Romana Extra Band 163

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UNSERE KREUZFAHRT INS HAPPY END von LILY GREEN
Als ihr Bräutigam sie sitzen lässt, tritt Ava die Flitterwochen ohne ihn an. Doch auf der luxuriösen Mittelmeer-Kreuzfahrt fühlt sie sich erst recht allein. Bis der charmante Ethan sich spontan als ihr Ehemann ausgibt. Gegen jede Vernunft beginnt es zwischen ihnen zu knistern …

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  • Erscheinungstag 30.08.2025
  • Bandnummer 163
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533140
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lily Green, Kim Lawrence, Amanda Cinelli

ROMANA EXTRA BAND 163

Lily Green

1. KAPITEL

Nichts. Kein Laut. Kein Knacken. Kein Klirren von berstendem Glas. Nichts als Stille war zu hören, als Ava Harringtons Herz brach. Abgesehen von dem lustvollen Stöhnen ihres Verlobten.

Mit Tränen in den Augen betrachtete sie die Silhouette der beiden Menschen, die sich innig umschlungen in der versteckten Fensternische küssten. Eigentlich wirkte die Szenerie recht malerisch. Wäre da nicht der Umstand, dass der Mann, dessen kehlige Laute durch den Gang hallten, ab dem morgigen Tag Avas Ehemann hätte sein sollen. Der Mensch, den sie bis zum Ende ihres Lebens lieben und ehren sollte. Zumindest was den Part mit dem Ende des Lebens anbelangte, war sich Ava nicht mehr ganz so sicher. Ein nicht allzu kleiner Teil ihres zerbrochenen Herzens wünschte sich jedenfalls gerade ziemlich heftig, dass der Tod sie schied.

Normalerweise war Ava ein sehr friedliebender Mensch. Doch heute am Vorabend ihrer Hochzeit war es wohl in Ordnung, wenn sie eine kleine Ausnahme machte.

Andrerseits war sie auch recht pragmatisch veranlagt und Vince’ Tod würde ihr genauso wenig bringen wie das, was er da gerade mit ihrer Schwester Adriana trieb. In jedem Fall würde sie morgen wohl nicht in weiße Spitze gehüllt zum Traualtar schreiten.

Wie gut, dass sie beim Probe-Dinner bislang keinen Bissen hinuntergebracht hatte. Sich jetzt auch noch übergeben zu müssen, wäre der ganzen Situation bestimmt nicht zuträglich gewesen. Zumindest nicht, was ihre Würde betraf.

Und wenn sie so tat, als wäre nichts geschehen?

Noch während der Gedanke durch ihr Gehirn huschte, wusste sie bereits, dass sie dazu niemals in der Lage sein würde. Der Schmerz in ihrem Innern war viel zu groß, um irgendetwas hiervon zu ignorieren. Wie eine lodernde Flamme brannte er ein immer größer werdendes Loch in ihr Herz, bis nichts weiter übrig bleiben würde als ein Häufchen Asche.

Unaufhörlich rannen ihr Tränen über die Wangen, während sie dastand und Vince dabei beobachtete, wie er eine Hand noch tiefer in Adrianas rote Locken schob. Insgeheim hatte sie schon immer das Gefühl gehabt, dass ihr Verlobter ihre ältere Schwester viel interessanter fand als sie. Aber wer tat das nicht?

Von klein an war Ava bewusst gewesen, dass sie nur ein lächerlicher Abklatsch der strahlend schönen, unglaublich intelligenten und unfassbar faszinierenden Adriana Harrington war. Mit gerade mal dreißig Jahren war ihre Schwester bereits eine berühmte Journalistin, während Ava noch davon träumte, vom Schreiben leben zu können, und in einem Café kellnerte.

Dabei hatte sie genau wie ihre Schwester Journalismus studiert, doch als es darum ging, sich zu bewerben, hatten die ersten Absagen sie so verunsichert, dass sie viel zu schnell das Handtuch geworfen hatte. Zumindest der Meinung ihrer Eltern nach. Doch diese wussten ja nicht, wie schwer es war, wenn man andauernd im direkten Vergleich versagte.

Bereits ihr ganzes Leben lang war es Ava so vorgekommen, als wäre im Schatten ihrer strahlenden Schwester einfach kein Platz für sie. Noch vor ein paar Jahren hatte Ava davon geträumt, als Autorin zu arbeiten und Menschen mit ihren Geschichten zu verzaubern. Da sie aber nie in eine Literaturagentur aufgenommen worden war, war dieser Wunsch irgendwann zu einer schmerzhaften Erinnerung verblasst.

Als Studentin hatte sie noch von einer tollen Karriere geträumt. Doch Vince hatte ihr deutlich gemacht, dass sie mehr der Typ für ein eigenes kleines Zuhause samt Familie war. Während ihre Schwester in der Welt herumgondelte, hatte sie bis zum heutigen Abend vorgehabt, sich ganz darauf zu konzentrieren, ihrem Mann eine liebende Ehefrau und gute Mutter seiner zukünftigen Kinder zu sein. Also das komplette Gegenteil ihrer Schwester, die ein unstetes Leben führte und immer unterwegs war. Von Job zu Job und von Mann zu Mann. Was immer sie haben wollte, Adriana Harrington nahm es sich, ohne um Erlaubnis zu fragen. Und heute war das Ziel ihrer Begierde ganz offensichtlich der Verlobte ihrer kleinen Schwester gewesen.

Unglücklich schaute sie an ihrem langen grünen Tüllkleid hinunter, das sie sich eigens für diesen Abend gekauft hatte. Natürlich war es nicht so sexy wie Adrianas atemberaubender Dress. Sie war einfach nicht der Typ für Anzüglichkeiten. Und eigentlich hatte sie bislang geglaubt, Vince würde das gefallen. Er mochte es, wenn sie sich konservativ kleidete. Er hatte ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie die Verlobte eines Anwalts auszusehen hatte. Bei einem One-Night-Stand schien er allerdings wohl eine Ausnahme zu machen, denn das tief ausgeschnittene Kleid Adrianas konnte man getrost als das genaue Gegenteil von ihrem Outfit bezeichnen. Jetzt raunte Vince voller Verlangen den Namen ihrer Schwester, oder war das hier vielleicht gar keine einmalige Sache?

Ava schluckte und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Bestimmt sah sie, im Gegensatz zu der wie immer makellos perfekten Adriana, einfach schrecklich aus. Rote, verweinte Augen und ohne das von den Tränen verwischte Make-up leuchteten ihre Sommersprossen mit Sicherheit wie Warnbojen. Sie hatte keine Ahnung, warum Gene so grausam sein mussten. Während auf der Nase ihrer Schwester nur einige akkurat platzierte Pünktchen verteilt waren, zierte ihr Gesicht eine ganze Armada an Sommersprossen.

In der Fensternische vor ihr ging es mittlerweile richtig zur Sache. Ihr Verlobter hob Adriana hoch und drückte sie gegen die Wand. Etwas, das Ava nur aus Liebesfilmen und Büchern kannte. Warum hatte Vince sich ihr gegenüber niemals so leidenschaftlich verhalten? Adrianas ekstatisches Stöhnen jagte ihr ein Schauder über den Rücken. So zügellos hätte sie sich nie gegeben. Lag es etwa an ihr? War sie zu langweilig?

Schon wieder stieg ein tiefes Schluchzen in ihr auf. Erschrocken schlug sie sich eine Hand vor den Mund. Doch zu spät. Die beiden hatten sie bemerkt. Schlagartig hörte Vince damit auf, das Dekolleté ihrer Schwester einer intensiven Inspektion zu unterziehen, und sah sich um.

Er schaute ihr direkt in die Augen, und in seinem Blick war keinerlei Reue zu erkennen. Nicht einmal Scham, was in Anbetracht der Situation durchaus angemessen gewesen wäre. Vielmehr lag auf seinem glattrasierten Gesicht ein Ausdruck tiefsten Mitleids. Adriana besaß immerhin den Anstand, eine zerknirschte Miene aufzusetzen. Wobei das auch nicht unbedingt dazu beitrug, die Sachlage für Ava erträglicher zu gestalten.

Ohne ein Wort von sich zu geben, ergriff sie die Flucht. Die Hände hielt sie sich fest auf die Ohren gepresst. Sie wollte nichts hören. Das Einzige, das sie sich wünschte, war, so weit wie möglich weg zu sein. Am liebsten hätte sie sich selbst auf den Mond katapultiert, doch sogar der schien ihr noch viel zu nah. Was sollte sie nur tun? Zurück in ihre gemeinsame Wohnung konnte sie jetzt auf keinen Fall!

„Hey Lucy! Wo bist du?“ Entspannt lehnte sich Ethan Bennett auf einem der silbernen Metallstühle des Cafés Santa Lucia im Hafen von Savona zurück, das Handy am Ohr.

„Ja, ich bin schon vor Ort“, antwortete er auf die Frage seines Gesprächspartners. Hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille ließ er den Blick über die nur wenige Meter entfernten Segelboote schweifen. Die großen Ozeanriesen ankerten viel weiter hinten im Hafen. Natürlich hatte er aber schon einen Rundgang gemacht und „seinem“ Schiff einen Besuch abgestattet.

„Was, soll das heißen, du kommst nicht?“ Mit einem Ruck setzte Ethan sich auf und lauschte angespannt der Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. „Was machst du in London?“ Mit einer Hand rieb er sich übers Kinn. „Ich brauche dich hier in Savona!“ Wieder ließ er den Blick schweifen hinauf zu den Möwen, die hungrig ihre Kreise über dem geschäftigen Treiben zogen. Wieder auf die Felicity 1 zu gehen, war etwas, das ganz bestimmt nicht auf seiner To-do-Liste gestanden hatte und schon gar nicht inkognito. Dennoch war er jetzt hier und trank mit seinem alten Freund Maximilian, dem Kapitän des Kreuzfahrtschiffes, Kaffee.

„Du kannst mich doch nicht einfach so im Stich lassen!“ Sein Protest klang halbherzig, denn ihm war bereits klar, dass er würde improvisieren müssen. Mit verschlossener Miene hörte Ethan der Höflichkeit halber weiter zu. Er kannte die Leier schon in- und auswendig. Immerhin war Lucy nicht die erste Frau, die mehr von ihm wollte, als er zu geben bereit war. Leider hatte sie dies nur zum völlig falschen Zeitpunkt erkannt. Vor wenigen Tagen war es noch absolut in Ordnung für Lucy gewesen, ihn zu begleiten und sich für die Dauer der Kreuzfahrt über als seine Freundin auszugeben. Doch wie es aussah, schien es ihr nicht länger auszureichen, dass sie nur so taten, als wären sie zusammen. Lucy wollte eine Beziehung mit ihm, obwohl er ihr schon zu Beginn ihrer Affäre erklärt hatte, dass mehr als etwas vollkommen Unverbindliches mit ihm nicht möglich sein würde.

Mit wenigen Sätzen beendete er das Gespräch. Es hatte keinen Sinn, jetzt darüber zu streiten, warum sie beide niemals ein Paar sein konnten. Auch wenn er in entspannter Freizeitkleidung in einem Café saß, so war das hier trotzdem ein Arbeitstreffen.

„Hat deine Begleitung dich versetzt?“, dröhnte Maximilian in seinem altbekannten Bass, dem Ethan so gern zuhörte.

„Sieht wohl so aus.“ Er zuckte mit den Schultern. Doch so entspannt wie Ethan sich gab, war er nicht. Er hasste es, wenn es nicht nach Plan lief. Und schon gar nicht, wenn es um so eine wichtige Sache ging.

Für einen Moment saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander und nippten an ihren Espressi.

„Die Dinge waren noch leichter, als du damals zum Kellnern auf der Felicity warst“, unterbrach Maximilian, der seit fast einem halben Jahrhundert als Kapitän bei Fiaba Cruises arbeitete, die Stille.

„Oh ja!“ Ethan lachte. Automatisch musste er an die Zeit denken, als er beschlossen hatte, der Reederei den Rücken zukehren und lieber seine eigene Firma zu gründen. Schon damals hatte er sich nicht besonders gut mit seinem Vater Henry Bennett verstanden. Dieser hatte einfach nicht auf seine Vorschläge, wie man die immer weiter zurückgehenden Buchungszahlen optimieren könnte, hören wollen. Also hatte Ethan sich von der Schifffahrt verabschiedet und sich der Unternehmensberatung zugewandt.

„Mein jugendlicher Übermut hat dir mit Sicherheit viel Kummer bereitet.“ Lächelnd griff Ethan nach seiner Espressotasse. Normalerweise vermied er die Erinnerung an die Zeit, als seine Mutter noch gelebt hatte. Zu schmerzlich war der Gedanke an den Verrat, den sein Vater begangen hatte.

„Einige hiervon gehen ganz bestimmt auf deine Rechnung.“ Schmunzelnd deutete der ältere Mann auf sein graumeliertes Haupthaar. „Für den Rest sind allerdings deine Schwestern zuständig. Sie haben sich weitaus schlimmer angestellt als du“, erwiderte der Kapitän lächelnd.

„Das glaube ich gern“, entgegnete Ethan und strich sich über seinen Dreitagebart. Er hätte sich durchaus mal wieder rasieren können. Doch irgendwie fand er, dass der Look ganz gut zu den Cargo-Hosen und Leinenhemden passte, die die nächsten paar Tage seine maßgeschneiderten Anzüge ersetzen würden.

„Die Zwillinge sind wirklich Naturgewalten.“ Maximilian nippte an seinem Espresso. „Sie kommen eben ganz nach Felicia …“ Der Kapitän verstummte. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, wie Ethan zusammengezuckt war, als er Namen seiner Mutter fiel.

„Aber sie machen einen guten Job“, beeilte sich der Kapitän hinzuzufügen. „Ich bin mir sicher, dass die Flitterwochenkreuzfahrten ein Erfolg werden“, lenkte er das Gespräch auf das Thema, weswegen sie sich getroffen hatten.

„Ich hoffe es“, antwortete Ethan stirnrunzelnd. Das vor dem Ruin stehende Unternehmen seiner Schwestern zu retten, war vielleicht nicht sein bisher größter Auftrag. Dennoch bedeutete er ihm sehr viel. Bislang hatte sich Fiaba Cruises von dem Imageschaden, den die Enthüllungen über die dubiosen Geschäfte und unzähligen Affären seines Vaters angerichtet hatten, nicht wieder erholt. Das wollte Ethan mit dem neuen Konzept, das er entwickelt hatte, ändern. Er war gespannt, wie seine Idee, sich die verhältnismäßig geringe Größe der Kreuzfahrtschiffe zunutze zu machen, ankommen würde. Zur Jungfernfahrt der sehr exklusiven und luxuriösen Flitterwochenkreuzfahrt hatte er jede Menge Influencer eingeladen, die die sozialen Medien mit traumhaften Fotos und euphorischen Postings überfluten sollten. Umso wichtiger war es, dass nichts schiefging. Deswegen saß er jetzt hier im Hafen von Savona, um auf alles ein wachsames Augen haben zu können. Und das obwohl er sich nach allem, was passiert war, geschworen hatte, nie wieder ein Schiff zu betreten.

Dass Ethan dem Familienunternehmen bereits den Rücken gekehrt hatte, als das skandalreiche Leben seines Vaters medienwirksam an die Öffentlichkeit kam, war der einzige Grund, warum sein Gesicht niemals auf den Titelseiten der Yellow Press zu sehen gewesen war. Auch jetzt hatte er nicht vor, damit hausieren zu gehen, dass auch er einer der Erben der Reederei war. Deswegen waren Maximilian und die Concierge Lydia Carlton die einzigen beiden Menschen an Bord, die wussten, wer er war. Ob alles wirklich auch dauerhaft so funktionierte, wie es sollte, konnte er nicht herausfinden, wenn jeder an Deck wusste, dass er zu einer Firma gehörte, die Fiaba Cruises wieder in tieferes Fahrwasser bringen sollte. Deswegen würde er inkognito an Bord gehen. So handhabte er es zumeist auch bei anderen Unternehmen, die seine Dienste in Anspruch nahmen.

„Wir werden das Ruder schon herumreißen.“ Mit einem beruhigenden Lächeln wandte Ethan sich an den langjährigen Freund. Sein Unternehmen hatte schon Firmen geholfen, um die es weitaus schlechter gestanden hatte. Jetzt ging es allerdings um den Erfolg seiner Schwestern, da würde Ethan ganz bestimmt nicht ruhen, bevor die Reederei nicht wieder schwarze Zahlen schrieb.

„Es ist sehr nobel, was du da tust.“ Für einen Moment wirkte es, als wollte der Kapitän nach Ethans Hand fassen, doch er unterließ es.

„Ist es nicht“, tat Ethan Maximilians Lob mit einem Schulterzucken ab. „Ich mache es für die Zwillinge. Fiaba Cruises gehört jetzt ihnen. Sie haben hart gearbeitet und verdienen, dass es gut läuft.“

„Aber du gehst wieder auf ein Schiff, obwohl …“ Das Ende des Satzes blieb unausgesprochen in der Luft hängen.

„Wie auch immer.“ Ethan klopfte sich mit den Handflächen auf die Oberschenkel. Er wusste, worauf der Kapitän anspielte, und für eine Sekunde durchzuckte ihn heftiger Schmerz. Dann fasste er sich wieder und sagte: „Wäre doch schade, die alte Dame und die anderen Ladys untergehen zu lassen.“ Er schaute erneut in Richtung des offenen Meers. Wenn sein Vater noch die Reederei geleitet hätte, wäre seine Meinung ganz bestimmt eine andere gewesen. Ab dem Tag allerdings, als Julia und Natalie das Unternehmen übernahmen, hatte für Ethan festgestanden, dass er alles tun würde, um die beiden so gut wie möglich zu unterstützen. Schon allein seiner Mutter zuliebe. Felicia Bennett war die Familie stets das Wichtigste gewesen, und sie hatte es nie verkraftet, dass sein Vater diese Einheit, die sie fünf früher gewesen waren, zerstört hatte.

„Wie steht es denn mit dir und der Liebe?“ Maximilian zwinkerte dem Freund zu, wobei sich tiefe Falten in seiner wettergegerbte Haut zeigten. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er das Thema in eine andere, weniger dramatische Richtung lenken wollte. „Wie es aussieht, ist noch kein Hafen in Sicht, in dem du deinen Anker auswerfen willst?“

Ethan schaute den alten Kapitän an und brach in schallendes Gelächter aus. „Was sind denn das für schräge Seemanns-Metaphern?“ Er lachte noch lauter, und ihm fiel auf, dass es lange her war, dass er so befreit gelacht hatte. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, sein schickes Büro in London mal für eine Woche gegen die strahlende Sonne über dem Mittelmeer einzutauschen. „Du meinst, ob mich schon eine Sirene unter Wasser gezogen hat?“

„Mit ganzem Herzen zu lieben, ist nichts Schlimmes …“, entgegnete der Kapitän mit ruhiger Stimme. Schlagartig wurde Ethan wieder ernst, als er daran dachte, dass Maximilians Frau, die ihn jahrelang auf all seinen Fahrten begleitet hatte, letzten Sommer überraschend gestorben war.

„Um es mal mit deinen Worten zu sagen.“ Freundschaftlich klopfte Ethan ihm auf die Schulter. „Ich bin ein Kreuzfahrtschiff und werfe meinen Anker ganz gern jede Nacht in einem anderen Hafen aus. Und eine Stadt, die daran etwas ändern könnte, muss erst noch gebaut werden.“ Er kramte einen Zehneuroschein hervor und legte ihn auf den Tisch. Die ersten Passagiere würden jeden Moment mit den eleganten Shuttlebussen, die sie vom Flughafen in Genua zum Schiff brachten, ankommen. Blieb nur noch das Problem, dass er keine Begleitung mehr hatte. Auf einer Kreuzfahrt voller frisch verheirateter Pärchen stach er als Single nur allzu offensichtlich heraus, und das würde für seinen Geschmack viel zu viel Aufmerksamkeit auf seine Person lenken. Also musste er so schnell wie möglich eine Frau auftreiben, die bereit war, sich die nächsten acht Tage als seine Ehefrau auszugeben. Sonst flog seine Tarnung auf, noch bevor er das Schiff überhaupt betreten hatte.

2. KAPITEL

Mit tränenverschleiertem Blick starrte Ava aus dem Fenster des eleganten Reisebusses. So schön die vorbeiziehende Landschaft auch sein mochte, sie schaffe es dennoch nicht, die Bilder zu vertreiben, die sich in ihr Gedächtnis gebrannt hatten. Gegen den allumfassenden Schmerz in ihrem Herzen kam selbst das kristallblaue Wasser nicht an, das immer wieder in der Ferne aufblitzte, wenn der Bus um eine Kurve fuhr. Ihr Handy hatte sie nach der Landung des Flugzeugs gar nicht erst eingeschaltet. Sie hatte keine Lust auf Nachrichten von ihrem ehemaligen Verlobten oder gar ihrer Schwester, die sie so fies hintergangen hatte.

„Mrs. Smith?“ Eine melodiöse Stimme mit einem starken Akzent riss sie aus ihren Gedanken. „Mrs. Smith, wir sind da. Sie müssen aussteigen.“ Erst jetzt realisierte Ava, dass der junge Mann mit ihr sprach. Hektisch schaute sie sich in dem luxuriös ausgestatteten Kleinbus um. Wie es aussah, war sie die Letzte, die noch auf den mit hellem Leder bezogenen Sitzen saß.

„Miss, nicht Mrs.“, murmelte sie leise vor sich hin, während sie mit fahrigen Fingern nach ihrer Tasche griff. Fragend zog der Busfahrer eine dunkle und ziemlich buschige Augenbraue in die Höhe. Für den Bruchteil einer Sekunde schloss sie die Augen. Natürlich war es eine dumme Idee gewesen. Was hatte sie nur geritten, allein ihre Hochzeitsreise anzutreten?

Am Abend des Probedinners war ihr der Gedanke, ans Mittelmeer zu flüchten, noch großartig erschienen. Bei Tageslicht betrachtet, wäre eine Rakete zum Mond doch die bessere Variante gewesen. Dort würde sie wahrscheinlich niemand für Mrs. Smith halten.

„I…ich komme“, stammelte sie eilig, als der Mann begann, sie neugierig zu mustern. Hastig stolperte sie nach draußen.

Augenblicklich umfing sie die Hitze wie ein warmer Mantel. Genau so hatte sie sich Italien vorgestellt. Im Hintergrund die malerischen grünen Hügel, die die Stadt Savona einbetteten. Davor die typisch terrakotta- und sandsteinfarbenen Häuserfronten, die im hellen Licht der Sonne aussahen, als wären sie geradewegs einer Postkarte entsprungen. Leider konnte sie den Duft der Pinien nur erahnen, da der Hafen mit seinen ganz eigenen Gerüchen die Idylle überlagerte.

Aber so war das wohl mit Träumen … Mitunter waren sie eben nicht wie im Katalog beschrieben. Statt auf Wolke sieben in einem herrlichen weißen Kleid durch kleine Gassen zu schlendern, stand man allein bei über dreißig Grad im Schatten da, und es roch nach Fisch und Abgasen. Eine Vespa gab ein lautes Hupen von sich und katapultierte Ava in die Gegenwart.

Ihr Blick fiel auf ihre Mitreisenden. In den teuren Sommerkleidern und maßgeschneiderten Shorts sahen diese so ganz anders aus als Ava, die sich nicht von ihrer heiß geliebten Jogginghose hatte trennen können. Kopfschüttelnd schaute sie an sich hinunter. Hätte sie sich doch nicht ausgerechnet für ihren liebsten dunkelgrünen Kapuzenpullover entschieden. Gegen die eisige Kälte der Klimaanlage im Flugzeug mochte er Wunder gewirkt haben, doch hier unter der gleißenden Sonne Italiens kam sie sich mit dem hochgeschlossenen Teil einfach nur noch vollkommen unpassend und fehl am Platz vor. Das hier war das komplette Gegenteil zu dem anhaltenden grauen Regenwetter ihrer Heimatstadt London.

Fieberhaft kramte sie in ihrer Handtasche nach einer Sonnenbrille, um wenigstens ihre vom dauerhaften Weinen vollkommen verquollenen Augen zu verdecken.

„Mrs. Smith?“ Mit einem beflissenen Lächeln drückte ihr der Fahrer das Handgepäck in die Hand, das sie in all der Aufregung im Bus vergessen hatte.

„Es tut mir so leid!“ Die Worte überschlugen sich in ihrem Mund, und heraus kam nur ein unverständliches Kauderwelsch. Wahrscheinlich glühten ihre Wangen mittlerweile mit der Sonne um die Wette. Hastig schob Ava sich die dunkle Brille auf die Nase, da ihr schon wieder die Tränen in die Augen geschossen waren. Wirklich, was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Selbstredend würde das jetzt die ganzen nächsten acht Tage so gehen. In ihrem Pass mochte vielleicht noch ihr Mädchenname stehen. Für das Personal aber war sie natürlich schon Mrs. Smith. Immerhin waren das hier ganz offiziell ihre Flitterwochen!

Nun, dem war etwas ungefähr eins siebzig Großes, Vollbusiges und leider auch noch mit ihr Verwandtes dazwischengekommen, aber das wusste hier ja niemand.

Energisch biss sie sich auf die Lippen und schnappte sich ihr Gepäck. Ihr Blick fiel auf das Schiff am Ende des Anlegestegs. Obwohl die Felicity 1 ein verhältnismäßig kleiner Kreuzfahrtdampfer war, hatte sie trotzdem das Gefühl, im Schatten eines Riesen zu stehen. Schlagartig kam sie sich ziemlich unbedeutend vor. Im Vergleich zu den Giganten anderer Kreuzfahrtunternehmen waren die Schiffe von Fiaba Cruises allerdings fast schon als winzig zu beschreiben. Doch genau wegen dieser Exklusivität war Vince sofort Feuer und Flamme gewesen, die Kreuzfahrt zu buchen. Auf den Schiffen von der bekannten Reederei gab es keine Kegelbahnen und auch kein Spaßbad. Die Felicity 1 war der Inbegriff purer Eleganz. Als die Dame im Reisebüro überdies erzählt hatte, dass es sich um überaus exklusive Flitterwochen handelte, hatte Avas Verlobter gebucht, ohne sie überhaupt zu fragen, was sie davon hielt. Vince war geradezu besessen davon, Karriere zu machen und zur englischen Oberschicht zu gehören. Eine solche Reise war genau nach seinem Geschmack.

Ava liebte das Meer. Doch der Gedanke tagelang mit einer größeren Anzahl reichen Leuten auf einem Luxusdampfer festzusitzen, flößte ihr Angst ein. Etwas weniger Elitäres wäre ihr lieber gewesen. Schon allein als sie gehört hatte, was das Ganze kosten sollte, war ihr schwindelig geworden. Natürlich hatte sie mit ihrem Gehalt als Kellnerin zu einer solchen Reise nichts beisteuern können. Jetzt hatte Vince die Flitterwochen allerdings bereits bezahlt, und Ava war wild entschlossen, diese auch anzutreten. Auch wenn sie mit ihrer Flucht die unausweichliche Trennung von ihm nur herauszögerte.

Ava blickte sehnsüchtig hinüber zu dem kleinen Café, dessen weiße Schirme einluden, es sich darunter im Schatten gemütlich zu machen und Eis oder einen Espresso zu sich zu nehmen. Oh ja, das hier war bella Italia, und zwar ganz genauso wie im Reiseführer. Entschlossen straffte sie die Schultern und ignorierte dabei geflissentlich das Pärchen neben sich, das das Handy weit von sich gestreckt ein übertrieben glückliches Selfie von sich machte. Ab jetzt würde sie jede einzelne Sekunde dieser Kreuzfahrt genießen. Auch wenn die schon fast unanständig herumknutschenden Verliebten an der Gangway es ihr nicht gerade leicht machten, diesen Plan augenblicklich in die Tat umzusetzen.

In diesem Moment stellte Ava fest, dass es um sie herum wirklich keinen einzigen Menschen gab, der so wie sie allein war. Wohin man auch sah, nichts als Liebe und Glück. Übelkeit stieg in ihr auf. Wie sollte sie nur die nächsten Tage überstehen? Ihr Blick fiel auf den pompösen Rosenbogen, der den Eingang zur Gangway schmückte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass eine Frau mit professionell aussehender Kamera davor wartete und die glücklich Verliebten dabei knipste, wie sie das Schiff betraten. Ava bekam Herzrasen. Natürlich konnte sie nicht an Deck gehen! Sie musste so schnell es ging zurückfliegen. Hastig stolperte sie rückwärts. Hauptsache weg von diesem Kreuzfahrtdampfer und all den Menschen, um deren Köpfe kleine imaginäre Herzen herumschwirrten.

Bislang schien alles hervorragend zu klappen, stellte Ethan erleichtert fest, der die Begrüßung der Gäste aus dem Hintergrund beobachtete. Es war eine ausgezeichnete Idee von ihm gewesen, eine Hochzeitsfotografin zu engagieren und den Check-in mit einem Fotoshooting etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Alle Gäste wirkten äußerst zufrieden. Die Crew hatte einige weiße Pavillons aufgestellt und bot den wartenden Pärchen Champagner an. Das Ganze wirkte mehr wie eine exklusive Veranstaltung in Ascot als der Anreisetag einer Kreuzfahrt. Diejenigen, die das Willkommens-Shooting bereits hinter sich hatten, gingen die Gangway hinauf, um einzuchecken. Besser konnte es einfach nicht laufen. Es gab kein Gedränge, und das Ambiente war so luxuriös, dass keiner auch nur eine Sekunde den horrenden Preis der Reise infrage stellte.

Mit der Spitze seines Zeigefingers schob Ethan sich die Sonnenbrille noch höher auf die Nase und blickte wieder hinunter auf das Reisemagazin, in dem er vorgab zu lesen. Während er im Schatten einer in einem großen Kübel stehenden Palme stand, blätterte er durch die Seiten.

Ein Artikel weckte seine Aufmerksamkeit. Allein die Gestaltung der reißerischen Überschrift ließ ihn zusammenzucken. Er wusste sofort, nachdem er die ersten drei Zeilen gelesen hatte, wer den Artikel verfasst hatte. Es war die Journalistin, die damals die mediale Lawine ausgelöst und damit Fiaba Cruises ins Unglück gestürzt hatte. Wäre sie nicht gewesen, wären die zwielichtigen Machenschaften seines Vaters vielleicht niemals ans Licht gekommen. Ohne sie hätte die Reederei heute nicht kurz vor dem Aus gestanden!

Hastig machte er einen großen Schritt zur Seite, um sich nach einer Möglichkeit umzusehen, die Zeitung zu entsorgen.

„Aua!“ Eine Frauenstimme ließ ihn hochschrecken. Instinktiv wirbelte er herum und schlang seine Arme um die zierliche Gestalt vor sich, bevor diese ins Straucheln geriet.

„Der untere ist meiner“, japste es atemlos auf Englisch an seiner Brust, und Ethan machte den Fehler, der Frau in seinen Armen direkt ins Gesicht zu schauen. Jetzt waren es seine Lungen, die einen plötzlich einsetzenden Mangel an Sauerstoff beanstandeten.

Nie zuvor hatte er derart grüne Augen gesehen. Sie glichen den Smaragden in der Lieblingskette seiner Mutter, die er schon als Kind immer bewundert hatte.

„Wirklich!“ Zehn schmale Finger gruben sich in seinen Bizeps. „Ohne es in irgendeiner Form beleidigend zu meinen …“ Die Stimme der Engländerin klang schmerzerfüllt. „Sie sind sehr schwer.“ Die Nägel bohrten sich ihm noch tiefer in die Haut, und Ethan kam wieder auf den Boden der Tatsachen auf.

„Entschuldigung.“ Augenblicklich sprang er zurück.

„Macht ja nichts“, entgegnete das zarte Wesen vor ihm. „Es ist nur …“ Sie hielt sich an seinem Oberarm fest, um ihren Schuh auszuziehen. Ihre Hand war eiskalt. „Meine Zehen …“

„Was ist mit Ihren Zehen?“ Erschrocken schaute Ethan hinunter auf den schmalen, nackten Fuß, den die Rothaarige mit der freien Hand massierte. So wie die Frau klang, musste mindestens einer davon zertrümmert sein. Der zarte Ballerina-Schuh, den sie getragen hatte, lag achtlos auf dem Boden.

„Ich mag sie!“ Mit einem Grinsen schaute sie ihn an, und Ethans Magen machte einen seltsamen Satz. Erleichtert atmete er auf.

„Sogar alle zehn“, fuhr die Frau fort, wobei sie keck mit den Zehen hin und her wackelte. Er ließ den Blick von ihren faszinierenden Augen mit dem zutiefst traurigen Ausdruck darin hinunter zu ihren Füßen wandern.

Ethan stellte fest, dass die Nägel in einem zarte Roséton lackiert waren, der ihr unschuldiges Auftreten auf eine interessante Art und Weise unterstrich. Eine Art und Weise, die einem Mann doch sehr gefährlich werden konnte …

„Ich hole Ihnen etwas zum Kühlen“, erklärte er schnell und überlegte, in welches der kleinen Cafés am Hafen er gehen sollte, um Eiswürfel zu besorgen. „Wobei …“ Ethan legte eine Hand auf die ihre. „Wir auch einfach Ihre Hand nehmen könnten.“ Mit Daumen und Zeigefinger zog er sanft an ihrem Handgelenk und löste ihre Finger so von seinem Oberarm. „Ich bekomme Erfrierungen, wenn Sie mich weiter so umklammern“, fügte er erklärend hinzu.

„Herrje, das tut mir leid. Sie sind immer so kalt. Selbst hier bei dieser Hitze.“ Die Rothaarige grinste ihn verlegen von unten herauf an. Erstaunt stellte Ethan fest, dass inmitten des dunklen Grüns ihrer Augen kleine goldene Sprenkel verteilt waren, die ihn mehr als unbedingt nötig faszinierten.

„Wie auch immer.“ Mit einer fahrigen Geste strich sie mit den Fingern ihr zerzaustes Haar glatt. Allerdings machte sie damit das Chaos auf ihrem Kopf eher noch schlimmer als besser. „Vielen Dank, dass ich mich an Ihnen festhalten durfte.“ Die Rothaarige wedelte mit den Händen. „Ihre …“ Sie deutete auf seinen Bizeps.

„Arme?“, half er ihr lächelnd auf die Sprünge. Die Unterhaltung begann, ihm von Minute zu Minute mehr Spaß zu machen. Allerdings wurde er das Gefühl nicht los, sie irgendwoher zu kennen.

„Genau“ antwortete sie leicht atemlos. „Sie sind sehr …“ Sie stockte, und ihre Wangen färbten sich rosa. „Äh … stabil. Ich meine stark.“ Mittlerweile glich ihre Gesichtsfarbe der des roten Teppichs auf der Gangway, und Ethans Lächeln war so breit, dass er es schon an den Ohren spürte. „Oh je, ich meine natürlich nicht, dass Sie zu dick …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippen.

„Sie wollten mich also nicht beleidigen? Das freut mich zu hören.“ Erstaunt stellte Ethan fest, dass er sich wünschte, dieses Gespräch, so seltsam es auch war, würde niemals enden. „Ich bin Ihnen auf den Fuß getreten. Es wäre nur allzu verständlich, wenn Sie einen gewissen Groll gegen mich hegten.“ Er bemühte sich um einen ernsten Gesichtsausdruck, was ihm verdammt schwer viel. „Vor allem da Sie doch Ihre Zehen so mögen.“ Mit aller Kraft unterdrückte er das unbeschwerte Lachen, das in seiner Brust aufstieg. „Sogar alle zehn“, fügte er mit vor Heiterkeit dunkler Stimme hinzu. Das warme Gefühl in seiner Brust wanderte in Richtung seiner Lenden, als die Fremde sich abermals auf die Lippen biss. Obwohl oder gerade, weil sie in ihrem Outfit und dem zerzausten Haar aussah, als käme sie gerade aus dem Bett, wirkte sie ziemlich anziehend auf ihn, und ihr zerknirschter Gesichtsausdruck löste Wünsche in ihm aus, die er momentan eigentlich gar nicht gebrauchen konnte. Immerhin war das hier eine Dienstreise.

„Ich bin doch nicht böse.“ Die Fremde lachte hell auf. „Ich hätte Ihnen nur fast gesagt, wie verdammt hei…“ Sie stockte und schlug sich eine Hand vor den Mund. Interessiert betrachtete er die vielen einzelnen Nuancen Rot, die sich zwischen ihren Sommersprossen ausbreiteten. Ganz offensichtlich schämte sie sich für das, was ihr da fast über die Lippen geschlüpft wäre. Diese Frau konnte man nicht unbedingt als Sphinx bezeichnen.

„Was wollten Sie mir sagen?“, fragte er mit unschuldigem Tonfall. Natürlich wusste er ganz genau, was sie ihm da fast offenbart hätte, und natürlich gefiel ihm der Umstand, dass er ihr gefiel. Vielleicht war es ein bisschen gemein, sie so zu necken, aber er wollte die Frau einfach noch nicht vom Haken lassen. Es machte so verdammt viel Spaß, zu beobachten, wie sie sich um Kopf und Kragen plapperte. Außerdem wollte er unbedingt herausfinden, warum sie ihm so unglaublich bekannt vorkam.

„Ich wollte nur andeuten, dass Sie bestimmt handwerklich sehr begabt sind“, murmelte sie mit erstickter Stimme und blinzelte erschrocken. „Wahrscheinlich gehe ich jetzt besser“, flüsterte sie hastig und beugte sich zu ihrem Handgepäck hinunter, das eine altmodische Mischung aus Koffer und Tasche war.

Ethan nickte nur, während er den Blick nicht von ihrer zierlichen Gestalt abwenden konnte. Diese quirlige Frau mit den zerzausten Haaren und der Jogginghose entsprach so ganz und gar nicht seinem Typ. Normalerweise waren die Frauen, mit denen er sich traf, eher top gestylt und jobbten nicht selten als Model, so wie Lucy. Trotzdem hoffte er unwillkürlich, dass er die Fremde noch mal wiedersehen würde.

„Äh, also dann …“ Sie hob eine Hand, ließ sie aber direkt wieder sinken, während ihre Wangen noch röter wurden. Etwas, von dem Ethan nicht geglaubt hatte, dass dies überhaupt möglich wäre. „Ci vediamo.“ Ihr Akzent war so niedlich, dass er für den Bruchteil einer Sekunde versucht war, sie auf der Stelle nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Andererseits wirkte sie auf ihn wie diese Frauen, die fest an die romantische Liebe glaubten und niemals nur eine Nacht mit einem Mann verbringen würden. Doch mehr als das war bei ihm nicht drin. Denn eines wusste Ethan mit absoluter Sicherheit: Wahre Liebe war nichts für ihn. Für so viel Schmerz und Leid hatte er einfach keine Zeit. Für einen kurzen Moment empfand er so etwas wie Bedauern, als er der Rothaarigen hinterherschaute, wie sie den Kai hinunterging, einen riesigen Koffer hinter sich herziehend. Da sie in diesem Moment allerdings geradewegs auf die Felicity 1 zusteuerte, schien sie ohnehin bereits verheiratet zu sein. Schade eigentlich, irgendwie hatte die Frau etwas an sich gehabt, das ihn faszinierte.

Um die lästigen Gedanken zu vertreiben, bückte er sich nach dem Reisemagazin, das bei dem Zusammenstoß mit der Fremden zu Boden gefallen war und nun aufgeklappt dalag. Das Foto der Journalistin, die damals jenen vernichtenden Artikel verfasst hatte, stach ihm direkt ins Auge, und sein Herz setzte einen Schlag lang aus: Diese Haarfarbe und insbesondere die Sommersprossen hätte er überall wiedererkannt!

Noch einmal blickte er seiner unfreiwilligen Bekanntschaft hinterher. Hatte er eben etwa eine Spionin an Bord enttarnt?

3. KAPITEL

Wie es aussieht, gibt es zwei Möglichkeiten, dachte Ava, während sie aus einigen Metern Entfernung die Champagner trinkenden Pärchen beobachtet. Entweder sie flog zurück nach London, oder aber sie stellte sich vollkommen allein einer Horde frisch verheirateter Pärchen auf Wolke sieben. Wenn man sie fragte, eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

Wenn sie heimflog, wartete da das große Chaos auf sie. Blieb sie hier, würde ihr tagtäglich vor Augen gehalten, was sie verloren hatte. Aber immerhin musste Ava sich dann noch nicht nach einer neuen Wohnung umsehen. Mit jeder Stunde, die sie das Handy ausgeschaltet ließ, häuften sich mit Sicherheit die Nachrichten auf ihrem Telefon. Immerhin hatte sie ihren Eltern eine kurze Mitteilung hinterlassen, wo sie war und dass sie sich keine Sorgen machen müssten.

Die wenig angenehme Aufgabe, die Hochzeit abzusagen, hatte sie Vince überlassen. Besser gesagt, sie war einfach davongelaufen und hatte die Nacht und den Tag ihrer Hochzeit in einem eher zwielichtigen, aber dafür günstigen Hotel am Flughafen Heathrow verbracht. Wie sie Vince kannte, würde er ganz schön wütend darüber sein, dass sie sich einfach so aus dem Staub gemacht hatte. Vielleicht war es wirklich das Beste, wenn sie ihm ein paar Tage Zeit ließ, sich abzuregen, bevor sie ihm wieder begegnete. Fest entschlossen blickte sie in Richtung des roten Teppichs der Gangway. Sie würde jetzt auf dieses Schiff gehen und sich jeden Gedanken an die Zukunft verbieten. Sie packte den Griff ihres Koffers und begann das riesige Ungetüm von einem Gepäckstück hinter sich herzuziehen in Richtung der weißen Zelte.

„Smith“, murmelte sie leicht außer Atmen, als sie dem Mann, der vor der geschmackvoll dekorierten Gangway die Gäste begrüßte, ihren Namen nannte. Inständig hoffte sie, dass er das leichte Würgen, als sie Vince’ Nachnamen als den ihren ausgab, nicht bemerkt hatte.

Es fühlte sich falsch an, sich so zu nennen, und im Grunde genommen war es das ja auch.

„Willkommen in Ihren Flitterwochen, Mrs. Smith.“ Der Mann strahlte und wirkte dabei so herzlich, dass Ava sich richtig schlecht fühlte, ihn angelogen zu haben. Doch sie hatte Sorge, dass man sie nicht aufs Schiff ließ, wenn sie die Wahrheit sagte. Immerhin hatte Vince die Reise bezahlt. Natürlich konnte der Mann vor ihr das nicht wissen, doch irgendwie meldete sich plötzlich ein ziemlich schlechtes Gewissen. Trotzdem würde sie jetzt nicht kneifen. Allein bei dem Gedanken daran, erstmal wieder bei ihren Eltern einziehen zu müssen, wurde ihr übel. Wahrscheinlich würde sie sich mehr als einmal anhören müssen, dass ihrer wundervollen Schwester Adriana so etwas nicht passiert wäre. Selbstverständlich hätte sie die Wahrheit offenbaren können, doch sie wusste, dass sie dies niemals übers Herz bringen würde. Zu tief saß die Scham, dass ihre eigene Schwester ihr den Mann ausgespannt hatte. Wieder einmal war sie einfach nicht gut genug gewesen.

„Wir warten nur noch auf Ihren Mann“, holte der freundliche Crew-Mitarbeiter sie aus ihren Gedanken.

„Da können Sie lange warten“, murmelte Ava bitter vor sich hin, während ihr Blick zu dem Pärchen flog, das gerade die Gangway hochmarschierte. Dann setzte ihr Verstand für den Bruchteil einer Sekunde aus, und wie aus weiter Ferne hörte sie sich sagen: „Er kommt bestimmt gleich!“

„Sehr gut, dann sind Sie jetzt dran mit dem Fotoshooting“, antwortete der Mann erleichtert und warf einen Blick auf seine silberne Armbanduhr.

„Mit dem was?“, entgegnete Ava erschrocken, die gehofft hatte, sich so heimlich still und leise, wie ihr gigantischer Koffer es zuließ, an dem ganzen Zinnober vorbeischleichen zu können, ohne dass irgendwer sie entdeckte. Geschweige denn, dass jemand fotografisch festhielt, wie erbärmlich es um sie stand. Konnte sie auf die Schnelle einen Ehemann herzaubern? Himmel, sie hatte es nicht mal geschafft, den alten an sich zu binden, wie sollte sie da so ohne Weiteres einen neuen auftreiben?

Dem Mitarbeiter schien jedenfalls nicht aufzufallen, dass Ava drauf und dran war, in Panik zu verfallen, denn er schob sie mit einer so liebevollen Unerbittlichkeit in Richtung Rosenbogen, dass sie nicht einmal auf die Idee kam zu protestieren. So musste sich ein Reh im Scheinwerferlicht fühlen …

In diesem Moment erschien Ava die Vorstellung, von einem Auto angefahren zu werden, sogar als ein recht erfreulicher Ausweg aus dem ganzen Dilemma. Doch leider war weit und breit noch nicht einmal ein Mofa zu entdecken. Auch für einen Meteoriteneinschlag oder das Ende der Welt wirkte der Himmel über ihnen viel zu friedlich und blau. Und wie man es anstellte, dass es Männer regnete, wusste wohl nur Geri Halliwell. Hoffnungsvoll schaute Ava sich um, doch wie erwartet, passierte nichts von alldem.

„Hast du ihr Outfit gesehen?“ Das nicht gerade leise Flüstern einer der wartenden Frauen drang bis zu Ava.

„Ich dachte, sie wäre eine Obdachlose“, entgegnete eine andere und rümpfte deutlich sichtbar die Nase.

„Ist sie etwa allein?“, schaltete sich jetzt noch eine dritte in das Gespräch mit ein. Sensationslüstern nippte sie an ihrem Champagnerkelch.

„Vielleicht ist ihr Mann nur auf der Toilette“, schlug ihr Partner vor, dem deutlich anzusehen war, dass ihm das offensichtliche Getuschel über Ava unangenehm war.

„Also, ich an ihrer Stelle würde ja vor Peinlichkeit im Boden versinken“, antwortete die erste Frau nicht sonderlich diskret. Sie wandte sich an ihren Ehemann: „So etwas würdest du mir doch niemals antun, Darling, oder?“

„Auf Toilette zu gehen?“, wandte der Angesprochene sich an seine von Kopf bis Fuß in Burberry gekleidete Frau und erntete postwendend ein genervtes Augenrollen.

Ava klammerte sich an das Stöckchen, an dem ein Fähnchen mit den Worten Just Married hing, das die Fotografin ihr in die Hand gedrückt hatte, und wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen. In Luft auflösen oder im Erdboden verschwinden standen auch sehr weit oben auf ihrer Wunschliste. Sie blinzelte und hoffte, dass sie die Tränen so lange zurückhalten konnte, bis sie allein war.

Würde das jetzt die ganzen nächsten acht Tage so weitergehen? Offensichtlich befanden sich hauptsächlich Briten an Bord, wie das lupenreine Oxford-Englisch bewies, in dem die Umstehenden unverblümt über sie herzogen. Nie zuvor hatte Ava sich so miserabel gefühlt. Nicht einmal, als sie hatte mitansehen müssen, wie der Kopf ihres Verlobten im Ausschnitt ihrer Schwester verschwunden war.

„Vielleicht gab es einen Unfall?“ Jetzt mischte sich noch eine vierte Frau in das Gespräch ein. „Oder sie hat ihn ganz aus Versehen vom Kai geschubst“, warf die Blondine in gehässigem Tonfall ein, die das Gespräch eröffnet hatte. Das folgende leise Gekicher schwoll zu einem Orkan in Avas Ohren an, und sie merkte, dass ihr schwindelig wurde. Sie musste so schnell wie möglich hier weg, und doch konnte sie sich nicht von der Stelle rühren. Die Beine versagten ihr den Dienst.

„Ich schwöre, dass sie es ist.“ Ethans Stimme klang gedämpft, da er nicht wollte, dass irgendwer das Telefonat mit seiner Schwester Julia mitbekam. Nervös lief Ethan neben dem Palmenkübel in gebührendem Abstand zu den weißen Zelten vor der Felicity 1 auf und ab. Seit er erkannt hatte, dass er gerade seine Erzfeindin im Arm gehalten hatte, pumpte das Adrenalin heftig durch seine Adern. Es gab nach seinem Vater keinen Menschen auf der Welt, den er mehr verabscheute als die Journalistin, die seine Familie ruiniert hatte. Am liebsten wäre er auf der Stelle zu dieser A. Harrington geeilt und hätte sie zur Rede gestellt. Selbstredend, dass sie ihren vollen Namen unter den Artikeln nicht preisgab. Mit Sicherheit war seine Familie nicht die einzige, die sie mit ihrem sogenannten Enthüllungsjournalismus zerstört hatte.

„Natürlich sieht sie auf dem Foto anders aus, aber diese Bilder werden ja auch nicht jedes Jahr erneuert. Außerdem wirkte sie etwas …“ Er überlegte kurz, wie er es formulieren sollte. „… derangiert.“ Ethan schob sich die Sonnenbrille ins Haar und rieb sich mit einer Hand über die Augen. Diese Journalistin hatte deutlich bewiesen, dass sie sich keinen Deut um das Wohlergehen anderer Leute scherte. Und jetzt war sie im Begriff, auf das Kreuzfahrtschiff seiner Familie zu gehen. Das neue Luxusflitterwochen-Konzept war sein Beitrag, seine Schwestern zu unterstützen in der Hoffnung, das Familienunternehmen nach dem Skandal rund um ihren Vater retten zu können. Er würde nicht zulassen, dass diese schreckliche Frau mit einem niederschmetternden Artikel noch einmal alles kaputtmachte. Das wäre ein Desaster, das dringend abgewendet werden musste. Doch was sollte er tun? Die rothaarige Reporterin mit einem Stein am Bein ins Wasser stoßen und es wie einen Unfall aussehen lassen? Er mochte zwar Halbitaliener sein, deswegen machte er allerdings nicht gleich gemeinsame Sache mit der Mafia, so wie sein Vater es getan hatte.

„Meinst du nicht, wir finden eine andere Lösung?“ Die Worte blieben ihm fast im Hals stecken, denn der Vorschlag seiner Schwester gefiel ihm nicht im Geringsten! Um genau zu sein, gefiel ihm Julias Idee so wenig, dass ihm selbst die Sache mit dem Stein erstrebenswerter vorkam.

„Schwesterherz, du weißt, dass ich euch über alles liebe, aber ich glaube, ich kann das nicht …“ Er raufte sich die Haare, womit er fast die Sonnenbrille zu Boden befördert hätte, und lauschte dem aufgeregten Redefluss seiner Schwester. „Komm mir nicht mit Mama …“ Wie bereits seit Kindertagen sprach er den Kosenamen nicht englisch, sondern italienisch aus. „Wie soll ich denn dafür sorgen, dass sie die beste Zeit ihres Lebens auf eurem Schiff verbringt?“ Er kickte einen imaginären Stein weg. Automatisch musste er an den nackten Fuß der Fremden denken. Bislang hatte er sich ganz bestimmt nicht für einen Fußfetischisten gehalten, doch diese süßen Zehen hatten irgendetwas in ihm ausgelöst, über das er lieber nicht so genau nachdenken wollte.

„Können wir nicht sagen, dass es einen Fehler im System gab und ihre Kabine leider nicht mehr frei ist?“, schlug er vor, wohlwissend, dass sie der Reporterin damit erst recht eine Angriffsfläche boten. Die Idee seiner Schwester war bei genauerer Betrachtung doch gar nicht so übel. Wenn er dafür sorgte, dass die Frau eine traumhaftschöne Zeit auf dem Schiff verbrachte, dann erhöhte das die Chancen auf einen positiven Bericht ihrerseits. Sein Blick wanderte in Richtung der Gangway. Und genau dort stand sie. Wie ferngesteuert bewegte er sich in Richtung des Rosenbogens. Je näher er kam, desto deutlicher konnte er sehen, wie unwohl sie sich fühlte. Kein Wunder, immerhin passte die Journalistin in ihrer ausgebeulten Jogginghose ungefähr so gut zu all der dekadenten Eleganz wie ein Eisbär in eine Sauna und genauso glücklich wirkte sie auch. Interessiert blickte er sich um. Doch weit und breit war niemand zu entdecken, der aussah, als gehörte er zu der zerzausten Rothaarigen unter dem Rosenbogen.

„Ich melde mich gleich wieder, Schwesterherz.“ Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und schlenderte langsam hinüber zur Gangway. Je näher er kam, desto deutlicher konnte er sehen, dass sein quirliger Rotschopf jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. Wieder blickte er sich suchend um. Hatte sie etwa keinen Ehemann mitgebracht? Was hatte sie sich nur dabei gedacht, allein eine Reise anzutreten, die ausschließlich für Pärchen in den Flitterwochen ausgelegt war? So flog ihre Tarnung doch direkt auf. Sollte ihre Anwesenheit auf dem Schiff vielleicht sogar als Drohung gemeint sein?

„Was ist bloß mit ihrem Haar?“, flüsterte eine Frau neben ihm hörbar ihrem Mann zu. „Ob ihr Friseur krank geworden ist?“

„Vielleicht wurde sie ja vor dem Altar stehen gelassen?“, meinte eine dürre Brünette mit ausgeprägter Hakennase kichernd.

„Die hätte ich aber auch stehen lassen“, mischte sich jetzt einer der dazugehörigen Männer ein und strich sich zufrieden über sein Bäuchlein, das sich unter dem sündhaft teuren Polo-Shirt deutlich abzeichnete. Ethan verzog abfällig die Mundwinkel. Auch wenn er die ketzerische Journalistin mehr hasste als jeden anderen Menschen auf der Welt, wäre er niemals so niveaulos gewesen, öffentlich über sie herzuziehen. Es genügte ihm vollkommen, wenn er es schaffte, Miss Redhead davon zu überzeugen, in allen Hochzeits- und Reisemagazinen der Welt von Fiaba Cruises nur in den höchsten Tönen zu schreiben. Doch dafür musste er erst einmal herausfinden, was die Journalistin vorhatte, und das würde ihm gewiss nicht gelingen, indem er hier herumstand und den anderen Passagieren beim Lästern zuhörte.

Mit geschürzten Lippen betrachtete er die Rothaarige, die wirkte, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Ein prüfender Blick den Kai hinunter sagt ihm, dass es nicht so aussah, als würde der Ehemann der Lady in den nächsten Minuten auftauchen. Ihr gequälter Gesichtsausdruck machte ziemlich deutlich, dass die Frau gerade alles andere als die beste Zeit ihres Lebens hatte. Wenn Ethan nicht wollte, dass die ganze Sache scheiterte, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte, so musste er auf der Stelle handeln!

4. KAPITEL

Nie zuvor in ihrem Leben hatte Ava sich derart geschämt. Nicht einmal bei ihrer Flucht am Abend vor ihrer Hochzeit. Warum ließ die Fotografin sie nicht endlich gehen? Stattdessen stand sie mit einem beflissenen Lächeln auf den Lippen vor ihr und tippte leicht mit dem Fußballen auf den Boden. Das war es also, was Albert Einstein gemeint hatte, als er sagte, Zeit sei relativ.

„Mein Mann verspätet sich …“ Sie hörte selbst, wie piepsig und jämmerlich ihre Stimme klang. „Ich gehe jetzt besser!“

„Aber Mrs. Smith, es wäre doch schade, wenn wir kein Foto von Ihnen hätten. Es ist doch gar kein Problem zu warten“, entgegnete die Fotografin lächelnd. Ihr unglaublich angenehmes Timbre und die weiche Aussprache ließen Ava für eine Sekunde vergessen, dass dieser ominöse Angetraute, auf den alle warteten, niemals eintreffen würde.

„Sollen wir jemanden schicken, der nach Ihrem Mann schaut?“, erkundigte sich der Angestellte des Schiffes mit besorgtem Tonfall. Stumm schüttelte Ava den Kopf. Was sollte sie dem guten Mann auch sagen? Dass ihr Verlobter sich lieber mit ihrer Schwester vergnügte, als sie zu heiraten?

„Irgendetwas wird ihn aufgehalten haben …“ Ein lautes Kichern im Hintergrund ließ Ava verstummen. Nie zuvor hatte sie so gelitten wie in diesem Moment. Weshalb war sie nur so dumm gewesen, allein nach Italien zu fliegen! Sie passte einfach nicht hierher. Champagnerflöten, teure Markenkleidung und Diamanten gehörten in Vince’ Welt. Was sollte eine einfache Kellnerin wie sie auf einem Luxusdampfer? So schnell wie möglich musste sie dieser Hölle entkommen, doch sie war wie gefangen. Die Blicke der sensationslüsternen Pärchen um sie herum hielten sie an Ort und Stelle.

In diesem Moment sah sie eine hochgewachsene Gestalt, die sich aus der Menge der Umstehenden löste. Die dunkle Designersonnenbrille unterstrich sein elegantes Auftreten. Obwohl der Mann lässige Freizeitkleidung trug, umgab ihn eine Aura von Macht und Reichtum, die Ava überall wiedererkannt hätte. Ohne dass sie es wollte, begann ihr Herz zu flattern.

Vielleicht war es der Stress? Anders konnte sie sich nicht erklären, warum ihr ganzer Körper wie elektrisiert auf diesen Mann reagierte, der vor ein paar Minuten noch ihre Zehen malträtiert hatte. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, das einen Betonklotz in geschmolzene Butter hätte verwandeln können. Obwohl seine Augen hinter den dunklen Gläsern versteckt waren, spürte Ava, dass sein Blick auf ihr ruhte.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte er an die Fotografin gerichtet und trat mit ausgebreiteten Armen zu Ava unter den Rosenbogen. Lässig steckte er sich die Sonnenbrille zusammengeklappt in den Ausschnitt seines hellen Leinenhemds.

„Wir haben auf Sie gewartet“, erklärte die Fotografin, wobei ihr professionelles Lächeln im Gegensatz zu ihrem leicht tadelnden Tonfall stand. „Stellen Sie sich bitte neben Ihre Frau!“ Während der Mann noch den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, kam die hochgewachsene Fotografin schon auf sie beide zugeeilt und bedeutete ihnen mit einem Wedeln der Handflächen, dass sie näher zusammenrücken sollten. Vollkommen überrumpelt kam Ava der Aufforderung nach und landete prompt in den Armen des Fremden, da sie über ihre eigenen Füße stolperte.

Sehr gut!“ Begeistert klatschte die Fotografin in die Hände. „Bitte lächeln“, fügte sie in aufmunterndem Tonfall hinzu.

„Ich …“, setzte der Mann neben ihr an und ließ Ava so abrupt los, als wäre sie eine heiße Kartoffel. Doch die Fotografin reagierte augenblicklich.

„Das sah sehr schön aus. Nehmen Sie Ihre Frau ruhig wieder in den Arm!“ Ihre Worte wurden von dem unaufhörlichen Knipsen der Kamera begleitet. „Schauen Sie sich bitte an?“ Die Stimme der Fotografin glich einem Coach, der seine Mannschaft zu Höchstleistungen anfeuerte.

„Sie sind verliebt! Zeigen Sie es!“, zwitscherte sie und ging in die Hocke, um einige Bilder von unten zu schießen.

Ava drehte den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Das Blau seiner Iriden nahm sie vollkommen gefangen. Sosehr sie es auch versuchte, sie konnte den Blick nicht abwenden. Die Augen des Mannes, der sie gerade so fest umschlungen hielt, wirkten wie das Meer an einem Sommertag. Sie luden dazu ein, sich vollkommen in ihnen zu verlieren. Und erst seine Lippen, allein der Gedanke daran, dass er sie küsste, löste ein sehnsuchtsvolles Ziehen in ihrer Mitte aus, das sie in dieser Intensität nie zuvor empfunden hatte.

„Küssen Sie sich doch mal“, schlug die Fotografin vor, gerade so, als hätte sie Avas Gedanken gelesen.

„I…ich weiß nicht, ob das wirklich nötig ist …“, stotterte Ava, während alles in ihr dem Wunsch der Fotografin nachkommen wollte. Ihre Lippen sehnten sich danach, von den seinen berührt zu werden. Vollkommen unangebracht, wenn man bedachte, dass sie den Mann überhaupt nicht kannte. Himmel, sie wusste ja noch nicht einmal seinen Namen.

Der Fremde schaute sie weiterhin unverwandt an. Fasziniert beobachtete Ava das Wechselspiel an Emotionen, das in seiner Miene zu sehen war. Im ersten Augenblick wirkte es, als wollte er sie heftig von sich stoßen, doch dann änderte sich der Ausdruck schlagartig, und er verstärkte den Druck seiner Hand, die auf ihrem Rücken ruhte. Es war, als würde die Welt stehen bleiben. Normalerweise wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, einen Schritt zurückzutreten. Sich zu entschuldigen und nach Hause zu fahren. Das hier war eine Nummer zu groß für sie.

Vielleicht lag es an der geplatzten Hochzeit oder daran, dass ihre Schwester wieder einmal bekommen hatte, was eigentlich ihr zustand. Doch hier und jetzt hatte sie keine Lust mehr, die bedauernswerte Ava zu sein. Auch sie konnte mutig sein, und genau jetzt war der richtige Zeitpunkt, damit anzufangen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und stellte sich leicht auf die Zehenspitzen. Entschlossen reckte sie das Kinn. Das Erstaunen in den Augen des Fremden vor ihr wich etwas anderem, das sie nicht deuten konnte. Atemlos starrte sie ihn an. Würde er sie auffliegen lassen? Vor all den anderen Gästen? Bebend stellte sie fest, dass sie die Luft anhielt. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht, sich ihm so offensichtlich anzubieten? Ava spürte, wie alle Kraft sie verließ. Das alles hier war eine überaus dumme Idee von ihr gewesen. Sie musste wieder nach Hause fahren …

Doch in diesem Moment trat Entschlossenheit in die tiefblauen Augen des Mannes. Der Fremde beugte sich leicht vor, strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und raunte mit einem Timbre, das ihr lustvolle Schauer durch den Körper jagte: „Bereit, eine Show zu liefern, die sie alle so schnell nicht vergessen werden?“ Ava nickte stumm, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, das ihre Knie in Wachs verwandelte. Der Druck auf ihrem Rücken verstärkte sich noch einmal. Mit der anderen Hand griff er in ihre Haare, während seine Lippen die ihren fanden und in ihrem Innern eine Supernova an Empfindungen explodierte. So hatte sich also Dornröschen gefühlt, als der Prinz sie nach jahrelangem Tiefschlaf endlich wachgeküsst hatte.

Was zur Hölle war bloß in ihn gefahren? Wie konnte er diese Frau nur küssen? Immerhin gab es niemanden auf der Welt, den Ethan mehr hasste! Er hatte lediglich der Bitte seiner Schwestern nachkommen wollen, der Frau eine wundervolle Zeit auf dem Schiff zu bereiten. Sein Plan war es gewesen, Miss Redhead aus den demütigenden Fängen der Fotografin zu retten, und nicht, sich als ihr Ehemann auszugeben!

Es lag an ihren Augen! Ethan konnte nicht aufhören, sie anzuschauen. Selbst jetzt, da er sie sanft auf die Lippen küsste, bewunderte er fasziniert die goldenen Sprenkel in ihren grünen Iriden. Was hatte es nur mit diesen Smaragden auf sich, dass sie ihn derart in den Bann zogen? Dass Ethan sich sogar dazu hatte hinreißen lassen, sie zu küssen? Der verwirrte Gesichtsausdruck der Journalistin besagte deutlich, dass sie selbst von der Wendung der Ereignisse zutiefst überrascht war. Kein Wunder, er wusste ja selbst nicht so genau, was hier passierte.

„Bellisimo“, sagte die Fotografin seufzend und fügte noch ein „perfetto“ hinzu, während sie nach einer anderen Kamera griff. Obwohl jetzt der passende Moment gewesen wäre, den ungeplanten Kuss zu unterbrechen, zog Ethan die zierliche Frau in seinen Armen noch fester an sich. Mit einer tiefen Zufriedenheit nahm er das leise Seufzen wahr, das sie von sich gab, als er mit der Zunge in ihren Mund eindrang. Seine rechte Hand legte er an ihren Hinterkopf und schob die Finger in ihr ohnehin schon zerzaustes Haar.

Ava brannte, stand lichterloh in Flammen. Jede Zelle ihres Körpers vibrierte; sie war nicht mehr dazu...

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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Amanda Cinelli
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