Die schönste Versuchung von Manhattan

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Millionärin über Nacht! Lucy kann kaum glauben, dass sie das gesamte Vermögen ihrer großmütterlichen Freundin Alice erben soll. Und prompt hat sie mit Oliver Drake zu kämpfen, Alices arrogantem Neffen. Allen Ernstes unterstellt ihr der reiche CEO, auf das Vermögen seiner Tante spekuliert zu haben. So eine Frechheit! Als ihr umwerfend attraktiver Feind trotzdem mit ihr flirtet und sie im Lichterglanz von Manhattan heiß küsst, versteht Lucy überhaupt nichts mehr. Ist seine Leidenschaft echt - oder führt er etwas im Schilde?


  • Erscheinungstag 28.10.2019
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727734
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Lucy Campbell, meiner Assistentin und Freundin, hinterlasse ich den Rest meines Vermögens, einschließlich allen Barvermögens sowie meine Kunstsammlung und mein Apartment an der Fifth Avenue.“

Nachdem der Anwalt das Testament von Alice Drake laut vorgelesen hatte, war es plötzlich so still im Raum, dass Lucy sich fragte, ob der Rest der Familie Drake aufgrund der unerwarteten Nachricht tot umgefallen wäre. Sie wartete darauf, dass der Anwalt lächeln und den Versammelten rund um den Konferenztisch erklären würde, dass er nur einen Witz gemacht hätte, was aber einer trauernden Familie gegenüber ziemlich unpassend gewesen wäre.

Es konnte sich ja nur um einen Scherz handeln. Lucy war zwar keine Expertin, was Immobilien anging, aber allein Alices Apartment musste weit über zwanzig Millionen Dollar wert sein. Es lag genau gegenüber dem Metropolitan Museum of Arts, hatte vier Schlafzimmer und eine Bildergalerie mit einem Dutzend bedeutender Kunstwerke, einschließlich eines echten Monets. Lucy könnte sich die Miete gar nicht leisten, ganz zu schweigen davon, ein solches Apartment in Manhattan zu besitzen.

„Ist das wirklich Ihr Ernst?“, erklang plötzlich eine scharfe Stimme.

Endlich stellte jemand die Frage, die ihr selbst auf der Zunge lag. Lucy schaute auf und erkannte, dass es Oliver, der Bruder ihrer besten Freundin Harper Drake gewesen war. Harper hatte Lucy dabei geholfen, diesen Job bei ihrer Großtante zu bekommen, aber Harpers Bruder hatte sie bisher noch nicht getroffen. Was eigenartig war, denn schließlich hatte sie sich mehr als fünf Jahre lang um ihre Tante gekümmert.

Eigentlich war es wirklich schade. Denn er war einer der attraktivsten Männer, die sie je gesehen hatte, und da er ihr im Konferenzraum direkt gegenüber saß, hatte sie eine gute Sicht auf ihn. Harper war bereits eine hübsche junge Frau, aber dieselben aristokratischen Züge hatten bei Oliver einen völlig anderen Effekt. Beide Geschwister hatten dasselbe lockige braune Haar, ausgeprägte Wangenknochen und ein markantes Kinn. Doch er besaß die blaugrauen Augen und das permanente Stirnrunzeln ihres Vaters. Auch seine Lippen waren dünner als Harpers, was allerdings damit zusammenhängen konnte, dass er sie in diesem Moment irritiert zusammengepresst hatte.

Sein Blick fiel auf Lucy, und sie spürte einen unerwarteten Schauer über ihren Rücken laufen. Sie errötete und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Lucy wusste nicht, ob es die überraschenden Nachrichten oder sein prüfender Blick waren, aber plötzlich wurde ihr sehr heiß in dem kleinen Konferenzraum. Lucy machte den obersten Knopf ihrer Bluse auf und holte tief Luft.

Leider atmete sie dabei den prägnanten Duft des Mannes ihr gegenüber ein, was die Hitze in ihrem Bauch noch verstärkte.

Es war auf schmerzhafte Weise offensichtlich, dass sie viel zu viele Jahre in der Gesellschaft einer alten Dame von über neunzig verbracht hatte. Ein gut aussehender Mann blickte sie an, und sie geriet völlig aus der Fassung. Lucy wusste, dass sie sich zusammenreißen musste. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich ablenken zu lassen, zumal der fragliche Mann ja kein Verbündeter war. Einen Moment lang schloss sie die Augen und registrierte dann erleichtert, dass Oliver seine Aufmerksamkeit inzwischen wieder dem Anwalt zugewandt hatte.

Ja, mit Sicherheit hätte sie sich an ihn erinnert, wenn er seine Tante einmal besucht hätte. Genau genommen hatte sie niemanden aus der Familie vor Alices Tod kennengelernt. Sie erkannte ein paar von ihnen von den Fotos auf dem Kaminsims, aber auch sie hatten ihre Tante nie besucht oder sich mit ihr getroffen. Alice war dreiundneunzig, als sie starb, und noch immer ein exzentrischer, unabhängiger Geist, obwohl sie jahrzehntelang nicht mehr aus ihrem Apartment herausgekommen war. Lucy hatte sich sehr zu dieser radikalen Andersartigkeit hingezogen gefühlt, was sicher nicht auf jeden zutraf. Sie nahm an, dass Alices Familie sie wahrscheinlich nicht wirklich verstanden hatte.

Angesichts der schockierten und wütenden Gesichtsausdrücke hätte man denken können, dass sie ihr viel nähergestanden hätten, als dies tatsächlich der Fall gewesen war.

„Also wirklich, Phillip, ist das etwa ein schlechter Scherz?“ Diesmal war es Thomas Drake, Harpers und Olivers Vater sowie Alices Neffe, der die Stimme erhob. Er war eine ältere Version von Oliver, bereits leicht ergraut, mit einem kleinen, distinguierten Bart. Doch auch er runzelte jetzt die Stirn.

Phillip Glass, Alices Anwalt und Vermögensverwalter, schüttelte grimmig den Kopf. Er sah nicht aus wie jemand, der Scherze machte. „Tut mir leid, aber es ist mein voller Ernst. Ich habe zu ihren Lebzeiten lange mit Alice darüber gesprochen, als sie Anfang des Jahres ihr Testament ändern wollte. Ich hatte gehofft, dass sie mit Ihnen allen noch einmal darüber reden würde, aber das ist offensichtlich nicht passiert. Sie hat jeden von Ihnen fünfzigtausend Dollar vermacht, aber sie bestand darauf, dass Lucy alles andere erben sollte.“

„Wahrscheinlich litt sie da bereits an Demenz“, sagte eine säuerlich aussehende Dame vom anderen Ende des Tisches, die Lucy nicht erkannte.

„Ganz bestimmt nicht“, erwiderte Lucy empört. Alice hatte ein schwaches Herz gehabt und eine Vorliebe für gute Weine und Käse, aber geistig war sie immer voll auf der Höhe gewesen.

„Natürlich sagen Sie das“, gab die Frau verächtlich zurück. „Aber sie hatte eindeutig nicht mehr alle beisammen, als sie ihr Testament geändert hat.“

„Und woher wollen Sie das wissen?“, fuhr Lucy sie an. „Keiner von Ihnen hat in den letzten fünf Jahren, seitdem ich mich um sie gekümmert habe, je einen Fuß in ihre Wohnung gesetzt. Sie wissen doch gar nicht, wie es ihr ging. Sie sind erst aufgetaucht, als Sie glaubten, es gäbe etwas für Sie zu holen.“

Die ältere Frau griff nach ihrer Perlenkette, offensichtlich entsetzt über den Ton, den Lucy ihr gegenüber anschlug. Aber Lucy war das egal. Sie würde nicht zulassen, dass diese Leute Alices Andenken nach ihrem Tod beschmutzten.

Harper beugte sich vor und griff beruhigend Lucys Arm. „Ist schon okay. Sie sind nur überrascht von dieser Neuigkeit. Sie werden schon darüber hinwegkommen.“

„Nein, ich werde nicht darüber hinwegkommen“, fuhr die Frau fort. „Wie kannst du nur Partei für diese kleine Angestellte ergreifen, Harper? Sie beraubt dich schließlich deines Erbes!“

„Diese kleine Angestellte ist zufällig meine Freundin“, gab Harper schneidend zurück. „Und offensichtlich ist sie Tante Alice ans Herz gewachsen, deshalb solltest du sie mit mehr Respekt behandeln.“

Lucy hörte gar nicht mehr zu, während Alices Verwandte weiter miteinander stritten. Die letzten Tage waren für Lucy sehr schwer gewesen, denn sie war es gewesen, die Alices Leiche gefunden hatte. Dann hatte sie sich um die Beerdigung kümmern müssen, und plötzlich hatte sie das Gefühl gehabt, als wäre ihr Leben vollkommen aus den Fugen geraten. Denn Alice war viel mehr für sie gewesen als nur jemand, für den sie arbeitete. Sie war ihre Freundin gewesen, und mit ihrem Tod hatte sie sowohl ihren Job als auch ihr Heim verloren.

Und jetzt fand sie sich mitten in einem Erbschaftsstreit wieder, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Sie hatte gedacht, dass Alice ihr vielleicht eine kleine Summe Geld hinterlassen hatte. Und nun das!

Für ein Mädchen aus armen Verhältnissen, das nur mithilfe eines Stipendiums zum College hatte gehen können, war das Ganze einfach zu viel auf einmal. Zumal Oliver nicht aufgehört hatte, sie zu mustern. Lucy hatte das Gefühl, als würde er ihr mit seinen stählernen blauen Augen bis auf den Grund ihrer Seele schauen.

Doch schließlich wandte er sich seiner Schwester zu. „Ich weiß, sie ist deine Freundin, Harper. Aber du musst zugeben, dass an der Sache etwas faul ist.“

„Was meinen Sie mit faul?“, wollte Lucy wissen.

„Na ja, vielleicht haben Sie meine Tante ja dazu gebracht, ihr Testament zu Ihren Gunsten zu ändern.“

„Wie bitte? Meinen Sie das im Ernst?“ Lucy schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich keine Ahnung davon hatte. Wir haben nie über ihr Testament oder ihr Vermögen gesprochen. Nicht ein einziges Mal in fünf Jahren. Ich bin genauso überrascht davon wie Sie alle.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, murmelte Wanda.

„Also bitte, meine Damen und Herren“, mischte Phillip sich ein. „Ich verstehe ja, dass es für Sie alle ein Schock sein muss. Ich wünschte, ich könnte etwas für Sie tun, aber Tatsache ist nun einmal, dass es genau das ist, was Alice wollte. Natürlich können Sie das Testament jederzeit anfechten, doch erst einmal sieht es tatsächlich so aus, dass Lucy alles bekommen wird.“

Wanda erhob sich und griff dramatisch nach ihrer Hermes Handtasche. „Sie können sicher sein, dass ich meinen Anwalt einschalten werde“, sagte sie und ging Richtung Tür. „Welche Verschwendung eines Vermögens!“

Der Rest der Familie schloss sich ihr an, und dann saßen nur noch Harper, Lucy und Phillip am Konferenztisch.

„Lucy, das alles tut mir sehr leid“, sagte Phillip mitfühlend. „Alice hätte ihre Familie darauf vorbereiten sollen, dann wäre es nicht ein solcher Schock für sie gewesen. Sie müssen davon ausgehen, dass sie versuchen werden, das Testament anzufechten. Solange werden Sie das Apartment nicht verkaufen können, und Sie werden erstmal auch keinen Zugang zu dem Barvermögen erhalten. Aber Alice hat auch verfügt, dass die laufenden Kosten für das Apartment und die Gehälter für Sie und die Haushälterin weiter gezahlt werden. Daher müssen Sie sich in dieser Hinsicht keine Sorgen machen.“

Lucy war froh, das zu hören. Als sie noch in Yale studiert hatte, war sie immer die einzige Studentin mit wenig Geld gewesen, auch wenn ihre Freundinnen Violet, Emma und Harper sie das nie hatten spüren lassen.

Deshalb konnte sie sich jetzt auch kaum vorstellen, wie es war, plötzlich Geld zu haben.

„Wegen Wanda musst du dir keine Sorgen machen“, meinte Harper. „Das ist alles nur heiße Luft. Wahrscheinlich erwartet sie, dass Oliver sich um die Sache kümmert.“

Lucy runzelte die Stirn. „Dein Bruder schien wirklich ziemlich sauer zu sein. Glaubst du, er wird es an dir auslassen?“

Ihre Freundin schnaubte und schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er wird die ganze Sache dem Gericht übergeben. Allerdings solltest du dich darauf vorbereiten, dass er vielleicht bei dir auftaucht und versucht, dich zum Verzicht auf das Erbe zu überreden. Er ist ein gewiefter Geschäftsmann, deshalb wird er alles tun, um irgendwo Schwachstellen zu finden.“

Lucys erster Gedanke war, dass sie gar nichts dagegen hätte, wenn Oliver sie aufsuchen würde. Schließlich hatte er ziemlich Eindruck auf sie gemacht. Doch sie wusste auch, dass sie nicht die Mittel hatte, ihn zu bekämpfen. Das veranlasste sie, noch einmal nachzufragen.

„Phillip, Alice und ich haben nie wirklich über ihre finanzielle Situation gesprochen. Über wie viel Geld reden wir hier eigentlich?“

Phillip blätterte ein paar Papiere durch und schluckte. Dann räusperte er sich. „Also, alles in allem würde ich davon ausgehen, dass Sie etwa fünfhundert Millionen Dollar erben werden, Lucy.“

Sie konnte es nicht fassen und wurde ganz blass. „Das … ich … also, entschuldigen Sie, aber könnten Sie das bitte noch einmal wiederholen?“

Erneut beugte Harper sich vor und drückte ihre Hand. „Du hast schon richtig gehört, Lucy. Tante Alice besaß ein großes Vermögen, und sie hat dir alles hinterlassen. Auch wenn du es vielleicht noch nicht glauben kannst, so ist es nun einmal. Meinen herzlichen Glückwunsch! Es hätte niemand Besseren treffen können als dich.“

Lucy hatte immer noch das Gefühl, zu träumen. Das konnte einfach nicht sein. Fünfhundert Millionen Dollar? Kein Wunder, dass Alices Familie so reagiert hatte.

Die kleine Angestellte war gerade Multimillionärin geworden.

Das war also die berüchtigte Lucy Campbell.

Oliver hatte in den letzten Jahren von seiner Schwester schon viel über sie gehört, und seine Tante hatte in Mails von Lucy berichtet. Irgendwie hatte er geglaubt, sie wäre attraktiver. Doch ihr Haar war mausgrau, ihren Fingernägeln hätte eine Maniküre gutgetan, und ihre Augen waren zu groß für ihr Gesicht. Außerdem hatte er den Eindruck, dass sie ein abgelegtes Kostüm von Harper trug.

Insgesamt wirkte sie ziemlich durchschnittlich für jemanden mit ihrem Ruf. Seine Tante Alice hatte man nicht leicht beeindrucken können, und sie hatte ihm öfters geschrieben, wie überaus zufrieden sie mit Lucy war. Er hatte mehr als einmal vorgehabt, sich mit seinen eigenen Augen davon zu überzeugen. Vielleicht wäre er dann nicht so enttäuscht gewesen.

Sie hatte Sommersprossen, richtige Sommersprossen. Noch nie war er jemandem mit so vielen Sommersprossen begegnet. Fasziniert hatte er während der Testamentseröffnung angefangen, sie zu zählen. Ob sie wohl über den ganzen Körper verteilt waren?

Bei zweiunddreißig hatte er schließlich aufgehört zu zählen. Außerdem hatte er sich gezwungen, wieder dem Anwalt und seinen Ausführungen zuzuhören. Lucy hatte seine Aufmerksamkeit nicht verdient, so viel stand fest. Sie war eine durchtriebene Lügnerin und Erbschleicherin, genau wie seine Stiefmutter, dessen war er sich sicher. Harper schien das nicht zu merken, und seiner Tante war es anscheinend auch nicht aufgefallen, aber er durchschaute sie.

Also gut, sie war recht hübsch, aber das war’s auch schon. Niemand würde behaupten können, dass sie spektakulär aussah. Nicht wie die eleganten Ladys, mit denen er für gewöhnlich ausging. Eher wie die süße Barista in dem Coffeeshop, der er immer ein extra Trinkgeld gab, weil sie wusste, dass er viel Schaum auf seinem Kaffee mochte.

Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie in die elitäre Gesellschaft der New Yorker High Society passen sollte, unabhängig von all den Millionen, die sie erben würde.

Unwillkürlich musste er an seine Stiefmutter Candace denken. Sie war jung und umwerfend attraktiv gewesen, und sie hatte sich in diesen Kreisen wie ein Fisch im Wasser bewegt. Obwohl sie über zwanzig Jahre jünger war, hatte sein Vater sich rettungslos in sie verliebt.

Oliver sah auf und bemerkte, dass sein Chauffeur ihn wieder zu seinem Bürogebäude zurückgebracht hatte. Mit fünfzigtausend Dollar mehr in der Tasche als vorher, was sich für ihn kaum gelohnt hatte.

„Vielen Dank, Harrison.“ Er stieg aus der schwarzen Limousine aus und ging auf das Gebäude zu, in dem sich das Hauptquartier des Orion befand. Neben der großen Eingangstür hing ein Messingschild mit dem Namen der Firma, die sein Vater in den achtziger Jahren gegründet hatte. Tom Drake war ein Pionier der Computerbranche gewesen, und im Jahre 2000 war einer von fünf Computern, die verkauft wurden, von Orion gewesen.

Doch dann war Candace in sein Leben getreten, und alles war zusammengebrochen.

Oliver ging durch die Drehtür und marschierte durch die marmorne Eingangshalle auf den Aufzug zu. Die Büros der Firma befanden sich in den obersten drei Etagen des vierzigstöckigen Wolkenkratzers, den er vor sechs Jahren erworben hatte.

Die Produktion und der Vertrieb waren in eine externe Firma in New Jersey ausgelagert worden, etwa fünfzehn Meilen von New York entfernt. Alle hatten Oliver gesagt, dass es Wahnsinn wäre, die Geräte hier in den Vereinigten Staaten herstellen zu lassen. Er sollte es so machen wie seine Konkurrenten und die Computer in Indien bauen lassen, was die Lohnkosten drastisch verringert hätte.

Doch er hatte nicht auf sie gehört und war froh gewesen, als der Vorstand seine Pläne abgenickt hatte. Es war ihm gelungen, die Firma zu einem überragenden Erfolg zu machen, nachdem sein Vater die Zügel an ihn übergeben hatte. Ja, er hatte sehr hart dafür gearbeitet, aber er hatte auch Glück gehabt, wie er zugeben musste.

Als sich die Türen des Aufzugs öffneten, ging Oliver auf die Büros am Ende des Ganges zu, die er vor sechs Jahren übernommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Candace sich auch aus dem Staub gemacht, und sein Vater hatte sich um ihren zweijährigen Sohn kümmern müssen, den sie zurückgelassen hatte.

Oliver konnte es kaum ertragen, wie sie das Herz seines Vaters gebrochen hatte, auch wenn es Oliver nicht überraschte. Denn er hatte sie von Anfang an richtig eingeschätzt.

Lucy war offenbar aus demselben Holz geschnitzt, auch wenn sie sich nicht an einen älteren Witwer, sondern an eine ältere Dame herangemacht hatte, um deren Erbe zu erschleichen.

Seine Tante Alice war immer anders als andere und etwas Besonderes gewesen, und er hatte sie sehr gemocht. Als sie beschlossen hatte, sich in ihr Apartment zurückzuziehen, hatte er ihr einen Computer geschenkt und eine E-Mail-Adresse eingerichtet, sodass sie immer in Verbindung sein konnten. Er hatte ihren Wunsch, so zu leben, stets respektiert.

Aber jetzt bedauerte er es, sich nicht mehr um sie gekümmert zu haben. Dann hätte er dieses Debakel mit Lucy vielleicht stoppen können.

Oliver riss die Tür zu seinem Büro auf, und seine Assistentin zuckte bei seinem Anblick zusammen.

„Alles okay, Mr. Drake?“, fragte Monica besorgt.

Er nickte. „Natürlich.“

„Tut mir sehr leid mit Ihrer Tante“, fuhr sie fort. „Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie fast zwanzig Jahre lang zurückgezogen in ihrem Apartment gelebt hat. Stimmt das?“

Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht ganz. Siebzehn Jahre.“

„Unglaublich! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das sein muss.“

„Nun, es ist ein sehr schönes Apartment. Sie hat nicht gerade gelitten dort.“

„Werden Sie es erben? Ich weiß, dass Sie sich beide ziemlich nahestanden, und in dem Artikel stand ja auch, dass sie keine eigenen Kinder hatte.“

Die Möglichkeit, dies zu erben war heute Nachmittag geplatzt, als sich alles geändert hatte. Tante Alice war nie verheiratet gewesen und hatte auch keine eigenen Kinder. Deshalb war man allgemein davon ausgegangen, dass Harper und er den Großteil ihres Vermögens erben würden. Oliver brauchte weder das Geld noch das Apartment seiner Tante, das war nicht sein Stil. Aber er mochte es nicht, dass sich eine fremde Person in seine Familie einschlich und sie bestahl.

Besonders keine Frau mit großen Augen und irritierenden Sommersprossen, an die er die letzte Stunde immer wieder hatte denken müssen.

„Das glaube ich nicht, aber man weiß ja nie. Bitte stellen Sie erst mal keine Anrufe durch, okay?“

Monica nickte, und er ging in sein Büro und machte die Tür hinter sich zu. Oliver war nicht in der Stimmung, mit jemandem zu reden. Er hatte für heute Nachmittag alle Termine abgesagt, weil er davon ausgegangen war, dass er mit seiner Familie über das Vermächtnis seiner Tante sprechen würde. Stattdessen waren alle panisch hinausgestürzt, und er hinterher.

Wahrscheinlich war das auch das Richtige gewesen. Denn je mehr Zeit er in der Gesellschaft der faszinierenden Miss Campbell verbrachte, desto mehr fühlte er sich von ihr angezogen. Und das war wirklich albern, denn sie war die Art von Frau, der er normalerweise nicht mal einen zweiten Blick zugeworfen hätte. Doch wie sie ihm gegenübergesessen und ihn angeschaut hatte, als würde er ihr Schicksal in seinen Händen halten … nun, er hatte dringend Raum zum Atmen gebraucht, bevor er noch eine Dummheit beging.

Er zog sein Handy aus der Tasche und betrachtete das Display, bevor er es auf seinen Schreibtisch warf. Harper hatte ihn in der letzten halben Stunde zweimal angerufen, aber er hatte den Klingelton abgestellt. Wahrscheinlich wollte seine Schwester ihn dazu überreden, das Testament nicht anzufechten. Dann würden sie sich auch nicht streiten müssen, was Lucy und ihr Erbe betraf.

Oliver ließ sich auf dem Schreibtischstuhl nieder und schüttelte den Kopf. Er sah aus dem Fenster und betrachtete die Skyline. Sein Büro ging auf der einen Seite nach Westen und auf der anderen nach Osten hinaus. In etwa einer Stunde würde er einen wunderbaren Blick darauf haben, wie die Sonne über dem Hudson unterging. Er nahm den Fluss nur sehr selten wahr, denn meist war er in die Arbeit vertieft. Es gab immer etwas, worum er sich kümmern musste, und damit war er zufrieden. Denn wenn er sehr beschäftigt war, bedeutete das auch, dass es der Firma gut ging.

Freizeit … davon hatte Oliver nicht besonders viel. Und wenn er doch frei hatte, dann wusste er kaum, was er mit der ganzen Zeit anfangen sollte. Er hatte zwar einen Garten, aber dort hielt er sich nur selten auf. Hin und wieder traf er sich mit jemandem – meist auf Harpers Betreiben hin –, aber es war nie etwas Ernstes.

Er konnte nicht anders, er sah Candaces Schatten in jeder Frau, die ihn anlächelte oder mit den Wimpern klimperte. Oliver wusste, dass dies nicht die richtige Haltung war, denn es gab mehr als genug Frauen, die nicht auf sein Geld angewiesen und finanziell unabhängig waren. Er wusste nur nicht, wie er die eine Kategorie von der anderen unterscheiden sollte.

Eines war ihm aufgefallen – Lucy Campbell lächelte ihn weder an, noch zwinkerte sie mit den Augenlidern. Im Gegenteil, ihr Blick hatte leicht angewidert gewirkt, und sie hatte sogar ihre hübsche kleine Nase gerümpft. Das war völlig neu für Oliver. Fast hätte man meinen können, er würde schlecht riechen. Und dabei hatte er sich an diesem Morgen extra mit seinem neuen teuren Eau de Parfum besprüht.

Zu Anfang hatte ihre Reaktion ihn amüsiert. Doch das hatte sich geändert, als Phillip angefangen hatte, das Testament vorzulesen. Kaum hatte er realisiert, wer sie war und was sie getan hatte, war es aus gewesen mit dem Spaß.

Harper jedoch glaubte zu hundert Prozent an Lucys Unschuld. Sie waren seit dem College miteinander befreundet. Wahrscheinlich kannte sie Lucy besser als jeder andere, und unter normalen Umständen hätte er ihre Meinung wie das Evangelium hingenommen. Doch stand sie Lucy vielleicht zu nahe? Harper konnte blind sein für die Schwächen ihrer Freundin, genau wie sein Vater aufgrund seiner Liebe für Candace blind für die Wahrheit gewesen war. Doch in beiden Fällen war es um mehrere Hundert Millionen Dollar gegangen.

Selbst den ehrenwertesten Menschen konnte so eine riesige Summe in Versuchung führen. Alice war schließlich dreiundneunzig Jahre alt gewesen. Vielleicht hatte Lucy sie mit ihren großen Augen angeschaut und ihr eine traurige Geschichte erzählt, warum sie das Geld unbedingt brauchte. Oder sie hatte seiner Tante das Gefühl gegeben, das Kind zu sein, das Alice nie gehabt hatte. Vielleicht hatte Lucy ja nur eine kleine Summe Geld erwartet, und ihr Plan war besser aufgegangen, als sie es sich je erträumt hatte.

Wie dem auch sei, es war egal. Unter dem Strich blieb es bei der Tatsache, dass sie seine Tante manipuliert hatte. Und er würde sie damit nicht durchkommen lassen. Schließlich ging es um eine halbe Milliarde Dollar und nicht um das Porzellan seiner Großmutter. Dieses Geld würde er ihr nicht kampflos überlassen. Das schuldete er auch Alice.

Seufzend griff Oliver nach dem Handy und rief seinen Anwalt an. Sommersprossen oder nicht, Lucy Campbell würde es mit ihm und seinen blutrünstigen Anwälten zu tun bekommen. Und dagegen würde sie keine Chance haben.

2. KAPITEL

Lucy erwachte am nächsten Morgen mit dem gewohnten unangenehmen Druckgefühl in der Brust. Es war an dem Tag aufgetaucht, als Alice im Schlaf gestorben und Lucys Welt völlig durcheinander geraten war. Die Tatsache, dass sie vielleicht Multimillionärin geworden war und Alices ganze Familie sie dafür hasste, hatte den Druck nicht gerade kleiner gemacht. Im Gegenteil, seit sie sich mit Phillip getroffen hatten, schien er sogar noch größer geworden zu sein.

Mit Sicherheit würde jemand das Testament anfechten, und bis dahin würde Alices Vermögen eingefroren werden. Als Lucy sich bei Phillip erkundigt hatte, wie lange das dauern könnte, hatte er gemeint, Wochen oder vielleicht sogar Monate. Die Anwälte der Firma würden nach jedem noch so kleinen Schlupfloch suchen, um zu beweisen, dass der letzte Wille nicht rechtskräftig war. Das würde wahrscheinlich bedeuten, sie würden sowohl Alices wie auch ihren guten Ruf in den Schmutz ziehen. Sie würden versuchen zu beweisen, dass Alice nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen war, als sie das Testament aufgesetzt hatte, oder dass Lucy sie manipuliert hatte.

Lucy dachte angestrengt darüber nach, ob sie das Erbe zurückweisen sollte. War das überhaupt eine Option? Obwohl es natürlich reizvoll wäre, plötzlich reich zu sein, wollte sie deshalb trotzdem nicht leiden müssen. Lucy hatte Alice nicht manipuliert und wusste auch, dass die alte Dame nicht verrückt gewesen war. Sie hatte offensichtlich nur entschieden, dass ihre Familie ihr Vermögen nicht verdient hatte, oder dass sie das Geld nicht brauchten.

Und irgendwie passte das auch zu Alice. Sie hatte Lucy oft Geschichten darüber erzählt, wie rebellisch sie als junges Mädchen gewesen war und wie oft sie sich gegen die Wünsche ihrer Familie zur Wehr gesetzt hatte. Wenn sie vom Himmel aus bei der Verlesung des Testaments zugeschaut hatte, hatte sie sich bestimmt vor Lachen gebogen. Besonders Wandas Gesichtsausdruck war ausgesprochen köstlich gewesen.

Doch solange sie auf die Entscheidung bezüglich des Erbes warten musste, wusste Lucy nicht, was sie in der Zwischenzeit tun sollte. Die Frau, die sie betreut hatte, war gestorben, doch sie bekam noch immer ihr Gehalt und durfte weiterhin in ihrem Apartment wohnen.

Nach der Beerdigung hatte Lucy begonnen, ihr altes Leben wieder aufzunehmen und zu planen. Ihr fehlten zum Studienabschluss noch zwei Semester Kunstgeschichte in Yale. Ihr Stipendium hatte nicht für vier Jahre gereicht, und ohne diese finanzielle Unterstützung hatte sie nicht weiterstudieren können.

Weil sie bei Alice hatte wohnen können, hatte sie fast ihr ganzes Gehalt gespart. Daher stand ihr jetzt offen, nach Connecticut zurückzuziehen, ihr Studium zu beenden und vielleicht zu versuchen, einen Job in einem Museum zu bekommen.

Autor

Andrea Laurence
Bereits im Alter von zehn Jahren begann Andrea Laurence damit, Geschichten zu schreiben – damals noch in ihrem Kinderzimmer, wo sie an einer alten Schreibmaschine saß. Sie hat immer davon geträumt, ihre Romane eines Tages in der Hand halten zu können, und sie arbeitete jahrelang hart, bis sich ihr Traum...
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