Dem Glück so verboten nah

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Bei einer Hochzeitsfeier in Italien trifft Arabella ausgerechnet Burke Phillips wieder! Kein Mann weckt solch widerstreitende Gefühle in ihr wie der attraktive Trauzeuge ihres Bruders. Als er sie nachts allein am Pool ihrer Villa überrascht, will sie, dass er geht – gleichzeitig hofft sie, er werde bleiben und sie küssen. Doch auch wenn erregend sinnliche Funken zwischen ihnen sprühen, weiß sie: Um Burke wirklich nah zu sein, müsste sie tun, was sie sich seit Jahren verbietet, und sich endlich den Schatten ihrer gemeinsamen Vergangenheit stellen …


  • Erscheinungstag 28.12.2021
  • Bandnummer 262021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509404
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Italien war im Juli kaum zu ertragen. Kurz fasste Arabella Pemberton ihr Haar zusammen, hob es an und wedelte sich im Nacken frische Luft zu. Es war ihr unbegreiflich, wie William und Gabriella ihre Hochzeit auf den heißesten Monat des Jahres hatten legen können. Doch sie freute sich für ihren Bruder, dass er die Liebe seines Lebens gefunden hatte, und sie schätzte Gabriella sehr. Entsprechend glücklich war sie, eine der Brautjungfern zu sein. Nur ihr langes Haar, das sie immer offen trug, und die Ärmel ihres Kleides machten ihr in dieser Hitze zu schaffen.

Niemand in der Familie hatte infrage gestellt, dass sie ein Kleid gewählt hatte, dessen Ärmel bis über die Ellbogen reichten. Ihre Mutter und ihre Geschwister wussten, dass sie damit und mit dem offenen Haar ihre Narben verdeckte. Als Mitglied der Modedynastie Aurora wurde sie häufig fotografiert, und sie wollte auf jeden Fall vermeiden, dass auf einem der Bilder ihre Verwundungen zu erkennen waren. Die wenigen Narben, die sie auch im Gesicht davongetragen hatte, kaschierte sie gekonnt mit Make-up. Nicht zufällig leitete sie die Beauty-Linie von Aurora.

Dieser eine Moment, jene Nacht, in der sie leichtsinnig gewesen war, hatte sie für immer gezeichnet und ihr so viele Möglichkeiten genommen. Ihre schlimmste Angst war, dass jemand, dem sie vertraute, ihr Geheimnis weitertrug. In einer Welt, in der das Aussehen das wichtigste Kapital war, wollte sie Aurora nicht durch ihre Geschichte in die Schlagzeilen bringen – und sie wollte auch jene schreckliche Nacht und die Wochen danach voller Schmerz und Verzweiflung nicht noch einmal durchleben.

Doch das machte die kommenden Tage extrem schwierig.

Sie ließ ihr Haar wieder herunter und widerstand dem Drang, sich zu kratzen. Die ganze Woche über würde auch Burke Phillips hier sein, Williams Studienfreund. Keine Ahnung, warum er ausgerechnet ihn zum Trauzeugen gewählt hatte und nicht Stephen oder Christophe. Ihr Bruder oder ihr Cousin wären eine gute Wahl gewesen. Aber nein, es musste Burke sein, auch wenn William und er sich seit mehr als einem Jahr nicht gesehen hatten. Obwohl William zwei Jahre jünger war als Burke, waren die beiden beste Freunde.

Zwölf Jahre lang war es ihr gelungen, Burke aus dem Weg zu gehen. Damals, als jener schreckliche Unfall geschah, waren sie beide siebzehn gewesen. Und jetzt war Burke hier. Einer von insgesamt drei Menschen, die wussten, was in jeder Nacht passiert war.

„Bella, kommst du nach unten?“ Das war Gabriellas Stimme. Bella wusste, dass sie mit dem Lunch auf sie warteten.

„Sofort“, rief sie zurück. Sie wandte den Blick vom Fenster ab, musterte sich prüfend im Spiegel und lief die Treppe hinunter.

Im Esszimmer war ein Buffet aufgebaut. Signora Baresi, Gabriellas Mutter, war eine großartige Köchin. Dankbar stellte Bella fest, dass es hier unten kühler war als im oberen Stockwerk. Sie nahm sich einen Teller und füllte ihn mit Gemüse und Fleisch.

Als sie sich gerade ein Glas Eiswasser einschenkte, betrat William den Raum. „Ratet mal, wer gekommen ist“, rief er gut gelaunt in die Runde. „Burke. Endlich! Damit ist die Hochzeitsgesellschaft vollständig.“ Mit einem strahlenden Lächeln drehte er sich um und präsentierte den letzten Gast.

Mit angehaltenem Atem musterte Arabella den Mann, der verhalten lächelnd hinter William hereinkam. Offensichtlich war es ihm unangenehm, dass er so groß angekündigt wurde.

Doch William ließ sich nicht irritieren. „Das ist Burke Phillips. Burke, das sind Gabriellas Eltern, Massimo und Lucia Baresi, ihre Schwester Giulia und deren Freund Marco. Meine Familie kennst du ja noch – mein Cousin Christophe, meine Schwestern Charlotte und Bella. Stephen und Maman sind heute in Perugia.“

Kurz traf Burkes Blick den ihren, doch selbst dieser Moment erschien ihr unerträglich lang. Plötzlich spielte es keine Rolle, dass seit jener Nacht mehr als ein Jahrzehnt vergangen war.

Er wusste, was damals geschehen war. Und sie erkannte in seinem Blick, dass er keine Sekunde jener Horrornacht vergessen hatte.

„Bella“, sagte er weich.

„Hallo Burke.“

William war so aufgeregt, dass er die Spannung zwischen seiner Schwester und seinem besten Freund nicht wahrnahm. Er zog Burke von einem zum anderen, drückte ihm dann einen Teller in die Hand und nötigte ihn zuzugreifen.

Massimo unterstützte ihn, pries die aromatische Salami, die eingelegten Tomaten und jegliche andere Spezialität Umbriens. Es war die italienische Art, einen Fremden in der Familie willkommen zu heißen, begriff Bella. Die Baresis waren großartig. Kein Wunder, dass Stephen und William sich hier so wohl fühlten.

Sie suchte sich einen Platz in einer ruhigeren Ecke des Raumes und probierte von den köstlichen Kleinigkeiten auf ihrem Teller. Überrascht sah sie auf, als sie Burkes Stimme hörte.

„Darf ich mich setzen, Bella?“

Ihr wurde bewusst, dass alle anderen Plätze besetzt waren, und sie nickte. „Natürlich“, sagte sie höflich, aber ohne Begeisterung.

Schweigend aßen sie, und Bella rutschte unbehaglich in ihrem Sessel herum. „Hattest du eine gute Reise?“, durchbrach sie schließlich die Stille. Es war ihr selbst peinlich, wie gestelzt sich ihre Frage anhörte.

„Ja, kein Problem. Und du?“

„Wir sind alle schon vor zwei Tagen angekommen. Vermutlich sind die Baresis froh, wenn hier wieder ein bisschen Ruhe einkehrt.“

Er sah hinüber zum anderen Ende des Tisches, wo Signora Baresi gerade laut auflachte. „Eigentlich habe ich den Eindruck, dass sie es genießen.“

„Sie haben strikt abgelehnt, dass wir ins Hotel gehen.“

„Ich weiß. Mich haben sie zusammen mit William bei Marco einquartiert. Du weißt schon … die Nacht vor der Hochzeit müssen Braut und Bräutigam getrennt voneinander verbringen …“

Marco war der Freund von Gabriellas jüngerer Schwester Giulia. Wenigstens würden sie also nicht unter einem Dach schlafen, stellte Bella erleichtert fest.

Kurz widmete er sich wieder seinem Teller, dann schaute er auf und sah sie mit seinen dunklen Augen an. „Du siehst gut aus, Bella.“

Ihr wurde heiß. „Danke. Ich habe gehört, du arbeitest mittlerweile in London?“

„Ja, im St. Thomas Hospital.“

Es hatte sie überrascht, dass Burke Medizin studierte und schließlich Kardiologe wurde. Für einen Jungen, der gern ausschweifende Partys feierte, erschien ihr dies ein sehr ernsthaftes Ziel. Außerdem stand ihm die ganze Welt offen – seine Familie hatte Geld genug und sogar einen Adelstitel, immerhin war er Viscount Downham.

„Gefällt es dir dort?“

„Sehr sogar.“

„Und wie sprechen sie dich an? Mylord oder Doktor?“, fragte sie nur halb im Scherz, und sie bemerkte, wie sein Lächeln erstarb.

„Bella, ich weiß, dass …“

„Das hätte ich nicht sagen sollen“, unterbrach sie ihn rasch. „Es war unhöflich, entschuldige.“ Sie stand auf. „Mir fällt gerade ein, dass ich heute Nachmittag noch eine Anprobe habe. Lass es dir noch schmecken.“

Mit zitternden Knien ging sie. Sie wollte nicht, dass er nett zu ihr war. Ehrlich gesagt, wollte sie nicht einmal, dass er überhaupt hier war. Für den Rest der Woche würde sie versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Das sollte sie wohl schaffen – immerhin war sie eine Meisterin darin, unliebsame Situationen zu vermeiden. Inzwischen war sie so geschickt, dass ihre Familie es vermutlich nicht einmal mehr bemerkte. Von allen Pembertons war sie diejenige, die sich am meisten im Hintergrund hielt, und genau so fühlte sie sich wohl. Stephen und Charlotte waren die Gesichter von Aurora, sie dagegen zog die Fäden im Hintergrund.

Eine Woche nur. Mittlerweile hatte sie sich das Leben aufgebaut, das sie sich erträumt hatte – nun ja, überwiegend zumindest –, und sie würde sich das von Burke nicht wieder kaputtmachen lassen. Ganz egal, wie attraktiv und charmant er war.

Den restlichen Nachmittag blieb Bella in ihrem unerträglich heißen Zimmer. Ihren Laptop auf dem Schoß, beantwortete sie E-Mails und schickte ihrer Assistentin Arbeitsanweisungen. Anfang des Jahres war die neue Naturkosmetiklinie von Aurora gegründet worden, und sie lief hervorragend. Die Produkte waren komplett vegan und wurden nachhaltig produziert, und Bella war extrem stolz darauf, denn es war ihre Idee gewesen.

Ihre Mutter hatte jedem der Kinder eine verantwortungsvolle Position in der Firma übertragen, sie war überzeugt, jeder Mensch wachse an seinen Aufgaben. Es war schön zu wissen, dass sie ihnen so sehr vertraute. Gleichzeitig aber war der Druck, nicht versagen zu dürfen, verdammt hoch. Niemand wollte die große Aurora Germain Pemberton enttäuschen.

Das Dinner entwickelte sich zu einem ebenso lebhaften, fröhlichen Treffen wie der Lunch. Im Garten waren mehrere Tische zu einer langen Tafel zusammengeschoben worden, Wein- und Wasserflaschen in Kühlern warteten auf die Gäste, ebenso große Platten mit dampfenden Cannelloni. Bella setzte sich neben Charlotte und schenkte sich ein Glas fruchtigen Rotwein ein.

„Vermisst du den Alkohol?“, erkundigte sie sich.

Lächelnd strich ihre Schwester über den kleinen Babybauch, der sich langsam abzeichnete. „Nicht wirklich. Das hier ist es wert zu verzichten.“

Charlotte war eine strahlend schöne Schwangere. „Wann kommt Jacob?“, erkundigte sich Bella. Erst seit vier Wochen waren die beiden verheiratet, sie hatten eine kleine, aber wunderschöne Gartenhochzeit gefeiert.

„Er muss noch bis Donnerstag arbeiten.“

Ihr Gespräch verstummte, als Massimo einen Toast auf das Brautpaar ausbrachte und alle ihre Gläser erhoben. Während des Essens dachte Bella über Charlottes und Jacobs Beziehung nach. Sie hatten eine stürmische Affäre gehabt, die in der überraschenden Schwangerschaft mündete. Doch ihre Schwester wirkte selig, und Bella freute sich sehr für sie. Gleichzeitig aber machten ihr die Hochzeiten ihrer Geschwister schmerzhaft deutlich, was sie selbst vermutlich niemals haben würde.

Eine intime Beziehung zu haben hieße, jemandem all die hässlichen Spuren jener Nacht zu zeigen. Nein, danke.

Unwillkürlich wanderte ihr Blick hinüber zu Burke, der neben William am Tischende saß. Offensichtlich gaben sie ein paar ihrer Erlebnisse während der Studienzeit zum Besten, und die anderen lachten.

Sie nutzte die Zeit, um Burke weiterhin verstohlen zu mustern. Aus dem schlaksigen, gutaussehenden Jungen war ein ausgesprochen attraktiver Mann geworden. Sein dunkles Haar lockte sich in der Stirn, was ihn unbeschwert und jugendlich aussehen ließ. Dennoch wirkte er ernster, als sie ihn in Erinnerung hatte. Mehr noch … er hatte Charakter bekommen, der auch von Nackenschlägen in seiner Vergangenheit erzählte. Seine goldbraunen Augen, die früher immer übermütig geblitzt hatten, waren jetzt … seelenvoll. Und das machte ihn noch unwiderstehlicher.

Vielleicht hatte er seine ganz eigenen Narben aus jener Nacht davongetragen.

„Bella? Isst du nichts mehr?“

Charlottes Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück. Sie hatte ihr Essen kaum angerührt. Pflichtschuldigst stach sie in die Cannelloni auf ihrem Teller und nahm einen Bissen. „Ich war ganz in Gedanken“, entschuldigte sie sich.

„Über Burke? Er ist wirklich attraktiv, nicht wahr?“

„Nein, nicht über Burke“, leugnete sie scharf. „Es sind nur so viele Leute hier, dass ich völlig abgelenkt war.“

Zweifelnd hob Charlotte die Augenbrauen. Sie waren ständig in großen Runden zusammen, ohne dass Bella sich davon sonderlich ablenken ließ. So leicht ließ sie sich nicht täuschen.

Nach dem Essen bot Bella an, beim Abräumen zu helfen. Sie musste sich dringend ablenken. Es würden lange sieben Tage werden, befürchtete sie.

Burke beobachtete Bella, als sie gemeinsam mit Signora Baresi und Giulia den Tisch abdeckte. Ein Dutzend Gäste war zum Dinner gekommen, und es gab einiges zu tun. Er stand auf und sammelte ein paar leere Weinflaschen ein.

„Das musst du nicht tun“, wehrte William lächelnd ab.

„Da es hier keine Hausangestellten gibt, kann ich durchaus ein bisschen behilflich sein. Und ich habe mittlerweile gelernt, dass das keine reine Frauensache ist.“

„Irgendwann werden wir Spülhände haben, befürchte ich“, stimmte William lachend zu.

Burke zögerte. „Die Gefahr besteht wohl kaum – Bella wird alles tun, um mich in der Küche nicht in ihre Nähe zu lassen.“

Ernst sah William ihn an. „Ich hatte gehofft, es liefe besser. Sie ist dir zehn Jahre lang aus dem Weg gegangen.“

„Zwölf, um genau zu sein.“

Er stellte die Flaschen wieder ab und setzte sich neben William. Auch er hatte gehofft, dass die Zeit die alten Wunden geheilt hätte. „Will, ich weiß nicht, was ich zu ihr sagen soll. Wir haben nie über den Unfall gesprochen.“

„Ich habe selbst keine Ahnung, Burke“, gab William zu. „Einerseits denke ich, es wäre am einfachsten, das Thema geradeheraus anzusprechen. Andererseits ist es vielleicht besser, es ruhen zu lassen.“

„Geht mir genauso“, seufzte Burke. Kurz überlegte er, dann sprach er aus, was ihn schon die ganze Zeit beschäftigte. „Hast du mich gebeten, dein Trauzeuge zu sein, damit ich mich der Sache stelle?“

Nachdrücklich schüttelte William den Kopf. „Du bist mein bester Freund. Ich wollte gern, dass du auf meiner Hochzeit einen wichtigen Part übernimmst.“

„Als du in der Entzugsklinik warst, habe ich dir nicht gerade zur Seite gestanden“, gab Burke zu bedenken.

„Ich habe dir ja auch nicht erzählt, in welchem Schlamassel ich gesteckt habe. Wenn du es gewusst hättest, wärst du gekommen, davon bin ich überzeugt. Aber es war mir zu peinlich.“

Burke sah seinen Freund an. Er bewunderte ihn dafür, wie er sich in den vergangenen Jahren entwickelt hatte. William hatte zu sich selbst gefunden – und das war mehr, als Burke von sich selbst behaupten konnte. Jene Nacht machte ihm noch immer zu schaffen.

Ein Junge war gestorben damals. Bella hatte wochenlang im Krankenhaus gelegen. Und Burke selbst hatte, ebenso wie das andere Mädchen – Fiona –, ein paar weniger schwere Verletzungen davongetragen.

Er hätte Royce in jener Nacht davon abhalten müssen, noch Auto zu fahren. Oder zumindest Bella überzeugen, nicht zu ihm in den Wagen zu steigen. Ebenso wie Fiona. Aber sie waren alle so jung gewesen und hatten sich für unverwundbar gehalten.

„Bella hat mir die Sache mit dem Unfall nie verziehen“, sagte er gepresst.

William erwiderte nichts, obwohl es so wirkte, als hätte er eine Entgegnung auf der Zunge.

„Was?“, forderte Burke ihn heraus.

„Nichts. Das ist eine Sache zwischen Bella und dir. Wenn ihr zwei beschließt, in dieser Woche darüber zu reden, großartig. Wenn nicht, bin ich trotzdem glücklich, dich als Trauzeugen an meiner Seite zu haben. Vielleicht könntest du versuchen, nicht allzu ernst zu sein. Leg dein sorgenvolles Arztgesicht ab und hab Spaß. Mann, wir sind in Italien. Wundervolles Essen, tolle Gesellschaft, die Hochzeit deines besten Freundes. Genieß es ein bisschen.“

William hatte recht, das war Burke bewusst. Doch er konnte seine Grübeleien nicht einfach abschalten – insbesondere, wenn er Bella jeden Tag vor Augen hatte. Sie erinnerte ihn daran, warum er damals beschlossen hatte, Medizin zu studieren.

„Ich versuch’s“, sagte er, stand erneut auf, nahm die Flaschen und brachte sie ins Haus.

Als er die Küche betrat, wurde er von fröhlichem Geplauder empfangen. Kurz blieb er stehen und genoss die herzliche Atmosphäre. Sie erinnerte ihn an früher, wenn seine Mutter und seine Schwester zu Weihnachten Plätzchen gebacken hatten. Auch wenn sie Hauspersonal hatten, ließ sich seine Mum die Weihnachtsbäckerei nicht nehmen. Geburtstagskuchen für die Kinder hatte sie ebenfalls immer selbst gemacht.

Ihr Lachen und Reden waren für ihn verbunden mit einem Gefühl der Geborgenheit in einer Zeit, in der alles andere auseinanderzubrechen drohte. Erst war dieser Unfall passiert. Und dann war sein Vater plötzlich brutal aus ihrer Mitte gerissen worden – ein Aneurysma. Von heute auf morgen hatte er, Burke, den Adelstitel getragen. Doch all die Geheimnisse hatten an ihm gezehrt und taten es bis heute.

In einem Alter, in dem er kaum Verantwortung für sich selbst übernommen konnte, war er zum Familienoberhaupt geworden. Kein Mensch wusste, dass er hinter die Affären seines Vaters gekommen war. Für Burke war er immer ein Held gewesen, doch dann hatte er erkennen müssen, dass er ein Lügner und Betrüger gewesen war. An dieser Last trug er bis heute schwer.

Doch das Lachen und die warmen, weichen Stimmen der Frauen gaben ihm das Gefühl, dass das Leben weiterging und alles gut werden konnte. Genau auf diese Weise hatte seine Mutter ihn und seine Schwestern durch die entsetzlichen Tage des ersten Schocks und der Trauer gebracht.

„Burke?“ Plötzlich stand Gabriella vor ihm.

„Hmm?“

„Danke, dass du die Weinflaschen mitgebracht hast. Hey, Bella, kannst du Burke den Abstellraum zeigen?“

„Oh, ähm, klar.“ Hastig wischte Bella sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Sie wich seinem Blick aus und führte ihn zu einem Hauswirtschaftsraum hinter der Küche, dessen Vorräte jedem kleinen Lebensmittelgeschäft Konkurrenz gemacht hätten.

„Stell sie einfach hierhin“, schlug sie vor und deutete auf einen leeren Regalboden.

Als er die Flaschen aufreihte, entglitt eine seinen Händen. Geistesgegenwärtig griff Bella danach, ehe sie auf dem Fußboden zerschellte.

„Danke“, murmelte er.

„Gern geschehen.“

Die Enge des kleinen Raumes schuf eine intime Atmosphäre, die er nicht erwartet hatte. Als Bella sich zum Gehen wandte, hielt er sie am Handgelenk zurück. „Bitte warte.“

Sie erstarrte wie ein Tier, das in eine Falle geraten war. War es tatsächlich so schlimm für sie, mit ihm in einem Raum zu sein?

„Ich muss zurück.“

„Eine Minute. Bitte, Bella. Wir haben nicht mehr geredet, seit …“

„Ich weiß, seit wann“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Und es gibt auch nichts zu besprechen.“

„Oh doch“, widersprach er energisch. „Du bist mir seither immer ausgewichen, und jetzt schaffst du es noch nicht einmal, mir in die Augen zu sehen.“

Als sie ihn anschaute, lagen Trotz und Zorn in ihrem Blick und wirkten wie ein Schutzschild. Doch ihm konnte sie nichts vormachen – sie war noch immer verletzt. Wenn er doch damals nur vernünftiger gewesen wäre. Noch immer empfand er große Schuldgefühle.

„Es tut mir so leid“, sagte er schlicht. „Ich wollte nur, dass du es weißt. Niemals hätte ich zulassen dürfen, dass Royce sich hinters Steuer setzt. Und ich hätte verhindern müssen, dass wir alle mitfuhren. Ich habe versagt in jener Nacht.“

Wieder hatte sie den Blick abgewandt.

„Danke für deine Entschuldigung“, erwiderte sie und löste ihr Handgelenk aus seinem Griff.

Mehr durfte er offensichtlich nicht von ihr erwarten. Seine Schuldgefühle konnte sie ihm nicht abnehmen. Jetzt fühlte er sich noch schlechter, wenn das überhaupt möglich war.

Mit einem langen Schritt brachte sie Abstand zwischen ihn und sich. „Es gibt Dinge, die man nicht ungeschehen machen kann, Burke. Trotzdem danke für deine Worte.“

Verwirrter als je zuvor blieb er zurück.

2. KAPITEL

Am nächsten Tag fuhr Bella zusammen mit Gabriella, Charlotte und Giulia zum Stadtbummel nach Perugia. Sie war erleichtert, der Villa für eine Weile den Rücken kehren zu können – und damit auch Burke. Zunächst stand die letzte Anprobe ihrer Kleider für die Hochzeit an, danach würden sie eine Boutique für Lingerie ansteuern und schließlich zum Lunch in einer netten kleinen Trattoria einkehren.

Bella liebte ihr Kleid, das sie als Brautjungfer tragen würde. Es war aus zartblauem Chiffon, ebenso wie die Kleider der beiden anderen Brautjungfern. Jedes der Kleider war individuell von der Chefdesignerin von Aurora entworfen worden.

Charlotte mit ihrem Schwanenhals, den schmalen Schultern und dem sich langsam wölbenden Babybauch hatte sich für ein Kleid im Empirestil entschieden, dessen Taille hoch angesetzt war. Die sportlich durchtrainierte Giulia würde ein Kleid mit Neckholder tragen. Bellas Kleid setzte ihr Dekolleté in Szene, während der Chiffon ihre Arme locker schwingend bedecken würde.

Charlotte wusste natürlich, warum sich Bella für die langen Ärmel entschieden hatte. Und Bella fragte sich, ob Will Gabi und Giulia den Grund ebenfalls verraten hatte, denn keine der beiden Schwestern hatte sie darauf angesprochen, obwohl es eher ungewöhnlich war, sich im Sommer für ein langärmeliges Kleid zu entscheiden. Wenn es so war, nahm sie es ihm nicht übel, denn andernfalls wäre sie womöglich in Erklärungsnot geraten.

Als sie alle drei in ihren Kleidern aus den Umkleidekabinen traten, schlug Gabriella die Hand vor den Mund. „Oh, ihr seht wundervoll aus“, rief sie. Dann musterte sie Charlottes Kleid etwas genauer und wandte sich an die Schneiderin. „Schlägt das Oberteil dort eine Falte?“

Charlotte seufzte. „Meine Figur ändert sich im Moment täglich. Wenn der Bauch gerade mal nicht wächst, dann tun es meine Brüste.“

Bella lachte. „Und du genießt es, gib’s zu.“

„Das stimmt“, räumte Charlotte strahlend ein. „Besonders, seit mir morgens nicht mehr übel ist.“

„Ich lasse hier noch ein bisschen Stoff aus, dann dürfte es perfekt passen“, schlug die Schneiderin vor. Dann wandte sie sich an Bella.

Unter ihrem prüfenden Blick wand sich Bella innerlich. Sie hätte das Kleid einfach einpacken und erst zu Hause anprobieren sollen, sagte sie sich. Schließlich arbeitete sie lange genug für Aurora, um Änderungen auch selbst professionell vornehmen zu können.

„Die Taille ist zu weit“, stellte die Schneiderin fest.

„Höchstens ein paar Millimeter“, stimmte Bella zu.

Si, si. Und wenn Sie es so lassen möchten, können Sie auf der Hochzeit ein bisschen mehr essen“, scherzte die andere und lächelte Bella verschwörerisch zu.

Erleichtert, dass die Schneiderin ihr nicht zu nah gekommen war, erwiderte Bella das Lächeln.

„Ich möchte das Kleid gar nicht mehr ausziehen“, seufzte Giulia. „Es ist so schön.“

„In ein paar Tagen darfst du es tragen“, tröstete Gabriella ihre Schwester. „Die Blumen werden großartig dazu aussehen.“

„Und Burke ist mein Begleiter. Er sieht so gut aus“, fügte Giulia hinzu und drehte sich, sodass der fließende Rock schwang und die cremefarbenen High Heels freigab.

Unwillkürlich wurde Bella von der Begeisterung mitgerissen, selbst die Erwähnung von Burke konnte daran nichts ändern. „Attraktiv ist nur, wer sich auch entsprechend benimmt.“

Die Frauen brachen in Gelächter aus, und Charlotte tätschelte Bellas Arm. „Komm schon, Bella, du musst zugeben, dass er ausgesprochen sexy ist. Und ich glaube, er findet dich ziemlich gut. Was habt ihr gestern Abend eigentlich so lange im Abstellraum gemacht?“, neckte sie ihre künftige Schwägerin.

„Das wüsstest du wohl gern“, gab Bella lässig zurück, obwohl ihr Herz bis zum Hals schlug. „Nichts, was mir eine schlaflose Nacht bereitet hätte“, fügte sie hinzu, als die anderen noch lauter lachten.

Doch das war eine Lüge. Es war nichts passiert, außer dass Burke sich entschuldigt hatte. Das aber hatte genügt. Er war so ernsthaft gewesen, und sie hätte zu gern gesagt, alles sei gut. Sie gab ihm nicht die Schuld an ihren Narben. Aber sie wollte durch ihn nicht ständig an jene Nacht erinnert werden.

Nach der Anprobe zogen sie weiter in ein Dessousgeschäft. Die drei Brautjungfern hatten abgesprochen, Gabriella ein Nachthemd für die Hochzeitsnacht zu schenken.

„Es ist … na ja …“, ließ sich die Braut beim siebten Nachthemd vernehmen, das sie anprobierte.

„Komm raus“, forderte Giulia. „Wir wollen es auch sehen.“

Aus der Kabine war ein nervöses Lachen zu hören, dann öffnete Gabriella den Vorhang. Sekundenlang standen die Freundinnen stumm da.

Dio mio“, durchbrach Giulia schließlich das Schweigen. „William werden die Augen herausfallen.“

Während Bella diesen Traum aus hauchdünner Seide und Spitze betrachtete, der nichts verbarg, überkam sie ein Anflug von Neid. Niemals würde sie selbst so etwas tragen können. Es war nicht so, dass sie ihrer künftigen Schwägerin dieses Glück missgönnte. Aber plötzlich erschien ihr das Leben so ungerecht.

„Es ist unwiderstehlich, Gabriella“, sagte sie schließlich.

„Wenn es eine Nacht gibt, in der ich ihn wirklich überraschen will, dann diese“, gab Gabriella errötend zu.

„Dann ist es deins“, beschloss Charlotte. „Unser Hochzeitsgeschenk für dich.“

Sie luden ihre Einkäufe in den Kofferraum von Gabriellas Wagen und machten sich auf zu der Trattoria in der Altstadt, in der sie einen Tisch bestellt hatten. Nach einem köstlichen Mittagessen mit Salat, Gnocchi mit Safran und Trüffeln und einem Espresso, zu dem Perugias weltberühmte Baci serviert wurden, hoffte Bella nur, dass das Dinner am Abend leicht sein würde. Wie gut, dass ihr Kleid für die Hochzeit nicht allzu eng geschnitten war.

Als sie zurück in die Villa kamen, hatte es sich die restliche Familie auf der Terrasse gemütlich gemacht. Stephen, William, Burke und Marco kühlten sich auf aufblasbaren Schwimmsesseln und Drinks im Swimmingpool ab – ein Bild völliger Entspannung.

„Kommt rein, das Wasser ist perfekt“, rief William.

„Beim letzten Mal, als ich mit dir in einem Pool war, hast du mich ständig untergetaucht“, lehnte Charlotte ab.

„Und ich habe mir gestern die Haare gefärbt – kein Chlorwasser für mich“, erklärte Gabriella.

„Ich ziehe mir nur schnell Badesachen an“, sagte dagegen Giulia.

„Und was ist mit dir?“, wandte Burke sich an Bella.

Alle anderen schienen die Luft anzuhalten, doch Bella lächelte freundlich. „Nein, danke.“

„Spielverderberin.“

„Ich bin schon schlimmer bezeichnet worden“, lachte sie und setzte sich zu den anderen in den Schatten.

Autor

Donna Alward

Als zweifache Mutter ist Donna Alward davon überzeugt, den besten Job der Welt zu haben: Eine Kombination einer „Stay-at-home-mom“ (einer Vollzeit – Mutter) und einem Romanautor. Als begeisterte Leserin seit ihrer Kindheit, hat Donna Alward schon immer ihre eigenen Geschichten im Kopf gehabt. Sie machte ihren Abschluss in Englischer Literatur...

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