Primal Instinct: Wenn der Hunger erwacht / Wenn das Dunkle erwacht

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WENN DER HUNGER ERWACHT

Der erste Band von Rhyannon Byrds faszinierend sinnlicher Fantasy-Saga: Als Ian Buchanan das Medium Molly trifft, erwacht ein unstillbarer Hunger in ihm!

Ian Buchanan hat das Unbekannte immer gefürchtet - die tiefe undurchdringliche Dunkelheit, die in seinem Inneren lebt. Aber er hat beschlossen, ein "normales" Leben zu führen, die beunruhigenden Träume zu ignorieren, in denen er sich seinem wildesten Verlangen hingibt. Bis ihn das Medium Molly Stratton aufspürt und erklärt, seine erotischen Albträume zu teilen - als Beweis zeigt sie ihm die Spuren seiner Zähne an ihrem Hals. Außerdem behauptet sie, Nachrichten von Ians toter Mutter zu empfangen: Ein Feind ist nah. Und die Kreatur in Ians Inneren wird erwachen. Eine Kreatur mit einem unstillbaren Hunger …

WENN DAS DUNKLE ERWACHT

Als Saige Buchanan dem Gestaltwandler Michael Quinn begegnet, erwacht ein gefährlicher Hunger in ihr …
Saige Buchanan reist um die Welt, um die dunkle Vergangenheit ihrer Familie zu erforschen. Sie wird geleitet von einer besonderen Gabe: Sobald sie etwas berührt, erfährt sie dessen Geheimnis. Aber so viel Macht Saige auch über die Dinge hat, so hilflos ist sie gegenüber den Lebenden. Ihre grausamen Feinde verfolgen sie bis in den Dschungel des Amazonas. Da kommt ihr - in einer Stunde höchster Gefahr - ein mysteriöser, unglaublich sexy Gestaltwandler zur Hilfe. Doch wurde Michael Quinn wirklich nur ausgesendet, um sie zu beschützen? Darf sie ihm trauen? Saige ist hin- und hergerissen - und fürchtet, was sie gleichzeitig am meisten begehrt: dass Michael ihren sinnlichen Hunger nährt, wenn die Dunkelheit erwacht …


  • Erscheinungstag 07.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783955765323
  • Seitenanzahl 640
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Rhyannon Byrd

Primal Instinct: Wenn der Hunger erwacht / Wenn das Dunkle erwacht

1. KAPITEL

Es wird noch Zeit sein, es wird noch Zeit sein.

Das passende Gesicht aufzusetzen für die Gesichter, denen du begegnest.

T.S. Eliot

Henning, Colorado, Freitagnachmittag

Diese Frau würde nichts als Ärger bedeuten.

Das war Ian Buchanan schon in der Sekunde klar, als er sie zum ersten Mal erblickte. Sie entstieg einem ziemlich mitgenommenen, von Staub bedeckten dunkelblauen Mietwagen. Er legte seinen Hammer hin und wusste es, während er beobachtete, wie sie auf ihn zukam. Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg durch das chaotische Gelände der Baustelle; ihre schmale Gestalt wurde dabei von der hinter ihr stehenden, drückend heißen Nachmittagssonne mit einem brennenden orangefarbenen Glühen umgeben.

Und gleich die ersten Worte, die aus diesem geschwungenen roten Mund kamen – die Lippen glänzten süß, die Stimme war sanft, aber mit einer gewissen rauen Heiserkeit, sehr sexy –, bestätigten alle seine Befürchtungen.

„Mr. Buchanan, mein Name ist Molly Stratton, und ich bin gekommen, um Ihnen … nun ja, ich weiß, das klingt völlig verrückt, aber Ihre Mutter Elaina hat mich gebeten, Sie zu finden.“

Sie lachte nicht, während sie das von sich gab. Lächelte nicht einmal. Sie blickte bloß mit den größten braunen Augen zu ihm auf, die er je gesehen hatte. Und wartete.

„Was Sie nicht sagen.“ Er ignorierte ihre kleine ausgestreckte Hand, schob sich die Sonnenbrille hoch ins Haar, griff nach der Bierflasche und nahm einen tiefen Schluck von seinem Coors. Der Glasrand der langhalsigen Flasche fühlte sich an seinen vom Schweiß salzigen Lippen kühl an, das Bier sogar noch kühler, als es langsam seine ausgetrocknete Kehle hinunterrann. Sie sah zu, wie er trank, die dunklen Augen auf seinen auf- und niederfahrenden Adamsapfel gerichtet. Ihre grazilen, von den Staubpartikeln wie mit Sommersprossen gefleckten Wangenknochen glühten leicht, die vollen Lippen waren ein ganz klein wenig geöffnet. Tief in Ians Bauch zog sich etwas zusammen. Das Blut floss ihm schwerer durch die Adern.

Na sicher, nichts als Ärger, schon klar.

Irritiert über sich selbst wegen dieser unmittelbaren Reaktion auf eine Frau, stellte er die Flasche mit deutlich vernehmbarem Aufschlag auf die Klappe der bejahrten Kühlbox und bekam aus den Augenwinkeln mit, wie sie bei dem lauten Geräusch zusammenzuckte.

Sie war nervös – und offenkundig völlig verrückt. Entweder das, oder sie war eine erbärmliche Betrügerin, die glaubte, ihn ganz leicht reinlegen zu können.

„Dann erzählen Sie mal, Schönheit“, ließ er gedehnt hören, wobei er gerade ausreichend Spott in seine tiefe Stimme legte. „Reden Sie öfter mit den Toten, oder ist das heute zufällig mein Glückstag?“

Sie strich sich eine Locke ihres windzerzausten Haars hinters linke Ohr und hielt seinem Blick stand, ohne im Geringsten mit diesen langen dicken Wimpern über dem dunklen Zimtbraun ihrer Augen zu zucken. „Das tue ich tatsächlich. Wie oft, liegt allerdings an ihnen … nicht an mir.“

Ian starrte sie bloß an, während diese merkwürdigen Worte durch sein Hirn hallten. Sie stand kaum einen Meter von ihm entfernt und blickte ihn auf eine gewisse Art an, die jeden Mann fesseln konnte; gleichzeitig schüchtern und direkt. Der heftige Wind, der von den Bergen Colorados herunterfegte, ruinierte ihre schulterlangen honigblonden Locken und wehte einen verführerischen Duft in seine Nase – und etwas Heißes rauschte durch sein Blut, wie ein inneres Brennen. Selbst ganz tief in seinem Inneren, in jenen vergessenen Regionen, wo alles immer ganz kühl und ruhig blieb … sogar leblos – wo nichts und niemand ihn noch berühren konnte –, spürte er einen unbehaglichen Funken aufflammenden Interesses.

Schnell klappte Ian die Sonnenbrille runter auf die Augen, ergriff den Hammer und machte sich wieder an die Arbeit, um die Mauer abzustützen, die er soeben errichtet hatte. Er sah sie nicht mehr an, aber er spürte sie noch, eine ganz feine Anspannung, die mit schnellem bebendem Rhythmus zwischen ihren Körpern hin und her vibrierte.

Was zum Teufel war das?

„Ich weiß, das klingt, als wäre es unmöglich“, fügte sie hinzu, „aber es ist die Wahrheit.“

Aber sicher, ganz bestimmt.

„Für Leute wie Sie, Miss Stratton, muss es doch Medikamente geben, oder?“, fragte er mit dick aufgetragenem Sarkasmus, entschlossen, einfach alles zu ignorieren … die Hitze … diese verwirrenden Schweißperlen, die unter der feuchten Baumwolle seines T-Shirts sein Rückgrat hinunterrannen. Ganz zu schweigen von dem unwillkommenen sexuellen Begehren, das kämpferisch in seinem Magen rumorte. „Was haben Sie denn angestellt, mal ‘ne Dosis ausgelassen?“

„Ich habe weder eine Psychose noch Realitätsverlust.“ Sie seufzte, klang erschöpft. Sogar lustlos. „Und ich bin auch nicht hinter Ihrem Geld her, oder …“

„Na prima“, lachte er und blickte sie mit schiefem Grinsen durch die dunkle Brille an, „ich hab nämlich keins. Ob Sie’s glauben oder nicht, aber ich hab mein letztes Geld für unsere hellseherischen Freunde verschleudert.“

Sie runzelte die Stirn, aber die Entschlossenheit verlieh ihren zarten Gesichtszügen einen Anschein von Härte, obwohl er instinktiv wusste, dass sie alles andere als hart war. Verrückt? Offensichtlich. Aber da war auch etwas Weiches und Verletzliches an ihr, das ihn unglaublich faszinierte.

Mensch, was war er mal wieder bescheuert.

„Hören Sie, mir ist klar, das alles muss Ihnen wie ein schlechter Scherz vorkommen, aber es liegt mir völlig fern, hier bei Ihnen eine Masche abzuziehen“, sagte sie leise, während sie nervös am untersten Knopf ihres Hemds herumspielte, direkt über dem Gürtel ihrer Jeans. „Ich habe es wirklich weder auf Ihr Geld noch auf sonst etwas abgesehen. Ich bitte Sie lediglich darum, sich anzuhören, was ich Ihnen zu sagen habe.“

„Tja, sehen Sie“, erwiderte er mit der typischen gedehnten Sprechweise des geborenen Südstaatlers, „das Problem ist bloß, ich bin nun mal ein solcher Arsch, dass ich nicht einmal dazu bereit bin.“ Er zeigte mit dem Hammer auf ihren Wagen, um klarzumachen, dass sie verschwinden sollte. Und zwar jetzt gleich. Bevor er schwach werden und vergessen könnte, wieso es gar keine gute Idee wäre, mit ihr ins Bett zu steigen. „Also, wieso schieben Sie Ihren verrückten kleinen Hintern nicht endlich aus Henning heraus, zurück dahin, wo immer Sie hergekommen sind.“

In ihrer Brust grummelte leise Verärgerung, worüber er trotz allem grinsen musste. Die Erkenntnis, dass dieses unschuldig wirkende Mädchen Temperament besaß, war durchaus erfrischend. Er ertappte sich bei der Frage, wie sie wohl aussehen mochte, wenn dieses leidenschaftliche Temperament ernsthaft in ihr loderte.

Der Schweiß, der ihm plötzlich auf die Stirn trat, hatte mit der Hitze, die in Wellen von dem glühenden Erdboden aufstieg, überhaupt nichts zu tun – sondern mit dieser geballten Ladung Weiblichkeit, die da vor ihm stand. Es war seine eigene Schuld, aber er hatte einfach schon zu lange keine Frau mehr gehabt. Kendra Wilcox interessierte ihn eigentlich überhaupt nicht mehr, aber jetzt wäre er bestimmt nicht so scharf gewesen, wenn er das einfach ignoriert und sie Anfang der Woche besucht hätte. Der Sex wäre dann mal wieder für eine Weile in den Hintergrund gerutscht und er hätte jetzt vielleicht nicht so stark auf dieses komische kleine Weibchen reagiert, das da vor ihm stand und von Gesprächen mit dem Geist seiner Mutter faselte.

„Hören Sie, Mr. Buchanan. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, diese ganze Sache einfach zu vergessen, dann würde ich das tun, glauben Sie mir. Aber unglücklicherweise gibt es diese Möglichkeit nicht. Ich habe keine andere Wahl, als zu erledigen, was ich zu erledigen habe, ganz egal, ob Sie sich nun wie ein arroganter Wichser oder wie ein Gentleman aufführen.“

Ian steckte sich einen Nagel in den Mund, drehte ihn zwischen den Lippen hin und her und hob eine Braue. „Sehr zum Leidwesen meiner Mutter habe ich mir aus dieser ganzen Südstaaten-Gentleman-Höflichkeit nie viel gemacht. Das fing schon an jenem schicksalsschweren Nachmittag im Kindergarten an, als ich einen Frosch in Sally Simpsons Schlüpfer steckte“, teilte er ihr mit und hämmerte den Nagel in die Wand. In seinem strahlenden Lächeln steckte keinerlei Bedauern über diese frühe Missetat; er zog ein diabolisches Vergnügen daraus, bei ihr auf die richtigen Knöpfe zu drücken. „Und seitdem bin ich kein Stück besser geworden.“

„Und Sie hören sich an, als wären Sie bemerkenswert stolz auf diese Tatsache.“ Ihre Stimme klang ein wenig herausfordernd, was das ärgerliche Begehren in seinen Eingeweiden noch verstärkte. Er hätte sich mit dem Hammer beinahe auf den Daumen gehauen. „Durch und durch ein Rebell.“

„Was Sie nun wirklich nicht überraschen sollte“, murmelte er leise. „Wenn Sie so viel mit meiner Mutter schwatzen, dann hat sie Sie doch bestimmt gewarnt, dass ich nun mal ein verfluchter Dickschädel bin. Sie verschwenden bloß Ihre Zeit, Molly.“

Sie blinzelte und wirkte merkwürdig überrascht, weil er sie mit dem Vornamen ansprach. Verflucht, wenn er bloß nicht wieder diese seltsame Anziehungskraft spüren würde, wie ein Elektroschock in der Luft zwischen ihnen. Das war ein viel zu intimes Gefühl. Er wusste selbst nicht, wieso er ihren Vornamen benutzt hatte, aber auf seinen Lippen hatte es sich unbestreitbar gut angefühlt.

„Mir war schon klar, dass Sie nicht besonders kooperativ sein würden, dazu hat sie mir genug erzählt“, antwortete Molly nach einer kurzen Pause. Der Wind wurde stärker. Unter dem weichen Stoff ihres schlichten weißen Hemds traten zwei reizende, runde und hochstehende Brüste hervor. „Dass Sie so reagieren würden, davor hat sie mich auch gewarnt.“

Durch die dunklen Gläser konnte sie Ians scharfen Blick nicht wahrnehmen, eine ebenso heftige Erwiderung schluckte er jedoch hinunter. Es war eigenartig, aber je mehr sie ihm zusetzte, desto stärker war sein Verlangen.

„Also, wir können uns einfach jetzt gleich unterhalten“, erhöhte sie fest entschlossen den Druck, sein Schweigen ausnutzend, „oder ich schleiche Tag und Nacht hinter Ihnen her, bis Sie endlich aufgeben und sich anhören, was ich zu sagen habe. Ihre Mutter wird mir keine Ruhe lassen, solange Sie dazu nicht bereit sind.“

Ian stützte sein ganzes Gewicht auf den einen Arm, hielt den Hammer in der anderen Hand und musterte sie. Musterte sie auf eine Art, wie ein Boxer seinen nächsten Gegner abschätzt. Sie klang völlig selbstsicher, aber ihre Körpersprache verriet etwas anderes. Die kleinen Einzelheiten fielen ihm auf, zum Beispiel wie sie ständig über ihre Unterlippe leckte, wie ihre linke Hand sich dauernd zur Faust ballte und wieder entkrampfte, während die rechte den Lederriemen ihrer Handtasche umklammerte, als sei er ein Rettungsseil. Das alles erzählte eine ganz andere Geschichte. Weiße Handknöchel. Verkrampftes Rückgrat. An ihrem blassen Hals war der flatternde Puls deutlich zu erkennen. Nervosität? Oder Angst? Oder sexuelle Erregung?

Was immer es sein mochte, Ian war plötzlich ganz gefesselt vom intimen Anblick ihrer pulsierenden Halsschlagader unter dieser weichen makellosen Haut. Sie wirkte so zart, so zerbrechlich, als könnte er ganz leicht seine Zähne darin versenken und tiefe Abdrücke hinterlassen. Ihr Blut schmecken. Dies alles war den Träumen, die er manchmal hatte, so verdammt nahe, dass er sich vor Angst beinahe in die Hose machte.

„Selbst wenn wahr wäre, was Sie da sagen und was ich nicht eine Sekunde lang glaube – was könnte meine Mutter denn von mir wollen?“, stieß er tief aus seiner Brust hervor; jeder Sarkasmus und Witz waren aus seinen Worten entwichen. „Sie ist jetzt seit fünf Monaten tot, und in den letzten sechzehn Jahren ihres Lebens haben wir kein Wort miteinander gewechselt. Sich jetzt plötzlich versöhnen zu wollen, das kommt mir ein bisschen spät vor.“

„Elaina bedauert zutiefst, all diese Jahre vergeudet zu haben.“ Mollys Gesichtsausdruck war derart ernsthaft, dass er überzeugt war, sie glaubte ihren eigenen Blödsinn wirklich. Lieber Gott, die war tatsächlich vollkommen durchgeknallt. „Trotzdem hat sie Kontakt mit mir aufgenommen, denn sie möchte unbedingt, dass Sie über bestimmte Dinge informiert werden. Sehr wichtige Dinge, die sie Ihnen hätte erklären sollen, als sie noch die Zeit dazu hatte. Aber zunächst …“ Sie unterbrach sich, und bei dem Blick in ihre großen braunen Augen hätte er am liebsten die Hand nach ihr ausgestreckt und – zum Teufel, Ian hatte nicht den blassesten Schimmer, was er dann getan hätte. Zum Glück musste er das auch nicht herausfinden, denn sie räusperte sich, fuhr sich ein weiteres Mal nervös mit der Zunge über die Unterlippe, und sagte leise: „Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber jemand, der Ihnen sehr nahesteht, befindet sich in großer Gefahr.“

Oh, Mist. Was für ein krankhaftes Spiel wollte diese Kuh mit ihm spielen? Was immer es sein mochte, ihm reichte es jetzt.

„Für den Fall, dass Sie irgendwas nicht mitbekommen haben sollten, Miss Stratton, werde ich es noch einmal schön langsam und deutlich für Sie wiederholen. Ich finde so eine Scheiße nicht lustig.“ Jedes einzelne Wort kam mit beißender Präzision über seine Lippen, seine tiefe Stimme klang hart und unnachgiebig, und als er die Brille abnahm und sie aus zusammengekniffenen Augen anstarrte, war sein Gesichtsausdruck sogar noch härter. „Und ich habe es schon damals überhaupt nicht lustig gefunden, als meine bescheuerte Mutter ihre Psychofritzen-Freunde an mir, meinem kleinen Bruder und meiner Schwester vorbeiparadieren ließ und uns dauernd in einen emotionalen Schwitzkasten nehmen wollte. Das ist jetzt die letzte Warnung: Steigen Sie wieder in diesen armseligen winzigen Mietwagen da und hauen Sie ab, zum Teufel.“

Molly verschränkte die Arme vor der Brust, als wolle sie sich damit vor seinem Zornesausbruch schützen, aber sie wich keinen Zentimeter zurück. „Glauben Sie mir, Mr. Buchanan. Ian. Mir macht das kein bisschen mehr Spaß als Ihnen, aber ich habe gegenüber Ihrer Mutter ein Versprechen abgegeben, und das werde ich halten. Ich weiß, sie hat Fehler gemacht, aber jetzt versucht sie, bestimmte Sachen wiedergutzumachen. Und wenn Sie nicht auf sie hören wollen – nicht auf mich hören wollen –, nicht auf uns hören wollen … dann wird es ganz sicher jemandem schlecht ergehen. Das spüre ich einfach.“

Warum in Gottes Namen muss ich immer auf Frauen fliegen, die einen an der Klatsche haben? verfluchte er sich leise selbst und fuhr sich so heftig durchs Haar, dass die Kopfhaut schmerzte. Muss mir in den verdammten Genen liegen.

Das war einer der Gründe, warum er Kendra nicht endgültig in die Wüste schickte – die schlichte Tatsache, dass sie so ganz anders war als die Frauen, mit denen er sich normalerweise einließ. Diese toughe Buchhalterin ließ sich irgendwelchen Blödsinn genauso wenig bieten wie Ian selbst, beide kriegten voneinander, was sie wollten, obwohl ihre gelegentlichen Treffen so ein nagendes Gefühl in seinem Bauch hinterließen. So eine innere Kälte. So ein … Begehren nach etwas anderem.

Sicher, das war nicht besonders toll – aber er hatte gelernt, damit zu leben.

„Wie ich sagte, meine Mutter ist vor fünf Monaten gestorben. Und jetzt verschwinden Sie von meinem Grundstück. Das hier ist Privatbesitz, den Sie unbefugt betreten.“

Er konnte sehen, wie ihre Lippen hart wurden. Dann straffte sie ihre grazilen schmalen Schultern, voller Entschlossenheit in jedem Winkel ihres weichen, weiblichen Körpers. „Nein.“

Ian legte den Hammer hin und erhob sich zu seiner vollen Größe, in der Erwartung, sie würde sich endlich umdrehen und schnellstmöglich verschwinden. Er war über eins neunzig groß und breit gebaut und besaß genug Muskeln, dass die meisten Leute sich lieber nicht mit ihm einlassen wollten. Mit seinem finstersten Gesichtsausdruck hielt er ihrem Blick stand, Feindseligkeit und Wildheit in den Augen. Als er endlich sprach, hatten seine Worte einen tiefen, rauen Klang, von dem er sich sofortige Resultate versprach.

„Nein? Wie soll ich das verstehen?“

Wie sollte er das verstehen? Sie hatte selber nicht die geringste Ahnung.

Du bist wahnsinnig, Molly. Eindeutig verrückt.

Wie soll man auch erklären, dass es nicht nur Geister gibt, sondern auch das reine, markerschütternde Böse?

Wie soll man die Existenz der Hölle auf Erden erklären … oder die Tatsache, dass im Verborgenen tatsächlich Monster lauern?

Dass einen ständig irgendetwas von hinten beobachtet?

Dass wir, die Menschen, nicht länger allein sind?

Wie soll man jemandem verständlich machen, dass seinem ganzen Leben, seiner Welt ein Umbruch bevorsteht und dass danach alles nie wieder so sein wird wie zuvor?

Molly wusste es nicht – sie hatte keine Antworten auf diese Fragen. Sie war nur der Überbringer schlechter Nachrichten, nicht ihr Ursprung, und ihr fiel das alte Sprichwort ein: Der Überbringer schlechter Nachrichten wird als Erster geköpft.

Genau das traute sie diesem Ian Buchanan zu. Sie fühlte sich wie betäubt, und sie wusste auch, wieso. Es war beschämend, aber die schiere physische Präsenz dieses Mannes ließ sie kaum noch klar denken. Er war … sie suchte nach einem passenden Wort für diese anziehende, harte und kantige männliche Kraft und Arroganz, fand aber keins. Elaina hatte sie davor gewarnt, dass er äußerst misstrauisch sein würde, aber sie hatte nicht erwähnt, wie verbittert er war. Oder wie gut aussehend. Trotz seiner groben Ungehobeltheit war der Kerl ein wandelndes und sprechendes Musterexemplar der verborgenen Fantasie jeder Frau vom „Bad Boy“.

Schön, dunkel und verlockend war er genau das, was Molly sich immer unter einem richtigen Mann vorgestellt hatte; aber sie war noch nie einem begegnet. Harte, kantige Gesichtszüge. Tiefschwarzes Haar, dicht, gesund und vom Wind zerzaust. Und diese Augen, vom abgrundtiefen Blau des Ozeans. Sie attraktiv zu nennen, wäre der blanke Hohn. In ihnen loderte ein Feuer. Eine gefährliche Intensität, die sie innerlich erschauern ließ. Ihr den Atem raubte. Als ob die Luft um sie herum ein Eigenleben hätte, knisternd vor Elektrizität.

Das ist alles hundsmiserabel, Molly. Krieg dich endlich in den Griff.

„Ich kann Ihnen keinen Beweis vorlegen, Ian“, sagte sie, und die Verzweiflung in ihren Worten war für sie selbst kaum zu ertragen. „Aber wenn Sie mich nicht anhören und mir nicht helfen wollen, dann wird jemand sterben. Und zwar jemand, der Ihnen sehr am Herzen liegt.“

„Ich habe keine Ahnung, was Sie hier abziehen, aber es wird nicht funktionieren. Jeder, der mich kennt, wird Ihnen sagen, dass es keinen Menschen gibt, der mich auch nur einen Scheiß kümmert. Kein Mensch, außer mir selbst.“

„Das glaube ich Ihnen nicht“, widersprach sie. „Nicht nach alldem, was mir Ihre Mutter über Sie erzählt hat.“

Er lächelte kühl. Offensichtlich glaubte er kein Wort von dem, was sie sagte. „Wenn Sie einen Trottel für irgendein fruchtloses Unterfangen suchen, versuchen Sie’s bei einem anderen Spinner, aber lassen mich damit in Ruhe. Schauen Sie doch mal bei unserem hiesigen Sheriff vorbei. Ich kann Ihnen garantieren, dass der bei Ihrem Anblick aus den Latschen kippt, Schätzchen. Sie sind genau der Typ, auf den der heilige Riley fliegt. Er wird ganz begeistert sein, Ihnen dabei zu helfen, die Welt zu retten.“

„Verflucht noch mal, hier geht es nicht um …“

Als er an ihr vorbeigehen wollte, griff sie nach seinem Arm, merkte aber sofort, dass das ein Fehler war. Er blickte zu ihr herab, das wütende Blau seiner Augen, so feindselig und gewalttätig und seltsam erregend, schien sie zu durchdringen.

Die Worte sprudelten aus ihrem Mund, ohne dass ihr Gehirn beteiligt war. „Sie sagte, wenn die Finsternis ruft …“

Ian verkrampfte sich so plötzlich, dass ihr die Stimme versagte. Aber sie wusste, sie hatte einen Nerv getroffen. Seine Muskeln unter ihrer Hand waren heiß und stahlhart – der Bizeps starr vor Wut … und vor etwas, für das sie keine Worte hatte. Tief durchatmend, wiederholte Molly die Worte, die Elaina ihr aufgetragen hatte. „Ihre Mutter sagte, wenn die Finsternis ruft, dann werden Sie Bescheid wissen. Dann werden Sie herausfinden …“

„Nein.“ Seine Lippen bewegte sich fast nicht, als er die Wörter hervorstieß. „Unter keinen Umständen.“

In stummem Flehen starrte Molly zu ihm auf und versuchte, sich nicht in diesen fiebernden blauen Augen zu verlieren. „Sie möchte, dass ich es Ihnen erkläre, Ian. Ich soll Ihnen all das erklären, was sie Ihnen damals hätte erzählen sollen. Die Warnungen, die sie Ihnen hätte geben müssen, bevor Sie von zu Hause weggingen. Ich bitte Sie, hören Sie mir doch einfach nur zu!“

„Sie finden ja sicher Ihren Weg zurück“, knurrte er und riss sich mit geradezu lächerlicher Leichtigkeit von ihr los. „Und lassen Sie mich verdammt noch mal in Ruhe.“

Eine Sekunde später knallte er schon die Tür seines Kleinlasters zu, jagte den Motor hoch und ließ sie einfach in der Staubwolke stehen, die die Reifen aufwirbelten.

Als er einen letzten Blick in den Rückspiegel warf, stand sie immer noch reglos da, ganz allein … Molly sah einfach nur zu, wie er versuchte, vor etwas zu flüchten, dem er doch nicht ausweichen konnte. Das wusste sie genau.

Denn es war eine der elementaren Wahrheiten des Universums. Auf jeden Tag würde eine Nacht folgen. Auf jeden Frühling ein Sommer. Immer würde jedes Leben mit dem Tod enden. Und so sehr man es auch versucht, man kann niemals vor etwas davonlaufen, das bereits Teil von einem ist. Diese Lektion hatte sie selbst unter Qualen lernen müssen.

Ob er ihr nun glaubte oder nicht … sie anhörte oder nicht … eins wusste Molly mit absoluter, unwiderlegbarer Sicherheit: Ian Buchanan war schließlich von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt worden.

2. KAPITEL

Zur Mitternachtsstunde

Kendra Wilcox’ Mutter hatte sie immer davor gewarnt, sich mit fremden Männern einzulassen. Besonders mit attraktiven Männern. Zu schön, um wahr zu sein. Aber dieser Fremde, den sie in der Bar getroffen hatte, der war nun mal die beste Gelegenheit, endlich über Ian Buchanan hinwegzukommen, und zwar ein für alle Mal. Den würde sie auf keinen Fall zurückweisen.

Stundenlang hatte sie gewartet, aber Ian war nicht aufgetaucht zu ihrem üblichen fröhlichen Bettscharmützel am Freitag in der Nacht. Und jetzt war sie sauer genug, um jede Rücksicht auf ihn über Bord zu werfen. Nicht, dass sie sich überhaupt irgendwas aus Ian Buchanan machte, versicherte sie sich stumm, wohl wissend, dass es eine Lüge war. Dieses verfluchte Schwein hatte sich irgendwie an ihren Barrieren vorbeigemogelt, und sie wusste von Anfang an, dass sie am Ende leiden würde. Mist, sie litt ja jetzt schon.

Also brauchte sie das jetzt. Und zwar heute Nacht. Sie musste sich Ian aus dem Verstand vögeln, aus welchem Grunde sie nun mit runtergekurbeltem Fenster die Straße hinunterraste, während der Mitternachtswind ihr durchs Haar pfiff… und zwar im Wagen eines anderen Mannes.

Dieser große und verflucht attraktive Blonde würde die perfekte Kur für ihre Schmerzen sein. Und wenn Ian hinterher davon erfuhr, umso besser. Sein himmelschreiendes Ego konnte wirklich mal eine Delle vertragen. Oder zwei.

Kendra wandte sich dem Fremden auf dem Fahrersitz zu, lächelte ihn an und erinnerte sich, wie er sie in der Bar gefragt hatte, ob sie gern mitkommen würde, hinaus ins Mondlicht, unter den Sternenhimmel, wo sie schreien konnte so laut sie wollte, wenn sie kam – und er hatte ihr versprochen, sie würde kommen, heftiger und öfter als je zuvor in ihrem Leben. Es würde Ian nur recht geschehen, wenn sich ein anderer Mann ihrer sexuellen Begierden annahm. Sie konnte nur hoffen, dass er wirklich hielt, was er versprochen hatte.

Ein paar Meilen außerhalb der Stadt bogen sie auf eine Wiese mit hohem Gras und stoppten. Er kam um den Wagen herum zu ihrer Tür, ergriff ihre Hand und führte sie hinaus ins offene frische Grün. Sie fühlte sich wild und verdorben wie die Nacht, die vielen Tequila, die sie vorhin zusammen mit ihm in der Bar heruntergestürzt hatte, machten ihren Kopf ganz schummrig. Ihr Mund war ausgetrocknet.

Der große blonde Adonis lächelte sie an, seine eisblauen Augen glänzten hell und köstlich verrucht im silbernen Mondlicht, in das ihre Körper getaucht waren. Ihre Nase nahm den fruchtbaren Duft des Waldes, des feuchten Rasens unter ihren Füßen und seiner maskulinen Wärme voller Erregung auf. Seine Haut war so heiß, fast als hätte er Fieber, seine Hand brannte an ihrer Schulter.

„Magst du es grob, Kendra?“

„Oh ja“, lallte sie und streckte ihm ihre Brust entgegen, damit er ihre Brustwarzen deutlich unter dem dünnen Stoff ihres Tank Tops erkennen konnte. „Je gröber, desto besser.“

Ein tiefes Lachen kam aus seiner Brust. Er packte das dünne Top, riss es entzwei, und sie japste nach Luft. Dann beugte er sich vor und umschloss eine nackte Brustwarze mit der elektrisierenden Hitze seiner Lippen. Zwischen ihren Beinen wurde es warm und feucht und bereit für das süße Spiel. Oh ja, dieser Bursche würde eine süße Rache für Buchanan sein. Sie hoffte, er würde der ganzen Stadt von heute Nacht erzählen. Hoffte, Ian würde brühwarm mitkriegen, wie wild sie diesen tollen Fremden im diesigen Mondlicht zugeritten hatte.

Seine Zähne naschten an ihrer Haut, ließen sie erschauern, und sie wollte seinen Namen ausrufen … aber da war nur Leere in ihrem Hirn.

Ach du Scheiße! Sie konnte sich nicht an seinen Namen erinnern! Der Gedanke kam Kendra plötzlich zum Brüllen komisch vor, sie ließ ein unpassendes Kichern hören, was ihn, an ihrer Brust, zum Grinsen brachte. Oh Mann … ihre Mutter wäre sicher begeistert, wenn sie wüsste, dass da ein Mann, an dessen Name sie sich nicht erinnern konnte, gerade seine heißen Lippen auf ihre nackte Haut presste, sich von ihren Brüsten nach oben zu ihrem Hals küsste.

„Sag mir, wie sehr du es brauchst“, flüsterte er und biss in ihre Schulter, dass ihr Blut raste.

Als Antwort griff sie nach der Ausbuchtung in seiner Jeans, und er ließ ein leises Lachen hören.

„Fleh mich an, Schätzchen. Ich liebe es, wenn eine Frau mich darum anfleht.“ Sein Atem glitt über ihre Kehle, seine Hände umfassten ihren Hintern, seine Finger bearbeiteten sie durch die Jeans. „Fleh mich an, dich zum Schreien zu bringen.“

„Bitte“, keuchte sie, den Kopf zurückgelehnt, damit er besser an ihren Hals käme. Das plötzliche Warnlicht in ihren Gedanken, dass irgendetwas nicht ganz stimmte … das ignorierte sie einfach.

Einfach mitmachen, Kendra. Er lässt dich vergessen. Alles vergessen. Ian … vergessen.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drückte er seine Stirn gegen ihre und flüsterte: „Keine Angst, Kendra. Wenn ich heute Nacht mit dir fertig bin, wird für Buchanan nichts mehr übrig sein.“

Sie hob den Kopf, um ihn anzusehen, und mit einem Mal blieb ihr die Luft weg. Irgendwas an seinem Gesicht schien … das konnte sie nicht sagen. Anders zu sein. Sie blinzelte mit schweren Lidern, wollte ihn wieder klar und deutlich sehen, aber ihre Augen spielten nicht mit. Er hob eine Hand, umfasste ihre Wange, sein Daumen strich zärtlich … so unfassbar zärtlich über ihren Mundwinkel. Sie spürte nichts mehr außer seiner Berührung. Es war eine ehrerbietige Berührung. Wie die eines Anbeters – und plötzlich wurde ihr klar, dass Ian sie in all der Zeit noch nie so berührt hatte. Als wäre sie für ihn etwas ganz Besonderes. Ihre Unterlippe zitterte. Sie seufzte, sie zerfloss, ganz verloren in der glühenden Hitze des Blickes dieses Fremden.

Und dann lächelte er.

Der Schwung seiner Lippen war so unglaublich schön, dass ihre Tequila-umnebelten Gedanken eine Weile brauchten, bis sie realisierte, was er da gerade gesagt hatte.

Buchanan! Was zum …? Woher konnte dieser Fremde – dieser Neuling hier oben in den Bergen – überhaupt etwas von ihr und Ian wissen?

„Woher …“

„Sch …“, wisperte er und drückte seine Hand auf ihren Mund. „Für Fragen haben wir jetzt keine Zeit.“

Er gab ein raues Lachen von sich, und Kendra beobachtete voller Entsetzen, wie sein Gesicht sich unter der Haut neu zusammenzusetzen schien. Ein Plopp war zu hören, dann ein Klacken, dann das erschreckende Geräusch eines wieder einschnappenden Gelenks.

Voller Panik wollte sie wegrennen, aber sie stolperte. Sofort war er auf ihr, das Gewicht seiner Muskeln drückte sie in den feuchten Boden.

„Das ist ein Mädchen für mich“, murmelte er vor sich hin, schleuderte sie auf den Rücken und hielt ihre Hände über ihrem Kopf mit einer Leichtigkeit fest, die sie ebenso einschüchterte wie entsetzte. Aus weit aufgerissenen, brennenden Augen sah sie seinem entstellten Gesicht an, was er vorhatte, und ein erstickter Ton entrang sich ihrer Kehle. Ein trockener Schrei, irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Wimmern. „Keine Zeit für Spielchen“, flüsterte er. „Nur noch Zeit zu sterben.“

Und er meinte es todernst.

Alles was danach geschah, nahm sie nur noch bruchstückhaft wahr – das Bewusstsein zerschmettert von Entsetzen und Unglauben und unbeschreiblichem Schmerz. Sie wollte schreien, aber dazu war ihr Verstand zu benommen. Sie wollte sich wehren, aber ihr Körper lag einfach nur da auf dem mit Blut getränkten Boden, zerbrochen und schwach.

Sie wollte dieses Schwein in Stücke reißen, genauso wie er sie in Stücke riss – und wusste doch, wie hoffnungslos der Gedanke war.

Er hatte sie aufgeschlitzt; tiefe Schnitte in ihrem Bauch … ihrer Brust? Sie hatte keine Ahnung; es tat überall weh. Sogar tief in ihr drin, als er brutal in sie eindrang. Alles verblasste – das Leuchten der Sterne am Himmel, das Zirpen der Grashüpfer, der volle Pinienduft der Bäume – bis es zu einem Nichts verstümmelte. Nichts – außer den unendlichen Wellen von Schmerz, durch die alles schwarz und hässlich wurde.

Sie dachte an Ian, und ihr wurde klar, wie dumm sie gewesen war.

Aber ihr letzter Gedanke, als er seine Zähne tief in ihren Hals grub, galt ihrer Mutter: Hatte sie also doch recht gehabt.

Dann dachte Kendra Wilcox nichts mehr.

3. KAPITEL

Samstag, drei Uhr morgens

Ian träumte von zu Hause. Als er jung war. Träumte vom tiefen Süden im Spätherbst. Es war derselbe merkwürdige Traum, den er immer hatte, seit er mit sechzehn von zu Hause fortgelaufen war. Er hockte mit seiner kleinen Familie vor einem knisternden Ofen. Das Abendessen köchelte vor sich hin und füllte das verwitterte Haus mit dem Duft von Bohnen und Maisbrot, während der junge Riley auf dem abgenutzten Teppich lümmelte und die kleine Saige auf dem Schoß ihrer Mutter saß und um eine weitere Geschichte über ihre Vorfahren bettelte.

„Vor vielen, vielen Jahren“, hob seine Mutter murmelnd an, „bevor dieses Land überhaupt entdeckt worden war, wandelten unsere Vorfahren auf dieser Erde, aber sie waren nicht wie wir …“

„Sie waren Merrick, nicht wahr?“, unterbrach Saige und hopste vor Aufregung beinahe auf und ab.

„Ja, Süße“, antwortete seine Mutter lächelnd, „das waren sie ganz bestimmt.“

„Und sie waren die Allergrößten, oder?“, ergänzte sein Bruder grinsend.

Seine Mutter zwinkerte Riley zu. „Das waren sie.“

„Bis der Casus sie alle massakriert hat“, warf Ian trocken ein, der vor dem Ofen auf dem Boden hockte. Er schlang seine dünnen Ärmchen um seine aufgeschürften Knie; seine Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, von dem seine Mutter immer sagte, es wäre viel zu verächtlich für einen Zwölfjährigen.

„Das stimmt nicht!“, protestierte Saige und streckte ihm die Zunge raus.

„Ach ja? Und wieso, glaubst du, sind sie dann alle tot?“

„Aber sie sind doch gar nicht alle tot“, sagte seine Mutter leise, und alle drei drehten die Köpfe zu ihr, mit großen, neugierigen und unsicheren Augen. Das war eine seltsame Wendung; bisher hatten ihre Geschichten diese Richtung noch nie eingeschlagen. Nicht ein einziges Mal, in all den zahllosen Wiederholungen.

„Was meinst du damit, sie sind nicht alle tot?“, fragte er ruhig, obwohl seine Worte kämpferisch und scharf die Stille des Hauses durchdrangen. Als ein Holzklotz im Ofen knackte, das feuchte Holz platzte, musste er den Drang unterdrücken, zusammenzuzucken.

Die schmalen Brauen ihrer Mutter hoben sich zur von Sorgenfalten bedeckten Stirn. „Habe ich je gesagt, sie wären tot?“

„Aber wenn sie nicht tot sind“, seine Augen waren schmal vor Misstrauen, „wo sind sie denn dann?“

„Direkt vor deiner Nase“, erklärte sie mit einem Lächeln, bei dem ihm ganz schlecht wurde. Sie hielt seinem Blick stand, ihre Mundwinkel verzogen sich nur ein ganzes kleines bisschen – das tiefe Blau ihrer Augen wurde von einem seltsamen Glühen erwärmt. „Und eines Tages, wenn das Dunkle nach dir ruft“, flüsterte sie so leise, dass er ihre Worte kaum verstehen konnte, „wenn du es in deinen Knochen spüren kannst, durch deine Venen rasen fühlst, in deinem Herzschlag – wenn deine Träume nicht mehr dir selbst gehören, Ian –, dann wirst du ihm begegnen.“

Gefangen in diesem beklemmenden Traum starrte Ian seine Mutter an, bis das Traumbild undeutlich wurde, der Umriss ihres Körpers vor der undurchdringlichen Finsternis kaum noch zu erkennen war. Er wusste, was als Nächstes passieren würde – aber er konnte einfach nicht verhindern, dass dieser ständig wiederkehrende Traum sich in einen blutigen Albtraum verwandelte. In seiner Brust hob ein wildes, ungezähmtes Grollen an, das ihm in der Kehle wehtat, der ganze Körper schmerzte, jeder Muskel verkrampfte sich in qualvoller Anspannung.

Er wälzte sich unter der schweißdurchtränkten Decke hin und her, wollte den erdrückenden Schlaf von sich werfen, aber es gelang ihm nicht, als ob der Traum seinen Körper gefangen hielt wie warmer feuchter Zement, der um ihn herum kalt und hart wurde. Wütend knirschte er mit den Zähnen, aber der Traum ging immer weiter, wie ein Film in Endlosschleife.

Jetzt veränderte sich der Traum … zog ihn immer tiefer hinab … in dunklere, trügerischere Gewässer, Gefahr lauerte in den schlammigen Tiefen unter seinen Füßen. Verschwunden war das Heim seiner Kindheit, mitsamt seiner Mutter, seiner sommersprossigen Schwester Saige und seinem dürren, nervtötenden Bruder Riley. Jetzt füllte der reife Duft des Waldes seinen Kopf, feuchte Nachtluft war um ihn herum, beklemmend und düster und viel zu nah. Mitternächtliche Schwärze lastete schwer auf ihm, sein Magen zog sich vor Anspannung immer mehr zusammen … und dann konnte er es sehen. Das flackernde Glimmen eines Lagerfeuers in einiger Entfernung, die zuckenden Flammen durch die unheilvolle Dunkelheit kaum erkennbar. Wind kam auf, er brachte einen satten, provozierenden Geruch von Paarung mit sich, gleichzeitig wurde die unnatürliche Stille des Waldes plötzlich vom düster pulsierenden Rhythmus einer Musik erfüllt.

Er stand schweigend und reglos da und war sich des langsamen, schweren Hämmerns seines Herzens voll bewusst, des intensiven Brodelns seines Blutes, das durch seinen verkrampften, starren Körper raste. Seine Hände verkrümmten sich, die Fingerspitzen brannten wie heiße Nägel auf seiner Haut, ungezügelter Heißhunger schwappte wie eine mächtige Welle durch ihn hindurch und konzentrierte sich auf sein Geschlecht. Er holte tief Luft und spürte, wie sein Körper auf irgendeine aberwitzige metaphysische Art geradezu aufbrach und sich irgendetwas ganz tief aus seinem Inneren in ihm breitmachte, unter seiner fiebrigen Haut zum Leben erwachte. Etwas, das sich in dem Netz der Finsternis um ihn herum wie zu Hause fühlte. Alle seine Sinne wurden schärfer, räuberisch, sein Körper stärker, die Muskeln schwollen unter der brennenden Haut an, und primitive, animalische Gelüste verlangten ihr Recht.

Sein Körper antwortete auf den lockenden Ruf des Dunklen.

Plötzlich war er nackt und spürte warmen Wind auf der Haut. Spürte feuchte Luft in der Lunge, fruchtbaren Boden unter den Füßen, viel zu viele Gerüche stürmten auf ihn ein. Die Einzelheiten überwältigten ihn, kämpften um die Vorherrschaft in seinem Gehirn, bis ein bestimmter Drang alles andere überwand und dominierte.

Der Trieb zu jagen.

Die Nase in den Wind gereckt, schnüffelte er nach dem, was er begehrte, damit er es jagen und reißen konnte. Seine Nüstern blähten sich auf, sein geschärfter Verstand verarbeitete rasend schnell all die sinnlichen Geruchsinformationen, und dann entdeckte er es.

Ja, fauchte die Kreatur, die in ihm steckte, mit tierischer Befriedigung. Genau da.

Die Veränderung seines Wesens war beinahe vollständig. Irgendein Teil von ihm kämpfte dagegen an, aber das erbarmungslose Verlangen war stärker. Explosionsartig stürmte er los, die Lunge bebte, seine Beine besaßen eine übernatürliche Kraft. Er raste durch dichtes Gestrüpp, Blätter und Zweige schlugen ihm ins Gesicht, auf Arme und Beine und hinterließen blutige Kratzer … und er wusste genau, was jetzt passieren würde.

Diesen Albtraum hatte er jetzt schon seit Wochen. Und jedes Mal zerriss er etwas in ihm, schnitt ein bisschen tiefer in ihn ein.

Nein!, brüllte Ian aus den dunkelsten Tiefen seiner bewusstlosen Psyche, während der Traum weiterging und jede Sekunde ihn noch mehr anekelte als die letzte. Verdammt noch mal! Nein! Wach auf! Aufwachen, du Idiot! Wach auf!

Aber er schaffte es nicht. Nein, die finstere Gier in seinen Eingeweiden war einfach zu stark, wollte es zu sehr – brauchte es unbedingt –, und ein hässliches, perverses Gefühl bemächtigte sich seiner Gedanken. Scham. Bitter, widerlich und überwältigend. Aber die sündigen Gelüste waren trotzdem zu stark, um etwas dagegen tun zu können.

Es war hier irgendwo, und er musste es unbedingt kriegen.

Ian drosch im Schlaf auf das durchweichte Bettlaken ein, schweißgebadet und schmerzverzerrt wollte er sich aus der verfluchten Umklammerung dieses Albtraums befreien. Aber seine Klauen hielten ihn eisern in ihrer Gewalt. Genau wie bei all den anderen Träumen. Er sah sich selbst, wie er aus dem Unterholz brach und mitten hinein in eine Gruppe Zigeuner stürmte, die um das Lagerfeuer tanzten. Er sah das schnelle, sinnliche Herumwirbeln der Tänzerinnen um die lodernden Flammen, die bunten Stoffe ihrer Röcke flatterten im Wind, während sie ihre wilden Locken schüttelten. In den dunklen Ecken des Lagers wälzten sich ekstatische Paare, und der satte, moschusartige Geruch von Sex erfüllte die Luft, als die pulsierende Musik lauter wurde. Die Tänzerinnen bewegten sich immer schneller um das Feuer herum, klatschten in die Hände und stampften mit den Füßen, sangen und lachten in ihrem wüsten Gelage.

Und unter der Musik summte jetzt ein leiser, unheimlicher Sprechgesang. Tief und heiser klang es wie Merrick … Merrick … Merrick.

Sie wussten, dass er hier war. Dunkle schlehenartige Augen glitten zärtlich über ihn hinweg, rubinrote Lippen verzogen sich katzenhaft zu einem einladenden Lächeln. Er konnte nicht widerstehen. Er griff nach der ersten, die es wagte, ihm tanzend zu nahe zu kommen, und riss sie gleich an Ort und Stelle zu Boden, ohne sich um die sengenden Blicke der anderen zu kümmern.

Ihre Kleider waren in wenigen Sekunden zerfetzt. Dann nahm er sie genauso wie in jedem Traum, er spreizte ihre langen Beine, drang durch die schlüpfrige Pforte ein, die ebenholzschwarzen Locken darüber glitzerten vor Feuchtigkeit, und er rammte sie förmlich in den harten Waldboden.

Ian umklammerte das Laken mit den Fäusten, bis der Stoff zerriss, den ganzen Körper auf der Matratze durchgedrückt, sein ganzes Gewicht ruhte einzig und allein auf seinem Kopf und seinen Fersen – und in seinem Traum gruben sich seine Hände in die Erde, mit heißem Blick versenkte er sich in das keuchende dunkelhaarige Mädchen. Er nahm sie mit einer Brutalität, die ihn selbst schockierte, aber trotzdem konnte er nicht tief genug vordringen, es war, als ob er etwas von ihr wollte, das sie nicht geben konnte. Die Begierde raste durch seine Venen, wildes Knurren drang aus seiner Kehle, animalisch und räuberisch, aber sie hatte gar keine Angst vor ihm. Scharfe Nägel zerkratzten seine Haut, ihr wollüstiger Körper bäumte sich unter ihm auf, stöhnend flehte sie nach mehr, mehr – während die anderen um sie herumstanden und sie anfeuerten. Die Musik wurde lauter … anschwellend mit jedem pulsierenden Rhythmus, bis sein Schädel davon dröhnte.

Wie auf der Suche wollte er noch tiefer in ihr williges Fleisch eindringen … wohl wissend, dass seine Größe ihr wehtat, aber er konnte einfach nicht finden, wonach ihn verlangte. Wütend fletschte er die Zähne, riss den Kopf hoch, ein tierisches Brüllen kam aus seiner Brust, der verzweifelte Schrei schnitt durch die Musik und das raue Gelächter. Er kniff die Augen zusammen, die Sehnen an seinem Hals traten hervor, an seinen Schläfen hämmerte es. Sein Herz schlug wild, als wolle es explodieren … immer stärker und stärker und stärker. Und dann fühlte er es.

Irgendetwas … war anders. Etwas, das in seinen fürchterlichsten Albträumen bisher noch nicht vorgekommen war.

Eine Hand berührte ganz leicht, fast schüchtern seine Brust, direkt über dem qualvollen Schlag seines Herzens. Ian hielt inne, wurde sich bewusst, dass der Körper unter ihm sich ganz köstlich verändert hatte, sein harter Schwanz steckte tief in einer engen heißen Höhle, die ihn so fest umschmiegte, dass es beinahe wehtat.

Er schluckte, seine Augen brannten vor Schweiß, als er den Kopf senkte und die Frau anstarrte, die jetzt unter ihm lag. Die Zigeunerin war weg, an ihre Stelle war eine kleine hübsche Blondine getreten, die mit großen braunen Augen zu ihm aufblickte.

Zur Hölle. Sie war es. Molly. In seiner Brust rastete etwas aus, alles zog sich in ihm zusammen. Er wagte nicht zu atmen oder zu blinzeln oder zu sprechen, aus lauter Angst, er könnte den Bann brechen und sie verlieren. Das konnte er nicht zulassen. Nein, auf einmal war es das Wichtigste auf der Welt, diesen Traum mit aller Macht festzuhalten.

Diese Frau festzuhalten.

Während ihm das Blut in den Ohren rauschte, sorgte Ian dafür, dass jeder Zentimeter von ihm tief in ihr vergraben war, sein Schaft an ihrer heiß pulsierenden Perle rieb. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck und Überraschung und jenem verschleierten Schmerz, der nur im Blick jener Frauen lag, die gerade gründlich genommen wurden. Ein seltsamer, verführerischer Schmerz, durch die Lust noch verstärkt. Ihre Lippen öffneten sich, und er las von ihnen das Wort ab, das ihr stumm aus dem Mund kam.

„Ian.“

Sie wusste es. Sie wusste, wer er war. Wusste, dass er es war, der in sie eindrang, sie an den Boden pfählte.

Er hätte sie gern angelächelt, ihr mit seinen mit Schmutz bedeckten Händen übers Gesicht und über ihre pulsierende Halsschlagader gestrichen, er hätte ihr gern gesagt, dass alles in Ordnung war und er ihr nicht wehtun würde, aber er brachte die Worte nicht hervor. Sein Blut raste, sein heißer Körper troff vor Schweiß, und ihm war klar, dass sein Blick wild und barbarisch wirken musste. Was sich seiner bemächtigt hatte, war zu intensiv und zu brutal, um es verbergen zu können – es hatte die dürre Fassade der Zivilisation, die er normalerweise aufrechterhalten konnte, schlichtweg beiseitegefegt.

Keuchend blickte sie zu ihm auf, ihre blasse Haut glänzte rötlich. Ohne jeden Zweifel war sie die reine Unschuld. Nicht unbedingt noch Jungfrau, aber … nahe dran. Was immer sie bisher für Erfahrungen mit Männern gemacht haben mochte, es war alles sehr beschränkt, kurz, flüchtig gewesen.

Das würde sich nun ändern.

Er ließ sie nicht aus den Augen, zog sich zurück, drang wieder ein. Allein das hätte ihm schon einen Orgasmus beschert – aber um keinen Preis der Welt wollte er das zulassen. Er musste es auskosten – sie auskosten. Es in die Länge ziehen, alles aus ihr herausholen, was sie geben konnte. Es von ihr verlangen, sie zum Wahnsinn treiben. Sie sollte schreien und sich an ihm festklammern und heulen vor Glück, wenn er fertig mit ihr war. Er wollte sie in Stücke reißen und dann wieder neu zusammensetzen.

Ian drückte sich mit seinen muskulösen Armen hoch, setzte sich auf die Knie und blickte herab auf die Stelle, wo sein Körper mit ihrem verschmolz.

„Sieh es dir an“, knurrte er.

Sie erschauerte und senkte ihren Blick, trotz der tiefen Lust, die ihr in den Augen stand, war ihr Erschrecken unverkennbar. Sie war so eng, und er war zu groß, viel zu groß, um einfach hineinzugleiten, egal wie feucht sie war. Es bedurfte kräftiger Stöße, der Klagelaut ihrer Lust ließ ihn rot sehen.

Mit rauem Grunzen beugte Ian seinen Oberkörper zu ihr herab, er musste unbedingt die harten Spitzen ihrer samtenen Brustwarzen an seiner Haut spüren, musste sie ganz bedecken, sie besitzen … und dann merkte er plötzlich, dass sie ganz allein in diesem Wald waren. Die Musik, die Zigeuner, das wilde Fest, alles war verschwunden – an die Stelle dieser aufpeitschenden Geräusche waren ihre heiseren Schreie und der feuchte, satte Klang ihrer sich vereinigenden Körper getreten. Er schob sie mit den Hüften über den Boden, verlangend, besitzergreifend, alles brach aus ihm heraus, was er sonst tief in sich verschloss, in sich versteckte – und dann geschah das Unfassbare.

Fast betäubt beobachtete er, wie sich die feuchte, seidene Schönheit ihrer Lippen zu einem glühenden Lächeln verzog, das sie von innen erleuchtete, und irgendetwas ungeheuer Kraftvolles und Furchterregendes durchzuckte ihn. Er vergaß jede Beherrschung, ließ alle Grenzen hinter sich, umfasste ihren Schenkel mit einer Hand, riss ihr Bein in die Höhe, drang tiefer und tiefer ein, riss mit der anderen, zur Faust geballten Hand ihren Kopf an den Haaren zur Seite. Sie schluchzte, doch es klang mehr nach Lust und Erwartung als nach Schmerz. Sein Zahnfleisch brannte, als seine Reißzähne sich in ihrer ganzen schrecklichen Länge daraus befreiten.

Sie schrie auf, versteifte sich unter ihm, aber er konnte sich nicht mehr bremsen. Er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, blies feuchte Lusttropfen an ihre Kehle, und versenkte gierig seine Zähne in ihrem Hals. Molly kreischte und zappelte unter ihm, doch er biss nur stärker zu, seine Ekstase und Glückseligkeit waren heiß und überwältigend und sündig.

Der warme, dicke Strom ihres Blutes füllte ihm den Mund, rann seine Kehle hinab, er schluckte durstig, zerrte mit den Zähnen an der Wunde an ihrem Hals, schwindlig vor Freude über den herzhaften Geschmack. Mehr. Er brauchte noch mehr davon. Er saugte an den beiden kleinen Einstichen und war sich mit jedem Zentimeter seines Körpers bewusst, wie sie in einem markerschütternden Höhepunkt förmlich verglühte und mit aller Macht seine Erektion mit ihrer herrlich nassen Vagina umklammerte.

Er riss seine gefletschten Fänge von ihr los und schrie auf, berauscht von ihrem Geschmack, von dem beschwörenden Anblick des tiefroten Blutes, das ihr von der blassen Kehle tropfte. Sie keuchte atemlos, als er sich erneut hinunterbeugte, die Zunge über ihre Haut gleiten ließ, sich keinen Blutstropfen entgehen ließ. Er hob den Kopf, blickte in ihre benommenen Augen, und zum ersten Mal in seinem Leben war er voll und ganz auf jedes noch so kleine Detail des Körpers der Frau konzentriert, die da unter ihm lag. Ihr rasender Herzschlag an seiner Brust. Das Stoßen ihres süßen Atems und das entzückende Zittern ihrer Hände auf seinem Rücken. Sie war viel zu klein und zart. Aber es fühlte sich einfach zu gut an, und er wollte dieses Gefühl wieder und wieder und wieder spüren.

Schmerzvoll war er sich bewusst, dass er noch nie etwas so Großartiges … so Richtiges gespürt hatte. Niemals konnte sich irgendjemand so gefühlt haben. So wie er jetzt.

Dieser gefährliche, beunruhigende Gedanke ließ Ian erschauern, und schon zog er sich von ihr zurück, verschloss sich, obwohl sie mit taufrisch erröteten Wangen zu ihm aufblinzelte, so wunderschön, dass ihm die Luft wegblieb. Voll plötzlichem Erschrecken sah er, wie diese aufgeworfenen Lippen sich zu einem schüchternen, süßen Lächeln verzogen und ihre Augen aufleuchteten – und das, obwohl er sich gerade wie ein Monster an ihrem Blut gelabt hatte. Eine ekelerregende Furcht vor sich selbst machte sich in ihm breit.

Gefahr! Höchste Alarmstufe! Mach, dass du hier wegkommst, du widerlicher Bastard!

Sie öffnete den Mund, ihre kleinen Hände klammerten sich an ihm fest, und es schien ihm, als würde sie voller Panik seinen Namen schreien, als er ihr entglitt – doch im nächsten Augenblick wachte er mit einem Ruck auf, der ganze Körper schweißgebadet, das Herz hämmerte wie ein Trommelwirbel in seiner Brust.

Er wälzte sich auf dem durchweichten Laken seines zerwühlten Bettes auf die Seite und spürte, wie seine Lippen wieder über seine Zähne glitten. Er versuchte, das keuchende Lufteinziehen unter Kontrolle zu bekommen, damit ihm nicht mehr jeder Atemzug in der Lunge brannte und ihm Tränen in die Augen trieb. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf die Ziffern der Digitaluhr auf dem Nachttisch und musste beim Ticken der Sekunden an eine Zeitbombe denken, die leise vor sich hin tickt, bis zur Detonation.

Wenn das Dunkle nach dir ruft, Ian …

Zum Teufel damit! Er hatte im Augenblick nun wirklich genug um die Ohren! Da konnte er das idiotische Gewisper seiner Mutter im Kopf überhaupt nicht brauchen. Nicht, wenn er sowieso schon an der Schwelle zum Wahnsinn stand und kurz davor war, das letzte bisschen Kontrolle auch noch zu verlieren, an dem er sich festhalten konnte.

Voller Verzweiflung atmete er tief durch die Nase ein, um etwas Frisches und Sauberes zu riechen, das die hässlichen Vorstellungen aus seinem Kopf vertrieb. Aber in dem Zimmer hing nur der scharfe und beißende Gestank von Schweiß und Angst. Und dass er Angst hatte, konnte er nicht abstreiten – dass Entsetzen in ihm hämmerte wie ein ohrenbetäubendes Donnergrollen.

Sein Hirn war noch ganz benebelt von diesen Vorstellungen von Blut und Lust, von gewalttätigem Sex und animalischer Gier. Er kämpfte an gegen die Wellen der Erinnerung, konzentrierte sich darauf, wieder Kontrolle über sich selbst zu erlangen, seinen Herzschlag und seine Atmung zu verlangsamen. Und dagegen, wie ein blöder Halbwüchsiger in den letzten Zuckungen eines feuchten Traums das ganze Laken dreckig zu machen.

Verflucht noch mal! Sie war das gewesen! Sie hatte ihm das alles mit ihrem verrückten Gehabe eingeredet. Er wollte nicht einmal daran denken, wie er sich im Traum mit ihr – in ihr gefühlt hatte. Kam gar nicht infrage. Dahin durften seine Gedanken auf keinen Fall schweifen.

Die Sekunden verstrichen, wurden langsam zu Minuten, während er dalag und versuchte, seinen Körper wieder in die Gewalt zu bekommen – und den Drang bekämpfte, den Traum vor seinem inneren Auge noch einmal ablaufen zu lassen, denn das würde ihn zerstören. Nur sie könnte ihn dann noch von dem gefährlichen Abgrund zurückreißen, der sich ihm auftun würde. Er knirschte mit den Zähnen. Begrüßte den plötzlich aufkommenden, dumpf klopfenden Kopfschmerz beinahe – bis ihm klar wurde, dass jemand an die Tür klopfte. So laut und hämmernd wurde das Pochen, dass sich die dünne Holztür beinahe bog wie ein einsames Schilfrohr im Sturm.

Ian rollte sich auf den Rücken und schätzte sein Erscheinungsbild ab. Er war schweißnass, glühte vor Hitze, die Muskeln verkrampft, und ein schiefer Blick an sich herunter führte ihm vor Augen, dass er ganz und gar nicht vorzeigbar war.

Wieder wurde fordernd an die Tür gehämmert. Er schwang die Beine aus dem Bett, fuhr sich mit einer zitternden Hand durchs feuchte Haar und versuchte, das komische Gefühl aus dem Bauch zu vertreiben, das der Traum hinterlassen hatte. Es war vermutlich Riley, der Hilfe brauchte. Schon wieder. Er hatte keine Ahnung, wieso sein Bruder annahm, dass Ian gerne als Ritter in schimmernder Rüstung auftrat, um ihm aus irgendwelchen Notlagen zu helfen. Aber vielleicht war das auch nur Rileys Versuch, ihn im Auge zu behalten, damit er nicht vom rechten Weg abkam.

Puh. Als ob er sich nach der Zeit zurücksehnte, bevor er hier hinauf in die Berge kam. Schönen Dank auch. Er hatte genug davon, dauernd am Abgrund zu leben. Sich Stunde für Stunde, Tag für Tag in Acht nehmen zu müssen. Die ständige Anspannung, sich durch jeden einzelnen Tag aufs Neue kämpfen zu müssen, hatte ihn ausgelaugt. Er hatte nicht das geringste Bedürfnis, so etwas noch einmal zu erleben.

Schnell schnappte er seine Jeans vom Boden auf und tastete sich durch die dunklen Zimmer seines Apartments in der Hoffnung, dass es doch nicht sein Bruder sein möge … oder Kendra. Er hatte am Abend auf ihren Anrufbeantworter gesprochen, wollte sich nur überzeugen, dass es ihr gut ging, nachdem Molly Stratton ihm nachmittags diesen abgefahrenen Mist erzählt hatte.

„Zum Donnerwetter, komme ja gleich!“, rief er, als das Hämmern an der Tür noch lauter und ungeduldiger wurde. Er schlüpfte in seine Jeans, knöpfte den Latz zu und riss die Tür auf.

Und natürlich, da stand sie. Die kleine Miss Molly.

Verfluchte Scheiße. Was sowieso schon ein heftiger Ständer gewesen war, verwandelte sich prompt in ein brennendes Bleirohr, das die nicht ganz geschlossene Hose ausbeulte und ihn beinahe zum Exhibitionisten werden ließ.

Auch sie trug noch ihre Jeans, aber statt dem weißen Hemd nun ein lindgrünes T-Shirt. Ohne BH darunter, ihre Brustwarzen drückten sich durch den dünnen Stoff wie harte kleine Beeren, um die er gern seine Zunge hätte spielen lassen. Ian traute seinen Augen nicht. War er womöglich noch immer in dem Traum gefangen, schoss es ihm durch den Kopf.

Das Schweigen, nur von ihrem pfeifenden Atem unterbrochen, zog sich in die Länge, bis er einen Schritt auf sie zutrat. Sein Verstand hielt das für einen Einschüchterungsversuch, aber sein Schwanz war anderer Ansicht. Er wollte ihr nur so nahe wie möglich sein. Die sanfte Errötung auf ihrem hellen Teint erblühen sehen. Den warmen Honigduft ihrer Haut in die Nase bekommen. Sie blinzelte und zog mit kleinen weißen Zähnen an dieser vollen Unterlippe, was ihn fast um den Verstand brachte.

„Wie zum Teufel haben Sie mich gefunden?“

„Ich habe mich durchgefragt.“ Es war schwierig, ihren Worten zu folgen, nicht nur die leichte Heiserkeit ihrer Stimme, die ihm das Rückgrat runterfuhr, oder den schläfrigen Ausdruck in ihrem frisch gewaschenen Gesicht zu bemerken – aber es ging einfach nicht. „Ein Junge an der Tankstelle unten hat mir verraten, dass Sie hier übernachten, solange Ihr Haus noch nicht fertig ist.“

Er riss seinen Blick vom Schwung ihrer Lippen los, um in diese großen braunen Augen zu starren, die im Mondlicht etwas verschleiert wirkten. „Dieser Parker muss endlich mal lernen, die Klappe zu halten“, murmelte er. Seine Stimme war leise, aber rau wie ein Reibeisen.

Sie verzog die Lippen. „Er glaubte wohl, ich würde in Schwierigkeiten stecken. Seien Sie bitte nicht böse auf ihn.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie. „Wieso?“

Sie erschrak über seinen Ton. „Wieso was?“

„Wieso glaubte er, Sie wären in Schwierigkeiten?“

„Oh.“ Ihr Blick wanderte auf seine nackte Brust. Es entging Ian nicht, dass sie plötzlich begriff, wohin sie da starrte – und wie diese makellose Haut von Hitze überzogen wurde. Aber sie sah auch nicht weg, fast gierig war ihr Ausdruck, und das fuhr ihm sofort in seine sowieso schon schmerzhafte Erektion, und er zuckte zurück. Er wollte sich da unten ordnen, aber natürlich wollte er auch nicht, dass dieser glänzende Blick noch weiter runter wanderte. Das wäre nun wirklich zu viel gewesen.

„Molly!“, schnauzte er sie in so hartem Ton an, dass sie einen Satz zurück machte. Er ließ ihren erschreckten Blick an sich abprallen und grollte: „Warum glaubte Parker, Sie wären in Schwierigkeiten?“

„Oh, Entschuldigung“, murmelte sie. Diesmal wich sie seinem Blick nicht aus, und er musste beinahe grinsen. „Ich war wohl … ähm, ein bisschen aus der Fassung, als ich vorhin mit ihm geredet habe. Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung.“

„Wieso denn aus der Fassung?“, drängte er und packte sie am Kinn. Er drehte ihr Gesicht in das fade Licht der Straßenlampe an der Ecke, das kaum bis zu ihnen drang, und konnte die getrockneten Tränen auf ihren Wangen erkennen. „Sie haben geweint“, äußerte er mit merkwürdig monotoner Stimme. „Hat Ihnen jemand etwas getan?“

„Nein“, wisperte sie und schüttelte den Kopf. Ihre weichen, seidigen Haarspitzen strichen sanft über sein Handgelenk. „Das war nur … gefühlsmäßig. Ich bin nicht verletzt.“

Er fuhr mit der Hand zu ihrem Hinterkopf, ergriff ihr Haar mit der Faust und zog ihren Kopf zurück, um in diese tiefen braunen Augen zu blicken. Ihr Haar war weich, so verdammt weich. Er hätte gern sein Gesicht daran gerieben. Es auf seiner Haut, seinem Körper gespürt. Wollte dieses Haar mit seiner Faust umklammern, während er sie dazu brachte, Sachen mit ihm anzustellen, die nette Mädchen wie sie niemals tun würden; deshalb hielt er sich sonst immer von netten Mädchen fern. Er wusste schon lange, dass Blümchensex nicht seine Sache war. Seine Triebe waren zu düster, zu rau, zu primitiv für den Geschmack von sanften Frauen. Da genügte ein Blick auf das krankhafte Zeug, das er sich im Schlaf zusammenfantasierte!

Sie behauptete, nicht verletzt zu sein, aber er wollte gar nicht daran denken, was er ihr in diesem Traum alles angetan hatte. Sie auf diesem harten Waldboden fast zu Tode gefickt, seine verdammten Reißzähne in ihren zarten Hals gegraben.

Ihr Blut getrunken.

Die Begierde zerrte mit teuflischer Beharrlichkeit an seinen Eingeweiden, während er sie genau musterte, um sich zu überzeugen, dass sie tatsächlich nicht verletzt war. Dann war es Zeit, den Rückzug anzutreten. „Wenn alles in Ordnung ist, warum zum Teufel sind Sie dann hier?“, knirschte er.

Vielleicht war es sein wütender Blick oder sein harscher Tonfall, jedenfalls zitterte sie plötzlich. „Es tut mir leid, Sie mitten in der Nacht zu belästigen, aber ich musste unbedingt … wissen, ob es Ihnen gut geht. Ich habe mir … Sorgen gemacht.“

Sie hatte sich Sorgen wegen ihm gemacht? Bei diesen merkwürdigen Worten ließ etwas Beängstigendes und Köstliches seine Eingeweide erschauern, und er ließ sie los und ignorierte das Vergnügen, das es ihm bereitete, sie lediglich zu berühren, ihre warmen Locken durch seine Finger gleiten zu spüren. „Wieso machen Sie sich denn Sorgen um mich?“

Ihr Blick glitt von seinem Gesicht zu den harten Wölbungen seiner Bizeps, zurück zu seiner Brust, und ihre Wangen röteten sich erneut. Sie hatte die Arme um den Körper geschlungen, als ob sie sich selbst festhalten wollte. „Weil ich es gespürt habe.“

Ian lehnte sich gegen den Türrahmen, verschränkte die Arme und funkelte sie an. „Was gespürt?“

Sie senkte die Augenlider, um seinen Blick abzuwehren. „Ihren Traum“, antwortete sie mit belegter Stimme.

Irgendetwas in ihm zog sich so stark zusammen, dass er es wie einen Faustschlag in die Magengrube spürte. „Was zum Teufel reden Sie da?“

Sie hob den Blick, sah ihm in die Augen. „Sie … Sie haben mir etwas angetan.“

Entsetzen packte ihn, er ließ die Arme herunterbaumeln und ballte die Fäuste. Lange starrte er sie angespannt an. Strom schien durch ihn hindurchzupulsieren, als würde er an Elektrokabeln hängen, kroch ihm das Rückgrat hoch, wirbelte um seine Ohren. Er wollte sich zusammenreißen, aber er machte sich aus Angst vor sich selbst fast in die Hose. Kein Wunder, dass sie ihn anglotzte, als wäre er so ein Monster aus der dunkelsten Lagune.

Zum Teufel, soviel er wusste, war er das ja auch.

Ian mahlte mit den Zähnen und war sich bewusst, dass er die Wörter geradezu aus der Kehle kratzen musste. „Was haben Sie gesagt?“

„Sie haben mir etwas angetan. In … Ihrem Traum.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, selbst in dem diesigen Mondlicht war zu erkennen, dass sie wieder rot wurde. Sie wirkte … weich, wie etwas Warmes und Süßes, das man beschützend umhüllen wollte; das man auf sich schmelzen spüren wollte wie einen warmen Sommerregen. Ein süßer Bonbon, den man auf der Zunge bewahrte, um den Geschmack ganz auszukosten. Sonnenschein und Lächeln. Alles Dinge, die er nicht wollte – und die er ganz sicher nicht verdiente.

Sie wirkte ätherisch, unwirklich … viel zu gut für ihn; auch wenn sie ihren gottverdammten Verstand vollständig verloren hatte.

Na klar, Buchanan, und du hast sie natürlich noch alle. Solide wie ein Fels. Bloß ein normaler, bodenständiger Typ.

Er ignorierte diesen sarkastischen Arsch in seinem Kopf und versuchte, dahinterzukommen, was sie da sagte. Noch so ein Betrugsmanöver? Das musste es sein. Sie wollte seinen Verstand durcheinanderbringen, aber wieso, das wusste Gott allein. Was konnte es bloß sein, das sie von ihm wollte? Schließlich besaß er gar nichts. Bloß eine vergeigte Vergangenheit und eine fragwürdige Zukunft. Falls das ein Trick sein sollte, konnte er sich nicht vorstellen, was sie damit aus ihm herausholen wollte.

Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, flüsterte sie: „Ich denke mir das nicht aus. Und dieses Mal kann ich es Ihnen beweisen, Ian.“

Natürlich wollte er sie damit nur einschüchtern, und er wusste genau, dass es ihn wie ein Arschloch dastehen ließ, aber er sagte es trotzdem: „Und was hab ich in Ihrem Traum mit Ihnen angestellt, Schätzchen? Sie ans Bett gefesselt und sie darum betteln lassen?“ Er ließ ein hässliches Lachen hören und hob die Brauen. „Na los, Molly. Erzählen Sie’s mir. Das könnte ein ziemlich unterhaltsamer Blödsinn werden, wenn auch sonst nichts.“

Ihre Lippen zitterten, ihre Wangen glühten feurig, die Augen waren glasig und wild und von einer Art feuchtem Film bedeckt, aber er war sicher, dass sie nicht wieder heulen würde. Nein, es … es hatte sie angemacht, wurde ihm plötzlich mit Schrecken klar. Seine Worte hatten sie genauso erregt wie ihn selbst.

Sie schüttelte heftig den Kopf, wisperte ein tiefes, zitterndes „Nein“. Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen, und plötzlich kam es ihm so vor, dass sie wie eine Frau aussah, die gerade aus dem Bett ihres Liebhabers stieg. Wut machte sich in ihm breit. War sie heute Nacht losgezogen und hatte sich irgendeinen Wichser geangelt, der sie flachlegte, während er allein in seinem Bett lag und von ihr träumte?

„So war das nicht.“ Ihre Worte sprudelten schnell hervor, dann sackte sie gegen den Türrahmen, ihr Körper verschmolz fast mit dem wettergegerbten Holz, als könne sie sich kaum noch aufrecht halten. Aber in ihren Augen veränderte sich etwas, sie waren plötzlich von einer inneren Stärke erfüllt, die ihn fast noch mehr erregte als ihre zitternde Unschuld, falls das überhaupt möglich war.

Eigentlich wollte er wissen, mit wem sie zusammen gewesen war, aber stattdessen hörte er sich sagen: „Ach ja? Was habe ich Ihnen denn nun in diesem Traum angetan, Miss Stratton?“ Er wollte sie schütteln, sie aus dem Gleichgewicht bringen, genauso wie sie es mit ihm gemacht hatte. „Wenn ich Sie in die Falle kriege, dann vögele ich Sie auch ordentlich durch. Da können Sie Gift drauf nehmen“, stieß er hervor.

„Das haben Sie.“ Mollys Worte waren ganz sanft, aber wieder war dieser wilde Blick in ihren Augen. „Sie … wir hatten Sex“, wisperte sie schnell. „Aber …“

„Ja? Nun spuck’s schon aus, Schätzchen.“ Er grinste und sah sie höhnisch an, ließ jetzt ganz das innere Arschloch zum Vorschein kommen. „Ich sterbe gleich vor Neugier.“

Sie erschauerte, verschränkte beschützend ihre Arme, schaute mit weit aufgerissenen, leuchtenden Augen zu ihm auf. Sie blinzelte. Und schluckte. „Sie haben mich gebissen, Ian.“

Der Boden unter seinen Füßen wankte. „Was haben Sie gerade gesagt?“

Sie schluckte noch einmal, zitterte wie Espenlaub, erhob eine Hand, um sie an die linke Seite ihres Halses zu legen, direkt unter dem Haaransatz. „Sie haben mich gebissen. Und ich … ich kann immer noch die Bisse spüren.“

Ian war wie in einem dichten, bedrückenden Nebel gefangen, als er reglos beobachtete, wie sie langsam die Hand vom Hals nahm und die Finger in seine Richtung drehte. Und da, an Molly Strattons bleichen kleinen Fingerspitzen, glänzte dunkel und tiefrot etwas verschmiertes Blut.

4. KAPITEL

Mollys Herz klopfte beinahe schmerzhaft, als Ian sich ihr näherte, mit raubtierhaften Bewegungen. Irgendwie wirkten sie für ein menschliches Wesen zu natürlich, zu elementar, diese ganze Kraft und schockierende Intensität ging in langsamen, heißen Wellen von ihm aus, und sie wäre am liebsten sofort dahingeschmolzen. Seine Muskeln bewegten sich unter der sonnenverbrannten Haut, eigentlich zu graziös für so einen großen Mann, als ob seine Kraft ihm einfach so zufiel, ohne jede Anstrengung, gefährlich geschmeidig. Es erinnerte sie an die Art, wie er sich in ihrem Traum bewegt hatte.

Er streckte eine seiner großen Hände nach ihr aus, seine schwieligen Fingerspitzen kratzten über ihre Haut, als er ihr das Haar aus dem Nacken strich. Als er die Bissspuren fand, die er dort hinterlassen hatte, blitzten seine Augen seltsam auf, wurden zu Schlitzen … er starrte bloß, ohne zu blinzeln. Sein Atem kam stoßweise zwischen seinen leicht geöffneten Lippen hervor.

Sie leckte sich über die Unterlippe und bekam überall Gänsehaut, während in ihrem Inneren das Chaos tobte. Ihr Herz flatterte wild wie ein gefangener Vogel, der ihr mit jedem Ausatmen aus der Brust entfliehen könnte, ihr eigener Puls röhrte ihr in den Ohren wie eine Brandung an zerklüfteten Felsen. Ihre unbewusste Gefühlslandschaft war finster und unheimlich, mit rauchgrauen Wolken am Himmel, durch die der Blitz fuhr, und in der Ferne donnerte es wie ein unheilverkündendes Bellen.

Kaum lauert Mary Shelleys Frankenstein irgendwo im Schatten, schon fühlst du dich ganz wie zu Hause.

Sie schüttelte den bescheuerten Gedanken ab und wünschte, er würde endlich etwas sagen.

„Unglaublich“, gab Ian mit einem erstickten, rauen Ton von sich. Molly konnte sehen, wie sein Mund dieses Wort mühevoll formte und war wie gebannt von der Form seiner Lippen, ihrer Konsistenz und Farbe, und beim salzig-süßen Geruch seines Atems wurde ihr schwindelig. Dieser Geruch war wie ein Versprechen von etwas Sündigem und Verbotenem und Süßem. Die reine Versuchung. Seine Finger glitten weiter um ihren Hals, zu ihrem Hinterkopf, und sie erhaschte noch einen schnellen Blick in seine heißen und blauen Augen, die sie unausgesetzt beobachteten.

Großer Gott, stöhnte sie stumm, aber ihre Stimme versagte, eingesperrt in ihrer Kehle wie in einem Gefängnis.

Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, als hätte er sie noch nie gesehen. Wie Adam, der zum ersten Mal Eva erblickt, starrte er sie an wie irgendein fremdartiges Wesen. Eine Offenbarung. Oder ein Fluch. Etwas, vor dem er Angst haben sollte. Weil es ihn vernichten könnte.

„Was wollen Sie von mir?“, brachte er mit vor Verwirrung und anderen, undefinierbaren Emotionen zusammengepressten Zähnen mühsam hervor, seine Finger verkrampften sich ein bisschen in ihrem Haar. „Wie zum Teufel konnte das nur passieren?“

„Ich … ich weiß es auch nicht.“ Während Molly dieses Geständnis aus ihrer ausgedörrten Kehle stieß, spürte sie am ganzen Körper kleine Nadelstiche. Hinter den Augen, in den Kniekehlen, sogar an den Schläfen. Es war Begehren, unermesslich, aber unwillkommen und vollkommen unerklärlich unter diesen Umständen. Und trotzdem da. Sie konnte es weder abstreiten noch ignorieren, egal wie sehr sie es versuchte. Sie fühlte sich von seiner Urgewalt betrogen, als ob ihre Begierde gegen ihren gesunden Menschenverstand revoltierte.

Die Sommerhitze wurde drückender, und sein Duft umhüllte sie, machte sie ganz benommen … brachte sie dazu, ihn haben zu wollen. Seine Hand glitt tiefer ihren Nacken herunter, seine Finger waren zu heiß, verbrannten ihr die Haut. So lebendig und warm und unglaublich männlich. Auf einmal war sein Körper ganz nah bei ihr. So nah, dass seine Stirn beinahe die ihre berührte und ihr stöhnender Atem sich mit seinem vermischte. „Keine Spielchen mehr. Ich will eine Antwort, und zwar jetzt gleich. Wie konnte das passieren?“

„Ich … ich habe keine Ahnung.“ An seinem finsteren Gesicht erkannte sie, dass er ihr das nicht glaubte, und die Worte platzten vor lauter Angst und Frustration aus ihr heraus. „Ich schwöre es, Ian. Mir ist völlig schleierhaft, wie das passieren konnte. Deshalb bin ich ja hierhergekommen. Ich hatte Angst. Ich musste unbedingt wissen, ob es Ihnen gut geht.“

„Ob es mir gut geht?“, knurrte er, seine Wimpern waren so lang und dicht, dass sie Schatten auf sein Gesicht warfen. „Lieber Himmel. Ich bin doch nicht derjenige, dem man beinahe die verdammte Kehle rausgerissen hätte.“

In diesem Augenblick raste ein Polizeiwagen mit heulender Sirene um die Ecke, an dem alten, verwitterten Haus vorbei und verschwand in der Nacht. Beide machten vor Schreck einen Satz und zuckten bei dem schrillen Heulton zusammen.

Ian trat von ihr zurück, fuhr sich mit der Hand durch das feuchte Haar, und ihr Blick wurde wieder von den Bewegungen der Muskeln seiner Brust und seines Arms angezogen. „Ich brauche ‘ne Zigarette“, murmelte er und verschwand in seinem dunklen Apartment. Immerhin knallte er ihr nicht die Tür ins Gesicht, weshalb Molly annahm, dass er sie diesmal nicht fortschickte. Sie folgte ihm und schloss die Tür hinter sich.

Ohne das Licht von der Straßenlampe war es drinnen völlig finster. Da sie nichts mehr sehen konnte, wurden ihre anderen Sinne aktiver, ihr eigenes Keuchen füllte ihre Ohren, ihre Haut war so empfindlich, dass sie meinte, die Dunkelheit spüren zu können. Es war, als würde sie über ihre Haut gleiten wie die federleichte Berührung von Fingerspitzen, strich über ihre Wangen, ihr Kinn, ihre Kehle.

Jetzt ganz ruhig bleiben. Nicht ausflippen. Und um Gottes willen bloß nicht wieder anfangen zu heulen. Er wird dich sonst noch für verrückt halten. Wahrscheinlich tut er das sowieso schon.

Während sie, wie zur Beruhigung, tief Luft holte, bahnte Molly sich einen Weg durch die Finsternis, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte, bis ein wenig Licht durch eine Tür am anderen Ende des Raums drang. Sie folgte dem Licht, und plötzlich stand sie ihm in der Küche gegenüber, mit seinen mächtigen Schultern lehnte er neben einem kleinen Fenster an der Wand, den Kopf gesenkt und zündete sich eine Zigarette an. Er schaltete eine kleine Lampe über der Spüle an, das gedämpfte Licht war zu schwach, um die Schatten aus den Ecken zu vertreiben, aber es umgab ihn mit einem diesigen Goldschleier.

Er warf ihr einen neugierigen Blick zu und sprach zögernd, verblüfft. „Warum haben Sie am Schluss meinen Namen geschrien? Habe ich Ihnen wehgetan?“

Vorsichtig ließ sie sich auf einen Pinienstuhl neben einem kleinen Tisch fallen und wünschte, sie hätte etwas Wärmeres angezogen. Die kalte Luft der Klimaanlage drang durch das dünne T-Shirt, kroch ihr bis ins Mark, während Ian nur zur Hälfte angezogen dastand, sein Oberkörper von einem leichten Schweißfilm bedeckt, als würde ihm die Kälte nichts ausmachen. „Nein.“

„Was sollte dann der Schrei?“, wollte er wissen, nahm einen tiefen Zug. Die Einzelheiten der Kücheneinrichtung nahm sie wegen der Urgewalt seiner Präsenz überhaupt nicht wahr. Und wenn sie von ausgehungerten Raubtieren umgeben gewesen wäre, die Gefahr wäre ihr völlig egal gewesen, so sehr war sie gebannt von der Stärke und Schönheit dieses Mannes.

„Nun antworten Sie doch.“ Bei seinem grimmigen Ton zuckte sie zusammen. Das trübe Licht schimmerte auf seinen breiten Schultern, seine Haut glänzte wie Satin, und doch war er gänzlich unberührbar. Wie ein wildes Tier in einem Käfig. Wunderschön, aber tödlich.

Molly blickte zur Seite und holte zaghaft Luft. „Ich wollte nicht …“

„Was?“, schnappte er, stieß die Frage hervor wie einen Peitschenhieb.

Verlegen hob sie die Schultern, den Blick auf irgendeinen Fleck des Küchenbodens gerichtet. „Ich wollte nicht, dass Sie mich … da allein lassen.“ Die Worte kamen ohne ihr Zutun über ihre Lippen, ungewollt und verwirrend. Sie hätte am liebsten ihre Zunge verschluckt, aber es war schon zu spät. Er hatte sie bereits aufgenommen, ließ sie sich durch den Kopf gehen, diese dunkelblauen Augen mit rücksichtsloser Eindringlichkeit auf sie gerichtet.

„Erzählen Sie mir, woran Sie sich noch erinnern.“

Sie wurde rot, peinlich berührt von der Hitze, die plötzlich in ihre Wangen aufstieg. Ihre Zunge fühlte sich viel zu dick in ihrem Mund an, ihr ganzer Körper spürte alles viel zu deutlich. Die Kälte in der Luft. Das stotternde Rasen ihres Blutdrucks. Die Eindringlichkeit dieser schönen blauen Augen, eine faszinierende Farbe, die vermutlich jede Frau neidisch machte.

„Molly“, fuhr er sie noch einmal an.

Die Worte purzelten schnell aus ihrem Mund, ohne dass sie Kontrolle darüber hatte. „Wir waren in einem Wald. Mitten in der Nacht. Sie waren … anders.“

Aus seiner Kehle drang ein raues, humorloses Lachen, er zog noch einmal an der Zigarette, durch sein Schweigen stotterte sie weiter, um die unbehagliche Stille zu vertreiben. „Wir hatten Sex, aber Sie … Sie sind nicht …“

Ihre Stimme versagte, und er vollendete verblüfft den Satz: „… gekommen?“

„Ja.“ Bei der Erinnerung zog sich ihr Körper erschauernd zusammen. Es war anders gewesen als alles, was sie je erlebt hatte, da unter ihm zu liegen, von ihm genommen zu werden.

„Glauben Sie mir“, grinste er mit einem Hauch Ironie in der Stimme, „das weiß ich auch.“

Ihr Blick glitt kurz über diese unanständige Ausbuchtung in seiner Hose, und sie wollte fragen, warum … warum hatte er sich das nicht gestattet, als er in ihr war, aber sie brachte es nicht heraus, denn sie hatte plötzlich Angst vor dem, was er sagen könnte. Er schien genossen zu haben, was zwischen ihnen vorgefallen war, aber natürlich wusste sie, was Männer für unbeständige und wankelmütige Wesen waren, denen man in emotionaler Hinsicht nicht über den Weg trauen konnte. Falls er etwas Grausames sagte, könnten seine Worte sie tief verletzen, und sie fühlte sich sowieso schon viel zu verwundbar, alle Schutzmauern, die sie über die Jahre um sich herum errichtet hatte, schienen brüchig und instabil. Sie kannte ihn nicht gut genug, um ihm zu vertrauen. Verdammt, sie kannte ihn eigentlich gar nicht.

Und doch fühlte sie sich aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen völlig sicher, allein mit ihm mitten in der Nacht, sonst nur noch die Stille als Gesellschaft. Die sturmblauen Augen glitten über ihr Gesicht, über alle Einzelheiten ihres Körpers. Dann senkte er den Kopf und griff nach einem Aschenbecher auf dem Küchentisch. Diesen trostlosen Schatten der Furcht, der kurz über sein zerfurchtes Gesicht huschte, hätte sie verpasst, wenn sie ihn nicht so genau beobachtet hätte. Er warf ihr einen scharfen Blick zu, der ihr den Atem nahm, und für einen kurzen Moment konnte sie schwören, dass sie seine raue Stimme in ihrem Kopf hörte. Jene unausgesprochene Frage hörte, die er nicht zu stellen wagte.

„Nein“, flüsterte sie, und ihr Körper erschauerte.

Er drückte die Zigarette in dem stählernen Aschenbecher aus und wandte sich ihr zu, die Beine in aggressiver Haltung auseinander, die starken Arme vor der Brust verschränkt. „Was nein?“

„Sie sind nicht böse.“

Als Antwort grunzte er bloß, offenbar abgelenkt, und fing an, in der Küche auf und ab zu gehen. Sie blickte auf seine nackten Füße auf dem verblichenen Linoleumboden, lang und dunkel, aber genauso perfekt gebaut wie der Rest seines Körpers. Dann ließ sie den Blick nach oben wandern, über seine festen muskulösen Schenkel, den gewölbten Unterleib, und er hob beide Arme, um sich mit den Fingern durchs zerwühlte Haar zu fahren. Sie konnte nicht anders als mit weit aufgerissenen Augen das Ausbeulen seiner Bizeps anzustarren. Er war so perfekt geformt, als ob ein meisterhafter Bildhauer ihn aus einem Marmorblock gehauen hätte wie Michelangelos David, und dann hätten die Götter ihm ihren Atem eingehaucht.

Aber er war kein Engel.

Und trotzdem … ein Teufel war er auch nicht.

„Ich meine das ganz ernst, Ian. Sie sind nicht böse, ganz egal wie … physisch Ihre Träume sein mögen.“

„Ach ja? Wie können Sie da so sicher sein? Sie kennen mich überhaupt nicht. Sie haben keine Ahnung, zu was ich alles fähig bin. Sie wissen nicht, wovon ich träume, was ich alles mit einer Frau in meinem Bett machen würde.“ Er blieb stehen, drehte sich zu ihr um, sah sie an, die Augen so tiefblau, dass sie beinahe schwarz wirkten. „Oder vielleicht wissen Sie das doch.“

Es war nicht leicht, die auflodernde Begierde zu ignorieren, die heiß durch ihre Venen floss. Nicht wenn er hier um sie herumschlich und nichts anderes anhatte als diese nicht ganz zugeknöpfte Jeans. Sie konnte das dunkle seidige Haar sehen, das in dem V seines leicht geöffneten Hosenlatzes verschwand, und eine Welle der Lust fuhr so heftig und süß durch ihren Körper, dass ihr schwindelig wurde und sie sich auf dem Tisch abstützen musste.

Seine Mundwinkel zuckten – nur für einen Moment, doch sie starrte ihn so intensiv an, dass es ihr nicht entging.

Scheiße. Er wusste Bescheid.

Das war gar nicht gut. Sie war längst Hals über Kopf verliebt, und es wurde mit jeder Sekunde schlimmer, die sie in diesen verdammten Bergen verbrachte. Aber sie war es Elaina schuldig. Verflucht, sie war es sich selber schuldig. Sie würde das hier nicht vermasseln. Nicht schon wieder. Sie hatte diese eine Chance auf Erlösung, die würde sie ergreifen, und wenn es sie umbrächte.

Was eine ziemlich wahrscheinliche Möglichkeit ist, murmelte etwas in ihrem Hinterkopf.

Ian trat auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand, Knie an Knie, seine beiden Füße schlossen ihre Füße ein, und er blickte auf sie herab. Er beugte sich vor, stützte die rechte Hand auf dem Tisch neben ihr ab, schloss sie praktisch ein. „Ich habe immer noch den Geschmack von Ihrem Blut im Mund“, krächzte er. „So was ist doch nicht normal.“

„Für die meisten Menschen nicht, nein. Aber Sie sind eben nicht wie die anderen, Ian. Das versuche ich Ihnen ja die ganze Zeit zu sagen. Deshalb habe ich meine ganzen Ersparnisse für ein Flugticket ausgegeben, um hierherzukommen.“

„Aber ich bin doch bloß ein kleiner Subunternehmer in der Baubranche, um Gottes willen. Kein bescheuerter Vampir.“ Ungeduld und ein Hauch von Wut hoben die Verständnislosigkeit in seinem Gesicht noch hervor.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nie behauptet, Sie wären ein Vampir.“

„Aber wieso habe ich denn dann …“ Er deutete mit dem Kinn auf ihren Hals.

„Ich weiß auch nur, was man mir gesagt hat. Laut Elaina …“

„Du lieber Gott“, schnell trat er einen Schritt zurück. „Ich will diesen ganzen Scheiß nicht mehr hören, was meine tote Mutter Ihnen angeblich erzählt hat.“

„Aber ich sage die Wahrheit. Das schwöre ich.“

„Na, dann erklären Sie …“

„Ich kann nicht …“

„… wie es möglich ist, dass ich allein in meinem eigenen Bett mit dem Geschmack von Ihrem verdammten Blut im Mund aufwache!“, brüllte er.

„Aber ich …“

„Und jetzt endlich keine Lügen mehr! Ich will wissen, wie das passiert ist, Molly!“

Sie haute mit der flachen Hand auf den Tisch. Sie hatte genug davon, sich von ihm anschreien zu lassen … und nicht zu wissen, wie sie ihn dazu bringen konnte, ihr zuzuhören. „Ich weiß auch nicht, wie das möglich ist! Ich schwöre. Ich habe vorher noch nie von Ihnen geträumt. Mir ist auch noch nie irgendetwas Derartiges passiert – mit jemandem einen Traum zu teilen, der auf irgendeine unbegreifliche Art tatsächlich passiert. Ich weiß nur, was Elaina mir gesagt hat, und das versuche ich Ihnen die ganze Zeit zu erzählen, aber Sie wollen ja nicht zuhören! Sie hat mich zu Ihnen geführt, mir gesagt, wo ich Sie finden kann. Sie wollte, dass ich Sie warne, dass Sie in Gefahr sind – dass Sie gejagt werden.“

„Es müssen diese Albträume sein“, grunzte er, sein wohlgeformtes, arrogantes Gesicht hatte einen so harten, widerspenstigen Ausdruck, dass sie vor Frustration fast geschrien hätte. „Sie haben irgendwas mit meinem Verstand gemacht.“

„Nein, das ist nicht wahr. Denken Sie doch mal nach, Ian. Diese Albträume haben Sie seit Wochen, und wir sind uns gerade erst begegnet. Ich schwöre, damit habe ich nichts zu tun. Das Dunkle … das hat alles mit dem zu tun, was in Ihnen verborgen ist. Das wissen Sie selber. Ich weiß, dass Sie es wissen. Elaina hat Ihnen Geschichten über den Merrick erzählt, seit Sie ein kleiner Junge waren.“

Er taumelte noch einen Schritt zurück und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Mit hinter dem Kopf verschränkten Fingern biss er die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzvoll sein musste, und starrte hoch an die Decke. Molly glotzte auf die dunklen Haarbüschel unter seinen Armen, den hervortretenden Adamsapfel, und wünschte sich so sehr, die Hand auszustrecken und ihn anzufassen. Seine Brust zu berühren und sein Herz unter ihrer Handfläche schlagen zu hören, vital und stark und drängend.

„Ian, mir ist klar, Sie wollen mir immer noch nicht glauben, aber nachdem das mit dem Traum nun passiert ist, wie können Sie da noch annehmen, dass ich Sie irgendwie reinlegen will? Das war echt. Der Beweis sind diese Bissspuren an meinem Hals. Wir müssen einander helfen, um herauszufinden, was dahintersteckt, denn ich kann Ihnen versichern, es ist weit schlimmer als alles, wovon ich wusste, bevor ich mich auf diese Sache einließ. Elaina verriet mir, wie ich Sie finden kann. Sie wollte, dass ich mit Ihnen rede. Um Ihnen Dinge zu sagen, von denen Sie befürchtet, dass Ihnen sonst niemand davon erzählen wird. Aber sie hat absolut nichts gesagt von dem … von was immer es war, das heute Nacht geschehen ist. Sie sagte, diese Macht in Ihnen braucht Nahrung, aber sie hat nicht gesagt …“

Ihre Stimme verlor sich, und er senkte seinen Blick wieder auf sie herab. „Und diese Nahrung wären Sie? Die Macht in mir braucht Ihr Blut?“

„Ja.“ Sie schluckte nervös, faltete die Arme vor der Brust und widerstand dem Impuls, mit den Fingerspitzen die kribbelnde, warme Bisswunde an ihrem Hals zu berühren, wo immer noch ein Rest übrig gebliebener Lust pulsierte.

Er kniff die Augen zusammen, musterte sie mit wütender Eindringlichkeit und sagte rau: „Das gibt’s ja nicht. Sie fanden es auch noch toll, oder?“

„Was?“ Ihr fiel nichts ein, was sie darauf sagen könnte.

„Geben Sie’s zu, Molly. Jede andere Frau wäre längst schreiend davongerannt. In der Sekunde, in der sie feststellte, dass sie blutende Bisswunden am Hals hat, hätte sie Henning so schnell wie möglich den Rücken gekehrt. Aber Sie, Sie kommen auch noch hierher und wollen reden. Wollen mir helfen. Was stimmt nicht mit Ihnen?“ Er kam wieder auf sie zu und versperrte ihr jede Fluchtmöglichkeit mit seinem Körper. „Haben Sie einen Todeswunsch oder so was? Oder stehen Sie einfach nur auf solche harten Sachen?“

Sie bedrohlich überragend, griff er mit seiner schwieligen Hand wieder unter ihr Haar, seine rauen Fingerspitzen strichen über eine der beiden Einstichwunden, ein Wahnsinnsgefühl machte sich in ihr breit, besonders zwischen ihren Schenkeln, und sie musste nach Luft schnappen. Ihr Geschlecht wurde heiß … schwoll an, fühlte sich gleichzeitig schwer und leer an, und seine Nasenflügel bebten, diese dunklen Augen brannten sich in ihren verwirrten Blick. Sie wusste, er konnte riechen, was mit ihr passierte. Ein merkwürdiger Schmerz war tief in ihr, der sie etwas begehren ließ, das sie selbst überhaupt nicht verstand. Vor dem sie sich fürchtete.

„Was haben Sie dazu zu sagen, Molly?“

Zitternd sagte sie: „Seien sie meinetwegen geschmacklos, wenn es Ihnen hilft, damit umzugehen. Ich habe inzwischen ein dickes Fell und kann das aushalten. Es kotzt mich an, aber wegjagen werden Sie mich damit nicht. Ich haue nicht ab.“

„Aber antworten werden Sie mir auch nicht, oder?“

Sie schloss die Augen, weil ihr vor lauter widerstreitenden Gefühlen beinahe die Tränen kamen. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen erklären, wie das mit dem Traum passieren konnte, Ian. Aber ich kann es nicht.“

Er seufzte, und seine Körperwärme hüllte sie ein wie leuchtende Sonnenstrahlen. „Okay, Sie haben gewonnen“, leierte er mit tiefer Stimme in seinem Südstaatenakzent, und sie spürte regelrecht, wie er sie nicht aus den Augen ließ. „Es ist ja nicht so, dass Ihre Geschichte nicht wahnsinnig unterhaltsam wäre. Also, dann lassen Sie mal hören. Was können Sie mir denn erzählen?“

Mit einem tiefen Seufzer hob Molly die Augenlider. „Erzählen kann ich Ihnen von Elaina. Ich kann Ihnen sagen, was sie mir erzählt hat.“

„In Ihren Träumen, richtig?“ Sein Blick ruhte schwer auf ihrem Mund und verursachte ein Prickeln auf ihren Lippen.

„Auf diese Art kommuniziert sie mit mir, das stimmt. Fragen Sie mich nicht, warum, denn das weiß ich selber nicht. Es ist eben so, seit ich in der Pubertät war.“

Danach schnappte er wie ein Pitbull nach einem Knochen. „Was ist Ihnen denn da bloß passiert, als Sie in der Pubertät waren?“

Verwirrt wich sie seinem Blick aus und konzentrierte sich auf die Tischplatte. In der Mitte stand eine dieser Duftkerzen, die bestimmt irgendeine blumige und feminine Bezeichnung hatte. So leicht schaffte sie es, innerlich ruhig zu werden, ihr ganzer Körper entspannte sich auf diesem Stuhl, die Anspannung entwich wie die Luft aus einem Ballon. Im Stillen lachte sie über diese durchgedrehte Logik, aufs Lächerlichste beschwichtigt, ja sogar beruhigt, wegen einer blöden Kerze, als ob er dadurch weniger gefährlich wäre. Vielleicht war sie ja wirklich verrückt. Die Tatsache, dass er eine Duftkerze besaß, machte ihn kein Stück weniger bedrohlich. Oder gezähmt oder zivilisiert. Vermutlich mochte er es bloß nicht, wenn seine Küche nach Zigarettenqualm stank.

Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, um die wilden Gefühle im Zaum zu halten. „Was mit mir geschehen ist, ist nicht wichtig. Was mit Ihnen passiert, darauf müssen wir uns konzentrieren. Da ist irgendetwas … in Ihnen drin, Ian. Etwas, das Sie unter Kontrolle bringen müssen. Denn es ist der Grund dafür, dass jemand hinter Ihnen her ist. Und das wird Menschen, an denen Ihnen etwas liegt, in Gefahr bringen.“

„Ich habe doch gesagt, es gibt keinen, an dem mir was liegt.“

„Das glaube ich Ihnen nicht“, widersprach sie. „Ich wette, dass Sie sich heute Nacht um jemanden Sorgen machen. Elaina hat mir gesagt, dass da jemand ist. Diese Person ist in Gefahr, weil dieses … dieses Böse Ihnen beiden etwas antun will.“

Er kam wieder näher, legte die Hände auf die Stuhllehne, sein warmer, erdiger Duft hüllte sie ein, sein abgrundtiefer Blick war gleichzeitig erotisch und wütend. „Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass sie mir wichtig ist, dass ich sie überhaupt mag?“ Ein grimmiges Lachen kam aus seinem Mund, tief und unglaublich erregend. „Glauben Sie mir, meine kleine anständige Molly, Menschen wie Kendra und ich müssen die Leute nicht unbedingt mögen, mit denen wir Sex haben?“

„Aber warum?“

„Warum was?“

„Wenn Sie sie nicht leiden können, wieso haben Sie dann mit ihr geschlafen?“

Zuerst glaubte sie, er würde ihr nicht antworten, denn er wich abrupt zurück, als könnte sie ihn jeden Augenblick anfallen. Er schnappte sich ein schwarzes T-Shirt, das über der Rückenlehne eines anderen Stuhls hing, zog es sich über den Kopf und marschierte zum Geschirrschrank rechts neben der Spüle. Er holte ein kurzes, dickes Glas und eine halb leere Flasche Scotch heraus und goss sich einen kräftigen Schluck ein. „Sie wollen wissen, wieso ich mit ihr geschlafen habe? Weil ich ihren Körper toll fand. Weil sie nicht mehr von mir wollte, als ich ihr geben konnte. Weil die ganze Angelegenheit für sie genauso oberflächlich geblieben ist wie für mich. Mir muss an den Frauen nichts liegen, mit denen ich ins Bett gehe“, teilte er ihr mit rauer Stimme mit, ohne sich umzudrehen. „Das tut es eigentlich selten.“

Sie schluckte den dicken Kloß im Hals herunter. „Ich verstehe.“

Er blickte mit erhobenen Brauen über seine Schulter. „Tun Sie das?“

Molly nickte. „Emotional auf Abstand bleiben. Zur Sicherheit. Ich frage mich bloß, ob Kendra das genauso gesehen hat, oder ob sie hoffte, Sie würden sich in sie verlieben.“

Er kippte die bernsteinfarbene Flüssigkeit hinunter und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Warum zum Teufel reden wir über sie, als ob sie tot wäre?“

Die Frage verblüffte sie, aber plötzlich machte sich ein Übelkeit erregendes Gefühl absoluter Sicherheit in ihr breit. Molly hatte keine Ahnung, wieso sie diese Frau nur in der Vergangenheitsform erwähnt hatte – aber sie bekam Angst vor der Überzeugung, die ihr plötzlich wie ein schwerer Stein im Magen lag. Ihr brach der Schweiß aus, sie legte eine Hand auf ihr Herz, das schnell klopfte. „Ich habe Sie gewarnt, dass etwas Schreckliches passieren würde, Ian. Jetzt habe ich das entsetzliche Gefühl, dass es schon passiert ist.“

Sein Schweigen war erdrückend. Er lehnte sich an den Schrank und starrte sie an. Wahrscheinlich hielt er sie für die bekloppteste Verrückte auf Erden.

„Wieso, glauben Sie, hat Elaina ausgerechnet Sie ausgesucht?“, polterte er plötzlich mit rauer Stimme los.

„Was?“ Der Themenwechsel überrumpelte sie.

„Warum Sie?

„Oh, das weiß ich wirklich nicht. Ich habe keine Ahnung, warum ich diese Stimmen höre, warum sie zu mir kommen. Vielleicht ziehe ich sie auf irgendeine Art an. Vielleicht konnte Ihre Mutter sonst niemanden finden, der etwas derart Verrücktes tun würde.“ Sie redete immer schneller, mit Frustration in der Stimme. „Aber im Augenblick müssen wir über viel wichtigere Dinge reden. Haben Sie mir denn überhaupt zugehört?“

„Ja“, sagte er und goss sich noch einen Drink ein. „Ich habe zugehört.“

„Werden Sie auch bei ihr anrufen?“ Die Panik drohte sich ihrer zu bemächtigen, sie fühlte sich benommen und ihr war übel. Großer Gott, da hockte sie hier herum und stritt sich mit ihm, und eine Frau war tot. Ermordet. Sie hatte keine Ahnung, woher sie das wusste, aber sie war ganz sicher. Und genauso sicher war sie, dass das etwas mit dem Kerl zu tun hat, der da vor ihr stand und sie betrachtete, als wäre sie etwas, das er sich von der Schuhsohle kratzen wollte, um es endlich los zu sein.

„Bitte, Ian“, fügte sie hinzu, als er nicht sofort reagierte.

Seufzend stellte er das Glas ab, ging zum Telefon, das neben dem leise brummenden Kühlschrank an der Wand hing, und tippte eine Nummer ein. Er hielt sich den Hörer ans Ohr, bevor er wieder auflegte. „Sie ist nicht zu Hause“, murmelte er. „Was vermutlich heißt, sie hat sich abends in ihrem Lieblingsschuppen rumgetrieben und einen neuen Freund gefunden.“

„Oder dass etwas Furchtbares passiert ist“, widersprach Molly mit erhobenem Kinn.

Er ließ ein ungeduldiges Knurren hören. „Sie geben wohl nie auf, was?“

„Ich habe keine Zeit, hier herumzusitzen und Ihnen das alles immer wieder an den Kopf zu knallen. Sie müssen mir endlich zuhören, Sie müssen mir glauben, was ich sage, und Sie müssen mir helfen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, und dann muss ich wieder nach Hause.“ Wo sie womöglich um ihren Job betteln musste, falls man sie wegen ihres plötzlichen Verschwindens gefeuert hatte. Molly konnte nur hoffen, dass die Stimmen in ihrem Kopf dann endlich mal Ruhe geben und sie in Frieden lassen würden. Zum ersten Mal in ihrem Leben.

„Wo ist das, zu Hause?“ Seine Worte rissen sie aus ihrem Selbstmitleid.

„Das ist doch jetzt nicht wichtig“, fuhr sie ihn an, frustriert über sich selbst und diese ganze entsetzliche Situation. „Werden Sie mit mir kommen, um nach Kendra zu sehen?“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Sie machen wohl Witze.“

„Nicht im Geringsten.“

„Auf gar keinen Fall werde ich durch die finstere Nacht schleichen, weil Sie meinen, da draußen wäre der Butzemann. Kommen Sie wieder zu sich.“

„Schön. Wenn Sie es so haben wollen, werde ich eben allein gehen.“

Sie stand auf, marschierte aus der Küche und durch das Wohnzimmer, als er sie plötzlich am Arm packte und herumwirbelte. Seine langen Finger gruben sich tief in ihre Haut. „Sind Sie wahnsinnig?“

„Sie glauben mir nicht. Halten mich für verrückt. Na prima. Was geht es Sie an, ob ich im Dunkeln herumwandere?“

„Sie gehen nirgendwo hin“, grollte er zornig, „außer dahin zurück, wo Sie hergekommen sind.“

„Da liegen Sie falsch. Ich kann tun und lassen, was mir gefällt. Was immer nötig ist, um Ihre Mutter endlich aus meinem Kopf zu kriegen.“

„Lieber Himmel“, grunzte er und ließ sie los. Er rieb sich das kratzige Kinn; dann sagte er leise: „Der Sheriff wird sich kaputtlachen, wenn er herausfindet, dass ich mich von einer Nervensäge wie Ihnen mitten in der Nacht aus dem Haus habe schleppen lassen.“

„Machen Sie sich da mal keine Sorgen“, flüsterte sie und versuchte, sich die Erleichterung über seine Meinungsänderung nicht anmerken zu lassen. Sie war nicht gerade begeistert davon, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen, solange er darauf bestand, so ein Arschloch zu sein. Aber sie wollte lieber seine groben Gemeinheiten ertragen, als sich allein um alles kümmern zu müssen. Besonders weil sie nicht so genau wusste, womit sie es überhaupt zu tun hatte. „Wenn ich falsch liege und es ihr gut geht, dann können Sie mir ins Gesicht lachen und mir sagen, ich soll mich verpissen. Der Sheriff muss davon gar nichts wissen.“

Ian konnte über diese leise gesprochenen Worte nur den Kopf schütteln. Wenn diese Frau annahm, man könnte hier nachts durch die Stadt schleichen und Riley würde das nicht mitkriegen, war sie unfassbar naiv.

Das war ziemlich unwahrscheinlich.

Ian marschierte durch das dunkle Wohnzimmer, ihr Blick ruhte auf seinem Rücken, das spürte er. Sein Handy lag auf dem Kaffeetisch, er ergriff es, dann drehte er sich zu ihr um. „Er wird es wissen.“ Er grinste verstohlen. „Glauben Sie mir. Der ist wie der Nikolaus. Er weiß immer alles.“

„Kennen Sie den Sheriff gut?“

„Kann man so sagen“, murmelte er, während er die Schuhe anzog und das Zimmer nach dem Autoschlüssel absuchte. „Erstaunlich, dass Elaina nichts davon erwähnt hat.“

„Es war ja nicht so, als ob wir getratscht hätten“, seufzte Molly. „Im Wesentlichen drängt sie mich dauernd, Sie zu finden und Ihnen diese Warnung zu überbringen, von der ich ständig rede.“

„Hah. Das klingt ganz nach ihr. Der Himmel weiß, dass diese Frau liebend gern an einem herumnörgelt“, erklärte er ihr, als das Handy in seiner Tasche zu fiepen begann. Er klappte es auf und konnte nicht glauben, welcher Name auf dem Display stand. „Wenn man vom Teufel spricht.“

„Wer ist es?“

Lachend wackelte er mit dem Handy in der Hand herum. „Der Sheriff.“

„Das ist nicht witzig.“

Er schnaubte und grinste ironisch. „Was Sie nicht sagen.“ Dann drückte Ian einen Knopf und hielt das Handy ans Ohr. „Ja?“

„Zieh dich an“, hörte er Rileys tiefe Stimme. „Ich muss mit dir reden.“

Das Grinsen verschwand, und wachsende Besorgnis zog über sein Gesicht. „Was ist los?“

„Es geht um Kendra.“

Ian kniff die Augen zusammen, und ein scharfer, gutturaler Fluch kam aus seiner Brust. Nein. Verdammte Scheiße, nein. Das konnte einfach nicht wahr sein.

„Wo bist du?“ Es war ihm einfach unmöglich, seinen Bruder zu fragen, warum er anrief.

Riley bekam einen Zuruf, kurz zu warten. „Draußen an der Marsden Road“, sagte er dann.

„Ich bin auf dem Weg.“

Das Schweigen lastete schwer, bevor Riley fragte: „Willst du gar nicht wissen, was ihr zugestoßen ist?“ Als Ian nicht antwortete, fauchte er: „Sie ist tot, Ian. Ermordet.“

Ian schluckte und brachte keinen Ton heraus. „Viertelstunde“, konnte er schließlich herausstoßen, bevor er die Verbindung unterbrach. Unendliche Wut stieg in ihm auf, die seine ganze Körperwärme verschlang, bis er zitternd dastand, die Haut kalt und klamm. Er wollte Molly nicht ansehen, suchte das Zimmer ab, bis er schließlich die Schlüssel auf dem Fernseher neben dem Fenster entdeckte.

„Der Sheriff ist Ihr Bruder, nicht wahr?“, fragte sie leise. „Riley?“

Er wollte nicken, zuckte aber nur mit dem Kopf, als hätte er einen Krampf. „Stimmt. Wie ich sagte, erstaunlich, dass Elaina diesen kleinen Hinweis weggelassen hat.“

„Sie hat gesagt, dass Sie einen Bruder und eine Schwester haben, mehr nicht.“ Erst noch ein tiefer Atemzug, dann traute sie sich, die Frage zu stellen: „Es ist etwas passiert, nicht wahr?“

Über die Schulter hinweg musterte er die kleine Frau. Wer zum Teufel war sie, was verdammt noch mal ging hier vor sich. „Kendra ist tot.“

Obwohl sie es doch schon gewusst hatte, zuckte sie zusammen, zitterte, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, als würde sie ausbluten, bis sie bleich und gespenstisch aussah, gespenstisch wie die verfluchten Stimmen, die sie offenbar in ihrem durchgeknallten Schädel hörte.

„Ich muss da hin. Riley wartet auf mich.“ Sein Magen fühlte sich an, als hätte er Salzsäure geschluckt, und er hatte Mühe, den Scotch drin zu behalten. „Wo sind Sie abgestiegen?“

„Draußen im Pine Motel.“ Er riss die Tür auf, und sie stand neben ihm, als er schnell abschloss.

„Das Pine Motel? Du lieber Gott“, murmelte er. „Was für ein billiger Schuppen.“

„Schönen Dank für diese lehrreiche Beobachtung.“ Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie mit den Tränen kämpfte, während sie ihm die klapprige Treppe hinunter folgte. Er marschierte zu seinem Kleinlaster, neben dem ihr kleiner blauer Mietwagen stand, der im Mondlicht auch nicht besser aussah als in der Sonne.

Er bedachte sie mit seinem finstersten Blick, in der Hoffnung, dass sie wirklich zuhören würde. „Fahren Sie dahin zurück, schließen Sie alle Fenster, verriegeln Sie die Tür, und machen Sie niemandem auf. Haben Sie verstanden?“

Mit erhobenem Kinn schloss sie den Wagen auf und rutschte hinters Steuer. Plötzlich erschien sie ihm noch winziger in dieser mitgenommenen Kiste, zu fragil, zerbrechlich. „Keine Sorge. Ich kann schon auf mich aufpassen.“

Ian merkte deutlich, dass sein zweifelhaftes Brummen ihr mehr auf die Nerven ging als jede schnippische Bemerkung, die er hätte machen können.

„Wann sehe ich Sie wieder?“, platzte sie heraus, als er sich abwenden wollte.

Er schüttelte den Kopf und steckte die Hände in die Taschen, bevor er noch etwas Blödes damit anstellen konnte. Zum Beispiel, sie anfassen. „Überhaupt nicht.“

„Ian …“

„Bleiben Sie mir vom Hals“, schnitt er ihr das Wort ab. „Gleich morgen früh schwingen Sie Ihren Arsch wieder in diese Karre und fahren dahin zurück, wo Sie hergekommen sind. Kapiert?“

„Ich bin ja nicht taub.“

„Nee“, krächzte er, „bloß wahnsinnig.“

„Ich bin nicht verrückt. Ich wünschte, ich wäre es. Und außerdem werde ich nicht abhauen. Nicht, bevor wir hier nicht wieder alles in Ordnung gebracht haben.“

„Verschwinden Sie aus der Stadt, Miss Stratton.“ Er unterstrich diesen Befehl mit einem finsteren, warnenden Blick und schlug ihre Autotür zu. Ian wartete, bis sie den Motor anließ, auf die Straße bog und ihre Rücklichter verschwunden waren, bevor er in seinen Laster stieg.

Einen Augenblick starrte er in die Finsternis, in Gedanken verloren. Er fragte sich, ob er diese verrückte Kuh noch einmal wiedersehen würde. Er hoffte, sie wäre wenigstens schlau genug, das zu tun, was er gesagt hatte, bevor alles noch schlimmer wurde, als es eh schon war. Wenn sie recht hatte, wenn tatsächlich irgendwer, irgendwas mit Mordabsichten hinter ihm her war, könnte sie am Ende tot sein.

Er rammte den Schlüssel in das Zündschloss, gab Gas und raste in die Nacht.

5. KAPITEL

Samstagnachmittag

Die beschissene Nacht war zu einem zermürbenden Tag geworden, jede Spur, der sie folgten, hatte im Nichts geendet. Erst am späten Nachmittag war Ian endlich wieder in seinem Apartment. Während die Spurensicherer den grauenerregenden Tatort absuchten, hatte er höllische Stunden damit verbracht, Riley dabei zu helfen, sämtliche Schritte von Kendra in ihrer letzten Nacht zurückzuverfolgen, mit jedem ihrer Bekannten zu reden, den sie auftreiben konnten, und alle Details über ihr Privatleben herauszufinden. Es war beinahe peinlich, wie wenig er seinem Bruder über die Frau erzählen konnte, die er nun schon fast sechs Monate kannte. Ein paar Leute erinnerten sich daran, dass sie mit einem blonden Typ verschwunden war, aber niemand kannte seinen Namen. Eine Kellnerin, die wieder zu ihrer Schicht erschien, bezeichnete ihn als „lecker“, und der Barkeeper konnte seine Augen beschreiben.

„Wie die von einem Schlittenhund. Dieses kalte Eisblau. Wissen Sie, was ich meine?“

Es hatte einen seltsamen Augenblick gegeben, als Riley vor seinem Apartmenthaus hielt, um ihn rauszulassen. Die Frustration stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er suchte nach den richtigen Worten. Dann war er sich durchs struppige Haar gefahren und hatte gefragt: „Bist du je in diesem Lagerraum drüben in Mountain Creek gewesen?“

Nach Elainas Beerdigung hatte Riley ihren persönlichen Besitz hierher nach Colorado verfrachtet und in der Nähe eingelagert. Anstatt das kleine Haus zu verkaufen, das seit Generationen im Besitz ihrer Familie war, hatte er es mit einigen Möbeln bewohnbar zurückgelassen – weil laut Riley ihre Schwester Saige mit dem Gedanken spielte, hin und wieder einige Zeit dort zu verbringen, wenn sie nicht gerade die ganze Welt nach irgendwelchem Zeug absuchte. Alles Übrige war nach Colorado gebracht worden, darunter einige Sachen, von denen Elaina offenbar gewollte hatte, dass Ian sie bekommen sollte. Nicht dass er das geringste Interesse daran gehabt hätte. Deshalb hatte er Riley auch gebeten, diese Sachen zusammen mit dem ganzen anderen Kram irgendwo zu speichern, und genau das hatte Riley getan. Dann hatte Riley ihm die Schlüssel zu dem Lagerraum gegeben; vielleicht würde er sich ja eines Tages mal ansehen wollen, was immer sie ihm hinterlassen hatte.

Nach all dem, was sie gerade hinter sich hatten, war das ein merkwürdiges Thema, aber Ian hatte den Versuch längst aufgegeben, herausfinden zu wollen, wie Rileys Verstand funktionierte.

„Ich hab doch gesagt, dass ich von Elaina und ihrem Zeug nichts mehr wissen will“, murmelte er und öffnete die Wagentür.

Bevor er aussteigen konnte, hielt Riley ihn am Arm fest. „Ich glaube, du solltest da mal hingehen.“

„Was zum Teufel soll ich da?“, fauchte er und riss sich los.

Riley blickte finster und ließ sich in seinen Sitz zurücksinken. „Wenn ich es dir erzähle, würdest du mir ja doch nicht glauben.“ Er klang völlig fertig. „Scheiße, ich versteh’s ja selber nicht. Aber falls … falls verrückte Sachen passieren, dann fahr ich mit dir dahin. Damit du endlich siehst, was sie dir hinterlassen hat.“

Kopfschüttelnd stieg Ian aus dem Bronco und schlug die Tür zu. Als er um den Wagen herumging, steckte Riley den Kopf aus dem Fenster und rief ihm zu, er solle nirgendwo hingehen, bis er von ihm gehört hätte.

Hah. Als ob er noch die Energie aufbringen könnte, irgendwohin zu gehen. Selbstvorwürfe nagten an ihm bis auf die Knochen.

Er ließ sich auf das Sofa fallen und schmiss das Handy auf den alten Kaffeetisch. Ob er Molly in ihrem Motel anrufen sollte, schoss es ihm kurz durch den Kopf, doch er verscheuchte den verwirrenden Gedanken sofort wieder. Wenn sie auch nur ein bisschen Grips hätte, wäre sie längst auf dem Weg nach Hause, und überhaupt, was sollte er zu ihr sagen? Heh, Sie haben recht gehabt. Irgendein Arsch hat Kendra zerfleischt und die Einzelteile ihrer Leiche einfach auf einem Feld liegen gelassen, wo sie von ein paar Teenagern gefunden wurde, die mal pinkeln wollten. Es war alles ganz furchtbar, und die Kids werden wahrscheinlich alle in Therapie müssen. Schätze, ich hätte auf Sie hören sollen.

Nee, so eine nutzlose Unterhaltung konnte er sich sparen, bis … bis niemals. Im Augenblick hasste er sich selbst schon genug – da brauchte er ihre Vorwürfe nicht auch noch. Sie wollte ihn warnen, aber ganz der arrogante Alleswisser, der zu sein ihm sein Bruder immer unterstellte, wollte er nicht hören. Offenbar hatte er mit den Jahren die Fähigkeit verfeinert, andere Leute einfach auszublenden und sie zu ignorieren, selbst wenn sie ihm nur helfen wollten.

Ian fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte, sich auf irgendetwas Sinnvolles zu konzentrieren, etwas, womit er Riley helfen könnte, den mörderischen Bastard festzunageln, aber er hatte dauernd nur die Bilder von Kendras zerfetzter Leiche auf diesem blutgetränkten Acker vor Augen, die er nie wieder restlos aus dem Kopf kriegen würde. Verflucht, sie konnten nicht mal sicher sein, dass sie überhaupt von einem menschlichen Wesen umgebracht worden war, so grausam war sie zugerichtet.

Wenn du verdammter Esel schon nicht zu anderen ehrlich sein kannst, dann sei wenigstens ehrlich zu dir selber. Du weißt genau, was das gewesen ist, verhöhnte ihn sein eigenes Gewissen und zerrte an seinen Nerven. Das hast du schon die ganze Zeit gewusst.

Ian biss die Zähne zusammen und tat sein Bestes, um den abfälligen Arsch in seinem Schädel zu ignorieren. Er wünschte bloß, er könnte höchstpersönlich in die Finger kriegen, wer immer … oder was immer dafür verantwortlich war. Er hatte Kendra vielleicht nicht geliebt, aber er hatte sie außerordentlich respektiert, und zu Beginn ihrer Affäre hatte er es genossen, mit ihr zusammen zu sein. Kendra Wilcox war ein guter Mensch gewesen. Witzig, hübsch, unabhängig. Sie hatte nicht verdient, was sie erleiden musste. Niemand verdiente, so sterben zu müssen.

Riley würde sofort wieder auf der Matte stehen, sobald sich etwas ergab, und Ian musste ausgeruht sein, wenn die Dinge in Bewegung kamen, aber er war viel zu wütend, um schlafen zu können. Das Adrenalin rauschte immer noch durch seinen Körper. Wenn er schon keinen Schlaf kriegen konnte, sollte er vielleicht etwas essen, aber den Gedanken an fade gewöhnliche Nahrung konnte er auch nicht ertragen. In letzter Zeit schmeckte alles nur noch schal, sein Gaumen war von normalen Speisen zu Tode gelangweilt.

Leise vor sich hin fluchend, ging Ian in die Küche, schnappte sich die Scotchflasche und das Glas, fiel wieder aufs Sofa und griff nach der Fernbedienung seines Flachbildfernsehers; das Einzige in dieser Wohnung, das es wert war, geklaut zu werden, falls jemand sich die Mühe machen sollte, hier einzubrechen. Er schaltete in ein Baseballspiel der Colorado Rockies und versuchte, sich auf Homeruns und Schlagdurchschnitte zu konzentrieren, um die fürchterlichen Bilder aus dem Kopf zu kriegen und nicht länger an die merkwürdige kleine Blondine denken zu müssen, die ihn gewarnt hatte, jemand in seiner Nähe sei in Gefahr.

Die ganze Nacht und den ganzen Tag hatte er wie der letzte Idiot versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass Kendras Ermordung gar nichts mit ihm zu tun hätte und er deshalb auch nichts dagegen tun konnte. Aber eigentlich wusste er es besser. Zu sehr brannte und nagte die Scham in seinem Bauch, als dass er sich so einen Blödsinn selbst abkaufen könnte. Er versuchte, dieses saure, unwillkommene Gefühl mit Scotch zu ersäufen, aber das funktionierte nicht im Geringsten. Stattdessen versank er immer tiefer in Schuldgefühlen, als würde er an einem schlammigen Ufer stehen und langsam im Morast versinken. Riley hatte ihn die ganze Zeit ausgefragt, und er hatte gelogen und behauptet, überhaupt nichts zu wissen. Von Molly hatte er ihm nichts erzählt, und die Tatsache, dass sie ihm ihre Warnungen ins Gesicht geschleudert und ihn um Hilfe angefleht hatte, schon gar nicht erwähnt.

Und erst recht behielt er diesen Traum für sich, den sie miteinander geteilt hatten. Stattdessen hatte er jeden Gedanken daran verdrängt, obwohl der Traum ständig da war, irgendwo am Rande seines Bewusstseins – und darauf wartete, erneut zuzuschlagen.

Autor

Rhyannon Byrd
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