Ein Feuerwerk aus Leidenschaft - Kapitel 5

Gegen acht Uhr am selben Abend trat Adam einen Schritt zurück und unterzog die Wände und die Decke der Küche einer kritischen Musterung.

„Ich schätze, wir sind fertig.“ Er klang nicht begeistert.

„Ich mag die Farbe“, sagte Kerry. „Sie wirkt frisch, sauber und hell.“

„Gelb ist einfach langweilig“, widersprach er.

„Nur, weil du es grell und dramatisch magst, muss nicht jeder deine Vorliebe teilen.“ Dies war ein weiterer Grund, warum seine Mutter ihre Verlobung anzweifeln würde. Adam mochte kräftige modische Farben, die zu seinen modernen Möbeln passten. Kerry hingegen bevorzugte Pastelltöne an den Wänden, traditionelle Sofas in zarten Farben mit vielen Kissen und weiches Licht. Was ihren Geschmack anbelangte, würde sie beide nie einen Mittelweg finden.

„Hey, wir sind ein tolles Team. Wenn dir deine Feuerwerke irgendwann mal langweilig werden sollten, eröffnen wir gemeinsam ein Geschäft für Innenausstattung. McRae und Francis“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen und stupste sie an.

„Francis und McRae“, korrigierte sie. „Die Reihenfolge sollte alphabetisch sein.“

„Na schön“, lenkte er ein und lächelte sie an.

„Ich mache uns Kaffee“, sagte sie schnell und flüchtete in die Küche, weil sie von seinem Lächeln wieder einmal weiche Knie bekam.

Während Kerry die Kaffeemaschine anstellte, begann Adam damit, die Abdeckfolien von Möbeln und Boden zu entfernen.

„Soll ich uns eine Pizza bestellen?“, fragte sie ihn.

Er schüttelte den Kopf. „Vielen Dank, aber ich habe noch eine Verabredung.“

Kerry musste sich erneut ins Gedächtnis rufen, dass es sie überhaupt nichts anging, was Adam heute Nacht vorhatte. Mit wem er sich treffen würde. Wen er küssen würde. Er hatte den ganzen Tag damit zugebracht, die Decken und Wände ihres Wohnzimmers und der Küche zu streichen. Das war, einschließlich aller Vorbereitungen und des Aufräumens hinterher, eine mehr als ausreichende Gegenleistung für ihr kleines Theaterspiel. Warum sollte er also den restlichen Abend mit ihr verbringen wollen?

„Und ich muss dringend die Notizen durchgehen, die ich mir heute Vormittag bei dem Ortstermin gemacht habe“, sagte sie, damit er nicht etwa auf die Idee kam, sie hätte es auf eine Einladung abgesehen.

Nachdem Adam die letzten Abdeckfolien entfernt hatte, leerte er seinen Kaffeebecher. „Dann bis bald, Kerry. Bevor ich es vergesse, macht es dir etwas aus, wenn ich dich aus Schottland mal anrufe? Meine Eltern werden vermutlich kurz mit dir reden wollen.“

„Kein Problem. Du musst mich nur vorwarnen, falls ich etwas Bestimmtes zu ihnen sagen soll.“

„Mach ich, danke.“

Für einen kurzen atemberaubenden Moment dachte sie, er würde sie berühren. Sie umarmen und an sich ziehen. Aber er lächelte nur verlegen, klemmte sich die Folien unter den Arm und verließ die Wohnung.

Kerry blieb allein zurück und trauerte um ihre alte, unkomplizierte Freundschaft. Noch vor wenigen Tagen hätte er sie in diesem Moment umarmt und ihr übers Haar gestrichen. Aber damit schien es jetzt endgültig vorbei zu sein.

 

„Adam? Stimmt etwas nicht?“, fragte Pansy.

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Alles in Ordnung. Ich bin nur ziemlich müde. Ich könnte auf der Stelle einschlafen.“

Pansy starrte ihn fassungslos an. „Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist? Ich habe noch nie gehört, dass du eine Party verlässt, bevor sie zu Ende ist. Du gehörst doch immer zu den letzten Gästen.“

„Ich habe eine sehr anstrengende Woche hinter mir“, erwiderte Adam und zuckte die Schultern. Er wusste, was sie meinte. Und es verstörte ihn selbst, dass er sich langweilte. Seit wann fand er Partys langweilig? All diese Menschen, mit denen man reden und lachen konnte …

Aber es gab da diesen einen Menschen, den er sich einfach nicht aus dem Kopf schlagen konnte. Genauer gesagt, diese eine Frau. Eine Frau, die seinen Musikgeschmack überhaupt nicht teilte. Die alles andere als ein Partymäuschen war, mit der er aber nächtelang reden konnte.

„Also, wenn es dich ins Bett zieht …“, Pansy bedachte ihn mit einem verführerischen Augenaufschlag.

Adam konnte die Signale deuten. Er sollte sie küssen und sie fragen, ob sie ihn nach Hause begleiten wollte. Das war es, was sie von ihm erwartete. Was alle von ihm erwarteten, einschließlich ihm selbst. Pansy war genau sein Typ. Groß, blond, langbeinig und sehr hübsch.

„Ich glaube, du hast recht. Ich gehöre ins Bett, damit ich ein paar Stunden Schlaf bekomme. Ich rufe dich an“, hörte er sich zu seinem eigenen Erstaunen sagen.

Was stimmte nicht mit ihm? Er hatte gerade ein verlockendes Angebot von einer äußerst attraktiven Krankenschwester ausgeschlagen. Vielleicht sollte er einmal sein Gehirn untersuchen lassen!

Allen inneren Einwänden zum Trotz machte er sich auf die Suche nach seinen Gastgebern, dankte ihnen für den amüsanten Abend und fuhr nach Hause. Allein.

 

Als Kerry in der Wohnung über sich Schritte hörte, sah sie überrascht auf die Uhr. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Wie kam es, dass Adam schon zu Hause war? Wenn er auf einer Party war, kehrte er normalerweise nicht vor zwei Uhr morgens zurück.

Sie gab ihm eine halbe Stunde, bevor sie wieder das Quietschen der Sprungfedern und die Lustschreie seiner aktuellen Flamme hören würde.

Ach, zur Hölle mit ihm! Es bestand kein Grund, ärgerlich zu sein. Schließlich gehörte Adam ihr nicht und war ihr auf keine Weise verpflichtet. Da er völlig unfähig zu einer festen Bindung war, würde sich daran auch nie etwas ändern.

Sie konzentrierte sich wieder auf die chemische Formel, an der sie gerade arbeitete. Nach einer Weile stand sie auf, setzte sich den Kopfhörer auf und legte eine Symphonie von Beethoven in den CD-Player. So musste sie das Quietschen nicht hören. Und musste sich nicht wünschen, dass sie es wäre, die in Adams Bett lag.

 

Am Samstag war in der Notaufnahme die Hölle los. Als Adam seine erste Pause machen konnte, war es bereits nachmittags. Er setzte sich mit Kaffee und Sandwiches in eine Ecke der Kantine und wollte eigentlich die erste ruhige Minute an diesem Tag benutzen, um abzuschalten.

Doch seine Gedanken drifteten unwillkürlich zu Kerry.

Und zu dem Moment, als ihre Balgerei gestern so eine unverhoffte Wendung genommen hatte. Er musste daran denken, wie sie unter ihm auf dem Boden gelegen hatte. Wie er in ihre schönen meergrünen Augen geblickt und erkannte hatte, dass er sie unglaublich gern küssen würde.

Das hätte er ja auch fast getan. Zum Glück war er noch rechtzeitig zur Vernunft gekommen. Dieser Kuss hätte ihre Freundschaft ruiniert.

Den ganzen Tag lang hatte er versucht, nicht an Kerry zu denken. Er war sogar für einen erkrankten Kollegen eingesprungen und hatte eine Doppelschicht geschoben, um etwas zu tun zu haben. Dennoch war es ihm nicht gelungen, sie ganz auszublenden. Ebenso wenig wie die Erkenntnis, dass sich zwischen ihnen etwas geändert hatte. Er musste den Tatsachen ins Auge sehen. Er betrachtete sie nicht mehr nur als gute Freundin.

Sondern als Frau. Und zwar als eine sehr attraktive Frau, die er begehrte.

Eine Frau, die er nicht haben konnte, weil sie ihn nie im Leben so nah an sich heranlassen würde.

 

Am Sonntagmorgen klingelte es an Adams Tür. Er öffnete ein Auge und warf einen Blick auf die Uhr. Halb zehn. Um neun Uhr wollte er eigentlich schon im Sportstudio sein. Das war verrückt. Er verschlief doch sonst nie. Und dabei war er gestern noch nicht einmal ausgegangen. Das erste Mal seit langer Zeit hatte er in einer Samstagnacht nicht nur vor zwei Uhr im Bett gelegen, sondern dazu auch noch allein.

Er schlüpfte in ein Paar Boxershorts, eilte zur Tür und riss sie auf.

„Seit wann machst du in Unterhosen die Tür auf?“, wollte Kerry wissen. „Ist das deine neuste Methode, Vertreter zu verschrecken?“

Er sah verlegen an sich herunter und zuckte die Achseln. „Komm rein. Willst du einen Kaffee?“

„Ich wollte eigentlich nicht bleiben. Ich bin nur vorbeigekommen, um dir das hier zu geben.“ Sie reichte ihm ein hübsch eingewickeltes Päckchen und einen Umschlag. „Für deinen Dad. Es ist ein Buch über das viktorianische Edinburgh.“

„Oh, danke. Das wird ihm bestimmt gefallen.“ Für einen kurzen Moment war er versucht, sie zu fragen, ob ihr Vater auch solche Art von Büchern las. Aber dann erinnerte er sich daran, dass sie einmal erwähnt hatte, sie wäre in einem Heim aufgewachsen. Dabei hatte sie so traurig ausgesehen, dass er es nicht übers Herz gebracht hatte, sie zu drängen, ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Er nahm an, dass ihre Eltern auf tragische Weise ums Leben gekommen waren. Vermutlich hatte es keine weiteren Verwandten gegeben, die sich um Kerry hätten kümmern können. Die Frage nach den Lesegewohnheiten ihres Vaters verbot sich also von allein.

Kerry war frei und ungebunden. Offenbar gab es keine Familienmitglieder, die ihr nahestanden. Sie hatte viel Raum und Zeit für sich. Danach hatte Adam sich immer gesehnt. Aber dafür besaß er ja vielleicht das, was sie sich immer gewünscht hatte. Eine Familie. Eltern, die sich für seine Zeugnisse interessierten. Die ihm vor jeder wichtigen Prüfung Karten schickten, auf denen stand, dass sie ihm die Daumen drückten.

„Ich rufe dich an“, sagte Kerry lächelnd. Dann war sie auch schon verschwunden.

Komisch. Normalerweise verhielt sie sich ihm gegenüber nicht mehr so distanziert. Vielleicht dachte sie ja, dass er eine Frau zu Besuch hatte und wollte nicht stören.

Er nahm das Telefon zur Hand und drückte die Kurzwahltaste für ihre Nummer. Doch bevor der Wählvorgang beendet war, legte er wieder auf. Wenn er ihr mitteilte, dass er allein war, käme ihr das bestimmt ziemlich merkwürdig vor. Ihre Verlobung war schließlich nur ein temporäres Arrangement, bis es seinem Vater wieder besser ging. Kerry hatte bestimmt nicht das geringste Interesse an seinem Liebesleben.

Die ganze Geschichte wurde allmählich ziemlich kompliziert. Er musste sehr vorsichtig sein, sonst würde die Sache noch in einer Katastrophe enden.

 

Das Läuten des Telefons riss Kerry aus ihrer Konzentration. Sie war so in ihre Arbeit vertieft gewesen, dass sie alles andere um sich herum vergessen hatte.

„Hallo“, meldete sich Adam, als sie den Hörer abgenommen hatte. „Ich hoffe, ich störe dich nicht.“

Das hing ganz von der Definition ab. Kerry dachte nicht zum ersten Mal, dass Adam ihr seelisches Gleichgewicht sogar ganz erheblich störte. In der vergangenen Nacht hatte sie beispielsweise einen sehr erotischen Traum von ihm gehabt. Als sie erwachte, war sie schweißgebadet und ihr ganzer Körper brannte vor Verlangen.

„Ich wollte sowieso gerade eine Pause machen“, erwiderte sie ausweichend.

„Gut. Mein Vater würde gern kurz mit dir sprechen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Aber sicher.“ Sie unterdrückte die Enttäuschung, die in ihr aufsteigen wollte. Natürlich rief Adam sie nicht an, um mit ihr zu reden. Wenn die vorgetäuschte Verlobung nicht wäre, hätte er sich aus Inveraillie überhaupt nicht gemeldet.

„Hallo, Kerry. Vielen Dank für das wunderbare Buch. Da haben Sie sich wirklich Gedanken gemacht“, sagte Donald.

„Es war mir ein Vergnügen. Wie geht es Ihnen, Mr McRae?“

„Nennen Sie mich doch Donald. Ich fühle mich hervorragend. Ich weiß gar nicht, was das ganze Getue soll.“

„Adam kommandiert Sie herum, nicht wahr?“

„Das können Sie laut sagen. Er will mir vorschreiben, was ich essen und trinken soll. Und er will, dass ich mit Golf anfange. Ausgerechnet Golf!“, brummte Donald unwirsch.

„Immerhin besser, als wenn er Sie zum Bergsteigen schicken würde“, meinte Kerry ironisch.

Donald lachte. „Das schon. Aber ich hasse Golf. Adam war schon immer ziemlich dominant. In dieser Hinsicht kommt er ganz nach seiner Mutter. Ist das Mozart, den ich da im Hintergrund höre?“

„Ja. Die Klaviersonate Nummer …“

„Elf“, beendete er den Satz für sie. „Wunderschön. Ich bin froh, dass mein Sohn jemand mit einem exzellenten Musikgeschmack gefunden hat.“

Jetzt war es an Kerry, zu lachen. „Da ist er aber ganz anderer Meinung.“

„Das glaube ich gern. Aber Sie und ich, wir wissen es besser.“

„Absolut. Meine beste Freundin ist Geigerin. Wenn ihr Quartett demnächst in Edinburgh auftritt, kann ich Ihnen gern Eintrittskarten besorgen.“ Kerry biss sich auf die Unterlippe. Dieses Angebot war ihr über die Lippen gekommen, noch bevor sie richtig darüber hatte nachdenken können.

„Das wäre großartig. Vielleicht können Sie uns ja begleiten“, erwiderte Donald begeistert. „Es macht überhaupt nichts, wenn Adam nicht mitkommen will. Meine Frau und ich würden Sie so gern kennenlernen. Wann haben Sie denn mal Zeit, uns zu besuchen?“

„Oh, im Moment stecke ich bis zum Hals in Arbeit. Aber bald“, versprach sie halbherzig.

„Vielleicht kommen wir ja vorher nach London. Falls mein rechthaberischer Sohn mir die Reise gestattet.“

Oh, Himmel! Das gehörte nun wirklich nicht zu ihrer Abmachung mit Adam. „Das wäre schön“, erwiderte Kerry und hoffte, dass ihre Stimme nicht allzu panisch klang.

„Dann habe ich ja etwas, auf das ich mich freuen kann“, meinte Donald zufrieden. „Ich muss jetzt Schluss machen. Adam will, dass ich mich ausruhe“, fügte er grantig hinzu.

Sie musste lachen. „Passen Sie gut auf sich auf.“

„Und Sie auf sich.“

 

Es war seltsam, zuzuhören, wie sein Vater mit seiner Verlobten telefonierte. Adam fand, dass Kerry ihre Sache gut machte. Donald scherzte, lachte und wirkte sehr aufgeräumt.

Noch seltsamer war allerdings, dass es ihm selbst ähnlich erging, wenn er mit Kerry sprach. Als ob die Welt ein wenig heller werden würde. Immer wieder musste er an den Kuss denken, zu dem es fast gekommen wäre. Und dann? Hätte sie seinen Kuss wohl erwidert?

„Du siehst bedrückt aus, mein Sohn“, sagte Donald unvermittelt.

„Ich? Oh, nein. Mir geht es gut.“

„Vermisst du dein Mädchen?“

„Ja“, antwortete Adam nachdrücklich. Und das war die reine Wahrheit. Er vermisste sie wirklich.

Diese Tatsache machte ihm Angst.

Kerry legte den Hörer auf und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Oh, verdammt! Es war wirklich nicht schwer, Adams Eltern ins Herz zu schließen. Sein Vater teilte ihren Musikgeschmack, seine Mutter ihre Leidenschaft für Form und Farbe. Beide hießen sie aufs Herzlichste in der Familie willkommen. Diese Geschichte würde bestimmt ein schlimmes Ende nehmen. Adam und sie mussten verstärkt darüber nachdenken, wie sie den beiden das Ende ihrer Verlobung möglichst schonend beibringen konnten. Seine Eltern waren ausgesprochen nette Menschen. Sie wünschte sich, ihre eigenen Eltern wären ihnen auch nur annähernd ähnlich. Auf jeden Fall verdienten Donald und Moira etwas anderes als ein Gespinst aus Lügen.

Sie musste unbedingt mit Adam darüber reden. Je eher, desto besser. Sie nahm ihr Handy zur Hand und schickte ihm eine SMS.

 

Komm zum Abendessen zu mir, wenn du zurück bist. Mittwochabend halb acht?

 

Den ganzen Nachmittag musste sie auf seine Antwort warten. Und dann war sie auch noch sehr kurz.

 

OK. Ich bringe Pudding mit.

 

Um Punkt halb acht am Mittwochabend klingelte es an Kerrys Tür.

„Hi.“ Adam lehnte lächelnd im Türrahmen und hielt ihr eine Plastikschüssel hin. „Pudding. Vanille mit Erdbeeren.“

Sie schloss die Tür hinter ihm. „Hört sich gut an. Mach’s dir gemütlich! Wie geht es deinem Vater?“

„Langsam wieder besser.“ Adam stellte die Puddingschüssel in ihren Kühlschrank und schnupperte. „Irgendetwas riecht hier sehr verlockend.“

„Gulasch. Sollte in etwa zehn Minuten fertig sein. Möchtest du ein Glas Wein?“

„Gern, danke.“ Er nahm das Glas Rotwein, das sie ihm reichte, und folgte ihr ins Wohnzimmer. „Findest du nicht, dass du eine andere CD einlegen solltest?“, fragte er, nachdem er sich auf die Couch gesetzt hatte.

„Nein. Das ist doch wunderbar harmonisch.“ Die Musik war von Mozart, ihrem Lieblingskomponisten.

„Na, schön. Dafür bekommst du bestimmt ein Sternchen von meinem Vater. Er mag klassische Musik genauso gern wie du.“

Sie lachte und setzte sich neben ihn. „Deshalb lehnst du diese Musikrichtung also so strikt ab. Du rebelliert immer noch gegen deine Eltern. Die meisten Menschen hören damit auf, wenn sie die Dreißig erreicht haben.“

„Kann schon sein“, erwiderte er, ohne die Herausforderung anzunehmen.

„Er ist nicht gerade glücklich über deine Idee, dass er Golf spielen soll, weißt du?“

„Das ist ja nicht die einzige Möglichkeit. Er sollte sich täglich bewegen, ohne sich zu überanstrengen. Deshalb bin ich auf Golf gekommen. Man muss viel gehen und ist mit anderen Menschen zusammen. Aber er könnte sich auch einen Hund anschaffen und ihn jeden Tag zweimal ausführen.“ Adam schüttelte resigniert den Kopf. „Weißt du, was er geantwortet hat, als ich ihm sagte, dass er Bewegung braucht? Er hat mir damit gedroht, in den Squashclub einzutreten. Er hatte gerade eine Herzattacke und will einen Sport treiben, der bei vielen Leuten Herzanfälle auslöst, weil sie sich viel zu sehr verausgaben. Mein Vater ist wirklich unmöglich.“

„Du hast ja keine Ahnung, wie glücklich du dich schätzen kannst, die beiden zu haben.“ Diese Worte brachen aus Kerry hervor, ohne dass sie darüber nachgedacht hätte. „Deine Eltern sind ganz wunderbare Menschen, Adam. Sie kümmern sich um dich. Sieh dir doch nur einmal an, wie unvoreingenommen sie mich akzeptiert haben. Dabei bin ich eine Fremde für sie. Sie haben bisher nur mit mir telefoniert. Trotzdem interessieren sie sich für mich. Für das, was ich tue und was mich bewegt.“ Das war das genaue Gegenteil zu ihren eigenen Eltern. Sie hatten niemals wirkliches Interesse an ihr gezeigt. Nicht einmal, als sie noch mit ihnen zusammengelebt hatte. „Und sie lieben dich abgöttisch.“ In Adams Leben gab es zwei Menschen, die ihn bedingungslos liebten. Das war ein Luxus, von dem sie nur träumen konnte. Warum wusste er das nicht zu schätzen?

Adam hob unbehaglich die Schultern. „Tut mir leid, Kerry. Du musst noch ein Kind gewesen sein, als deine Eltern starben.“

Sie holte tief Luft. „Meine Eltern sind nicht tot.“

Fassungslos sah er sie an. „Sie sind nicht tot?“

„Nein. Jedenfalls soweit ich weiß.“ Tatsächlich hatte sie nicht die geringste Ahnung, ob sie noch am Leben waren. Und sie verspürte auch kein Bedürfnis, das herauszufinden. Vielleicht später einmal.

Adam nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Möchtest du darüber reden?“

„Das würde auch nichts mehr ändern.“

„Aber vielleicht fühlst du dich danach besser.“

Da war sie sich gar nicht so sicher. Trotzdem gab sie sich einen Ruck. „Meine Mutter hat uns verlassen, als ich dreizehn war.“ Sie konnte Adam nicht in die Augen sehen. „Mein Vater hatte eine ganze Reihe von Geliebten. Vermutlich noch mehr als du. Sie hatte genug davon, ihn mit anderen zu teilen. Daraus kann ich ihr nicht einmal einen Vorwurf machen.“

„Warum hat sie dich nicht mitgenommen?“

Kerry zuckte die Achseln. „Ich glaube, sie wollte endlich frei sein. Und sie wusste nicht, wohin es sie verschlagen würde. Sie dachte wohl, wenn ich bei meinem Vater bleiben würde, gäbe es weniger Chaos in meinem Leben. Ich konnte weiter in dieselbe Schule gehen und in einer vertrauten Umgebung leben. Wenn sie mich mitgenommen hätte, hätte ich ständig die Schule wechseln müssen. Und ständig umziehen müssen, vielleicht sogar im Ausland.“

„Aber?“

„Wie ich schon sagte, hatte mein Vater dauernd irgendwelche Affären. Damit war er so beschäftigt, dass er mich kaum zur Kenntnis nahm. Irgendwann hatte ich das satt. Ich dachte, wenn ich mich so schlecht wie möglich benehme, bekommt er vielleicht endlich mit, dass es mich gibt.“

„Du und schlechtes Benehmen?“ Adam schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir kaum vorstellen.“

„Oh, doch. Ich war ein wirklich böses Mädchen. Ich habe die Schule geschwänzt, keine Hausaufgaben gemacht und meine Lehrer beleidigt. Da ich immer dort geraucht habe, wo man mich auch ganz sicher sehen konnte, wurde ich dauernd dabei erwischt. Schließlich hat man mich aus der Schule geworfen. Der Direktor rief meinen Vater während der Arbeit an. Mein Vater war außer sich vor Wut. Ich hielt mich für besonders schlau, aber ich habe ihm damit nur in die Hände gespielt. Denn er schickte mich auf ein Internat. Aus den Augen, aus dem Sinn.“

„Das ist ja furchtbar. Es tut mir so leid für dich. Aber ich dachte, dass …“

„Ich in einem Heim gewesen wäre?“ Kerry lächelte bitter. „Ja, aber das war ein bisschen später. Ich habe das Internat gehasst. Ich dachte, wenn man mich dort auch rauswerfen würde, würde mein Vater mir erlauben, nach Hause zurückzukehren. Also tat ich alles, um mich so unbeliebt wie möglich zu machen.“

„Und, durftest du wieder nach Hause?“

„Nein. Er sagte, er würde mit mir nicht zurechtkommen. Er schaltete das Jugendamt ein. Und so kam ich in ein Heim.“

Adam fluchte leise. „Wie konnte er das seiner eigenen Tochter antun?“

Diese Frage hatte sie sich auch schon oft gestellt. Bis sie die Antwort darauf fand. „Weil ich ihm im Weg war.“

„Er war wütend auf dich, das kann ich verstehen. Aber nach einer Weile muss er sich doch wieder beruhigt haben. Ist ihm da nicht klargeworden, warum du dich so schlecht benommen hast und dich wieder zu sich geholt?“

Kerry schüttelte den Kopf. „Ich habe gewartet. Monatelang. Dass er oder meine Mutter mich holen würden. Und mir sagen würden, dass sie einen großen Fehler gemacht hätten.“ Und um ihr zu sagen, wie leid es ihnen täte, wie sehr sie sie liebten und dass sie wieder eine richtige Familie sein würden, fügte sie in Gedanken hinzu.

Aber das war nie geschehen.

Und sie hatte sich von Tag zu Tag einsamer gefühlt.

„Als mir klar wurde, dass sie nicht kommen würden, habe ich erst recht über die Stränge geschlagen. Ich war fünfzehn, sah aber aus wie achtzehn. Also trank ich Alkohol, rauchte, ließ die Schule sausen und hing in Einkaufszentren herum. Dort geriet ich in ziemlich schlechte Gesellschaft.“ Sie holte tief Luft. „Ich habe meine Grenzen ausgetestet. Wahrscheinlich wollte ich sehen, wie weit ich gehen könnte, bis mich jemand aufhalten würde.“

„Viele Menschen machen als Jugendliche ähnliche Fehler“, sagte Adam.

Sie lachte freudlos. „Nicht in dem Ausmaß wie ich, das kannst du mir glauben. Innerhalb von drei Monaten habe ich drei verschiedene Pflegefamilien in den Wahnsinn getrieben.“

„Und was passierte dann?“

„Ich wurde in einem Heim untergebracht. Die erste Stunde in meiner neuen Schule war Chemie. Die Lehrerin hat uns gezeigt was passiert, wenn man Kaliumpermanganat erhitzt.“

„Es verwandelt sich in einen Vulkan“, sagte Adam in Erinnerung an seinen eigenen Chemieunterricht.

Sie nickte. „Ich war fasziniert. Ich habe oft den Unterricht geschwänzt, aber nie die Chemiestunde. Eines Samstags rief meine Lehrerin, Miss Barnes, im Heim an und lud mich zum Mittagessen ein. Wir hatten ein langes Gespräch über meine Zukunft. Ich war gut in Kunst und in Chemie. Daher schlug sie vor, dass ich mir überlegen sollte, ob ich nicht Pyrotechnikerin werden möchte. Meine Noten in allen übrigen Fächern waren natürlich furchtbar schlecht. Aber Miss Barnes meinte, ich wäre intelligent genug, um alle Versäumnisse aufzuholen, meinen Notendurchschnitt zu verbessern und ein Studium zu beginnen.“

„Und das hast du dann auch getan?“

Kerry schüttelte den Kopf. „Zuerst nicht. Miss Barnes hatte mir zwar eine Perspektive eröffnet, aber ich hatte viel zu lange auf der faulen Haut gelegen. Ich schaffte es beim ersten Anlauf nicht, versagte in den Prüfungen und bekam schlechte Noten. Außer in Kunst und Chemie. Danach ging ich nicht mehr in die Schule. Aber Miss Barnes besuchte mich und erklärte mir, dass ich eine Wahl treffen müsse. Entweder würde ich so weitermachen wie bisher und für immer unglücklich sein. Oder ich könnte es noch einmal versuchen, alle Widerstände überwinden und über mich hinauswachsen. Danach sagte sie noch etwas, dass ich nie vergessen habe: Die beste Rache ist ein gutes Leben!“

„Dann hast du dein Ziel erreicht. Du hast dir in deinem Beruf einen Namen gemacht. Und du wirst in die Geschichte eingehen als die Pyrotechnikerin, die ein ozeangrünes Feuerwerk entwickelt hat.“

Es dauerte einen Moment, bis Kelly den Sinn seiner Worte erfasste. Dann traf es sie wie ein Schlag. Adam glaubte an sie. Er glaubte wirklich an sie.

Sie war sich nicht sicher, ob sie deswegen froh oder beunruhigt sein sollte. Denn er schien ihr mehr zuzutrauen als sie sich selbst.

„Willst du deine Eltern denn irgendwann einmal wiedersehen?“

Kerry schluckte trocken. „Wahrscheinlich könnte ich sie finden, wenn ich es ernsthaft darauf anlegen würde. Aber so, wie ich das sehe, haben sie mich auf der Hälfte meines Lebens aufgegeben. Ich habe nichts mehr mit ihnen zu schaffen. Sie haben sich damals nicht für mich interessiert. Warum sollten sie es heute tun?“

„Vielleicht sind sie ebenfalls erwachsen geworden.“

„Das interessiert mich nicht, so traurig es auch sein mag. Ich brauche sie nicht mehr. Ich komme sehr gut allein zurecht.“

Bevor Adam zu einer Erwiderung ansetzen konnte, ertönte der Alarmton des Rauchmelders. Kerry begriff sofort, was passiert war, und zuckte zusammen. „Oh, Mist, Ich habe das Essen anbrennen lassen.“ Sie war so sehr mit ihrer Vergangenheit beschäftigt gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, sich um das Gulasch zu kümmern.

Sie rannte in die Küche, zog die Töpfe vom den Herdplatten, öffnete das Fenster und schwenkte ein Handtuch, bis der Qualm sich verzogen hatte und der Rauchmelder den Alarm einstellte.

Dann schaute sie in ihre Töpfe. Das Gulasch war nicht mehr zu retten. Die Kartoffeln waren zu Matsch zerkocht und am Boden des Topfes angebrannt.

Was für eine Schweinerei! Kerry war kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Dabei weinte sie nie. Sie hatte als Teenager so viele Tränen vergossen, dass es für ein ganzes Leben reichte. Sie bohrte sich die Fingernägel in die Handballen und schloss die Augen. Nur nicht heulen! Schon gar nicht wegen so einer Lappalie wie ein verdorbenes Essen.

 

Adam kam in die Küche. „Kann ich irgendetwas tun?“

„Nein, schon gut.“

Er lächelte und deutete auf das angebrannte Essen. „Wie ich sehe, hast du dir Arbeit mit nach Hause gebracht. Das sieht aus wie nach einem Feuerwerk.“ Dann sah er die Tränen in ihren Augen und hob die Hände. „Entschuldige, ich habe nur Spaß gemacht.“

„Ja.“

Kerry war nicht wegen des Essens den Tränen nah, das war ihm klar. Sondern wegen ihrer Eltern. Ihm von ihrer Vergangenheit zu erzählen, hatte sie offenbar sehr aufgewühlt. Schlimme Erinnerungen und schlechte Gefühle. Oh, verdammt! Das hatte er nicht beabsichtigt. Es tat ihm weh, sie so unglücklich zu sehen. Aber vielleicht konnte er etwas dagegen tun

Er legte die Arme um sie und zog sie zu sich. „Wenn du dich besser fühlst, wäschst du dir das Gesicht, und dann lade ich dich auf eine Pizza ein.“ Er strich ihr übers Haar. „Ich finde, du hast eine ganz erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Wenn man bedenkt, was deine Eltern dir angetan haben. Was du mir erzählt hast, behalte ich für mich. Ich bin schließlich Arzt und unterliege der Schweigepflicht. Okay?“

Kerry erschauerte. „Lass mich los! Sonst mache ich dich ganz nass.“

„Nein, das wirst du nicht. Du hältst deine Tränen tapfer zurück, wie immer. Wann hast du dich zum letzten Mal richtig ausgeweint?“

„Ich werde wegen meiner Eltern nicht heulen“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. „Das sind sie nicht wert. Außerdem glaube ich nicht daran, dass Tränen helfen.“

„Da irrst du dich. Tränen sind kein Zeichen von Schwäche. Sie können sehr heilsam sein.“ Er rückte ein Stück von ihr ab, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Nichts von dem, was du mir anvertraut hast, ändert etwas an meinen Gefühlen für dich. Außer, dass ich dich jetzt noch ein wenig mehr bewundere, weil ich weiß, womit du zu kämpfen hattest.“ Er fühlte sich schuldig, weil er die Eltern besaß, die sie verdient hätte. Und die er gar nicht zu schätzen wusste. Er nahm sich vor, seiner Mutter am nächsten Tag Blumen zu schicken.

„Du hast das alles großartig auf die Reihe bekommen.“

Dann konnte er einfach nicht anders. Er beugte den Kopf vor und küsste sie.


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