Zurück in den Armen des Ex

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Für Finley könnte es nicht schlechter laufen: Als Dankeschön für die Organisation seiner Hochzeit spendiert ihr Bruder ihr einen Aufenthalt in den Bergen – ausgerechnet zusammen mit ihrem Ex Will, der ihr damals das Herz gebrochen hat! Als ein Sturm aufkommt, sitzen sie auf der abgelegenen Ranch fest. Kein Wunder, dass die alten Gefühle wieder hochkochen. Will küsst immer noch so himmlisch heiß wie damals, und Finley fragt sich: Ist das ein Neuanfang für ihre Liebe? Oder bleibt es bei dieser einen stürmischen Nacht?


  • Erscheinungstag 16.08.2022
  • Bandnummer 2250
  • ISBN / Artikelnummer 0803222250
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich hasse Hochzeiten“, knurrte Finley Smythe den Bräutigam an, der zufälligerweise auch ihr Halbbruder und ihr liebster Mensch auf der ganzen Welt war. „Aber diese hier wird absolut perfekt.“

Grayson Monk nickte seinem Spiegelbild zu, dann drehte er sich um und sah Finley an. „Nelle und ich sind dir unendlich dankbar für die Hochzeitsplanung, obwohl du so eine Abneigung dagegen hast. Dabei lässt du doch sonst kein Event aus, bei dem es Torte gibt.“

„Ich habe nichts gegen Hochzeiten an sich.“ Finley machte sich auf der anderen Seite des Raums auf die Suche nach ihren Ansteckblumen. „Wenn jemand sich gesetzlich an einen anderen Menschen binden und auf der Steuererklärung verheiratet ankreuzen will – von mir aus.“

„Warum hasst du Hochzeiten dann?“, fragte Grayson, der in den Spiegel sah, während er seine Krawatte glatt strich.

Sie steckte die Blumen vorsichtig an ihr Kleid. „Ich habe etwas gegen die barocken Bräuche, die nur unrealistische Erwartungen wecken. Ausdrücke wie wahre Liebe, bis dass der Tod euch scheidet und Seelenverwandte sollte man verbieten.“ Vor allem Seelenverwandte, denn Finley wusste aus Erfahrung, dass diese Vorstellung trog.

Sie sah auf und stellte fest, dass Grayson sie musterte. Der Ausdruck in seinen braunen Augen war nicht zu deuten. „Ich finde diese Formulierungen überhaupt nicht unrealistisch.“

„Natürlich nicht. Du heiratest ja auch.“ Finley zuckte mit den Schultern. „Wo sind eigentlich die anderen?“

„Ich habe sie gebeten, mich mit meinem Trauzeugen allein zu lassen.“

„Oder deiner Trauzeugin, so wie die Dinge stehen.“

„Du bist immer mein bester Mann gewesen.“ Grayson lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. „Danke, dass du immer für mich da bist. Das habe ich früher nicht oft genug gesagt.“

„Na ja, irgendjemand musste dich ja großziehen, nachdem Mom gestorben war.“ Finley grinste ihn an.

„Du bist doch nur zwanzig Monate älter. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns gegenseitig großgezogen haben. Deswegen weiß ich ja auch so genau, dass du ein hartes Jahr hinter dir hast …“

Sie winkte ab, um der Sentimentalität ein Ende zu setzen. „Hart? Warum? Nur weil mein Chef wegen Verstößen gegen das Wahlkampffinanzierungsgesetz schuldig gesprochen wurde und im Knast sitzt und ich deswegen keinen Job mehr habe? Pfft. Eine Kleinigkeit.“

„Ich weiß, dass du versuchst, Witze zu machen“, sagte Grayson, der offenbar nicht vorhatte, sich von einem ernsten Gespräch abhalten zu lassen. „Aber Barrett war nicht nur dein Chef, er war auch dein Stiefvater.“

„Und dein Vater, also wenn jemand es schwer hatte, dann ja wohl du. Von deiner Braut mal ganz abgesehen, deren Familie Barrett zerstört hat. Aber wir sollten bei deiner Hochzeit keinen Mitleidswettbewerb veranstalten.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. „Wenn Luke und Evan nicht bald auftauchen, müssen wir den Musikern Überstunden bezahlen.“

Grayson nahm ihre Hand in seine. „Ich will dir einfach nur sagen, wie viel du mir bedeutest. Hoffentlich können wir irgendwann bei deiner Hochzeit Witze machen, wenn du versuchst, mir dein Herz auszuschütten.“

Finley zog ihre Hand zurück. „Warum wollen Menschen, die heiraten, immer ihre unverheirateten Bekannten mit in die Sache hineinziehen?“ Ein Klopfen an der Tür kündigte an, dass ihre Rettung nahte. „Herein“, rief sie erleichtert. „Vor allem wenn es euer Job ist, Grayson von mir weg und vor den Altar zu bringen.“

Luke Dallas und Evan Fletcher drängten herein. Sie sahen gut aus in ihren Smokings und strahlten, als sie auf Grayson zugingen, einander die Hände schüttelten und auf die Schultern klopften. Von den beiden konnte sie keine Unterstützung erwarten, wenn es darum ging, Hochzeiten als altmodisches gesellschaftliches Ritual abzutun. Finley seufzte. Manchmal kam es ihr so vor, als ob sie der einzige vernünftige Mensch im Raum wäre. Sie klatschte in die Hände, um die Männer zu unterbrechen. „Sitzen die Gäste schon auf ihren Plätzen?“, fragte sie Luke und Evan.

„Jawohl, Ma’am“, sagte Evan grinsend.

„Gut.“ Sie klopfte Grayson auf den Arm. „Dann verheiraten wir dich mal.“

Sogar Finley musste zugeben, dass Saint Isadore eine spektakuläre Kulisse für eine Hochzeit war. Die Zeremonie würde auf dem weitläufigen, mit Steinen gepflasterten Hof stattfinden, der den Flügel des Schlosses, in dem die Besitzer wohnten, von dem größeren Teil abtrennte, in dem sich das Büro und die Winzerei befanden. An einem Ende der Terrasse stand ein mit Kletterrosen und Efeu bewachsenes, freistehendes Spalier, unter dem das Hochzeitspaar sich das Jawort geben sollte. Das andere Ende der Terrasse war für das Hochzeitsessen hergerichtet worden, das nach der Trauung folgen sollte. Später würde das Spalier durch eine Bühne ersetzt werden, auf der eine von Nelles kalifornischen Lieblingsbands auftreten würde. Dafür wurden dann die Stühle weggeräumt, sodass Platz für eine Tanzfläche entstand. Das alles befand sich in einer atemberaubenden Kulisse aus sanften Hügeln, die von Weinstöcken bewachsen waren.

Das Streichquartett spielte jetzt die ersten Takte des Hochzeitsmarsches. Finley drehte sich gemeinsam mit den anderen Gästen zu Nelle um, die am Ende des improvisierten Mittelgangs stand. In ihrem weißen Kleid aus Spitze und Tüll sah sie aus wie die Märchenprinzessin, zu der die Presse sie erklärt hatte, nachdem sie und Grayson sich kennengelernt hatten. Nelles und Graysons Blicke trafen sich, und Finley wusste, dass der Rest des Weingutes für sie aufgehört hatte zu existieren. Sie sahen nur noch einander.

Sie atmete heftig aus, und ihre Schultern entspannten sich. Es gab noch etliche Hürden zu überwinden, bevor der Abend zu Ende war, aber das Hauptziel dieser Veranstaltung war so gut wie erreicht: Nelle und Grayson im Stand der Ehe zu vereinen. Finley ließ ihren Blick gedankenverloren über die Gesichter der Gäste schweifen, ehe sie sich dem Pfarrer zuwenden wollte, der gleich sprechen würde.

Sie erstarrte. Der Mann in der dritten Reihe – das konnte nicht er sein. Er stand jedenfalls nicht auf der Gästeliste. Sie ließ den Blick zur Seite schweifen, nur um sicherzugehen, dass sie sich das alles nur einbildete. Der Mann in der dritten Reihe – fünfter Platz von links auf der Seite der Braut – erwiderte ihren Blick, auch sein Gesicht war starr vor Schreck. Sie schluckte nervös, denn ihr Mund war plötzlich ganz trocken geworden.

Er war es tatsächlich! Will Taylor, der ihr klargemacht hatte, dass die Vorstellung von Seelenverwandten nur ein schlechter Scherz war. Will, der all ihre Hoffnungen auf die wahre Liebe und auf Beziehungen, die vom Schicksal vorherbestimmt waren, zerstört hatte.

Will, der sie vor fünfzehn Jahren verlassen hatte, ohne sich noch einmal umzusehen, und dessen Abschiedsworte sie in kleine Stücke zerfetzt hatten.

Es gelang Finley, sich umzudrehen und den Pfarrer anzusehen. Irgendwie schaffte sie es, der Zeremonie so weit zu folgen, dass sie die Ringe zur richtigen Zeit übergab. Sie rang sich sogar ein Lächeln ab, als Nelle und Grayson zu Mann und Frau erklärt wurden, und sie konnte Will lange genug vergessen, um aufrichtig zu lachen und zu applaudieren, als Grayson seine Braut herumschwang und sie ausgiebig küsste.

Dann war es für die Hochzeitsgesellschaft an der Zeit, der Braut und dem Bräutigam durch den Mittelgang zu folgen. Finley richtete sich auf und hob den Kopf. Sie würde ihn nicht ansehen. Sie würde ihn nicht ansehen.

Sie würde ihn nicht …

Wills Stuhl war leer.

2. KAPITEL

Komm nach Kalifornien hatte seine Schwester Lauren vor einer Woche gesagt. Dann können wir ein bisschen Zeit miteinander verbringen und ein bisschen Spaß haben Aber Spaß war das Letzte, wonach Will Taylor zumute war. Nicht nach dem Schlag in den Magen, den er gerade bekommen hatte.

Finley Smythe.

Schön wie immer. Er hatte ihren Werdegang nicht verfolgt, denn er war nicht versessen darauf zu leiden, aber hin und wieder sah er etwas von ihr, wenn er durch die Nachrichtenseiten scrollte oder sich die Fotos in einem Zeitschriftenartikel ansah, auf denen sie hinter ihrem Stiefvater, dem Kongressabgeordneten, stand. Obwohl er in Chicago lebte, weit weg von Barrett Monks Wahlbezirk in Kalifornien, hatte er von Monks tiefem Fall gehört. Wer, der Zugang zum Internet hatte, nicht? Er hatte nur die Verbindung zwischen ihm und dem Nachnamen des Bräutigams und damit auch zu Finley nicht hergestellt.

Ihr glattes dunkles Haar war jetzt kürzer und ihre Figur unter dem schwarzen und cremefarbenen Kleid schlanker, als er sie in Erinnerung hatte. Aber ihre Haltung war immer noch majestätisch, und sie strahlte immer noch eine Anziehungskraft aus, die alle Blicke auf sich zog, obwohl eine Braut, die direkt den Seiten einer Modezeitschrift hätte entstiegen sein können, auf den Altar zugegangen war.

Will griff nach dem ersten vollen Glas, das auf einem Serviertablett an ihm vorbeigetragen wurde. Er trank es in einem Zug aus. Wie konnte das nur sein? Von allen Hochzeiten auf der ganzen Welt war Lauren ausgerechnet zu der eingeladen worden, auf der Finley Smythe zur Entourage des Bräutigams gehörte?

„Hey, endlich hab ich dich gefunden.“ Seine Schwester tauchte neben ihm auf, als ob er sie mit seinen Gedanken herbeigezaubert hätte. „Du bist ja ganz schön schnell verschwunden. Ist alles in Ordnung?“

Er war sich nicht sicher, wie er sich fühlte, aber in Ordnung stand nicht unbedingt ganz oben auf seiner Liste von Worten, mit denen er seine Gefühle beschrieben hätte. Trotzdem nickte er. „Ja, mir geht’s gut.“

Lauren hob die Augenbrauen und verzog den Mund. „Das kauf ich dir nicht ab. Willst du lieber zurück ins Hotel?“

„Mir geht’s gut, wirklich.“ Er winkte einem Kellner und tauschte sein leeres Glas gegen ein volles aus. Ein zweites reichte er Lauren. „Ich trinke gerade Wein auf einem Weingut. Was soll schon sein?“

Laurens Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Wenn du nicht herkommen wolltest, hättest du das gleich sagen sollen, dann hätte ich jemand anderen gefragt, ob er mich begleitet. Jemanden, der froh wäre, wenn er an einem der exklusivsten Events der ganzen Gegend hier teilnehmen darf.“

Er würde sich vom Auftauchen einer alten Flamme nicht den Tag verderben lassen. Er lächelte seine Schwester an. „Ich bin froh, dass ich mit dir hier bin. Es ist viel zu lange her, dass wir uns gesehen haben.“

„Und wessen Schuld ist das?“ Sie lachte, als sie beide gleichzeitig sagten: „Meine.“

Dann wurde sie wieder ernst. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich zu dieser Hochzeit begleitest, weil Reid keine Zeit hatte.“ Sie sah hinab auf den glänzenden Platinring an ihrem Ringfinger, der unter ihrem Verlobungsring mit einem Brillanten steckte, der so groß war, dass er bestimmt von der ISS aus zu sehen war.

„Reid kennt die Braut, oder?“

„Den Bräutigam auch, aber Nelle arbeitet bei einer Hilfsorganisation für Kinder, und er ist ihr wichtigster Geldgeber, deswegen besprechen sie sich oft. Nelle und ich haben uns im letzten Jahr angefreundet, und ich mag sie wirklich gern, aber ansonsten kenne ich niemanden hier.“ Lauren warf ihm einen Blick zu. „Deswegen dachte ich, dass du genau der Richtige bist, um mich zu begleiten. Denn das hier sind deine Leute, weißt du, lauter Geschäftsleute und Finanzjongleure. Die Crème de la Crème der IT-Branche.“

„Das sind nicht meine Leute.“ Damals hatte Finley keinen Zweifel daran gelassen, dass er nicht zu ihren Leuten gehörte und es auch niemals tun würde.

Lauren verschränkte die Arme vor der Brust. „Neulich warst du noch CEO von einem IT-Unternehmen, wenn ich mich recht erinnere.“

„EverAftr hat seinen Hauptsitz in Chicago, nicht im Silicon Valley.“

„Und? Screenweb produziert außerdem eine Realityshow über dich.“

„In der Show geht es um EverAftr. Sie soll Leute aus allen Teilen des Landes auf ihrer Partnersuche begleiten.“

„Aber du bist der Star der ersten Staffel.“

„EverAftr ist das Thema der gesamten Serie.“

Lauren schnaubte, aber ihre Augen blitzten vergnügt. „Na schön. Du willst also so tun, als ob du nichts mit dem Erfolg von EverAftr zu tun hättest und nicht der Grund dafür wärst, dass deine Firma einen Fernsehvertrag an Land gezogen hat.“

Wills Blick wanderte zu Finley hinüber, obwohl sich auf der Terrasse des Weinguts mehrere fröhliche Hochzeitsgäste zwischen ihnen drängten. Meistens hielt er sein ausgezeichnetes Erinnerungsvermögen für ein Geschenk. Er hatte zwar kein fotografisches Gedächtnis, aber sein Gehirn war wie ein leicht zugänglicher Aktenschrank, der voll mit Fakten und Zahlen, aber auch mit Klängen, Oberflächenstrukturen und Bildern war.

Die seidige Geschmeidigkeit ihrer Haut unter seinen Fingerspitzen … das zauberhafte Leuchten in ihren karamellbraunen Augen, wenn er sie zum Lachen brachte … das sanfte Stöhnen, das ihn im Ohr kitzelte, wenn er mit seinem Mund tiefer …

„Geht es dir wirklich gut?“ Lauren wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum. „Du hast mir überhaupt nicht zugehört, und du bist ganz rot im Gesicht.“

Will blinzelte, und die Erinnerung verschwand. „Mir ist nur kalt. Es ist jetzt viel windiger hier. Ich wundere mich, dass die Feier nicht drinnen stattfindet.“

„Willst du mich veralbern? Es ist ein wunderschöner Tag, und hier stehen überall Heizpilze. Wir müssen uns nur unter die anderen Gäste mischen, dann wird dir gleich wieder warm.“ Lauren zeigte auf die Tabletts mit Essen, die ein paar Meter entfernt herumgereicht wurden. „Hast du denn gar keinen Hunger? Ich habe gehört, dass ein Dreisternekoch das Catering übernommen hat.“

Sein Blick wanderte wieder zurück zu Finley, als wäre sie ein Magnet, dessen Anziehungskraft er sich einfach nicht entziehen konnte. Finley und er waren auf demselben Event … Und wenn schon? Er war nicht mehr der traurige Junge, er war erwachsen geworden. Er konnte es aushalten, ein paar Stunden in ihrer Nähe zu verbringen.

„Also, was hältst du davon, etwas zu essen?“ Lauren zupfte an seiner Hand.

Er schüttelte die Geister der Vergangenheit ab und lächelte seine Schwester an. „Klar, wir schnappen uns ein paar Krabbenbällchen oder was sie sonst im Angebot haben.“

Er straffte die Schultern und stieß sich von der Hausecke ab, um Lauren zu folgen, die sich jetzt durch das Gedränge fröhlicher Gäste zur Bar schlängelte.

Finley war Vergangenheit, und das würde sie auch bleiben.

Finley bedankte sich bei ihrem Tanzpartner – einem von Graysons Kollegen aus der Investmentfirma – und ließ die funkelnden Lichter und die laute Musik auf der Tanzfläche hinter sich. Sie musste ihre gesamte Selbstbeherrschung aufbringen – und sie verfügte über schier unerschöpfliche Reserven an Beherrschung, da konnte man jeden fragen –, um Will Taylor nicht mit Blicken zu verfolgen wie das verliebte Mädchen, das sie einst gewesen war. Und um nicht auf die Bühne zu springen und dem Sänger der Band das Mikrofon aus der Hand zu reißen, sodass sie von Will eine Erklärung verlangen konnte. Nicht nur die Antwort auf die Frage: „Warum bist du hier?“, sondern auch die Antwort auf das große „Warum?“. Warum hatte er sie verlassen und sich nie wieder bei ihr gemeldet? Warum hatte er sie einfach so gehen lassen?

Warum hatte er ihre Worte nicht durchschaut und verstanden, dass sie gezwungen gewesen war, mit ihm Schluss zu machen? Wenn sie wirklich Seelenverwandte gewesen wären, so wie er es immer wieder behauptet hatte, hätte er dann nicht die Wahrheit erkennen müssen?

Es gab eben keine Seelenverwandten, und die Vorstellung von wahrer Liebe war nur eine Erfindung der Werbung, mit der Grußkarten und Filme verkauft werden sollten.

Sie seufzte. Sie neigte eigentlich nicht dazu, sich über die Vergangenheit den Kopf zu zerbrechen, und die Geschichte mit Will lag bereits fünfzehn Jahre zurück. Ihr Kopf sagte, dass sie sich nicht um ihn kümmern sollte, denn das hier war Graysons und Nelles Tag. Doch ihr Herz wollte … so vieles. Zu viel, um alles zu ordnen.

Ein Erinnerungston erklang auf ihrem Handy. In einer Stunde würden Grayson und Nelle in den Rolls-Royce-Oldtimer steigen, auf dessen Heckscheibe Just Married gekritzelt war, und dann war die Hochzeit zu Ende und Finley konnte ebenfalls aufbrechen. Das Personal auf dem Weingut hatte ihr versichert, dass alles aufgeräumt und dafür gesorgt würde, dass die letzten Gäste sicher an ihrem Bestimmungsort ankamen. Dann war Finley frei.

Aber frei wofür? Der einzige Arbeitgeber, den sie jemals gehabt hatte, saß hinter Gittern, und da sie geholfen hatte, ihn dorthin zu bringen, konnte sie nicht mit einem Empfehlungsschreiben von ihm rechnen. Diese Hochzeit zu planen hatte sie abgelenkt und ihr ein Jahr lang etwas zu tun gegeben, aber damit war es nun vorbei.

Sie steckte das Handy wieder ein und wollte zur Tanzfläche zurückkehren, als sie zufällig hörte, wie eine Frau Graysons Namen nannte.

Finley spähte um eine Kübelpflanze herum. Wenige Meter von ihr entfernt stand eng umschlungen ein Paar. Der Mann lachte. „Grayson ist ein guter Kerl. Ich freue mich wirklich für ihn, vor allem nach dem, was passiert ist.“

„Der ehemalige Abgeordnete ist gar nicht aufgetaucht“, sagte die Frau, die zuerst gesprochen hatte, spöttisch.

Der Mann lachte. „Ich glaube nicht, dass die sich besonders grün sind“, sagte er. „Kannst du dir vorstellen, dass du Grayson bist und dein Vater ist verurteilt worden, weil er Wahlkampfspenden veruntreut hat? Nur gut, dass Grayson vorher schon einen so guten Ruf hatte, sonst hätte ihm garantiert kein Investor mehr sein Geld anvertraut.“

Finley ballte die Hände zu Fäusten, verhielt sich aber ruhig. Was Barrett getan hatte, war skandalös und niederträchtig, aber das Ganze war auch sehr traurig. Als Kind hatte Grayson seinen Vater wie einen Helden verehrt, nur um dann festzustellen, dass dieser auf tönernen Füßen stand. Sie würde Barrett niemals vergeben, was er seinem Sohn angetan hatte.

„Grayson kommt schon zurecht. Aber man muss sich doch wundern“, sagte die Frau. „Warum spielt seine Schwester hier so eine große Rolle? Sie hat doch Hand in Hand mit seinem Vater gearbeitet und war bestimmt bis zum Hals in dessen Machenschaften verstrickt. Ich frage mich, warum sie nicht auch ins Gefängnis gekommen ist.“

Der Mann lachte. „Für die Familie Monk gelten nun mal andere Regeln als für gewöhnliche Sterbliche. Los, komm, wir verabschieden uns und fahren zurück ins Hotel.“

Finley zählte bis dreißig und spähte dann wieder um die Kübelpflanze herum. Das Paar war verschwunden. Sie fröstelte, aber ihre Gänsehaut hatte nichts mit dem Abendwind zu tun. Es war eine Sache, mit dem Verstand zu begreifen, dass ihre Karriere am Ende war und ihr jeder Weg zurück in die Politik versperrt war. Aber es war etwas ganz anderes, wenn irgendjemand offen sagte, dass man sie überall mit Misstrauen empfangen würde, sogar auf der Hochzeit ihres Bruders.

Doch jetzt musste ihre Schwägerin das Hochzeitskleid ablegen und sich für die Reise etwas Bequemeres anziehen. Finley hatte versprochen, dafür zu sorgen, dass Nelles Kleid in die Spezialreinigung kam, während das Brautpaar auf Hochzeitsreise war.

Finley schälte sich aus der Sicherheit des Schattens heraus und ging mit schnellen Schritten auf die große Eichentür zu, die zum Andenkenladen des Weinguts führte. Dahinter lagen die Räume, die für das Hochzeitspaar und seine engsten Angehörigen reserviert waren. Im Gehen wandte sie den Blick nicht von ihrem Handy ab. Sie streckte die rechte Hand nach der Tür aus …

Die schwere Tür öffnete sich plötzlich und hätte Finley beinahe getroffen. Sie stolperte rückwärts, und der Stilettoabsatz ihres linken Schuhs blieb in einer Fuge stecken. Ihr Knöchel verdrehte sich, und sie verlor das Gleichgewicht. Vor Schmerzen sah sie Sterne. Sie breitete die Arme aus, schwankte und versuchte, sich an irgendetwas festzuhalten.

„Ich hab dich.“

Muskulöse, starke Arme umschlangen sie. Mit den Fingern hielt sie sich an feiner Wolle über einem kräftigen Bizeps fest, während sie versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Aber als ihr linker Fuß den Boden berührte, schoss ein Schmerz durch ihren Knöchel, der ihr den Atem raubte. Sie verharrte in den Armen ihres Retters, bis der Schmerz so weit abgeklungen war, dass sie wieder irgendetwas anderes wahrnehmen konnte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wirklichkeit wahrscheinlich nur Sekunden gedauert hatte, hatte Finley ihr Gleichgewicht so weit wiedergewonnen, dass sie allein stehen konnte, wenn sie nur den unverletzten Fuß belastete. Sie atmete aus und richtete sich auf. Dann drehte sie sich um, um ihrem Helfer zu danken.

Erneut blieb ihr der Atem weg.

Es war Will.

3. KAPITEL

Will sah den Unfall wie in Zeitlupe. Die Tür öffnete sich. Der Mann, der sie aufgestoßen hatte, sah sich nach hinten zu seiner Begleiterin um. Finley hatte den Blick auf ihr Handy gerichtet, während sie direkt auf einen Zusammenstoß zusteuerte. Ihr Fuß verlor den Halt, drehte sich, und sie schrie erschrocken auf, als sie zu fallen drohte.

Will dachte und fühlte nichts, er reagierte nur. Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren, ein schweres Trommeln, das er eher spürte als hörte.

Er hielt sie fest.

Finleys Brust hob und senkte sich hektisch, und er machte sich schon Sorgen, dass sie zu hyperventilieren anfangen könnte, bis sie ihren Atem wieder unter Kontrolle hatte. Er wandte den Blick ab, denn ihm war plötzlich bewusst geworden, dass die dünne Spitze ihres Kleides die Rundung ihrer Brüste nicht vollkommen bedeckte.

„Ist alles okay?“, fragte er heiser.

Sie nickte mit abwesendem Blick. Dann stützte sie sich auf seinen Arm und richtete sich auf. Eine dunkle Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, und sie strich sie mit ihrer freien Hand weg, bevor sie sich ihm zuwandte. „Danke d…“

Ihr Lächeln erstarb. Sie wirkte sofort verschlossen, unnahbar und ließ seinen Arm los.

„Mit dem Knöchel solltest du zum Arzt gehen“, sagte er und konnte selbst hören, wie heiser er klang.

Sie schüttelte den Kopf. Dann beugte sie sich vor und stellte den verlorenen Schuh so auf, dass sie mit dem linken Fuß hineinschlüpfen konnte. „Danke für deinen Rat“, sagte sie. „Aber ich habe deine Sorge nicht nötig.“

Hatte ich niemals und werde es auch niemals, schien ihr Tonfall zu sagen. „Natürlich bin ich besorgt. Jeder, der über einen Funken Menschlichkeit verfügt, wäre es, und wenn du …“ Er verkniff sich den Rest des Satzes.

„Wenn ich was? Über Menschlichkeit verfügen würde?“ Er hatte vorher schon gedacht, dass die Atmosphäre eisig wäre, doch jetzt wurde sie zum ewigen Winter. „Du …“ Sie kniff die knallroten Lippen zusammen, als Lauren sich zu ihnen gesellte.

„Hi.“ Seine Schwester nickte Finley freundlich zu, ehe sie sich bei ihm unterhakte. „Entschuldigt, wenn ich störe, aber die Band spielt gerade meinen Lieblingssong und du schuldest mir einen Tanz.“

Finleys Blick heftete sich an Laurens Verlobungsring. Die Größe und das Funkeln des Brillanten waren selbst im schwachen Schein der Lichterkette über ihnen klar zu erkennen. Ihr Lächeln war jetzt wieder da, breiter und spröder als zuvor. „Eine ausgezeichnete Idee. Ihr zwei geht tanzen.“

„Finley, das ist Lauren. Meine …“

Finley hob die rechte Hand, um ihn zu unterbrechen. „Danke für deine Hilfe. Viel Spaß noch euch beiden. Jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss mich um die Braut kümmern.“

Noch immer ein wenig wackelig auf dem linken Fuß drehte sie sich um und riss die Tür zum Andenkenladen des Weinguts auf. „Lass jemanden deinen Knöchel angucken“, rief er ihr hinterher.

„Was war das denn?“

Er zuckte mit den Schultern, in der Hoffnung, dass seine Schwester das als Zeichen seiner Gleichgültigkeit verstehen würde und nicht, dass er Schwierigkeiten hatte, die richtigen Worte zu finden, geschweige denn die Gefühle zu verstehen, die gerade in ihm brodelten. „Sie wäre beinahe hingefallen, und ich habe sie aufgefangen.“

Lauren kniff die Augen zusammen. Er schnitt ihr das Wort ab, bevor sie ihm noch eine neugierige Frage stellen konnte. „Du hast mir nicht gesagt, dass der Bräutigam der Sohn von Barrett Monk ist.“

Lauren sah ihn an, als wäre ihm ein drittes Ohr auf der Stirn gewachsen. „Die Geschichte war doch überall in den Nachrichten, und du bist doch immer so gut informiert.“

Will schüttelte den Kopf. Wenn er es jetzt nicht gut sein ließ, stellte Lauren ihm vielleicht Fragen, auf die zu antworten er gerade keine Lust hatte.

Er hatte seiner Familie nie von diesem speziellen Sommer erzählt. Lauren war noch in der Highschool gewesen und hatte mit dem üblichen Teenagertheater genug zu tun gehabt, und zuerst hatte er kaum glauben können, dass jemand wie Finley tatsächlich ihm gehörte. Er hatte es nicht beschreien wollen, indem er zu vielen Leuten davon erzählte. Später wurde ihm klar, dass ihr Verhältnis von Anfang an ein Fehler gewesen war, und es gab keinen Grund, irgendwem zu erzählen, dass er sich damals zur Lachnummer gemacht hatte. „Hattest du nicht etwas von Tanzen gesagt?“

„Jetzt ist der Song schon fast zu Ende, aber ich würde noch ein Glas Wein nehmen.“

Autor

Susannah Erwin
Seit jeher liebt Susannah Erwin gute Geschichten. Sie arbeitete für bekannte Filmstudios, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte, der den Golden Heart Award der Romance Writers of America gewonnen hat. Mit ihrem Mann sowie ihrer eigensinnigen und liebenswerten Katze lebt sie in Nordkalifornien.
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