Liebeswette in den Highlands

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Die schottischen Highlands im Jahr 1297. Die trunkene Wette mit seinem Zwillingsbruder ist an allem schuld: Der mutige Krieger Hamilton vom Clan Graham muss bis zum Ende des Sommers die umschwärmte Murdag als Braut gewinnen. Er bittet seine Kindheitsfreundin Beileag um Hilfe. Sie weiß bestimmt, wie er am besten vorgehen soll, um Murdag zu erobern! Doch bald kreisen Hamiltons Gedanken nicht mehr um Murdag, sondern allein um die schöne Beileag. Die trotz ihrer Vertrautheit in ihm nichts als einen guten Freund zu sehen scheint …


  • Erscheinungstag 02.09.2025
  • Bandnummer 435
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531719
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicole Locke

Liebeswette in den Highlands

1. KAPITEL

April 1297 – Clan Graham

„Hol’s vom obersten Fach herunter!“, befahl die Mutter. Schon wieder erschreckte sie ihre Tochter mit scharfer, prägnanter Stimme.

Wann immer Beileag of Clan Graham diesen besonderen Ton hörte, belasteten all die Bedrohungen der Vergangenheit, Gegenwart und düsteren Zukunft ihre Seele viel zu schwer. Was sie während des restlichen Tages tun sollte, schien ihre Kräfte bei Weitem zu übersteigen.

Ihre Mutter fuhr herum. „Warum sitzt du immer noch da?“

Weil Beileag wusste, sie würde den Hohn der Mutter verschlimmern, sobald sie sich erhob. Es gab keine Hoffnung. Gegen ihre langen Beine konnte sie nichts machen, und sie war zu alt, um sich zu wünschen, eine Märchenfee würde es ändern.

Sie legte das Messer beiseite, das sie geschärft hatte, und stand auf.

Die Schultern hochgezogen, ging sie zu ihrer Mutter. Dafür genügten wenige Schritte. Die Familie musste sich mit drei Räumen begnügen. In einem Zimmer schliefen die Eltern, eines teilte sich Beileag mit ihren drei jüngeren Geschwistern, und dazwischen lag der größte Raum. Hier kochten und aßen sie, saßen am Feuer und nähten Kleider für den Winter.

Diesen Raum mied Beileag, wenn es irgendwie möglich war. Denn hier war sie der Mutter meistens allein ausgeliefert.

„Was soll ich herunterholen?“, erkundigte sie sich.

„Die Kiste mit den großen Leinentüchern.“

Im obersten Fach des Regals reihten sich drei gleich große Kisten aneinander, mit sorgsam zusammengelegtem Leinen gefüllt. Was genau diese oder jene enthielt, war ihr nicht anzusehen. Natürlich wusste die Mutter Bescheid.

Beileag hütete sich, danach zu fragen, hob die Kiste an der linken Seite herab und trug sie zum Tisch am anderen Ende des Zimmers, wo ihre Mutter stand.

„Das ist nicht die richtige.“

Ohne mit der Wimper zu zucken, stellte Beileag die Kiste ab, kehrte zum Regal zurück und reckte sich hoch. Das alles tat sie ganz langsam, um ihrer Mutter genug Zeit für einen Hinweis auf die benötigte Kiste zu verschaffen.

„Oh“, seufzte Mama, „wie wundervoll muss es sein, wenn man so groß ist wie du und die Zeit anderer Menschen verschwenden kann, indem man ihnen eine falsche Kiste nach der anderen bringt … Ich meine die auf der rechten Seite. Was du wissen müsstest, da du sie im letzten Sommer hinaufgestellt hast.“

Beileag versuchte alle Stunden zu vergessen, die sie mit der Mutter verbracht hatte. Zweifellos waren jene im letzten Sommer ebenso unangenehm gewesen wie die jetzige.

Schweigend hob sie die benannte Kiste herunter und stellte sie auf den Tisch. Dann klappte sie – nach einem ärgerlichen Ächzen ihrer Mutter – den Deckel empor. Keine großen Leinentücher.

Die dort ist die richtige“, verkündete die Mutter und zeigte auf die dritte Kiste.

Noch immer hielt Beileag den Mund. Wenn sie auch nur den geringsten Widerstand wagte, würde sie es bitter bereuen. Ihre Handflächen begannen zu schwitzen, ihr Herz hämmerte schneller beim Gedanken an die Wörter, die ihr auf der Zunge lagen – die sie nicht mehr unterdrücken könnte, würde sie noch länger hier ausharren.

Diesmal beeilte sie sich. Krachend schloss sie den Deckel der „falschen“ Kiste, nahm die letzte aus dem Regal und wuchtete sie auf den Tisch. „Wie gut, dass wir keine Zeit anderer Leute vergeuden, nicht wahr?“ Ein verkniffenes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie den Deckel hob und eines der Bettlaken herauszerrte. „Wohin damit?“

Dunkle Zornesröte färbte das Gesicht der Mutter, beklemmende Angst krampfte Beileags Herz zusammen. Plötzlich war sie wieder ein Kind, das flüchten wollte. Mochten auch Jahre verstrichen sein – dieser verhasste Blick schwächte ihr Selbstwertgefühl immer noch.

Und der Hass wuchs mit jedem Mal, weil Mama ganz genau wusste, wie sie die Tochter einzuschüchtern vermochte.

Obwohl Beileag stets versuchte, sich möglichst klein zu machen, entging sie den wachsamen Augen ihrer Mutter niemals. So feingliedrig wie ihre abenteuerlustige, vier Jahre jüngere Schwester Oigrhirg war sie nun einmal nicht.

Oder wie die zwei Brüder Roddy und Raibert, die natürlich bald wachsen würden. So groß wie der Vater müssten sie werden. Wenn Beileag Glück hatte, sogar größer als sie. Dann würde die Mutter ihr vielleicht ein bisschen Ruhe gönnen. Leider würde das noch einige Zeit dauern. Raibert war zwölf, Roddy zehn.

In der Kindheit hatte sie oft Trost bei ihrem Vater gesucht. Freundlich hatte er ihren Kopf getätschelt und war seiner Wege gegangen, anscheinend ohne irgendetwas von den Ereignissen in seinem Haushalt zu ahnen.

Tagaus, tagein von seiner Schnitzereiwerkstatt beansprucht, sorgte er dennoch für alle hilfsbedürftigen Menschen. Aber er sah niemals, wie die vergötterte Gemahlin sein ältestes Kind behandelte. Nicht aus Bosheit oder Nachlässigkeit – er merkte es einfach nicht. Und Beileag war längst zu alt, um Beistand zu erbitten.

Jahrelanges Schweigen des Vaters, dazu Mamas endloses Gejammer, die ältere Tochter möge doch endlich heiraten … Beileags Freundinnen wurden umworben oder geküsst, ihr selber galt nicht einmal ein scheues Lächeln. Wirklich nur, weil sie viel zu groß war? Sie wünschte, jemand würde ihr Wesen erkennen. Oder ihrem Herzen wenigstens die Sehnsucht nach einer Ehe und einer eigenen Familie ersparen. Oder sie wäre kleiner. Die Mutter würde sie nicht so sehr hassen …

Und was bedeutete es ihr, ob Beileag heiratete oder nicht? Weil das Geld nicht für Dienstboten reichte, half sie im Haushalt, und soviel sie wusste, verlangte der Vater, sie müsse hierbleiben.

Gebieterisch streckte die Mutter eine Hand aus und lächelte schief, was nichts Gutes bedeutete. „Gib mir das Tuch.“

Das wollte Beileag nicht – aber die feindselige Auseinandersetzung, die zu nichts führen würde, genauso wenig fortsetzen. Langsam und vorsichtig hob sie das Leinentuch über die ausgestreckte Hand.

Das Glitzern in den Augen der Mutter hätte sie warnen müssen, bevor das Tuch zu Boden fiel. Doch sie erwartete nur weitere böse Worte, nicht den eisenharten Griff, der ihr Handgelenk umspannte, die rauen Finger auf ihrer Haut.

Erst recht nicht das Gezerre, als die Mutter sie näher zu sich heranzog, um die Hand zu inspizieren. Was sie entdecken würde, wusste Beileag – Schwielen von der Hausarbeit, alte Narben, neue Schnitte.

Mit einem Fingernagel fuhr Mama über eine dieser kaum verheilten Wunden, Blut quoll hervor.

Beileag zuckte zusammen, hörte wissendes Gelächter. „Also eiferst du deinem Vater immer noch nach?“

Vielleicht war der Kunstschnitzer blind für die Leistungen seiner Kinder. Aber Beileag hatte seine Begabung längst erkannt. Von ihrer Mutter wegen der langen Beine abgelehnt, erhoffte sie die Anerkennung des Vaters, indem sie sich sein Kunsthandwerk beibrachte.

Ein Vermögen ließ sich nicht damit verdienen. Doch sie fand immerhin Trost in dieser Tätigkeit. Eifrig lernte sie, was man mit den Geräten des Vaters machen konnte, und verbesserte stetig ihre Fähigkeiten. Schließlich war sie stolz auf ihre Werke – und versteckte sie.

„Neulich habe ich ein paar Kräuter im Kapellengarten gesammelt und mich geschnitten“, behauptete sie, um den spöttischen Blick ihrer Mutter zu beantworten.

„Lügnerin! Nachdem du vorhin an meinem Tisch ein Messer geschärft hast? Um diese Kräuter kümmert sich deine schändliche Freundin.“

Schändlich war Anna keineswegs, sie litt nur an gebrochenem Herzen. „Mit Kräutern weiß sie besser umzugehen als ich, und deshalb verletzt sie ihre Hände nicht – so wie ich meine.“

„Deine viel zu großen Hände!“, ätzte die Mutter. „Und du schneidest keine Kräuter ab! Wie ein Mann schwenkst du Werkzeuge herum! Niemals wirst du einen Gemahl finden, dieses Haus nie verlassen. Nach allem, was dein Vater und ich für dich getan haben, immer noch tun!“

Wenn ich bloß einen Mann fände, der mich liebt … Aber alle Männer im Clan Graham schienen ihrer Peinigerin beizupflichten. Entweder war Beileag eine gute Freundin – oder tatsächlich so reizlos, wie es die Mutter beklagte.

Nein, sie wollte nicht glauben, niemand könnte sie lieben. Wo sie sich doch so sehnlich einen Ehemann und Kinder wünschte, eine liebevolle Familie, die stets zusammenhielt. Mit einer Mutter, die niemals grausam war, mit einem Vater, der seinen Kindern nie auswich. War das zu viel verlangt?

Seit Jahren versuchte sie zu kokettieren und zu lächeln, sogar anzudeuten, sie wäre nicht abgeneigt, wenn man sie hofieren würde. Was offensichtlich niemand bemerkte.

Vor ein paar Tagen waren die Clan-Kundschafter nach sechsmonatelanger Abwesenheit zurückgekehrt. Für einen flüchtigen Moment hatte sie gehofft, das Interesse eines dieser Männer zu erregen. Keiner gönnte ihr auch nur einen Blick.

Ginge es ihr nicht um ihre Geschwister und die besten Freundinnen Anna und Murdag, würde sie davonlaufen – oder etwas Drastisches unternehmen.

Womöglich würden ihre großen, vernarbten Hände den Angehörigen eines anderen Clans nicht stören.

Lebte irgendwo jemand, dem es nichts ausmachen würde, wie viele Stunden sie mit scharfen Messern und hartem Holz verbrachte, um das Handwerk der Schnitzerei zu erlernen? Um kleine Figuren zu erschaffen? Die würde niemand jemals sehen, weil Beileag zu unsicher war, um sie irgendwem zu zeigen. Deshalb hatte sie alle versteckt. Hauptsächlich vor ihrer herzlosen Mutter.

Mit aller Kraft riss sie sich von dem schmerzhaften Klammergriff los. „Wenn ich einen Gatten finde – wer würde denn deine Kisten oder Körbe oder sonst was aus den oberen Fächern holen, Mutter?“, zischte sie und stapfte zur offenen Tür hinaus.

2. KAPITEL

„Nun, Murdag, was machst du an diesem schönen Tag?“ Obwohl Hamilton of Clan Graham den Müßiggang hasste – im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder Camron –, lehnte er lässig an der Stallwand.

Irgendwas gab es stets zu tun. Und seine innere Unrast ließ sich nicht abschütteln, seit der englische König Edward im März des vergangenen Jahres Schottland überfallen und König John Balliol verjagt hatte. Bei der Schlacht von Dunbar war es schlimmer geworden. Da hatte der Clan Graham seinen Laird verloren, den Grundherrn, Hamilton beinahe seinen besten Freund Seoc.

Alle Schotten waren in den Ettrick-Wald geflohen. In schlaflosen Nächten hatte Hamilton mit den Kameraden an den Graham-Außengrenzen patrouilliert und Mitglieder verbündeter Clans getroffen. Jetzt war er ins Dorf seiner Familie zurückgekehrt. Wie eine Heimkehr fühlte es sich nicht an. Gewiss, er erfüllte seine Clanspflichten eines fachmännischen Jägers noch immer sehr gern – das Grauen von Ettrick hatte seine Liebe zum Wald jedoch geändert.

Dort hätte er auch jetzt einiges zu tun. Stattdessen beobachtete er eine Kindheitsfreundin. Hinabgeneigt, strich sie rhythmisch mit beiden Händen über einen Pferdebauch.

„Wie sieht’s denn aus, was ich mache?“, fragte Murdag.

„Offenbar hat’s irgendwas mit Pferden zu tun. Wie üblich.“

„Ich reinige das Euter der Stute.“

Damit hätte er nicht gerechnet. Aber er hatte genauso wenig erwartet, er würde eine Frau umwerben, die ihn nicht einmal lange genug ansah, um das zu merken. Bei dieser Aktion ging es um eine Wette, die er mit seinem Bruder vereinbart hatte und die er gewinnen wollte – nämlich noch vor Camron am Ende des Sommers verheiratet sein. Leider fiel es ihm ziemlich schwer, die Aufmerksamkeit dieses Mädchens zu erregen.

„Jetzt wirft sie den Kopf in den Nacken und hebt ein Hinterbein“, konstatierte er. Murdag richtete sich auf und spähte über ihre Schulter. „Weil sie glücklich ist.“

Sein ganzes bisheriges Leben hatte er in der Nähe von Pferden verbracht. Eine solche Fürsorge war ihm dennoch fremd.

„Jetzt juckt’s kaum noch, meine Süße, nicht wahr?“, murmelte Murdag und setzte die Reinigung fort. „Das ist wichtig für die Stuten. Vor allem für die da, seit sie glaubt, sie wäre ein Schwein, und sich im Stroh wälzt … Brauchst du was, Hamilton?“

Dich, müsste er antworten. Das hätte er beim Geschäker mit jeder Frau getan, der er auf der Rückreise in einer Taverne entlang des Weges oder bei einem anderen Clan begegnet wäre. Nun, was Murdag betraf – seine erprobte Methode, Frauen zu umgarnen, passte wohl nicht zu ihr. Seit sie einander kannten, also schon immer, war sie seine Freundin. Was anderes hatte er nie in ihr gesehen.

Vor vier Tagen hatte sich das geändert. Nach sechs Monaten war er mit den anderen Kundschaftern endlich zurückgekehrt. Das ganze Dorf hatte ein großes Fest veranstaltet, mit Freudenfeuer, Unmengen an Ale und Met. Umso mehr Kelche waren gelehrt worden, nachdem Murdag in ihrem dünnen Kleid einen Felsblock erklettert und behauptet hatte, sie könne alle unter den Tisch trinken.

Niemand durfte einen Graham bei einem Zechgelage herausfordern. Nun, Murdag war eine Graham. Und ihre spielerische Provokation, ihre Scherze hatten ihm gefallen.

Ebenso der Feuerschein, der auf dem Dorfanger das dünne Kleid durchdrungen und ihre Gestalt beleuchtet hatte … Prompt erwachten seine Gelüste, und er wandte sich zu seinem Zwillingsbruder, um ihm das mitzuteilen.

Da sah er die gewohnte düstere Miene. Für Camron hatten die sechs Monate keine Freiheit, sondern die Trennung von der geliebten Frau bedeutet. Aber Anna, etwas älter, erwiderte die heißen Gefühle nicht. Vor einigen Jahren war sie auf einen Lügner und Betrüger hereingefallen. Deshalb wollte sie sich nie mehr verlieben, heiraten schon gar nicht.

Plötzlich ergab sich die Gelegenheit zu einer anderen Herausforderung. Als Zwillinge waren sie geradezu verpflichtet, einander ständig zu übertrumpfen. Unentwegt wetteten sie gegeneinander. Wer konnte schneller laufen, wer zielgenauer Pfeile abschießen, mehr trinken?

Und so schlug Hamilton seinem Bruder eine neue Wette vor. Wer von ihnen beiden würde vor Ende des Sommers zuerst verheiratet sein? Damit wollte er Camron zwingen, endlich die richtigen Konsequenzen aus seinen Gefühlen für Anna zu ziehen. Und ihre Schwester Murdag sollte ihm selber zu innerer Ruhe verhelfen.

Der Plan schien zu gelingen. Denn Camron hatte sofort zugestimmt. Jahrelang hatte er wegen des Altersunterschieds und der Liebe Annas zu jemand anderem gewartet. So leidvoll, diese vergebliche Sehnsucht …

Am Tag nach der Wette war er Anna ins Colquhoun-Land gefolgt, von neuer Hoffnung getrieben. Die beiden waren noch nicht zurückgekehrt.

Würden sie ihre Verlobung bekannt geben? Da wäre Hamilton nicht überrascht. Und bis dahin würde er Murdag für sich gewinnen – eine ideale Braut. Die Hochzeit würde seinen und auch ihren tief verwurzelten Familiensinn stärken, die Bindung an den Clan …

„Hamilton“, riss Murdag ihn aus seinen Gedanken.

Verwirrt blinzelte er und schlenderte zu ihr.

„Ja?“

„Brauchst du was? Du stehst einfach nur da, starrst mich an …“

„Beunruhige ich dich?“

Seufzend schaute sie sich im Stall um. „Was führst du im Schilde?“

„Meinst du – weil ich gerade nichts tue?“

„Da stimmt was nicht!“, erriet sie und schwenkte ihren ledernen Putzlappen in seine Richtung. „Hör auf mit dem Unsinn! Ja, ich finde es lustig, wenn ich unversehens mit irgendwas erschreckt werde. Aber es würde die Stute aufregen, die ist ohnehin schon viel zu ungebärdig.“

„Warum glaubst du, ich möchte dich erschrecken?“ Er wollte sie verführen. Wieso war das so schwierig? Sollte er was andeuten? Vielleicht lag es an der Umgebung. Ein Stall, der nach Pferdemist stank, wirkte nicht besonders romantisch. „Bist du hier fertig? Gehen wir ein Stück?“

Murdag warf den Lappen auf einen Haufen anderer Schmutzwäsche, beugte sich zu einem Eimer hinab und wusch ihre Hände. „Wohin?“

Keine Ahnung … Darauf kam es auch nicht an. Aber eventuell ließ es sich mit etwas verbinden, das er sehr gern machte. „Wollen wir fischen? Am Fluss?“

„Fischen? Vorhin hat’s ziemlich stark geregnet. Rundherum wird alles nass sein. Sind die anderen dort?“

Camron und Anna waren verreist. Wo Seoc oder Beileag steckten, wusste Hamilton nicht. „Ja, natürlich.“

„Geh zuerst hinaus“, verlangte Murdag.

Mit ihr seit Jahren befreundet, hatte er nie auf höfliche Gesten geachtet. Damit sollte er allmählich anfangen. Und so wies er zur offenen Tür. „Nach dir.“

Grinsend schüttelte sie den Kopf. „Damit du mir einen Eimer dreckiges Wasser über den Kopf schüttest?“

„Wovon redest du?“

„Von einem deiner ältesten Tricks! Also deshalb lungerst du schon so lange hier herum? Weil du dich auf meine Kosten scheckig lachen willst? Wann wirst du endlich mit dem Unsinn aufhören, Hamilton?“ Mit starken Fäusten schubste sie ihn zur Tür, und er stolperte hinaus.

Sofort trat er beiseite. Nicht schnell genug, denn sie folgte ihm, prallte gegen ihn und taumelte. Um sie zu stützen, ergriff er ihren Arm. Nur für einen kurzen Moment lehnte sie an ihm, bevor sie ihr Gleichgewicht wiederfand.

Irgendwas störte ihn. Gewiss, ihr schlanker Wuchs gefiel ihm. Auch die Kraft, mit der sie ihn aus dem Stall gestoßen hatte. Aber – müsste da nicht mehr sein? Obwohl ihn die unmittelbare körperliche Nähe hätte erregen müssen, spürte er nichts.

Und so probierte er eine andere Methode aus. „Vielleicht werde ich aufhören.“

„Womit?“, fragte Murdag und befreite ihren Arm von seinen Fingern.

„Mit meinem Unsinn – wenn mir die richtige Frau begegnet ist“, erklärte er in leisem, verführerischem Ton.

Murdag starrte ihn an, als hätte er plötzlich zwei Köpfe. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus. „Nur ein Narr würde glauben, du könntest dich jemals ändern!“ Klatschend schlug sie auf ihre Schenkel, als hätte er einen fabelhaften Witz gemacht. „Oh! Da ist Seoc! Hast du nicht gesagt, er sei am Fluss?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie zu dem gemeinsamen Freund, und Hamilton ließ sie gehen. Um die Wette gegen seinen Bruder zu gewinnen, hatte er noch genug Zeit. Und wenn er sie verlor, würde Camron mit Anna verheiratet sein. Also würde so oder so was Gutes dabei herauskommen.

Die Schultern gestrafft, stolzierte er den beiden langsam nach und fing Beileags Blick auf.

Klar, er hätte erwarten müssen, Beileag of Clan Graham würde in der Nähe sein. Wie immer im Freundeskreis. Schon seit der frühen Kindheit.

Was er nicht erwartet hatte – die leichte Neigung des schlanken Halses oder das Staunen in ihrer Miene. Hatte sie die ganze Zeit vor dem Stall gestanden, sein Geplänkel mit Murdag gehört – seinen Misserfolg wahrgenommen? Sie schwieg. Kein Wunder, sie war die Stillste in der Gruppe. Aber manchmal hatte er sie bei lebhaften Unterhaltungen mit Anna oder Murdag beobachtet. Aus der Ferne.

Nun blieb er neben ihr stehen „Kommst du mit? Wir gehen fischen.“

„Warum?“, fragte sie und faltete die Hände vor der Brust. Seite an Seite schlenderten sie weiter.

„Weil ich gern fische.“ Um Murdag zu hofieren. Was er natürlich nicht sagen konnte.

„Viel lieber gehst du zur Jagd.“

Wieso wusste sie das? „Heute sollte man besser fischen.“

Murdag sprach mit Seoc, mehrere Schritte entfernt. Standen sie etwas zu nah beisammen? Nun ja, alte Freunde, dachte Hamilton. Aber Seocs besonderes Interesse an dieser Frau war ihm nie aufgefallen. Allerdings – in jener Nacht hatte sie so herausfordernd ihren Met-Krug geschwenkt und viele Männer betört. Wie schön sie geworden sei, hatten sie einander zugeraunt.

Meinte Seoc es ernst mit ihr? Falls ja, müsste Hamilton seine Absichten bald bekunden. Was einfacher wäre, würde sie in seine Richtung schauen, statt seinen Freund anzustrahlen.

Müsste er sofort eingreifen? Dazu fühlte er sich gedrängt. Doch dann spürte er Beileags forschenden Blick und wandte sich zu ihr.

„Ist es nicht ein bisschen zu spät fürs Fischen?“ Bedeutsam hob sie eine Braue.

„Gewiss, am frühen Morgen wär’s besser …“ Wenn er mit Beileag fortginge, würde ihr enge Freundin Murdag nicht hier bei Seoc bleiben. Oder? „Kommst du trotzdem mit zum Fluss?“

Die Finger ineinandergeschlungen, schaute sie zum Wald und wandte sich wieder zu ihm. „Warum nicht? Was hätte ich denn sonst zu tun?“

„Wahrscheinlich wird’s langweilig, zu dieser späten Stunde …“ Mit großen Augen schaute sie ihn an, und er zeigte zum Wald. „Falls du lieber woanders sein möchtest …“

Ihre Hände flatterten auseinander, fanden sich wieder. Und kaum zu glauben – die Augen wurden noch größer. Sehr hübsche hellbraune Augen, die zum gleichfarbigen Haar passten. In der Vormittagssonne schimmerten sie auf ganz besondere Art.

Was sie ausdrückten, war weniger erfreulich. „Warum sollte ich in den Wald gehen? Was gibt’s dort um diese Tageszeit?“

„Nichts, nehme ich an. Nur – wenn es dir dort besser gefällt als in unserer Gesellschaft,“ Wieso schlug er ihr so etwas vor? Wo er doch wünschte, sie würde ihn zum Fluss begleiten, zu Murdag. Das verstand er nicht. Aber irgendwie fand er es wichtig, Beileag die Entscheidung zu überlassen. Möglicherweise, weil sie gedankenverloren wirkte, nicht bloß in sich gekehrt, so wie sonst.

Ihr Blick folgte Seoc und Murdag, die nebeneinander weiterwanderten, ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Willst du, ich würde einfach verschwinden. Damit ihr über mich tratschen könnt?“

Provozierte sie ihn? Ungewöhnlich. Das passte nicht zu Beileag. Hatte sie sich in den sechs Monaten seiner Abwesenheit so sehr verändert? Um Worten verlegen, schwieg er.

„Oh …“, begann sie und runzelte die Stirn. „Du möchtest ohne mich mit Murdag reden. Und mit Seoc … Nur aus Höflichkeit bleibst du bei mir.“

„Wann hast du mich jemals höflich erlebt?“

Er wartete, bis sie zustimmend nickte, bis sich ihr Lächeln vertiefte. „Nach dir.“ Er wies auf den schmaleren Feldweg, und sie raffte zögernd den Rock, bevor sie am Ende des Dorfs vorausging. Inzwischen waren die Freunde hinter hohen Büschen verschwunden.

Nun ging er hinter ihr bergab und sie konnten sich nicht mehr unterhalten, was er sehr angenehm fand. Diese neue, ungewohnte Beileag verwirrte ihn, erregte sein Unbehagen. Warum forderte sie ihn heraus? Nun, vermutlich war sie einfach nur neugierig wegen seiner Rückkehr nach so langer Zeit. So wie sie seine Neugier geweckt hatte.

Kein Grund zur Sorge, alles war gut in seiner Welt. Noch besser würde es sein, wenn er Murdag geheiratet hatte – sein Bruder die geliebte Anna. Und es war völlig in Ordnung, mit Freunden zu fischen.

Der Pfad verbreiterte sich, sie gingen nebeneinander. Das war einfach Beileag. Schlank und sehnig, mit Schritten, so lang wie seine. Schon immer war sie ein kleines bisschen größer als er gewesen. Was ihn nie gestört hatte. Und er mochte es, wie gut ihr welliges goldbraunes Haar zu ihren Augen passte – den rosigen Hauch ihrer Wangen, wenn sie von der Sonne geküsst wurden. So wie jetzt …

Was ist denn los mit mir?

Weshalb machte er sich solche Gedanken über Beileags Aussehen? Natürlich fühlte er sich nicht zu ihr hingezogen. Unvorstellbar … Sie war einfach eine Freundin. Und ganz anders als er. Still und zurückhaltend, ohne dramatische Gesten oder Aktivitäten. Was sie wichtig fand oder Tag für Tag machte, wusste er nicht – abgesehen von ihrer Hilfsbereitschaft, die sämtliche Dorfbewohner schätzten.

Kein bisschen glich sie Murdag, die ihre Mitmenschen stets herausforderte und ihr Pferde vergötterte – was er ebenso wusste wie jeder im Clan. Zwei total unterschiedliche Freundinnen …

Leise summte Beileag vor sich hin, während sie Murdag und Seoc zum Fluss folgten. Nach einer längeren Pause seufzte sie. „Das alles ist ein bisschen schwierig, wenn man ignoriert wird, nicht wahr?“

Hamilton blieb abrupt stehen und schnappte nach Luft. Als Beileag sich zu ihm wagte, sah er ihre dunkler geröteten Wangen. Spielte sie auf sein Geschwätz mit Murdag an? Viel konnte sie nicht gehört haben, sie war zu weit entfernt gewesen.

Und wenn doch – das war Beileag, die ihre Meinung immer für sich behielt. Falls sie jetzt nichts zu sagen hatte, könnten sie weitergehen, das wäre großartig, nicht wahr?

Stattdessen ballte sie ihre Hände und riss die Augen noch weiter auf. Glänzten wirklich Tränen in den goldbraunen Tiefen? Bestürzt wünschte Hamilton, er wüsste irgendwas zu sagen, das diesen Gefühlsausbruch abwenden würde. Sollte er über Murdag reden, seine Hofiererei, die Gründe dafür? So schwierig war das alles …

„Oh, tut mir leid!“, platzte Beileag heraus, raffte ihre Röcke und rannte davon. In die andere Richtung.

3. KAPITEL

Einer Panik nahe versuchte sie zu entkommen. Aber eine starke Hand packte sie am Ellbogen und drehte sie herum. Taumelnd sank sie an Hamiltons breite Brust, sein freier Arm umfing ihre Taille. Einen Herzschlag – oder vielleicht zwei Schläge später wusste sie Bescheid – nie wieder würde sie dieselbe sein.

Wegen seiner unmittelbaren Nähe, seiner flachen Hand auf ihrem Rücken, der anderen Finger, die ihren Arm jetzt ganz sanft umschlossen.

Wegen seines Geruchs nach frischer Luft und Heu, seines warmen Atems an ihrem Hals, wegen ihrer Schulter, an sein Brustbein gepresst. Und wegen der geringen Mühe, die es ihn kostete, sich nach dem Zusammenprall wieder aufzurichten, gemeinsam mit ihr …

Als wäre sie keine Riesin, sondern ein kleines, zartes Geschöpf.

„He, alles in Ordnung mit dir?“ Seine dunklen Augen bekundeten nur Sorge, nicht den erwarteten Ärger oder – noch schlimmer – kalten Hass aufgrund ihrer unbedachten Äußerung.

O Gott, warum ist mir das herausgerutscht?

„Hoffentlich habe ich dir nicht wehgetan?“ Bevor seine Hände hinabsanken, rieb er ihre Schultern.

Wehgetan? Er ihr?

„Wohl eher ich dir …“ Sie drückte einen Finger in die Mitte seiner Brust, und er trat zurück.

Um Himmels willen, wie ungeschickt sie war! „Tut mir leid!“, wiederholte sie und wich ebenfalls zurück. „Erst ramme ich meine Schulter gegen deine Brust. Dann bohre ich auch noch meinen Finger in dieselbe Stelle.“

Die Stirn gerunzelt, schaute er sichtlich verstört an sich hinab. Was irritierte ihn?

Glaubte er, sie hätte sein Interesse an Murdag erraten? Das bildete sie sich womöglich nur ein, weil sie so inständig eine eigene Familie ersehnte. Und jetzt? Hatte sie Hamilton völlig grundlos in Verlegenheit gebracht?

Ihr eigenes Unbehagen wuchs. Ja, daran lag es. Hamilton war einfach nur mit Murdag befreundet. Während der Abwesenheit seines Bruders und nach der monatelangen Trennung wollte er die alte Vertrautheit erneuern, mit seinen üblichen Späßen und Scherzen.

Und Beileag hatte seine Schwärmerei für die Freundin angedeutet. Immer heißer brannten ihre Wangen, und sie wollte wieder die Flucht ergreifen. Aber vorher musste sie sich entschuldigen.

„Habe ich dir wehgetan?“ Mit einem eindringlichen Blick wollte sie ihm zu verstehen geben, sie bedaure nicht nur den Effekt ihrer knochigen Schulter, sondern auch ihre albernen Worte.

„Nein“, erwiderte er und verzog keine Miene.

„Kein bisschen?“, hakte sie nach.

Nun hob er einen Mundwinkel. Bisher hatte sie nur einen lauthals lachenden Hamilton gekannt. Dieses schwache Lächeln ließ ihr Herz höher denn je schlagen – nachdem sie soeben zum ersten Mal in ihrem Leben von einem Mann umarmt worden war, wenn auch nur kurzfristig.

Merkte er, was in ihr vorging? Vermutlich, denn er musterte sie von oben bis unten und schwieg eine ganze Weile, bis er bekräftigte: „Nein, du hast mir wirklich nicht wehgetan.“

„Das – ist gut“, stammelte sie unsicher.

Der Wind frischte auf, wirbelte Hamiltons dunkle Haare durcheinander, seine Ohren kamen zum Vorschein. Warum fielen ihr belanglose Einzelheiten sofort auf? Ihre plötzliche Faszination von diesem Mann konnte sie sich nicht erklären …

Lügnerin.

Von all den Männern im Graham-Land hatte immer nur Hamilton ihre Aufmerksamkeit gefesselt. Zuerst in der Kindheit. Damals hatte sie seine Possen mutig und lustig gefunden. Später, kaum zur jungen Frau herangewachsen, war sie von seinem Charme bezaubert worden. Eine immer noch unwiderstehliche Macht … Obgleich er es nicht direkt darauf anlegte, seinen Mitmenschen zu gefallen, übte er auf fast alle eine magische Anziehungskraft aus.

Allerdings wollte er im Mittelpunkt allgemeinen Interesses stehen, wann immer er irgendwem einen Streich spielen wollte. Auf welches Opfer hat er es diesmal abgesehen. Auf Murdag und Seoc, mit meiner Hilfe? Oder auf mich, im Bund mit den beiden?

Wie auch immer, es waren nicht die Späße, die Beileag faszinierten, sondern sein gewinnendes Lächeln, seine unerschütterliche Lebensfreude – von seiner umwerfenden äußeren Erscheinung ganz zu schweigen.

Oft genug hatte sie sich gewünscht, sie könnte so unbeschwert sein wie er, so mühelos mit dem Freundeskreis herumalbern. Aber jedes Mal, wenn sie versuchte, mit den anderen ein besonderes Spiel auszuprobieren oder Unsinn auszuhecken, versagte sie. Nicht wegen ihres Ungeschicks oder der überdurchschnittlichen Größe. Einfach nur, weil sie nicht nachempfinden konnte, was die anderen rings um sie herum antrieb.

Sie vergnügten sich – wieso, vermochte sie nicht immer zu erkennen. Aber sie bemühte sich darum. Zumindest, bis die Lockung der Waldesstille oder ihrer schöpferischen Kunsttischlerei stärker wurde. Gewiss, sie gehörte zum selben Clan wie ihre Familie, auch die strenge Mutter, wie die Menschen im Dorf, vor allem die engen Freunde. Dennoch – irgendwas in ihrem Innern sträubte sich dagegen.

Schon längst hatte sie festgestellt, wie sehr sie sich von den anderen unterschied, und es hingenommen. Und jetzt plötzlich nicht mehr, weil sie verzweifelt wünschte, diese eigenartige Situation zu begreifen. Sie starrte Hamilton an – und er erwiderte ihren Blick genauso eindringlich.

Nie zuvor war das geschehen. Dass jemand sie nur anschaute – und sie sah. Und wahrnahm.

„Beileag …“, sagte er.

„Hamilton …“

Er schluckte und räusperte sich.

Weil er nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Also, ich …“

Da unterbrach er sie. „Du bist weggelaufen.“

Mit dieser Entgegnung hatte sie nicht gerechnet. „Und du hast mich zurückgehalten.“

„Ja, vielleicht nahm ich an …“ Hinter einer Baumgruppe erklang lautes Gelächter, mit Geplätscher vermischt, und Hamilton fuhr herum. Als er sich wieder zu ihr wandte, war die Sanftmut in seinem Gesicht verflogen. „Am besten gesellen wir uns zu Murdag und Seoc, bevor sie alle Fische verscheuchen.“

Hatte sie sich nur eingebildet, was zwischen ihnen geschehen war? Wahrscheinlich, denn etwas so Intensives hatte sie gar nicht erwarten dürfen – es musste eine törichte Illusion gewesen sein.

„O ja, du hast recht.“

Viel zu schnell durchquerten sie die Büsche und sahen Seoc einen Ast über seinem Kopf schwingen. Kreischend suchte Murdag nach einer eigenen Waffe.

Plötzlich blieb Hamilton stehen, und Beileag stieß beinahe wieder mit ihm zusammen.

Das schien er kaum zu merken. „He, dieses Spiel kenne ich!“, rief er und lachte fröhlich, hob einen ähnlichen Ast auf und lief zum Ufer. „Ich beschütze dich, Mädchen!“

„Untersteh dich!“, schrie Murdag. „Seoc gehört mir!“

Hilflos beobachtete Beileag die drei Erwachsenen, die wie Kinder herumtobten, Äste durch die Luft schwenkten, im seichten Wasser auf dem Kies ausrutschten.

Wirkte das Spiel irgendwie gekünstelt? Wollten sie die gefährliche Welt und die politischen Gefahren wenigstens kurzfristig vergessen?

Seoc, der kraftvolle, gutmütige Riese, wäre an der Brustwunde, die er in der Schlacht von Dunbar erlitten hatte, fast gestorben. Manchmal berührte er die Wunde, vielleicht unbewusst. Quälte ihn immer noch die Erinnerung an die Schmerzen? Beileag hoffte, er würde keine Nachwehen spüren.

Oder doch? Vertraute er es niemandem an, versuchte er die Dämonen der Vergangenheit allein zu bezwingen?

Jedenfalls war er nicht mehr der Seoc, der sich früher mit diesem Spiel vergnügt hatte.

Auch Hamilton nicht.

Beileag wandte sich ab und schaute zu dem lockenden Wald hinüber. Dort war ihre Werkzeugkiste unter einem hohlen Baumstamm vergraben, daneben kleine Holzstücke, in zerrissene alte Leintücher gewickelt. Halb fertige und noch unkenntliche geschnitzte Figuren.

Sollte sie ihr geheimes Versteck aufsuchen? Unschlüssig drehte sie sich wieder zu den Freunden um. Sollte sie fortgehen?

Hamilton zog sie genauso an wie ihre verborgenen Schätze. Sah sie seine Veränderungen nur, weil er sechs Monate lag in weiter Ferne gewesen war? Oder steckte mehr dahinter?

Nach wie vor wirkte er so unbeschwert, wie sie sich niemals fühlen würde. Der Wind und seine blitzschnellen Bewegungen zerzausten sein dunkelbraunes Haar, schiere Lebenslust rötete die Wangen. Aber in seinem muskulösen, sehnigen Körper steckten während des spielerischen Kampfs bittere Erinnerungen an echte Schlachten.

Grinsend und schreiend wetteiferte er mit Seoc im Gefecht gegen Murdag. Das vertraute Spiel tat beiden Heimkehrern sicher gut. Das brauchten sie. Aber je länger Beileag zuschaute, desto beklemmender erschien ihr diese hemmungslose Gewalt.

Für sie war es an der Zeit, diskret zu verschwinden … Dann hielt sie inne. Ihre Freundin schwang den Ast empor und verlor das Gleichgewicht, taumelte ins Wasser und versuchte ans Ufer zu gelangen.

Schon eine ganze Weile hatte Hamilton sich um eine Position zwischen den beiden Streithähnen bemüht. Nun schnappte Seoc nach dem Köder, offenbar hielt er seinen Freund für einen würdigeren Gegner und begann mit ihm zu fechten.

Inzwischen hatte Murdag das Flussufer erreicht, schlich an Seoc vorbei und klopfte auf seinen Rücken. Da verneigte er sich höflich vor Hamilton und wandte sich zu ihr, lächelte triumphierend und schlang seinen freien Arm um ihre Schultern, presste sie ganz fest an sich.

Sichtlich erbost, schüttelte sie den Arm ab, warf ihren Ast beiseite und redete aufgeregt mit beiden Männern. Die Worte verstand Beileag nicht, sah Seoc die Achseln zucken, Hamiltons Grinsen verebben. Und es erlosch vollends, als Murdag den Hang herauf zu ihr stapfte.

Hamiltons Miene wusste Beileag nicht zu deuten. War er verwirrt? Dann wandte er sich rasch ab, zu Seoc, der mit ihm sprach.

Wutschnaubend blieb die Freundin neben ihr stehen. „Schon die ganze Zeit führt er sich so seltsam auf!“

Jetzt lachte Seoc. Machte er sich über Hamilton lustig? Was da vorging, verstand Beileag nicht. Und sie wollte es auch nicht wissen … In ihre Brust war ein schmerzhafter Stich gedrungen, weil Hamilton seinen Arm um Murdags Schultern gelegt hatte. Den Moment, in dem er sie umarmt hatte, glaubte sie immer noch zu spüren.

Für ihn war es etwas ganz anderes gewesen. Murdag hatte er entschlossen und viel fester an sich gedrückt. Mich wollte er nur festhalten, damit ich ihm nicht vor die Füße falle. O Gott, was ist heute los mit mir?

„Wen meinst du, Murdag?“

„Hat Hamilton dir nachgestellt?“

Abgesehen von dem sonderbaren Zwischenfall beim Stall war Beileag ihm kaum begegnet. „Glauben das die Leute?“ 

„Ach, Schätzchen!“, seufzte Murdag und kicherte. „Ist es dir egal? Wie köstlich!“

Jetzt vertieften sich die zwei Männer in ein anscheinend freundschaftliches Gespräch. Beileag bemerkte trotzdem eine wachsende Anspannung in Hamiltons Nacken und seinen Schultern. Ging es bei der Unterhaltung um Murdag? Waren beide an ihr interessiert? Nicht nur, weil sie eine Freundin war?

Hatte sie Hamilton mit der deutlichen Abfuhr beim Stall gekränkt?

„Was wäre mir denn egal, Murdag?“

„Merkst du nicht, was Hamilton treibt? Ich kann kaum Luft holen oder mich umdrehen, ohne dass er plötzlich auftaucht.“

Ich nehme an, er mag dich, wollte Beileag herausplatzen.

Nein, das konnte sie nicht sagen. Hamilton und Murdag ein Paar – unvorstellbar. Seit der Kindheit waren sie befreundet und einander sehr ähnlich. Beide legten großen Wert auf ihren Freiraum, auf Witzeleien und Spaß, und sie genossen es in vollen Zügen, anderen Leuten alberne Streiche zu spielen. Vielleicht wäre das eine gute Grundlage für eine gemeinsame Zukunft. Allerdings – irgendetwas schien zu fehlen.

Oder ich bin voreingenommen? Immerhin mochten sich Anna und Camron schon viele Jahre lang. Warum sollten Murdag und Hamilton nicht ebenfalls zueinanderfinden? Welch ein qualvoller Gedanke …

Autor

Kontakt zum Herausgeber für weitere Informationen zur Barrierefreiheit Weitere Informationen zur Barrierefreiheit unserer Produkte erhalten Sie unter info@cora.de.

Navigation Dieses E-Book enthält ein Inhaltsverzeichnis mit Hyperlinks, um die Navigation zu allen Abschnitten und Kapiteln innerhalb dieses E-Books zu erleichtern.

Zusammenfassung der Barrierefreiheit - <ProductFormFeatureDescription> enthält eine kurze erläuternde Zusammenfassung der Barrierefreiheit des Produkts oder die URL einer Webseite mit einer solchen Zusammenfassung, die mit den spezifischeren Konformitäts-, Merkmals- und Zertifizierungsangaben übereinstimmt. Die Zusammenfassung sollte sowohl die vorhandenen Zugänglichkeitsmerkmale als auch mögliche Mängel aufzeigen. Die Zusammenfassung entbindet nicht von der Forderung nach vollständig strukturierten Zugänglichkeitsdaten, sollte aber als Ausweichmöglichkeit betrachtet werden, wenn keine detaillierteren Angaben gemacht oder verwendet werden können. Weitere detaillierte Informationen können in einer externen Datei unter Verwendung der Codes 94-96 bereitgestellt werden. Nur zur Verwendung in ONIX 3.0 oder höher.

Gefahren Dieses Produkt enthält keine bekannten Gefahren.