Weihnachtswunder auf Chatsworth Manor

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Leise Weihnachtsmusik erfüllt die Wohnung, während Christophe den kleinen Christbaum aufstellt und dabei von vergangenen Weihnachtfesten auf Chatsworth Manor erzählt. In diesem Moment wird es Sophie klar: Er ist mehr als ihr Boss. Mehr als ihr Vertrauter. Er ist der Mann, den sie liebt. Vor Trauer zieht sich ihr Herz zusammen. Denn sie weiß, dass eine Ehe für den bindungsscheuen Millionär nicht infrage kommt. Soll sie es trotzdem wagen, ihm ihre Gefühle zu gestehen? Oder wird sie damit alles verlieren?


  • Erscheinungstag 18.10.2022
  • Bandnummer 212022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510035
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Schlecht gelaunt betrachtete Sophie Waltham die Paare auf der Tanzfläche. Eigentlich hatte sie dieses gesellschaftliche Ereignis bei den Pembertons nicht eingeplant. Doch ihre Eltern hatten spontan beschlossen, ihren Hochzeitstag in Prag zu verbringen, und darauf bestanden, dass Sophie sie auf dem Fest vertrat. Ungeduldig tippte sie mit dem Fuß auf und fragte sich, wie lange sie noch würde ausharren müssen, bevor sie sich verabschieden könnte, ohne unhöflich zu sein. Es war die Verlobungsfeier von Bella Pemberton und Viscount Downham. Also keineswegs ein geschäftliches Zusammentreffen, und deshalb verstand sie nicht, warum sie hier sein musste.

Ihr kleines Schwarzes war einen Hauch zu eng, und auch die Stilettos, die sie trug, waren alles andere als bequem. Ihr dunkles Haar fiel ihr offen über die Schultern, und als einziges Schmuckstück hatte sie sich für eine schimmernde Kette aus Perlen und Diamanten entschieden, die sie selbst entworfen hatte. Ganz bewusst trug sie keinen Schmuck aus der Aurora-Kollektion – wenn sie sich selbst einen Namen als Designerin machen wollte, musste sie auch zeigen, was sie konnte.

Seit beinahe hundert Jahren stand der Name Waltham für Qualität. Der Ausstellungsraum war in der exklusiven Bond Street in London, hier vertrieben sie auch die Schmucklinie des elitären Modehauses Aurora der Familie Pemberton. Und genau aus diesem Grund stand sie jetzt hier am Rande der Tanzfläche, nippte an ihrem Soda mit Limone und wünschte sich, sie könnte sich zu Hause auf dem Sofa ausstrecken. Sie war müde, und ihre Füße in den schmalen hohen Schuhen schmerzten.

Seufzend ging sie zur Bar, um sich einen frischen Drink zu holen. Als sie ihn entgegennahm, hörte sie hinter sich eine wohlklingende Stimme, die sofort die Anspannung in ihren Schultern ein wenig milderte.

„Hallo, Fremde.“

Obwohl Christophe Germain überwiegend in England aufgewachsen war – genauer gesagt auf dem Familiensitz der Pembertons, Chatsworth Manor –, hatte er noch immer einen leicht französischen Dialekt. Lächelnd drehte sie sich zu ihm um. Sie freute sich, ihn zu sehen – samt seinem Lächeln, den dunklen Locken und der rechten Augenbraue, die er gern hob, um seinem Gesicht einen leicht spöttischen und gleichzeitig spitzbübischen Ausdruck zu verleihen.

Insgeheim war Christophe Germain ihr Lieblingsmitglied der Familie Pemberton. Erst vor Kurzem hatte er die Leitung der Aurora-Schmucklinie übernommen. Trotzdem hatte sie ihn seit Monaten nicht gesehen.

„Christophe!“ Sie beugte sich vor, und sie begrüßten sich mit Wangenküssen. „Ich freue mich, dass du auch hier bist.“

„Tust du das? Wie schön.“ Mit einem verschmitzten Lächeln musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Du siehst aus wie Holly Golightly“, stellte er fest.

„Danke, das war meine Absicht“, gab sie zurück. Auch wenn sie ihr Haar nicht aufgesteckt trug wie Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany’s, erinnerten ihr Kleid und der Schmuck tatsächlich an die bekannteste Szene des Filmklassikers.

„Du bist so elegant wie immer.“

Sie wusste, dass einige Frauen das Kompliment „elegant“ langweilig gefunden hätten, doch sie nicht. Ihr bevorzugter Stil war klassisch und dezent, bunte und hypermoderne Kleidung war ihr ein Gräuel.

Um anderen Gästen, die an die Bar drängten, Platz zu machen, suchten sie sich eine Sitzmöglichkeit.

„Ich wollte Waltham schon seit Längerem einen Besuch abstatten“, sagte Christophe. „Aber die vergangenen Monate waren extrem hektisch. Ich hoffe, dass ich es in den kommenden Wochen schaffe, bevor der Weihnachtstrubel anfängt.“

„Mein Vater würde sich freuen, und ich mich auch.“ Auch wenn sie es niemals zugeben würde, schwärmte sie heimlich ein winziges bisschen für Christophe. Aber sie wusste ihre freundschaftliche Beziehung viel zu sehr zu schätzen, um sie aufs Spiel zu setzen. Außerdem hätte er sie mit Sicherheit gnadenlos damit aufgezogen, wenn er geahnt hätte, was sie für ihn empfand. „Mum und er sind zu ihrem Hochzeitstag verreist. Dreiunddreißig Jahre.“

Er hob sein Glas und prostete ihr zu. „Auf deine Eltern und ihre lange, glückliche Ehe.“

Angesichts der Krankheit ihrer Mutter vor einigen Jahren war es tatsächlich ein Grund zu feiern. Seither hatten ihre Eltern die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, nie mehr als selbstverständlich betrachtet. Sie musterte Christophe. Vor nicht allzu langer Zeit war Cedric Pemberton gestorben – der Mann, der viele Jahre wie ein Vater für Christophe gewesen war.

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Wie geht es dir seit Cedrics Tod?“ Zwar war Sophie auf der Beerdigung gewesen, doch sie hatte keine Gelegenheit gehabt, mit Christophe zu sprechen. Die ganze Familie Pemberton war damals in absoluter Schockstarre gewesen.

„Es ist okay. Aber natürlich vermisse ich ihn und seinen Rat. Zum Glück ist Tante Aurora eine so starke Frau. Allerdings war es in der letzten Zeit ein bisschen unruhig in der Familie.“

„Ich habe gehört, dass William geheiratet hat und Charlotte ebenfalls.“ Sie hatte beiden bereits gratuliert. Charlotte, die ihr erstes Kind erwartete, sah aus, als müsste sie jeden Moment platzen. Es hatte Sophie wehmütig gestimmt, wie strahlend schön Charlotte wirkte und wie stolz sie ihre Schwangerschaft zeigte. Charlottes Anblick hatte Sophie bewusst gemacht, dass spätestens im Januar keines ihrer Kleider mehr passen würde.

„Ja, und nun noch Bella und Burke“, riss Christophe sie aus ihren Gedanken. „Ich freue mich sehr für sie. Solange der Kelch an mir vorübergeht, bin ich zufrieden.“ Er zwinkerte ihr zu, und sie lachte. Es war kein Geheimnis, dass Christophe ein eingefleischter Junggeselle war.

„Komm schon, du bist einer der begehrtesten Männer in Frankreich, oder?“

„Das bedeutet aber nicht, dass ich vorhabe, mich fest zu binden“, widersprach er fröhlich. „Bei den Pembertons hat es in jüngster Zeit genug Drama gegeben. Andererseits wird es so wenigstens nicht langweilig. Und ich habe Gelegenheit, den Smoking gelegentlich aus dem Schrank zu holen.“

„Was ist mit der Frau, mit der ich dich letztens gesehen habe? Wie hieß sie noch … Elisabeth?“

Christophe ließ seine Augenbraue in die Höhe schnellen. „Was du dir alles merkst. Ja, Lizzy. Das ist schon seit einer Weile vorbei.“ Er seufzte theatralisch. „Irgendwann hat sie nur noch von Heirat und Babys gesprochen.“

Prüfend musterte Sophie ihn. „Und du bist immer noch nicht bereit dazu?“

Energisch schüttelte er den Kopf. „Ganz sicher nicht. Außerdem habe ich im Moment viel zu viel Arbeit, um überhaupt darüber nachzudenken.“

„Hast du so viel mehr zu tun, seit Aurora angefangen hat, sich zurückzuziehen?“

„Eigentlich leite ich nur die Schmuckabteilung, aber im Moment habe ich auch noch einen Teil der Kosmetiklinie von Bella übernommen.“ Lachend zuckte er seine Schultern, und Sophie fiel auf, wie breit sie in dem Smoking wirkten. „Ich und Kosmetik. Das war eine steile Lernkurve.“

Sie fiel in sein Lachen ein, und plötzlich dachte sie gar nicht mehr daran, nach Hause zu gehen.

Sophie kannte Christophe seit vielen Jahren, und er hatte auf sie nie so einschüchternd gewirkt wie der Rest der Familie. Sie wusste, dass die Pembertons ihn aufgenommen hatten, als er neun Jahre alt gewesen war. Er war gemeinsam mit seinen Cousins und Cousinen aufgewachsen und voll in die Familie integriert worden. Doch sie wusste, dass er sich dennoch nie wirklich dazugehörig gefühlt hatte. Stephen, William, Charlotte und Bella waren Cedrics Kinder, hineingeboren in die britische Aristokratie. Stephen trug inzwischen den Titel des Earl of Chatsworth.

Vor Jahren einmal hatte Christophe sich in ihrer Gegenwart als „Bastard-Pemberton“ bezeichnet, und sie hatte ihn scharf zurechtgewiesen, das solle er nie wieder sagen. Und wenn sie ihn jetzt so betrachtete, dann kam sie zu dem Schluss, dass es nichts gab, weswegen sich Christophe Germain benachteiligt fühlen sollte. Er war ein toller Mann, Teil der Familie und ihres Modeimperiums.

„Deine Kette ist wunderschön. Sie stammt nicht von Aurora, nicht wahr?“

„Ich habe sie selbst entworfen.“

Leicht fuhr Christophe mit dem Finger über die doppelte Perlenreihe und den diamantbesetzten Verschluss. „Sie gefällt mir.“

Seine Berührung ließ Sophie erschauern, und sie hoffte, er bemerkte ihre Reaktion nicht. Es sollte ihr kleines Geheimnis bleiben, dass sie für ihn schwärmte. Außerdem hatte er ja selbst gerade gesagt, dass er kein Mann für eine feste Beziehung war. Und Sophie stand im Moment gar nicht der Sinn nach einer lockeren Affäre.

„Hast du sie schon jemandem bei Aurora gezeigt? Das könnte eine fruchtbare Zusammenarbeit werden“, murmelte er nachdenklich.

Sie verschluckte sich und musste husten. Das Wort Fruchtbarkeit wäre ihr in diesem Zusammenhang nicht gerade eingefallen.

Fürsorglich klopfte er ihr auf den Rücken. „Alles in Ordnung?“

„Ja, natürlich. Entschuldige.“

Gerade stimmte die Band ein neues Lied an, und Christophe hielt ihr seine Hand hin. „Komm, lass uns tanzen. Du hast schon viel zu lange am Rand der Tanzfläche gestanden.“

Das war ihm aufgefallen?

Kurz entschlossen ergriff sie seine Hand. Er führte sie zur Tanzfläche, zog sie in seine Arme, und sie fanden mühelos den Gleichklang ihrer Schritte. Er hielt sie fest, und er duftete so unwiderstehlich nach Bergamotte und Zedernholz. Nichts an seinem Auftreten erinnerte an den armen Jungen aus Frankreich. In einigen Punkten war er ein Pemberton durch und durch.

Entspannt plauderte er mit ihr, und sie spürte, wie gut es ihr tat, mit ihm zu tanzen, über seine Anekdoten zu lachen und ihre Sorgen für einen Moment hinter sich zu lassen. Als er erzählte, wie liebevoll sich Burke um Aurora gekümmert hatte, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie unter Herzproblemen litt, wurden seine Züge ganz weich. Burke, so erfuhr sie, war nicht nur Viscount Downham, sondern auch ein angesehener Herzchirurg. Und jetzt heiratete er also Bella, von der Christophe sagte, sie habe dieses Glück mehr als verdient.

Diese Art der Familienzusammengehörigkeit war Sophie fremd. Plötzlich fühlte sie sich seltsam einsam. Unwillkürlich dachte sie an das winzige Zellhäufchen in ihrem Bauch. Sie wollte nicht, dass ihr Kind ohne Geschwister aufwuchs. Aber sie wusste nicht, ob sie ihm jemals eine heile Familie würde bieten können. Da war es nur logisch, dass einige meinten, sie begehe einen großen Fehler, indem sie sich für das Kind, aber gegen dessen Vater entscheide.

Nach dem Tanz führte Christophe sie zurück an den Tisch und zog den Stuhl für sie zurück. Dankbar ließ sie sich darauf nieder. Ihre Füße schmerzten, und sie sehnte sich nach ihrem Bett. Das Baby war kaum größer als eine Erdbeere – wie konnte es ihr schon jetzt so zusetzen? Sie gähnte herzhaft, doch als sie bemerkte, dass Christophe sie ansah, errötete sie peinlich berührt.

„Das sieht nach vielen Überstunden in der vergangenen Woche aus“, mutmaßte er, dann hob er fragend die Augenbraue. „Oder gibt es jemand Neues in deinem Leben, der dich vom Schlafen abhält, Sophie?“

Wenn er geahnt hätte, wie nah seine Neckerei der Wahrheit kam! „Das willst du gar nicht wissen“, erwiderte sie ebenso leichthin wie er.

Ein Kellner steuerte mit einem Tablett auf sie zu und bot ihnen Champagner an. Christophe nahm ein Glas, doch Sophie lehnte ab und bat um ein Wasser mit Eis. Dabei hoffte sie, er werde keine neugierigen Fragen stellen. Noch heikler wurde die Situation, als eine der Servicemitarbeiterinnen mit Horsd’œuvres an ihren Tisch kam. Schon beim Anblick von Lachs und Truthahntartar mit Kaviar drehte sich ihr der Magen um.

Sie spürte, dass Christophes Blick fragend auf ihr ruhte, und griff nach einem Stück Zwiebelkuchen.

Während sie ein winziges Stück abbrach, lächelte sie ihm zu. Er erwiderte ihr Lächeln und biss herzhaft in seinen Räucherlachs auf frischem Brot.

Der Fischgeruch stieg ihr in die Nase, und sie versuchte panisch, das Stück Zwiebelkuchen hinunterzuwürgen. Dabei verschluckte sie sich und nahm hastig einen Schluck Wasser.

„Sophie, ist wirklich alles okay mit dir? Du wirkst so ganz anders als sonst.“ Seine Stimme klang ernsthaft besorgt.

Ich bin anders als sonst, bestätigte sie stumm, ehe sie aufsprang und sich den Weg zu den Waschräumen bahnte. Sie konnte keine Rücksicht darauf nehmen, was Christophe von ihr denken mochte – entscheidend war, dass sie die Toilette rechtzeitig erreichte.

Instinktiv hatte Christophe sich erhoben, als Sophie aufgestanden war, doch sie ließ ihn ohne ein Wort der Erklärung stehen. Ganz eindeutig ging es ihr nicht gut. Hoffentlich hatte sie keine Lebensmittelvergiftung. Besorgt folgte er ihr. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass sie das aufdringlich finden könnte, und wartete an einer Stelle des Ballsaals, an der er die Tür zu den Toiletten im Auge behalten konnte. Als Sophie nach einer halben Ewigkeit zurückkehrte, war sie leichenblass, die Augen gerötet. Seine Sorge wuchs. Er trat auf sie zu und registrierte ihr Erstaunen, als sie ihn vor sich sah.

„Du … du hast auf mich gewartet?“ Sie biss sich auf die Lippe und senkte den Blick, und sein Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, verfestigte sich noch mehr.

Er kannte Sophie seit sieben oder acht Jahren. In all der Zeit hatte er sie noch nie in einem so desolaten Zustand erlebt. Sie war immer geradeheraus, dabei aber warmherzig und absolut verbindlich.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Das musst du nicht. Ich komme allein klar. Es ist doch noch viel zu früh, um zu gehen.“ Doch die Erleichterung in ihrer Stimme strafte ihre Worte Lügen.

„Jeder wird Verständnis dafür haben, dass du in deinem Zustand nicht länger bleiben kannst.“

„Das bezweifle ich“, gab sie bitter zurück.

Was meinte sie damit? „Soph?“

Endlich hob sie den Blick. „Entschuldige, Christophe. Um ehrlich zu sein, fühle ich mich wirklich nicht wohl. Ich werde mir ein Taxi bestellen und nach Hause fahren.“

„Lass mich dich bringen.“

Überrascht sah sie ihn an. „Du hast einen Wagen hier?“

Christophe arbeitete in Paris und hatte keine Wohnung in London. Doch da er dieses Mal länger in England war als sonst, hatten ihm die Pembertons einen ihrer Wagen zur Verfügung gestellt. „Ich nutze ein Auto aus dem Familien-Fuhrpark“, erklärte er. „Denn ich hasse es, mich immer fahren zu lassen. So bin ich flexibler.“

„Und das im Londoner Linksverkehr – sehr mutig.“ Ihr gelang ein leichtes Lächeln.

„Also, was meinst du? Niemand wird merken, wenn wir uns davonstehlen. Ich fahre dich nach Hause, stelle sicher, dass du versorgt bist, und gönne mir ein bisschen Zeit für mich.“

Sie wirkte, als wollte sie ablehnen, deshalb fügte er hastig hinzu: „Ich mag meine Cousine wirklich sehr, aber diese ganze Romantik ist mir ein bisschen zu viel. Dich zu begleiten, wäre meine Rettung.“

Lachend gab sie sich geschlagen. „Ich muss nur noch meine Tasche holen.“

Wenig später saßen sie im Wagen. Sophie dirigierte ihn zu ihrer Wohnung in Chelsea, und er fand sich problemlos im Großstadtverkehr zurecht. London war immerhin seine zweite Heimat, auch wenn er in Frankreich lebte.

Immer wieder warf er seiner Beifahrerin, die blass und schweigsam in ihrem Sitz kauerte, einen besorgten Blick zu. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?“, erkundigte er sich nach einer Weile.

Sie nickte. „Nur ein bisschen Magenprobleme.“

An einer roten Ampel hielt er an und sah sie prüfend an. „Wenn du meinst …“

„Ich konnte den Fischgeruch heute Abend nicht gut vertragen, das ist alles“, erklärte sie. „Und ich bin ziemlich müde. Morgen ist mit Sicherheit alles wieder gut.“

Für ihn klang sie nicht sonderlich überzeugend, doch er ließ es darauf beruhen.

Als sie an Sophies Wohnung ankamen, stieg er aus und öffnete ihr die Beifahrertür. „Ich bringe dich noch hinein.“

„Das musst du nicht, Christophe“, wehrte sie ab. „Es geht mir gut. Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“

„Das ist doch selbstverständlich unter Freunden.“

„Du gibst nicht auf, oder?“

„Offensichtlich kennst du mich recht gut. Also komm, gehen wir ins Haus.“

Die Nacht war noch warm, und in dieser Seitenstraße war von dem tosenden Verkehr der Metropole kaum etwas zu ahnen. Christophe war noch nie bei Sophie zu Hause gewesen. Das letzte Mal, als er sie getroffen hatte, lebte sie noch in einer Wohngemeinschaft, und davor hatte er sie ein paarmal bei ihren Eltern abgeholt. Daher sah er sich gespannt um, als sie die Tür aufschloss und das Licht einschaltete.

Der kleine Flur führte direkt ins Wohnzimmer. Ein kostbarer orientalischer Teppich fiel ihm auf, ein Kamin mit verziertem Sims, ein gemütliches Sofa mit zwei passenden Sesseln. Dazwischen stand ein breiter Couchtisch, zwei kleinere Beistelltische flankierten die Couch.

„Kein Vergleich zu deiner letzten Wohnung“, stellte er anerkennend fest.

„Mittlerweile habe ich einen Job und verdiene vernünftig“, gab sie zu bedenken.

Er bezweifelte, dass sie sich die Wohnung von ihrem Gehalt leisten konnte. Aber schließlich waren die Walthams vermögend, und Sophie war ihre einzige Tochter.

Sie schlüpfte aus ihrem Mantel und hängte ihn auf. „Möchtest du einen Kaffee oder Tee? Etwas Stärkeres habe ich leider nicht.“

„Ich hatte ja schon einen Champagner, und ich muss noch fahren. Ein Tee wäre toll.“

„Stört es dich, wenn ich mir erst etwas Bequemeres anziehe?“

„Nein, natürlich nicht.“ Obwohl er zugeben musste, dass ihr Anblick in dem figurbetonten schwarzen Kleid ihm ausnehmend gut gefiel. Sophie und er waren gute Freunde, doch das bedeutete nicht, dass ihm entgangen wäre, wie wunderschön sie war.

„Fühl dich wie zu Hause“, lud sie ihn ein, ehe sie hinter einer weiteren Tür verschwand, die vermutlich in ihr Schlafzimmer führte.

Christophe vertrieb sich die Zeit, indem er die Fotos betrachtete, die in Silberrahmen hier und da im Wohnzimmer standen. Er entdeckte eines von der gesamten Familie Waltham, der parkähnliche Garten diente als Hintergrund. Auf einem der Beistelltische stand eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Sophie und ihrem Bruder Mark, auf der sie beide Grimassen zogen. Unwillkürlich lächelte er. Trotz ihrer Eleganz hatte Sophie eine komische Seite, und das mochte er sehr. Dass sie ausgerechnet dieses Foto gerahmt hatte, sprach für ihren Sinn für Humor.

Ein leises Miau riss ihn aus seinen Gedanken. Vor ihm stand eine kleine Katze mit dichtem, glänzendem Fell. Er ging in die Hocke, um sie zu kraulen. „Hallo, wer bist du denn?“

Schnurrend rieb die Katze ihren Kopf an Christophes Handfläche.

„Das ist Harry“, ließ sich Sophie hinter ihm vernehmen. Sie hatte ihr Abendkleid gegen schwarze Leggings und ein graues Sweatshirt getauscht.

„Das sieht viel bequemer aus“, stellte er fest, ehe er sich wieder der Katze zuwandte, die seine Streicheleinheiten mit zufriedenem Schnurren quittierte.

„Da scheinst du ja einen Freund fürs Leben gefunden zu haben. Und dein Smoking wird gleich voller Katzenhaare sein“, warnte sie ihn.

„Er kommt sowieso in die Reinigung“, sagte Christophe unbeirrt, ehe er aufstand und Sophie prüfend musterte. „Deine Gesichtsfarbe sieht wieder normal aus“, stellte er fest. „Zum Glück, ich habe mir wirklich Sorgen gemacht.“

„Du musst dir um mich keine Sorgen machen“, sagte sie lächelnd und steuerte auf die kleine Küche zu, um Tee zuzubereiten.

Doch er hatte das Gefühl, als wäre sie nicht ganz ehrlich. Ganz gegen ihre Gewohnheit wich sie seinem Blick aus, als hätte sie etwas zu verbergen.

Er folgte ihr und sah zu, wie sie Wasser in den Kessel füllte, ihn auf den Herd stellte und Teedosen aus dem Schrank nahm.

„Was möchtest du? Kräutertee oder schwarzen entkoffeinierten?“

Etwas war eindeutig anders. Den ganzen Abend über hatte sie nur Wasser getrunken, und offensichtlich hatte sie keinen Alkohol im Haus. Und jetzt konnte sie ihm nur Kräutertee anbieten? Die Sophie, die er kannte, liebte Champagner und starken Kaffee. Und sie machte sich niemals Gedanken darüber, ob sie nach einem Espresso nachts würde schlafen können.

Streng sah er sie an. „Willst du mir nicht erzählen, was los ist, Soph?“

Er sah, wie sich ihre Miene verdunkelte. Unentschlossenheit und Panik wechselten sich ab. Dann presste sie die Lippen aufeinander, als wäre sie zu einer Entscheidung gelangt.

„Ich werde es sowieso nicht mehr lange verbergen können. Ich bin schwanger, Christophe.“

2. KAPITEL

Sie hatte nicht vorgehabt, es schon in diesem frühen Stadium jemandem zu erzählen, und ganz sicher nicht Christophe. In diesem Moment begann der Wasserkessel zu pfeifen und erlöste sie von der peinlichen Situation.

Christophe und sie waren Freunde, aber nicht so vertraut, dass sie sich ihre intimsten Geheimnisse offenbarten. Sie trafen sich ein paarmal im Jahr, allerdings häufig auf beruflicher Ebene. Ab und zu gingen sie zusammen aus, mehr nicht. Bisher hatte sie nicht einmal ihrem Bruder von der Schwangerschaft erzählt. Was hatte sie nur geritten, sich ausgerechnet Christophe anzuvertrauen? Sein entsetzter Blick machte ihr deutlich, dass das keine gute Idee gewesen war.

Sie war froh, dass sie sich um den Tee kümmern konnte. Hastig nahm sie den Kessel vom Herd, verteilte Teebeutel auf die Tassen und schenkte das kochende Wasser ein.

Mit einem dumpfen Scheppern stellte sie den Kessel zurück auf das Kochfeld, dann wandte sie sich zu Christophe um.

„Das erklärt einiges“, sagte er, und sie bemerkte, wie er seinen Blick unwillkürlich auf ihren Bauch wandern ließ, ehe er sie ansah. Als ihm seine Reaktion bewusst wurde, errötete er. „Entschuldige.“

„Man sieht noch nichts. Ich bin noch ganz am Anfang. Aber ja, es erklärt meine Flucht auf die Toilette und warum ich keinen Alkohol trinke.“ Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Möchtest du Milch in deinen Tee?“

„Nein, danke.“

Wortlos nahm sie die Teebeutel heraus und reichte ihm einen Becher.

„Lass uns ins Wohnzimmer gehen, dann erzähle ich dir alles“, sagte sie ruhig.

Sie ließ sich aufs Sofa fallen und umfasste die Tasse mit beiden Händen. Das Pfefferminzaroma und die Wärme entspannten sie.

Christophe ließ sich neben ihr nieder. „Wie weit bist du genau?“, erkundigte er sich.

„Elfte Woche. Voraussichtlich lässt die Übelkeit bald nach.“

Ehe das Schweigen, das darauf folgte, zu unangenehm wurde, stellte er die unvermeidliche Frage. „Und wer ist der Vater?“

„Eric.“

Mehr musste sie nicht sagen. Zwei Jahre lang waren sie ein Paar gewesen, und gelegentlich hatte der Börsenmakler sie zu Veranstaltungen begleitet. Ihre Mutter hatte gar nicht oft genug betonen können, dass Eric Walsh der perfekte Schwiegersohn wäre.

„Kann man gratulieren? Ich meine, freut ihr euch auf das Baby? Werdet ihr heiraten?“

Um Zeit zu schinden, trank sie einen Schluck Tee. Keine der drei Fragen, mit denen er sie bombardiert hatte, war einfach zu beantworten. Das alles hatte sie auch mit ihren Eltern und mit Eric schon durchgesprochen.

Nachdem Sophie weiter schwieg, griff Christophe nach ihrer Hand. Unsicher lächelte er sie an, und seine Augenbraue schoss mal wieder in die Höhe. „Tut mir leid, ich wollte nicht so neugierig sein.“

„Schon gut“, wiegelte sie ab.

„Ich formuliere es anders. Welche Pläne hast du?“ Abwartend lehnte er sich in die Kissen zurück.

Sie stellte ihre Tasse auf den kleinen Tisch und registrierte dankbar, dass er ihre Hand nicht losließ. Seine Nähe gab ihr … Sicherheit. Und das bedeutete ihr viel in einer Phase, in der ihr gesamtes Leben aus dem Ruder lief.

„Tja, das ist eine gute Frage. Auf der einen Seite freue ich mich natürlich. Gut, es war nicht geplant, und ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen, Mutter zu werden. Aber ich liebe Kinder und wollte immer eine Familie – nun hat sich eben der Zeitplan ein bisschen geändert.“

Sie lächelte und hoffte, überzeugend gewesen zu sein. Tatsächlich war sie noch immer dabei zu realisieren, dass bald ein Baby zu ihrem Leben gehören würde. Manchmal war sie wie berauscht von der Vorstellung, dann wieder von Panik ergriffen.

„Und Eric?“

„Wir haben uns im September getrennt.“

„Bevor …?“

„Ja, bevor ich wusste, dass ich schwanger bin.“ Sie hielt seinen Blick. „An unserer Trennung hat das nichts geändert.“

Sie bemerkte, wie sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte, als er schluckte. Doch er sagte nichts.

„Du wirkst ähnlich geschockt wie wir alle“, stellte sie mit einem Lächeln fest, und zu ihrer Erleichterung erwiderte er ihr Lächeln.

„Nicht geschockt, nur …“

„Ich weiß.“ Sie drückte seine Hand. Als eine der wenigen kannte sie Christophes Geschichte. An einem Abend mit viel Pasta und Wein hatte er sie ihr erzählt. Sein Vater hatte die Familie verlassen, als Christophe noch ein Baby gewesen war, und im Alter von neun Jahren hatte seine Mutter ihn in die Obhut seiner Tante gegeben, der erfolgreichen Aurora Pemberton. Nach einem bescheidenen Leben in einer französischen Kleinstadt hatte Christophe sich plötzlich in einer erfolgreichen englischen Familie mit unermesslich viel Geld wiedergefunden.

„Du wirst ihn also nicht heiraten.“

Autor

Donna Alward

Als zweifache Mutter ist Donna Alward davon überzeugt, den besten Job der Welt zu haben: Eine Kombination einer „Stay-at-home-mom“ (einer Vollzeit – Mutter) und einem Romanautor. Als begeisterte Leserin seit ihrer Kindheit, hat Donna Alward schon immer ihre eigenen Geschichten im Kopf gehabt. Sie machte ihren Abschluss in Englischer Literatur...

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