falsch, wenn ich es nicht tue, ist es auch falsch.“ Sie stand wieder auf. „Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet, mein Flug geht morgen sehr früh. Ich denke, ich gehe zurück in meine Pension.“

Merrilee stand ebenfalls auf. „Ich gehe mit dir, wenn es dir recht ist. Ich kann einen kleinen Spaziergang gebrauchen. Bull und Lars können sich unterdessen um den Abwasch kümmern.“

Eine Sekunde lang hatte Lars mit seiner Mutter fast Mitleid. Für einen flüchtigen Moment wirkte sie verloren und verletzt, aber das war schnell wieder vorbei. „Das ist nicht nötig, aber wenn du etwas Bewegung brauchst, bitte sehr.“

Lars erhob sich. „Mom, ich entschuldige mich dafür, dass ich unhöflich war.“

„Ist das alles, was du zu sagen hast?“

Er fuhr sich durch die Haare. Natürlich wusste er, was sie von ihm hören wollte, aber er konnte sich nicht dafür entschuldigen, dass er die Wahrheit gesagt hatte. „Ich liebe dich. Schlaf gut. Wir sehen uns morgen früh.“

„Nur wenn es dir nicht zu viel Mühe macht, mich vor der Abreise noch einmal zu sehen. Vielleicht kannst du mir ein Drehbuch zukommen lassen, damit ich weiß, was ich sagen soll.“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.

Okay, jetzt fühlte er sich nicht mehr ganz so schlecht.

„Ich bin gleich zurück“, sagte Merrilee.

„Wir kümmern uns um den Abwasch.“ Bull lächelte.

Merrilee gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, Schatz.“

„Gute Nacht, Janie-Mädchen“, verabschiedete Bull seine Schwester.

„Gute Nacht.“

Nachdem die Frauen gegangen waren, herrschte einen Moment lang Schweigen. Bull, nie besonders gesprächig, wartete offensichtlich darauf, was Lars zu sagen hatte.

„War ich zu barsch?“, fragte Lars schließlich.

Bull zuckte mit den Schultern. „Du warst vielleicht etwas hart, aber du hast nichts gesagt, was nicht stimmt. Janie muss immer im Mittelpunkt stehen. Das musste sie schon als Kind, und je älter sie wurde, desto schlimmer wurde es. Vielleicht musste sie das heute Abend mal hören. Ich bezweifle zwar, dass es etwas nützt, aber schaden kann’s auch nicht. Schädlich ist, wenn sich alles in einem aufstaut.“

Lars hatte bis zu seinem Gespräch mit Delphi nicht gemerkt, was sich alles in ihm aufgestaut hatte. Es war, als hätte sie etwas in ihm erkannt, was er selbst nicht zu sehen vermochte. „Nun, jetzt ist es raus. Mom mag sich vielleicht nicht ändern, aber ich muss ihre Spielchen nicht mehr mitspielen. Sie ist so unglaublich manipulativ.“

Bull nickte. „Ja. Aber nicht alle Frauen sind so wie deine Mutter.“

„Du hast recht.“ Plötzlich fühlte er sich verdammt gut. „Kann ich auf dein Angebot zurückkommen und deinen Truck benutzen, während ich hier bin? Ich habe heute Abend noch ein Date.“

„Delphi? Mirror Lake?“

„Ja.“ Lars war ein wenig verunsichert. „Woher weißt du das?“

Bull grinste. „Ich kann mich erinnern, wie gut es dir dort gefallen hat, als du das letzte Mal hier warst. Und Delphi – na ja, das war nicht schwer zu erraten. Ihr beide scheint euch auf dem Empfang gut amüsiert zu haben.“

„Sie ist anders.“

„Anders ist gut.“

„Ja, das denke ich auch.“

„Merrilee ist etwas Besonderes.“

„Wenn man eine gute Frau gefunden hat, sollte man sie festhalten.“

Wie er seinem Bruder gesagt hatte, hatte er vor, genau das zu tun. Zumindest bis es an der Zeit war, sich zu verabschieden.

8. KAPITEL

Die Sonne war noch am Himmel zu sehen, als Delphi vor die Frühstückspension trat. Ihr würden die Dunkelheit und die Kälte im Winter nicht gefallen, aber jetzt genoss sie die langen Tage und die Wärme.

Aus der Bar und dem Restaurant nebenan drangen heitere Musik, Gespräche und Gelächter sowie der Duft von Burgern und Pommes. Ein Stück weiter die Straße hinunter mischte sich freudiges Kindergekreische mit Hundegebell. Ein Paar schlenderte Arm in Arm die Straße entlang.

Und wie aus dem Nichts schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass es ihr hier gefallen könnte, wirklich gefallen. Komisch. Sie hatte eigentlich nur ihrer Situation entfliehen und sich neu orientieren wollen. Dass sie Good Riddance mögen könnte, hatte nicht zu dem Plan gehört.

Die Tür der Frühstückspension öffnete sich hinter ihr, und ihr Herz begann zu klopfen. Sie drehte sich um, um Lars zu begrüßen – nur war er es nicht.

„Ihr Schatz wird gleich da sein“, sagte Alberta lachend. „Kümmert euch nicht um uns. Mein Superhengst hat die Party heute verschlafen, also wird Jefferson sein Horn blasen, damit wir tanzen können.“

„Klingt nach viel Spaß.“

Alberta trug immer noch ihr pinkfarbenes Abendkleid mit dem gefiederten Turban, während ihr Superhengst dieselbe Jeanslatzhose mit dem Flanellhemd trug, das er schon gestern angehabt hatte. Nichtsdestotrotz strahlte er Alberta an. „Sie ist eine richtige Puppe, nicht wahr?“

„Ja, das ist sie“, gab Delphi zurück.

Die Gypsy Queen legte den Kopf an seine Schulter und strahlte ihn an. Sie klimperte mit den Wimpern wie ein junges Mädchen, das auf den ersten Kuss wartete. Der Blick, den sie tauschten, ähnelte dem zwischen Tansy und Liam zuvor. Auch Skye und Dalton sahen sich so an, ohne auf die anderen zu achten.

Jefferson winkte Delphi mit seinem Saxofon zu. „Alberta möchte zu ‚Moonlight Serenade‘ tanzen.“

Erneut lachte sie. „Stimmt. Wir müssen jetzt dazu tanzen, weil meine Jungs und ich es nicht mehr bis Mitternacht schaffen.“ Eine dreibeinige Katze hüpfte um sie herum. „Lord Byron liebt Musik.“

Jefferson nahm einen Platz an der Ecke des Bürgersteigs ein und begann zu spielen. Die Töne aus dem Saxofon erfüllten die Abendluft, und Alberta und ihr Mann tanzten auf der staubigen Straße von Good Riddance. Weiter unten kam das Paar, das den Kurzwarenladen betrieb, hinaus und begann ebenfalls zu tanzen. Auch das Paar, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite spazieren ging, wagte ein paar Schritte.

Das alles hatte etwas Romantisches, Surreales. Die staubige Straße mitten im Busch von Alaska, die Klänge des Saxofons, die tanzenden Paare, manche in Abendkleidung, manche in Arbeitskluft, schneebedeckte Berge und immergrüne Bäume als Kulisse.

Ein Truck hielt vor ihr, und sie schreckte auf, bis sie erkannte, dass Lars hinter dem Lenkrad saß. Er stieg aus und ging um den Wagen herum. Das Sonnenlicht ließ sein militärisch kurz geschnittenes Haar glänzen. Er hatte seine Uniform gegen Jeans und ein altes Super-Bowl-T-Shirt getauscht. Dass allein sein Anblick ihren Herzschlag in die Höhe trieb, war ziemlich beunruhigend. Lag es an den breiten Schultern oder dem verruchten Funkeln in seinen Augen, wenn er lächelte? Oder ganz allgemein an der Anziehungskraft, die er von Anfang an auf sie ausgeübt hatte? Wie auch immer, ihr Puls raste.

„Hallo“, sagte er, und aus irgendeinem albernen Grund kam ihr das unglaublich romantisch vor.

„Hallo.“

„Straßentanz?“

„Hat sich so entwickelt.“ Meine Güte, sie wollte ihn wieder küssen.

„Möchtest du lieber bleiben? Wir können auch ein anderes Mal zum Mirror Lake.“

„Nein. Ich freue mich auf den See.“

Er lächelte, und ihr Herz schien Purzelbäume zu schlagen. „Ich mich auch. Können wir los?“

„Ja.“

Er öffnete ihr die Beifahrertür, und sie kletterte in den Truck.

„Ich weiß nicht, was ich erwartet habe“, sagte sie, nachdem auch er eingestiegen war, „aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass du fährst.“

Er zwinkerte ihr zu. „Der See liegt zu weit außerhalb der Stadt. Hinlaufen kann man nicht. Deshalb habe ich mir Bulls Wagen geliehen. Er hat mir angeboten, ihn zu benutzen, während ich zu Besuch bin.“

„Schön.“ Die Sonne fiel schräg durch die Windschutzscheibe auf die feinen Fältchen um seine Augen herum. An seinem Kiefer entdeckte sie eine kleine Narbe. Seine Arme waren leicht behaart, der Bizeps wölbte sich beeindruckend. Doch es war der Mann selbst – seine Ausstrahlung, das Gesamtpaket –, das ein Prickeln in ihr auslöste. Aufregung … knisternde Vorfreude herrschte zwischen ihnen.

Langsam, dachte sie und schnitt ein unverfängliches Thema an. „Wie war das Abendessen?“

Da sie darauf geschult war, auch auf winzige Details zu achten, da diese oft den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuteten, bemerkte sie, dass sein Lächeln plötzlich angespannt wirkte. „Ich weiß nicht.“

Seine Antwort überraschte sie. So viel dazu, dass das Thema sicher war. „Hast du nicht mit deiner Familie gegessen?“ Das zumindest hatte er ihr gesagt.

„Doch.“

Jetzt verstand sie gar nichts mehr. „Warum weißt du dann nicht, wie es war? Hast du getrunken?“ Sie musste das fragen, denn sie fuhr nicht mit jemanden, der alkoholisiert war.

„Natürlich nicht.“

„Okay, okay. Ich verstehe nur nicht, wie du nicht wissen kannst, ob es gut oder schlecht war.“

Er fuhr sich durchs Haar. „Was soll’s. Du weißt schon mehr über meine Familie, als du vermutlich wissen willst.“ Sie wartete. „Du erinnerst dich, dass wir vorhin über meine Mutter gesprochen haben?“

„Ja.“

„Heute Abend beim Essen war es wieder genauso – es ging nur um sie. Nicht ein einziges Mal hat sie nach mir gefragt. Und das wird sie auch in Zukunft nicht. Sie wird mir sagen, was ich wie tun soll, aber es wird alles Blödsinn sein, da sie nichts über mich weiß. Tut mir leid, das kotzt mich einfach an.“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Was ist passiert?“ Wenn er ihr jetzt sagte, dass es sie nichts anging, würde sie das Ganze auf sich beruhen lassen.

„Heute Abend beim Essen habe ich sie auf ihr Verhalten angesprochen. Ich bin es leid, sie immer mit diesem Mist davonkommen zu lassen.“

„Und …?“

„Es fühlte sich irgendwie gut an, aber es war auch verdammt peinlich. Sie ist aufgesprungen und gegangen.“

Das überraschte Delphi überhaupt nicht. Jeder, der eine Ohnmacht vortäuschte, nur um Aufmerksamkeit zu erregen, würde auch einen dramatischen Abgang hinlegen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das unangenehm war.“

„Jetzt weißt du es. Das Essen war gut, und dann wurde es komisch. Deshalb kann ich nicht wirklich sagen, wie der Abend war.“

„Und wie geht es dir jetzt? Wir müssen nicht an den See.“ Sie wollte nicht, dass er sich dazu verpflichtet fühlte. „Du bist noch die ganze Woche hier. Wir können ein anderes Mal fahren.“

„Nein. Ich möchte jetzt dorthin.“

„Okay.“

„Mit dir kann man gut reden“, sagte er.

Sie lachte. „Entscheide dich mal. Vor ein paar Stunden hast du mir noch vorgeworfen, es wäre schwer, sich mit mir zu unterhalten.“

Er grinste sie an, und ihr Herzschlag verdoppelte sich augenblicklich. Dieses Lächeln war wie eine Adrenalinspritze. „Es ist ein Unterschied, ob man mit jemandem redet oder ob man tatsächlich ein Gespräch führt.“

„Okay, verstehe. Nun, reden kannst du auf jeden Fall.“

Er lachte. „Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment war.“

„Zumindest keine Beleidigung. Es war eher eine Feststellung.“ Und sie hatte ihn ein wenig geneckt.

„Wenn du das sagst.“

„Also, jetzt, wo die Hochzeit vorbei ist, was hast du den Rest der Woche vor?“

Er bog nach links von der Hauptstraße ab.

„Am Montag sehe ich mir Liams Camp an. Ich fahre morgens mit Dirk dorthin, und nachmittags holt mich Dalton wieder ab. Außerdem will ich angeln, wandern und lesen. Was ist mit dir? Stürzt du dich gleich in die Arbeit?“

„Praktisch ja. Nelson ist nächste Woche noch hier, also werde ich ihm wie ein Schatten folgen, die Patienten kennenlernen und ein Gefühl dafür bekommen, wie Skye arbeitet. Wir sind Freundinnen, aber wir haben noch nie zusammengearbeitet.“ Sie erreichten eine Anhöhe, und links davon lag ein spektakulärer See. „Das ist traumhaft!“ Delphi quietschte fast wie ein Kind vor Aufregung. „Lars, sieh nur. Adler. Oh, mein Gott, das ist unglaublich. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas so Schönes gesehen.“

„Da kann ich dir nur zustimmen.“ Allerdings sah er sie und nicht die Landschaft an, und es fühlte sich an wie eine Liebkosung.

Er hielt an, stellte auf Parken und schaltete den Motor ab. Einen Moment lang ließen sie die Stille des Ortes auf sich wirken. Ein Adler schrie, aber statt den Frieden zu stören, verstärkte das Geräusch den Zauber der Atmosphäre.

Lars brach das Schweigen. „Warum hast du eigentlich deinen Job gekündigt? Nur um für ein paar Monate hierherzukommen?“

Sie blickte aus dem Fenster. Sollte sie ihm vertrauen? Er bedeutete ihr nichts, wirklich. Außer dass er sie in die Probleme seiner Familie eingeweiht hatte, was er, wie sie vermutete, nicht häufig tat, wenn überhaupt. Und er war nur für kurze Zeit hier, was es in gewisser Weise leichter machte, über den Albtraum zu sprechen, den sie durchlebt hatte. Sie sah ihn an. „Es ist zwar kein Geheimnis, aber ich möchte nicht, dass es hinausposaunt wird.“

„Ich bin nicht der Typ, der alles hinausposaunt.“

„Das glaube ich dir, auch wenn du gern redest.“

Erneut schwiegen sie einen Moment. Er wartete geduldig. „Ich war sechs Monate arbeitslos, weil ich bei meinem letzten Job gefeuert wurde.“

„Okay.“

Ein Wort. Nicht mehr, nicht weniger. Er wartete immer noch. Sie fuhr fort, wobei sie es so einfach wie möglich hielt. „Mein Arbeitgeber hat mich angebaggert. Ich habe ihn zurückgewiesen, und er hat mich angeschwärzt. Weil mein Wort gegen seins stand, konnte ich keinen Job finden.“

„Das ist Blödsinn.“

Ihr wurde übel. Er war genau wie alle anderen. Warum war sie nur so dumm gewesen zu glauben …

„Mit so was sollte er nicht durchkommen. Ist er ein alter Knacker?“, unterbrach er ihre Gedanken.

Erleichtert begriff sie, dass er mit „Blödsinn“ nicht gemeint hatte, dass er die Geschichte nicht glaubte. „Nein. Er ist jung, sechsunddreißig, verheiratet, gut aussehend und charmant.“

„Ach, deshalb hat er deine Zurückweisung so schlecht aufgenommen. Mistkerl! Ist er dir mit der Kündigung zuvorgekommen?“

Sie war so erleichtert, dass sie am liebsten geweint hätte. „Am nächsten Morgen bin ich in die Praxis gegangen, bereit, meine zweimonatige Kündigungsfrist einzuhalten und niemandem zu sagen, was passiert war. Doch er war mir zwei Schritte voraus.“ Sie schüttelte den Kopf über ihre Dummheit, ihre Naivität. „Er hat mich in sein Büro gerufen. Seine Frau war bei ihm. Er hatte ihr erzählt, ich hätte ihn angebaggert, und als er mich zurückwies, damit gedroht, Ärger zu machen. Er hat mich auf der Stelle gefeuert. Seine Frau hat mich bei den anderen Arztfrauen angeschwärzt. Die wenigen Jobangebote, die ich danach bekam, beinhalteten alle mehr als nur einen Job.“

„So ein Scheißkerl.“

„Finde ich auch. Aber ich konnte nichts machen.“ Sie blickte aus dem Fenster. „Weißt du, aus deren Perspektive machte es absolut Sinn. Ärzte gelten bei vielen Frauen als guter Fang, auch bei vielen Krankenschwestern. Er ist jung, attraktiv und hat Geld. Warum sollten sie also nicht glauben, dass ich mich an ihn rangemacht habe? Was mich außerdem geschockt hat, ist die Tatsache, dass er mich überhaupt angegraben hat. Ich dachte, er und seine Frau wären glücklich. Und selbst wenn er fremdgehen wollte, so hätte er so ziemlich jede Frau haben können, die er wollte. Warum also ich? Ich verstehe das nicht.“

„Ich schon“, antwortete Lars leise. „Du hast etwas an dir.“

Sie wandte sich ihm zu. „Habe ich das? Was denn?“

„Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll.“

„Ich habe nicht mit ihm geflirtet. Er war für mich ein Freund, nie mehr. Er war verheiratet und damit absolut tabu.“

„Und genau das könnte das Problem sein – du hast ihn nicht als Mann beachtet. Ich verstehe jetzt, warum Good Riddance dich gereizt hat und warum du einfach nur in Ruhe gelassen werden wolltest.“

Sie könnte ihn küssen für sein Verständnis. Tatsächlich aber auch, weil sie ihn gern küsste und weil sie es wollte.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie schnitt ihm das Wort ab. „Komm her, Marine.“

„Ich bin da, Blondie.“

„Hast du Angst?“

„Warum sollte ich vor einem kleinen Ding wie dir Angst haben?“

„Sag du es mir. Ich weiß nur, dass ich dich eingeladen habe, mich zu küssen, und du bist immer noch da drüben und ich hier.“

Er beugte sich näher zu ihr und atmete ihren Duft ein. Sie spürte seinen warmen Atem. Seine Energie ging auf sie über, ihre Haut begann zu prickeln, auch wenn sie sich nicht berührten. Sie war wie berauscht von seiner Nähe, seinem Geruch. „Mir war nicht bewusst, dass das die Mission ist“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie fühlte sich wie eine Verführerin. „Bist du der Sache gewachsen?“, erwiderte sie leise und strich mit der Wange über sein Kinn. Die leichte, aber intime Berührung ließ sie erschauern.

„Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden. Die erste Aufgabe einer jeden Mission ist die Aufklärung.“ Er liebkoste ihren Hals und ihr Kinn, ein vorsichtiges Herantasten, das sie atemlos und begierig auf mehr machte.

Sein Mund fand ihren, doch statt des Kusses, den sie so sehnsüchtig erwartete, setzte er seine Erkundung fort. Er konzentrierte sich auf ihre Unterlippe, knabberte, leckte und saugte daran, und sie geriet in einen Strudel des Verlangens. Sein Mund war warm, seine Bartstoppeln kratzten leicht. Er machte sie verrückt. Vergeblich versuchte sie, ihn zu einem richtigen Kuss zu verführen, doch er lachte nur leise und entzog sich ihr – eher sinnliches Spiel denn echte Zurückweisung. „Ich leite diese Mission, Blondie.“

Mit der Zungenspitze zog er die Konturen ihrer Oberlippe nach, und sie seufzte genüsslich. Sie klammerte sich an seinen Oberarmen fest und spürte dabei das Spiel seiner Muskeln.

„Okay, Marine. Du hast das Sagen.“

Das würde auf Dauer zwar nicht mit ihr funktionieren, aber darum ging es nicht. Alles, was zählte, war das Hier und Jetzt.

„Schon gut. Halt jetzt einfach die Klappe, und küss mich.“ Sie legte die Hand in seinen Nacken.

Er spreizte die Finger an ihrem Hinterkopf. „Grober Ungehorsam“, stieß er hervor, und dann eroberte sein Mund endlich ihren.

Es war, als hätten ihre Sinne danach gelechzt … nach ihm. Seine Lippen auf ihren, das Fordern, das Geben. Süß und heiß drang seine Zunge in ihren Mund ein, und sie hieß ihn willkommen.

Zufriedenheit durchströmte sie, ihre Atmung und ihr Herzschlag beschleunigten sich.

Sie lösten sich voneinander, und er lehnte seine Stirn gegen ihre. Die Sekunden verstrichen, während ihr keuchender Atem das einzige Geräusch war. Delphi hielt die Augen geschlossen und genoss den Moment.

Sie öffnete sie, als Lars den Kopf hob. Er ließ sie los und hielt einen Moment inne, als wollte er ihre Wange streicheln, tat es aber nicht.

„Wollen wir runtergehen und uns den See anschauen?“, fragte er.

„Unbedingt.“

Die Luft zwischen ihnen schien förmlich zu knistern. So wunderbar der Kuss auch gewesen war, er reichte nicht, nicht einmal annährend. Aber es sollte noch mehr zwischen ihnen passieren, viel mehr.

Dieser Kuss war nur das Vorspiel.

9. KAPITEL

„Gehst du zurück nach Atlanta, wenn dein Einsatz hier zu Ende ist?“, fragte Lars, während sie ihren leichten Tagesrucksack schulterte. Er hatte seinen bereits auf dem Rücken.

„Es ist schön, wieder mit Skye zusammen zu sein, und das hier ist ein toller Ort, aber ja. Im September geht’s zurück nach Atlanta. Ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich die Winter und die Einsamkeit nicht ertragen könnte.“

Sie machten sich auf den Weg den sanften Abhang hinunter, der zum See führte.

„Das mit dem Winter verstehe ich.“

„Aber ganz abgesehen davon, werde ich meinen früheren Arbeitgeber nicht ungestraft davonkommen lassen. Ich werde mir mein Leben in Atlanta zurückerobern, und dazu gehört eine solide Karriere. Auf keinen Fall werde ich mich mit eingezogenem Schwanz aus der Stadt jagen lassen. Der Staub wird sich legen. Ich werde eine neue Referenz haben und einen neuen Job finden. Er und seine Frau können mich mal.“

Ihr gedehnter Südstaatenakzent trat bei den letzten Worten noch deutlicher hervor. Es war süß. Er bewunderte ihren Mumm. „Tapferes Mädchen. Das ist die richtige Einstellung.“

Sie warf einen Blick in seine Richtung. „In Atlanta haben mich fast alle für verrückt erklärt.“

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dir neue Freunde suchst.“

Sie lächelte. „Vielleicht.“

„Es gibt also keinen Freund, der dem Doktor in den Hintern tritt? Du hast keinen Mann mit gebrochenem Herzen in Atlanta zurückgelassen?“

„Nein. Aber jetzt erzähl mir, was du bei den Marines machst. Was ist dein Job?“

„Ich bin Sprengstoffexperte. Wenn etwas detonieren soll, es aber nicht tut, dann sprenge ich es entweder oder entschärfe es.“

„Da bleibt kein Spielraum für Fehler.“

„Ganz genau.“

Delphi stieß einen entzückten Laut aus. „Oh, Lars, sieh nur.“

Einen Moment schaute er wie gebannt auf den kindlich-verzauberten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Darin spiegelte sich ungetrübte Freude. Kaum zu glauben, dass dies dieselbe Frau war, die am Tag zuvor im Flugzeug so verschlossen gewesen war. „Die Libellen – sind sie nicht unglaublich?“

Etwa ein Dutzend Libellen schwebten über dem Wasser. „Cool. Ich habe schon lange keine Libellen mehr gesehen.“

„Es ist irgendwie magisch“, sagte sie.

Beinah hätte er gelacht. Magie gab es nicht, aber Chemie war ein sehr realer Aspekt in seiner Welt. Die Chemie bei Sprengstoffen. Die Chemie zwischen ihm und Delphi. Das war real und greifbar. Die Anziehungskraft, die sie aufeinander ausübten, war real. Deshalb, okay, die Libellen waren nett, aber er glaubte nicht an Magie. „Da dies ein magischer Ort ist …“, der Blick, den sie ihm zuwarf, verriet ihm, dass sie wusste, dass er es nicht ernst meinte, „… können wir den Sonnenuntergang vom Ufer aus beobachten. Oder möchtest du schwimmen gehen?“ Die Sonne ging bereits am Horizont unter. Nicht mehr lange, und es würde dunkel sein. „Ich habe Handtücher mitgebracht.“

Delphi nahm ihren Rucksack ab. „Lass uns ins Wasser gehen. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass man bei Sonnenuntergang in einem Thermalsee mitten in Alaska schwimmen kann, während Libellen um einen herumtanzen.“

Sie begann, sich auszuziehen. Als Lars seinen Rucksack fallen ließ und die Handtücher herauszog, hatte Delphi bereits ihre Schuhe und Socken ausgezogen.

Er sollte sie nicht anstarren, aber er konnte nicht anders, als sie den Reißverschluss ihrer Jeans öffnete. Ihr leuchtend grüner Slip überraschte ihn, aber es waren ihre wohlgeformten Beine, bei deren Anblick er zu atmen vergaß. Sie schlüpfte aus ihrer Hose und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Verdammt!

„Voilà“, sagte sie grinsend.

Wieder hatte sie ihn überrumpelt. Sie stand in einem schlichten Badeanzug da. Er hatte BH und Slip erwartet, und der kleine Teufel hatte es gewusst.

„Ich dachte, du hättest keinen Badeanzug dabei.“

„Habe ich auch nicht. Ich habe mir einen von Skye geliehen.“

„Ah.“ Sie sprach von ihrer Freundin, der Ärztin. Skye war die Rothaarige, die mit dem Piloten verheiratet war. „Er ist sehr konservativ.“

Er hatte denselben Schnitt wie die Badeanzüge der Wettkampfschwimmerinnen, kein tiefes Dekolleté. Und seltsamerweise machte ihn das nur umso mehr an. Er ballte die Fäuste und versuchte, nicht nach ihr zu greifen. Wenn er sie jetzt berührte, würde sie es nie ins Wasser schaffen, und sie wollte schwimmen.

„Stimmt, aber so ist Skye.“

„Was ist mit dir? Wenn du einen Badeanzug eingepackt hättest, würde er auch so aussehen?“

„Nein. Dieser Badeanzug ist ganz anders als der, den ich zu Hause habe. Aber es ist vermutlich keine schlechte Idee, mich etwas zurückzuhalten.“

Er wusste, dass sie von dem Vorfall mit ihrem früheren Arbeitgeber sprach. Zwar kannte er sie erst kurz, war sich aber jetzt schon sicher, dass sie keine Schuld daran trug. „Man muss sich selbst treu bleiben.“

„Stimmt.“ Sie tauchte ihren Zeh ins Wasser. „Obwohl die Dinge manchmal so durcheinandergeraten, dass man vergisst, wer man eigentlich ist.“ Sie ließ den Fuß kreisen. „Ah, das ist schön.“

Vorsichtig watete sie weiter. „Ich glaube, hier wird es tiefer … ja, hier.“ Sie verschwand kurz unter der Wasseroberfläche und tauchte dann wieder auf. Ihr ohnehin kurzes Haar klebte ihr am Kopf. Lachend sah sie ihn an, ihr Gesicht strahlte pure Lebensfreude aus. „Kommst du nicht mit rein? Das war doch deine Idee.“

Lars blieb stehen und genoss den Anblick – ihre strahlenden Augen, das Lächeln, ihre schlanke Gestalt, umgeben von Wasser und eingehüllt von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Er riss sich zusammen. „Es war tatsächlich meine Idee. Dann sollte ich auch reingehen.“

Er zog sein T-Shirt aus, und Delphi drehte ihm den Rücken zu und blickte auf den See und das gegenüberliegende Ufer. „Was machst du da?“, fragte er, während er seine Schuhe auszog.

„Ich lasse dir etwas Privatsphäre.“

„Ich komme zu dir ins Wasser.“ Schnell schlüpfte er aus seinen Jeans.

„Ich weiß, aber …“

„Du bist Krankenschwester. Hast du nicht schon alles gesehen?“

„Aber du liegst nicht in einem Bett und …“

„Warum hast du das nicht früher gesagt?“, unterbrach er sie, wobei er ihre Bemerkung absichtlich falsch verstand und sie neckte, während er zu ihr in den See kam. „Das lässt sich arrangieren.“

Sie wussten beide, dass sie im Bett landen würden. So, wie sie seinen Kuss erwidert hatte und ihn ansah …

Sie lachte. „Ich meinte eine Liege in einem Untersuchungszimmer.“ Sie bespritzte ihn mit Wasser.

„Das wirst du mir büßen“, sagte er und wischte sich die Tropfen weg.

„Du wirst sowieso nass.“

„Wir werden sehen, wie du das in ein paar Sekunden findest.“ Er näherte sich ihr.

In Rückenlage schwamm sie weiter hinaus auf den See, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ. „Aber ich bin schon nass, du musst also nichts tun.“

Sein Körper reagierte sofort auf die Doppeldeutigkeit. „Oh, aber ich will sichergehen, dass du wirklich nass bist.“

Ihr Blick forderte ihn heraus. „Ich habe mich schon darum gekümmert.“

„Das ist nicht dasselbe. Sei bereit.“

„Du musst mich erst kriegen.“ Sie schwamm auf die Mitte des Sees zu.

„Kein Problem. Ich war Leistungsschwimmer in der Highschool.“

Sie hielt inne, trat Wasser. „Ist das dein Ernst?“

Das war genau das, was er brauchte. Er holte sie ein. „Nein. Reingelegt.“

„Das ist nicht fair“, protestierte sie, lächelte ihn dabei aber an.

„Ich weiß.“ Er packte sie und zog sie an sich. Sie legte die Hände auf seine Schultern, hielt sich fest. Nasse Haut an nasser Haut, ihr Körper an seinen geschmiegt. Ihm stockte der Atem.

„Du bist schamlos.“ Auch sie schien atemlos zu sein, und er wusste, dass es an ihm lag und nicht an der Anstrengung.

„Das gefällt mir“, sagte er. „Schamlos ist gleichbedeutend mit unmoralisch. Und jetzt mach dich bereit, nass zu werden.“

„Schau. Schon nass.“ Sie deutete auf ihr Haar. Außerdem war sie bis zu den Schultern im Wasser.

Nichtsdestotrotz verstärkte er den Griff um ihre Taille. „Hol tief Luft. Auf drei gehst du unter. Eins …“

Sie lachte. „Du würdest doch nicht …“

„Zwei …“

„Lars …“

„Drei.“ Er tauchte sie unter, und sie stieß einen spitzen Schrei aus.

Er zog sie wieder hoch, und sie kam prustend an die Oberfläche. „Du hast wirklich …“

„Ich hab’s dir gesagt.“

Sie wischte sich das Wasser aus den Augen. „Ich dachte, du wolltest mich wieder veräppeln.“ Schmollend schürzte sie die herrlichen Lippen.

„Du bist doch nicht wirklich sauer, oder?“

Sie legte ihm die Hände in den Nacken. „Eigentlich sollte ich das sein.“

„Aber du bist es nicht.“

„Das weiß ich noch nicht so genau.“

Verdammt, er wollte sie. Er war schon glücklich gewesen, einfach nur ihre Taille zu umfassen, den Schwung ihrer Hüften unter den Fingern zu spüren. Wie könnte er sie nicht küssen wollen? Hier am See, bei Sonnenuntergang, mitten in Alaska, einem Ort, an den keiner von ihnen gehörte. „Okay, wenn du noch unsicher bist, kann ich ja weitermachen. Vielleicht kommst du dann zu einer Entscheidung.“

Sie sah ihn an und schlang die Beine um seine Taille, was sie noch näher an ihn heranbrachte. „Wenn du mich noch mal untertauchst, gehst du mit unter.“

Sie hatte ihn schon verzaubert. Vielleicht war die Idee von Magie doch nicht so weit hergeholt. Den einen Arm um sie geschlungen, schaffte er es, einarmig rückwärts zu schwimmen, bis er wieder Boden unter den Füßen hatte. „Das war nicht das, was ich im Sinn hatte.“

Dann senkte er den Mund auf ihren.

Warmes Wasser, kühle Luft, heißer Kuss.

Seufzend erwiderte Delphi den Kuss. Wieder war es ein traumhafter Kuss und doch so real. Getragen vom Wasser, schwerelos schwebend, die Hitze seines Mundes, der Druck seines Körpers – das war eine unglaubliche Erfahrung. Doch gerade als sie dachte, dass es nicht himmlischer werden könnte, wurde es noch besser. Dieser Kuss war wie kein anderer.

Seine Zunge, warm und weich, kitzelte ihre Lippen. Begierig öffnete sie den Mund und genoss das erotische Spiel ihrer Zungen.

Schließlich lösten sie sich voneinander und schnappten beide nach Luft, als wären sie länger unter Wasser gewesen.

„Wir haben den Sonnenuntergang verpasst.“ Er strich über ihren Rücken und legte die Hände an ihre Pobacken.

Es war ihr egal. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich frei, ihre Sexualität zu genießen. Zum ersten Mal seit langer Zeit wollten sie einen Mann, diesen Mann. „Scheint so.“

Sein Hals war kräftig und gebräunt. Wassertropfen glitzerten auf seiner Haut. Sie beugte sich näher und leckte die Tropfen weg.

Ein Schauer durchlief ihn, und sein warmer Atem streifte ihre Wange, als er seufzte. „Delphi …“

Sie legte den Kopf an seine breite Schulter. „Das ist schön.“

In diesem Moment verspürte sie einen tiefen inneren Frieden und Zufriedenheit. Sie fühlte sich so begehrenswert, wie sie sich seit der Episode mit DeWitt nicht mehr gefühlt hatte – oder hatte fühlen wollen. Noch wichtiger war, dass sie echtes, sehr heißes Verlangen nach dem überaus verführerischen Lars Reinhardt verspürte.

Langsam ließ sie die Hand an seinem Oberkörper entlangwandern und stieß auf Stoff. Eine Badehose. Lachend schüttelte sie den Kopf. „Du hast auch gesagt, dass du keine Badehose dabeihast.“

„Kleiner Scherz.“ Er nahm die Hände von ihren Pobacken, und sie spürte das warme Wasser. Er hatte dafür sorgen wollen, dass sie nass war. Das war sie definitiv.

„Verstehe.“ Sie schob den Finger unter den Rand seiner Badehose.

„Willst du mich jetzt necken?“

„Das hängt davon ab, wie du ‚necken‘ definierst. Wenn du fragst, ob ich mit dir spiele? Nein, noch nicht. Bin ich verspielt? Auf jeden Fall.“

„Hört sich gut an.“ Lars küsste ihre Schulter, während er sie weiter streichelte.

Sein harter Penis drückte gegen sie. „Eigentlich fühlt es sich gut an …“

Seit dem Vorfall mit ihrem Exchef hatte sie nicht mehr geflirtet. Aber sie hatte sich hundertmal die Frage gestellt, ob sie etwas gesagt oder getan hatte, was DeWitt falsch verstanden hatte. Hatte sie falsche Hoffnungen in ihm geweckt?

Jetzt war es, als hätte sie einen Teil von sich wiedergefunden – die lebenslustige Delphi, die gern flirtete. Das war der Grund gewesen, warum sie sich im Flugzeug so über Lars geärgert hatte. Sie hatte weiter Trübsal blasen wollen, weil Trübsal sicher war, und Lars war eindeutig alles andere als sicher. Doch das akzeptierte sie jetzt, und es fühlte sich gut an, wieder die Frau zu sein, die sie wirklich war.

Schnell verdrängte sie alle Gedanken an DeWitt und den Vorfall und konzentrierte sich wieder ganz auf den Augenblick.

Lars küsste ihren Hals. Gleichzeitig schob er die Hand unter ihren Badeanzug und fand ihre feuchte Mitte. Hitze durchströmte sie. Sie stöhnte und neigte den Kopf zur Seite, damit er ihren Hals besser liebkosen konnte, während sie sich ihm entgegendrängte.

„Und das fühlt sich richtig gut an“, flüsterte sie.

Als er die Finger zurückzog, war sie einen kurzen Moment lang enttäuscht, aber schnell besänftigt, denn nun liebkoste er ihre Brüste.

Behutsam zog er an ihrem Nippel und steigerte ihr Verlangen ins Unermessliche, was in einem heftigen Pochen zwischen ihren Schenkeln gipfelte.

Der Gedanke, dass sie ihn gestern erst kennengelernt hatte, schoss ihr durch den Kopf, aber das war in diesem Augenblick nebensächlich. Jetzt war nur wichtig, wie wundervoll sich seine Berührungen anfühlten, wie lebendig und energiegeladen sie sich dank ihm fühlte.

„Lars, ich bin gesund und trage eine Spirale. Wenn du möchtest, können wir aber auch ein Kondom benutzen.“ Sie wollte keinen Rückzieher machen, aber sie mussten vorsichtig sein.

„Nicht nötig. Ich bin auch gesund.“

„Dann lass uns die Badesachen ausziehen“, sagte sie. „Kannst du sie von hier aus ans Ufer werfen?“

„Kein Problem. Ich helfe dir beim Ausziehen.“

„Du bist so aufmerksam.“ Sie lachte.

Er schob die Träger über ihre Schultern und Arme. „Es ist meine persönliche Mission, aufmerksam und behilflich zu sein.“ Als er den Badeanzug bis zu ihrer Taille hinuntergeschoben hatte, umfasste er ihre Brüste. Die Berührung entflammte ein hitziges Feuer in ihr.

Mit einem tiefen Atemzug tauchte er unter Wasser und zerrte den Badeanzug über ihre Hüften und die Beine. Sie hob den rechten Fuß, um ihm beim Entkleiden zu helfen. Lars legte die Hand an ihre Hüfte, hob ihr Knie auf seine Schulter und öffnete ihre Schenkel.

Sie kam fast, als er ihre Klitoris küsste.

Schnell streifte er den Badeanzug über ihren linken Fuß und tauchte wieder auf.

„Lars …“ Ihr fehlten die Worte, aber sie riss sich zusammen. „Ich kann dir bei der Badehose helfen, aber diesen Unterwassertrick beherrsche ich nicht.“

„Warte.“ Er zog seine Badehose aus, und weniger als eine Minute später landeten beide Kleidungsstücke am Ufer. „Jetzt …“

Er legte die Hände auf ihre Schultern und zog sie an sich. Seine Härte, sein nackter Körper, das warme Wasser – all das erregte sie wie niemals zuvor in ihrem Leben.

Stöhnend verschloss er ihre Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss und umfasste gleichzeitig ihre Taille. Delphi konnte ihm gar nicht nah genug sein. Ihre Zunge forderte seine zu einem erotischen Duell, während sie ihr Bein um seine Hüfte schlang und sich an seiner Erektion rieb.

„Hmm“, seufzte sie.

Nun konnte er sich nicht länger zurückhalten und drang mit einer geschmeidigen Bewegung in sie ein.

Oh, mein Gott, er fühlte sich so gut an. Um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen, schlang sie auch das zweite Bein um seine Hüfte. Sie war so heiß und wollte mehr.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, zog er sich ein Stück zurück und stieß erneut zu.

Ein Sturm der Begierde tobte in ihr. Jede Faser, jede Zelle brauchte ihn, damit das Verlangen gestillt wurde, das er geweckt hatte.

Immer schneller und härter nahm er sie, und sie fühlte, wie ein unglaublicher Orgasmus heranrauschte. Sekunden später verspannte Lars sich, und mit einem letzten Stoß kamen sie gemeinsam zum Höhepunkt.

10. KAPITEL

Der beste Sex seines Lebens wirkte noch nach, als Lars versuchte, wieder zu Atem zu kommen und einen klaren Gedanken zu fassen.

„Mirror Lake ist jetzt definitiv mein Lieblingsort.“

Delphi legte den Kopf an seine Brust. „Ich wusste es, als du sagtest, du wolltest mir etwas zeigen …“

Er lachte. „Das war nicht ganz das, was ich meinte.“

„Ich weiß nicht, ob ich das glauben soll, aber ich will mich nicht beschweren.“

„Das ist auch gut so. Tatsächlich war es unglaublich. Ich könnte schwören, dass die Erde unter meinen Füßen gebebt hat.“

„Ich fühle mich geschmeichelt …“

Was, zum Teufel … Da war es wieder, aber stärker, intensiver.

„Delphi“, unterbrach er sie. „Es ist gerade wieder passiert. Der Boden hat sich bewegt. Und das Wasser ist wärmer. Das bedeutet seismische Aktivität. Wir müssen von hier verschwinden.“

Sie geriet nicht in Panik, als sie auf das Ufer zusteuerten. Tatsächlich zeigte ihr Gesicht eher Neugier als Besorgnis. „Seismische Aktivität?“

„Ja, der See wird von einer heißen Quelle gespeist.“

Er sah, dass es bei ihr klick machte. „Und das ist mit vulkanischer Aktivität verbunden“, sagte sie. „Wenn also der Boden bebt und die Temperatur des Sees steigt, weiß man, dass etwas mit dem Magma unter dem See los ist.“

„Genau.“

Sie stiegen aus dem See und trockneten sich ab. Schnell und ohne weitere Diskussionen zog sie sich an. Lars steckte das nasse Badezeug in ihren Rucksack und die Handtücher in seinen. Der Weg zurück zum Truck verlief schweigend.

Lars sah sie an, als er den Wagen anließ. „Alles in Ordnung mit dir?“

Sie wirkte ruhig, doch ihre Hand zitterte, als sie sich durch ihr kurzes Haar fuhr. „Ja, alles okay.“

Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. „Es ist vermutlich keine große Sache, aber wir müssen die Leute informieren, nur für den Fall.“

„Richtig.“ Er schätzte ihre Ruhe sehr. Offensichtlich war sie für Notsituationen ausgebildet worden. Mit Frauen, die zu Hysterie neigten, konnte er nicht gut umgehen. „Es scheint, als würdest du von explodierenden Dingen verfolgt.“

Lächelnd fuhr er hinunter zur Hauptstraße. „Eine Bombe ist eine Sache, aber mit einem Erdbeben oder einem Vulkan möchte ich nichts zu tun haben.“

„Ich auch nicht. Es klingt vielleicht dumm, aber ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, warum es dort eine heiße Quelle gibt.“

„Da sind wir schon zu zweit. Ich wette, die meisten Menschen, die in dem See schwimmen, haben nicht darüber nachgedacht.“

Sie näherten sich der Stadt. Alles schien in Ordnung zu sein. Vor der Frühstückspension hielt er an. „Hier, bitte sehr.“

„Kommst du nicht mit rein?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich fahre rüber zu Bull und Merrilee. Ich weiß, es ist spät, aber sie müssen wissen, was gerade passiert ist. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich dachte, du willst vielleicht nicht mitkommen, weil du morgen so früh aufstehen musst.“

„Nein. Ich bin jetzt viel zu aufgeregt. Ich komme mit.“

„Also gut, dann los.“

Als sie den Baumarkt erreichten, war der Laden zwar dunkel, aber im ersten Stock brannte Licht. Lars parkte den Wagen, und sie stiegen aus. „Hier entlang.“ Er führte sie an der Seite des Gebäudes vorbei. „Sie wohnen über dem Laden. Es gibt sowohl eine Außentreppe zu der Wohnung als auch eine drinnen.“

Sie sprangen die Treppe hinauf, und Lars klopfte an die Tür. Es dauerte keine Minute, da öffnete Bull die Tür.

„Gibt es ein Problem in der Pension?“ Bull kam direkt zur Sache.

„Nein. Dort ist alles in Ordnung. Aber es gibt etwas, das ihr wissen solltet“, erwiderte Lars.

„Kommt rein.“

Schwer zu glauben, dass er noch vor weniger als sechs Stunden an dem Küchentisch gesessen hatte. Inzwischen war eine Menge passiert. Vielleicht hatten sich auch einige Dinge geändert. Wie auch immer er es betrachtete, es kam ihm vor, als sei es ein ganzes Leben her.

Delphi blickte sich um, während Lars von dem leichten Beben und dem Temperaturanstieg erzählte. Die Küche war nicht übermäßig groß, aber sehr gemütlich.

„Die Aktivität hat im letzten Jahr zugenommen“, meinte Merrilee, als Lars fertig war. „Aber sie wird überwacht. Bisher, so sagte man uns, müsste man sich keine Sorgen machen. Ich werde mich morgen früh mit dem Amt in Verbindung setzen. Wenn es einen Alarmstatus gibt, kontaktieren sie mich hier zu Hause.“

Lars nickte. „Gut.“ Er stand auf, und Delphi folgte ihm. „Dann lassen wir euch mal wieder ins Bett gehen.“

„Ihr könnt jederzeit vorbeikommen, vor allem wenn ihr irgendwelche Sorgen habt.“

Sie gingen zur Tür. Lars sah Delphi an. „Hast du Lust, zu Fuß zur Pension zu gehen?“

„Klar.“ Sie war so energiegeladen wie seit Langem nicht mehr.

Lars nickte und sagte zu Bull: „Wir lassen den Truck hier und gehen zu Fuß zurück. Danke, dass ich den Wagen benutzen durfte.“

„Gern, jederzeit wieder.“

Sie liefen die Treppe hinunter und zum Truck, um ihre Rucksäcke zu holen. Dann schlang Lars den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich, während sie in Richtung B&B gingen.

Das Gewicht seines Armes und die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, ließen sie erschauern. Das Gefühl, beschützt zu werden – fast geliebt – durchströmte sie flüchtig und verschwand ebenso schnell wieder.

„Das war vielleicht ein Tag, nicht wahr?“ Lars brach das Schweigen.

Die Hochzeit und der Empfang, der See, Sex, das Mini-Erdbeben … Ja, es war definitiv ein aufregender Tag gewesen. „Und das ist noch untertrieben.“

Sie schlang den Arm um seine Taille und legte den Kopf an seine Schulter. Die Dunkelheit schien hier intensiver als zu Hause. Obwohl es keine Straßenlaternen gab, war sie nicht bedrohlich. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Nicht ein Auto fuhr durch die Straße. Keine Radios oder Fernseher dröhnten hinter verschlossenen Türen. Es gab nur das Rauschen des Windes und das Summen der Mücken. In der Ferne heulte eine Eule. Ein Gefühl der Sicherheit umhüllte sie.

„Ist es hier nicht friedlich?“

„Ja. Es ist großartig“, sagte er. „Aber ich bin so an Lärm und Hektik gewöhnt, dass es etwas ganz Neues für mich ist. Generell bin ich immer in Alarmbereitschaft.“

Sie seufzte innerlich, wollte nicht daran denken, dass Lars irgendwo anders sein könnte als in Good Riddance. Sie wollte ihn sich nicht in Kampfmontur vorstellen, in Gefahr. Schnell verdrängte sie den Gedanken. „Es ist Balsam für die Seele.“

„Da kann ich nur zustimmen.“

Schweigend und in stiller Harmonie legten sie den Rest des Weges zurück. Plötzlich fühlte Delphi sich erschöpft. Es war ein anstrengender Tag gewesen.

„Müde?“, fragte Lars. Es war komisch, dass er ihren Stimmungsumschwung bemerkte, denn sie hatte nichts gesagt.

„Erschöpft. Ganz plötzlich.“

„Kein Wunder. Das sind die Nachwirkungen von all dem Adrenalin.“

„Meine Füße und Beine sind schwer wie Blei.“

„Soll ich dich tragen?“

Er meinte es ernst. Sie hätte fast gelacht, aber selbst zum Lachen war sie zu müde … und sie wollte seine Gefühle nicht verletzen. „Das ist lieb von dir, aber es geht schon.“

Müde setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie das obere Stockwerk erreicht hatte.

„Soll ich dich zudecken?“

Sie lächelte. „Ich muss erst noch duschen. Das Seewasser …“

„Alles klar.“ Sie blieben vor ihrer Zimmertür stehen. Lars’ Hand lag warm an ihrem Rücken. „Geh rein, und hol deine Sachen, wir treffen uns dann im Bad.“

Jetlag, Anspannung, Aufregung, Sex – all das hatte sie eingeholt. Sie hatte wirklich das Gefühl, als könnte sie auf der Stelle umfallen. „Lars, ich bin zu müde.“

„Keine Sorge, ich glaube, ich könnte auch nicht mehr. Ich bin auch müde. Ich will nur das Wasser schon mal laufen lassen. Es dauert einen Moment, bis es wirklich warm ist. Ich sage dir Bescheid, wenn es so weit ist.“

„Okay, danke.“

Sie betrat ihr Zimmer, holte schnell einen frischen Slip, ihr Nachthemd und ihren Morgenmantel und sah auf die Uhr. Wegen der Zeitverschiebung war es zu Hause schon fünf Uhr morgens. Sie setzte sich auf die Bettkante und wollte dort warten, bis Lars klopfte.

Dieser wundervolle, sexy, arrogante, süße Marine …

Lars klopfte. Das Wasser war endlich warm. Totenstille auf der anderen Seite der Tür. Er klopfte noch einmal. Nichts.

Vorsichtig öffnete er die Tür. „Delphi?“

Sie lag auf dem Bett und schlief. Erneut rief er ihren Namen. „Delphi …“

Sie bewegte sich nicht. Das Wasser lief noch. Er würde schnell unter die Dusche springen und dann noch einmal versuchen, sie zu wecken.

Aus seinem Zimmer holte er frische Unterwäsche, eine Jogginghose und ein T-Shirt. Zurück im Bad zog er sich aus und trat unter den warmen Wasserstrahl.

Es war ein unglaublicher Tag mit Delphi gewesen. Nicht nur der Sex – obwohl der verdammt gut gewesen war –, sondern alles. Sie hatten getanzt, gelacht und geflirtet. Genau das, was er brauchte.

Nach wenigen Minuten war er fertig und kehrte in Delphis Zimmer zurück. Die Nachttischlampe tauchte ihre Gesichtszüge in sanftes Licht. Er blieb einen Moment stehen und betrachtete sie im Schlaf.

Ihr Mund war leicht geöffnet. Ihre Wimpern warfen einen schwachen Schatten auf ihre Wangen. Im Schlaf sah sie unglaublich sanft und süß aus.

Er strich mit dem Finger über ihre Wange. Sie murmelte leise und schmiegte ihr Gesicht an seine Hand.

Er hatte durchaus vorgehabt, sie zu wecken, aber sie schlief tief und fest. Er konnte sie nicht einfach so liegen lassen. Vorsichtig zog er sie aus. Wenn sie jetzt aufwachte und duschen wollte, dann sollte es so sein. Doch auch als er ihr das Nachthemd überzog, schlief sie weiter. Er deckte sie zu und schaltete die Nachttischlampe aus.

Einen Moment blieb er unschlüssig stehen. Er könnte nach nebenan gehen oder einfach zu ihr ins Bett steigen. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass sie sauer sein würde, wenn sie aufwachte und ihn in ihrem Bett vorfand, aber, verdammt noch mal, er verbrachte viele Nächte allein im Bett, und er wäre ein Narr, wenn er ihre Nähe und Wärme nicht genießen würde, solange er konnte. Besser, sie morgen um Verzeihung zu bitten, als auf ihre Erlaubnis zu warten.

Er streifte seine Jogginghose ab, legte sich auf die andere Seite des Bettes und schlang den Arm um sie. Sofort kuschelte sie sich an ihn. Zufrieden schloss er die Augen.

Dirk starrte auf den blinkenden Cursor auf dem Monitor. Fertig. Er hatte endlich die Einladung getippt, die er und Merrilee, hauptsächlich Merrilee, verfasst hatten. Jetzt musste er sie nur noch verschicken.

Natalie, ich hoffe, dir und deiner Familie geht es gut. Das Wetter ist jetzt schön in Alaska. Man kann angeln und wandern und andere nette Dinge tun. Es gibt eine schöne Wellnesseinrichtung die dir gefallen könnte. Also, eine großartige Zeit für einen Besuch, falls du noch keinen Urlaub geplant hast. Was meinst du? Hast du Lust, mich zu besuchen? Dein Freund Dirk.

Er holte tief Luft, drückte die Taste und atmete aus, als die Nachricht raus war.

Dann zog er sich aus. Nur in Boxershorts hätte er Natalie nie eine E-Mail schreiben können. Das schien einfach nicht richtig. Er wollte gerade den Laptop schließen, da begann sein Herz laut und schnell zu pochen. Natalie hatte geantwortet. Unschlüssig stand er da. Wenn sie Ja gesagt hatte, dann wäre er zu aufgeregt, um zu schlafen. Wenn sie Nein gesagt hatte, dann wäre er fertig. Und wenn er ihre Nachricht nicht las, würde ihn die Frage, was sie geantwortet hatte, die ganze Nacht quälen.

Also öffnete er die Mail. Er las sie zweimal, dann noch einmal, um sicherzugehen. Natalie würde tatsächlich kommen. Hierher. Zu ihm.

11. KAPITEL

Delphi spürte Lars’ Wärme. Sie fühlte ihn, roch ihn, und plötzlich stürzten die Erinnerungen auf sie ein. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Lars schlief, sein Kopf lag neben ihrem auf dem Kissen.

Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie darauf wartete, dass das Wasser in der Dusche warm wurde. Sie blickte an sich hinab. Sie hatte ihr Nachthemd an. Vermutlich hatte er es ihr angezogen.

Sie konnte nicht sagen, warum die Vorstellung, dass er sie ausgezogen hatte, so beunruhigend war, aber es war so. Sie hatten Sex miteinander gehabt. In ihrem Job zog sie routinemäßig Patienten aus und dachte sich nichts dabei. Es hatte jedoch etwas Intimes, von einem Mann ausgezogen zu werden, mit dem man Sex gehabt hatte, und dann das Bett zu teilen, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Vielleicht war es das, was sie so aus dem Konzept brachte – dass er in ihrem Bett lag. Schließlich war sein Zimmer direkt nebenan.

Schnell rief sie sich ins Bewusstsein, dass Intimität keine Rolle spielte. Am Ende der Woche würde er abreisen, es stand also nichts auf dem Spiel. Das gab ihr ein Gefühl der Freiheit. Es gab keinen Machtkampf, keine Möglichkeit für ihn, etwas, was sie sagte oder tat, falsch zu verstehen. Und wenn er es doch tat, nun, dann würde sie wegen seines Fehlers nicht gefeuert oder angeschwärzt werden.

Er war ein interessanter Mann, das musste sie ihm lassen. Ein Mann, der Bomben zündete und tanzen konnte wie kein Zweiter. Ein Mann, der im Job sein Leben aufs Spiel setzte, aber auch anfällig für die Eskapaden seiner Mutter war.

Er schlief auf der Seite, mit dem Rücken zu ihr, einen Arm über den Kopf gestreckt. Sie lag von hinten an ihn geschmiegt und spürte seine nackten Beine an ihren Schenkeln.

Im Flugzeug hatte sie ihn zwar attraktiv, aber lästig gefunden. Tatsächlich aber waren der gestrige Tag und die letzte Nacht mit ihm wunderschön gewesen. Und der Sex im See einfach unglaublich.

Heftiges Verlangen erfasste sie. Jetzt schien ein guter Zeitpunkt zu sein, herauszufinden, ob er ein Morgenmensch war oder nicht.

Sie schob die Hand unter sein T-Shirt, und er wachte sofort auf. Zwar bewegte er sich nicht, aber sie merkte es an seiner Körperspannung.

Sie schwiegen beide, als sie ihre Erkundungstour fortsetzte. Sie fuhr ihm über den straffen Bauch und folgte der feinen Haarlinie bis zum Rand seines Slips.

In der Stille des Raums war sein schneller Atem zu hören. Sie schob die Hand unter den Gummizug und traf auf die samtige Härte seiner Erektion.

„Das ist dein Weckruf, Soldat.“

Er lachte leise. „Ist das das Signal?“

Sie strich über seinen Penis und bemerkte den kleinen Tropfen an der Spitze seiner Eichel. „Solltest du nicht zum Angriff blasen?“

„So läuft das normalerweise ab.“ Er rollte sich auf den Rücken, ein verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht.

Leise lachend kroch sie unter die Decke, zerrte ihm den Slip herunter und begann, ihn zu lecken. Stöhnend schob er die Hand unter die Decke und strich ihr übers Haar.

Delphi nahm ihn in den Mund und intensivierte ihr Verwöhnprogramm. Dabei steigerte sich ihre Erregung ins Unermessliche.

Schließlich ließ sie ihn los und hauchte Küsse auf seine Schenkel und seinen Bauch. Lachend zog er sie unter der Decke hervor.

„Na, das war mal ein Weckruf“, sagte er und küsste sie auf die Schulter und den Hals. Seine Bartstoppel kratzten auf ihrer Haut. Er lehnte sich leicht zurück. „Ich will dich jetzt noch nicht küssen, weil ich mir noch nicht die Zähne geputzt habe.“

„Geht mir genauso.“ Nichts verdarb schneller die Stimmung als Mundgeruch.

„So kann ich aber nicht auf den Flur gehen.“ Er deutete auf seine Erektion.

Delphi kicherte, als sie sich vorstellte, dass er in diesem Zustand anderen Gästen begegnete. „Ist besser, du lässt es.“

„Du findest das lustig, was? Das wirst du mir büßen …“

Er presste heiße Küsse auf ihr Schlüsselbein und ließ die Lippen dann tiefer wandern. Ihr stockte der Atem, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Er nahm ihre Brustwarze in den Mund und saugte daran. Sie unterdrückte einen Schrei, als sie jemanden durch den Flur laufen hörte. Stattdessen krallte sie die Finger in sein Haar. Er saugte fester. Sie biss sich auf die Lippe. Zu wissen, dass andere Gäste wach waren und direkt vor ihrer Tür herumliefen, machte ihr sinnliches Spiel noch erregender.

Nun nahm er sich die andere Brust vor und überließ es der kühleren Luft, die nun feuchte Seite zu „küssen“. Gleichzeitig schob er ihren Slip beiseite, fuhr mit dem Finger durch ihr Schamhaar und tauchte in ihre feuchte Mitte ein. Sie keuchte. Seine Liebkosungen jagten kleine Stromstöße durch ihren Körper.

Oh. Ja. Sie krallte die Finger ins Laken. Immer intensiver streichelte er sie, während er mit ihren Brustspitzen spielte, bis sie glaubte, es keine Sekunde länger aushalten zu können.

Als wüsste er, was sie brauchte und wie sie es brauchte, zog er sie an sich, sodass ihr Mund an seiner Schulter lag. Das dämpfte ihren Schrei, als sie heftig kam.

Lars lächelte in sich hinein. Das war ein Wahnsinnsweckruf gewesen … und sie waren noch nicht fertig. Delphi war kurz davor, herauszufinden, was eine Explosion war. Und auch er sehnte sich nach Erlösung.

Sie küsste seine Schulter und schmiegte sich ermattet an ihn. Er drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Atme erst mal durch, Blondie.“

Ihre Augen weiteten sich und funkelten dann vor Interesse und Erregung. „Was hast du vor?“

Er stand auf und trat ans Bettende. Draußen wurde die Badezimmertür geöffnet, und die Schritte eines weiteren Gasts hallten auf dem Holzboden des Flurs wider.

Die Schritte stoppten eine Tür weiter. „Myrtle, beeil dich. In einer halben Stunde geht’s los zum Fischen.“

„Jetzt hetz mich nicht so, Lamar.“

Lars und Delphi tauschten einen Blick. Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Pst.“ Er zwinkerte ihr zu und gab ihr ein Zeichen, sich umzudrehen. Bereitwillig rollte sie sich auf den Bauch und blickte über die Schulter zu ihm.

Vor der Tür lief das Paar hin und her.

Lars winkte sie mit dem Finger zu sich. Sie bewegte sich kaum merklich. Er grinste, denn ihm gefiel ihr Spiel. Er packte sie an beiden Knöcheln und zog sie über die Matratze bis fast an den Rand des Bettes. In gespielter Überraschung öffnete sie den Mund. Er lachte leise, klopfte ihr leicht auf den Po und zeigte mit dem Daumen nach oben.

Delphi ging auf die Knie, und der Spaß war vorbei, als sie ihren runden Po in die Luft reckte und ihm ihr feuchtes Geschlecht präsentierte.

Sanft drückte er ihre Schultern nach unten. Oh, ja, das war unglaublich erotisch. Langsam drang er in sie ein.

Aufstöhnend schnappte sie sich ein Kissen und vergrub das Gesicht darin. Gemeinsam fanden sie einen Rhythmus, der immer intensiver wurde. Es war so verdammt heiß zu sehen, wie sein Penis in sie hinein- und wieder herausglitt, zu spüren, wie ihr warmes, feuchtes Geschlecht ihn umschloss.

Er konnte spüren, wie ihr Höhepunkt sich anbahnte. Und so ließ er sich auch gehen und kam nach drei weiteren Stößen gleichzeitig mit ihr. Gemeinsam sanken sie aufs Bett.

Er hatte immer noch sein T-Shirt an. Und sie ihr Nachthemd.

„So kannst du mich jederzeit wecken.“

Sie lächelte.

Es war gut, dass sein Tag so begonnen hatte. Jetzt wappnete er sich für das, was vor ihm lag. Er setzte sich auf. „Ich muss leider los. Meine Mom reist heute Morgen ab. Versuch, mich nicht zu vermissen.“

Sie gab einen verdächtigen Laut von sich.

„Schnarchst du etwa?“, fragte er amüsiert.

„Hmm.“

„Mich anzuflehen, nicht zu gehen, bringt nichts. Ich muss gehen, Blondie.“

Unter schweren Lidern sah sie ihn an. „Du bist ein Idiot, Reinhardt.“

„Ach ja? Würdest du einen Idioten das tun lassen?“ Er hob den Saum ihres Nachthemds an und küsste ihre pralle Pobacke, als er aus dem Bett stieg.

Sie lachte überrascht und drehte sich auf den Rücken. „Danke.“

„Wofür?“ Dankte sie ihm für den Sex? Fürs Weggehen? Dafür, dass er ihr buchstäblich den Hintern geküsst hatte?

„Für alles. Der gestrige Tag hat Spaß gemacht. Und danke, dass du mich gestern Abend ins Bett gebracht hast. Und heute Morgen … na ja, das war richtig gut.“

„Ich verabschiede nur schnell meine Mutter“, sagte er. „Bin bald wieder da.“

Sie schenkte ihm ein neckisches Lächeln. „Damit habe ich gerechnet.“

Er liebte ihr Lächeln. Es war immer anders. Mal war es ein herzliches Lächeln, mal ein hochmütiges, dann wieder ein Ich-hatte-gerade-tollen-Sex-Lächeln.

„Okay.“ Er verließ sie nur ungern.

„Geh, bevor ich dich wieder ins Bett ziehe.“

Schnell schlüpfte er in seine Hose. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sah zu ihr. Sie lag verführerisch ausgestreckt auf dem weißen Laken und hatte ein Ich-will-mehr-von-dir-Lächeln aufgesetzt … definitiv sein bisheriges Lieblingslächeln.

Merrilee zögerte, was sie bei ihrem Mann nur selten tat. Bull war seit fünfundzwanzig Jahren nicht nur ihr Geliebter, sondern auch ihr bester Freund. Doch wenn es um Blutverwandte ging, konnten die Menschen seltsam sein. Ihr Mann war da keine Ausnahme. Aber sie musste mit ihm reden und würde ihre Worte sorgfältig wählen.

„Was hast du auf dem Herzen?“, kam er ihr zuvor. „Du siehst schon den ganzen Morgen aus, als würdest du gleich platzen. Was ist los?“

Er kannte sie gut, manchmal zu gut.

„Na ja, gestern …“

„Ich weiß. Ich habe darauf gewartet, dass du die Sache mit Janie ansprichst. Mir war bis gestern Abend gar nicht bewusst, wie sehr ihre Macken … ihre Jungs beeinflusst haben. Ich war mit meinem eigenen Leben beschäftigt und habe nicht wirklich viel Zeit mit den Jungs verbracht, seit sie Teenager waren. Aber ich glaube, Janies Verhalten hat sich negativ auf Lars ausgewirkt. Offensichtlich ist sie der Grund, weshalb er sich nicht ernsthaft auf eine Frau einlassen will.“

Merrilee war so auf Dirks Probleme fokussiert gewesen, dass sie nicht an Lars gedacht hatte.

„Damit könntest du recht haben, aber ich möchte mit dir über Dirk sprechen.“

„Was ist mit Dirk?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht richtig lesen und schreiben kann.“

„Du meinst, er ist Analphabet?“

„Nicht direkt Analphabet, aber ich glaube, er hat da ein Problem.“

„Wie kommst du darauf? Hat er etwas gesagt?“

„Nein. Das würde er nie tun. Und ich denke, er hat es über die Jahre gut kompensiert und versteckt. Aber ich habe ihm geholfen, eine E-Mail zu schreiben, was eine andere Geschichte ist, und es war ziemlich offensichtlich.“

„Hmm.“

„Ich weiß, du sagst mir immer, ich soll mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.“

„Was du meistens ignorierst. Aber dieses eine Mal solltest du es nicht tun.“

„Ich bin froh, dass du es so siehst. Ich weiß nur nicht, wie ich es angehen soll, weil ich seine Gefühle nicht verletzen will. Vielleicht wäre es besser, wenn du ihn darauf ansprechen würdest.“

„Ich finde, wir sollten uns beide mit ihm hinsetzen. Aber wir müssen einen Plan haben, den wir ihm als Option präsentieren können.“

„Okay.“ Merrilee könnte einen Plan ausarbeiten. Darin war sie gut.

„Glaubst du, Liam und Tansy wissen es?“, fuhr Bull fort. „Schließlich arbeiten sie mit ihm zusammen.“

„Ich denke, sie haben keine Ahnung. Sie würden es nicht ignorieren. Aber, verdammt, seine Mom war Lehrerin. Wie kann es sein, dass Laurie es nicht bemerkt hat?“

„Vielleicht weil Dirk sich immer mehr für andere Dinge interessiert hat – jagen oder mit dem Geländewagen fahren und die Schule schwänzen. Ich glaube, sie hat irgendwann aufgegeben und ihn tun lassen, was er wollte.“

„Ja, du würdest auch die Schule schwänzen, wenn du nicht so gut lesen könntest wie alle anderen in deiner Klasse.“

„Vielleicht wäre es das Beste, wenn Lars mit ihm redet. Die beiden standen sich immer sehr nah.“

„Ich weiß nicht. Er wüsste sofort, dass es von mir kommt.“

„Vielleicht ist er auch erleichtert, dass wir drei Bescheid wissen.“

„Du bist ein guter Mann, Bull Swenson.“

„Ich weiß.“

Spielerisch schlug sie nach ihm.

„Ich bin ein verdammter Glückspilz.“

12. KAPITEL

Delphi sollte aufstehen. Sie sollte etwas tun. Stattdessen lag sie einfach da, nachdem Lars gegangen war, und schwelgte in Glücksgefühlen.

Die Laken dufteten nach ihm, und die Luft roch nach Sex. Und was für ein Sex! Er war intensiv gewesen, lustig, unanständig … und unglaublich befriedigend.

Sie lächelte ins Kissen. So musste sich ein Drogensüchtiger fühlen. Denn so gut es auch gewesen war, sie wollte mehr.

Zwanzig Minuten später lag sie im duftenden Badewasser. Sie schloss die Augen und dachte daran, wie sie von Lars in diesem Bad geträumt hatte. Seufzend lächelte sie. Der Mann war so viel besser als die Fantasie. Sie hatte damit gerechnet, dass er heute andere Pläne hatte, aber seine einzige Verpflichtung war anscheinend, mit seiner Mutter zu frühstücken und sie dann zu verabschieden. Er hatte gesagt, er käme wieder, und sie würde warten und bereit sein.

Wenn er die Wahl hätte, würde Lars lieber ein Feld mit Landminen in die Luft jagen, als sich mit seiner Mutter auseinanderzusetzen. Ihre schlechte Laune zeigte sich schon in ihrer Körperhaltung. Sie war, wie man so schön sagte, geladen.

„Guten Morgen, Mutter“, begrüßte er sie und lächelte gequält.

„Lars.“ Sie nickte ihm kurz zu. Offenbar war es für sie kein guter Morgen.

Seine Mutter sollte wieder mal Sex haben. Ihm hatte es auf jeden Fall sehr gutgetan.

„Bereit fürs Frühstück?“, sagte er.

„Du bist also bereit, eine weitere Mahlzeit mit mir zu ertragen?“

„Hier ist der Deal, Mom. Ich würde gern mit dir frühstücken, aber ich habe keine Lust, mir die nächste Stunde schnippische Kommentare anzuhören.“

Totenstille erfüllte den Raum. Über ihnen quietschte eine Bodendiele. Delphi.

„Ich lasse nicht zu, dass du so mit mir sprichst.“ Ihre Entrüstung und ihr eiskalter Tonfall unterstrichen ihre Worte.

„Lass uns einfach versuchen, ohne Feindseligkeit und verletzte Gefühle zu frühstücken, Mom.“

Bull hatte ihn gestern Abend gewarnt, etwas anderes zu erwarten. Die Einschätzung war goldrichtig. Lars hatte also die Wahl. Er konnte mit seiner Mutter frühstücken und eine Stunde lang diesen Mist ertragen oder sich jetzt verabschieden und sich die sechzig Minuten Elend ersparen.

Als Kind hatte er keine Wahl gehabt. Selbst als Erwachsener hatte er – bis jetzt – keine Alternative gesehen. Es war, als hätte das Gespräch mit Delphi etwas in ihm freigesetzt.

„Ich hab dich lieb, Mom. Ich wünsche dir eine gute Rückreise, und pass auf dich auf.“

„Du … du meinst … du wirst nicht mit mir frühstücken?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Es tut mir leid, dass du zu glauben scheinst, dass ich immer das Falsche sage.“

„Und mir tut es leid, dass du es so empfindest.“ Er umarmte sie. „Pass auf dich auf.“

Er war schon halb durch den Raum gelaufen, als sie nach ihm rief.

„Wohin willst du?“ Sie klang so verwirrt, dass er fast einen Rückzieher gemacht hätte.

„Es ist ein schöner Morgen für einen Spaziergang.“ Seine Mom würde ihm hier drinnen eine Szene machen, ihm aber nicht auf die Straße folgen. „Hab dich lieb, Mom.“ Er konnte ihr nicht mit gutem Gewissen sagen, dass es schön gewesen war, sie zu sehen.

Durch die Vordertür trat er ins Freie. Es war keine Flucht, eher ein strategischer Rückzug, eine Entscheidung, das feindliche Feuer nicht zu erwidern.

Die warme Sonne auf seinem Gesicht fühlte sich gut an, als er die Straße hinunterging. Sich nicht länger von seiner Mutter schikanieren zu lassen, war noch besser.

Plötzlich tauchte sein Cousin wie aus dem Nichts auf. Andererseits war er so in Gedanken gewesen, dass er Dirk hätte umrennen können, ohne es zu merken.

„Hi, Dirk. Wie läuft’s?“

„Sie kommt.“

Was, zum Teufel …? Lars warf einen Blick über die Schulter, aber seine Mutter war nirgends zu sehen. „Mom ist da nicht.“

„Warum sollte sie auch?“ Dirk sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Ich dachte, sie reist heute ab.“

Sie gingen weiter.

„Tut sie auch. Egal, fangen wir noch mal von vorn an. Wer kommt?“

„Natalie.“

Richtig. Sie hatten am Freitagabend von ihr gesprochen. „Cool. Gut gemacht, Dirk. Wann ist sie hier?“

„Das weiß ich noch nicht.“ Der Ausdruck in Dirks Gesicht versetzte Lars einen Schlag. Er hatte viele Männer sterben sehen, und sie hatten genau diesen Blick in den Augen gehabt, ein Blick des Unvermeidlichen, der Resignation, des Aufgebens. Ein Blick, den er jetzt auch bei seinem Cousin sah. Was, zum Teufel, ging nur in Dirk vor? Lars war plötzlich klar, dass sie sich nicht zufällig getroffen hatten. Sein Cousin hatte ihm aufgelauert.

„Was ist los?“ Dirk musste sich offensichtlich etwas von der Seele reden.

„Ich hätte sie nicht fragen dürfen. Ich bin nicht gut genug für sie. Ich …“

„Moment. Was soll das? Du bist ein toller Kerl, der hart arbeitet. Was also meinst du damit, du bist nicht gut genug für sie?“ Er ließ sich ihr Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Dirk hatte nie eine ernste Beziehung gehabt. Aber er war definitiv heterosexuell. Sonst wäre er wegen Natalie nicht so unglücklich gewesen. So blieb nur noch eine Möglichkeit. „Weißt du, wenn du ein Problem damit hast, keinen hochzukriegen, kann der Arzt dir was verschreiben.“

Dirk wurde knallrot. „Natürlich kriege ich einen hoch. Was soll das?“

„Genau, was soll das? Wenn du nicht auf Jungs stehst und keine Potenzprobleme hast, was ist dann dein Problem? Verdammt, ich bin sicher, es gibt eine Medizin für das, was dich quält. Heutzutage kann man gegen so ziemlich alles eine Pille nehmen.“

„Ja? Gibt es auch eine Pille gegen Dummheit?“

Dirk war vielleicht keine Intelligenzbestie, aber dumm war er auch nicht. „Du bist nicht dumm. Warum sagst du so was?“

Dirks Gesicht nahm einen mürrischen Ausdruck an, und Lars holte tief Luft und betete um Geduld. Diesen Gesichtsausdruck hatte sein Cousin immer, wenn er sich in etwas verrannt hatte.

„Hör zu, Dirk. Ich bin nicht deine Mutter und auch nicht dein Psychiater. Du kannst mit mir reden. Also, was ist los?“

Eine gefühlte Ewigkeit starrte Dirk ihn an. Offensichtlich überlegte er.

„Ich kann nicht …“ Der letzte Teil war ein unverständliches Gemurmel.

„Was kannst du nicht? Verdammt, rede, Mann.“

„Ich kann nicht so gut lesen.“

„Und?“ War heute ein Tag für Familiendramen? „Ich war nicht gut in Geschichte. Na und?“

„Ja, okay. Danke.“ Dirk wandte sich zum Gehen. Es war der Ausdruck hoffnungsloser Resignation, der Lars dazu brachte, die Hand nach seinem Cousin auszustrecken und ihn festzuhalten.

„Moment. Wie schlimm ist es denn?“

Dirk versuchte, Lars’ Hand abzuschütteln. „Vergiss, dass ich es erwähnt habe. Es ist keine große Sache.“

„Wenn es dich quält, dann ist es eine große Sache.“

„Ich hätte nichts sagen sollen.“

Allein die Tatsache, dass er sich ihm anvertraut hatte, bedeutete, dass Lars ihn nicht hätte abblitzen lassen sollen. „Es ist definitiv ein Problem, aber keins, das man nicht lösen kann.“

„Ach ja? Zwölf Jahre lang haben es mir die Lehrer immer wieder unter die Nase gerieben, ich kann es einfach nicht. Die Buchstaben sind das reinste Chaos.“

„Das ist Scheiße. Aber man kann etwas dagegen tun. Du bist offensichtlich nicht dumm. Wie machst du deinen Job bei Liam? Musst du nicht Vorratslisten und so was führen?“

„Ich kenne die Listen auswendig und erkenne die Wörter, weil ich sie mit Liam und Tansy durchgegangen bin.“

„Wissen sie es?“

„Niemand weiß es.“

„Okay, hör zu, wir kriegen das hin. Ich habe keine Ahnung davon, aber lass uns mit Merrilee reden. Sie kann sicher helfen.“

„Sie ist nett. Sie hat mir geholfen, den Brief an Natalie zu schreiben.“

„Dirk, ich bin sicher, dass sie helfen kann. Wollen wir zusammen zu ihr gehen? Oder möchtest du lieber allein mit ihr reden?“

„Ist mir egal.“ Dirks Achselzucken sagte etwas anderes. „Du hast bestimmt noch einiges zu tun.“

„Ich habe heute noch nichts vor. Lass uns warten, bis meine Mutter ins Flugzeug gestiegen ist, und dann setzen wir uns mit Merrilee zusammen und überlegen, was zu tun ist.“

„Okay.“ Die Anspannung wich ein wenig aus Dirks Gesicht. „Danke, dass du dir Zeit nimmst, mir zu helfen. Weißt du, ich fühle mich bereits besser.“

„Kein Problem. Dafür ist die Familie doch da, oder? Es wird alles gut.“

Während sie auf Jane Reinhardts Abflug warteten, unterhielten sie sich über Football und analysierten den letzten Super Bowl und wie er hätte anders verlaufen können.

Schließlich erhob sich das kleine Buschflugzeug in den Himmel.

„Die Luft ist rein“, sagte Dirk.

„Lass uns zu Merrilee gehen.“

„Wir könnten es auch am Montag tun oder warten, bis wir aus dem Camp zurück sind.“

„Netter Versuch, Dirk, aber nein. Na los, komm schon.“

Und so machten sie sich gemeinsam auf den Weg.

13. KAPITEL

Lars blieb vor der Tür stehen, und einen Moment lang dachte Dirk, sein älterer Cousin würde ihm eine Pause gönnen.

„Okay, ich bin zur moralischen Unterstützung hier, aber du musst die Sache allein durchziehen.“

Dirk nickte, machte sich bereit und öffnete die Tür.

Merrilee blickte von ihrem Schreibtisch auf. „Ah, meine zwei Lieblingsneffen.“

„Hi, Merrilee, hättest du ein paar Minuten Zeit für uns?“ Die Worte sprudelten nur so aus Dirks Mund.

„Natürlich. Was gibt’s, Jungs?“

„Vielleicht könnten wir einen Spaziergang machen oder so“, sagte Dirk und schaute zu Dwight und Jefferson. Dwight war fast taub, aber Jeffersons Gehör war noch in Ordnung.

„Klar doch. Sind die Picknicktische okay, oder wollt ihr rüber zum Haus gehen?“

„Picknicktische“, antwortete Dirk. Wenn er die Wahl hatte, blieb er lieber draußen. Vielleicht lag es daran, dass er so verdammt groß war, aber drinnen fühlte er sich immer eingeengt.

Sie traten durch die Hintertür und überquerten die Landebahn. Merrilee setzte sich auf einen der Tische und stellte die Füße auf die Bank. Lars setzte sich ans andere Ende der Bank, mit dem Rücken an die Tischkante gelehnt, und streckte die Beine aus.

Dirk lief auf und ab. Er konnte sich nicht setzen.

Merrilee wartete geduldig. Dirk spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Je länger er es hinauszögerte, desto schwieriger würde es werden. Also nahm er all seinen Mut zusammen und schaute Merrilee in die Augen. Er mochte ein Dummkopf sein, ein Feigling war er nicht. „Ich habe Probleme mit dem Lesen. Manchmal, oft, geraten die Buchstaben durcheinander. Ich meine, ich kann lesen, aber …“ Er verstummte. Es gab keinen Grund, es zu beschönigen.

Merrilee zuckte mit den Schultern. „Okay.“

Er sah es in ihren Augen. Da war nicht der Hauch von Überraschung. „Du hast es gewusst?“

„Ich habe es vermutet.“

Dirk setzte sich auf den Boden. Merrilee hatte ihn nicht so ungeduldig angeschaut, wie seine Lehrer es getan hatten. Er las nur Freundlichkeit in ihren Augen.

„Gut“, sagte Merrilee, „dann werde ich dich unterrichten. Wir arbeiten zusammen, und du wirst besser werden.“

Bei ihr klang es so einfach. Sie würde ihn unterrichten, und er würde es lernen. So wie alle anderen Kinder. Lehrer unterrichteten, Kinder lernten. Er hatte mit den anderen Kindern in der Klasse gesessen und aufgepasst, aber er hatte es nie verstanden. Warum glaubte er, dass es diesmal anders sein würde? Vielleicht wäre es genauso …

„Denk nicht mal daran“, sagte Merrilee. „Jeder kann es lernen. Auch du.“

Dirk wischte sich über die Augen. Er war nicht allein. Er war kein hoffnungsloser Fall. Und vielleicht war er wirklich nicht dumm. Es musste Hoffnung geben.

Lars glaubte daran, und wenn Merrilee es jetzt auch sagte, dann musste es so sein.

Delphi zog sich ein T-Shirt und eine Radlerhose an und fühlte sich ziemlich dumm. Sie hatte ihr gemütliches Bad beendet, etwas Parfüm aufgelegt und nach den verführerischsten Sachen gesucht, die sie eingepackt hatte. Die Auswahl war dürftig, schließlich war sie hierhergekommen, um zu arbeiten, und beim Packen nicht gerade in erotischer Stimmung gewesen.

Sie hatte sich für einen schwarzen Spitzenslip und einen passenden Push-up-BH entschieden. Anschließend hatte sie sich geschminkt, das Bett gemacht und die Decke einladend zurückgeschlagen. Dann hatte sie gewartet.

Als sie das Flugzeug abheben hörte, hatte ihr Herz doppelt so schnell geschlagen. Das war vor einer halben Stunde gewesen. Unter normalen Umständen war dies keine lange Zeit, aber sie war in Good Riddance. Hier gab es keine Staus. Meine Güte, Jane Reinhardt war direkt vor der Tür abgeflogen.

Sie würde keine weitere Minute mit Warten verschwenden.

Ihr Instinkt hatte sie mal wieder getäuscht. Aber zumindest gab es keine katastrophalen Folgen wie zuvor. Jetzt war nur ihr weiblicher Stolz verletzt. Auf keinen Fall wollte sie Lars wissen lassen, dass sie hier oben gesessen und gewartet hatte – sehnsüchtig und voller Verlangen. Sie band ihre Schuhe zu und stand auf.

Offensichtlich war der Sex für ihn nicht so umwerfend, heiß und unglaublich gewesen wie für sie, sonst würde er wie sie mehr wollen. Na ja, zumindest hatte sie das gewollt. Vergangenheitsform. Jetzt wollte sie es nicht mehr.

Nein. Lars hatte sie befriedigt. Also, danke, Marine. Von nun an würde sie sich um ihre Angelegenheiten kümmern. Na also, ging doch. Es war eine Win-win-Situation. Er hatte Sex gehabt. Sie hatte Sex gehabt. Sie hatte sich gestern Abend, letzte Nacht und heute Morgen amüsiert. Nicht mehr und nicht weniger.

Also, jetzt zu ihren Plänen. Sie hatte ihr Mountainbike schon im Voraus hierhergeschickt. Merrilee hatte ihr gezeigt, wo es stand, aber sie hatte bisher keine Zeit gehabt, es zu holen. Jetzt hatte sie Zeit in Hülle und Fülle, und es war ein herrlicher Tag für eine Radtour.

Sie setzte ein fröhliches Gesicht auf und verließ ihr Zimmer. Jefferson und Albertas Ehemann Dwight drehten sich zu ihr um, als sie nach unten kam.

„Guten Morgen, meine Herren.“

„Guten Morgen“, erwiderte Jefferson höflich.

„Wenn Sie nach Ihrem Freund suchen, der ist draußen“, erklärte Dwight.

Gegen ihren Willen blickte sie in die Richtung, in die er zeigte. Durch das Fenster konnte man die Landebahn sehen. Merrilee, Dirk und Lars saßen an einem Picknicktisch auf der anderen Seite der Piste.

„Er ist nicht mein Freund.“ Delphi fühlte sich verpflichtet, diesen offensichtlich falschen Eindruck zu korrigieren. Wie dumm von ihr, in einem zugegebenermaßen erregten Zustand oben zu warten. Allein an Lars zu denken und daran, was sie gemacht hatten und was sie wieder mit ihm tun wollte, hatte sie so heiß gemacht, dass ihr Höschen feucht war. Und er saß draußen und machte sich einen netten Vormittag mit Dirk und Merrilee.

„Lassen Sie sich von mir nicht von Ihrem Spiel ablenken. Ich will nur mein Fahrrad holen und es zusammenbauen.“

Delphi rückte gerade den Sattel zurecht, als die Hintertür aufging und Lars hereinkam. Sie konzentrierte sich ganz auf ihr Fahrrad.

„Deine Freundin ist da drüben“, sagte Dwight laut.

Lars nickte und schlenderte zu ihr herüber.

„Hi, du“, sagte er mit diesem Lächeln, bei dem sie weiche Knie bekam. „Ich bin aufgehalten worden.“

„Kein Problem.“ Sie lächelte so süß, wie es ihr möglich war, und richtete sich auf.

„Schönes Rad.“

Sie lehnte es gegen die Wand. Es war fahrbereit. „Danke. Fährst du Rad?“

Sie packte ihr Werkzeug weg.

Lars schüttelte den Kopf und beobachtete sie, wobei ein verlangender Ausdruck in seine Augen trat, der dasselbe Verlangen in ihr entzündete. „Nein, aber ich erkenne eine erstklassige Ausrüstung sofort. Wolltest du jetzt eine Tour machen?“

Er blickte auf ihre Radlerhose, und ein wissendes Lächeln umspielte seinen Mund, als er sah, wie ihre aufgerichteten Brustwarzen gegen ihr Shirt drückten.

Sie versuchte, das gewaltige Knistern zwischen ihnen zu ignorieren. „Jep, es ist ein herrlicher Tag für eine Radtour.“

Lars blickte über die Schulter auf die beiden alten Männer, dann wieder zu ihr. Jefferson und Albertas Ehemann taten nicht einmal so, als würden sie spielen. Sie beobachteten sie und Lars ganz offen.

„Könnte ich dich kurz allein sprechen? Oben? Bevor du losfährst?“

Ihr erster Gedanke war, freundlich zu lächeln und zu sagen, dass sie miteinander plaudern könnten, wenn sie zurückkam. Doch egal, was sie tat – ob sie mit dem Fahrrad losfuhr oder mit Lars nach oben ging – sie würden für Klatsch sorgen.

„Sicher, fünf Minuten habe ich, bevor ich losfahre.“

Lars stieg hinter ihr die Treppe hinauf und genoss ihren verführerischen Hüftschwung. Sie konnte so viel lächeln, wie sie wollte, aber Miss Delphi Reynolds war stinksauer.

Er war ihr keine weitere Erklärung schuldig, außer der, dass er aufgehalten worden war. Aber er hatte gesehen, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten, und in diesem Moment beschlossen, dass sie später mit dem Fahrrad fahren könnte und sich jetzt vielleicht auf etwas ganz anderes einließe.

Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer und trat zur Seite. „Ladies first.“

Sie betrat das Zimmer und sah sich scheinbar interessiert um. Die Arme hatte sie vor der Brust verschränkt. Lars schloss die Tür.

Verdammt, es war, als würden sie wieder bei null anfangen. Ihre Körpersprache sandte die gleiche Botschaft wie am Freitag aus, als er das Flugzeug bestiegen hatte: Lass mich in Ruhe.

Er lehnte sich gegen die Tür. „Es gab einen familiären Notfall.“

„Kein Problem. Verstehe ich.“

Von wegen Kein Problem und Verstehe ich . „Hör zu, ich kann nicht näher darauf eingehen, aber ich bin so schnell wie möglich zurückgekommen.“

Sie nickte. „Schon in Ordnung, Lars. Wirklich. Die letzte Nacht und der heutige Morgen haben Spaß gemacht, aber du schuldest mir nichts und ich dir auch nicht.“

„Du hast recht, wir schulden einander nichts. Aber etwas stimmt nicht, Blondie, das heute Morgen war unglaublich.“

Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. „Ja, es war gut.“

„Unglaublich.“

„Wie war das Frühstück mit deiner Mutter?“, wechselte sie das Thema.

„Wir haben nicht zusammen gefrühstückt. Es war klar, dass sie wieder nur versuchen würde, mich auf Spur zu bringen, also bin ich gegangen. Ich bin nicht nach oben gekommen, weil sie mir gefolgt wäre und eine Szene gemacht hätte. Deshalb bin ich nach draußen gegangen, dort auf Dirk getroffen, und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.“

„Verstehe.“

„Wirklich? Du warst definitiv das Beste am heutigen Morgen.“ Er machte einen Schritt auf sie zu. „Ich möchte, dass du auch der beste Teil des Nachmittags wirst.“

Sie wich seinem Vorstoß aus. „Das ist echt süß von dir, aber ich habe dir bereits gesagt, dass ich eine Fahrradtour machen werde.“

Neuer Versuch. Andere Taktik. „Wie war dein Morgen? Was hast du gemacht?“

„Ich habe ein langes Bad genommen, mein Zimmer aufgeräumt und bin dann nach unten gegangen. Der Rest ist, wie du sagst, Geschichte, denn du hast mich an meinem Rad arbeiten sehen, als du kamst.“

„Verstehe.“ Er ahnte, dass sie nicht die ganze Zeit in der Wanne verbracht hatte. Sie hatte auf ihn gewartet. Er verkniff sich ein zufriedenes Lächeln.

„Machst du dich über mich lustig?“

„Absolut nicht.“ Er war einfach nur froh zu wissen, warum sie so sauer war … Sie hatte im Bett auf ihn gewartet. Er wusste es.

Er schaute auf ihre süßen Nippel, die gegen ihr Shirt drückten, und dann wieder in ihre Augen. „Komm her, Blondie.“

„Ich mache eine Fahrradtour, Marine.“

„Ich habe eine andere Idee und weiß genau, dass sie dir gefallen würde.“

„Vielleicht später.“

„Gibst du deinem armen Soldaten wenigstens einen Kuss?“

„Schlechte Idee.“

„Sorry, aber jetzt weiß ich echt nicht weiter. Kein Sex. Kein Kuss. Sag mir, was ich tun soll, Blondie. Ich hatte wirklich einen harten Morgen. Wenigstens eine Umarmung? Nur eine.“

„Ich soll dir glauben, dass du dich mit einer Umarmung zufriedengibst? Vergiss es.“

Er schwenkte die weiße Flagge der Kapitulation. „Du sagst, wo’s langgeht, Blondie. Ich wollte einfach mit dir reden …“ Sie stieß einen missbilligenden Laut aus, und er zuckte verlegen mit den Schultern. „Okay, erwischt. Ich habe auf mehr als ein Gespräch gehofft, das ist wahr – aber du hast mir die fünf Minuten gegeben, um die ich dich gebeten habe, jetzt liegt es also an dir.“

„Ich vertraue dir nicht.“

Er streckte die Hände aus. „Glaub mir, ich habe keine bösen Absichten.“ Er ließ die Hände wieder sinken. Er hatte sich noch nie so sehr um die Zuneigung einer Frau bemüht. Und verrückterweise hatte er sich noch nie so sehr nach der Zuneigung einer Frau gesehnt. „Ich will dich. Du törnst mich an. Ich war von Anfang an offen zu dir.“ Er verbeugte sich vor ihr. „Der nächste Schritt muss von dir kommen, Blondie.“

„Ich kann also durch diese Tür gehen und meine Radtour machen, ohne dass du mir böse bist?“

Lars nickte. „Aber darf ich eine Bitte äußern?“

„Sicher. Das heißt zwar nicht, dass ich darauf eingehe, aber schieß los.“

„Wenn wir das nächste Mal zusammen sind, würdest du dann das Outfit tragen?“

„Meine Fahrradklamotten?“

Offensichtlich hatte sie keine Ahnung, wie toll die engen Shorts ihre Oberschenkel und ihren Hintern zur Geltung brachten. „Sie sind heiß.“

Ihr Gesichtsausdruck war unbezahlbar.

„Hinter dir die Treppe raufzugehen … yeah. Glaub mir, das war echt heiß.“

Die berühmten letzten Worte …

14. KAPITEL

Delphi könnte das Zimmer verlassen, auf ihr Fahrrad steigen und eine Tour machen. Sie könnte sich aber auch mit ihm vertragen.

Lars wartete geduldig auf ihre Entscheidung. Breitschultrig und schmalhüftig stand er da und blickte ernst drein. Schon bei seinem Anblick verspürte sie ein erwartungsvolles Kribbeln und wurde feucht. Ihre Brüste spannten fast schmerzhaft.

Sie wandte den Blick von ihm ab. Wie sollte sie einen klaren Gedanken fassen, wenn sie mit ihm zusammen im Schlafzimmer stand?

Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Vielleicht hatte sie vorhin etwas überreagiert. Ihr Fahrrad wäre auch die nächsten drei Monate noch hier, während ihr, wow, nicht ihr , sondern der Marine in wenigen Tagen abreisen würde.

Es gab Vorsicht, und es gab Dummheit. Sie war noch nie mit einem Mann zusammen gewesen, der sie so erregte wie Lars Reinhardt … und offensichtlich war es umgekehrt genauso.

Sie strich sich über die Schenkel. „Ich denke, eine Umarmung ist drin.“

Er breitete die Arme aus, und es fühlte sich nach so viel mehr an als einer einfachen Einladung. Es ist nur eine Umarmung, rief sie sich in Erinnerung, als sie die Distanz zwischen ihnen verringerte und sich an ihn schmiegte. Sie schloss die Augen und legte den Kopf an seine Brust. Sie hörte das Pochen seines Herzens und atmete seinen Duft ein – eine Mischung aus Sonne, Mann und heißem Sex.

Seufzend kuschelte sie sich enger an ihn. Er schloss die Arme um sie, nicht fest, eher so, als wäre sie ein kostbarer Schatz, den er nicht gehen lassen wollte.

Seine Brust drückte hart gegen ihre zarten, empfindlichen Nippel. Ihr fiel auf, dass er noch nie so lange so still gewesen war, seit sie sich kennengelernt hatten. Es war eine andere Seite des Mannes, der gerade ihre Welt auf den Kopf stellte.

Seine Lippen berührten ihre Stirn, sein Penis drückte an ihren Bauch, was trotz der Kleidung deutlich zu spüren war.

Wie ein Streichholz, das in trockenen Zunder geworfen wurde, flammte ihr Verlangen auf.

Die Stille zwischen ihnen hatte etwas Gewaltiges. Sie legte die Hände um seine Oberarme und schob ihn rückwärts zum Bett. Dann stieß sie ihn leicht an, und er fiel auf die Matratze.

Er lag auf dem Bett und sah sie an wie ein Mann, der gerade im Lotto gewonnen hatte.

Erwartungsvoll streckte er die Hände nach ihr aus. „Delphi?“

Sie trat zwischen seine gespreizten Beine und legte die Hände in seine. Handfläche an Handfläche knieten sie auf dem Bett.

„Meinst du, die da unten wissen, was wir hier machen?“, fragte sie.

„Sicher.“ Es war nicht gerade das, was sie hören wollte, aber zumindest war es ehrlich. „Aber das ist in Ordnung. Ich denke, sie haben alle schon mal Sex gehabt.“

Sie lachte. „Du hast recht.“ Die ganze Stadt könnte es wissen. Sie würde trotzdem nicht aufstehen und gehen.

Mit den Fingerspitzen zeichnete sie die feinen Linien an seinen Augen nach.

„Ich habe zu viel in die Sonne geblinzelt. Eine Sonnenbrille hilft da nur bedingt.“

„Im Nahen Osten?“

„Ja.“ Er griff nach ihrer Hand, führte sie an seine Lippen und küsste jeden einzelnen Finger.

Sie lächelte, eine unerwartete Zärtlichkeit wallte in ihr auf. „Ich mag sie. Sie verleihen dir Charakter.“

„Ich würde gern glauben, dass ich selbst Charakter habe, Delphi.“ Trotz seines neckischen Tonfalls lag eine gewisse Ernsthaftigkeit in seinen Worten. „Die Fältchen bedeuten nichts weiter, als dass ich zu viel Zeit in der Sonne verbracht habe. Ich könnte der größte Mistkerl sein und hätte sie trotzdem.“

„Lars …“

„Ja?“

„Manchmal weißt du nicht, wann du die Klappe halten sollst.“

„Ich hätte da ein paar Ideen, wie du mich zum Schweigen bringen könntest.“

Sie nahm ein Kissen und tat, als wollte sie es ihm aufs Gesicht legen. Lars lachte und griff nach ihrem Hintern. Die meisten Männer hätten nach ihrer Hand oder ihrem Arm gegriffen. Lars aber griff nach ihrem Hintern. Und das war ihr ganz recht so. Sie mochte es, wie seine großen Hände ihren Po umfassten und festhielten.

„Das war nicht ganz das, was ich im Sinn hatte, Delphi.“

Autor

Jennifer La Brecque
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