Darf ich ihm gehören? - 7. Kapitel

7. KAPITEL

Am nächsten Tag holte Ronni vom Supermarkt die Erlaubnis ein, einen Tisch in der Nähe des Eingangs aufstellen zu dürfen. Und um ein Uhr traf sie sich im Kinderkrankenhaus mit Maggie MacAllister, die ihr drei große Spendendosen, zwei offizielle Anstecknadeln sowie zwei große Poster zum Aufstellen übergab.

     Nachmittags um drei hatten Ronni und Drew, frierend trotz ihrer dicken Jacken, alles aufgebaut. Und als sie um fünf wieder zusammenpackten, war Drew bereits recht geschickt darin, auf völlig Unbekannte zuzumarschieren und sie um Geld zu bitten.

     „Nur einen Dollar, oder fünfzig Cents, oder vielleicht einen Vierteldollar. Wir können wirklich alles gebrauchen, was Sie geben könnten …“

     Achtundvierzig Dollar und siebenundzwanzig Cents hatten sie eingenommen. Drew war begeistert, und auf der Heimfahrt sprudelte es nur so aus ihm heraus.

     „Wenn wir das jedes Mal machen“, erklärte er, „jeden Samstag und Sonntag, dann sind das …“ Angestrengt rechnete er: „Achtundvierzig Dollar mal zwei sind sechsundneunzig. Sechsundneunzig Dollar und vierundfünfzig Cents in der Woche. Wow! Das sind ja fast hundert Dollar in einer Woche, Ronni! In einem Monat könnten das fünfhundert sein. Und in zwei Monaten vielleicht tausend! Oh, wenn wir tausend schaffen würden! Meinst du nicht, dass Dad dann stolz auf uns wäre?“

     Am liebsten hätte Ronni ihn an sich gedrückt. „Oh ja, das wird er. Sehr stolz sogar.“

     „Das hier ist wirklich was, Ronni. Das ist klasse. Und ich glaube, es hat wirklich was gebracht, dass eine echte Ärztin dabei gewesen ist. Auch wenn es ein bisschen schwer war, deinen Kittel unter der langen Jacke zu sehen. Aber ich glaube, sie konnten dein Stethoskop sehen.“

     „Na klar. Bestimmt hat das Stethoskop dazu beigetragen. Aber das Wichtigste warst auf jeden Fall du.“

     „Ja?“

     „Ja. Du warst … unermüdlich.“

     „Uner… – was?“

     „Das heißt, dass du nicht müde wurdest. Du wusstest, was du tun musst, und du hast es getan. Ohne nachzulassen oder müde auszusehen. Und das zwei volle Stunden lang.“

     „Unermüdlich.“ Drew gefiel das Wort sichtlich. „Nie müde werden. So muss man manchmal sein. Wie mein Dad.“

     Ein wehmütiges Gefühl überkam Ronni. Ryan trieb sich selbst so hart an, eigentlich zu hart. Jeden Tag arbeitete er, bis er keine Kraft mehr hatte.

     Es würde nicht immer so bleiben, das wusste sie. Aber dennoch fing sie an, sich ein wenig Sorgen um ihn zu machen. Jetzt da er sich dazu verpflichtet hatte, sein gegebenes Versprechen auch einzulösen und sich bis zur äußersten Erschöpfung verausgabte, schien es ihr, als würden sie überhaupt nicht mehr miteinander reden. Ryan kam immer so spät zu ihr. Dann liebten sie sich und stahlen ein paar Stunden Schlaf. Ronni sehnte sich nach solchen Nächten wie am Anfang, als sie stundenlang miteinander geredet und gelacht hatten.

     „Ronni?“

     „Hmm?“

     „Am besten hebst du unser ganzes Zeug und auch das Geld in deinem Häuschen auf, wo Dad es nicht sehen kann.“

     „Ist gut.“ Der Tapeziertisch, den sie benutzt hatten, war ohnehin ihrer. Und den Rest konnte sie hinten im Kleiderschrank verstecken. Dass Ryan dort hineinschaute, war unwahrscheinlich.

     Drew stieß einen tiefen Seufzer aus. „Hoffentlich kriegen wir morgen genauso viel zusammen wie heute, oder noch mehr.“

     „Das hoffe ich auch.“

     „Ich wünschte, wir könnten den Tisch auch am Montag aufbauen.“

     „Keine Chance. Ich muss arbeiten, und falls ich mich nicht irre, hast du Schule.“

     „Na ja, ich hab’s mir ja nur gewünscht. – Ronni?“

     „Ja?“

     „Ich finde, du bist klasse.“

     Lächelnd sah sie zu ihm hinüber, erfreut über ein so hohes Lob. „Danke.“

     „Ich hoffe, dass du und mein Dad, dass ihr heiratet.“

     Die Kehle wurde ihr plötzlich eng. Sie schluckte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Verkehr.

     „Hast du mich gehört, Ronni?“

     „Ja.“

     „Und? Werdet ihr heiraten?“

     „Das … hoffe ich.“

     „Hat er dich schon gefragt?“

     „Drew, das ist etwas … worüber dein Vater und ich erst alleine sprechen müssen, bevor wir mit dir darüber sprechen.“

     „Und wann werdet ihr darüber sprechen?“

     Wenn ich das wüsste. „Drew …“

     „Schon gut. Ich hab schon kapiert. Ich geh dir auf die Nerven.“

     Ronni lächelte. „Nein, das nicht. Du stellst nur Fragen, die ich … im Augenblick nicht beantworten kann.“

     Er schwieg und sagte dann: „Ronni?“

     „Was denn?“

     „Ich finde dich trotzdem klasse.“

 

Am Sonntag regnete es. Ronni saß, in ihren Trenchcoat gekauert, an dem Tapeziertisch unter dem Vordach des Supermarktes, während Drew auf einen Käufer nach dem anderen zuging. Heute schienen die Leute ungeduldiger zu sein als gestern. Niemand wollte lange genug im kalten Regen draußen stehen bleiben, um etwas Kleingeld aus der Tasche zu ziehen. Aber Drew gab nicht auf. Und als sie um fünf schließlich zusammenzählten, hatten sie siebenunddreißig Dollar und neun Cents.

     „Nicht so gut wie gestern“, meinte Drew niedergeschlagen.

     „Hey, das sind immerhin siebenunddreißig Dollar, mehr als wenn wir überhaupt nicht hergekommen wären“, erwiderte Ronni, woraufhin sich seine Miene ein wenig aufhellte.

     Bei ihrer Rückkehr zu Hause hatte der Regen aufgehört. Ronni kam mit noch kurz mit ins Haupthaus. Lily war in der Küche, mehrere Bunde an Schnittblumen auf der Arbeitsfläche, und eine Reihe von Kristallvasen auf dem Tisch.

     „Hallo, Großmutter, wir sind wieder da!“ Drew lief gleich weiter, die Treppe hoch zu seinem Zimmer.

     „Was habt ihr heute eingenommen?“, rief Lily ihm nach.

     „Weniger als gestern. Siebenunddreißig Dollar und neun Cents.“

     Schulterzuckend sagte Lily: „Hört sich doch gut an.“

     „Ja, finde ich auch“, stimmte Ronni zu. „Sind die anderen Kinder oben?“

     Lily füllte eine der Vasen mit Nelken und Grün. „Ja.“

     „Dann laufe ich schnell mal rauf und sag ihnen hallo.“

     Lily warf ihr einen Seitenblick zu und zuckte erneut mit den Schultern. „Bitte, wie Sie wollen. Lisbeths Zimmer ist das erste auf der linken Seite, und Griffins ist gleich daneben.“

     Oben in Lisbeths hübschem, in Mintgrün und Weiß gehaltenen Zimmer wurde Ronni eine der aktuellsten Barbie-Puppen vorgestellt. Und kurz danach ging sie weiter zu Griffin, der ihr voller Stolz seine neueste Schöpfung aus Plastikbausteinen zeigte.

     „Das ist eine Burg!“, verkündete er und deutete auf eine grüne Rampe. „Und da geht man rein. Aber wenn man drin ist, kommt man vielleicht nie wieder raus!“

     „Klingt ja unheimlich.“ Ronni tat so, als müsste sie sich schütteln.

     Griff stieß ein johlendes Gelächter aus. „Hahaha! Das ist es auch!“

     Als Ronni hinunter kam, war Lily noch immer dabei, die Blumen zu arrangieren. Zwei Vasen hatte sie bereits mit Blumen und Federfarn gefüllt.

     „Die sehen wunderbar aus, Lily.“

     „Es gibt eben einfach keinen Ersatz für frische Blumen im Haus. Sie sind zwar teuer, und das Arrangieren kostet Zeit, aber sie vermitteln einem dieses gewisse Etwas, das die liebevolle Hand einer Frau zeigt. Das hat Patricia immer gesagt.“

     „Sie hatte recht.“

     „Nun, selbstverständlich.“

 

Am Dienstagabend stattete Ronni den Kindern einen weiteren Besuch ab, obwohl Lily sie mit höflicher Distanz wie eine Fremde behandelte. Doch zumindest die Kinder schienen sich zu freuen.

     Am Mittwoch nach ihrer Visite im Kinderkrankenhaus schaute Ronni bei ihrer neuen Wohnung vorbei, wo sie alles so vorfand, wie es sein sollte. Küche, Badezimmer und Schlafzimmer waren tapeziert, die übrigen Räume mit Strukturverputz versehen und gestrichen. Teppichboden und Parkett waren verlegt, alle Armaturen an Ort und Stelle, und die Holzjalousien waren gerade heute angebracht worden. Es war alles bezugsfertig.

     Ronni setzte sich auf den hellen Berberteppich im Wohnzimmer und merkte, dass sie traurig wurde. Wenn alles so lief, wie sie erhoffte, würde sie niemals hier in ihrer Traumwohnung leben. Wahrscheinlich sollte ich mich baldmöglichst nach einem Käufer umsehen, dachte sie.

     Andererseits, da zwischen ihr und Ryan noch nichts wirklich entschieden war, kam ihr ein Gang zum Makler doch etwas verfrüht vor. Nein, im Augenblick wollte sie noch nichts unternehmen.

     Ronni stand vom Boden auf, löschte das Licht und ging.

     In dieser Nacht, als Ryan zu ihr kam, liebten sie sich wie immer. Und dieses Mal sprachen sie danach sogar etwas miteinander.

     Ronni berichtete, dass sie sich bemühte, Zeit mit den Kindern zu verbringen, und dass Lily ganz und gar nicht erbaut davon war, wenn sie im Haupthaus auftauchte.

     „Sie heißt mich nicht mit offenen Armen willkommen, Ryan. Darüber musst du dir im Klaren sein. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit erkundigt sie sich, wie weit meine Wohnung ist, – damit ich endlich ausziehen kann, und von dir weg.“

     Seine Augen wirkten eisblau vor Ärger. „Hat sie das gesagt?“

     „Nicht wörtlich, aber …“

     Er zog Ronni an sich. „Ich weiß, es ist unangenehm. Und schwierig für dich. Ich werde mit ihr sprechen.“

     Sie blickte ihn an. „Ach, Ryan. Solange wir nicht wissen, wohin es mit uns beiden geht, kannst du ihr da eigentlich nicht viel sagen. Sie ist höflich. Und sie versucht auch nie, mich von den Kindern fernzuhalten. Es ist ja nicht so, dass die Situation nicht auszuhalten wäre. Und so wird es auch weiterhin bleiben, bis zu dem Punkt, wenn wir beide unter einem Dach leben würden. Ich glaube, dann würde es tatsächlich unerträglich, falls sie ihre Haltung nicht drastisch ändert.“

     Ryan umschloss Ronnis Gesicht, gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und dachte über das nach, was sie gerade gesagt hatte. Es war ein wichtiges Thema, das unbedingt einer Diskussion bedurfte. Bald. Aber zuerst musste Ryan dafür sorgen, dass Tanner die Arbeit an dem Neubau wieder aufnehmen konnte. Sobald er etwas Raum zum Atmen hatte, würde er mit Ronni über die Zukunft sprechen …

     Zärtlich schmiegte er sie an sich. Ronni kuschelte sich an seine Schulter, und beinahe hätte sie es gesagt: Ryan, meine Wohnung ist fertig. Ich kann ausziehen …

     Sie wusste, dass er sie nicht gehen lassen wollte. Aber was sie tief in ihrem Herzen fürchtete, war, dass er wollte, dass sie blieb – hier, in dem Häuschen. Als sein Gast. Als seine Geliebte. Mehr nicht.

     Es war eine unreife Angst, dessen war sie sich bewusst. Die Angst des Kindes, das sie einst gewesen war, und das nirgendwo hingehört hatte. Das Kind, das für andere Leute immer nur am Rand ihres Lebens existiert hatte. Das Mädchen, das nach dem Tod seiner Mutter nie der Mittelpunkt der Welt irgendeines anderen Menschen gewesen war.

     Ryan sagte: „Diesen Sonntag ist Pizza-Tag.“

     Müßig ließ sie die Finger durch die krausen Härchen auf seiner Brust wandern. „Ah, die monatliche Familien-Veranstaltung.“

     „Und die werden wir auch diesen Monat nicht ausfallen lassen, auch wenn ich bis zu den Ohren in Besprechungen, Finanzierungsgesprächen und Reden bei Wohltätigkeitsveranstaltungen stecke. Und ich möchte, dass du mit uns kommst.“

     „Wirklich?“

     Er streichelte ihre bloße Schulter. „Pizza Pete wird dir gefallen. Ein Haufen lauter Videospiele und schreiende Kinder. Und du kannst dir immer wieder Limonade nachholen, wenn deine alle ist.“

     „Klingt verlockend.“

     „Also, du kommst mit.“ Er küsste sie aufs Haar, und damit war es beschlossene Sache.

 

Drew musste am Vorderfenster nach ihr Ausschau gehalten haben, denn sobald Ronni am nächsten Abend in die Auffahrt einbog, rannte er aus dem Haus auf ihren Wagen zu.

     Sie drehte das Fenster herunter.

     „Ronni, wir müssen unbedingt miteinander sprechen …“

     Lily erschien in der offenen Haustür. „Andrew! Was tust du da? Die Tür ist sperrangelweit offen. Und komm jetzt sofort zurück, du hast ja noch nicht mal einen Pullover an!“

     „Gleich!“, rief er über die Schulter zurück, ehe er sich wieder Ronni zuwandte und ihr drängend zuflüsterte: „Park schnell und komm zu mir ins Haus. Ich sehe zu, dass ich Griff und Lizzy loswerde, und dann können Großmutter, du und ich in Ruhe reden.“

     „Worüber denn?“

     „Wegen Sonntag.“

     „Andrew! Jetzt, sofort!“, befahl Lily streng.

     Erneut schaute er über die Schulter. „Ja …“ Und noch einmal an Ronni gewandt: „Bitte.“

     „Okay. Ich bin gleich da.“

     Kaum hatte Lily Ronni zur Hintertür hereingelassen, eilte Drew herbei und schloss die Tür zum Flur.

     Die Hände in die Hüften gestemmt, wollte Lily wissen: „Was soll denn das?“

     „Ich will nicht, dass Griff und Lizzy mithören“, antwortete Drew in lautem Flüsterton. „Und wir müssen uns beeilen. Lizzy liest Griff ein Buch vor. Und wie lange das dauert, wissen wir ja.“

     Lily bot Ronni einen Stuhl an und fragte ihren Enkel dann: „Was sollen Lisbeth und Griffin nicht mithören?“

     „Es ist wegen Sonntag …“

     Lily setzte sich ebenfalls. „Also, dann los, junger Mann.“

     Drew trat von einem Fuß auf den anderen. „Aber hört mir bitte erst mal richtig zu, ja?“

     „Wir hören.“

     „Okay. Dad hat mir heute Morgen gesagt, dass er Ronni zu Pizza Pete am Sonntag eingeladen hat, und …“

     Lily fuhr herum und starrte Ronni böse an. „Ryan hat Sie zu Pizza Pete eingeladen? Aber das ist ausschließlich eine Familienangelegenheit.“

     „Großmutter, wir haben nicht so viel …“, versuchte Drew zu unterbrechen.

     „Ich habe deinen Vater jedenfalls nicht sagen hören, dass er Ronni für Sonntagmittag eingeladen hat“, widersprach sie scharf.

     „Du warst gerade oben bei den anderen. Aber das ist ja auch egal. Das Problem ist, dass wir beide mit sollen. Und das geht nicht. Weil wir doch vor dem Supermarkt stehen müssen, um Geld zu sammeln.“

     „Aber bist du wirklich sicher, dass dein Vater Ronni eingeladen hat?“, beharrte Lily.

     Da schaltete Ronni sich ein. „Ryan hat mich gestern Abend gefragt, und ich habe gesagt, ich würde mich freuen. Ich hoffe, Sie werden auch mitkommen.“

     Lily stieß einen missbilligenden Laut aus. „Ich gehe nie mit zu Pizza Pete. Das ist nur für Ryan, seinen Bruder und die Kinder. Und für Patricia, als sie noch gelebt hat.“

     „Nun, diesmal werde ich auch dabei sein.“

     Drew stampfte mit dem Fuß auf. „Könnt ihr vielleicht endlich damit aufhören, über das zu reden, was wir schon längst wissen, und mir helfen zu überlegen, was wir tun sollen?“

     Ronni sah ihn an und meinte sanft: „Ich denke, wir müssen das Sammeln am Sonntag wohl mal ausfallen lassen. Oder vielleicht können wir später hingehen.“

     „Wir können es doch nicht einfach ausfallen lassen. Und später geht auch nicht, weil Dad an den Sonntagen, an denen wir zu Pizza Pete gehen, fast immer zum Abendessen da ist. Dann würde er es herausfinden.“

     „Vielleicht solltest du es ihm dann erzählen.“

     „Nein, auf keinen Fall.“

     „Ich sehe aber keine andere Möglichkeit.“

     „Doch.“ Er zögerte. „Wir könnten Dad sagen, dass ich krank bin.“

     Wie aus einem Munde riefen Ronni und Lily: „Was?“

     „Lasst mich doch erst mal erklären.“ Aufgeregt wippte Drew auf seinen Fußballen auf und ab. „Ich könnte doch so tun, als ob ich krank bin. Und wenn ihr dann alle weg seid, könnten Großmutter und ich trotzdem zum Supermarkt fahren. Und wir wären auch wieder hier, bevor ihr zurückkommt. Dann bleibe ich bis abends krank, und am Montag bin ich wieder gesund.“ Er schaute von Ronni zu seiner Großmutter. „Ich weiß, es würde funktionieren.“

     Die beiden Frauen schüttelten den Kopf.

     „Andrew“, erklärte Lily. „Das wäre eine Lüge.“

     „Aber für einen guten Zweck! Außerdem lüge ich dafür doch sowieso schon, weil ich ihm nicht sage, was ich mache.“

     „Treib’s nicht zu weit, junger Mann“, warnte Lily. „Wenn du so weiter machst, glaube ich allmählich, dass wir deinem Vater doch noch alles erzählen müssen.“

     „Nein, müssen wir gar nicht. Es ist doch was Gutes, ihn zu überraschen, auch wenn’s eine Lüge ist. Es ist eine gute Lüge, genau wie mein Kranksein eine gute Lüge wäre.“

     „Nein, auf gar keinen Fall“, lehnte Lily ab. „Ich werde dir nicht erlauben, so zu tun, als ob du krank bist. Nicht mal für einen guten Zweck. Das ist nicht in Ordnung.“

     „Aber ich muss!“

     „Du musst überhaupt nicht“, sagte seine Großmutter. „Du hast genau zwei Möglichkeiten: Du kannst es entweder ausfallen lassen oder es deinem Vater erzählen.“

     „Aber das ist nicht fair!“ Heftig riss Drew einen Stuhl unterm Küchentisch heraus und ließ sich darauf fallen.

     „Omi, Omi, Griff hat auf das Buch gespuckt!“ Das war Lisbeth von der anderen Seite der Tür her.

     „Sie hat mir nicht mehr vorgelesen!“, schrie Griff. „Drew hat gesagt, sie soll mir vorlesen!“

     Seufzend erhob Lily sich und ließ sie herein.

     Ronni ging etwa zehn Minuten später, nachdem die beiden Kleineren ins Bad geschickt worden waren.

     Drew schmollte noch immer. Als Ronni ihm auf Wiedersehen sagte, drehte er den Kopf zur Seite.

     Mit einem bedrückten Gefühl kehrte sie ins Gästehäuschen zurück.

     Doch als Ryan drei Stunden danach zu ihr kam, grinste er breit. „Der Bioventure Pharma-Konzern hat fünf Millionen zur Verfügung gestellt“, verkündete er. „Und die zehn Millionen aus dem Gemeindefond sind heute an die Bank gegangen. Tanner müsste sein Geld also morgen haben. Und am Montag kann weitergebaut werden.“

     Einen Freudenschrei ausstoßend, stürzte Ronni ihm in die Arme. Er hob sie empor und schwang sie herum, bis ihr schwindelig war. Zusammen fielen sie aufs Bett, lachten und küssten sich, zogen einander mit fliegenden Fingern aus, und Ryan griff gerade noch rechtzeitig zu einem Kondom. Noch immer vereint und nach Atem ringend lagen sie schließlich da. Auf den Ellbogen gestützt, blickte Ryan auf Ronni hinunter.

     „Morgen Abend“, stieß er flüsternd hervor. „Da muss ich keine einzige verdammte Rede halten. Wir gehen aus. Wie andere normale Leute auch …“

     Sie schlang ihm die Arme um den Hals. „Klingt wundervoll …“

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