Nur eine Nacht mit Cinderella?

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Sein Leben ist strikt verplant. Zeit ist schließlich Geld! Sonst hätte es Aristophanes Katsaros niemals so weit gebracht. Doch auf dem Rückweg von einer Gala bricht vor ihm eine junge Frau zusammen. Selbstverständlich kümmert er sich um die hübsche Fremde. Aber als Nell zu sich kommt, geschieht mit dem Selfmade-Milliardär etwas Seltsames: Er will Zeit mit ihr verbringen – die er nicht hat! Außerdem passt die bescheidene Lehrerin niemals in seine Welt. Soll er trotzdem eine Nacht für sie in seinem Terminkalender reservieren? Aber was, wenn das nicht reicht?


  • Erscheinungstag 13.05.2025
  • Bandnummer 2701
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534819
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jackie Ashenden

Nur eine Nacht mit Cinderella?

1. KAPITEL

Aristophanes Katsaros plante jede Minute seiner kostbaren Zeit bis auf die letzte Sekunde. Sein Terminkalender war dem Milliardär Bibel und Kompass. Was nicht in seinem Kalender stand, war nicht wichtig. Das gab ihm, dem Inhaber eines der einflussreichsten Finanzunternehmen Europas, Sicherheit und Kontrolle.

Kontrolle war nicht nur lebenswichtig für ihn, sondern er richtete sein ganzes Leben danach aus.

Als er die Gala in Melbourne verließ, schaute er auf seine Uhr, um sicherzugehen, dass er pünktlich zu seinem nächsten Termin kam. Er hasste gesellschaftliche Verpflichtungen, aber sie gehörten nun mal zu seinem Leben. Beruhigt sah er, dass er rechtzeitig in seinem Penthouse eintreffen würde.

Bei dem Gedanken an das bevorstehende Treffen hellte sich seine Stimmung auf. Langweilig würde es bestimmt kein bisschen werden.

Heute Nacht leistete ihm Angelina Gesellschaft. Sie war groß, blond, elegant und Literaturprofessorin an einem amerikanischen Elite-College. Wegen einer Konferenz hielt sie sich in Melbourne auf. Den Termin mit Angelina hatte seine Sekretärin für ihn vereinbart. Denn genau wie er hatte sie nur wenig Platz in ihrem Terminkalender, und eine Nacht war alles, was sie erübrigen konnte.

Nicht dass ihn das gestört hätte.

Er hatte eine wechselnde Liste von Geliebten. Sex war ein körperliches Bedürfnis, das er genauso wichtig nahm wie jedes andere körperliche Bedürfnis. Er war notwendig und half ihm, Dampf abzulassen.

Aristophanes freute sich auf den Abend, denn er mochte Angelina. Sie war cool, wahnsinnig intelligent und konnte sich im Gespräch mit ihm mehr als behaupten. Im Bett war sie hemmungslos, und auch darauf freute er sich schon sehr.

Schön mussten seine Geliebten nicht unbedingt sein, aber zwingend intelligent. Allerdings war auch die Chemie entscheidend. Zeit war Geld, und wenn er sich die Zeit für Sex nahm, dann sollte es für alle Beteiligten so angenehm wie möglich sein.

Das war alles, woran er dachte, als er die Treppe hinunter zu seiner Limousine ging, die am Bordstein auf ihn wartete. Er achtete weder auf den leichten Nieselregen noch auf den nassen Asphalt oder die kleine Gestalt, die auf dem Gehweg in seine Richtung eilte.

Aristophanes schrieb gerade Angelina eine SMS, dass er auf dem Weg sei, als er einen Schrei hörte. Erschrocken riss er seinen Blick vom Handy los und sah, dass jemand direkt vor seiner Limousine auf dem Bürgersteig zusammengebrochen war.

Die Gestalt bewegte sich nicht.

Aristophanes war kein Mann, der spontan handelte. Er nahm sich immer Zeit, alle Möglichkeiten sorgfältig abzuwägen, bevor er entschied. Aber beim Anblick der reglosen Person auf der Straße zögerte er nicht. Er lief zu ihr und kniete sich ohne Rücksicht auf den Regen oder seine makellose schwarze Anzughose auf den nassen Boden.

Er konnte nicht erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, denn die Gestalt war in einen billig aussehenden schwarzen Mantel und einen kilometerlangen Wollschal gehüllt. Endlich schaffte er es, ihr den Stoff vom Gesicht zu ziehen.

Vor ihm im Nieselregen lag die schönste Frau, die er je gesehen hatte.

Er starrte sie an, fast als stünde er unter einem Bann. Eine konventionelle Schönheit war sie nicht. Wobei ihn Schönheit kaum interessierte. Mehr als alles andere schätzte er Intelligenz und Selbstbeherrschung.

Doch selbst er bemerkte, wie außergewöhnlich hübsch ihre zarten Gesichtszüge, das kleine Kinn und der süße Schmollmund waren. Fein geschwungene Brauen und volle dunkle Wimpern rahmten ihre Augen.

Sie war bewusstlos, was bedeutete, dass sie wahrscheinlich mit dem Kopf aufgeschlagen war. Statt sie wie ein Idiot anzustarren, sollte er sich vergewissern, dass es ihr gut ging.

Er hielt zwei Finger an den blassen Hals, den der tiefe Ausschnitt des schwarzen Kleides freigab. Der Puls schlug stark und gleichmäßig unter der warmen Haut.

Gott sei Dank.

Inzwischen war sein Fahrer aus der Limousine ausgestiegen.

„Rufen Sie einen Krankenwagen!“, bat er seinen Fahrer.

Er würde sich verspäten, aber selbst er konnte eine bewusstlose Frau nicht im Regen auf dem Bürgersteig liegen lassen.

Er runzelte die Stirn. Ihr schwarzes Kleid sah so billig aus wie der Mantel, aber es schmiegte sich an jede Kurve ihres Körpers, der einen Mann tagelang faszinieren konnte. Volle üppige Brüste, runde Hüften, eine elegante Taille … und wenn er sich nicht sehr irrte, trug sie keine Unterwäsche.

Verlangen schoss durch seinen Körper, und jeder Muskel spannte sich an.

Beunruhigend. Noch nie hatte er sich so unmittelbar zu einer Frau hingezogen gefühlt. Er zog es vor, sich zuerst zu unterhalten, denn es war immer der Verstand, der ihn anzog, nicht der Körper.

Aber diese Frau …

Mit aller Kraft verdrängte er den Gedanken. Sie lag bewusstlos im Regen. Er sollte dafür sorgen, dass sie nicht auskühlte, statt über ihre fehlende Unterwäsche nachzudenken. Da es ein Fehler wäre, sie zu bewegen, zog er seinen schwarzen Kaschmirmantel aus und legte ihn vorsichtig über sie. Sie war so klein, dass ihr der Mantel bis über die Füße reichte.

„Der Krankenwagen ist unterwegs, Sir“, teilte ihm sein Fahrer mit.

„Gut.“ Aristophanes rührte sich nicht von der Stelle. „Halten Sie einen Regenschirm über sie“, wies er seinen Chauffeur an.

Doch zu seiner eigenen Überraschung nahm Aristophanes dem Fahrer den Schirm ab und hielt ihn selbst über die bewusstlose Frau.

Sie atmete regelmäßig, allerdings sah sie sehr blass aus.

Er schaute wieder auf die Uhr. Die Zeit verging wie im Flug. Der Krankenwagen war unterwegs. Er konnte schon die Sirene hören. Er sollte Angelina mitteilen, dass er sich verspätete, doch er hielt den Schirm weiter fest und schützte die Fremde vor dem Regen.

Als die Sirene lauter wurde, gab die Frau einen leisen Laut von sich, und Aristophanes sah sie an. Ihre Wimpern schimmerten rötlich im Licht der Straßenlaternen und flatterten, als sie stöhnte. Instinktiv legte er ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen. Bei einer Kopfverletzung durfte sie sich nicht bewegen.

Sanftmütig oder freundlich war er nie gewesen, doch jetzt versuchte er, beides zu sein. „Bleiben Sie still liegen“, murmelte er. „Sie sind gestürzt. Ein Krankenwagen ist unterwegs.“

Ihre Wimpern flatterten noch einmal, dann hob sie die Lider und enthüllte dunkle Augen, die ihn voller Verwirrung und Schock anblickten. Ihr Blick schien ihm mitten in die Brust zu treffen.

Die Sirene des Krankenwagens wurde lauter.

Er schüttelte das seltsame Gefühl ab und machte Anstalten aufzustehen – die Sanitäter würden Platz brauchen. Doch in diesem Moment schob sich eine kleine Hand unter seinem Mantel hervor und griff mit überraschender Kraft seine Finger.

Er erstarrte.

Die Fremde hatte ihre Augen wieder geschlossen, aber seine Hand ließ sie nicht los.

Vor langer Zeit, in seiner fünften oder vielleicht sechsten Pflegefamilie, hatte er in seinem Wohnblock in Athen ein streunendes Kätzchen unter einer Treppe entdeckt. Er war damals zwölf oder dreizehn Jahre alt. Aus Langeweile und Einsamkeit hatte er das Kätzchen aufgenommen.

Das kleine Tier war wild, aber mit Geduld und mithilfe gestohlener Fischstückchen, Käsekrümel und kleiner Schälchen Milch hatte er schließlich sein Vertrauen gewonnen. Als er das Kätzchen zum ersten Mal auf den Arm nehmen durfte, hatte er sich gefühlt, als gebe es doch etwas Gutes in ihm.

Als jetzt diese unbekannte Frau seine Hand umklammerte, fühlte er sich genauso wie in jenem Moment.

Aristophanes Katsaros war als Finanzgenie weltberühmt. Er hatte einen Algorithmus zur Berechnung von Kursen entwickelt, der sein Vermögen ins Unermessliche hatte steigen lassen. Zahlen waren sein Spielplatz. Sein Lieblingsplatz. Menschen dagegen standen weit unten auf seiner Prioritätenliste.

Also hätte er ihre Hand abschütteln, aufstehen und die Sanitäter ihre Arbeit tun lassen sollen. Dann hätte er in seine Limousine steigen, wegfahren und sich eine Nacht lang mit Angelina vergnügen sollen.

Aber das tat er nicht.

Aus unbestimmtem Grund blieb er, wo er war, und mochte seine Hand kaum von ihren kleinen schlanken Fingern lösen. Er konnte sich nicht erinnern, dass jemals ein Mensch seine Hand genommen hätte, geschweige denn eine völlig Fremde in Not.

Hätte ihm jemand noch vor fünf Minuten gesagt, er würde im Regen neben einer bewusstlosen Frau knien und könne sich nicht losreißen, weil sie seine Hand hielt, hätte er herzhaft gelacht.

Doch als der Krankenwagen vorfuhr und die Sanitäter ausstiegen, blieb er genau dort, wo er war, und hielt ihre Hand. Doch schließlich musste er zur Seite gehen, also löste er seine Finger und trat zurück, um den Sanitätern Platz zu machen.

Es war Zeit, zu gehen. Zeit, Angelina eine SMS zu schicken, dass er auf dem Weg zu ihr war.

Doch das tat er nicht. Er stand einfach nur da und sah zu, wie die Sanitäter die Fremde untersuchten, ihr in die Augen leuchteten und beruhigend auf sie einsprachen.

Sie schaute sich um, als suche sie jemanden.

Dieser Jemand konnte er wohl kaum sein. Trotzdem trat er näher. Als sie sich wieder umsah, trafen sich ihre Blicke.

„Da sind Sie“, flüsterte sie und streckte erneut eine Hand nach ihm aus.

Die Sanitäter legten sie auf eine fahrbare Trage. Als sie sie festgeschnallt hatten, trat Aristophanes zu ihr und nahm ihre ausgestreckte Hand in seine. Sie hielt ihn so fest, dass er keine andere Wahl hatte, als neben der Trage herzugehen.

„Wird sie wieder gesund?“, fragte er einen Sanitäter.

„Sie hat eine Gehirnerschütterung“, erwiderte der Mann. „Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen, um sie zu untersuchen. Gehören Sie zu ihr?“

„Nein.“ Ihre Hand fühlte sich so warm in seiner an.

„Tut mir leid, Sir“, sagte der Sanitäter. „Dann können Sie nicht mitkommen.“

Er hatte gar nicht vorgehabt, sie zu begleiten. Doch jetzt wurde ihr Griff fester, als wolle sie ihn festhalten. Plötzlich wurde ihm klar, dass er Angelina nicht seine volle Aufmerksamkeit widmen konnte, solange er nicht wusste, dass es dieser Fremden gut ging.

Wahrscheinlich hatte sie irgendwo Angehörige, aber sie war neben seiner Limousine ausgerutscht, und jetzt fühlte er sich verantwortlich. Außerdem hielt sie seine Hand ganz fest und machte ihm damit klar, dass sie ihn bei sich haben wollte.

„Ich komme mit“, sagte er in demselben Ton, den er immer anschlug, wenn jemand nicht mit seinen Wünschen einverstanden war.

Der Sanitäter schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Sir. Sie …“

„Das interessiert mich nicht.“

„Sir, Sie können nicht …“

„Doch, kann ich“, unterbrach Aristophanes den Sanitäter mit der ganzen Kraft seiner beachtlichen Autorität. „Oder wollen Sie wirklich, dass ich mir die Mühe mache, Ihr Krankenhaus zu kaufen, nur damit ich Sie feuern kann?“

Der Sanitäter öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Dann zuckte er mit den Schultern und murmelte etwas, das Aristophanes nicht verstand.

Die Sanitäter luden die Frau in den Krankenwagen und ließen ihn ebenfalls einsteigen. Während die Sirenen ertönten und sie in Richtung Krankenhaus fuhren, hielt Aristophanes ihre Hand.

Angelina musste warten.

Nell hatte einen wunderschönen Traum. Sie war vor etwas sehr Schlimmem davongelaufen und gestürzt. Dann hatte der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, ihre Hand ergriffen, um ihr aufzuhelfen. Er hielt sie fest, und sie wollte ihn nicht loslassen. Sie wollte ihn nie wieder loslassen. Er war so stark und beruhigend, und sie wusste, solange er bei ihr war, konnte nichts ihr etwas anhaben.

Jetzt tanzten sie und … nein … sie konnten nicht tanzen. Sie lag auf dem Rücken und bewegte sich nicht. Ihr Kopf tat weh, und ihr war schwindlig. Hatte sie etwa getrunken?

Aber nein, sie konnte nicht betrunken sein, sie trank nicht viel. Außerdem musste sie am nächsten Tag arbeiten, und sie fehlte nie auf der Arbeit. Sie liebte ihren Beruf, die Arbeit in der Vorschule, sie liebte die Kinder. Vielleicht war sie krank und hatte deshalb Kopfschmerzen?

Nur mit Mühe gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie erwartete, ihre kleine Wohnung zu sehen, wo das Morgenlicht durch das Fenster fiel.

Doch sie lag nicht in ihrem Bett, und dies war nicht ihre Wohnung.

Das Bett sah aus wie ein Krankenhausbett, um sie herum hing ein Vorhang, und jemand hielt ihre Hand.

Lag sie im Krankenhaus? Was um alles in der Welt hatte sie in einem Krankenhaus zu suchen?

Verzweifelt versuchte sie, sich zu erinnern, was passiert war. Alles war etwas verschwommen. Sie war in der Bar angekommen, in der sie Clayton treffen sollte. Sie waren seit etwa einem Monat zusammen. Sie hatte sich extra schick gemacht, weil sie beschlossen hatte, heute Nacht zum ersten Mal mit ihm zu schlafen. Zwar war er in letzter Zeit etwas ungeduldig geworden, aber sie hatte warten wollen, bis sie wusste, dass sie sich eine langfristige Beziehung mit ihm vorstellen konnte.

Also hatte sie ein schwarzes Kleid angezogen, das sich an ihre üppigen Kurven schmiegte, und in einem Anfall von Mut hatte sie auf die Unterwäsche verzichtet. Er sollte sofort wissen, dass sie endlich bereit für ihn war.

Aber dann war er nicht aufgekreuzt. Zuerst hatte sie gedacht, er würde sich nur verspäten. Eine Stunde später bekam sie eine SMS. Er glaube nicht, dass es mit ihnen funktionieren würde. Sie sei zu verklemmt.

Ärgerlich und beschämt, weil sie ein sexy Kleid ohne Unterwäsche für einen Mann angezogen hatte, der sie nicht wollte, war sie durch den Nieselregen gelaufen, und dann … war irgendetwas passiert. Und jetzt war sie hier aufgewacht.

In diesem Moment beugte sich jemand über sie. Sie blickte in Augen so dunkelgrau wie Gewitterwolken, umrahmt von langen schwarzen Wimpern.

Ihr Atem stockte.

Er war es. Der atemberaubend schöne Mann aus ihrem Traum. Nur war er offenbar doch kein Traum.

Sein Gesicht bestand aus rauen Winkeln und gemeißelten Flächen mit einem energischen Mund und hohen Wangenknochen, und er hatte das beeindruckendste Kinn, das sie je gesehen hatte.

Nein, schön war nicht das richtige Wort für ihn. Vielleicht fesselnd. Oder magnetisch.

Elektrisierend.

Nell starrte ihn an, ihre Stimme versagte.

Er war sehr groß und hatte breite Schultern. Über seiner muskulösen Brust trug er ein gut geschnittenes weißes Oberhemd, das etwas feucht aussah. Dazu eine schwarze Hose, die seine schmale Hüfte und die kräftigen Oberschenkel betonte und …

Großer Gott. Was tat sie da? So hatte sie noch nie einen Mann angestarrt. Clayton jedenfalls ganz bestimmt nicht. Andererseits sah Clayton auch nicht aus wie dieser Mann. Außerdem hatte Clayton sie in der Nacht, in der sie mit ihm hatte schlafen wollen, in einer Bar sitzen lassen.

Clayton, von dem sie geglaubt hatte, er wäre der perfekte Mann für sie. Der für eine Bank arbeitete, ein eigenes Haus besaß und passabel aussah. Mit ihm hatte sie Spaß gehabt und …

Und er wollte dich nicht.

Nell schluckte, dann schob sie den Gedanken beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf den Mann an ihrem Bett, nicht auf den Mann, der sie versetzt hatte.

In seiner feuchten Abendkleidung sah er nach viel Geld aus. Er strahlte Autorität aus, als wäre er einer der Ärzte, die in dieser Notaufnahme Dienst taten. Nein, eher wie jemand, dem das ganze Krankenhaus gehörte oder sogar die Stadt. Oder wie jemand, der gleich über das ganze Land herrschte …

Er hielt ihre Hand, seine Finger waren warm und stark und irgendwie beruhigend. Sie wollte ihn fester halten. Ihr kam es vor, als sei er alles, was zwischen ihr und einem Sturz in den Abgrund stand.

„Geht es Ihnen gut?“ Seine Stimme klang tief und etwas rau. Sie hörte den Hauch eines Akzents, den sie aber nicht zuordnen konnte. Auf jeden Fall war er nicht in Australien aufgewachsen.

„Mein … Kopf tut weh.“

„Sie hatten einen Unfall“, sagte der Mann. „Sie sind auf dem nassen Bürgersteig ausgerutscht und haben sich den Kopf aufgeschlagen. Darum habe ich einen Krankenwagen gerufen.“

Oh Gott. Wenn sie ausgerutscht war, muss sie aufgewühlter gewesen sein, als sie gedacht hatte. Hoffentlich war es nichts Ernstes. Ihre Chefin würde sehr ärgerlich sein, wenn sie morgen nicht zur Arbeit erschien.

In diesem Moment wurde der Vorhang zurückgeschoben und eine sehr besorgt wirkende Ärztin trat an ihr Bett. „Miss Underwood. Wie fühlen Sie sich?“

„Ein bisschen benebelt“, antwortete Nell.

„Natürlich, Sie haben einen ziemlichen Schlag auf den Kopf bekommen. Zum Glück war Mr. Katsaros anwesend und hat einen Krankenwagen gerufen.“

Der Mann – Mr. Katsaros – löste seinen Griff um ihre Hand und blickte sie an. Sein grauer Blick war sehr scharf, sehr intensiv und sehr beunruhigend. „Man wird sich hier gut um Sie kümmern.“

Ihre Finger kribbelten von seiner Berührung. „Danke.“ Sie versuchte, so ruhig und bestimmt wie immer zu klingen. Bei kleinen Kindern, Tieren und überheblichen Männern funktionierte das immer sehr gut.

„Wir müssen Sie gründlich durchchecken“, erklärte die Ärztin. „Haben Sie zu Hause jemanden, der sich um Sie kümmern kann?“

Nell schluckte. „Nein, ich lebe alleine.“

„Irgendwelche Freunde oder Familie?“

Sie schüttelte den Kopf. Die einzige Freundin, die sie anrufen konnte, war ihre Kollegin Lisa, aber die machte zurzeit Urlaub auf Bali. Und ihre Familie … Ihre Eltern waren gestorben, als Nell noch ein Kind war. Zu ihrem Onkel und ihrer Tante hatte sie seit Jahren keinen Kontakt mehr. Auch zu ihren Cousins und Cousinen nicht.

Selbst wenn sie gewollt hätte – was nicht der Fall war –, wüsste sie nicht, wie sie sie erreichen könnte. Sie hatten sich nie für sie interessiert, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Die Ärztin runzelte die Stirn. „Sie dürfen für mindestens vierundzwanzig Stunden nicht alleine sein. Sind Sie sicher, dass es niemanden gibt, den Sie anrufen können?“

Nells Kopf fühlte sich schon etwas besser an, also setzte sie sich langsam auf und freute sich, als das Schwindelgefühl etwas nachließ. „Ich bin sicher, dass nichts passieren wird“, sagte sie. „Meine Nachbarin …“

„Ich kümmere mich um Sie“, unterbrach Mr. Katsaros sie unerwartet.

Er hatte sich wieder zu ihr umgewandt. Der Blick seiner dunkelgrauen Augen strahlte eine seltsame Intensität aus, die ihren ganzen Körper vibrieren ließ. Es war beunruhigend. Er war beunruhigend.

Erschrocken rang sie sich ein Lächeln ab. „Danke. Das ist sehr freundlich, aber das kann ich nicht annehmen.“

Sein Blick blieb unbewegt und gab ihr das Gefühl, ein Insekt unter einem Mikroskop zu sein. „Mein Angebot steht.“

„Aber … Sie sind ein völlig Fremder und ich …“

„Aristophanes Katsaros“, sagte er, ohne zu zögern, als habe er nur auf die Gelegenheit gewartet.

Die Ärztin schaute Nell an. „Miss Underwood, ich kann Sie nicht entlassen, wenn Sie niemanden haben, der Sie betreut.“

„Wie gesagt, meine Nachbarin ist …“

„Bei mir sind Sie sicher“, unterbrach der Mann mit dem absurden Namen sie wieder. „Zu meinem Personal gehört ein Arzt, der Sie im Auge behalten kann.“

In diesem Moment ertönte von irgendwo jenseits des Vorhangs um ihr Bett ein Alarm und einige Leute begannen laut zu rufen. Die Ärztin rannte ohne ein weiteres Wort davon und ließ sie allein.

Offensichtlich gab es einen Notfall.

Mr. Katsaros bewegte sich nicht, was den engen Raum noch kleiner erscheinen ließ. Ihr Herz klopfte schneller. Nicht aus Angst. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund.

„Es tut mir leid.“ Automatisch verfiel Nell in ihren strengen Lehrerinnentonfall. „Ich bin Ihnen durchaus dankbar für Ihre Hilfe. Aber ich verstehe nicht, warum Sie die nächsten vierundzwanzig Stunden auf mich aufpassen wollen.“

Er schaute auf sie herab. Obwohl er ganz still stand, brachte er doch irgendwie die Luft um ihn herum mit dieser seltsamen Elektrizität zum Vibrieren. „Haben Sie jemand anderen, der sich um sie kümmert?“

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr schwarzes Kleid feucht war und sich an jede ihrer Rundungen schmiegte und dass … oh ja, sie keine Unterwäsche trug.

Ihre Wangen brannten. Wie beschämend. Was musste er von ihr denken?

Sie wollte nach einer Decke greifen, sich bedecken und vor den Blicken dieses viel zu anziehenden Mannes verstecken, aber es gab keine. Ihr blieb nur, so zu tun, als trüge sie eine Rüstung statt ein billiges hauchdünnes Kleid.

Sie warf ihm einen sehr direkten, abwehrenden Blick zu. „Ich habe bereits gesagt, dass ich eine Nachbarin habe.“

„Kann sie die ganze Zeit bei Ihnen bleiben? Eine Kopfverletzung kann sehr gefährlich sein.“

Nell biss die Zähne zusammen. Er war sehr … hartnäckig, und sie konnte sich nicht erklären, warum. Sie sah Aristophanes Katsaros an. Seine Augen glitzerten silbern, und sein Blick machte sie auf eine Art unruhig, die sie nicht zuordnen konnte. Als sei sie erregt, was nicht richtig sein konnte. Warum sollte sie erregt sein?

Clayton hat dich nie auf diese Weise angesehen.

Nein, das hatte er nicht. Anfangs hatte er Geduld mit ihr gehabt, als sie nicht mit ihm schlafen wollte. Aber dann wurde er ungeduldiger, gereizter und hatte vage Bemerkungen über seine „Bedürfnisse“ gemacht und ob sie nicht ein bisschen egoistisch sei?

„Ich kenne Sie gar nicht …“, versuchte sie das Angebot noch einmal abzuwehren.

Autor