Zurück in deine starken Arme

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Ausgerechnet ihr Ex! Tracy hat Jahre gebraucht, um über die Trennung von Dr. Ben Almeida hinwegzukommen. Doch nur er kann ihr jetzt im Kampf gegen eine gefährliche Epidemie im Dschungel helfen. Wenn es bloß nicht immer noch so sinnlich zwischen ihnen knistern würde!


  • Erscheinungstag 05.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506748
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tracy Hinton fiel nicht in Ohnmacht.

Zwar drehte sich ihr fast der Magen um, als ihr der Todesgeruch in die Nase stieg, aber sie riss sich zusammen.

Als Schutz legte sie eine Gesichtsmaske an. „Wie viele sind es?“

„Sechs Tote bisher, aber der größte Teil des Dorfes ist betroffen.“ Pedro, einer der Mitarbeiter ihrer mobilen Klinik, zeigte auf das schlichte Backsteinhaus links von ihm, wo eine gespenstisch reglose Gestalt zusammengekrümmt auf der Veranda lag. Ein paar Meter weiter sah man noch eine Leiche auf dem Erdboden. „Sie sind schon seit einigen Tagen tot. Was immer es gewesen ist, es hat sie schnell erwischt. Sie haben noch nicht mal versucht, ein Krankenhaus zu erreichen.“

„Wahrscheinlich waren sie zu schwach dafür. Außerdem ist das nächste Krankenhaus dreißig Kilometer entfernt.“

Piauí, einer der ärmsten Bundesstaaten Brasiliens, war anfälliger für verheerende Infektionskrankheiten als die wohlhabenderen Regionen. Vielen Bewohnern dieser abgelegenen Dörfer standen als Transportmittel lediglich Fahrräder oder ihre eigenen Beine zur Verfügung. Ein dreißig Kilometer langer Marsch war selbst für junge und gesunde Leute hart, und Autos stellten einen Luxus dar, den sich kaum jemand leisten konnte.

Erst nachdem Tracy die Leichen untersucht und ein paar Proben entnommen hätte, wäre sie dazu imstande gewesen, die Ursache für diese Todesfälle festzustellen. Das nächste diagnostische Krankenhaus lag fast hundertsiebzig Kilometer weit entfernt. Auf jeden Fall musste sie einen Bericht über eine mögliche Epidemie an die zuständigen Behörden schicken.

Und das bedeutete, sie würde es mit Ben zu tun haben.

Kopfschüttelnd fragte Pedro: „Glaubst du, dass es das Denguefieber ist?“

„Nein, diesmal nicht. Der Mann da drüben hat ein bisschen Blut auf seinem Hemd, aber ansonsten kann ich aus dieser Entfernung nichts weiter erkennen.“ Sie schaute hinüber zu dem grob gezimmerten Pferch, wo mehrere Schweine sich kreischend über den Futtermangel beschwerten. „Ich denke eher an eine Lepto.“

Pedro zog die Brauen zusammen. „Leptospirose? Aber die Regenzeit ist doch schon vorbei.“

Die dürren Zweige und der harte Lehmboden rund um das Haus bestätigten seine Aussage. Die glühende Hitze, die jede Luftfeuchtigkeit verdampfen ließ, war so drückend, dass sie Tracys Übelkeit noch verstärkte. Durch die Nähe zum Äquator sanken die Temperaturen in diesem Teil Brasiliens während der Trockenzeit nur selten unter achtunddreißig Grad. Die tödliche Hitze würde immer schlimmer werden, bis schließlich der Regen zurückkam.

„Sie haben Schweine.“ Mit dem Unterarm schob Tracy ihre feuchten Haarsträhnen aus der Stirn.

„Ja, aber Lepto verursacht normalerweise keine Blutungen.“

„In Bahia schon.“

Pedro hob die Brauen. „Du glaubst, es handelt sich um die Lungenvariante?“

„Vielleicht.“

„Willst du Proben nehmen oder erst mal zu einem der anderen Häuser gehen?“

Sie zog ihr Handy aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. Kein Empfang. „Funktioniert dein Handy?“

„Nein.“

Sie seufzte. „Dann müssen die Gewebeproben warten, bis wir zurückkommen. Ich möchte nicht riskieren, dass wir womöglich lebende Patienten infizieren. Und vielleicht kommen wir ja auch in Reichweite eines Mobilfunkmasts, sobald wir höhergelegenes Terrain erreichen.“

Benjamin Almeida drückte sein Auge an das Objektiv des Mikroskops und drehte an der Feineinstellung, bis das Bild scharf wurde und der rosafarbene Fleck deutlich zu sehen war. Gramnegative Bakterien. Er nahm den Objektträger heraus, ließ ihn durch das Digital-Mikroskop laufen und notierte die Ergebnisse.

„Ben?“, erklang plötzlich die zögernde Stimme seiner Assistentin von der Tür her.

Er hielt einen Finger hoch, während er auf das Computersignal wartete, dass der Bericht an den behandelnden Arzt im Tropeninstitut von Piauí gesendet worden war. Dessen Dienstzimmer befand sich zwar nur wenige Schritte entfernt im Hauptgebäude des Krankenhauses, aber Ben hatte keine Zeit, selbst hinzugehen. Er zog die Latexhandschuhe aus, warf sie in den Mülleimer und desinfizierte seine Hände.

„Ja, was gibt’s?“ Er blickte auf. Allmählich machte sich die Zwölf-Stunden-Schicht bemerkbar. Doch er musste noch zwei weitere Objektträger bearbeiten, bevor er für heute Schluss machen konnte.

„Hier ist jemand, der Sie sprechen möchte.“ Mandy trat von der Tür zurück. Der entschuldigende Tonfall in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Wenn es Dr. Mendosa ist, sag ihm, ich habe ihm den Bericht gerade gemailt. Es ist eine bakterielle Infektion, kein Parasit.“

Da erschien eine Frau neben Mandy, und Ben stockte unwillkürlich der Atem. Ein Schock durchzuckte ihn. Glücklicherweise saß er noch auf seinem Hocker.

Tiefschwarzes Haar, wie immer mit einer Spange zusammengehalten, hohe Wangenknochen und ein langer, schlanker Hals. Die grünen Augen, in denen ein besorgter Ausdruck lag, begegneten seinem Blick offen und direkt. Sie reckte das Kinn noch etwas höher, während sie einander ansahen.

Was, zum Teufel, macht sie denn hier?

Die Frau rückte den Riemen einer blauen Isoliertasche an ihrer Schulter zurecht und trat einen Schritt auf ihn zu. „Ben, ich brauche deine Hilfe.“

Sein Kiefer war angespannt. Fast genau dieselben Worte hatte sie vor vier Jahren zu ihm gesagt. Kurz bevor sie ihn verlassen hatte. Er schluckte rasch, in der Hoffnung, dass seine Stimme seine Gedanken nicht verraten würde. „Wobei?“

„Irgendwas passiert gerade in São João dos Rios.“ Sie klopfte auf ihre Tasche, und ihre Worte überschlugen sich. „Ich habe Proben mitgebracht, die du dringend analysieren musst. Je früher, desto besser. Ich muss unbedingt wissen, warum die Leute dort plötzlich …“

„Langsam. Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

Tracy biss sich auf die Lippen. „Es gibt eine Epidemie in São João dos Rios. Bisher sind sechs Leute gestorben. Die Militärpolizei ist schon unterwegs, um das Dorf abzusperren.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich wäre nicht gekommen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“

Ben wusste, dass das stimmte. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie das Haus verlassen, um nie wieder zurückzukehren.

Eigentlich hätte es ihn nicht überraschen sollen, dass sie noch immer das Land durchstreifte, um Infektionsherde zu bekämpfen. Nichts hatte sie jemals davon abhalten können. Weder er noch der Gedanke an ein Zuhause und eine Familie. Nicht einmal das neue Leben, das sie in sich getragen hatte.

Wider besseres Wissen streifte er ein frisches Paar Handschuhe über. „Brauche ich eine Atemschutzmaske?“

„Ich glaube nicht. Wir haben OP-Gesichtsmasken benutzt, um die Proben zu entnehmen.“

Ben nickte, zog eine Gesichtsmaske über und reichte auch Tracy eine. Er war froh, dass die Maske die weichen roséfarbenen Lippen verbergen würde, die er so gern geküsst hatte. Er hob den Blick und schalt sich dafür, dass ihre strahlend grünen Augen noch immer die Macht besaßen, seinen Herzschlag zu beschleunigen.

Dann räusperte er sich. „Irgendwelche Symptome?“

„Die Gemeinsamkeit scheint eine Lungenblutung zu sein, vielleicht aufgrund einer Lungenentzündung.“ Sie gab ihm die Tasche. „Leider wurden die Toten bereits eingeäschert.“

„Ohne Autopsie?“ Ben beschlich ein ungutes Gefühl.

„Das Militär hat mir erlaubt, einige Proben zu entnehmen, bevor die Leichen weggeschafft wurden. Die Regierungsbeamten haben auch Proben genommen, um ihre eigene Analyse durchzuführen. Ich muss dokumentieren, dass ich alles zerstört habe, nachdem du mit deiner Arbeit fertig bist.“ Tracy senkte die Stimme. „In deinem Wartezimmer steht ein Wachposten, der dafür sorgen soll, dass der Befehl ausgeführt wird. Bitte, hilf mir bei dieser Sache. Du bist der beste Epidemiologe hier in der Gegend.“

Als er einen Blick zur Tür warf, sah er den bewaffneten Beamten der Polícia Militar, der in dem anderen Raum an der Wand lehnte. „Das war früher mal nicht das, was du an mir am meisten geschätzt hast.“

Wieder biss sie sich auf die Lippen. „Weil du deinen Job als Waffe gegen mich eingesetzt hast.“

Sie hatte recht, aber nicht einmal davon hatte sie sich zurückhalten lassen.

Bens Assistentin, die sie von der Tür her beobachtete, kam herein, zog sich ebenfalls eine Gesichtsmaske über und stellte sich neben ihn. Nervös schaute sie zu dem Wachposten hinüber.

„Lässt er uns hier wieder weg?“, fragte sie auf Portugiesisch.

Tracy wechselte von Englisch in die Landessprache. „Falls sich herausstellt, dass es sich um eine gewöhnliche Lungenentzündung handelt, wird das kein Problem sein.“

„Und wenn nicht?“

Ben presste den Mund zusammen bei dem Gedanken, zusammen mit Tracy für unbestimmte Zeit in seinem Labor eingesperrt zu sein. „Wenn nicht, werden wir wohl eine Weile hierbleiben müssen.“ Er ging zur Tür, um mit dem Wachposten zu sprechen. „Wir haben die Gewebeproben noch nicht geöffnet. Meine Assistentin hat eine Familie, und ich möchte, dass sie nach Hause gehen kann, bevor wir anfangen.“

Aus genau diesem Grund hatte er darauf bestanden, dass sein Arbeitsbereich getrennt vom Hauptgebäude untergebracht war. Dieses Nebengebäude war klein genug, um das Ganze im Fall einer durch Tröpfcheninfektion übertragenen Epidemie abschotten zu können. Alle Ergebnisse würden dann per Computer versendet.

Sicherheit war Bens oberste Priorität. Mandy kannte das Risiko, das mit der Arbeit bei ihm verbunden war. Allerdings war sie bis jetzt noch keiner Gefahr ausgesetzt gewesen. Anders als Tracy, die sich vor vier Jahren in eine Gelbfieber-Epidemie gestürzt hatte, sodass Ben sich gezwungen gesehen hatte, das Militär zu rufen.

Der Wachposten überlegte kurz, bevor er sich abwandte, um über sein Funkgerät mit jemandem zu sprechen. Danach erklärte er: „Jemand wird sie nach Hause begleiten, aber dort muss sie bleiben, bis wir wissen, mit welcher Krankheit wir es zu tun haben. Und Sie beide …“ Er machte eine Handbewegung in Richtung Ben und Tracy. „Sobald die Proben geöffnet sind, müssen Sie in diesem Gebäude bleiben, bis wir die Risiken abschätzen können.“

Mandy warf Ben einen ängstlichen Blick zu. „Glaubst du wirklich, dass es für mich sicher ist, wenn ich gehe? Mein Baby …“ Flüchtig schloss sie die Augen. „Ich muss meinen Mann anrufen.“

„Sag Sergio, er soll das Baby zu deiner Mutter bringen. Dort ist die Kleine sicher. Nur für alle Fälle. Ich ruf dich an, sobald ich was weiß, ja?“

Seine Assistentin nickte und ging hinaus, um ihr Telefonat zu führen.

„Es tut mir leid.“ Tracys Miene wurde sanft. „Ich dachte, du wärst allein im Labor. Ich wusste nicht, dass du eine Assistentin hast.“

„Du kannst ja nichts dafür. Sie macht sich Sorgen wegen möglicher Risiken für ihr Baby.“ Ben sah sie an. „Wie jede Frau es tun würde, die Kinder hat.“

Schlagartig schwand das Mitgefühl aus ihrem Blick. „Ich habe mir Gedanken gemacht. Aber das hat dir nie gereicht, oder?“, gab Tracy verärgert zurück. „Ich fahre nach São João dos Rios zurück, sobald ich ein paar Antworten von dir bekomme. Wenn ich schon unter Quarantäne gestellt werde, dann dort, wo ich helfen kann. Ich will nicht in einem Labor herumsitzen und auf Reagenzgläser starren.“

„Sagt die Frau, die in mein Labor gekommen ist, weil sie Hilfe braucht“, erwiderte er ruhig.

„So habe ich es nicht gemeint.“

„Doch, natürlich.“

Einen Moment lang starrten sie sich an, dann erschienen kleine Fältchen um Tracys Augenwinkel. Lächelnd zog sie die Maske herunter und ließ sie um den Hals baumeln. „Na schön, vielleicht ein bisschen. Aber ich habe wenigstens zugegeben, dass ich dich brauche. Das sollte doch auch was zählen.“

Trotzdem war es kein Vergleich zu dem, was sie früher einmal verbunden hatte. Diese Zeit war lange vorbei. Und egal, wie sehr Ben sich damals bemüht hatte, Tracy festzuhalten, sie hatte sich immer weiter von ihm entfernt. Bis die Kluft zwischen ihnen allzu tief geworden war.

Entschlossen schüttelte er die Gedanken an die Vergangenheit ab und stellte die Isoliertasche auf einen freien Metalltisch. Er wies auf den Handschuhspender an der Wand. „Zieh dir welche über, und fass im Labor nichts an. Zur Sicherheit.“

Tracy zog eine Schachtel mit Handschuhen aus ihrer Handtasche. „Ich bin vorbereitet.“

Wie immer. Diese Frau war ständig unterwegs, ohne sich je ein freies Wochenende zu gönnen. Mit aller Kraft hatte sie sich in ihre Arbeit gestürzt, bis davon nichts mehr übrig gewesen war. Weder für sie noch für ihn.

Er hatte geglaubt, sie würde damit aufhören, als sie schwanger wurde. Doch das stimmte nicht. Und Ben hatte nicht gewollt, dass sein Kind dasselbe Schicksal erleiden würde wie er selbst.

Frustriert biss er die Zähne zusammen, während er sich in seinem Labor umschaute und überlegte, welche Geräte für die Untersuchung notwendig waren. Er und Tracy würden in der kleinen gläsernen Kabine in der Ecke arbeiten müssen, die er für solche Fälle eingerichtet hatte.

Seinen alltäglichen Arbeitsbereich komplett von Tracys Proben getrennt zu halten hatte absolute Priorität. Wenn sie nicht aufpassten, könnte die Regierung am Ende noch das gesamte Labor unter Quarantäne stellen. Damit würde Bens jahrelange Arbeit in der Verbrennungsanlage landen.

„Da drüben habe ich einen Sterilraum“, sagte er zu Tracy. „Sobald wir die Sache mit Mandy geklärt haben, können wir anfangen.“

Tracy blickte zur Tür, wo das Telefonat zwischen Mandy und ihrem Mann immer hitziger wurde. „Ich habe sehr darauf geachtet, alles so steril wie möglich zu halten. Ich glaube nicht, dass sie irgendeinem Risiko ausgesetzt war.“

„Es ist sicher alles in Ordnung. Ich nehme deine Proben mit in die Kabine. Kannst du danach bitte den Tisch, auf dem sie standen, mit Desinfektionsmittel reinigen?“

Kaum griff Ben nach der Isoliertasche, erschien der Wachposten, eine Hand an seinem Gewehr. „Wo wollen Sie damit hin?“

Ben zeigte auf die gläserne Kabine. „Solange die Proben in einem abgeschlossenen Raum sind, können sie niemanden infizieren. Von der Tür zum Warteraum aus können Sie alles sehen, was wir tun. Allerdings ist es sicherer, wenn Sie genügend Abstand halten, wenn wir mit der Untersuchung beginnen.“

Sofort wich der Wachposten mehrere Schritte zurück. „Wie lange wird das dauern? Ich möchte hier nicht länger bleiben als unbedingt nötig.“

„Keine Ahnung. Kommt darauf an, was wir finden.“

Ben brachte die Tasche in die Kabine. Dann holte er alle Utensilien, die er benötigte, und legte sie auf dem Metallregal bereit, das über einem Edelstahltisch angebracht war. Er seufzte. In dem knapp drei mal drei Meter großen Raum würde es eng werden, sobald er und Tracy sich gemeinsam darin befanden.

Eine Luftversorgungseinheit filterte alle Partikel heraus, die in den oder aus dem Sterilraum kamen. Aber es gab keine Möglichkeit, kühle Luft in den Raum zu pumpen. Sie mussten sich mit der altersschwachen Fensterbelüftung im Hauptlabor begnügen, die sie hoffentlich davor bewahren würde, sich wie in einem glühenden Backofen zu fühlen.

Gerade als Ben den Luftfilter einschaltete und die Tür der Glaskabine hinter sich schloss, erschien Mandy an der Tür.

„Es ist alles organisiert. Sergio hat meine Mom angerufen und gefragt, ob sie das Baby über Nacht nimmt. Er findet es zwar nicht gut, dass er nicht zur Arbeit gehen kann, aber er will auch nicht, dass ich hierbleibe.“

„Kann ich ihm nicht verdenken. Doch die gute Nachricht ist, du darfst nach Hause gehen.“ Er lächelte. „Richte Sergio aus, er kann froh sein, dass ich dich ihm noch nicht abspenstig gemacht habe.“

Mandy lachte. „Das hast du ihm selbst schon oft genug gesagt.“

Tracy wandte sich ab und ging etwas steif zu dem Metalltisch, den sie bereits gesäubert hatte, und fing an, ihn erneut zu reinigen. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt und sah keinen der beiden anderen an.

„Bringt der Wachmann dich nach Hause?“, fragte Ben.

„Sie schicken noch einen zweiten Polizisten. Er müsste gleich hier sein.“

„Gut.“ Er ließ Mandy im Vorraum warten, damit sie nicht in die Nähe der Proben kam. Dann kehrte er in die Kabine zurück, wo er die Isoliertasche in einen kleinen Kühlschrank stellte. Die Luft wurde allmählich stickig, doch Ben hatte schon häufig unter noch wesentlich schlimmeren Bedingungen gearbeitet. Genau wie Tracy.

An eine Situation erinnerte er sich besonders gut – ihre erste Begegnung. Tracy war von dem Klinikboot des Projeto Vida in das Dorf marschiert, das er gerade überprüfte, und hatte zu wissen verlangt, was er denn gegen den Malaria-Ausbruch dreißig Kilometer weiter flussabwärts unternehmen wollte. Ben war erschöpft gewesen, und sie hatte wie ein hinreißender Racheengel ausgesehen, dessen seidig-schwarzes Haar im Wind flog.

Es hatte kaum zwei Tage gedauert, bis sie zusammen im Bett gelandet waren.

Doch daran wollte er im Augenblick lieber nicht denken. Vor allem, da er versuchte, jeden Körperkontakt mit ihr zu vermeiden. Sie mochte vielleicht immun sein, aber er nicht.

Tracy warf ihr Papierhandtuch in den Eimer für Sondermüll, bevor sie zu Ben hinüberging. „Danke für deine Bereitschaft, mir zu helfen. Du hättest auch sagen können, dass ich mich zum Teufel scheren soll, und ich hätte es dir nicht übel genommen.“

„Ich bin ja nicht immer ein Unmensch.“

Erneut biss sie sich auf die Lippen. „Ich weiß. Und es tut mir sehr leid, dich da mit reinzuziehen, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Das Militär wollte nicht einmal zulassen, dass ich die Proben aus São João dos Rios mit rausnehme. Sie haben nur deshalb zugestimmt, weil du schon mit ihnen zusammengearbeitet hast. Trotzdem musste ich einen Wachposten mitbringen. Ich habe wirklich nicht geglaubt, dass irgendjemand außer uns davon betroffen wäre.“

„Ist ja nicht deine Schuld, Tracy.“ Ben wollte ihre Wange berühren, hielt sich jedoch zurück. „Die Regierung hat vermutlich recht, wenn sie das hier auf so engen Raum wie möglich beschränken will. Falls ich der Meinung wäre, dass auch nur die geringste Möglichkeit einer Ansteckungsgefahr besteht, wäre ich der Erste, der sagen würde, dass Mandy bei uns im Labor bleiben muss.“ Lächelnd setzte er hinzu: „Aber wie ich dich kenne, hat keine einzige Mikrobe auf dieser Tasche überlebt, bevor du sie aus dem Dorf getragen hast.“

„Ich hoffe nicht. Es gibt dort mehrere Kranke, die auf Antworten von uns warten. Ich habe einen Kollegen zurückgelassen, um sicherzugehen, dass das Militär nicht voreilig handelt. Allerdings ist er kein Arzt, und seine Gesundheit möchte ich auch nicht riskieren.“ Sie seufzte. „Die Leute dort brauchen Hilfe. Aber ich kann nichts machen, bevor ich weiß, womit wir es zu tun haben.“

Und danach wäre sie wieder unterwegs zur nächsten Krise, so wie früher auch.

Sein Lächeln schwand. „Also ran an die Arbeit!“

Der Wachposten steckte den Kopf zur Tür herein. „Sie schicken jemanden für Ihre Freundin her. Sie muss zu Hause bleiben, bis die Gefahr vorbei ist.“

Ben nickte. „Vielen Dank.“

Als er zur Tür ging, um sich von Mandy zu verabschieden, gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn. In ihren Augen standen Tränen. „Ich bin dir ja so dankbar. Ich kann mir nicht vorstellen, meine kleine Jenny heute nicht selbst ins Bett zu bringen. Aber wenigstens bin ich zu Hause näher bei ihr als hier.“

Sein Herz zog sich zusammen. Dieser Frau bedeutete ihr Baby alles. Sie brauchte nicht in irgendwelche entlegenen Gebiete zu fliegen, um in ihrem Leben Erfüllung zu finden. Im Gegensatz zu Bens Eltern. Oder Tracy.

„Wir werden so schnell arbeiten, wie es geht. Sobald Entwarnung ist, gib der Kleinen einen dicken Kuss von ihrem Onkel Ben.“

„Mach ich.“ Mit dem Daumen wischte sie ihm etwas Lippenstift von der Wange. „Sei vorsichtig, ja? Ich habe mich gerade erst an deine verrückte Art gewöhnt. Ich will nicht schon wieder jemand Neues anlernen.“

Er lachte, streifte einen Latexhandschuh ab und legte ihr die Hand auf die Schulter. „So schnell wirst du mich nicht los. Also geh und genieß deinen Miniurlaub. Du wirst früher in die alte Tretmühle zurückkommen, als dir lieb ist.“

Mandys Begleiter traf ein, und nachdem sie das Gebäude verlassen hatte, drehte Ben sich zu Tracy um. Sie betrachtete ihn prüfend.

„Was ist?“

Sie zuckte die Achseln. „Nichts. Ich bin bloß überrascht, dass du keine Frau gefunden hast, die begeistert wäre, zu Hause zu sitzen und dir all die vielen Kinder zu schenken, die du so gerne haben wolltest.“

„Das wäre unter den jetzigen Umständen unmöglich.“

„Ach ja?“ Sie zog die Brauen hoch. „Wieso das denn?“

Er lachte freudlos auf. „Musst du da wirklich fragen?“

„Ja.“

Er nahm ihre Hand und hielt sie hoch, sodass ihr Blick auf den schlichten Goldring unter dem Handschuh fiel. „Aus demselben Grund, aus dem du den hier noch trägst.“ Eindringlich schaute er ihr in die Augen. „Hast du es wirklich vergessen, Mrs. Almeida? Auch wenn du vielleicht deinen Ehenamen nicht mehr benutzt, sind wir vor dem Gesetz immer noch verheiratet.“

2. KAPITEL

Tracy hatte gar nichts vergessen.

Und sie hatte auch vorgehabt, sich um die Scheidung zu kümmern. Aber im Ausland tätig zu sein machte alles sehr viel komplizierter. Zwei brasilianische Rechtsanwälte, die sie konsultiert hatte, hatten ihr erklärt, dass sie als amerikanische Staatsbürgerin in die USA zurückkehren und die Scheidung dort einreichen sollte, da Ben und sie in New York geheiratet hatten. Doch sie wollte ihn unter keinen Umständen fragen, ob er sie begleiten würde. Damals hätte sie seine Nähe auch gar nicht ertragen, denn sie war noch zu aufgewühlt gewesen von allem, was in dem Monat geschehen war, bevor sie Teresina und damit Ben für immer verlassen hatte.

Danach hatte sie sich mit aller Kraft in ihre Arbeit gestürzt und war viel zu sehr mit dem Klinikboot ihrer Hilfsorganisation beschäftigt gewesen, um die Sache in die Wege zu leiten. Außerdem war der Ehering nützlich dafür, Männer abzuschrecken, die ihr zu nahekamen. Auch wenn es davon nicht gerade viele gab. Ihre Rühr-mich-nicht-an-Ausstrahlung war offensichtlich mehr als deutlich. Tracy hatte nicht die Absicht, je wieder zu heiraten, deshalb fand sie es leichter, es einfach dabei zu belassen. Nur zu dumm, dass sie vergessen hatte, ihren Ring abzunehmen, bevor sie Ben um Hilfe gebeten hatte.

In diesem Moment merkte sie, dass er noch immer auf eine Antwort von ihr wartete, und hob das Kinn. „Wir sind nicht mehr verheiratet, das kann man beim besten Willen nicht mehr behaupten. Dafür hast du schon gesorgt.“

„Klar.“ Er holte noch einige Utensilien zusammen, die er brauchte.

Unwillkürlich strich Tracy mit dem Daumen über den Ring. Irgendwie wirkte das beruhigend auf sie.

Während sie Ben beim Arbeiten beobachtete, war sie erstaunt über die feinen grauen Strähnen in seinem dichten braunen Haar. Aber schließlich war er achtunddreißig, und sie hatte ihn vier Jahre lang nicht gesehen. Da waren Veränderungen unvermeidlich. Was sich jedoch nicht verändert hatte, waren seine strahlend blauen Augen, die er von seiner amerikanischen Mutter geerbt hatte. Sie bildeten den perfekten Gegensatz zu seiner gebräunten Haut, den hohen Wangenknochen und der geraden, aristokratischen Nase, die er wiederum seinem brasilianischen Vater zu verdanken hatte. Außerdem hatte er nichts von seiner intensiven Konzentrationsfähigkeit verloren, die sie früher als so einschüchternd empfunden hatte.

Und unwiderstehlich.

Reiß dich zusammen, Tracy!

Sie zog die Schutzkleidung inklusive der Überschuhe an, die Ben für sie bereitgelegt hatte. Dann betrat sie die Glaskabine, wo er alles Nötige für die Untersuchung aufbaute.

„Mach bitte die Tür zu, damit ich sie versiegeln kann.“

„Versiegeln?“ Tracy musste schlucken, befolgte jedoch seine Bitte.

„Bloß hiermit.“ Er hielt eine Rolle transparentes Klebeband hoch. „Ist deine Klaustrophobie ein Problem?“

Das Gefühl, gefangen zu sein, löste bei ihr schnell Panik aus. Sie schaute zum Ausgang. „Solange ich weiß, dass dort gleich eine Tür ist, müsste das gehen. Die Glaswände sind eine große Hilfe.“

„Gut.“ Ben verklebte die Türränder, bevor er die Isoliertasche aus dem Kühlschrank holte und die Etiketten auf den Teströhrchen darin betrachtete. Er nahm zwei heraus und stellte den Rest wieder kühl.

„Was soll ich tun?“, fragte Tracy.

„Objektträger vorbereiten.“ Er drehte das eine Röhrchen zur Seite und las vor: „Daniel, männlich, zwölf Jahre.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Er lebt?“

„Ja.“ Es gab ihr einen Stich ins Herz, wenn sie an den Jungen dachte, der sie mit so großen, ängstlichen Augen angeschaut hatte. Doch zumindest lebte er. So wie seine kleine Schwester Cleo. Ihre Mutter hatte nicht so viel Glück gehabt. Deren Leiche war eine der ersten gewesen, die gefunden wurden. „Fiebrig. Keine sichtbaren Hautverletzungen.“

„Irgendwelche Anzeichen für eine Lungenentzündung?“

„Noch nicht. Deshalb erschien es uns auch so merkwürdig. Die meisten Toten hatten zuvor bei ihren Angehörigen über Husten in Verbindung mit Fieber und Abgeschlagenheit geklagt.“

„Eine vergrößerte Leber bei den Toten?“

„Keine Autopsien, schon vergessen? Das Militär hat alles vernichtet.“ Ihre Stimme klang brüchig.

Ben legte seine behandschuhte Hand auf ihre. Selbst durch zwei Latexschichten hindurch fühlte Tracy sich durch die vertraute Wärme seiner Berührung auf eine Weise getröstet, wie niemand anders es je konnte. „Bereite erst mal die Objektträger vor, ich kümmere mich um die Zentrifuge.“

Autor

Tina Beckett
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