Romana Extra Band 37

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EINE WINTERLIEBE IN MAILAND von FIELDING, LIZ
Angelica kann ihr Glück nicht fassen: Erst küsst der attraktive Italiener Dante sie heiß, dann besorgt er ihr auch noch einen Job. Und weil sie nicht mal ein Apartment in Mailand hat, bietet er ihr sogar einen Platz zum Schlafen an! Aber geht das nicht alles viel zu schnell?

WEN KÜSST DER PRINZ UM MITTERNACHT? von WILSON, SCARLET
Zu spät erfährt Ruby, wer der geheimnisvolle Fremde ist, in den sie sich in der Silvesternacht in Paris verliebt hat: Alexander, Kronprinz von Euronia! Ganz schnell sollte Ruby ihn vergessen. Doch der Mitternachtskuss des Prinzen geht ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf …

UNTER TAUSEND STERNEN DER KARIBIK von WILLIAMS, CATHY
Bisher war seine Assistentin Emily wie eine Eiskönigin: bezaubernd schön, aber komplett unnahbar. Jetzt will der argentinische Milliardär Leandro Perez sie endlich erobern und ihr kaltes Herz erwärmen! Unter tausend schimmernden Sternen in der Karibik …

TRAUMURLAUB MIT DOMINIC von LYONS, MARY
Wunderbare Tage in den französischen Alpen erlebt Olivia mit Dominic. Doch trotz aller romantischen Sonnenuntergänge, trotz aller zärtlichen Küsse: Sie darf sich nicht in ihn verlieben! Schon einmal hat er sie enttäuscht. Olivia ist gewarnt - und dennoch wehrlos vor Sehnsucht …


  • Erscheinungstag 29.12.2015
  • Bandnummer 0037
  • ISBN / Artikelnummer 9783733742546
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding, Scarlet Wilson, Cathy Williams, Mary Lyons

ROMANA EXTRA BAND 37

LIZ FIELDING

Eine Winterliebe in Mailand

Oh mein Gott, sie wird ohnmächtig! In letzter Sekunde rettet Dante die zarte Angelica. War sein Kuss schuld daran – oder die Erkenntnis, dass sie Betrügern aufgesessen ist? In beiden Fällen will er helfen …

SCARLET WILSON

Wen küsst der Prinz um Mitternacht?

Während die Menge in Paris ausgelassen das neue Jahr begrüßt, macht Kronprinz Alex etwas sehr Dummes: Er küsst die schöne Ruby, die er erst seit einer halben Stunde kennt. Einmal frei und verliebt sein …

CATHY WILLIAMS

Unter tausend Sternen der Karibik

Cathy Williams

MARY LYONS

Traumurlaub mit Dominic

Er hat Olivia wiedergefunden: Dominic ist überglücklich, denn seine große Liebe hat er nie vergessen. Doch selbst als sie einen romantischen Urlaub in einem Alpenchalet verbringen, bleibt Olivia abweisend. Warum?

1. KAPITEL

„Das Leben ist wie Eis essen an einem heißen Tag. Genieße es, bevor es schmilzt.“ (aus Rosies kleiner Eisfibel)

Es war spät, und feiner Schneeregen schlug Geli ins Gesicht, als sie die Metrostation Porta Garibaldi in Mailand verließ. Eigentlich hatte sie für die letzte kurze Wegstrecke ihrer Reise ein Taxi nehmen wollen, aber da heute bereits alles schiefgelaufen war, rechnete sie nicht damit, vor dem Bahnhof eines ergattern zu können.

Fantastisch! Es stand keins da.

In Longbourne, von wo aus sie aufgebrochen war, hatte der Frühling bereits in der Luft gelegen, und in Italien sollte es noch wärmer sein – jedenfalls hatte sie das angenommen, und so versprachen es auch die Reiseprospekte. Wäre sie schlau genug gewesen, die Wetterlage in Norditalien zu überprüfen, hätte sie dickere Kleidung angezogen und Leggins statt der zarten Nylonstrumpfhose.

Den Angaben im Internet zufolge sollte es bis zu ihrem gemieteten Apartment nur ein Fußweg von zehn Minuten sein. Kein Problem, das würde sie schaffen und den Regen würdig ertragen. Sie studierte den Stadtplan, zog die weite Kapuze ihres Mantels über den Kopf und marschierte los. Ihren Koffer rollte sie hinter sich her, die große Umhängetasche trug sie über der Schulter.

Ein neues Land. Ein neuer Anfang. Ein neues Leben.

Anders als ihre Schwestern Elle und Sorrel, die verheiratet waren, Familien hatten und mit ihrem expandierenden Eisgeschäft ein geregeltes Leben führten, ging Geli einer ungewissen Zukunft entgegen. Ein italienischer Sprachführer und tausend Ideen waren das Einzige, was sie für das bevorstehende Abenteuer mitbrachte. Natürlich hatte sie auch ein wenig Angst, vielleicht mehr, als sie zugeben wollte, aber das gehörte einfach dazu. Sie war eben das Nesthäkchen der Familie.

„Scusi!“

„Entschuldigung … äh … scusi.“ Geli rollte ihren Koffer nach rechts, um einem eiligen Passanten Platz zu machen. Erst jetzt entdeckte sie im Licht der Straßenlaternen die bunten Malereien auf dem Gehweg. Ihr Herz schlug höher. Trotz des eisigen Regens wusste sie wieder, warum sie nach Italien gekommen war. Nach Mailand. Nach Isola.

Seit sie in einer Zeitschrift auf diesen nördlichen Stadtteil Mailands gestoßen war, wo sich Künstler, Musiker und Designer tummelten, war sie nicht mehr davon losgekommen. Hier konnte sie endlich ihre Flügel ausbreiten, mit Mode experimentieren, etwas Neues schaffen – und sich vielleicht sogar verlieben. Natürlich nicht wirklich. Nur so zum Zeitvertreib.

Nach zwanzig Minuten war ihr Gesicht vor Kälte erstarrt. Der Wind drang sogar bis unter ihre Kapuze, die modisch wirkte, aber nicht unbedingt praktisch war. Von wegen zehn Minuten Fußweg! Sie fand sich nicht mehr zurecht, und ihre Schritte wurden langsamer.

Was hätte Elle, ihre älteste Schwester, jetzt gesagt? „Du bist zu ungeduldig, Geli. Warum hast du nicht auf ein Taxi gewartet?“

Ja, warum nicht? Weil sie in Abenteuerlaune war, und der Weg an sich keine Schwierigkeiten bot. Sie hatte sich die Straßennamen und die Abzweigungen eingeprägt. Noch einmal nach rechts – und sie musste eigentlich direkt vor ihrem Apartment landen.

Leider war das nicht der Fall.

Statt auf ein fünfstöckiges, rosa angestrichenes Mietshaus stieß sie auf eine Bretterwand, die einen Bauplatz umgab. Grund zur Panik? Von wegen. Wahrscheinlich war sie einmal falsch abgebogen. Sie war an mehreren Durchgängen vorbeigekommen, von denen einer vielleicht in die richtige Straße führte. Also kehrte sie um und wählte den größten Durchgang, den sie passierte. Der erweiterte sich allerdings nicht zu einer Straße, sondern führte auf einen matt erleuchteten Hinterhof, in dem Kisten aufgestapelt waren, die offenbar zu einem Laden gehörten. Etwas bewegte sich im Dämmerlicht, und eine Kiste fiel von dem Stapel herunter.

Erschrocken blieb Geli stehen. Höchste Zeit, einen Blick auf den Stadtplan zu werfen! Sie zog sich unter den Torbogen zurück und kramte die kleine Taschenlampe heraus, die ihr wanderfreudiger Schwager ihr für die Reise mitgegeben hatte.

Ein klägliches Miauen drang an ihr Ohr. Geli suchte mit der Taschenlampe die Umgebung ab und entdeckte ein Kätzchen, das mit nassem Fell und bis auf die Knochen abgemagert in einer Ecke des Torbogens kauerte.

„He, Schätzchen“, sagte sie leise und wollte das Kätzchen greifen, aber es wich zurück. „Ich weiß, wie du dich fühlst. Du bist viel zu klein, um in einer solchen Nacht allein unterwegs zu sein.“

Das arme Geschöpf, das völlig durchnässt war und bestimmt stärker fror als Geli, antwortete mit noch kläglicherem Miauen. Geli hatte im Flugzeug ein Käsesandwich gekauft, war aber zu aufgeregt gewesen, um es zu essen. Jetzt packte sie es aus, brach ein Stück ab und hielt es dem Kätzchen hin. Der Hunger besiegte die Angst. Das Tier kam näher und leckte gierig an der Butter.

Geli gab ihm noch ein Stück und konzentrierte sich dann wieder auf den Stadtplan. Wo sie falsch abgebogen war, ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Sie musste im Geschäftsviertel gelandet sein, wo über Nacht alles geschlossen war.

Signora Franco, ihre Vermieterin, anzurufen, wäre sinnlos gewesen. Sie sprach genauso schlecht Englisch wie Geli Italienisch. Eins von Isolas berühmten Cafés aufzusuchen, versprach mehr Erfolg. Dort war es warm und hell, und die Gäste kannten sich in der Umgebung aus.

Sie trat auf die Straße hinaus und sah sich um. Hinter ihr miaute das Kätzchen. Es war noch zu jung, um allein zu überleben. Aber wohin mit ihm? Kurz entschlossen hob Geli es auf und steckte es in eine ihrer großen Manteltaschen.

Morgen würde sie zurückkommen und jemanden suchen, der sich des armen Geschöpfs annahm. Jetzt musste sie erst mal Menschen finden, bei denen sie ihr mangelhaftes Italienisch ausprobieren konnte. „Dov’ è Via Pepone?“ Sie hatte die Frage auswendig gelernt, musste sich aber darauf gefasst machen, von der Antwort nichts zu verstehen.

Sie steckte die Taschenlampe und den nutzlosen Stadtplan ein und ging bis zu der Hauptstraße zurück, die direkt zum Bahnhof führte. Die Fotos, die sie im Internet gesehen hatte, waren im Sommer aufgenommen worden: eins von einem Jazzfestival, eins vom öffentlichen Park und mehrere von einladenden Restaurants, in denen sich die Gäste zwanglos versammelten. Eine großartige Atmosphäre. Einfach perfekt.

Schade, dass sie in der falschen Jahreszeit und zur falschen Stunde angekommen war. Alles war ruhig und grau. Aber endlich entdeckte sie auf der anderen Straßenseite, am Rand einer Piazza, doch ein Café mit beschlagenen Fenstern, durch die leise Musik drang. Es handelte sich um das Café Rosa, das für seine Jazzkonzerte, seine Cocktails und die Künstler berühmt war, die dort gern herumhingen und sich an den Wänden verewigten.

Erleichterter, als Geli sich eingestehen wollte, rollte sie ihren Koffer über das Kopfsteinpflaster und stieß die Tür auf. Wohlige Wärme strömte ihr entgegen. Es roch nach guter italienischer Küche, die Espressomaschine zischte und auf einem kleinen Podium in einer Ecke spielte eine Combo. Unregelmäßig verteilte Tische standen umher, voll besetzt mit Gästen, die aßen, tranken und sich unterhielten. An der Theke lehnte ein großer, dunkelhaariger Mann und sprach mit der Barfrau.

Einige Gäste drehten sich um, als Geli hereinkam. Andere machten es ihnen nach, und plötzlich war nur noch das tiefe Summen der Bassgeige zu hören. Der Mann an der Bar drehte sich um. Er wollte feststellen, warum alle Gäste verstummt waren, und sein Anblick raubte Geli buchstäblich den Atem. Sie hatte seine Stimme noch nicht gehört, kannte seinen Namen nicht und war noch nicht von ihm berührt worden, und doch erfasste sie ein so leidenschaftliches Verlangen nach ihm, dass sie fast die Besinnung verlor.

Er richtete sich auf und war nun besser zu erkennen. Die Augen waren von einem warmen Dunkelbraun, das tiefschwarze, leicht gelockte Haar fiel ihm bis in den Nacken. Die Schultern waren breit, die Arme kräftig.

„Signora …“, sagte er leise und machte ihr an der Bar Platz. Wow! Seine Stimme passte perfekt zu seinem Gesicht und seiner Statur.

Vielleicht wäre Geli ohnmächtig geworden, wenn nicht eine stattliche Blondine in diesem Moment Mr Italy in einem winzigen Tässchen den Espresso serviert und sich anschließend ihr zugewandt hätte.

„Sta nevicando? E brutto tempo.“

Wie bitte?

So ein Mist …

Der Satz war in dem Sprachkurs, den Geli im Internet heruntergeladen und auf ihr Smartphone überspielt hatte, nicht vorgekommen. Verwirrt schlug sie die Kapuze zurück. Einige Regentropfen landeten auf ihrem Gesicht und brachten sie wieder zur Besinnung. Sie schob ihren Koffer beiseite und ging zögernd an die Bar.

„Cosa prendi, signora?“

Super, das verstand sie sogar. „Einen … äh … un espresso … s’il vous plaît …“ Geradezu genial, diese Sprachmischung! „Nein, ich meine …“

Ach, zum Teufel!

Die Blondine lächelte. „Keine Sorge, ich habe schon verstanden.“ Sie sprach mit australischem Akzent.

„Gott sei Dank, Sie sind Engländerin … nein, Australierin. Ich habe versucht, mein Italienisch aufzupolieren – als Studentin habe ich einen Monat in der Toskana verbracht –, aber auf der Schule haben wir Französisch gelernt, und das fällt mir leichter, wenn ich aufgeregt bin.“

„Warten Sie die erste Woche ab“, prophezeite die Blondine. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

„Sie könnten mir bei der Suche nach einer Adresse weiterhelfen.“ Gelis Verwirrung steigerte sich mit jeder Sekunde. Die erotische Aura, die Mr Italy umgab, war einfach überwältigend! Sie wagte keinen Blick in seine Richtung. Ob er sie betrachtete?

„Sie haben sich verirrt, signora?“, fragte er.

Sein Italienisch hatte einfach göttlich geklungen, aber auch sein Englisch, mit starkem italienischen Akzent, konnte sich hören lassen.

„Nein, nicht direkt, aber …“ Geli riss sich zusammen und konzentrierte sich voll auf ihr Problem. Sie nahm den Stadtplan und die Unterlagen für das gemietete Apartment aus ihrer Umhängetasche und breitete alles auf der Theke aus. Mr Italy warf ihr einen kurzen Blick zu – er hatte wirklich fantastische braune Augen! – und beugte sich dann über die Karte.

„Nicht direkt?“, wiederholte er.

Geli war immer noch unfähig zu sprechen, aber das war er sicher gewohnt von Frauen, die in seine Nähe kamen. Alles an ihm, seine ganze Erscheinung, konnte nur eins bedeuten: höchste Gefahr. Ihn näher kennenzulernen, würde sich trotzdem lohnen. Er versprach ein wildes Abenteuer und sah sie an, als wolle er sofort damit beginnen.

„Ich weiß genau, wo ich bin, signore“, antwortete sie und ließ sich weiter von seinem Blick gefangen nehmen. Wie zum Beweis, zog sie den rechten dünnen Lederhandschuh, der sie kaum gewärmt hatte, aus und tippte mit einem rot lackierten Fingernagel auf die Karte. „Hier.“

„Nein“, widersprach er, nahm ihre Hand und führte sie zwei Zentimeter weiter nach links. „Sie sind hier.“

Seine Hand wärmte ihre klammen Finger. Er hatte große, schlanke Hände und trug keinen Ring. Die Haut war leicht gebräunt und hob sich deutlich von ihrem hellen Teint ab. Geli fragte sich, wie diese Hände auf ihrer Brust wirken würden. Wie sie sich anfühlen würden …

Atmen, tief durchatmen …

Sie räusperte sich und erklärte in übertrieben forschem Ton: „Auf dem Plan gleicht eine Piazza der anderen. Ich scheine sie alle verpasst zu haben …“

„Und doch sind Sie hier.“

Ja, sie war hier und erlag dem Blick der dunklen Augen, die fast so schwarz waren wie der Espresso in seiner Tasse.

Das Café existierte nicht mehr. Die bunten Etiketten auf den Flaschen, das Funkeln der Gläser verschwammen vor Gelis Augen, das Klirren der Bestecke und das Brummen der Bassgeige vermischten sich in ihren Ohren zu einem einzigen Klangrausch. Sie fühlte nur noch den warmen Druck seiner Hand und sah ihr Spiegelbild in seinen Augen. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen – dann ließ er ihre Hand los, griff nach der Tasse und leerte sie in einem Zug. Vorsichtig stellte er sie wieder hin.

„Welches Ziel haben Sie, signora?“

„Hier … dieses.“ Sie tippte auf den Zettel, auf dem sie den Straßennamen notiert hatte, aber die schmelzenden Schneeflocken hatten die Tinte verwischt und die Schrift unlesbar gemacht.

„Nennen Sie Dante die Adresse“, schlug die Blondine vor und brachte Geli den gewünschten Espresso. „Dann zeigt er Ihnen die Richtung. Er kennt hier jeden Winkel.“

„Dante?“, wiederholte Geli. „Genau wie im Inferno?“ Kein Wunder, dass er diese Ausstrahlung hatte!

„Wollen Sie jemanden besuchen?“, erkundigte sich Dante, ohne die Frage zu beantworten.

„Nein.“ Inferno … sie hätte sich ohrfeigen können. Wie oft musste er das schon gehört haben! „Ich bin nach Mailand gekommen, um zu arbeiten. Mein Mietvertrag gilt für ein Jahr. Angelica Amery … genannt Geli“, fügte sie hinzu und streckte die Hand aus, ohne an die Folgen zu denken.

Mr Italy drückte ihre Hand und hielt sie fest. „Dante Vettori.“ Aus seinem Mund klang der Name wie die reine Verführung. „Sie heißen Jelly … wie das glibberige Zeug, das die Engländer ihren Kindern auf Geburtstagspartys einflößen?“

Nach der dummen Inferno – Bemerkung hatte sie das wohl verdient, aber so leicht würde er nicht davonkommen. „Amerikaner streichen sich Gelee auf die Erdnussbutter“, konterte sie und zog die Augenbrauen so spöttisch hoch wie er. Ihr erstes aufregendes Erlebnis in Mailand! War sie deswegen nicht hergekommen?

„Noch schlimmer“, entschied er und lächelte. Die Grübchen in seinen Mundwinkeln vertieften sich dabei. Sollte er sie doch nennen, wie er wollte – wenn er nur dabei lächelte.

„Geli ist die Koseform von Angelica“, erklärte sie. „Wie in Angelica archangelica … der Arznei-Engelwurz. Sie kennen diese Pflanze vermutlich nur wegen ihrer Stängel, die man kandieren kann … als Schmuck für die Torten, mit denen man kleine Kinder auf Geburtstagspartys vollstopft.“

Er lachte. Es war ein volles, warmes Lachen, das seine Wangenknochen stärker hervortreten ließ und dabei die volle Aufmerksamkeit auf seine Lippen lenkte. Besonders auf die Unterlippe, die sie gern geküsst hätte …

Energisch griff sie nach ihrer Tasse und leerte sie ebenfalls in einem Zug. Italienischer Stil, dachte sie dabei. Der Espresso war jedoch heißer, als sie vermutet hatte, und vertrieb mit einem Schlag alle lustvollen Fantasien.

„Ursprünglich wollte ich ein Taxi nehmen.“ Sie krächzte ein wenig. Der Espresso war wirklich zu heiß gewesen. „Leider stand keins an der Porta Garibaldi, und bis zur Via Pepone sollte es nur ein kurzer Fußweg sein.“

„Bei schlechtem Wetter gibt es selten ein Taxi“, warf die Blondine ein, während Dante mit gerunzelter Stirn den Prospekt durchblätterte, auf dem das rosa angestrichene Mietshaus abgebildet war, in dem Geli wohnen sollte. „Trotzdem … willkommen in Isola. Ich bin Lisa Vettori und gehöre zum australischen Zweig der Familie. Dante ist mein Cousin und der Besitzer des Café Rosa … was niemand merkt, solange er auf der falschen Seite der Bar herumlungert.“

„Ich bezahle dir genug, um hier stehen zu dürfen“, erklärte Dante.

Lisa wischte mit einem weichen Tuch über die blitzblanke Marmortheke. „Haben Sie einen Job in Aussicht, Geli?“

„Einen Job?“

„Sie sagten, Sie wollen in Mailand arbeiten. Haben Sie schon einmal in einem Café bedient? Ich werde ein paar Wochen verreisen, es wäre also nur vorübergehend, aber …“

„Sie müssen hungrig sein, wenn Sie den ganzen Tag unterwegs waren“, fiel Dante seiner Cousine ins Wort. „Wir nehmen das Risotto, Lisa.“

Er raffte die Papiere zusammen und steuerte auf einen Zweiertisch zu, der etwas abseits in einer Ecke stand.

2. KAPITEL

„Nichts ist tröstlicher als ein guter Freund, wenn man in Not ist … höchstens ein guter Freund mit Eiscreme.“ (aus Rosies kleiner Eisfibel)

Geli rührte sich nicht. Sie war so überrascht, dass sie wie angewurzelt stehen blieb. Gut, sie hatte vielleicht etwas zu heftig geflirtet, aber sie so zu überfahren …

Dante rückte einen Stuhl zurecht und wartete auf sie. Diese Arroganz! Glaubte er vielleicht, sie würde ihm so ohne Weiteres folgen?

„Angelica!“

Niemand rief sie sonst bei ihrem vollen Namen, aber Dante sprach „An…dschelika“ so weich und zärtlich aus, dass sie dem Ruf folgte, als würde sie an einem unsichtbaren Band gezogen.

„Geben Sie mir Ihren Mantel. Ich hänge ihn zum Trocknen auf.“

Es war bereits spät. Sie hätte längst wieder unterwegs sein müssen – ein guter Grund, um die Einladung abzulehnen. Doch gute Gründe wirkten nicht mehr zwingend, seit sie das Café Rosa betreten hatte. Also legte sie ihre Umhängetasche ab und zog langsam auch den zweiten Lederhandschuh aus.

Dante verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie legte den Handschuh neben den anderen und begann – wieder bewusst langsam – die Jettknöpfe zu lösen, die ihren Mantel in der Taille zusammenhielten. Es waren zwölf, aber Dantes Interesse ließ nicht nach, bis die schräg zusammengesetzten Stoffbahnen aus Samt, Kaschmir und Wildleder auseinanderfielen. Sie endeten vorn kurz unterhalb der Knie und berührten hinten fast den Boden. Darunter trug sie ein schwarzes Minikleid, das nur etwa die Hälfte der Oberschenkel bedeckte.

Sie wartete einige Sekunden, zählte innerlich bis drei und ließ den Mantel dann über die Schultern gleiten. Ihre Rechnung ging auf. Dante griff danach und fing ihn auf.

„Ich werde den Mantel auf die Heizung legen“, schlug er vor. „Dann trocknet er schneller.“

„Bist du verrückt?“ Lisa ließ das Besteck, das sie gerade abtrocknete, fallen und kam angeschossen. „So einen Mantel legt man nicht auf den Heizkörper, als sei es ein alter, zerschlissener Trenchcoat! So ein Stück kostet ein Vermögen und muss sorgsam behandelt werden.“ Sie überprüfte das Logo. „Dark Angel. Angel … Angel …“ Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Sind Sie damit gemeint, Geli?“

„Erraten.“ Geli war froh über die Ablenkung. Gegen einen unverbindlichen Flirt mit einem Mann war gewiss nichts einzuwenden, aber wenn so schnell mehr daraus wurde … „Dark Angel ist mein persönliches Logo.“

„Sie sind Modedesignerin?“

„Nicht so ganz. Ich entwerfe Einzelstücke. Eigentlich habe ich Kunstgeschichte studiert, aber Kleider zu entwerfen, war schon immer meine Leidenschaft. Jetzt versuche ich, beides zu verbinden.“

„Mode unter künstlerischem Gesichtspunkt.“ Lisa nickte. „Das gefällt mir.“

„Hoffentlich nicht nur Ihnen.“

„Wenn so etwas dabei herauskommt …“, Lisa strich bewundernd über den Mantel, „… bestimmt nicht. Haben Sie das Halsband auch selbst entworfen?“

Geli berührte das viktorianische, aus Jett-Steinen und Spitze kombinierte Band, das sie um den Hals trug. „Ich habe es aus Resten zusammengesetzt“, erklärte sie. „Das Kleid stammt von einem Kirchenbasar … natürlich leicht verändert, und die Stoffe für den Mantel haben sich im Lauf der Jahre einfach angesammelt.“

„Mein Kompliment. Isola ist genau das Richtige für Sie. Nachhaltigkeit und Recycling werden hier großgeschrieben.“

„Darum bin ich hergekommen. Ich möchte gern mit gleich gesinnten Menschen zusammenarbeiten.“

„Und ich wollte Sie hinter die Bar stellen!“ Lisa verdrehte die Augen. „Wenn Sie etwas ausstellen wollen, weiß Dan bestimmt eine Lösung.“ Sie sah ihren Cousin an, aber er zeigte keine Reaktion. „Na gut … dann werde ich erst mal einen Bügel für den Mantel besorgen.“ Sie ging, drehte sich aber gleich wieder um. „Mein Gott, Geli … in dem Mantel bewegt sich etwas.“ Sie ließ das kostbare Stück fallen und fuhr zurück. „Eine Ratte!“

Die Musiker unterbrachen ihr Spiel, und alle Gäste drehten sich gleichzeitig um. Das verängstigte Kätzchen befreite sich aus der Manteltasche und flüchtete in eine Ecke. Alles schrie. Einige Frauen sprangen auf und kletterten auf ihre Stühle.

„Keine Aufregung!“ Geli eilte dem Kätzchen nach und hob es auf, bevor jemand es verletzen konnte. Es kratzte und biss mit seinen spitzen Zähnchen so fest zu, dass ihr Daumen zu bluten begann. „Es ist nur eine junge Katze … uno kitty.“ Da sie offenbar nicht verstanden wurde, hielt sie das Tier hoch, sodass alle es sehen konnten.

Sein Fell war inzwischen getrocknet, aber immer noch arg mitgenommen. Niemand schien zu glauben, dass es sich wirklich nur um ein Kätzchen handelte. Eine Frau schrie so hysterisch, dass Dante kurzerhand einen Arm um Gelis Taille legte und sie durch eine Hintertür hinausführte.

Draußen war es seltsam still. „Uno … kitty?“, fragte er und beugte sich fast bedrohlich über sie.

„Ich weiß nicht, was Kätzchen auf Italienisch heißt“, entschuldigte sie sich, von der plötzlichen Wendung noch ganz verwirrt.

„Gattino“, übersetzte er. „Aber Lisa hat recht: Das elende Geschöpf gleicht mehr einer halb ertrunkenen Ratte.“

„Ich habe es, vor Kälte zitternd, in einer Toreinfahrt gefunden und musste es einfach mitnehmen.“

„Vielleicht, aber streunende Katzen oder Ratten … Die Gesundheitspolizei macht da keinen großen Unterschied.“

„Das verstehe ich“, räumte Geli ein. „Ich wollte ja auch nur kurz hereinkommen, um mich nach dem Weg zu erkundigen.“

Hinter ihnen ging die Tür auf, und Lisa erschien. Sie trug Gelis Mantel und Tasche über dem Arm. Den Koffer rollte sie hinter sich her.

„Haben sich die Gäste beruhigt?“, fragte Dante.

„Ich habe allen ein Gratisgetränk spendiert. Das ist in solchen Fällen am wirksamsten.“

Geli verzog das Gesicht. „Das ist meine Schuld. Ich bezahle die Drinks.“

„Auf keinen Fall“, erklärten Lisa und Dante wie aus einem Mund, und Lisa fuhr fort: „Regel Nummer eins in der Gastronomie: Schrei nicht, wenn du eine Ratte siehst. Regel Nummer zwei: Schrei nicht: ‚Eine Ratte!‘ Leider glich das struppige grauhaarige Knäuel so sehr den verhassten Nagern … Mein Gott, Geli. Sie bluten ja!“

Geli betrachtete ihren verletzten Daumen. „Kein Grund zur Sorge. Das Kätzchen hatte panische Angst.“

„Wer weiß, wo es sich herumgetrieben und was es gefressen hat. Kommen Sie mit nach oben. Ich reinige die Wunde.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, protestierte Geli, der die Situation immer peinlicher wurde. „Es ist schon spät, und Signora Franco, bei der ich die Wohnung gemietet habe, wartet sicher schon auf mich, um mir den Schlüssel zu geben. Ich hätte sie angerufen, um meine Verspätung zu erklären, aber ihr Englisch ist noch schlechter als mein Italienisch.“

Sie sah auf die Uhr. Sie hatte ihren Schwestern versprochen, von ihrer neuen Wohnung aus anzurufen, und jetzt war es bereits nach zehn. Dass ihr Flugzeug verspätet gestartet war, wussten sie bereits, aber inzwischen würden sie sich fragen, wo sie abgeblieben war.

„Machen Sie sich wegen Signora Franco keine Sorgen“, meinte Dante.

„Aber …“

„Die Via Pepone gibt es nicht mehr. Die Häuser wurden abgerissen, um einem Bürokomplex Platz zu machen. Ich hätte es Ihnen gern schonender beigebracht, aber das Apartment, das Sie gemietet haben, existiert nicht.“

Es dauerte eine Weile, bis Geli den Sinn dieser Worte begriffen hatte. Es gab keine Via Pepone mehr? Kein Apartment? „Das muss ein Irrtum sein. Ich habe persönlich mit Signora Franco gesprochen …“

Dante nahm Lisa Mantel und Tasche ab. „Geh nach oben, Lis, und such einen Karton für Rattino, bevor er noch mehr Schaden anrichtet.“

Geli war immer noch geschockt. „Vielleicht heißt die Straße anders“, brachte sie zögernd vor und versuchte zu vergessen, dass ihr Weg sie zu einem Bauplatz geführt hatte. „Vielleicht ist es ein Druckfehler …“

„Wir müssen Ihre Hand versorgen“, unterbrach Dante sie. „Sind Sie gegen Tetanus geimpft?“

„Gegen Teta…? Oh, ja.“ Sie folgte Dante und Lisa die Treppe hinauf. Die beiden hatten recht. Eine Infektion konnte sie gerade wirklich nicht gebrauchen. „Es tut mir leid wegen des Kätzchens. Aber es wäre sicher über Nacht gestorben, wenn ich es nicht mitgenommen hätte.“

„Und da haben Sie es einfach in die Tasche ihres kostbaren Mantels gesteckt.“ Das klang, als bewunderte er das extravagante Stück. „Tun Sie das öfter?“

„Regelmäßig“, gab Geli zu. „Manteltaschen, Handtaschen, Einkaufstaschen oder mein Fahrradkorb … mir ist alles recht. Meine Schwestern haben eine Weile dagegen gewettert, aber mich irgendwann als hoffnungslosen Fall aufgegeben.“

„Und sind Ihre kleinen Schützlinge immer so widerspenstig?“

„Sie wehren sich, weil sie Angst haben.“

Sie stiegen die Treppen hinauf bis zu einer Tür im zweiten Stock. Dante zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür und ließ Geli den Vortritt.

Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartet hatte. Ihr Denkvermögen hatte seit der Begegnung mit Dante praktisch ausgesetzt. Sie hatte so stark auf ihn reagiert, dass alles andere in den Hintergrund getreten war.

Lagen hier oben die Zimmer für das Personal?

Oder vielleicht doch nicht?

Sie kam in einen Flur mit Garderobenhaken an der einen und einem Schuhbord an der anderen Wand. Dante hängte ihren Mantel neben eine abgetragene gewachste Männerjacke, ging weiter und öffnete die letzte, geradeaus liegende Tür. Sie führte in ein Apartment, das eindeutig von einem Mann bewohnt wurde.

Auf dem geschliffenen Holzfußboden lagen bunte nordafrikanische Webteppiche. An den Wänden, über vollgestopften Bücherborden, hingen moderne Bilder. Ein Holzofen verströmte angenehme Wärme, davor stand ein riesiges altes Ledersofa, das zum Ausruhen einlud. Es hatte breite, abgerundete Armlehnen – wunderbar geeignet, um sich in die Ecken zu kuscheln, dachte Geli.

„Wohnen Sie hier?“, fragte sie unnötigerweise.

„Ja.“ Dante warf ihre Tasche auf das Sofa. „Es gilt als kleinbürgerlich, über dem eigenen Geschäft zu wohnen, aber mir gefällt es.“

„Wer so etwas behauptet, der spinnt.“

„Spinnt?“, wiederholte er in fragendem Ton. Offenbar kannte er das Wort nur in der ursprünglichen Bedeutung.

„Redet totalen Unsinn“, erklärte Geli. Sie sah sich genauer um. „Genau so möchte ich mich eines Tages einrichten: Die eigene Wohnung im zweiten Stock, die Werkstatt im ersten und die Ausstellungsräume im Erdgeschoss. Dabei war mein Urgroßvater der jüngere Sohn eines Grafen …“

„Eines Grafen?“

Hatte das vielleicht zu angeberisch geklungen? „Meine Großmutter wollte von dem adligen Getue nichts mehr wissen“, versicherte sie schnell, „und heiratete unter ihrem Stand. Seitdem haben wir nichts mehr mit dem adligen Zweig unserer Familie zu tun.“

„Wurde Ihre Großmutter enterbt?“

Geli nickte. „Es waren genug andere Kinder da, die ihren Eltern besser gehorchten.“

So viel hatte sie noch keinem Fremden über ihre Familie erzählt, aber Dante sollte sie keinesfalls für hochmütig halten. Es gab auch wirklich keinen Kontakt mehr zwischen den Familienzweigen. Selbst in Notlagen hatten sie ihre reichen Verwandten nie um Hilfe gebeten.

Elle, Sorrel, sie selbst und ihre Großmutter – zu viert waren sie eine verschworene Gemeinschaft gewesen, die der Welt trotzte. Eines Tages war ein Fremder mit seinem Eiswagen bei ihnen aufgetaucht, und inzwischen waren ihre Schwestern nicht nur erfolgreiche Geschäftsfrauen, sondern sie hatten auch geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt, während ihre Großmutter und Großonkel Basil, der den Eismann geschickt hatte, ihr Leben in der Sonne Südfrankreichs genossen.

„Waren Sie in Ihrer Familie glücklich?“

„Ja.“ Abgesehen von dem Verlust ihrer Mutter und der Tatsache, dass sie ihren Vater nicht kannte. Und dass es unzählige Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen gab, von denen sie nicht einmal die Namen wusste.

Dante öffnete eine Nebentür. „Hier ist das Badezimmer.“

„Sì … il bagno.“ Geli versuchte sich erneut in Italienisch. Sie musste lernen, italienisch zu denken.

Dantes Bad konnte als altmodisch im besten Sinn bezeichnet werden. Es war sehr geräumig, hatte eine Badewanne mit hohem Rand, Löwenfüßen und glänzenden Messinghähnen, ein breites Waschbecken und eine Toilette mit hoch angebrachtem Spülkasten.

„Ich schließe die Tür, damit Sie Rattino absetzen können“, fuhr Dante fort. „Er darf nicht frei herumlaufen.“

„Hoffentlich hält er sich an das Verbot.“ Geli löste Rattinos Krallen von ihrem Kleid und setzte ihn in die Badewanne. „Ich hatte einmal ein Kätzchen, das sich unter einer kaputten Fußleiste durchgezwängt hatte, und musste doppelt auf es aufpassen.“

„Sie scheinen spannende Dinge zu erleben, Angelica Amery“, sagte Dante, während sie versuchte, die Manschette ihres Ärmels aufzuknöpfen, ohne ihr Kleid mit Blut zu beflecken. „Aber wer sich so anzieht …“ Er zuckte mit den Schultern. „Das tut keine Frau, die sich nach Ruhe und Beschaulichkeit sehnt.“

„Nun ja“, gab Geli zu. „Wie sagt man doch? Das Leben ist kurz. Iss jeden Tag ein Eis.“

Dante lächelte. Leichte Fältchen kräuselten sich in Mund- und Augenwinkeln. „Man sagt das? Wer ist damit gemeint?“

„Genau genommen, Rosie … unser historischer Eiswagen. Es steht in ihrer kleinen Eisfibel.“ Sie sah die Verwirrung in seinem Blick. „Wir haben Rose erfunden. Als Werbefigur“, erläuterte sie.

Dante nickte. „Permesso?“ Er deutete auf ihr Handgelenk. „Darf ich Ihnen behilflich sein?“

Geli hörte auf, an den kleinen Manschettenknöpfen herumzufummeln, und streckte die Hand aus. „Prego.“

Er löste die winzigen Kugelknöpfe behutsam aus den Schlaufen, schlug die Manschette zurück und führte Geli zum Waschbecken, wo er etwas flüssige Seife auf ihre Hand träufelte.

„Corragio.“ Vorsichtig wusch er den verletzten Daumen und spülte gründlich mit Wasser nach. „Tut das weh?“ Sein Gesicht war so nah, dass sie die Bartstoppeln auf seiner Wange zählen konnte.

„Nein.“ Was Geli empfand, hatte nichts mit ihrer verletzten Hand zu tun. „Va bene.“

„Aber dies wird wehtun.“ Er nahm ein Päckchen mit antiseptischen Tüchern aus dem Medizinschränkchen über dem Becken.

„Ich werde versuchen, nicht zu schreien.“ Vorsichtshalber stützte sie sich mit der freien Hand auf seine Schulter. Sie hatte extrem weiche Knie und jetzt vor ihm zu Boden zu sinken … Nein, das wäre zu peinlich gewesen!

Durch den feinen Baumwollstoff konnte sie seine Muskeln fühlen. Sein Atem roch leicht nach Kaffee, und als ihm eine Locke in die Stirn fiel, stieg ihr der frische Duft seines Shampoos in die Nase. Dagegen verblasste sogar der scharfe Geruch des Antiseptikums, mit dem er die Wunde reinigte. Zum Schluss wickelte er eine Binde um ihren Daumen und befestigte sie mit einer Klammer.

„Fertig“, verkündete er zufrieden. „Das Unglück ist behoben.“

„Noch nicht ganz.“

Er runzelte die Stirn. „Was fehlt denn noch?“

Wusste er wirklich nicht, wie man kleine Wunden heilte, oder tat er nur so, damit sie deutlicher wurde?

„Un bacio.“

„Ein Kuss?“ Er sah sie an, als hätte sie sich versprochen.

„Sì.“

In dem Sprachführer, den Sorrel ihr geschenkt hatte, war sie auf einen Satz gestoßen, der sie weit mehr interessiert hatte als die üblichen Fragen nach dem Weg zum Bahnhof: Posso baciarti? Darf ich dich küssen?

Ein heilender Kuss, den man weinenden Kindern auf die verletzte Stelle drückte, war damit natürlich nicht gemeint. Vielleicht ließ sich der dazu passende Ausdruck unter dem Stichwort „Gesundheit“ finden?

„Soll das helfen?“, fragte Dante. Dabei sah er sie so an, dass sie am liebsten im Boden versunken wäre. Dann zuckte es um seine Mundwinkel, und sie wusste, dass er sie nur geneckt hatte. Dieser Dante Vettori! Er sah nicht nur fantastisch aus, sondern hatte auch Sinn für Humor.

„Die Wunde heilt sonst nicht“, beteuerte sie.

„Ich habe wohl nicht aufgepasst, als dieser Punkt im Erste-Hilfe-Kurs besprochen wurde.“ Er schien ein Lachen zu unterdrücken. „Sie müssen mir zeigen, wie ich mich verhalten soll.“

Ihm zeigen? Ein unmöglicher, aber aufregender Vorschlag. War sie nicht nach Mailand gekommen, um den langweiligen Alltagstrott zu vergessen und etwas Neues zu erleben?

Coraggio, Geli. Nur Mut.

„Die Sache ist sehr einfach“, erklärte sie. „Sie schließen die Lippen und …“

„Etwa so?“ Dante nahm ihre Hand und berührte die weiche Innenfläche mit geschlossenen Lippen – genau unterhalb des sorgsam angelegten Verbands.

„Genau so“, krächzte sie. Ihre Kehle war plötzlich zu trocken. „Ich weiß nicht, warum es wirkt …“

„Wahrscheinlich durch die ausgestrahlte Wärme“, schlug er vor und hauchte einen zweiten Kuss auf ihre Hand. Plötzlich fühlte sie sich so schwach, dass ihre Hand von seiner Schulter rutschte und Geli nach seinem Hemd griff. Darunter fühlte sie sein Herz schlagen, stark und regelmäßig und nicht so unruhig wie ihr eigenes.

„Ist das warm genug?“, fragte er.

Neckte er sie immer noch? Sein Blick verriet nichts, und das kaum angedeutete Lächeln wirkte wie lähmendes Gift. Dazu war sein Gesicht – sein Mund – jetzt viel zu nah …

„Je mehr Wärme, umso besser die Heilung.“ Sie flüsterte nur noch und war kaum zu verstehen.

„Und wenn es zu heiß wird?“ Die Worte flossen samtweich von seinen Lippen, und in seinem Blick lag die Frage, die von Anfang an zwischen ihnen gestanden hatte. Seit er unten an der Bar ihre Hand genommen und über den Stadtplan geführt hatte.

Sie waren sich jetzt so nah, dass sie die goldenen Punkte in seinen dunklen Augen erkennen konnte. Sie sprühten Funken und entzündeten ein Feuer in Geli, das sich nicht mehr löschen ließ.

„Heiß“, flüsterte sie. „Sehr heiß. Caldo, molto caldo …“ Sie drückte ihre Lippen auf seinen Mund, schmeckte das Aroma des bitteren Kaffees, das noch darauf lag. Vielleicht war alles nur die Wirkung des Koffeins, auf seiner Zunge, auf ihrer …

Sie konnte nicht anders. Sie schloss die Augen, legte die Arme um Dantes Nacken und überließ sich ganz dem stürmischen Verlangen, das in ihr tobte und ihren Willen lähmte.

„Hallo?“ Das war Lisas Stimme. Sie drang kaum durch den Nebel, der Geli einhüllte. „Ist alles in Ordnung?“

Die Tür zum Badezimmer war geschlossen, aber Lisa musste jeden Moment hereinkommen. Wahrscheinlich rief sie nicht zum ersten Mal, war aber nicht gehört worden. Dante ließ Geli los, trat einen Schritt zurück, und ein Abgrund öffnete sich zwischen ihnen, über den keine Brücke mehr führte. Das Feuer war in sich zusammengesunken, die Glut erloschen.

„Komm nicht herein!“, rief Dante durch die geschlossene Tür. „Sonst entwischt uns Rattino.“

„Ich wollte nur sagen, dass im Medizinschränkchen antiseptische Tücher sind.“

„Die habe ich schon gefunden.“ Dante griff nach der Türklinke. „Wir sind fertig.“

Fertig? Nein, nein und nochmals nein! Aber Dante hatte das Bad schon verlassen und die Tür hinter sich geschlossen. Er wollte ihr Zeit geben, sich zu sammeln und ihre Haltung zurückzugewinnen, nachdem sie sich einem wildfremden Mann förmlich an den Hals geworfen hatte.

Schön, ein heftiger Flirt war dem Kuss vorausgegangen, aber wenn Geli ehrlich war, hatte sie mehr hineingelegt als Dante. Er hatte ihre missliche Lage erkannt und ihr hilfreich beigestanden, während sie sich buchstäblich zum Narren gemacht hatte.

Wie war es bloß dazu gekommen? Zu dieser Art von Frauen gehörte sie doch nicht! Was sollte sie von sich denken? Was sollte er von ihr denken?

Diese Frage war leicht zu beantworten. Er musste annehmen, dass sie für die Nacht ein Bett suchte und bereit war, jeden Preis dafür zu zahlen.

Sie drückte das Tuch, mit dem Dante ihre Hand abgetrocknet hatte, auf ihr glühendes Gesicht und sank auf den Rand der Badewanne. „Mum“, flüsterte sie. „Hilf mir …“

3. KAPITEL

„Eiscreme ist billiger als Psychotherapie. Und man braucht keinen Termin für die Sprechstunde.“ (aus Rosies kleiner Eisfibel)

Dante trat in die Küche, wo Lisa wartete. Er nahm den Krug mit Eiswasser aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas ein. Nachdem er es in einem Zug geleert hatte, glühte ihm der Kopf noch mehr.

Angelica …

Beim Klang des Namens musste er an ein Renaissancegemälde mit hellen Farben und viel Gold denken, aber solche Beine und eine solche Figur hatten selbst die abgebildeten Engel nicht. Und nicht diesen Mund, das Versprechen eines Kusses, der die heißesten Sehnsüchte wachrief.

Er war vom ersten Augenblick an fasziniert – nein, gefangen gewesen. Gelis Auftritt im Café, ihre schwarze Kleidung, von der sich als einziger Farbfleck die roten Lippen abhoben, das schwarze Haar, das ein Gesicht umrahmte, das so blass war, als hätte kein Sonnenstrahl es je berührt …

Dark Angel. Schwarzer Engel. Sie hatte das Logo für ihre Arbeiten zu Recht gewählt.

Dante sah seiner Cousine an, wie sehr sie sich über ihn amüsierte. Er versuchte, sie mit einem strengen Blick einzuschüchtern, aber sie lächelte nur, und wenig später kam Geli herein.

„Wie hat Dan sich angestellt?“, fragte Lisa. „Verdient er einen Orden für vorbildlich geleistete Erste Hilfe?“

„Den Orden erster Klasse“, antwortete Geli und streckte zum Beweis die Hand aus. Es gelang ihr, auf Lisas heiteren Ton einzugehen, aber das leichte Rot auf ihren Wangen verriet sie trotzdem.

„Hast du einen Karton gefunden, Lis?“, fragte Dante gereizt.

„Ja, und ich habe ihn dick mit Zeitungspapier ausgelegt.“ Lisa zeigte auf den Karton, der so sichtbar dastand, dass Dante ihn bemerkt haben musste. Die Verschwörermiene, die sie dabei zeigte, machte ihn noch wütender. Das Ablenkungsmanöver war gründlich misslungen. „Außerdem hat Bruno mir etwas gehacktes Hühnerfleisch für Rattino mitgegeben. Bruno ist unser Koch“, setzte sie an Geli gewandt hinzu. „Milch müsstest du eigentlich hier oben haben.“

„Ja, aber sie ist kalt“, entgegnete Dante. „Ich werde ein Schälchen in die Mikrowelle stellen.“

„Danke, das ist sehr freundlich.“ Geli nahm den Karton und trug ihn ins Badezimmer. Dante sah ihr nach, riss sich dann aber von dem Anblick ihrer schlanken Beine los und nahm die Milch aus dem Kühlschrank, um eine kleine Portion in der Mikrowelle anzuwärmen.

„Hast du nicht unten zu tun?“, fragte er dabei seine Cousine. Er ertrug es immer weniger, spöttisch von ihr beobachtet zu werden.

„Der Schnee fällt inzwischen noch dichter“, antwortete Lisa. „Die Gäste sind gegangen, und ich habe das Personal nach Hause geschickt.“ Sie stand auf und lehnte sich gegen die Tür. „Was hast du mit Geli vor?“

„Was ich mit ihr vorhabe?“

„Wenn es stimmt, dass ihr Apartment nicht mehr existiert …“

„Die ganze Via Pepone existiert nicht mehr. Mein Vater hat die Häuser im letzten Jahr abreißen lassen. An ihrer Stelle soll ein Glaspalast mit Luxusbüros entstehen.“

Lisa nickte. „Und ausgerechnet da wollte sie wohnen. Also … Was willst du tun?“

„Warum sollte ich irgendetwas tun? Was erwartest du von mir? Soll ich mir Angelica in die Tasche stecken, wie sie es mit ihren kleinen Schützlingen tut? Einen Karton, der groß genug für sie ist, haben wir leider nicht.“

„Nein“, erwiderte Lisa, „aber sie ist den ganzen Tag gereist, es ist spät, und draußen tobt ein halber Schneesturm.“

„Glaubst du, das habe ich nicht bemerkt?“ Geli war wie von Kristallen übersät ins Café gekommen. Die Schneeflocken waren schnell geschmolzen, und eine hatte sie von ihrer Unterlippe geleckt, als sie auf ihn zugegangen war.

„Also gut.“ Lisa gab den spöttischen Ton auf und wurde ernst. „Ich habe ein Zimmer für Geli.“

„Wieso das?“ Dante sah sie überrascht an. „Du wohnst mit Giovanni in einem Einzimmerapartment, und für deine Couch sind Gelis Beine zu lang.“ Dante sah Geli vor sich, den kurzen Rock, die aparten Stiefel …

„Ich rede nicht von dem Sofa. Das Zimmer, das ich meine, befindet sich hier … direkt neben deinem … auf demselben Flur.“

„Das ist nicht dein Zimmer!“, fuhr Dante auf.

„Nein? Wessen Kleidung hängt im Schrank? Wessen Bücher liegen auf dem Nachttisch? Unsere Großmutter nimmt an, dass ich dort wohne. Also ist es mein Zimmer.“

„Nonnina lebt am anderen Ende der Welt.“

„Übers Internet ist sie nur eine Sekunde entfernt. Soll sie etwa herausfinden, dass du trotz meines selbstlosen Angebots …“

„Selbstlos? Madonna!

„… trotz meines selbstlosen Angebots, dir zu Hilfe zu kommen, nicht verhindert hast, dass ich bei Giovanni einziehe? Einem Baldacci?“ Lisa sprach den Namen in dem verächtlichen, hasserfüllten Ton aus, den sie bei ihrer Großmutter gehört hatte. „Ich sollte dich aus deinem Tief herausholen. Nonnina ist wirklich besorgt um dich, Dan. Sie fühlt sich verantwortlich …“

„Unnötigerweise. Ich bin selbst für mich verantwortlich, und deine Anwesenheit ist absolut überflüssig. Du bist nur hier, weil Giovanni Baldacci in das Mailänder Büro seines Vaters versetzt worden ist. Mein Fall ist geklärt, und ich dulde dich nur bei mir, weil du woanders keinen Job findest.“

„Wie du meinst.“ Lisa zuckte mit den Schultern. Sie wollte keinen Streit anfangen. „Wenn du so dagegen bist, dass Geli mein Zimmer bekommt, kannst du sie ja bei dir unterbringen.“

„Hör endlich auf, Lis, und lass mich zufrieden, sonst rufe ich Nonnina an. Oder ich spreche gleich mit Nicolo Baldacci …“

„Wie lange ist es jetzt her, dass man dich hereingelegt hat?“ Lisa wusste, dass Dante seine Drohung niemals wahr machen würde. „Du musst Valentina endgültig vergessen und dein Leben wieder in den Griff bekommen.“

Dante nahm das Schälchen aus der Mikrowelle und überprüfte mit dem Finger die Temperatur der Milch.

„Ich meine es ernst, Dan. Seit Geli das Café betreten hat, bist du von ihr fasziniert.“ Lisa versperrte ihm den Weg. „Ich würde sogar darauf wetten, dass ich einen intimen Moment unterbrochen habe, als ich vorhin hereinkam.“

„Ich kenne Geli gerade mal eine knappe Stunde“, erinnerte Dante sie und versuchte zu vergessen, wie sich Gelis Lippen angefühlt hatten.

„Ein Blitz schlägt im Bruchteil einer Sekunde ein“, beharrte Lisa. „Als ich Giovanni zum ersten Mal begegnet bin, hätte ich ihm am liebsten gleich die Kleider vom Leib gerissen.“ Ihr Blick verriet, dass es nicht sehr viel länger gedauert hatte.

„Es ist nicht meine Art, die hilflose Lage einer Frau auszunutzen.“

„Auch nicht, wenn sie es geradezu darauf anlegt, ausgenutzt zu werden? Ich habe Geli beobachtet. Sie ist mehr als interessiert …“

„Und wenn schon.“ Dante schwor sich, nicht mehr daran zu denken, wie sie sich an ihn gedrückt und mit heißem Atem geflüstert hatte: „Caldo … molto caldo …“

„Du siehst zwar wie ein Italiener aus, benimmst dich aber wie ein Engländer“, stellte Lisa unbarmherzig fest. „Immer Gentleman bleiben. Bloß keine Gefühle zeigen … auch nicht, wenn ein junges Ding mit ihren Designerstiefeln über dich hinwegtrampelt.“ Als Dante schwieg, legte sie eine Hand auf seinen Arm und fuhr versöhnlich fort: „Aber ich will dich nicht weiter bedrängen. Hoffentlich findest du ein Hotel, das auch Rattino aufnimmt …“

Dante wurde langsam wütend. „Bist du endlich fertig?“

„Vorläufig ja, aber vergiss nicht, dass morgen der ganze Markt über die heutige Szene im Café reden wird.“

„Der Schnee wird die Händler genügend beschäftigen.“

Lisa schüttelte den Kopf. „Es schneit jedes Jahr, aber eine Schönheit wie Geli, ein Dante Vettori, der in Verwirrung gerät, und dazu eine angebliche Ratte … die Kombination ist unschlagbar.“

„Lis?“, warnte er.

„Schon gut. Ich kenne dich, Dan, und ich kenne die Männer. Gelis Auftritt … in diesem Kostüm, von Schneeflocken umwirbelt … oh, là, là!“ Lisa wedelte mit der Hand. „Ich weiß nicht, ob Geli einen Job braucht, aber sie will ihre Sachen ausstellen, und sie würde Gäste anziehen …“

„Noch was?“

„Nur eins noch: Zögere nicht lange bei ihr, sonst findest du dich in einer Schar von Konkurrenten wieder. Und vergiss nicht, dass du ihr unten etwas zu essen angeboten hast. Soll ich mal einen Blick in den Kühlschrank werfen, falls du hier oben bleiben möchtest?“

„Es wäre mir lieber, wenn du endlich das Feld räumen würdest.“

„Meinetwegen.“ Lisa ging, warf aber noch einen letzten Blick über die Schulter. „Ich habe Gelis Koffer heraufgebracht. Er steht in meinem Zimmer.“

Va via. Verschwinde endlich!“

„Gern.“ Lisa lächelte überlegen und berührte ihren rechten Mundwinkel. „Übrigens hast du da Lippenstift …“

Ihre Hände zitterten, als Geli etwas von dem gehackten Hühnerfleisch für Rattino abfüllte. Danach ließ sie sich zu Boden gleiten, stützte die Ellenbogen auf die angezogenen Knie und legte das Kinn auf die verschränkten Arme. Während sie dem ausgehungerten Kätzchen beim Fressen zusah, fragte sie sich, was schlimmer war – einen fast unbekannten Mann zu küssen oder zu erfahren, dass das Apartment, für das sie eine Jahresmiete vorausbezahlt hatte, nicht mehr existierte.

Vermutlich Letzteres.

Elle würde außer sich sein, weil sie so leichtsinnig gewesen war. Ihre Großmutter hatte ihr ganzes Hab und Gut durch einen Heiratsschwindler verloren – nicht lange nach dem Tod von Gelis Mutter. Hätte Elle nicht tatkräftig für ihre jüngeren Schwestern gesorgt, wären Geli und Sorrel der staatlichen Fürsorge übergeben worden.

Zum Glück befand sie sich jetzt jenseits der Alpen, einer schützenden Barriere. Wenn sie nicht selbst alles ausplauderte, würde man zu Hause nichts von ihrem Missgeschick erfahren.

Blieb der Kuss. Sich darüber Gedanken zu machen, war aber eigentlich sinnlos. Es war nicht ihr erster Kuss gewesen, und sie war auch keine Jungfrau mehr. Trotzdem hatte sie ein seltsames Gefühl gehabt, als erlebte sie etwas ganz Besonderes, als stünde sie am Beginn eines ganz neuen Lebens.

Dante kam herein. „Entschuldigen Sie, dass es mit der Milch so lange gedauert hat“, sagte er. „Ich musste Lis noch bitten, unten alles abzuschließen. Normalerweise mache ich das selbst.“ Er stellte das Milchschälchen in die Badewanne, blieb aber nicht bei Geli stehen, sondern zog sich einige Schritte zurück.

„Rattino und ich machen Ihnen viele Umstände“, entschuldigte sie sich. Schade, dass er so viel Abstand hält, dachte sie. Hätte er sich neben sie gesetzt, sie vielleicht in die Arme genommen, wäre ihr sehr viel wohler gewesen.

„Rattino scheint sich langsam zu erholen“, stellte er fest.

„Sein Fell ist getrocknet und hat sich etwas aufgeplustert, aber wie er es mit der Zunge säubern muss, weiß er noch nicht. Er wurde viel zu früh von seiner Mutter getrennt. Ich werde ihn morgen an die Fundstelle zurückbringen. Vielleicht finde ich da auch die Mutter.“

„Halten Sie das wirklich für möglich?“

„Jedenfalls nicht für unmöglich.“ Geli strich dem kleinen Tier über den Kopf. „Wenn ich bedenke, wohin mich meine Flucht nach Isola geführt hat …“

„Flucht?“, unterbrach Dante sie mit besorgter Miene. „Wovor laufen Sie davon?“

„Vor dem Leben in einem Provinznest. Vor dem ewigen Einerlei. Fast wäre ich der Versuchung erlegen, mich als Innenarchitektin engagieren zu lassen und das Eiscafé meiner Schwestern neu zu gestalten.“ Sie schüttelte sich. „Stellen Sie sich vor … alles in Pink …“

Dante lachte.

„Sehen Sie? Sie kennen mich kaum und wissen schon, dass ich zu Pink ein sehr schwieriges Verhältnis habe.“

„Ich kann mir die Farbe bei Ihnen tatsächlich nicht vorstellen“, gab er zu.

„Besten Dank. Ein netteres Kompliment hätten Sie mir nicht machen können.“ Geli stand auf und strich sich das Haar zurück. Jetzt bloß nicht an den Kuss denken! „Und nochmals danke, dass Sie mir mit einem Abendessen über die Unglücksbotschaft über mein Apartment hinweghelfen wollten.“

„Leider ist es mir nicht ganz gelungen. Ich wollte mich erst genauer erkundigen. Es wäre immerhin möglich gewesen, dass Sie sich in der Adresse geirrt haben …“ Dante drehte sich um und griff nach einem Handtuch.

„Aber so richtig haben Sie nicht daran geglaubt.“

„Nein. Ihr Stadtplan war veraltet. Der Weg, den man Ihnen genannt hatte, muss Sie zu dem Bauplatz geführt haben.“

„Ja, so war es. Wie sagte Ihre Cousine doch? Sie kennen Isola wie Ihre Westentasche?“

„Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit hier verbracht, aber seitdem hat sich viel verändert. Wir bemühen uns, so viel wie möglich von dem alten Stadtbild zu erhalten.“

„Die Via Pepone haben Sie leider nicht retten können.“ Geli sah ihm an, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, und fuhr schnell fort: „Es tut mir leid. Sie können ja nichts dafür.“

Dante drückte ihr das Tuch in die Hand. „Damit wird sich Rattino wohler fühlen. Bringen Sie ihn dann im Karton ins Wohnzimmer, damit er sich am Ofen wärmen kann.“

Dante stand am Gasherd und rührte in einem Topf. Das Licht brach sich auf dem Stahlarmband seiner Uhr. Es blendete Geli ein wenig, aber sie hätte stundenlang dastehen und ihm zusehen können.

„Schläft Rattino?“, fragte er, ohne sich umzuschauen.

„Er schläft und träumt vom Katzenparadies. Für ihn gibt es im Moment keine Probleme. Für mich dagegen …“ Sie hielt den Mietvertrag hoch, den sie aus ihrer Tasche genommen hatte.

Dante stellte die Flamme klein, drehte sich um und nahm ihr das Formular ab. „Die Adresse stimmt“, bestätigte er.

„Ich habe auch Signora Francos Telefonnummer.“ Geli hatte gerade mit ihren Schwestern gesprochen und ihre Ankunft gemeldet. Angekommen war sie, aber … „Würden Sie mit ihr sprechen?“

„Gewiss.“

Geli tippte die Nummer ein, musste aber ewig auf die Verbindung warten. Schließlich gab sie es auf.

„Meldet sich niemand?“, fragte Dante.

Sie schüttelte den Kopf. „Es kam nur die automatische Ansage, dass die Nummer gesperrt sei. Das habe ich sogar auf Italienisch verstanden.“

Dante betrachtete sie prüfend. „Sagen Sie mir eins, Angelica: Wo haben Sie Ihre Selbstbeherrschung gelernt?“

„Selbstbeherrschung?“

„Ich kenne keine Frau – übrigens auch keinen Mann –, die ein solches Missgeschick mit der Wohnung hingenommen hätte, ohne mehrere Vasen an die Wand zu werfen.“

„Oh.“ Im ersten Moment wusste Geli nicht, was sie darauf antworten sollte. „Ich werfe nicht mit Vasen“, erklärte sie schließlich.

„Wittere ich da ein Geheimnis, das sie vielleicht Lisa verraten würden?“

„Was halten Sie von Yoga? Richtiges Atmen ist enorm wichtig.“

Dante kehrte an den Herd zurück und rührte weiter in der Soße, die er angesetzt hatte.

„Als meine Mutter starb, habe ich viel geweint“, fuhr Geli fort. „Es machte meine Schwestern traurig und schaffte Probleme in der Schule.“ So frei hatte sie noch nie darüber gesprochen. „Ich habe immer versucht, damit aufzuhören, aber es gelang mir einfach nicht.“

Dante kehrte ihr weiter den Rücken zu. „Wie alt waren Sie damals?“

„Acht.“

„Erst acht?“ Er fuhr herum. „Madre di Dio!“

„Mum hatte Krebs … die gefährlichste Art, bei der dem Patienten nach der Diagnose nur noch wenige Wochen bleiben.“

Non c’è niente che posso dire … Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Dazu kann man auch nichts sagen. Noch so viele Tränen können nicht ändern, was geschehen ist.“

„Haben Sie aufgehört zu weinen, als Sie das begriffen hatten?“

„Mit acht Jahren? Dante!“ So viel zu ihrer Selbstbeherrschung. „Meine Großmutter holte einen alten schwarzen Hut vom Dachboden … mit breiter, weicher Krempe. Sie hatte ihn in den Sechzigerjahren getragen, als er hochmodern war. Grandma achtete sehr auf Schick.“

„Und der Hut half?“

„Grandma sagte, ich könnte mich dahinter verstecken.“ Geli wusste noch, wie erleichtert sie gewesen war, als sie den Hut zum ersten Mal aufgesetzt hatte. „Meine rot geweinten Augen und die ständig laufende Nase verschwanden unter der breiten Krempe, und es wurde leichter, mit mir umzugehen. Ich habe den Hut getragen, bis er in Fetzen zerfiel.“

„Und was haben Sie dann gemacht?“

„Ich fand in einem Secondhandshop einen schwarzen Kapotthut und ein schwarzes Kleid. Es war viel zu groß für mich, aber Grandma half mir, es passend zu machen. Als ich zwölf wurde, färbte ich mir zum ersten Mal die Haare.“

„Doch nicht etwa schwarz?“, fragte er lächelnd.

„Es kam eher ein grüner Farbton dabei heraus. Deswegen schleppte Grandma mich zum Friseur, der das Grün in tiefes Schwarz verwandelte.“ Geli wusste noch, was sie beim ersten Blick in den Spiegel empfunden hatte. „Meine Schwestern waren entsetzt.“

„Wegen der Farbe, oder weil sie nicht dasselbe erlebt hatten?“

„Weil Grandma die Haushaltskasse geplündert hatte, damit ich nicht wegen der grünen Haare zum Gespött der ganzen Schule wurde. Elle und Sorrel dachten mehr ans Essen.“

„Aus gutem Grund. Hunger ist schlecht für die Nerven.“ Dante nahm den Topf vom Feuer, stellte das Gas ab und schenkte zwei Gläser Weißwein ein. Die Flasche stand auf der Anrichte, die fast eine ganze Küchenwand einnahm, und war leicht beschlagen. Er musste sie erst vor Kurzem aus dem Kühlschrank genommen haben.

„Wo war Ihr Vater, als all das passierte?“, fragte er und reichte ihr ein Glas.

„Ich habe keinen Vater.“

Dante lehnte sich gegen die Anrichte. „Das ist unmöglich … es sei denn, ich habe einen entscheidenden Schritt in der menschlichen Entwicklung verpasst.“

„Biologisch gesehen, habe ich natürlich einen Vater, aber Mum wollte keinen Mann, der sie herumkommandiert und schimpft, wenn das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch steht.“ Geli lehnte sich ebenfalls gegen die Anrichte. Es war leichter, neben Dante als ihm gegenüber zu stehen. „Die Ehe meiner Großeltern war nicht glücklich, das muss Mum abgeschreckt haben. Einmal im Jahr kam ein Wanderzirkus zu uns. Wenn ein Mann dabei war, der Mum gefiel, ließ sie sich mit ihm ein. Ehe sie recht gemerkt hatte, dass sie schwanger war, spielte der Zirkus schon in der nächsten Grafschaft. Elle, Sorrel und ich haben drei verschiedene Väter.“

„Ein riskantes Spiel, auf das sich Ihre Mutter da eingelassen hat.“

„Sie lebte für den Augenblick.“

„Was ist Ihre natürliche Haarfarbe?“

Geli nahm eine Strähne und spielte damit. „Schwarz.“

Dante lachte und fragte nicht weiter. Geli trank einen Schluck aus ihrem Glas und fühlte sich angenehm belebt. Nicht nur durch den Wein.

„Wie haben Sie die Wohnung in der Via Pepone gefunden?“

„Übers Internet. Warten Sie.“ Geli schaltete ihr Smartphone ein. „Ich zeige es Ihnen.“

Doch sie hatte Pech. Die Website ließ sich nicht mehr aufrufen. Sie existierte nicht mehr – genauso wie Signora Francos Telefonanschluss.

Bisher hatte Geli immer noch an einen Irrtum oder eine Verwechslung geglaubt, aber jetzt konnte sie die bittere Wahrheit nicht länger ignorieren: Sie war schlicht und einfach betrogen worden.

Die Erkenntnis kam so plötzlich, dass sie schwankte. Dante konnte gerade noch ihr Glas retten, sie an seine Brust ziehen und schützend die Arme um sie legen. Erschöpft lehnte sie den Kopf an seine Schulter. Hier könnte ich ewig ausruhen, dachte sie.

Doch sie hatte sich heute schon einmal zum Narren gemacht. Also holte sie zweimal tief Luft, löste sich aus Dantes Armen und trat zurück.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

Sie nickte. „Alles okay.“

Das überzeugte ihn nicht. „Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?“

„Als die Durchsage kam, dass mein Flugzeug später starten würde, habe ich mir ein Sandwich gekauft.“

„Ist das alles?“ Dante war entsetzt. „Kein Wunder, dass Sie eben fast ohnmächtig geworden sind. Setzen Sie sich hin … die Spaghetti sind gleich so weit. Es gibt nichts Besonderes … nur Pasta ai funghi. Spaghetti mit Pilzsoße“, übersetzte er für den Fall, dass ihr Italienisch nicht ausreichte.

Geli schüttelte den Kopf. „Sie schmecken bestimmt köstlich, aber ich kann keinen Bissen essen.“ Dante achtete nicht auf ihre Worte und nahm zwei Teller aus dem Geschirrschrank. „Die Fotos der Wohnung waren so hübsch, und alles klang so günstig … Ich dachte, im Winter wäre alles billiger, und bin Betrügern in die Falle gegangen. Hätte ich doch auf Elle gehört! Sie hat mich immer wieder gewarnt. Wenn etwas zu günstig sei, meinte sie, müsse man doppelt misstrauisch sein.“

„Haben Sie auch Ihr Bankkonto angegeben?“, fragte Dante.

„Mein Konto? Nein, das heißt … Für die Anzahlung, also die erste Monatsmiete, habe ich ihnen eine Einzugsermächtigung erteilt.“ Während sie das sagte, wurde ihr der Sinn ihrer Worte schlagartig klar. Sie zog ihr Smartphone wieder hervor und gab das Passwort für ihr Onlinebanking ein.

Ein Blick auf den Kontostand genügte, und ihr wurde schwarz vor Augen.

4. KAPITEL

„Wenn es schlimm wird, hilft nur Eiscreme … mit heißer Karamellsoße, Mandelsplittern und Makrönchen.“ (aus Rosies kleiner Eisfibel)

„Madonna!“

Dante konnte Geli gerade noch rechtzeitig auffangen und ins Wohnzimmer tragen. Dort legte er sie vorsichtig auf das Ledersofa – den Kopf flach, die Füße etwas erhöht auf ein Kissen. Dann kniete er sich neben sie und wartete, bis sie wieder zu sich kam. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war.

„Angelica!“ Sie sah Dante mit großen Augen an, erkannte ihn und wollte sich aufrichten. „Bleiben Sie noch liegen. Versuchen Sie, ruhig zu atmen …“

Blass war sie immer gewesen, zart wie eine Magnolienblüte, was wunderbar zu ihren grauen Augen und den vollen roten Lippen passte, aber jetzt schien alles Blut aus ihrem Gesicht gewichen zu sein.

„Was ist passiert?“, fragte sie.

„Sie sind ohnmächtig geworden.“

„Himmel, wie theatralisch!“

„Sie haben zu wenig gegessen, und dazu kam der Schock.“ Geli wollte sich wieder aufrichten, aber er ließ es nicht zu. „Bleiben Sie liegen. Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser.“

„Dante …“ Sie wollte widersprechen, ließ sich jedoch zurück in die Kissen sinken, als ihr erneut schwarz vor Augen wurde. „Warum nennen Sie mich Angelica?“

„Weil Geli kein vernünftiger Name für eine erwachsene Frau ist.“

„Oh.“ Sie dachte einen Moment darüber nach. „Eigentlich haben Sie recht.“

Er ging in die Küche und holte ein Glas Wasser. Auf dem Weg dorthin hob er Gelis Smartphone auf, das noch auf dem Boden lag. Dabei konnte er ablesen, warum sie ohnmächtig geworden war. Die Betrüger hatten ihr Konto leer geräumt.

„Hier. Trinken Sie das.“

Geli richtete sich halb auf. „Ihre Sanitäterprüfung haben Sie heute mit Eins bestanden.“

„Der Kuss für eine gute Besserung war vielleicht nicht perfekt“, räumte er ein, „aber dass Ohnmächtige mit dem Kopf flach und den Füßen hoch liegen sollen, wusste ich noch.“ Er hielt ihr das Glas an die Lippen. „Nicht zu schnell … einen Schluck nach dem anderen …“

„Sì, dottore.“ Sie versuchte zu lächeln, aber es wurde nicht viel daraus. Dante war ihr einfach zu nah. Nach den ersten Schlucken stellte er das Glas hin und griff nach ihren Füßen. „He, was tun Sie da?“

„Ich ziehe Ihnen die Stiefel aus. Hat man Ihnen das im Erste-Hilfe-Kurs nicht beigebracht?“

„Doch … natürlich. Sogar noch vor dem Kuss für eine gute Besserung.“

Sie macht es mir wirklich nicht leicht, dachte Dante, zog ihr schnell beide Stiefel aus und trat zurück. „Gut. Sie können jetzt langsam aufstehen.“

Geli drückte sich mit angezogenen Beinen in die Sofaecke. „Funktioniert mein Smartphone noch, Dante? Ich muss die Bank unbedingt benachrichtigen.“ Er zog das Smartphone aus der Tasche und reichte es ihr. „Aha, Sie haben meinen Kontostand registriert, vermute ich.“

„Beim Aufheben“, gab er zu. „Wird die Bank Ihnen den Schaden ersetzen?“

Geli seufzte. „Die Anzahlung, für die ich eine Einzugsermächtigung erteilt hatte, sicher nicht, aber vielleicht die Summe, die widerrechtlich gleich mit abgehoben wurde. Ich komme mir so dumm vor. Elle hatte recht. Ich hätte genauere Erkundigungen einziehen müssen, aber es ging alles so schnell. Ein Mieter interessierte sich für mein Haus …“

„Sie haben Ihr Haus in England vermietet?“, unterbrach Dante sie.

„Ja. Meine Schwestern sind ausgezogen, als sie geheiratet haben, sodass ich mit Grandma und Großonkel Basil zurückblieb. Als Grandmas Arthritis zunahm, haben die beiden beschlossen, in den warmen Süden zu ziehen und dort von den Mieteinnahmen zu leben.“

„Dadurch wurde das Haus zu groß für Sie, und ein Eiscafé neu einzurichten lockte Sie nicht. Zu viel Weiß und Pink …“

„Ich sollte mich nicht darüber lustig machen. Wir haben mit dem Eisverkauf gut verdient, und weder Kunst noch Mode sind krisenfest.“

Dante ließ ihr Zeit, die Bank zu informieren, während er in der Küche die Spaghetti abgoss, zwei Portionen abfüllte und mit der Pilzsoße anrichtete. Geli hatte zwar behauptet, keinen Bissen hinunterzubringen, aber wenn der Teller erst vor ihr stand, würde sie vielleicht doch Appetit bekommen.

Sie saß am Ofen, als er mit dem Tablett zurückkam. „Alles erledigt?“, fragte er.

Sie nickte. „Wie kommt es, dass Sie so gut Englisch sprechen? Als wäre es Ihre Muttersprache. Dabei sind Sie doch Italiener.“

„Das Rätsel ist schnell gelöst. Meine Mutter ist Engländerin.“

„Also darum …“

„Nach der Trennung von meinem Vater ist sie mit mir nach England zurückgekehrt und hat geschworen, bis zu ihrem Tod kein Wort Italienisch mehr zu sprechen.“

„Das muss schlimm für Sie gewesen sein. Wie alt waren Sie damals?“

„Fast dreizehn.“ Dante legte Besteck und Servietten auf den Tisch und wünschte, er hätte über seine Herkunft geschwiegen. „Für meine Mutter war es schlimmer, denn mein Vater hatte eine heimliche Affäre mit ihrer besten Freundin. Meine Mutter hat mir die Entscheidung überlassen, ob ich in Italien bleiben oder mit ihr nach England kommen möchte.“

„Und Sie gingen mit ihr nach England.“

„Sie brauchte mich mehr als mein Vater.“ Dante rückte ihr den Teller zurecht. „Aber nun essen Sie.“

Geli starrte auf ihren Teller, war aber – wie Dante gehofft hatte – zu gut erzogen, um den Gastgeber zu kränken. „Es duftet wundervoll“, musste sie zugeben und begann zu essen. „Und es schmeckt auch so … besonders an einem verschneiten Winterabend. Im Frühling würde ich Ihnen vielleicht einen Bellini Sorbet mixen. Darauf verstehe ich mich.“

„Einen Bellini Sorbet?“

„Pfirsichsaft und Prosecco … möglichst kalt. Es erfrischt und prickelt angenehm auf der Zunge. Meine Schwestern haben mehrere Spezialdrinks im Programm, aber ich fürchte, Sie halten nicht viel von der englischen Küche.“

„Englisches Speiseeis ist jedenfalls nicht berühmt.“

„Im Gegensatz zum italienischen?“

Er nickte. „Sie erwähnten einen Eiswagen. Wenn es einer ist, wie man sie auf der Straße trifft, dürften Bellini Sorbets kaum im Angebot sein.“

„Das stimmt, aber Rosie ist etwas Besonderes. Sie taucht bei Kindergeburtstagen auf, bei Polterabenden und Hochzeiten … überall, wo gefeiert und Eiscreme verlangt wird. Sie hat sogar schon mehrere Fernsehauftritte hinter sich. Ziemlich exotisch. Aber natürlich betreiben Elle und Sorrel auch ein richtiges Café, und kürzlich haben sie sogar einen neuen Eissalon im Stil der amerikanischen Eiscafés in den fünfziger Jahren aufgemacht.“

„Mit Ihnen als Innenarchitektin.“

„Ich habe tatsächlich beim Design geholfen. Ich kann Ihnen Bilder zeigen.“

Dante stellte erfreut fest, dass Geli beim Erzählen immer mehr Appetit bekam. Er hörte ihr bereitwillig zu und sah sich zwischendurch die Fotos auf ihrem Smartphone an. Sie war wirklich talentiert.

„Sie sind also Innenarchitektin, Modedesignerin, Sorbetspezialistin und Tierschützerin“, stellte er fest. „Alles in einer Person. Was tun Sie am liebsten?“

Geli seufzte. „Wenn ich das wüsste. Vielleicht bin ich hierhergekommen, um es endlich herauszufinden.“ Mehr wollte sie nicht sagen. Sie hatten sich ohnehin schon zu weit auf persönliches Terrain vorgewagt. „Die Pasta schmeckt wirklich köstlich.“

„Sie haben noch nicht Brunos Risotto alla Milanese probiert. Arborio Reis aus der Poebene, Butter, trockener Weißwein, Safran und Parmesankäse.“ Übers Kochen zu sprechen war immer unverfänglich. „Ich wollte es Ihnen unten vorsetzen, aber Rattino hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

„Ich finde es schon beeindruckend, dass Sie die Bestandteile aufzählen können“, erwiderte Geli.

„Nonnina kochte dieses Risotto oft für mich.“

„Nonnina?“ Sie sah ihn fragend an. „Das ist Ihre Großmutter, nicht wahr?“

„Genauer gesagt, ist sie Lisas Großmutter und meine Großtante, aber alle nennen sie Nonnina. Das Café Rosa gehörte ihr, bis sie dem Drängen ihres Sohns endlich nachgab und zu ihm nach Australien zog. Als Junge durfte ich ihr in der Küche helfen.“

„Eine hübsche Vorstellung, aber es war sicher vernünftig, ihr nicht als Küchenchef nachzufolgen.“

„Aha, und warum?“

„Sie sind zwar kein Vegetarier wie ich, aber doch ein Tierfreund. Das haben Sie bei Rattino zur Genüge bewiesen.“

„Und Sie sind eine Quelle der Weisheit, Angelica.“ Er lächelte. „Und Sie haben ein mitfühlendes Herz. Ein halb erfrorenes Kätzchen aufzulesen, wenn man selbst keine Bleibe hat …“ Er sprach den Satz nicht zu Ende.

„Ich habe einmal einen Fasan gefunden. Er war durch eine Schrotflinte verletzt worden und hatte sich unter eine Hecke geflüchtet. Ich habe ihn aufgehoben und quer durch das Dorf zum Tierarzt getragen … in der Erwartung, dass der sich des Vogels annehmen würde, aber er hat ihn keines Blicks gewürdigt, sondern ihm einfach den Hals umgedreht. Dann gab er ihn mir zurück und meinte, wir sollten ihn einige Tage hängen lassen, bevor wir ihn zubereiten.“

Per Dio! Wie alt waren Sie da?“

„Neun.“ Geli zuckte mit den Schultern. „Grandma und ich haben ihn feierlich im Garten begraben.“

Dante sah sie als kleines Mädchen vor sich, mit einem verletzten Fasan im Arm, und wünschte, er hätte nicht gefragt. „Sind Sie deswegen Vegetarierin?“

„Schon möglich, aber nicht im strengen Sinn. Ich esse Fisch, Eier und Käse und gieße Milch über meine Frühstücksflocken. Ich trage auch Leder – Pelze allerdings nicht – und verarbeite Wollstoffe für meine Modelle.“ Geli zögerte. „Das klingt alles ein wenig halbherzig, nicht wahr?“

„Sie dürfen nicht zu streng mit sich sein. Warum haben Sie nicht gleich etwas gesagt, als ich unten das Risotto bestellt habe?“

„Das wollte ich, aber Rattino kam mir zuvor.“ Sie rollte mit der Gabel Spaghetti für den nächsten Bissen auf. „Und hier gibt es ja wirklich kein Problem.“

„Zu meinem Glück. Aber eins wundert mich … wenn ich ehrlich sein soll.“

Geli zog die Augenbrauen hoch. „Und das wäre?“

„Sie kleiden sich wie eine Vampir-Lady.“

„Ach das.“ Sie lachte. „So hat mich auch Sean genannt, als er mich zum ersten Mal sah. Eine spindeldürre Vampir-Lady.“

Sean? Wer ist Sean? Frag lieber nicht …

„Das muss schon eine Weile her sein.“

„Ich war damals sechzehn und habe seitdem zugenommen.“ Geli sah an sich hinunter, und Dante musterte sie ebenfalls. Ihm fiel ein, was Lisa gesagt hatte, und nachträglich musste er ihr recht geben.

Bis zu dem Moment, in dem Angelica in das Café gekommen war, hatte er den intimen Umgang mit Frauen nicht vermisst – sich nicht einmal Gedanken darüber gemacht. Jetzt war alles anders. Ein Blick, und der abgestellte Motor war wieder angesprungen. Dante fühlte wieder, reagierte wieder, begehrte wieder. Er hatte das Gefühl gehabt, sie nur berühren zu müssen, um die alte Lebensenergie zu spüren.

Seit Monaten konzentrierte er sich nur auf seine Arbeit. Sie war zu einer Mauer geworden, die ihn von der Außenwelt trennte. Sie hatte ihn geschützt, aber auch isoliert. Niemand hatte ihn mehr schreien hören …

„Wer ist Sean?“, fragte er trotz des Risikos, keine Antwort zu erhalten.

„Oh, das ist mein Schwager“, antwortete sie bereitwillig. „Elle und er haben drei Kinder … alles Mädchen.“ Sie lächelte. Ihr Gesicht schien von innen zu leuchten. „Und die Vampir-Lady tut nur so. Sie beißt nicht. Jedenfalls nur selten“, fügte sie augenzwinkernd hinzu. „Mal hier ein Tröpfchen Blut, mal da eins … so, wie Rattino …“

„Ein Jammer“, entschied Dante. „Der anschließende Kuss für eine gute Besserung würde bestimmt ein Erlebnis sein.“ Er stockte und fuhr schnell fort: „Das war nicht sehr taktvoll. Ich muss mich entschuldigen …“

„Nein, ich muss mich entschuldigen“, unterbrach sie ihn. „Es ist sonst nicht meine Art, fremde Männer zu küssen oder mich von ihnen küssen zu lassen. Aber der Schock …“

„Kein Wort mehr.“ Dante griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Ich will keine Entschuldigung hören. Es war das Schönste, was ich seit Langem erlebt habe.“

Es hatte ihn ins Leben zurückgebracht! Einen Moment hielt er Gelis Hand, dann stand er auf, ging zum Ofen und legte Holz nach. „Wie hat die Bank reagiert?“, wechselte er das Thema.

„Sie haben alles aufgenommen und eine Menge Fragen gestellt. Am Ende hatte ich den Eindruck, dass sie mich verdächtigen, mein Passwort weitergegeben und den Diebstahl so ermöglicht zu haben. Dann wären sie fein heraus gewesen.“

„So etwas kommt häufiger vor.“

„Bei mir nicht. Grandma verlor alles an einen Betrüger … nicht lange nach Mums Tod. Er war elegant, liebenswürdig, unendlich geduldig mit uns Kindern. Er kaufte mir sogar schwarze Haarbänder. Nicht nur Grandma, wir alle verfielen ihm … sogar unser Hund. Es dauerte lange, bis wir uns von dem seelischen und finanziellen Schock erholt hatten.“

„Sind Sie darum so wütend auf sich selbst? Das sollten Sie nicht sein. Sie sind ausgeraubt worden. Das hätte auch auf der Straße passieren können.“

„Ich weiß, Dante, aber irgendwie war es doch meine Schuld. Ich habe mich verführen lassen … durch das hübsche Wohnzimmer mit Glastüren, die auf einen kleinen Balkon mit Blick auf den Dom führten. Außerdem gab es zwei kleine Schlafzimmer. Eins hätte ich als Nähzimmer einrichten können …“ Geli schüttelte den Kopf. „Ich weiß, das alles existiert nicht mehr, aber es fällt mir schwer, der Wahrheit ins Auge zu sehen.“

„So etwas braucht seine Zeit.“ Dante wusste, wovon er sprach. Es raubte ihm immer noch den Schlaf, wenn er daran dachte, wie er Valentina vor die Wahl gestellt hatte, zu bleiben oder zu gehen. Sie hatte alle ihre Waffen eingesetzt – Schmeicheleien und betörenden Sex –, aber er war hart geblieben. „Ein verspäteter Flug, kaltes Winterwetter und die fatale Erkenntnis, bestohlen worden zu sein, setzen jeden außer Gefecht.“

„Ich habe das Gefühl, dass mein Verstand nicht mehr richtig arbeitet“, gab Geli offen zu.

„Wissen Sie schon, wie Sie der Situation begegnen wollen? Denken Sie an Angriff oder an Rückzug?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das Ergebnis wäre dasselbe. Zu Hause hätte ich ebenfalls keine Bleibe, keinen Job und kein Geld, bis mir die Bank den Verlust vielleicht ersetzt, was keineswegs sicher ist.“

„Würden Ihre Schwestern nicht einspringen?“

„Oh doch. Sie würden mir sofort ein Zimmer und einen Job geben … nämlich den der Babysitterin. Ich wäre das schwarze Schaf im warmen Familiennest.“ Sie sah auf die Uhr. „Es ist schon sehr spät, Dante. Gibt es in der Nähe ein Bed & Breakfast? Eine pensione, in der ich übernachten könnte?“

„Ganz in der Nähe.“ Dante stocherte mit dem Schürhaken im Ofen, bis die Glut prasselte und die Funken stoben. „Lis überlässt Ihnen ihr Zimmer.“

„Ihr Zimmer in dieser Wohnung?“ Geli runzelte die Stirn. „Ich kann unmöglich …“

„Die Tür lässt sich abschließen“, unterbrach er sie vorsorglich.

„Wie bitte? Nein, das meine ich nicht. Ich kann Ihnen doch nicht so zur Last fallen.“

Gelis Wangen glühten. Ob der wärmende Ofen oder ihre Verlegenheit der Grund dafür war, wollte Dante nicht entscheiden.

„Ich denke, Sie sollten das Angebot annehmen“, riet er ihr. „Es ist tatsächlich spät, und ohne Geld …“

„Ich habe noch etwas Geld bei mir, das sicher reichen würde … und eine Kreditkarte für Notfälle. Man kann es doch einen Notfall nennen, nicht wahr?“

„Zweifellos, aber vielleicht lassen Sie mich erst mal ausreden. Es gibt nämlich noch ein Problem … Rattino. Keine Pension würde ihn mit aufnehmen.“

„Ich könnte …“

„Nein, Sie könnten nicht.“

„Sie wissen ja gar nicht, was ich sagen wollte.“

„Doch, das weiß ich. Sie wollten sagen, dass Sie Rattino wieder in die Manteltasche stecken und am Empfang vorbeischmuggeln könnten.“

Geli seufzte. „Meinetwegen … aber wo wird Lisa dann schlafen?“

„Wo sie immer schläft: bei Giovanni. Sie hat hier nur einige persönliche Dinge zurückgelassen, falls plötzlich jemand aus der Verwandtschaft auftaucht. Sie finden wahrscheinlich, dass Lis kein Kind mehr ist und allein entscheiden kann, mit wem sie zusammenlebt …“

„Ja, das finde ich.“

„… aber die Dinge liegen etwas komplizierter.“

„Ich stamme selbst aus einer komplizierten Familie.“

Und diese Familie interessierte Dante mehr, als er zugeben wollte. „Das mag sein, aber eine hundertjährige Familienfehde wegen einer Ziege …“

„Einer Ziege?“ Geli sah ihn verblüfft an.

„Haben Sie jemals eine verlassene Ziege aufgelesen, Angelica?“

„Machen Sie keine Witze!“ Geli lachte. „Jeder Mensch weiß, dass eine einzige Ziege einen schön gepflegten Garten ruinieren kann. Vor allem Rosen sind gefährdet, und Grandma liebte ihre Rosen.“

„Ziegen fressen alles, aber darüber sollten wir uns vielleicht ein andermal unterhalten. Sie müssen müde sein. Ich zeige Ihnen das Zimmer.“

Geli gab nach, obwohl die Situation mehr als ungewöhnlich war. Oder gerade deshalb? Vorhin wären sie sich beinahe in die Arme gesunken, und wenn Lisa nicht von nebenan gerufen hätte … Und dann der Betrug und Rattino … Rückblickend erwies sich beides als Schutz vor zu viel Leichtsinn.

„Sie und Lisa sind wirklich einmalig“, sagte sie mit etwas rauer Stimme. „Schließlich bin ich eine Fremde für Sie, von der Sie nur wissen, dass sie ohne eigene Schuld in einer fremden Stadt gestrandet ist. Und ich“, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu, „weiß auch nichts über Sie.“

5. KAPITEL

„Spinat kannst du auch morgen noch essen. Heute ist ein Tag für Eiscreme.“ (aus Rosies kleiner Eisfibel)

„Das stimmt nicht … oder doch nur zum Teil. Ich weiß nämlich inzwischen eine ganze Menge über Sie.“ Dante schloss die Ofentür und hängte den Schürhaken auf den dazugehörigen Ständer. „Sie sind eine begabte Designerin und sehr erfahren in Erster Hilfe. Sie wissen viel über Eiscreme, und Sie haben eine komplizierte Familie, an der Sie sehr hängen.“

„Das genügt absolut nicht, um einen Menschen bei sich aufzunehmen“, wandte Geli ein.

„Vielleicht nicht, aber Sie haben ein mitfühlendes Herz.“ Und sie hatte beim Betreten des Cafés sämtliche Blicke auf sich gezogen und ihn nach über einem Jahr zum ersten Mal wieder daran erinnert, dass er ein Mann war. „Obwohl Sie sich in einer fremden Stadt verirrt hatten und in dichtes Schneegestöber geraten waren, zögerten Sie nicht, ein hilfloses Kätzchen zu retten. Ich tue lediglich dasselbe.“

„Ich bin keineswegs hilflos!“, protestierte Geli energisch.

„Lassen Sie mir doch das angenehme Bewusstsein, eine hilflose Maid gerettet zu haben.“

Er wusste, dass sie nicht hilflos war. Und keine „Maid“ küsste so wie sie. Ob sie in ihm ihren Ritter mit goldener Rüstung sah, wusste er jedoch nicht, aber er hatte sie wenigstens zum Lachen gebracht.

„Ich glaube nicht mehr an Märchen“, erklärte sie.

„Wirklich nicht? Gibt es denn keine Waisenkinder, keine Verlassenheit und keine Furcht mehr? Man muss einfach daran glauben. Sie selbst haben – im übertragenen Sinne – gerade erst den heißen Atem des bösen Wolfs gespürt.“

„Dabei sind Wölfe so schöne Tiere.“ Geli streckte ihre müden Glieder. „Es stimmt, ich habe schwer verdientes Geld verloren, aber ich muss nicht verhungern oder in einer nassen Toreinfahrt schlafen.“

Dante nickte. „Jedenfalls heute Nacht nicht … und ganz bestimmt nicht, solange hier ein Zimmer frei ist.“

„Aber …“

„Morgen früh bringe ich Sie auf das commissariato. Da können Sie den Betrug anzeigen. Ich nehme an, dass Sie einen Dolmetscher brauchen.“

Geli nickte. „Unbedingt. Aber hat eine Anzeige überhaupt Sinn? Betrug im Internet ist kaum zu verfolgen. Genauso gut könnte man versuchen, Fliegen mit Essstäbchen zu fangen. Ich habe einfach nicht genug aufgepasst, aber deswegen gebe ich nicht einfach auf oder kehre reumütig nach Hause zurück.“

Dante hätte applaudieren und „Bravissima!“ rufen mögen. Das gab ihm seine italienische Hälfte ein, aber die englische riet ihm zur Zurückhaltung „Jeder fällt mal herein, Angelica“, tröstete er sie „Die ganze internationale Werbung ist darauf ausgelegt. Sie sollten sich in die Wohnung verlieben und nicht mehr so genau auf die Details achten. Anderen wäre es genauso ergangen.“

„Ich fürchte, ja“, seufzte sie. „Es muss im Internet Dutzende von falschen Angeboten geben, mit denen Menschen verführt werden sollen.“

„Ganz recht, und darum muss Ihr Fall unbedingt gemeldet werden, damit die Polizei Nachforschungen anstellen kann.“

„Das sehe ich natürlich ein. Übrigens …“ Geli lächelte halb verlegen. „Stimmt es, dass die Mailänder Polizistinnen High Heels tragen?“

„Um das festzustellen, gibt es nur eine Möglichkeit … den Besuch bei der Polizei. Also, wie ist es? Haben wir für morgen ein Date?“

„Ein Date?“ Geli hätte es lieber etwas unpersönlicher ausgedrückt. Wenn sie in diesem Tempo weitermachten … „Also gut, ein Date“, versicherte sie schnell.

„Haben Sie sonst noch einen Wunsch? Tee oder Kaffee? Vielleicht möchten Sie auch noch einmal hinuntergehen und nachsehen, ob im Kühlschrank ein leckerer Nachtisch steht.“

„Tee?“, wiederholte Geli. Das war wenigstens ein sicheres Thema. „Richtigen Tee?“

„Richtigen englischen Tee“, bestätigte er.

„Nun, wenn ich es mir überlege …“ Sie fing an, das schmutzige Geschirr zusammenzustellen. „Bei uns ist es üblich, dass der Koch oder die Köchin vom Abwaschen verschont bleibt. Sie haben gekocht … ich wasche ab.“

Sie trug das Geschirr in die Küche, und Dante folgte ihr. „Eine gerechte Aufteilung“, meinte er, „aber ich besitze eine Spülmaschine.“

„Wirklich? Ich habe keine entdeckt.“

Das war nicht verwunderlich, denn abgesehen von dem modernen Kühlschrank, hatte sich seit Nonninas Zeiten in der Küche nicht viel verändert. Ein riesiges Wandbord, ein großer Holztisch mit Stühlen, zwei alte Sessel seitlich vom Herd – es gefiel Dante so, und mehr verlangte er nicht. Auf technische Neuerungen wollte er allerdings auch nicht verzichten.

„Hier geht es ins einundzwanzigste Jahrhundert“, sagte er und öffnete die Tür zur ehemaligen Speisekammer, die in einen Wirtschaftsraum verwandelt worden war.

„Fantastisch“, staunte Geli. „Sie haben es geschafft, moderne Technik mit altmodischem Wohnkomfort zu verbinden.“

„Es freut mich, dass es Ihnen gefällt.“

Dante setzte Teewasser auf und sah zu, wie Geli die Spülmaschine füllte. Das schwarze Haar schwang hin und her. Die roten Lippen leuchteten in dem blassen Gesicht.

„Es scheint jetzt noch stärker zu schneien“, bemerkte sie und sah aus dem Fenster. „Wird es so bleiben?“

„Morgen früh kann alles weggetaut sein, aber es kann auch noch tagelang schneien.“ Doch der Schnee interessierte ihn nicht. Er hatte nur Augen für Gelis Spiegelbild in der Fensterscheibe. „In keinem Fall können wir etwas dagegen tun.“

„Wir können uns nur darüber freuen. Wenn meine Mutter noch leben würde, würde sie jetzt hinausgehen und einen Schneemann bauen.“

Autor

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<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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